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Buch

Bombay 1913. Die junge Madeline Bright verbringt ihr erstes Silvesterfest in der opulenten und exotischen Kolonialstadt. Sie soll dort einen geeigneten Ehemann finden, sehnt sich aber zurück in ihre Heimat England. Doch als die ersten Feuerwerkskörper den Himmel hell erleuchten, begegnet sie Luke Devereux. Der charismatische Offizier öffnet Maddys Herz – für die bunte Schönheit Indiens und für die Liebe. Doch ihre gestrenge Mutter hat bereits einen betuchten Heiratskandidaten für Maddy ins Auge gefasst: den väterlichen Chirurgen Guy Bowen. Ehe Maddy sich entscheiden muss, droht plötzlich eine ganz andere Gefahr am Horizont. Ein Krieg, der nicht nur die junge Liebe, sondern die ganze Welt in Stücke zu zerreißen droht …

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sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Jenny Ashcroft

Wo der Himmel

leuchtet

Roman

Aus dem Englischen

von Anja Mehrmann

Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Meet me in Bombay« bei bei Sphere, London.

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Deutsche Erstveröffentlichung April 2021

Copyright © der Originalausgabe by Jenny Ashcroft

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Strand, Brand, Himmel: FinePic®, München;

Frau, Terrasse, Palme: Lee Avison/Trevillion Images

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-26137-5
V001

www.goldmann-verlag.de

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Für Molly, Jonah und Rafferty

Ein Brief an jemanden, von jemand anderem

Heute Abend kann ich mich nicht einmal entsinnen, welches Jahr wir haben. Sosehr ich es auch versuche, ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon in diesem Pflegeheim bin, das in Wirklichkeit ein Krankenhaus ist – ein Ort für Alte, Gebrechliche, Vergessene … und Vergessliche. Ich habe eine Krankenschwester – eine junge Frau mit Sommersprossen und einer leisen Stimme – gebeten, es mir in Erinnerung zu bringen, aber sie hat es nicht getan. Sie sagte, dann würde ich nur wieder in Panik verfallen, und ich solle mir keine Sorgen machen; Zeit spiele keine Rolle. Dabei bedeutet mir Zeit so viel. Weißt Du, ich bin mir sicher, dass ich schon viel zu lange an diesem Ort bin. Ich habe das schreckliche Gefühl, dass ich mich seit sehr vielen Jahren hier aufhalte.

Ich weiß, dass ich 1915 zum Patienten wurde. Wenigstens daran erinnere ich mich noch. Und dass ich das Datum in dem Buch markiert habe, das ich damals geschenkt bekam: ein ledergebundenes Tagebuch, das Dr. Arnold mir während der ersten Sitzung ausgehändigt hat, damit ich darin alles notiere, was meinem kaputten Gedächtnis sonst entfallen würde. Alles, was Ihnen in den Sinn kommt, hatte Arnold gesagt, schreiben Sie es sofort auf. Seine Worte habe ich irgendwie behalten. Obwohl ich so vieles vergessen habe, höre ich seine Stimme sogar jetzt noch. Vor meinem geistigen Auge sehe ich das Kaminfeuer in seinem Arbeitszimmer, ich fühle die Wärme, als säße ich noch davor, mit kribbelnder Haut unter meiner blauen Krankenuniform. Betrachten Sie Ihre Vergangenheit als ein Puzzle, sagte er, eins, das Sie zusammensetzen müssen. Lassen Sie kein Teil unter den Tisch fallen. Ich habe Arnold schon lange nicht gesehen. Ich weiß nicht mehr, wann oder warum wir auseinandergegangen sind. Vielleicht ist er irgendwann an meinem Puzzle verzweifelt.

Etwas, das ich mir selbst niemals erlauben werde.

Heute bin ich nach dem Morgentee unversehens eingeschlafen. Es passiert einfach. Ich wehre mich nie dagegen. Meine Träume sind alles, was mir aus jener anderen Welt noch geblieben ist, aus der Welt, zu der ich mit Sicherheit einmal gehört habe. Sie war voller Wärme, Licht und Farben, voller Leben. Es gab eine Party und das Ufer eines Meeres. Ganz anders als das langweilige Zeug, das wir hier erleben – keine Sandwiches, die ohne Besteck gegessen werden, kein verdünnter Likör und keine Kräcker, die beim Hineinbeißen gar nicht krachen. Es war laut und brechend voll; eine Band spielte Ragtime.

Eine Gestalt – eine Frau in einem Seidenkleid – stand mit dem Rücken zu mir in der Dunkelheit, ihre behandschuhten Finger berührten eine Stuhllehne.

Das warst Du Ich bin mir sicher, dass Du es warst.

Der Himmel über uns schien zu explodieren. Du blicktest nach oben, ich sah die geschwungene Linie Deines Halses. Ich wartete darauf, dass Du dich umdrehen und mich ansehen würdest. Irgendetwas – eine Erinnerung? – sagte mir, dass Du es tun würdest.

Jubelrufe erfüllten die Nacht, die Auftaktakkorde eines Liedes, das ich nicht einordnen kann, und noch immer wartete ich.

Langsam senktest Du den Kopf. Dein Kinn neigte sich auf Deine nackte Schulter; Dein Wangenknochen war andeutungsweise zu sehen.

Ich hielt den Atem an. Selbst wenn ich in meinem Sessel saß und schlief, hörte ich auf zu atmen.

Als ich aufwachte – wie immer, ehe Du mir einen flüchtigen Blick in Dein Gesicht erlaubst –, waren meine Wangen feucht von Tränen.

Ich erinnere mich nicht mehr, wie Du aussiehst, und dennoch weiß ich: Wenn ich Dich erblickte, würde ich Dich sofort erkennen. Ich bin mir sicher, dass Du schön bist. Ich will glauben, dass wir einst zusammen glücklich waren. Ich versuche zu glauben, dass unsere gemeinsame Geschichte wundervoll war. Aber nun sitze ich hier, alt und allein, und Du bist nicht bei mir, und darum frage ich mich, wie das möglich gewesen sein soll.

Ich muss Dich wiederfinden. Das ist alles, was ich brauche, doch mit jedem Tag, der vergeht, kommt es mir unwahrscheinlicher vor. Denn sooft ich auch davon träume, so geduldig ich warte, dass mein verlorenes Gedächtnis mir einen kleinen Fingerzeig gibt, der mich vielleicht zu Dir zurückführt – eine Initiale, einen Ortsnamen, irgendein winziges Detail –, es passiert einfach nicht. Ich weiß nicht, woher Du kommst, wer Du für mich bist, ja, ich weiß nicht einmal, ob Du überhaupt noch lebst. An jedem Tag und zu jeder Stunde strenge ich mich so sehr an, mich zu erinnern, aber manchmal vergesse ich sogar, dass ich mich an Deinen Namen erinnern soll.

Und nach all diesen Jahren habe ich noch immer keine Ahnung, wo ich war, welche Ereignisse mich von Dir weggeführt haben und wie ich 1915 in dieses Krankenhaus kam.

Oder wer um alles in der Welt ich eigentlich bin.

KAPITEL 1

Bombay, 31. Dezember 1913

Maddy fand es seltsam, dass sich das Leben innerhalb weniger Augenblicke vollständig wandeln konnte – ohne dass eine Andeutung oder ein ungutes Vorgefühl die bevorstehende Veränderung ankündigte. Vor allem nach jenem Silvesterabend 1913 hatte sie oftmals innegehalten, bestürzt, wie arglos sie in den Stunden vor Mitternacht gewesen war, gepackt von der Euphorie der Party im Royal Yacht Club, ohne die geringste Ahnung, was ihr unmittelbar bevorstand. Aber in jener Nacht, während die Uhrzeiger auf das Jahr 1914 vorrückten, hatte sie nichts anderes im Sinn als die Hitze und die Musik. Die Ragtime-Band stimmte fröhlich ein neues Set an, flutete den heißen, von Kerzen erleuchteten Ballsaal mit Scott Joplins Klängen, und die vibrierende Tanzfläche füllte sich mit Paaren – ein Gewimmel von paillettenbesetzten Kleidern und Abendanzügen, die in einem weiteren schweißtreibenden Quickstepp über die Bretter rasten.

Sie hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was ihr das Leben sehr bald bescheren würde.

Sie hielt sich am Rand der Tanzfläche auf. Nachdem sie die letzten fünf Stücke durchgetanzt hatte, war sie froh, vorerst zuzusehen, wieder Atem zu schöpfen und die lindernde Kälte des Gin Tonic auf Eis zu spüren, den sie sich an die Wange drückte. Sie rollte das Glas auf ihrer brennenden Haut hin und her und ließ den Blick über die Opulenz um sich herum schweifen. Die Party war verschwenderisch, selbst für Bombayer Verhältnisse, und sie, die gerade erst aus der ruhigen, gemütlichen Welt ihrer Tante und ihres Onkels in Oxfordshire hierhergekommen war, musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie nicht unerlaubt die Bühne eines Theaters betreten hatte, sondern nun tatsächlich in dieses feuchtheiße Land gehörte. Mit weißen Tüchern bedeckte Tische säumten die Tanzfläche und ächzten unter Servierplatten voller Curry-Puffs, Naanbrot und exotischer Früchte. An der langen Holztheke drängten sich auf engstem Raum Punschterrinen und Champagnereimer. Auf Tischen und an Wänden brannten bunte Laternen und tauchten den getäfelten Saal in farbiges Licht. Ihr wachsartiger Duft vermischte sich mit Parfüms und Haarpomade und der drückenden Hitze, die zu den halb offenstehenden Verandatüren hereindrang. Es gab keinen Weihnachtsbaum – offensichtlich war in Indien keiner zu bekommen –, stattdessen hatte man Mango- und Bananenbaumäste mit Weihnachtskugeln geschmückt, ein Arrangement, das nun über dem Haupteingang des Ballsaals unsicher das Gleichgewicht hielt. Die Konstruktion sah recht merkwürdig aus, ganz anders als die Tannen, die Maddy bisher als Weihnachtsbaum kannte, und irgendwie ließ es die Szenerie nicht feierlicher, sondern im Gegenteil noch weniger weihnachtlich wirken – genau wie die von der schwülen Luft klammen Hüte, die sie auf Geheiß von Maddys Vater Richard am ersten Weihnachtsfeiertag alle tragen mussten. Es war ihr sehr unpassend vorgekommen, auf der von der Sonne ausgedörrten Veranda der Villa Truthahn zu Mittag zu essen, während Pfauen vorbeistolzierten.

Richard trug nun einen anderen Hut als üblich. Es war unmöglich, bei seinem Anblick auf der anderen Seite des Saals nicht zu lachen – der Verwaltungschef von Bombay, die Verkörperung des angesehenen Kolonialbeamten mit makellos weißem Halstuch, trug eine violette Krone mit Punkten, die ihm kess und schief auf dem ergrauenden Haar saß. Gerade versuchte er, Maddys Mutter Alice zum Tanzen zu überreden. Alice, die im Gegensatz zu allen anderen im Saal immer noch so kühl wirkte wie die Gurke im Pimm’s, mit tadellos liegenden Locken und keiner Spur von Glanz auf ihrem Porzellanteint, hob abwehrend die behandschuhten Hände. Maddy fragte sich, ob vielleicht ein winzig kleiner Teil ihrer Mutter versucht war, das Gegenteil zu tun und zu sagen: »Oh ja, ja bitte. Ach verdammt, was soll’s?« Maddy wünschte sich, Alice würde es tun. Es wäre schön gewesen, hätte sie sich ausnahmsweise einmal gehenlassen und mit Richard ins Getümmel gestürzt, ebenso glücklich und gelöst wie alle anderen.

Aber Richard wandte sich bereits ab, das von der Sonne gegerbte Gesicht resigniert in Falten gelegt. Maddy verspürte einen Anflug von Mitleid mit ihm und dann noch einmal, als er sich mit gerecktem Kinn auf den Weg zur Theke machte. Warum konnte Alice nicht einfach mit ihm tanzen? Maddy zupfte am feuchten Ausschnitt ihres Kleides und versuchte gar nicht erst, sich diese Frage zu beantworten. Sie war seit zwei Monaten in Indien, wo sie nach über zehn Jahren in England wieder bei ihren Eltern lebte (sie war in der Heimat zur Schule gegangen wie fast alle Kinder der herrschenden britischen Klasse, auch, um den tropischen Fieberkrankheiten zu entkommen, für die sie als Kind so anfällig gewesen war. »Du warst hier ständig krank«, hatte ihr Vater häufig mit trauriger Miene gesagt. »Es war schrecklich …«). Trotzdem hatte sie häufig das Gefühl, ihre kühle, verschlossene Mutter kein bisschen besser zu verstehen als an jenem glühend heißen Oktobertag, an dem sie in Bombay an Land gegangen war und sie wiedergesehen hatte.

»Guck nicht so ernst«, schreckte Maddy eine Stimme von links auf, »nicht an Silvester.«

Sie drehte sich um und begegnete dem scherzhaft tadelnden Blick ihrer Freundin Della Wilson. Die beiden hatten die Anreise aus Tilbury gemeinsam unternommen, in derselben Reihe von Kabinen wie alle anderen alleinstehenden Frauen auf dem Weg zu ihren Familien in Indien – in Dellas Fall war das ihr Bruder Peter, bei dem sie wohnen würde. Die beiden hatten sich bei den unvermeidlichen frühen Abendessen an Bord angefreundet. Es einte sie das Unbehagen angesichts der Tatsache, dass die anderen Passagiere sie als Mitglieder der »Fischfangflotte« betrachteten, als Frauen, die sich in Indien auf die Suche nach einem Ehemann machten. Obwohl meine Mutter natürlich hofft, dass ich genau das tun werde, hatte Della gesagt, den Mund voller Schokoladen-Éclair. Nur darum lässt sie mich herkommen. Nicht dass ich was dagegen hätte, sagte sie, nachdem sie den Bissen hinuntergeschluckt hatte. Nur dass ich stattdessen viel lieber auf Tigerjagd gehen würde.

»Wo kommst du denn plötzlich her?«, fragte Maddy sie nun. »Ich habe dich den ganzen Abend noch nicht gesehen.«

»Ich bin gerade erst gekommen«, sagte Della. »Du kannst Peter die Schuld dafür in die Schuhe schieben, falls er beschließt, doch noch zu kommen.«

»Wo ist er?«

»Weiß der Himmel. Er hat sich vorhin mit einem Freund im Taj Mahal Hotel getroffen, wollte aber eigentlich wieder nach Hause kommen und mich abholen. Wahrscheinlich haben sie sich in die Taj Bar verzogen.« Sie fächelte sich Luft in ihr leicht gerötetes Gesicht. »Ich hatte schon befürchtet, ich würde Mitternacht verpassen, darum habe ich mir eine Rikscha gerufen. Sag Peter nichts davon. Er schimpft immer mit mir, wenn ich allein in einer fahre.«

Maddy, die Peter oft hatte klagen hören, wie viel einfacher das Leben gewesen war, ehe seine unbändige Schwester ihm ins Haus geschneit war, lachte und sagte: »Armer Peter.«

»Von wegen armer Peter«, sagte Della. »Himmel«, sie schob die Unterlippe vor und blies sich Luft ins Gesicht, »hier drin ist es so heiß wie in einem Backofen. Kommst du mit raus? Wir können rasch eine rauchen, eher er kommt und mich auch dafür tadelt.«

Maddy beschloss, dass sie eine Zigarette gut gebrauchen konnte – und zwar ohne dass ihre Mutter erneut eine Braue hochzog. Sie nickte.

»Und, mit wem hast du schon getanzt?«, fragte Della, als sie sich gemeinsam einen Weg durch die wogende Menschenmenge bahnten.

»Mit den üblichen Verdächtigen«, sagte Maddy und zählte einige Hauptmänner der Armee auf, einen ständig sonnenverbrannten Marineoffizier und eine Handvoll Beamter, die wie Peter für ihren Vater in den Amtsstuben von Bombay arbeiteten.

»Nicht mit Guy Bowen?«, fragte Della betont unschuldig und deutete mit einem Kopfnicken auf die Stelle, an der Guy mit einigen anderen Chirurgen des Militärkrankenhauses ins Gespräch vertieft war.

Maddy verdrehte die Augen. »Kannst du damit bitte aufhören?«, sagte sie. »Er ist ein Freund meiner Eltern.«

»Aber auch dein Freund. Er schaut ziemlich oft bei dir vorbei.«

Maddy stieß die Verandatür weit auf. »Er könnte mein Vater sein.«

»Nein, eigentlich nicht«, sagte Della. »Er kann nicht viel älter als vierzig sein, und du bist fast dreiundzwanzig.«

»Ich bin mir ziemlich sicher«, sagte Maddy, »dass er mich als kleines Mädchen auf den Knien geschaukelt hat.«

»Und, war es gut?«, sagte Della auf eine Art, die sie beide in Gelächter ausbrechen ließ.

Sie gingen weiter in die schwüle, warme Nacht hinaus. Als sie die Terrasse mit Meeresblick betraten, spielte die Band noch immer, und die Uhr in dem pulsierenden Ballsaal hinter ihnen schlug elf: Die allerletzte Stunde des Jahres 1913 hatte begonnen.

Draußen war es leiser, die schwüle Luft wirkte wie ein Schalldämpfer für die Musik und die Stimmen der Leute, die umherliefen oder es sich an den Tischen in der Dunkelheit bequem gemacht hatten. Fackeln knisterten und leuchteten Maddy und Della den Weg zur Ufermauer. Nicht dass sie darauf angewiesen waren. Schließlich verschwanden sie nicht zum ersten Mal, um gemeinsam eine Zigarette zu rauchen. Sie hatten die verborgene Stelle auf der Treppe zum Strand bei einer Feier kurz nach ihrer Ankunft entdeckt und benutzten sie seitdem, um den wachsamen Blicken ihrer Verwandten und dem Tratsch der Memsahibs zu entkommen – auf dieselbe Art waren sie während der Überfahrt auf dem P&O-Linienschiff immer auf das Deck mit den Rettungsbooten geschlüpft.

Während sie durch die Dunkelheit liefen, öffnete Maddy ihre Clutch und suchte nach den Zigaretten, mit denen der Diener ihrer Eltern sie regelmäßig versorgte. (»Ich mache es für kleines Entgelt, ja?«, hatte er hoffnungsvoll gefragt, als sie ihn das erste Mal darum gebeten hatte. »In Ordnung«, hatte sie zugestimmt und ihm ein paar Rupien gegeben. »Ja. Und für meine geistige Gesundheit.«) Sie wühlte noch zwischen ihrem Kamm, den Zündhölzern und dem Kompaktpuder herum, da griff Della nach ihrer Hand und schrie leise auf: »Schnell, Peter kommt!«

Reflexhaft drehte sich Maddy zu dem herrschaftlichen Taj Hotel um und ließ dabei die Zündhölzer fallen. Sie bückte sich, um sie aufzuheben, den Blick auf Peter gerichtet, der immer näher kam. Selbst auf der dunklen Promenade war er an seiner schlanken Gestalt und dem schlendernden Gang leicht zu erkennen. Er hatte sie nicht gesehen. Er sprach mit dem Mann, der ihn begleitete, vermutlich der Freund, den er im Taj abgeholt hatte, dachte Maddy. Sie musterte ihn, ließ die Silhouette des Fremden unter den Palmen auf sich wirken. Er war größer als Peter und auch kräftiger. Flüchtig fragte sie sich, wer er war, dachte aber nicht weiter darüber nach. Dazu blieb ihr keine Zeit, denn Della forderte sie mit energischem Winken auf weiterzugehen.

Maddy ließ die Streichhölzer liegen und folgte Dellas hastigen Schritten. Sie raffte ihre Seidenröcke, stieg über die Ufermauer und dann die feuchten Stufen hinunter und ließ sich neben der atemlosen Della auf der üblichen Stufe nieder.

Hier war es ruhiger, obwohl die Stelle direkt unterhalb der Terrasse lag. Kräuselwellen plätscherten an die Steinmauer, und Kinder aus dem Ort planschten und spielten trotz der vorgerückten Stunde im Arabischen Meer, kletterten in die nahegelegenen Fischerboote und sprangen wieder hinaus. Eine sanfte Brise wehte von der Innenstadt, die Luft war muffig vor Pollen, Staub, Abwassergeruch und der Hitze Hunderttausender Menschen. Maddy spürte, wie ihr der Wind über den verschwitzten nackten Rücken und die Oberarme strich, und sie senkte die Schultern und genoss die Ruhe nach der funkelnden Helligkeit über ihnen. Sie schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, beugte sich zu Della, die sie ihr anzündete, inhalierte und schloss die Augen, weil ihr plötzlich leicht schwindelig wurde.

»Ich frage mich, was die Leute drüben im grauen alten England machen«, sagte Della in einem Tonfall, der deutlich zum Ausdruck brachte, wie sehr ihr der Gedanke gefiel, dass es dort, wie auch immer es sein mochte, auf jeden Fall völlig anders war als hier.

»Fehlt England dir wirklich nicht?«, fragte Maddy. »Nicht mal ein kleines bisschen?«

»Nicht mal ein klitzekleines bisschen«, gab Della zurück. Sie musterte Maddy von der Seite, in ihren runden Augen lag Spott. »Das solltest du auch mal versuchen, du würdest dich gleich viel besser fühlen.«

»Du hast gut reden«, sagte Maddy und hatte damit recht. Della besaß eine Dauerkarte, sie konnte nach England fahren, sooft sie wollte; sie wusste, dass sie ihre Familie und Freunde auf jeden Fall wiedersehen würde.

»Du hast dich so sehr darauf gefreut herzukommen«, rief Della ihr ins Gedächtnis. »Mit dem Schiff.«

»Ja, ich weiß«, antwortete Maddy. »Du hast ja recht.« Aber während der Reise hatte sie noch geglaubt, dass ihr Ausflug nach Indien genau das war: nur eine Urlaubsreise. Sie war aufgeregt gewesen. Nach dem Collegeabschluss hatte sich all das wie ein großes Abenteuer angefühlt, eines, das sie genießen sollte, ehe sie die Stelle als Lehrerin annahm, die man ihr angeboten hatte. Und sie hatte sich verzweifelt gewünscht, ihren Vater wiederzusehen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte er sie alle zwei Jahre in Oxford besucht, wo sie bei ihrer Tante Edie gewohnt hatte – seiner jüngeren Schwester. Als Maddy klein war, hatte sie die Tage bis zu seinem nächsten Besuch in ihrem Tagebuch abgehakt und minutiöse Pläne für Picknicks, Theaterbesuche und ähnliche Dinge ausgearbeitet. Die Aussicht, längere Zeit mit ihm zu verbringen, war ihr sehr verlockend vorgekommen. Sie hatte sich sogar erlaubt, auf … irgendetwas mit ihrer Mutter zu hoffen: vielleicht eine Beziehung, die über geschraubte Briefe mit ausländischen Marken auf dem Umschlag hinausging. Doch irgendwann zwischen dem Zeitpunkt, an dem ihr P&O-Linienschiff Port Said verlassen hatte, und ihrer Ankunft im chaotischen Hafen von Bombay war die Beziehung zwischen Tante Edie und Onkel Fitz in Oxford in die Brüche gegangen, und Maddy hatte in England kein Zuhause mehr, in das sie zurückkehren konnte. Wegen Onkel Fitz hatte sie auch keine Arbeit und keine Mittel mehr, um sich eine eigene Existenz aufzubauen. Nur eine Mutter, die noch schweigsamer wurde, wenn Maddy auf das Thema zu sprechen kam, ob sie und Richard ihr vielleicht zu beidem verhelfen könnten.

»Es wird immer leichter werden«, sagte Della.

Maddy atmete den Rauch aus, sodass die Sterne hinter einer hellgrauen Wolke verschwanden. »Ja«, sagte sie, »natürlich wird es das.« An einem Abend wie diesem, weit entfernt von den schweigsamen Tagen mit Alice in der Villa, mit der Musik, die über ihren Köpfen spielte, und den Kindern, die unten lachten, fiel es ihr leicht, daran zu glauben. »Außerdem«, sagte sie, »weiß ich aus zuverlässiger Quelle, dass es mindestens ein Jahr dauert, bis man an einem neuen Ort wirklich angekommen ist.«

»Und von wem weißt du das?«

»Von meinem Vater.«

»Ausgezeichnet«, sagte Della. »Peter würde dem gewiss zustimmen.«

Maddy lächelte. Um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, fuhr sie fort: »Wie war dein Weihnachten?«

»Wunderbar«, sagte Della und berichtete, dass sie eine Reise gebucht und Peter überredet hatte, ihren Eltern nichts davon zu erzählen – eine geführte Tour auf den Wasserstraßen von Kerala, so viele Sonnenuntergänge, Besuche in den Dörfern am Ufer und frisch gefangener Fisch, der jeden Abend über Holzkohle gegrillt wurde. Es klang tatsächlich alles ganz wunderbar.

»Du Glückspilz«, sagte Maddy. »Ein paar Cocktails im Gymkhana Club waren bei uns an Weihnachten schon das größte Abenteuer. Obwohl«, fügte sie hinzu, »der Koch hat den Truthahn zum Lunch mit Curry zubereitet.«

»Wie heimatverbunden«, sagte Della.

»Ehrlich gesagt glaube ich«, fuhr Maddy fort und streifte die Asche ab, »dass es ihm eher darum ging, den Geschmack des Fleisches zu überdecken.« Keiner von ihnen hatte auch nur die geringste Ahnung, wie lange der unglückliche Vogel bereits gerupft und küchenfertig auf dem Markt auf sie gewartet hatte. Hinterher ging es allen schlecht. (»Wie zu erwarten war«, hatte Richard am nächsten Tag bei trockenen Keksen und Tonic gesagt. »Noch ein paar von diesen Currys, und ich habe mein Idealgewicht wieder.« – »Richard«, hatte Alice ihn getadelt, »ich muss doch sehr bitten!«)

»Hast du viel Zeit mit Guy verbracht?«, fragte Della.

Maddy stöhnte. »Nicht schon wieder!«

»Komm schon, sag’s mir, raus damit«, sagte Della.

»Della, er ist wie ein Onkel für mich.«

»Aber ein sehr aufmerksamer.«

Maddy antwortete nicht und hoffte, dass der Blick, mit dem sie Della bedachte, genügen würde, um ihr das Thema zu verleiden.

Was natürlich nicht der Fall war. »Irgendwie gefällt mir der Gedanke an einen älteren Mann, weißt du«, sagte Della. »Und Guy ist so ein guter Knieschaukler. Geradezu himmlisch, wenn du mich fragst.«

»Ich frage dich aber nicht.«

»Noch dazu ist er Chirurg. Denk nur, was er mit seinen Händen alles …«

Maddy trat nach ihr.

»Autsch!« Lachend griff Della sich ans Schienbein. »Na schön, ich höre schon auf.«

»Gott sei Dank.« Maddy schnippte ihre Zigarette ins Meer und blickte zum Club hinauf, in Richtung der Musik, die durch die Luft zu ihnen herüberwehte. »Bereit für den Rückweg?«, fragte sie.

»Ja, wir sollten allmählich aufbrechen«, sagte Della. »Sonst steht zu befürchten, dass Peter am Ende doch noch nach Hause fährt, um mich abzuholen.«

Peter war nicht nach Hause gefahren, um sie zu holen. (»Was für ein Schuft«, flüsterte Della.) Er war noch da, saß mit seiner üblichen Clique an einem der runden Tische und trank. Maddy kannte sie fast alle von den Abenden und Wochenenden, die sie gemeinsam in verschiedenen Clubs in der Stadt verbracht hatten; die gesellschaftliche Szene in Bombay war ebenso klein wie umtriebig. An diesem Silvesterabend hatte sie mit den meisten von ihnen getanzt. Unter den Männern war nur einer, den sie nicht kannte: Peters Freund. Er saß zurückgelehnt am Tisch, sein Gesicht war außerhalb des Lichtscheins der flackernden Laternen. Im Gegensatz zu den anderen Männern trug er keinen Abendanzug, nur Hemd und Hose und ein Leinenjackett. Das veranlasste Maddy dazu, genauer hinzusehen, und von Neuem fragte sie sich, wer dieser Mann war.

Als hätte er ihre Neugier gespürt, drehte er sich um. Sie errötete, fühlte sich ertappt und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Peter, der sich erhob, als sie und Della näher kamen.

»Della Wilson«, sagte Peter. »Ich will gar nicht wissen, dass du gerade dort unten warst und geraucht hast.«

»Ich …«, setzte Della an.

»Nein, behalte es für dich, ich bestehe darauf. Auf diese Art muss ich nicht wieder lügen, wenn unsere Mutter mir telegrafiert und mich fragt, wie du dich benimmst.« Er warf Maddy einen verzweifelten Blick zu. »In meinem ganzen Leben musste ich noch nie so viel lügen!«

Maddy lachte verlegen. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass der Mann in der Leinenjacke sie nach wie vor musterte und sich wahrscheinlich fragte, warum sie ihn derart angestarrt hatte.

»Ich wollte gerade sagen«, gab Della zurück, »wie unfassbar ich es finde, dass du mich einfach in der Villa zurückgelassen hast.«

»Nun, ich wusste, dass du allein zurechtkommen würdest.«

»Ich könnte immer noch dort sein, und dann wäre mir die Party entgangen.«

»Und doch«, sagte Peter, »hast du es irgendwie hierhergeschafft. Maddy, komm her.« Er streckte die Arme aus und küsste sie auf die immer noch gerötete Wange. »Dir scheint sehr warm zu sein«, stellte er fest.

»Oh nein, alles in Ordnung.«

»Du brauchst ein Glas Champagner«, sagte er und drehte sich auf der Suche nach einer Flasche zum Tisch. »Irgendwelche guten Vorsätze für das neue Jahr?«, wollte er wissen.

»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, sagte Maddy.

»Stimmt nicht!«, sagte Della. »Du wirst versuchen, dein Heimweh zu überwinden.«

»Aber das ist ohnehin vollkommen sinnlos«, sagte Peter und reichte jeder ein randvolles Glas.

»Warum?«, fragte Maddy pflichtschuldigst.

»Weil man seine Vorsätze immer bricht«, sagte er.

»Das ist aber sehr pessimistisch«, erwiderte sie und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie der Fremde den Kopf drehte. Er stand immer noch zu weit entfernt, als dass sie ihn deutlich hätte erkennen können; sie spürte sein Lächeln eher, als dass sie es sah.

»Nein, nur aufrichtig«, sagte Peter. »So ist es doch immer.«

»Nun«, sagte Maddy und spähte verstohlen zu seinem Freund hinüber (hatte er gelächelt?), »da es eigentlich nicht mein Vorsatz ist, halte ich ihn ja vielleicht doch.«

»Das«, sagte Della, »ergibt überhaupt keinen Sinn.«

»Allerdings«, stimmte Peter zu. »Aber heute ist Silvester.« Er hob seinen Drink. »Vergessen wir also einfach, was Maddy gesagt hat, und trinken aus. Oh, sieh mal«, sagte er, abgelenkt von zwei indischen Kellnern, die mit Tabletts voller Kebabs auf der Terrasse herumgingen, »Nahrung! Ich komme gleich wieder. Schön brav sein …«

Und schon verschwand er in der Menge.

Kaum war er fort, erklärte Della, dass sie selbst auch gern hineingehen und sehen würde, wie es im Saal war. Einige der am Tisch Versammelten protestierten (»Bleib hier, trink noch etwas Champagner. Lass uns hier nicht allein!«), aber Della blieb unbeeindruckt, und Maddy, die keinen Grund zum Bleiben sah, war ebenfalls bereit weiterzuziehen.

»Ja, brich uns nur das Herz, warum auch nicht?«, rief ihnen einer der Offiziere nach, als sie gingen.

Zuversichtlich, dass niemandes Herz in echter Gefahr war, verspürte Maddy nicht das geringste Schuldgefühl. Und als sie sich dabei ertappte, wie sie auf dem Weg über die schwüle dunkle Terrasse noch einmal zurücksah, galt ihr Blick nicht jenem Offizier. Sie musterte den Fremden mit dem Leinenjackett. Sie wusste nicht, warum sie das tat, und sie wünschte, sie hätte es unterlassen, denn wie schon zuvor drehte auch er sich um. Sein Gesicht war ein dunkler Fleck über der weißen Kleidung. Allzu schnell wandte sie den Blick ab und hatte erneut das Gefühl, sich töricht zu benehmen.

»Wer war das?«, fragte sie Della, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

»Wer war wer

»Der Mann dort«, sagte Maddy. »Der, den Peter aus dem Taj mitgebracht hat.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Della und blickte über die Schulter. »Warum fragst du?«

»Ach, nur so«, sagte Maddy rasch, ehe der Unbekannte Dellas suchenden Blick bemerken konnte, »es spielt keine Rolle.«

Natürlich nicht.

»Typisch Peter, dass er uns nicht einmal vorgestellt hat«, grollte Della.

»Ja, vermutlich«, sagte Maddy. Dann gingen sie zurück in den lärmenden Ballsaal, zu Licht, Musik und Lachen, und sie vergaß den Fremden.

Die Tanzfläche war noch voller und noch heißer als zuvor, wenn das überhaupt möglich war. Innerhalb von Sekunden war Della am Arm eines Sergeant Majors zwischen den Tanzenden verschwunden. Maddy, die ihren Vater und seine Tupfen an der Theke entdeckt hatte – und der wieder einfiel, wie niedergeschlagen er gewirkt hatte –, ging schnurstracks auf ihn zu, zog ihn auf dieselbe Weise auf das schweißnasse Parkett, wie er es zuvor mit ihrer Mutter versucht hatte, und versicherte ihm, dass er ihr auf keinen Fall auf die Nerven ging. »Vielleicht geht es ja ohne den Hut …?«

Richard war kein besonders versierter Tänzer und sicherlich nicht das, was man geschmeidig nennen würde, aber was ihm an Geschicklichkeit fehlte, machte er mit der Begeisterung wett, mit der er sie über das Parkett drehte. Als sie andere Paare anstießen und nur knapp einem Zusammenstoß mit dem Bananen-Mango-Weihnachtsbaum entgingen (»Nächstes Mal geben wir uns mehr Mühe«, sagte er), strahlte Maddy ihm in das lächelnde Gesicht und schaffte es beinahe, ihre Mutter nicht zu beachten, die am Rand des Parketts stand und sie beide mit undurchdringlicher Miene beobachtete. Obwohl Maddy bereits glühte, willigte sie, ohne zu zögern, ein, als Richard sie um einen weiteren Tanz bat.

Von da an verließ sie die Tanzfläche nicht mehr. Auf der Party waren doppelt so viele Männer wie Frauen (so war es in Indien immer), und nur selten endete ein Lied, ohne dass nicht bereits jemand auf sie zugekommen wäre und sie um die nächste Runde gebeten hätte. Sie tanzte mit Richards Sekretär (»Willst du das wirklich riskieren, Maddy?«), dann mit einigen weiteren Mitarbeitern und noch einmal mit dem sonnenverbrannten Marineoffizier. Dellas Karte war ebenso voll, und Maddy versuchte nicht länger, die Übersicht über ihre zahlreichen Tanzpartner zu behalten. Die Band spielte weiter, immer mehr Leute kamen von der Terrasse herein, füllten den glühend heißen Saal, bis für niemanden mehr Platz und kein bisschen feuchtheiße Luft zum Atmen mehr übrig zu sein schien. Maddys Haut war verschwitzt, ihr Haar, aus dem sich die Nadeln gelöst hatten, fiel ihr in feuchten Wellen in den Nacken, genauso chaotisch, wie inzwischen vermutlich auch Dellas braune Locken aussahen.

Erst kurz vor Mitternacht verließ sie endlich das Parkett, wobei sie sich vor Seitenstechen die Rippen hielt und überzeugt war, dass sie sterben würde, wenn sie sich vor dem nächsten Tanz nicht ein wenig abkühlte. Da Della immer noch fröhlich über die Bretter fegte, vergeudete Maddy keine Zeit, indem sie ihr Bescheid sagte, und ging einfach allein aus dem Saal.

Auf der Terrasse war es herrlich still, die zuvor noch vollbesetzten Tische waren verlassen. Ein paar Windlichter waren heruntergebrannt und erloschen, sodass es noch dunkler war als früher am Abend. Auf dem Weg zum Meer ließ Maddy die Musik hinter sich, lehnte sich an die Mauer und spürte den Druck der Steine durch den Stoff ihres Kleides hindurch. Sie lächelte, als sie sah, dass die Kinder noch immer unten am Strand spielten. Weiter draußen auf dem ruhigen Wasser dümpelten ebenfalls Boote, es mussten Hunderte sein; die Stimmen der Menschen an Bord schwebten über die Wellen hinweg, ebenso der Duft von auf Holzkohle gegrilltem Essen. Maddy atmete tief durch und nahm alles in sich auf. Sie überlegte, ob ihr noch Zeit für eine Zigarette blieb, beschloss, dass dem so war, und fluchte, als ihr einfiel, dass sie ihre Streichhölzer verloren hatte.

Sie kehrte zu der Stelle zurück, an der sie sie hatte liegen lassen, ging auf dem gepflasterten Boden in die Hocke und betastete mit beiden Händen die schwarzen Steine. Als sie nichts fand, kniete sie sich hin und beugte sich vor, um besser sehen zu können. Aber nein, sie waren tatsächlich nicht mehr da.

»Wie seltsam«, sagte sie, und als ihre Stimme die Nacht durchbrach, überraschend laut in der Stille, bemerkte sie, dass drinnen die Musik verstummt war.

Sie blickte sich zu den beleuchteten Türen des Clubs um, in denen sich die Umrisse der Menschenmenge abzeichneten. Alle schienen auf die Uhr zu blicken. Sie konnte den Druck der aneinandergepressten Körper fast fühlen, die verschwitzte Vorfreude der Gäste, und da sie den Gedanken, einfach draußen zu bleiben, verlockend fand, sagte sie sich umso entschiedener, dass es doch aber zu schade wäre, das neue Jahr allein zu begrüßen, und dass sie sich beeilen musste, wenn sie Mitternacht nicht verpassen wollte. Ein letztes Mal suchte sie ohne große Hoffnung den Boden ab, dann seufzte sie verärgert, stand auf und überquerte erneut die dunkle Terrasse.

Hinterher hätte Maddy nicht mehr zu sagen vermocht, warum sie unterwegs stehen geblieben und dann abgebogen war, zu dem Tisch, an dem Peter gesessen hatte. Oder warum sie die Hand ausgestreckt und die Lehne des Stuhls berührt hatte, in dem Peters Freund, der Fremde, gesessen hatte, an den sie nun erneut denken musste.

Doch kaum hatte sie die Finger um den Holzrahmen geschlossen, schreckte sie auf, erschüttert von mehreren Explosionen draußen auf dem Meer, am nahegelegenen Strand und hinter ihr in der Stadt. Sie blickte sich um. Überall erfüllte Feuerwerk die Luft mit Rauch und den Himmel mit knisternden Farbblitzen.

Oje, dachte sie, schon Mitternacht, lachte dann aber. Denn es machte sie nicht traurig, allein draußen zu sein, überhaupt nicht. Dafür war es viel zu schön.

Aus dem Club drangen Jubelrufe, und gleich darauf folgten die Eröffnungsakkorde von »Auld Lang Syne«. Doch Maddy lief nicht los, um dabei zu sein. Sie blieb, wo sie war. Das Feuerwerk ging weiter, und sie genoss es als ihre eigene private Vorstellung.

Hatte sie ihn bereits bemerkt? War das einer der Gründe, warum sie geblieben war?

Diese Frage stellte sie sich in den Wochen danach noch oft.

Sie wusste es nicht. Sie wusste nicht, wann ihr seine Silhouette aufgefallen war, keine hundert Meter von ihr entfernt auf der Promenade, das Gesicht ihr zugewandt, die Hände in den Taschen des Leinenjacketts, das in der Brise flatterte.

Und obwohl über ihr weiterhin die Feuerwerkskörper explodierten, spürte sie, wie ihre Aufmerksamkeit sich auf ihn verlagerte. Langsam löste sie den Blick vom Himmel, drehte das Kinn zu ihrer nackten Schulter.

Ihre Blicke trafen sich durch die Dunkelheit hindurch, und diesmal wusste sie, dass er lächelte.

Er hob eine Hand und winkte.

Ohne nachzudenken, tat sie dasselbe.

Es dauerte nur wenige Sekunden.

Aber danach war nichts mehr wie vorher.

KAPITEL 2

Maddy wartete, ob er den Abstand zwischen ihnen verringern und auf die Terrasse des Clubs zurückkehren würde, sodass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Hallo. Seinem Winken und der Art nach zu urteilen, wie er langsam die Hand gesenkt hatte, nahm sie an, dass er das vorhatte. Fast wäre sie auf ihn zugegangen. Sie machte sogar einen Schritt, spürte, wie ihre Muskeln sich anspannten in Erwartung von … etwas.

Doch dann zerriss Lärm die Stille hinter ihr, Gelächter und Stimmen erklangen. Sie erschrak, die Unterbrechung verwirrte sie. Sie hatte fast vergessen, dass es die Party überhaupt gab. Innerhalb von Sekunden war sie von lauter Menschen umgeben, die aus dem Tanzsaal strömten und in den brennenden Himmel blickten – nichts war mehr privat, nichts gehörte nur ihr.

»Maddy!«, rief ihr Vater, der in der Terrassentür stand. »Da bist du ja. Komm schnell her und wünsch deinem alten Vater ein frohes neues Jahr. Die letzten fünfzehn habe ich verpasst.«

Aber Maddy rührte sich nicht vom Fleck. Sie war dermaßen abgelenkt, dass sie nur ein Nicken andeutete und ihrem Vater flüchtig zulächelte, ehe sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Promenade richtete – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich der Fremde von ihr abwandte und in Richtung des Stadtzentrums davonging.

Er ging fort?

Er verschwand einfach?

»Maddy!«, rief Richard erneut. »Was machst du da?«

Sie blickte dem Fremden noch eine Sekunde nach, war fest davon überzeugt, dass er seine Meinung ändern und kehrtmachen würde.

Aber er ging weiter in die Dunkelheit hinein. Sie runzelte die Stirn.

»Maddy?«

Sie zwang sich, den Blick von der Promenade abzuwenden, und steuerte auf ihren Vater zu, zurück zu der dichtgedrängten, heißen Menschenmenge.

Dennoch konnte sie nicht widerstehen und blickte dem Fremden ein letztes Mal verstohlen hinterher. Er war bereits verschwunden. Sie stellte sich vor, wie auch er, gerade außerhalb ihres Sichtfelds angelangt, innehielt und erneut in ihre Richtung blickte. Vielleicht tat er das ja tatsächlich.

Warum ist er gegangen?

Sie konnte nicht mehr klar denken. Begriff nicht, warum ihr das so viel ausmachte. Sie wusste nur, dass es so war, und versuchte gar nicht erst, es zu verstehen.

Es war, wie es war.

In der folgenden Stunde fand Maddy mühsam zum gewohnten Gang der Dinge zurück. Sie war sich der Gegenwart des Fremden kaum bewusst gewesen, doch nun, nachdem er fort war, spürte sie seine Abwesenheit umso deutlicher. Auch Peter konnte sie nicht mehr finden. Sobald sie ihrem Vater ein frohes neues Jahr gewünscht hatte, machte sie sich auf die Suche nach ihm, begierig, alles zu hören, was er ihr über seinen Freund erzählen konnte (wer er war zum Beispiel), aber sie stellte nur fest, dass auch Peter gegangen und auf dem Weg zu einer anderen Party war.

»Er ist nun mal ein geselliger Mensch«, sagte eine puterrote Della, die immer noch auf der Tanzfläche war.

»Kommt er noch mal wieder?«, fragte Maddy und hörte selbst, wie ausdruckslos ihre Stimme klang.

»Ich glaube nicht«, sagte Della und presste sich den Handballen an die nassgeschwitzte Stirn. »Er sagt, er hat deinen Vater gebeten, mich nach Hause zu bringen. Also, suchen wir dir jemanden, mit dem du noch mal tanzen kannst, in Ordnung?«

Maddy wusste nicht, ob sie dazu noch in der Lage war. Auf einmal schmerzten ihr in den engen Slippern die Füße, die Hitze war erdrückend.

Als ihre Mutter kurz darauf verkündete, dass sie nach Hause fahren würde, Maddy und Della aber später von Richard gebracht werden würden, hörte Maddy sich sagen, dass sie schon jetzt mitkommen wollte, falls Alice nichts dagegen hatte.

»Tatsächlich?«, fragte Alice sichtlich überrascht.

Maddy konnte es ihrer Mutter nicht verdenken. Schließlich war sie selbst überrascht, denn normalerweise vermied sie es, mit ihrer Mutter allein zu sein. Dieses schreckliche Schweigen …

Dennoch sagte sie: »Ja, ich glaube, ich bin bereit zu gehen.«

Und so war es. Obwohl das übliche Schweigen beinahe die ganze Heimfahrt über anhielt (angespannt und äußerst ungesellig), machte ihr die missliche Situation ausnahmsweise nichts aus. Oder jedenfalls nicht viel. Der Chauffeur fuhr durch die dunklen, von Bäumen gesäumten Straßen im Zentrum von Bombay, vorbei am Telegrafenamt aus Sandstein, den prächtigen Gebäuden der britischen Stadtverwaltung, den verborgenen Gassen, in denen zehnköpfige Familien in einem einzigen Zimmer wohnten, eingepfercht in dieser Stadt, die niemals schlief und in der es mehr Menschen als Platz gab. Während dieser Fahrt starrte Maddy hinaus in den modrigen Windhauch und sah ihn vor ihrem geistigen Auge unaufhörlich winken.

So sehr war sie in ihre Träumerei vertieft, dass sie viel zu lange brauchte, um zu bemerken, dass Alice sie aus der Dunkelheit heraus erwartungsvoll musterte.

»Entschuldige«, sagte Maddy. »Hast du etwas gesagt?«

»Ich habe dich gefragt, ob Guy dich gefunden hat«, sagte Alice.

»Guy?«, fragte Maddy törichterweise.

»Er hat nach dir gesucht.«

»Ich habe den ganzen Abend nicht mit ihm gesprochen.«

»Ich glaube, er wollte mir dir tanzen«, sagte Alice.

»Das hat er mir nicht gesagt.«

»Nein?«

»Nein.«

»Schade«, sagte Alice.

»Ja«, sagte Maddy.

Wie höflich sie doch beide waren.

Darauf folgte Schweigen.

Maddy, die glaubte, dass das Gespräch zu Ende war, wandte sich ab und nahm ihre Nachtwache über die dunklen Straßen wieder auf.

Doch dann fragte Alice: »Hast du das Feuerwerk genossen?«

»Ja«, sagte Maddy, plötzlich auf der Hut. Hatte Alice sie draußen auf der Terrasse gesehen? Hatte sie ihn gesehen?

Wenn es so war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Früher hast du Feuerwerke geliebt«, bemerkte Alice nur, »als du noch klein warst.«

»Ach ja?«

»Erinnerst du dich nicht mehr?«

»Ich weiß nicht«, sagte Maddy. Sie war noch so klein gewesen, als sie fortgegangen war, nicht einmal acht Jahre alt, so vieles war in ihrer Erinnerung verblasst. »Ich erinnere mich an die Bonfire Night, in Christ Church Meadow …«

»Davon will ich nichts wissen«, schnitt Alice ihr das Wort ab.

Es war ihr barscher Ton, der Blick ihrer blauen Augen. Zu spät erkannte Maddy, dass es – natürlich – ein Fehler gewesen war, Oxford zu erwähnen. Sie spürte, dass sie sich besser entschuldigen sollte.

Doch ehe sie dazu kam, beugte sich Alice vor, tippte dem Fahrer auf die Schulter und befahl ihm, schneller zu fahren.

Wiederum folgte Schweigen. Diesmal konnte Maddy es nicht ignorieren, ebenso wenig wie die Anspannung in Alice’ schmalen Schultern unter dem Umschlagtuch. Sie suchte nach Worten, um das Unbehagen zu mildern, aber als sie zögerlich wieder auf das Feuerwerk zu sprechen kam, indem sie fragte: »Haben wir hier in Bombay früher welche gesehen?«, antwortete Alice mit gerunzelter Stirn: »Das spielt doch nun wirklich keine Rolle, Madeline.«

Maddy war erleichtert, als sie endlich die Stadt hinter sich ließen und nahe der Küste den sanften Anstieg zu den stilleren, belaubten Straßen von Malabar Hill, wo so viele Briten lebten, hinauffuhren. Die Villa ihrer Eltern war ein cremefarbenes dreistöckiges Herrenhaus, das ebenso schön wie einsam gelegen war. Es verfügte über große Veranden, einen Balkon vor jedem Fenster und von Palmen gesäumte Rasenflächen. Die Villa war eine der größten und lag knapp unterhalb der Spitze des Hügels. Sie lehnte den Kopf an das Fenster, nahm verschwommen die ruhige See unter ihnen war, die nur durch den Widerschein von Mond und Sternen auf dem Wasser überhaupt zu sehen war, und wartete darauf, dass sie endlich ankommen würden. Es dauerte nicht lange. Da es sonst keinen Verkehr gab, rasten sie wie eine seltsame Nachtrikscha an den von Laternen beleuchteten Villen entlang, die von urwaldartigem Laubwerk umgeben waren, dann verlangsamte sich die Fahrt, und sie fuhren durch das eiserne Tor der Villa und die gewundene Zufahrt hinauf. Alice seufzte, als sie zum Stehen kamen, auch sie war offensichtlich glücklich, zu Hause zu sein. Maddy hätte hinterher nicht zu sagen gewusst, wer von ihnen zuerst aus dem motorisierten Wagen gestiegen war. Sie wünschten sich nur kurz eine gute Nacht, dann nahm sich jede eine Kerze von der Veranda und begab sich in ihr Zimmer.

Maddy schloss die Tür, lehnte sich von innen daran und atmete durch. Endlich. Sie ging zu ihrem Bett, stellte die Kerze ab, zog die Falten des Moskitonetzes zur Seite und ließ sich auf die weiche Matratze fallen. Draußen sangen die Zikaden, die Bäume rauschten. Sie legte eine Hand auf ihren Brustkorb, spürte, wie sich ihr Korsett hob und senkte und schloss die Augen. Sofort sah sie ihn wieder vor sich, dort auf der Promenade, als hätte er dicht unter der Oberfläche ihres Bewusstseins bereits auf sie gewartet.

Aber warum war er einfach fortgegangen, so schnell und ohne ein Wort?

Da er es getan hatte, war es vermutlich lächerlich, dass sie auf diese Art an ihn dachte.

Und doch … dieses Winken.

Dachte er in diesem Augenblick auch an sie?

Als Maddy am nächsten Morgen erwachte und die rosafarbenen Strahlen der aufgehenden Sonne durch die Ritzen der Fensterläden drangen, schwirrte ihr noch immer der Kopf.

Sie drehte sich um, hörte die Schreie der Pfauen im Garten und das gleichmäßig wischende Geräusch eines Besens unten auf der Veranda. Es war früh, zu früh, um wach zu sein, sie erkannte es am gedämpften Licht und der Schwere ihres warmen Körpers.

Sie starrte durch den rosa getönten Schleier des Moskitonetzes und überlegte, ob sie versuchen sollte, wieder einzuschlafen, stieg dann aber aus dem Bett, weil sie wusste, dass ihr das nicht gelingen würde, zog sich an und schlich leise nach unten.

Der Frühstückstisch im Schatten des Verandadachs war bereits gedeckt: frisch aufgeschnittene Früchte unter einem Fliegennetz, in Scheiben geschnittenes Bananenbrot, weiche Brötchen vom örtlichen Bäcker und Schüsseln mit Sahnequark, Honig und Pistazien. Jenseits der Veranda, auf dem Rasen, stolzierten die Pfauen auf ihrem Territorium umher, einstweilen sicher vor den Kindern des Gärtners, die sie später jagen und versuchen würden, ihnen Federn aus dem Schwanz zu ziehen.

Maddy setzte sich in einen Korbsessel, goss sich Kaffee ein, und als sie spürte, wie hungrig sie war (die Curry-Puffs am Vorabend hatte sie gemieden: der Weihnachtstruthahn …), bediente sie sich an dem Bananenbrot, nahm sich ein Brötchen und dazu etwas Honig.

Guide to Bombay

Der erste Brief, den er ihr je geschickt hatte.

Ich habe zufällig Ihren Nicht-Vorsatz für 1914 mitgehört und finde ihn sehr gut. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass Sie Heimweh haben. Hoffentlich hilft dieser Reiseführer Ihnen, Ihre Zeit in Bombay etwas mehr zu genießen, so wie er mir geholfen hat, als ich noch hier lebte.

Es ist eine Leihgabe, Miss Bright. Ich komme wieder und hole ihn mir zurück.

Und ich habe gesehen, wie Sie Ihre Zündhölzer verlegt haben. Ich denke, Sie können sie noch gebrauchen, vielleicht helfen sie auch gegen das Heimweh.

Luke Devereaux

Erneut lachte sie, las die Worte ein weiteres Mal und blickte von dem Brief zu dem Buch und den Streichhölzern, dann wieder auf das Blatt Papier.

Luke, dachte sie und fuhr mit dem Daumen über seine Handschrift. Luke Devereaux.

Das gefällt mir.

Ihr gefiel auch, dass er ihren Namen kannte. Dass er ihren Namen herausgefunden hatte und ihre Adresse. Ihre Haut begann vor Hitze zu prickeln, als ihr klar wurde, dass er jemanden danach gefragt haben musste – wahrscheinlich Peter –, noch bevor er ihr auf der Promenade zugewinkt hatte. Dass er gesehen hatte, wie sie die Streichhölzer fallen ließ, und sich die Mühe gemacht hatte, sie aufzuheben.

Er hatte sie von Anfang an bemerkt.

Mit zitternder Hand drehte sie den Brief um, denn sie wollte wissen, ob es eine Adresse gab, einen Hinweis darauf, wohin er gegangen war.

Nichts.

Ich komme wieder, hatte er geschrieben.

»Wann?«, fragte sie. »Wann kommen Sie wieder?«

Ahmed bedachte sie mit einem argwöhnischen Blick, als hätte sie den Verstand verloren.

Es war ihr gleichgültig. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, dass sein Name Luke Devereaux war. Dass er sie überrascht und das hier getan hatte.

Dass er nicht einfach verschwunden war.

Sondern ebenfalls an sie gedacht hatte.