Was passiert, wenn die Pest in die Gegenwart zurückkehrt, noch tödlicher als je zuvor?
Dr. Alana Vaughn, Expertin für Infektionskrankheiten bei der NATO, wird nach Genua gerufen, um eine schwerkranke Frau zu untersuchen. Entsetzt stellt Alana fest, dass die Patientin Symptome einer neuen und besonders aggressiven Form der Lungenpest aufweist, deren Erreger Antibiotika resistent ist. Alana kommt ein fürchterlicher Verdacht: Könnte hier Bioterrorismus im Spiel sein? Zusammen mit Byron Menke von der WHO macht sie sich auf die verzweifelte Suche nach Patient Null, dem ersten Infizierten, um die Epidemie einzudämmen. Während die tödliche Seuche Rom und Neapel erreicht, stoßen Alana und Byron auf ein 800 Jahre altes Kloster und ein Tagebuch aus dem Mittelalter, das vielleicht die Erklärung für den gegenwärtigen Pest-Ausbruch enthält. Können sie die Wahrheit enthüllen, bevor tausende Menschen sterben?
Thriller
Aus dem Englischen
von
Sabine Schilasky
Ullstein
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Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Mai 2020
© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020.
© Daniel Kalla, 2019.
Titel der kanadischen Originalausgabe: We all fall down (Simon & Schuster, Toronto)
Published in agreement with the author.
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®, München
Autorenfoto: © Michael Bednar
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ISBN 978-3-8437-2354-1
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Für meine Töchter
Chelsea und Ashley
Da ist er wieder. Und beobachtet. Immer beobachtet er. Hat der alte Blödmann nichts anderes zu tun?, fragt sich Vittoria Fornero, als sie den Plan zusammenrollt und unter ihren Arm klemmt.
Der kleine Mönch taucht täglich auf, seit das erste Team herkam, um das alte Kloster abzureißen. Wie immer trägt er die traditionelle schwarze Kutte der Benediktiner, die Kapuze zurückgezogen, sodass der zauselige weiße Haarkranz an dem ansonsten kahlen Kopf zu sehen ist. Jeden Morgen gegen neun erscheint er mit einem rostigen Klappstuhl unter dem einen Arm und einer abgewetzten schwarzen Aktentasche unter dem anderen. Manchmal trinkt er aus einer Thermoskanne oder liest in einem zerblätterten Gebetbuch. Doch normalerweise, wie jetzt, sitzt er einfach nur am Rand der Baugrube und beobachtet das Geschehen wie eine Taube auf einer Dachrinne.
Die meiste Zeit fügt sich der Mönch wie selbstverständlich ins Bild ein, ähnlich den riesigen gelben Baggern, den Holzstapeln und den Schutt- und Geröllhaufen. Heute Morgen jedoch fehlen Vittoria die Nerven für den ungeladenen Zuschauer.
»Se nè andata!«, ruft sie ihm zu, während sie ihre Windjacke fester zuzieht, weil sie ein scheußliches Frösteln überkommt. »Ihre Reliquie ist weg, alter Mann, tot. Und die Beerdigung ist vorbei!«
Tatsächlich kann Vittoria das alte Kloster noch vor sich sehen: ein schlichter romanischer Bau, der an der Südseite bereits bröckelte; vor Jahren schon war ein Teil des Klostergangs eingestürzt. Doch bei aller Baufälligkeit hatte Vittoria den besonderen Charme der Abtei gemocht. Und obwohl sie überzeugte Atheistin ist, bewirken die Kindheitserinnerungen an Furcht einflößende Nonnen doch, dass ihr beim Gedanken an den Abriss des uralten Gotteshauses mulmig wurde.
Der alte Mönch beantwortet ihre absichtlich aggressive Äußerung mit einem freundlichen Winken, sodass sie sich fragt, ob es an seinem Gehör ebenso hapern könnte wie offenbar an seinem Verstand. Dennoch gibt sie nicht nach; nicht heute Morgen, nachdem er bereits ihre Arbeit beeinträchtigt und ihre stechenden Kopfschmerzen verschlimmert hat.
Eine Viertelstunde hatte sie in dem engen, überheizten Containerbüro damit vergeudet, einen der Arbeiter, einen pickligen Lehrling namens Emilio, zu beruhigen.
»Jetzt hör mal zu, Emilio!«, hatte Vittoria ihn mitten im Satz unterbrochen, weil sie seine Panik keine Sekunde länger aushielt. »Dieser schmarotzende Mönch ist sauer, weil er sein Dach überm Kopf verloren hat, sonst nichts!«
»Aber, Vittoria«, murmelte Emilio. »Bruder Silvio … er sagt, es geht nicht nur um das Kloster.«
»Und um was dann?«
»Bruder Silvio sagt, das Kloster … es steht auf geheiligter Erde.«
»Für einen Mönch vielleicht. Für uns ist es bloß eine Baustelle. Genau wie jede andere.« Allerdings musste sie zugeben, dass die Krypta unter dem Kloster eine Überraschung gewesen war. Keiner hatte erwartet, solch einen komplexen Keller mit kreuz und quer verlaufenden Gängen freizulegen. Und all die winzigen Knochen. Als Vittoria sie sah, dachte sie zuerst unwillkürlich an ihre zwei Kinder. Doch sie war nicht in der Stimmung, über mittelalterliche Architektur zu diskutieren.
»Was ist mit Yas?«, fragte Emilio.
»Was soll mit ihm sein?« Vittoria klang trotziger als beabsichtigt.
»Vorgestern ging es ihm nicht so gut«, antwortete Emilio. »Und gestern ist er nicht gekommen. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.«
»Na und? Wahrscheinlich ist er verkatert.«
»Yas trinkt nicht. Und er antwortet nicht auf Textnachrichten oder Anrufe. Bruder Silvio sagt …«
»Es reicht, Emilio! Um Gottes willen!« Vittoria hielt die Hände in die Höhe. »Kein Wort mehr! Sonst kannst du dir am Hafen Arbeit als Decksschrubber auf den Fischkuttern suchen. So wie Yas bald auch.«
Vittoria drückt die Daumen gegen ihre Schläfen, um das Pochen zu lindern und die Erinnerung an das Gespräch mit dem panischen Jungen zu vertreiben. Sie wünschte, Emilio hätte Yas nicht erwähnt.
Ihre Beine zittern, und wieder überkommt sie ein Frösteln. Die überdrehte Wetterfrau im Fernsehen hatte für Genua an diesem Morgen Rekordtemperaturen angekündigt. Die Aprilsonne steht bereits hoch über den Hügeln oberhalb der Stadt, wo die Baustelle ist, doch Vittoria scheint die Wärme nichts zu bringen.
Maria hatte sie gewarnt, dass sie zu krank sei, um zu arbeiten. Natürlich war das typisch für Maria, die schon beim leisesten Schniefen ihre Zwillinge zu Hause behielt. Vittoria muss unweigerlich schmunzeln. Für sie beide war es in einer traditionsverhafteten Stadt wie Genua nicht immer leicht gewesen, trotzdem ist und bleibt Maria das Beste, was Vittoria jemals passiert ist. Und wie immer hatte sie recht. Vittoria kann sich nicht erinnern, sich schon mal mieser gefühlt zu haben. Das Atmen fällt ihr seltsam schwer. Jeder Schritt ist anstrengend. Ihr Kopf steht in Flammen. Doch die größte Sorge macht ihr ihre Achsel. Die bläuliche Beule dort ist angeschwollen und mittlerweile so groß wie ein Ei und pocht wie ein entzündeter Zahn. Schon der kleinste Kontakt mit ihrem Overall schmerzt höllisch.
Aber Vittoria hat in zwanzig Jahren keinen einzigen Tag wegen Krankheit gefehlt. Und ganz sicher wird sie es jetzt nicht, denn sie sind bereits im Verzug, und der Chef bangt um die Finanzierung. Ihre erste Amtshandlung heute wird sein, diesen aufdringlichen Mönch dauerhaft loszuwerden, ehe er die anderen Arbeiter vergrault und sie noch mehr Rückstand ansammeln. Schon vor Wochen hätte sie die Sicherheitsleute das mit ihm regeln lassen sollen, doch jetzt muss sie es eben selbst erledigen. Sie strafft ihre Schultern und marschiert auf Bruder Silvio zu.
Als sie nahe genug ist, um seinen Kaffee zu riechen, muss Vittoria stehen bleiben, um zu verschnaufen. Eine unsichtbare Flamme erhitzt ihr Inneres von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln, und ihre Knie zittern so sehr, dass sie beinahe erwartet, ein Klappern zu hören.
Der alte Mönch schraubt seine Thermoskanne zu und lehnt sich auf seinem Stuhl nach vorn. Seine Augen blitzen. »Was ist mit Ihnen, meine Liebe?«, fragt er. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja! Sie können verdammt noch mal von meiner …« Ein plötzlicher Hustenanfall lässt sie verstummen.
Vittoria fühlt Schleim ihre Luftröhre emporsteigen und hebt eine Hand an ihren Mund. Einen Moment lang kann sie nicht atmen. Als es endlich vorbei ist, spürt sie etwas klebriges Warmes in ihrer Hand und wird panisch, noch ehe sie die Handfläche öffnet und den Klumpen geronnenen Bluts sieht.
Die arme Frau sieht wie eine aufgewärmte Leiche aus, denkt Sonia Poletti, als sie den Unterarm der Patientin nach einer Vene absucht. Die Haut fühlt sich unnatürlich kalt an, und die Patientin atmet trotz der großen Sauerstoffmaske über Mund und Nase sehr schwer. Ihre Erfahrung sagt Sonia, dass die Frau bald an einem Beatmungsgerät auf der Intensivstation hängen wird, doch es steht ihr nicht zu, irgendwas dazu zu sagen.
Sie legt bunte Teströhrchen neben dem Ellbogen der Patientin auf die Liege. Wenn sie gefüllt sind, werden sie in unterschiedliche Prüfapparate gesteckt, von einem hochmodernen Proteinspektrometer bis hin zu einem Objektträger im Mikroskop des Pathologen.
Die Frau hebt den Kopf vom Kissen, kann ihn jedoch nur wenige Sekunden halten, bevor er wieder nach unten sackt. »Sind Sie Ärztin?«, fragt sie heiser und kurzatmig.
»Ich bin aus dem Labor und hier, um mehr Blutproben zu nehmen.«
»Noch mehr? Lassen Sie mir noch was übrig?«
»Ja.« Sonia lächelt hinter ihrer Gesichtsmaske. »Mehr als genug.«
Die Patientin hustet so heftig, dass die Teströhrchen auf der Matratze klimpern. »Wissen Sie immer noch nicht, was ich habe?«
Die Schwestern draußen hatten eine mögliche Tuberkulose erwähnt, doch Sonia hatte nicht weiter mit ihnen gesprochen. Heute will sie unbedingt pünktlich Feierabend machen. Sie berührt den Arm der Frau. »Wir haben hier die besten Ärzte. Wenn sie es jetzt noch nicht wissen, werden sie es bald.« Sie stockt. »Sind Sie Vittoria Fornero?«
Die Patientin nickt.
Sonia kniet sich neben das Bett. Aus Gewohnheit dreht sie das Krankenhausarmband am Handgelenk um und überprüft den Namen. Dann befestigt sie das Tourniquet oberhalb des Ellbogens und zieht es so stramm, dass die Vene darunter hervortritt. Mühelos führt sie die Nadel der Butterfly-Kanüle durch die Haut in die Ader. Blut läuft in den dünnen Schlauch. Sonia steckt das andere Ende auf das erste Teströhrchen.
»Haben Sie Kinder?«, fragt Vittoria.
»Eins.« Sonia unterdrückt ein Lächeln. »Florianna – Flori –, sie ist fünf.«
»Ich habe zwei. Zwillinge. Acht Jahre. Junge und Mädchen.«
»Wie schön, von jedem Geschlecht eines.« Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Sonia noch ein Kind bekommt, ob Junge oder Mädchen. Floris Vater hatte sie noch vor dem Ende des ersten Trimesters verlassen. Zwar ist Sonia erst einunddreißig und könnte, wie ihre Mutter immer wieder sagt, noch mehrere Kinder bekommen, aber das wird sie nicht. Flori ist für sie Freude genug.
Vittoria hustet wieder würgend. »Ich würde meine gerne wieder im Arm halten.«
»Bald«, murmelt Sonia, die in Gedanken schon bei Floris Tanzaufführung heute Abend ist. Sie muss dringend rechtzeitig zu Hause sein, um den Schwanz am Tutu ihrer Tochter fertig anzunähen.
Vittoria wird von einer neuen Hustenattacke durchgeschüttelt. Es klingt furchtbar, wie ein alter Lkw-Motor mit Startschwierigkeiten. Sonia bemerkt, dass Vittoria sich die Augen wischt. Blutiges Sputum ist unter der Sauerstoffmaske hervor- und auf ihre Stirn gespritzt.
Sonia nimmt ein Papiertuch aus der Schachtel in ihrem Korb, beugt sich vor und wischt den Schleim weg. Vittoria lächelt matt. Als sich ihre Blicke begegnen, sieht Sonia Angst in den Augen der anderen Frau.
Plötzlich verkrampft Vittoria sich hustend. Sonia fühlt etwas Feuchtes, das ihre Haut oberhalb der Maske trifft, und reißt den Kopf zurück.
Verdammt! Sie stolpert einen Schritt rückwärts, greift nach einem alkoholgetränkten Tuch – mit dem eigentlich die Instrumente gereinigt werden – und schrubbt damit grob ihre Haut.
Vittoria kann nicht aufhören zu husten. Die Liege wackelt mit jedem Keuchen.
Sonia beruhigt sich damit, dass ihr Tuberkulin-Hauttest schon seit Langem positiv ist, was bedeutet, dass sie der Tuberkulose bereits ausgesetzt war und sie nicht wieder bekommen kann. Trotzdem müsste sie den Vorfall ihrem Vorgesetzten und der Stelle für Mitarbeitergesundheit und -sicherheit melden. Doch dafür hat sie keine Zeit. Sie hat ihrer Mutter versprochen, ihr ein Video von Floris Tanz zu schicken, und sie muss den Kameraakku noch laden. Also wischt sie ihre Wange stattdessen mit noch einem Tuch ab, nimmt die Teströhrchen auf und eilt aus dem Zimmer.
Acht Jahre. Alana Vaughn hat ihn seit über acht Jahren nicht gesehen. Und wie wenig er sich verändert hat. Ja, seine Wangen sind ein wenig voller und auch geröteter. Doch sein Lächeln – »ganz blaue Augen zum Dahinschmelzen und endlose Grübchen«, wie eine englische Krankenschwester einst schwärmte – ist dasselbe.
»Ah, Alana. Ciao bella … Noch schöner als in meiner Erinnerung!«, sagt Dr. Nico Oliva.
Seine vertraute tiefe Stimme und das stets amüsierte Timbre lösen längst vergessene Schmetterlinge in ihrem Bauch aus. »Und du, Nico, bist sogar noch italienischer, als ich es in Erinnerung habe.«
Nico bedeutet ihr mit einem Schulterzucken, dass er dagegen machtlos ist, und Alana weiß wieder, warum sie sich damals in ihn verliebt hatte.
Sein Büro ist typisch minimalistisch eingerichtet. An den Wänden sind nur einige gerahmte Urkunden von medizinischen Abschlüssen und drei Schwarz-Weiß-Bilder von afrikanischen Landschaften, von denen Alana eine aus ihrer gemeinsamen Zeit in Angola wiedererkennt. Nico tritt hinter seinem Schreibtisch vor und küsst sie auf die Wangen, wobei er eine Spur von Zitrusduft zurücklässt. »Du hättest nicht persönlich kommen müssen.«
»Doch, musste ich.« Seine Textnachricht war so unerwartet und willkommen gewesen.
»War es schwer, mein Büro zu finden?«
»Eigentlich nicht.« War es tatsächlich doch.
Alana war schon in einigen der berühmtesten Krankenhäuser gewesen, vom Johns Hopkins bis zur Mayo Clinic, doch das Ospedale San Martino zählt zu den weitläufigsten, als wäre es über Jahrzehnte immer wieder ausgebaut worden. Und die Schilder waren keine Hilfe. Alana spricht passabel Deutsch, weil sie als Teenager in Heidelberg gelebt hatte, als ihre Eltern dort für ein Jahr stationiert gewesen waren; ihr Italienisch hingegen ist praktisch nicht vorhanden. Entsprechend war es nicht leicht, durch die verwinkelten Korridore und versteckten Treppenaufgänge dieses Labyrinths zu Nicos Büro in der Abteilung für Infektionskrankheiten zu finden.
Nico mustert sie unverhohlen. »Wir müssen unbedingt mal wieder richtig reden. Gehen wir bald zusammen essen? Ich bestehe darauf.« Er lächelt wieder. »Aber bestimmt willst du die Patientin sehen, oder?«
»Ja, sehr gern.«
»Komm, ich bringe dich zu ihr.« Er greift nach ihrem Arm und hakt sich bei ihr ein. Der Kontakt ist vertraut und angenehm. Eventuell zu angenehm.
Der Korridor ist von Neonröhren beleuchtet und riecht nach Desinfektionsmittel. Es wimmelt von Personal und Patienten, die in Gespräche vertieft sind und dabei ihre Hände ebenso viel bewegen wie ihre Lippen. Niemand scheint die beiden Leute zu beachten, von denen einer einen Laborkittel trägt, die Arm in Arm vorübergehen. Alana schmunzelt. Das gibt es nur in Italien.
»Wo wohnst du?«, fragt Nico.
»Im Grand Hotel Savoia.«
»Ah, am Bahnhof.« Nico blickt zur Seite. »Ich hätte dich ja gerne zu uns eingeladen, aber Isabella … und die Kinder … du hättest keine Sekunde Ruhe.«
Natürlich gibt es eine Isabella. Alana hatte nichts anderes erwartet, dennoch zieht sie ihren Arm aus seinem. »Kinder, Nico? Plural? Ich hatte keine Ahnung.«
»Ja. Enzo ist inzwischen drei, Simona ist erst vier Monate. Kannst du dir das vorstellen? Ich?« Er lacht und schaut für einen Moment zur Seite. »Ein langweiliger Familienvater.«
»Nein, eigentlich nicht.«
Nico sieht wieder zu ihr. »Und du? Hast du …?«
»Ich bin nie lange genug an einem Ort, um mir einen Hamster anzuschaffen, geschweige denn eine Familie.«
Sie weiß, dass er ihre Unbeschwertheit durchschaut. »Mir fehlt die Action, Alana. Was wir früher gemacht haben. Was du immer noch tust.«
Sie denkt an ihre vorherigen Einsätze in der Seuchenbekämpfung wie beim Gelbfieber in Guyana, bei der multiresistenten Tuberkulose in Zentralasien und natürlich Ebola in Westafrika. An die Gesichter der Toten und Sterbenden, vor allem der Kinder, die immer die Anfälligsten sind. »Manche Dinge möchte man lieber nicht sehen, Nico.«
Er antwortet nicht, aber sie merkt, dass er anderer Meinung ist. Als sie um eine Ecke gehen, sagt er: »Übrigens hatte ich es zuerst unter deiner WHO-Adresse versucht, und die E-Mail kam zurück. Natürlich habe ich immer noch deine Handynummer, aber …«
Alana erinnert sich an seine Textnachricht und wie aufgeregt sie war, von ihm zu hören. Ihre schmerzliche Trennung hatte sie vergessen. Sie hätte auch ungeachtet der Umstände einen Vorwand erfinden können, ihn zu besuchen, doch die beiden Worte in seiner Nachricht – die Pest – bewirkten, dass sie sofort für Genua packte. »Ich bin nicht mehr bei der WHO.«
»Aha? Ich dachte, du wärst das, was wir damals ›Lebenslängliche‹ nannten.«
Dachte ich auch mal. Sie überlegt, ihm von ihrem katastrophalen letzten Einsatz während der Ebolakrise in Liberia zu erzählen. Nico hat selbst für die WHO gearbeitet. Gerade er würde es verstehen. Doch sie sagt nur: »Ich brauchte eine Veränderung.«
»Bist du nicht in Genf?«, fragt er verwirrt.
»Nicht weit von dort«, antwortet sie ausweichend.
»Alana.« Er zieht eine Augenbraue hoch. »Du bist doch nicht wieder beim Militär, oder?«
»Reden wir später beim Wein«, sagt sie und bereut es im selben Moment. »Nico, erzähl mir bitte von der Patientin.«
»Vittoria Fornero, eine zweiundvierzigjährige, vormals gesunde Bauarbeiterin. Sie ist vor zwei Tagen hier ins Krankenhaus gekommen, hatte Fieber und hat Blut gehustet. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden mussten lebenserhaltende Maßnahmen eingeleitet werden.«
Alana fühlt, wie die Anspannung in ihrer Schulter zunimmt. »Ihr habt sie hoffentlich gleich isoliert?«
»Natürlich.« Nico schnaubt. »Anfangs haben die anderen Ärzte es für Tuberkulose gehalten.«
»Und wie bist du darauf gekommen, dass es keine ist?«
»Ich habe die Schwellung in ihrer rechten Achselhöhle gefunden. Die ist eindeutig. Ein klassischer Bubo.«
»Hast du eine Biopsie gemacht?«
»Nicht nötig, Alana. Die Sputumkulturen verraten es. Keine Frage, es ist die Pest. Das Yersinia pestis-Bakterium ist in den Petrischalen schneller gewachsen, als sich Ratten in einem Slum vermehren.«
Alana findet diese Metapher zynisch, hält aber den Mund, als sie zu zwei Putzkräften in einen Fahrstuhl steigen, die sich in einer anderen Sprache unterhalten, bei der es sich um Russisch oder Ukrainisch handeln könnte.
Nico und sie steigen im fünften Stock aus. Obwohl sie allein auf dem Korridor sind, senkt Alana die Stimme. »Hast du frühzeitig mit einer Antibiotikabehandlung angefangen?«
Nico verzieht das Gesicht. »In dem Moment, in dem ich sie gesehen habe! Noch bevor die Ergebnisse der Kulturen da waren. Breitspektrumantibiotikum, einschließlich Levofloxacin und Doxycyclin.«
»Trotzdem hängt sie noch am Beatmungsgerät?«
»Es gab eine kurze Verzögerung, solange die Arbeitshypothese noch Tuberkulose war«, gesteht er. »Und es ging ihr sehr schnell sehr schlecht. So etwas habe ich noch nie gesehen, Alana.«
»Wann war der letzte Pestfall in Italien?«
Nico bleibt stehen, und Alana tut es ihm gleich. »Vor sechs oder sieben Jahren. Zwei Missionare aus Madagaskar hatten sie nach Mailand eingeschleppt.«
»Und wie in aller Welt fängt sich eine Bauarbeiterin in Genua die Pest ein?«
»Vittoria war vor drei Wochen mit ihrer Familie in Afrika, in Addis Abeba, wo ihre jüngste Schwester mit ihrem äthiopischen Ehemann lebt. Es wurden in letzter Zeit Fälle in Ostafrika gemeldet.«
Alanas Gedanken überschlagen sich. »Das ist zu lange her. Die Inkubationszeit beim Pestbakterium beträgt normalerweise zwei bis sechs Tage. Da hätte sie vor Wochen krank werden müssen.«
»Es kann länger dauern. Und wie wäre es sonst zu erklären?«
Alana fallen einige Möglichkeiten ein, doch die behält sie für sich. »Nico, das ist nicht bloß die Beulenpest …«
»Natürlich nicht. Es ist in ihrer Lunge. Sie hat die Lungenpest.«
»Und wann gab es von der den letzten Fall in Italien?«
»Vor drei-, vierhundert Jahren? Wer weiß! Vielleicht seit dem Mittelalter nicht mehr.«
Für einen Moment verstummen sie, bis es aus einem Lautsprecher an der Decke knackt. Eine Stimme ruft dringlich dreimal hintereinander denselben Satz. Alana muss es nicht verstehen, um zu begreifen, was es bedeutet.
Nico dreht um und läuft los. Alana rennt ihm hinterher und huscht durch eine Glasschiebetür, bevor sie sich schließt. Drinnen steht auf einem Schild über einem Schreibtisch SALA DI RIANIMAZIONE, und Alana erkennt sofort, dass sie auf der Intensivstation sind.
Alarme schrillen. Intensivpflegepersonal schart sich vor einem verglasten Raum hinten in der Ecke. Irgendwo heult eine Frau, doch Alana kann sie in der Menge nicht ausmachen.
Nico drängt sich durch, und Alana bleibt dicht hinter ihm. Eine mollige Frau mittleren Alters packt seinen Arm. »Dottore Oliva! Mia Vittoria!«, ruft sie schluchzend und sehr schnell.
Nico legt tröstend einen Arm um sie, und ihr Weinen wird noch schlimmer.
Alanas Blick wandert zu dem Fenster des Zimmers. Die Szene darin erinnert sie an die schlimmsten Tage der Ebolakrise. Vier Mitarbeiter tragen maximale persönliche Schutzausrüstung, besser bekannt als PSA, von Kapuzen mit durchsichtigen Gesichtsmasken bis hin zu wasserfesten Stiefeln. Sie wuseln um eine Frau auf einer Liege herum, und ihre panische Energie ist durch das Glas zu fühlen. Auch die Patientin – die an einer Vielzahl von Schläuchen und Drähten hängt – ist nicht still. Sie wirft sich in einem unkontrollierbaren Krampf hin und her.
Nico schaut über seine Schulter zu Alana und hat den hilflosen Gesichtsausdruck eines Rettungsschwimmers, der jemanden ertrinken sieht und wegen des starken Wellengangs nichts tun kann.
Der durchsichtige Schlauch, der vom Mund der Patientin zum Beatmungsgerät führt, wird rot, als wäre er plötzlich an eine Arterie anstelle der Lunge angeschlossen. »DIG«, murmelt Alana vor sich hin: disseminierte intravasale Gerinnung. Die Blutgerinnung der Patientin versagt genauso wie ihr Herz.
»Vittoria! Vittoria!« Die Frau vor dem Fenster reißt sich von Nico los und wirft sich gegen die Scheibe. Sie schlägt auf das Glas ein, bis zwei Schwestern sie wegziehen.
Die Patientin biegt den Rücken nach oben, bis nur noch ihr Kopf und ihre Fersen auf dem Bett sind, als wollte sie abheben. Diese unnatürliche Stellung hält sie eine gefühlte Ewigkeit, ehe sie nach unten sackt und sich nicht mehr rührt.
Doch es ist keine gute Ruhe. Das weiß Alana schon, bevor das Blut aus Vittorias Nase und Augen zu sickern beginnt.
Dies ist der dreiundzwanzigste Tag des Januars im Jahre des Herrn dreizehnhundertundachtundvierzig.
Ich, Rafael Pasqua, Sohn des Domenico, wurde im Jahr dreizehnhundertundelf hier in Genua geboren. Und ich werde höchst gewiss auch hier sterben.
Nie zuvor habe ich meine Erinnerungen auf Pergament festgehalten, bin jetzt indes genötigt, es zu tun. Vergebt mir, dass ich kein Mann des Wortes bin. Ich bin ein Bader, keiner der gelehrten Doktoren, die an einer Universität ausgebildet wurden. Ich hatte jedoch das Glück, bei dem großen Antonio Calvi in die Lehre zu gehen, der unser Handwerk auf eine Weise praktizierte, wie es ihm sehr wenige gleichtun und noch weniger jemals übertreffen werden.
Heute habe ich meine geliebte Frau begraben, Camilla. Wie sehr zittert meine Hand, wenn ich ihren Namen schreibe! Sie war neunundzwanzig Jahre alt und so schön wie Frühlingsflieder. Ich kann ihre Stimme noch hören. Und ich könnte ihr Grab mit meinen Tränen füllen.
In dieser entsetzlichen Leere tröstet mich dennoch ein Gedanke. Hatten Camilla und ich es ehedem als einen Fluch gesehen, dass sie uns kein Kind schenken konnte, dünkt es mich jetzt ein kleiner Segen. Sie starb, wie ich es werde, ohne jemals den Schmerz zu erfahren, das eigene Kind zu Grabe tragen zu müssen. Könnte ich doch dasselbe von so vielen anderen in Genua sagen! Oberto, der Wirt der hiesigen Taverne, hat bereits zwei Söhne und vier Töchter begraben. Ich kümmerte mich in ihren letzten Stunden um Obertos Gemahlin und glaube fest, dass sie nicht an der Pestilenz gestorben ist, sondern am gebrochenen Herzen.
Was bei Camilla nicht so war. Sie ging bei bester Gesundheit zu Bette und erwachte an ihrem eigenen Phlegma erstickend. Eines von unzähligen Opfern der Brustpest.
Heute schaufelte ich ihr Grab mit Hilfe meines Kollegen Jacob ben Moses. Anders als viele andere Doktoren hat Jacob sich meiner Zunft gegenüber nie hochmütig gezeigt. Wir bilden sogar eine gewisse Bruderschaft. Dem Gesetz nach darf er ausschließlich andere Juden behandeln, aber ich wende mich ratsuchend an ihn, bin ich gelegentlich allzu perplex. Und im Gegenzuge führe ich Operationen an seinen Patienten durch, so es erforderlich ist. Jacob ist weit über sechzig Jahre alt, arbeitet aber bis dato so schwer wie jeder andere in Genua. Und heute erfuhr ich, dass der alte Jude für einen Mann seines fortgeschrittenen Alters einen bemerkenswert starken Rücken hat.
Warum, fragt Ihr Euch gewiss, sollen zwei Männer, die ihr Leben dem Studium der Medizin gewidmet haben, mit eigenen Händen ein Grab schaufeln? Es mag widersinnig erscheinen, aber ich kann den Preis für einen Totengräber nicht aufbringen. Überdies kann jeder von Glück sagen, wenn er einen Totengräber findet, der noch am Leben und nicht zu ängstlich ist, die Arbeit zu tun.
Ich nehme nicht an, dass ich lange genug leben werde, um viele Seiten zu füllen. Vielleicht wird es nur diesen einen Eintrag geben. Doch solange ich atme, bin ich der Nachwelt wie auch all den verlorenen und vergeudeten Leben verpflichtet, insbesondere dem meiner teuren Camilla, niederzuschreiben, wie diese Pestilenz meine einst große Stadt dem Erdboden gleichmacht.
Mag sein, dass die Apokalypse schon begonnen hat, wie viele Priester und Bischöfe predigen, herbeigeführt durch unsere Sünden. Doch ich muss aufzeichnen, was ich sehe. Mein Arbeitsleben habe ich der Wissenschaft gewidmet, und was wäre wissenschaftlicher als eine sorgfältig dokumentierte Beobachtung?
Wie so vieles, das Genua erreicht, kam auch die Pest südwestwärts übers Meer herbei. Es war kein Dämon oder Ghul, der sie brachte. Es waren aus Genua gebürtige Kaufleute und Matrosen. Sie trugen diesen Fluch den weiten Weg aus dem Osten herbei, aus Caffa, jenseits von Kleinasien.
Die ersten pestgeplagten Schiffe erschienen im späten Herbst am Horizont. Wir waren von neapolitanischen Händlern gewarnt worden, dass sie kämen, und unsere Soldaten konnten sie mit Flammenpfeilen und anderem zur Umkehr zwingen. Ende Dezember, nur wenige Tage nachdem wir die Geburt unseres Herrn gefeiert hatten, schlich sich ein anderes infiziertes Schiff in den Hafen. Der hinterlistige Kapitän versteckte die Toten und Sterbenden unter Deck. Gierig verkaufte er seine verpesteten Waren an ahnungslose Händler im Hafen und vergiftete unsere edle Stadt. Als der Schaden angerichtet war, segelte er mit seinem verfluchten Schiff davon, und es heißt, dass er die Pestilenz in Sizilien und Griechenland verbreitet hat.
Innerhalb von wenigen Tagen begann das Sterben. Die faulenden Kadaver von Schweinen, Ziegen, Ratten, Katzen und Hunden waren die Vorboten der Pestilenz.
Nun, da die Pest uns erreicht hat, kann niemand dem Tod entfliehen, ungeachtet seiner Stellung. Nicht nur die Totengräber setzen sich einer schrecklichen Gefahr aus. Doktoren, die Kranke versorgen, Priester, die letzte Ölungen geben, und Anwälte, die Testamente aufsetzen, sie alle siechen dahin.
Als Jacob und ich heute die letzte Ruhestätte meiner Frau gruben, murmelte er in seiner unverständlichen Sprache vor sich hin. Ich fragte ihn, was er da singe, und er antwortete mir, es sei ein hebräisches Totengebet. Als ich vorschlug, es wäre weiser, seine Gebete für die Lebenden aufzusparen, lachte er und wies mich darauf hin, dass die Toten die Einzigen seien, für die noch Hoffnung bestehe.
Ich fragte ihn, warum er weiterhin seine Arbeit verrichte, wenn er glaube, dass dem so sei. Und er antwortete mir, dass er alt sei und schon vor vielen Wintern hätte sterben sollen. Die Medizin sei alles, was er je gekannt habe, und es sei zu spät für ihn, jetzt mit ihr aufzuhören, so unnütz seine Arbeit auch sein möge.
Jacob stellte die Schaufel hin. Er erzählte mir, dass er verstehe, was es bedeute, eine Ehefrau zu begraben, habe er doch vor zehn Wintern seine Miriam verloren. Und er versicherte mir, der Schmerz würde nachlassen, die Einsamkeit jedoch nicht weichen. Er fragte mich, warum ich in Genua bleiben wolle, nachdem ich Camilla begraben hatte. Warum wolle ich eine gewisse Ansteckung riskieren, wenn ich gen Norden nach Frankreich oder ins Heilige Römische Reich entkommen könne, wie so viele unserer Kollegen es bereits getan haben?
Ich erwiderte: »Glaubst du nicht, dass mir die Pestilenz folgen würde?«
»Zweifellos«, stimmte er mir zu. Doch manche Zufluchtsorte würden verschont.
»Und was ist mit den Kranken hier in Genua?«, lautete meine Frage. »Sind wir ihnen nicht verpflichtet?«
Jacob zeigte auf die Gräber um uns herum und fragte, was wir den Siechen denn noch anbieten können.
Ich beharrte, vielleicht nur aus demselben trotzigen Stolz heraus, der Camilla so gründlich verärgerte, dass sie mich einst mit einem blinden Esel verglich. Wie ich Jacob erklärte, helfen wir sehr wohl, indem wir die Furunkel der Patienten öffnen, ihr Blut ablassen, wenn die Körperflüssigkeiten aus dem Gleichgewicht geraten sind, und andere bewährte Heilmethoden anwenden.
Jacob betrachtete mich ungläubig. Dann sprach er Worte, die mich noch stärker entmutigten: »Rafael, wir Doktoren haben unsere Patienten so unsagbar enttäuscht, mich wundert, dass sie sich noch nicht gegen uns gewandt haben.«
»Wiewohl wir sie bisher enttäuscht haben mögen, heißt es nicht, dass wir es fürderhin werden«, entgegnete ich.
Die einzige Antwort des alten Juden war, seine Schaufel aufs Neue in die unnachgiebige Erde zu stechen. Wir sprachen nicht mehr, als wir meine Camilla der Erde zurückgaben.
Ihr mögt fragen, ob ich mich nicht vor der Pestilenz fürchte. Ja, ich fürchte mich fürwahr mit jedem qualvollen Tod, den ich bezeuge, mehr vor ihr. Mit jedem Opfer, das von eiternden Wunden bedeckt ist. Jedem Mann, jeder Frau, jedem Kind, deren Lunge so voller blutigem Phlegma ist, dass kein Platz für andere lebenswichtige Flüssigkeiten bleibt. Doch der Gedanke, einer der wenigen Verschonten zu sein, allein und verarmt, schreckt mich so viel mehr.