Der Autor/die Autorinnen

Theo Kienzle, geb. 1955, Jurist, arbeitet als Dozent in den Spezialgebieten Sozial-, Medizin- und Betreuungsrecht für diverse Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen. Er lebt in Mosbach (Baden) und hat diverse Fachbücher und weitere Publikationen veröffentlicht. Er ist zudem beratend in einem Anwaltsbüro zum Pflegerecht und Arbeitsrecht tätig.

Sylke Kotschenreuther, staatlich geprüfte Betriebswirtin, Heilpraktikerin für Psychotherapie mit kunsttherapeutischer Weiterbildung und systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin.

Beate Farnkopf, Arzthelferin bei einem Facharzt für Labordiagnostik, Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin, Weiterbildung zur Mentorin in der Altenpflege und in der Heilerziehungspflege, Palliative Care, Lebenshilfe (Gruppendienst, Pflegekoordination, Tagesstruktur Senioren) und (theoretische und praktische) Unterrichtstätigkeit an einer Altenpflegeschule.

Theo Kienzle Sylke Kotschenreuther Beate Farnkopf

Aggression in der Pflege

Umgangsstrategien für Pflegebedürftige und Pflegepersonal

9., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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9., erweiterte und überarbeitete Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035916-1

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Vorwort zur 9. Auflage

 

 

 

In der Auseinandersetzung mit der Frage der Aggression und Gewalt in der Pflege stößt man auf zahlreiche Veröffentlichungen, Untersuchungen und Erklärungsmodelle. Auffällig ist, dass der Aspekt der Misshandlung fast nur vonseiten der betreuten, der psychisch kranken, der behinderten oder der alten Menschen beschrieben und erklärt wird. Es wird dabei oftmals außer Acht gelassen, dass es ebenfalls zu Übergriffen seitens der Betreuten kommt – und dies nicht selten. Es wird sogar eine Zunahme festgestellt.

Gerade die oft kaum verständliche Abwehr, ja Aggression gegen die Pflegeperson stellt eine Belastung des Berufes dar. Aggression bzw. gewalttätiges Verhalten bezeichnet die massivste Form der Ablehnung gegenüber einer Person, die »es gut mit mir meint«. Es verlangt ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, um diese Angriffe nicht persönlich zu nehmen, sondern sein eigenes Handeln zu hinterfragen und angemessen zu reagieren.

Die Intention der Verfasser ist es, allen in der Pflege und Betreuung tätigen Personen Hilfestellungen für angemessenes Verhalten in schwierigen Konfliktsituationen an die Hand zu geben. Grundsätzlich kann sich aus einer Interaktion zwischen Betreuenden und Betreuten eine aggressive bzw. gewalttätige Handlung entwickeln. Es geht den Verfassern darum, aggressives oder gewalttätiges Verhalten zu erklären, aber nicht zu entschuldigen.

Warnung

Aggression bzw. Gewalt ist nie angemessenes Verhalten!

Es war das Anliegen der Verfasser, ein praxisnahes Buch zu schreiben, um Pflege- und Betreuungspersonal in stationären und ambulanten Einrichtungen praktische Hilfestellung an die Hand zu geben. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber wir hoffen, Denkanstöße zu geben, die vor Ort individuell modifiziert werden können.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass in der Pflege hauptsächlich weibliche Beschäftigte arbeiten, die Verwendung der männlichen Bezeichnung dient der Arbeitserleichterung und stellt keine Diskriminierung dar.

 

Mosbach T. Kienzle

Reilingen Sylke Kotschenreuther

Schriesheim Beate Farnkopf

 

 

 

Danksagung

 

 

 

Wir danken allen, die uns beim Verfassen dieses Fachbuches unterstützt haben.

Wir danken allen Schülern der verschiedenen Fachschulen und den Fortbildungsteilnehmern, die durch ihre Fallbeispiele und ihre Anregungen zur Praxisnähe dieses Buches beigetragen haben.

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort zur 9. Auflage
  2. Danksagung
  3. Abkürzungsverzeichnis
  4. I Psychologischer Teil
  5. 1 Einführung
  6. 1.1 Aggression und Gewalt
  7. 1.2 Formen von Gewalt im Pflegebereich
  8. 2 Wissenschaftliche Erklärungsansätze zur Entstehung von Aggression und Gewalt
  9. 2.1 Triebtheorien nach Sigmund Freud und Konrad Lorenz
  10. 2.2 Die Frustrations-Aggressions-Hypothese
  11. 2.3 Lerntheoretische Erklärungsmodelle – Theorien des sozialen Lernens
  12. 2.3.1 Modelllernen, soziales Lernen oder Lernen durch Beobachtung
  13. 2.3.2 Versuch- und Irrtum-Methode (Lernen aus Erfahrung)
  14. 2.4 Weitere Erklärungen
  15. 2.4.1 Gewaltendreieck nach Galtung
  16. 2.4.2 Motivationstheorie
  17. 2.4.3 Erweitertes kognitives Motivationsmodell nach Heckhausen
  18. 3 Kommunikationstheorien
  19. 3.1 Sender-Empfänger-Modell von Stuart Hall
  20. 3.2 Die fünf Grundgesetze der Kommunikation von Paul Watzlawick (Watzlawick 2017)
  21. 3.3 Vier Seiten Modell von Schulz von Thun
  22. 4 Sonstige Erklärungsmodelle
  23. 4.1 Körperliche Faktoren
  24. 4.2 Substanzmissbrauch
  25. 4.3 Medikamente als Aggressionsförderer
  26. 4.4 Gefühle der Angst und Bedrohung
  27. 4.5 Aggression als Form der Kontaktaufnahme
  28. 4.6 Sexuelle Belästigung (rechtliche Bewertung Kap. 2)
  29. 4.6.1 »Dreier Regel« bei sexueller Belästigung
  30. 4.7 Migrationshintergrund als möglicher Aggressionsauslöser
  31. 4.7.1 Kultursensible Pflege
  32. 4.8 Aggression als Folge überlasteter Angehöriger
  33. 5 Gewaltprävention
  34. 5.1 Betriebliche Gefährdungsbeurteilung
  35. 5.2 Maßnahmen der Deeskalation in der Praxis
  36. 5.3 Freiheitsentziehende Maßnahmen ( Kap. 6.6)
  37. 5.3.1 Risiken und Folgen freiheitsentziehender Maßnahmen
  38. 5.3.2 Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen
  39. 5.4 Reaktionsmöglichkeiten in akuten Gefahrensituationen
  40. 6 Selbstpflege und Achtsamkeit
  41. 6.1 Ausgebrannt sein – Burn-out-Syndrom
  42. 6.2 Psychosomatische Erkrankungen
  43. 6.3 Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien)
  44. 6.3.1 Sackgassen und dysfunktionale Bewältigungsstrategien
  45. 6.3.2 Funktionale Bewältigungsstrategien
  46. 6.4 Eine kleine Idee für schöne Momente
  47. II Rechtlicher Teil
  48. 1 Rechtliche Einordnung von Aggressionen
  49. 2 Rechtfertigungsgründe bei Gegenwehr
  50. 2.1 Strafrechtliche Rechtfertigungsgründe
  51. 2.1.1 Notwehr
  52. 2.1.2 Notstand
  53. 2.1.3 Einwilligung
  54. 2.2 Zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe
  55. 2.2.1 Notwehr
  56. 2.2.2 Notstand
  57. 2.2.3 Einwilligung
  58. 2.2.4 Selbsthilfe
  59. 2.2.5 Fazit
  60. 3 Gewalt im ambulanten Bereich
  61. 4 Dokumentation
  62. 5 Arbeitsrechtlicher Schutz des Personals
  63. 6 Rechtliche Reaktionsmöglichkeiten
  64. 6.1 Strafanzeige
  65. 6.2 Schadensersatz
  66. 6.3 Unterbringung
  67. 6.4 Kündigung des Heimvertrags
  68. 6.5 Reaktionsmöglichkeiten im Maßregelvollzug
  69. 6.6 Reaktionsmöglichkeiten durch Unterbringungsgesetze
  70. 7 Schutzpflicht gegenüber Dritten
  71. Literatur
  72. Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

 

 

 

ArbSchG

Arbeitsschutzgesetz

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAT

Bundesangestelltentarifvertrag

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

LAG

Landesarbeitsgericht

MuSchG

Mutterschutzgesetz

MuSchArbV

Verordnung zum Schutz Schwangerer

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

Rdn.

Randnummer

SGB

Sozialgesetzbuch

StGB

Strafgesetzbuch

u. U.

unter Umständen

VO

Verordnung

WBVG

Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz

WPM

Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift)

 

 

 

I           Psychologischer Teil

1          Einführung

 

 

 

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe Aggression und Gewalt oft synonym verwendet. Bei einer genaueren Betrachtung merkt man schnell, dass es sich um sehr vielschichtige Phänomene handelt, die in den unterschiedlichsten Formen und in allen Bereichen unseres Lebens auftreten können. Gerade im Bereich der Pflege unterliegt das Thema »Gewalt« häufig einem großen Tabu. Aggressive Verhaltensweisen können sich nicht nur zwischen dem Pflegenden und dem zu Pflegenden entwickeln, sondern sie können sich zwischen allen, an dem »System Pflege« beteiligten Personen, bilden. Die jeweilige Reaktion auf das Verhalten des Anderen beeinflusst das Verhalten aller an der Pflege beteiligten Personen. So entstehen Muster in unserem zwischenmenschlichen Verhalten, die mehr oder weniger starr sind, kopiert werden oder zu festgefahrenen Verhaltensweisen führen.

Beispiel

Pfleger A streitet sich lautstark mit Pfleger B im Aufenthaltsraum des Pflegeheimes, da er dessen Schicht nicht übernehmen will. Es fallen wüste Beschimpfungen und Drohungen. Frau S. und Frau L., Bewohnerinnen des Pflegeheimes und Zeugen der Auseinandersetzung, geraten einen Tag später in Streit. Beeinflusst durch das Verhalten der beiden Pfleger gestern, beschimpft und bedroht Frau S., genervt von den ständigen Hilferufen von Frau L., diese, und gibt ihr dann eine Ohrfeige.

1.1       Aggression und Gewalt

»Aggressivität umfasst das Spektrum von leichter Gereiztheit, Verbalaggressivität, Gewalt gegen Gegenstände, Autoaggression, Tätlichkeit und körperliche Gewaltanwendung bis hin zu unkontrolliertem Toben …« (Pajonk 2001, S. 206)

Laut Steinert (Steinert T., 1995) liegt aggressives Verhalten dann vor, wenn sich eine Person bedroht, angegriffen oder verletzt fühlt.

Dollard et al. (Dollard et al. 1939, S. 19) definierten Aggression »als eine Handlung, deren Zielreaktion die Verletzung eines Organismus (oder Organismus-Ersatzes) ist«.

Eine Aggression kann offen (körperlich, verbal) oder verdeckt (phantasiert), sie kann positiv (von der Kultur gebilligt) oder negativ (missbilligt) sein (Selg 1997).

Definition Aggression

Vereinfacht betrachtet spricht man von Aggression bei der Durchführung schädlicher Handlungen (Kratzen, Beißen, Verweigerung von Pflegemaßnahmen, Beleidigungen, Bedrohungen, unangemessene Berührungen …) gegenüber sich selbst, gegenüber anderen oder gegenüber Dingen.

Laut der World Health Organisation (WHO 2002) unterliegt der Begriff Gewalt neben kulturellen Einflüssen, unterschiedlichen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Normen auch subjektiven Ansichten. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte definiert die WHO den Begriff Gewalt folgendermaßen:

Definition Gewalt

»Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.«

1.2       Formen von Gewalt im Pflegebereich

Gewalt entsteht durch das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen. So hat Gewalt am Arbeitsplatz viele Facetten und beinhaltet neben Beleidigungen und Beschimpfungen auch sexuelle Belästigung, Nötigung, Körperverletzung, Rassendiskriminierung und Sachbeschädigung. (Eckert 2014).

Auf der anderen Seite hat eine Befragung von Pflegekräften aus dem ambulanten Bereich ergeben (Rabold 2007), dass ca. 39,7 % der Befragten innerhalb der letzten 12 Monate mindestens eine Form problematischen Verhaltens gegenüber Pflegebedürftigen erlebten. Verbale Aggression und Formen psychischer Misshandlung wurden von 21,4 % der Befragten beobachtet. 18,8 % sprachen von pflegerischer Vernachlässigung, 8,5 % von körperlicher Gewaltanwendung.

Finanzielle Ausbeutung, Medikamentenmissbrauch und Einschränkung des freien Willens/Freiheitsentzug sind weitere Formen der Gewalt im Pflegebereich.

2          Wissenschaftliche Erklärungsansätze zur Entstehung von Aggression und Gewalt

 

 

 

Um präventiv gegen die Entstehung von Aggression und Gewalt im Pflegebereich vorgehen zu können, muss man zuerst verstehen, welche Auslöser dafür verantwortlich sind.

In der Aggressionsforschung gibt es drei große Theorien, die sich mit der Entstehung von Aggression und Gewalt beschäftigen.

2.1       Triebtheorien nach Sigmund Freud und Konrad Lorenz

Sowohl Freud als auch Lorenz gingen davon aus, dass Aggression ein angeborener Trieb ist, der sich in jedem Wesen aufstauen kann und spontan und unkontrolliert entladen wird. Triebe dienen der Lebens-, Art- und Selbsterhaltung.

Sigmund Freud erfasste in seiner Triebtheorie (Freud 1905/1961) Kräfte, die das psychische Geschehen bestimmen, um der Selbsterhaltung zu dienen. Diese äußern sich in körperlicher Anspannung. Die Aggression staut sich auf, um sich dann spontan und unkontrolliert zu entladen. Er betrachtet Aggression als Teil des lebenszerstörenden Todestriebes (Thanatos), der in jedem Menschen wohnt. Dem gegenüber steht der lebenserhaltende Trieb (Eros). Ziel der Triebimpulse ist es, unlustvolle Reizzustände zu beenden.

Konrad Lorenz betrachtet Aggression als Instinkt. Ausgehend von Tierbeobachtungen entwickelte Lorenz das psychohydraulische Energiemodell (Lorenz 1937). Aggression staut sich an und strebt ständig nach außen. Folgt ein auslösender Reiz führt dieser zu aggressiven Verhaltensweisen. Je stärker der Reiz oder die Motivation ist, desto stärker fällt die Reaktion aus. Ein sehr starker Reiz kann auch bei fehlender Motivation eine Reaktion auslösen und umgekehrt.

Beispiel

Herr G. war lebenslang begeisterter Marathonläufer. Das Laufen half ihm Stress und Ärger abzubauen. Nach einem Schlaganfall ist Herr G. halbseitig gelähmt und auf Hilfe angewiesen. Sein Hobby kann er nicht mehr ausüben. Stress und Ärger stauen sich in ihm an.

2.2       Die Frustrations-Aggressions-Hypothese

Die Frustrations-Aggressions-Hypothese (Dollard 1939) besagt, dass Aggression immer ein Resultat von Frustration ist. Je größer die Frustration, desto größer die Aggression (proportionale Entwicklung). Möchte eine Person ein Ziel erreichen, und wird ihr dabei durch äußere Einflüsse ein Hindernis in den Weg gestellt, verändert die Frustration darüber den Erregungszustand der Person und es kommt zu körperlicher Anspannung. Aggression kann sie wieder zum Normalzustand zurückführen und als Erleichterung angesehen werden. Diese Hypothese wurde von Miller (Miller 1941) weiterentwickelt. Er geht davon aus, dass Frustration lediglich als Anreiz für Aggression dient. Die individuelle Frustrationstoleranz muss berücksichtigt werden. Unterbindet man die Ausübung der Aggression kommt es zu einer Verschiebung der Aggression auf andere Personen oder Dinge.

Beispiel

Frau M. strickte früher leidenschaftlich gerne Socken. Für ihre Enkelin möchte sie gerne ein Paar Socken herstellen. Da sie ihre Finger wegen einer Gichterkrankung kaum noch bewegen kann, ist es ihr nicht möglich zu stricken. Stark frustriert fängt sie an, das Strickzeug auf den Tisch zu hauen. Die Pflegerin Frau O. nimmt es ihr aus der Hand. Wütend fegt Frau M. das volle Wasserglas vom Tisch.

2.3       Lerntheoretische Erklärungsmodelle – Theorien des sozialen Lernens

2.3.1     Modelllernen, soziales Lernen oder Lernen durch Beobachtung

A. Bandura (Bandura 1976) geht davon aus, dass aggressives Verhalten erlernt wird. Das eigene Verhalten wird durch Nachahmung erfolgreicher Vorbilder erworben (Lernen am Modell). Die Person eignet sich das beobachtete »erfolgreiche« Verhalten an, speichert es ab, um es später in einer geeigneten Situation abzurufen. Das erlernte Verhalten kann auch auf völlig unterschiedliche Situationen übertragen werden. Modelle (Personen) zu denen der Beobachtende eine gute Beziehung hat, Personen die er liebt oder die einen höheren sozialen Status haben eignen sich besonders, um das Verhalten zu kopieren. Pflegende und betreuende Personen haben hier eine Vorbildfunktion. Ihr Verhalten untereinander, den Angehörigen und Patienten gegenüber ist mitverantwortlich für die Entstehung von Aggressionsmustern.

Beispiel

Der geistig behinderte F. möchte sich nie duschen lassen. Die Betreuungskraft muss deshalb mit lauter Stimme und mit starkem Nachdruck, dazu auffordern sich zu entkleiden und duschen zu lassen.

Eine Pflegeschülerin beobachtet ihre ältere Kollegin dabei, wie sie einen Patienten anschreit, damit er bei der morgendlichen Dusche stillhält. Daraufhin leistet er keinen Widerstand mehr. Die junge Pflegeschülerin wird wahrscheinlich auch dieses »erfolgreiche« Verhalten anwenden, wenn sie das nächste Mal mit dem Patienten alleine ist.

Zusammengefasst unterteilt sich das Lernen am Modell in vier Abschnitte: