Ruth Wodak
Politik mit der Angst
Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse
Edition Konturen
Wien · Hamburg
Bildnachweis:
2.2 © Per Anders Rudling
4.5 © Guardian
4.8, 6.2, 6.3, 6.5, 6.11 © FPÖ
5.1 © Neue Kronen Zeitung
6.6 © APA
6.7 © Ian Ehm
6.8 © ORF
6.9 © APA/Fayer
Trotz aller Mühe und Sorgfalt ist es dem Verlag nicht gelungen, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden unverzüglich nach entsprechender Aufforderung im branchenüblichen Ausmaß abgegolten. Wir ersuchen um Nachsicht.
Wir legen Wert auf Diversität und Gleichbehandlung. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit der Texte werden manche Begriffe in der maskulinen Schreibweise verwendet. Grundsätzlich beziehen sich diese Begriffe auf beide Geschlechter.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Copyright © 2016 Edition Konturen
Mediendesign Dr. Georg Hauptfeld GmbH – www.konturen.cc
Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Georg Hauptfeld, dressed by Gerlinde Gruber
Umschlagbild: © Joe Mabel, bearbeitet
Übersetzung: Georg Hauptfeld
ISBN 978-3-902968-19-7
Für Jakob
Jeden Morgen, wenn ich die Zeitung aufschlage, fallen mir große Schlagzeilen auf. Über eine aufrüttelnde Provokation einer rechtspopulistischen Partei wird wieder einmal berichtet, ein weiterer Erfolg einer solchen Partei bei europäischen, nationalen oder regionalen Wahlen diskutiert. Rechtspopulistische Parteien sind im Aufwind; unbestritten ist jedenfalls, dass sie sich in vielen Mitgliedstaaten der EU und darüber hinaus von den Rändern wegbewegen – sie sind Parteien der Mitte geworden. Viele Menschen reagieren überrascht. Wie konnte das passieren? Und warum gerade jetzt? Einfache Erklärungen helfen da nicht.
Irgendwann musste ich mich entscheiden, die Datensammlung abzuschließen und dieses Buch fertigzustellen. Andere Bücher werden die Entwicklung der EU, ihrer 28 Mitgliedstaaten und politischen Systeme weiter dokumentieren, auch die Präsidentschafts-Vorwahlen in den USA 2016 genau verfolgen sowie den möglichen Erfolg der Tea Party-Kandidaten bei regionalen und anderen nationalen Wahlen.
Dieses Buch soll den Weg solcher Parteien in der politischen Landschaft nachzeichnen und zu erklären versuchen – von ursprünglich belächelten und wenig beachteten Randerscheinungen in die Mitte der Gesellschaft, wo sich in ihrem Gefolge ein allgemeiner Trend nach rechts manifestiert. Wir beobachten eine Normalisierung nationalistischer, fremdenfeindlicher, rassistischer und antisemitischer Rhetorik, die in erster Linie mit „Angst“ arbeitet: Angst vor Veränderung, vor Globalisierung, vor Verlust von sozialer Sicherheit, vor Klimawandel, vor Wandel von Geschlechterrollen. Im Prinzip kann fast alles als Bedrohung des „Wir“ konstruiert werden, eines imaginierten homogenen Volkes auf einem gut geschützten Territorium.
Nachkriegs-Tabus wie stumpfer Rassismus und öffentlicher Antisemitismus wurden im Zuge dieser Veränderungen gebrochen. Oft bleibt der Eindruck, die aktuelle Politik folge der Maxime: „Anything goes!“ Und es gibt, wenn überhaupt, kaum Alternativen, weil die Großparteien viele der zuvor abgelehnten Ansätze und Vorschläge in ihre politischen Leitlinien und sogar in wirksame Rechtsvorschriften aufgenommen haben.
Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, der Europa in Ost und West geteilt hatte, erwartete niemand, dass die Zuwanderung aus den ehemaligen kommunistischen Ländern, der Türkei und dem Nahen Osten einen Anstieg der Fremdenfeindlichkeit und Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen mit sich bringen würde; eine Teilung in „Wir“ und „Sie“, in „echte“ Österreicher, Briten, Schweden, Deutsche oder Dänen und die „Anderen“, die Ausländer. Alte Grenzen wurden demontiert und neue errichtet: über Visa, Sprach- und Staatsbürgerschaftstests und viele andere Regeln und Vorschriften.
Natürlich ist die Einwanderung aus dem Osten kein neues Phänomen. Vor 1989 waren die Migranten Flüchtlinge aus einem totalitären System oder sogenannte „Gastarbeiter“. Sie wurden willkommen geheißen und in den 1960er- und 1970er-Jahren oft sogar bewusst geholt, um Jobs zu übernehmen, die niemand machen wollte. Viele blieben in Skandinavien, Deutschland oder Österreich, erhielten eine neue Staatsbürgerschaft und damit eine neue Zugehörigkeit. Nach 1989 wurden Menschen aus osteuropäischen Ländern jedoch als „Wirtschaftsmigranten“ wahrgenommen, die freiwillig ihre Heimat verlassen hatten, um auf meist legale Weise ein besseres Leben zu finden.
Diese neuen Ängste mischten sich mit überkommenen rassistischen und antisemitischen Einstellungen und der Diskriminierung von Minderheiten, die bereits seit vielen Jahrzehnten (nicht selten Jahrhunderten) in westlichen EU-Mitgliedstaaten gelebt wurde, beispielsweise gegen Gastarbeiter, Roma, Juden oder andere ethnische und religiöse autochthone Minderheiten. „Moderne Fremde“ (um einen Begriff von Georg Simmel zu verwenden) oder „postmoderne Fremde“ (in den Worten von Zygmunt Bauman) wurden aufgebauscht zur allgegenwärtigen Bedrohung der sozialen Sicherheit, von Wirtschaft und Kultur, der „Zivilisation“.
Ein weiterer Wendepunkt in dieser Entwicklung waren die schrecklichen Ereignisse von 9/11: In vielen westlichen Ländern wurden Muslime als akute Gefahr für die Sicherheit wahrgenommen, weitere Beschränkungen für Einwanderer schnell als notwendige Sicherheitsmaßnahmen legitimiert und daher nur selten in Frage gestellt. Noch mehr Debatten löste ein möglicher Beitritt der Türkei zur EU aus. Er weckte alte kollektive Erinnerungen an den Sieg der Habsburger über das Osmanische Reich im 16. und 17. Jahrhundert, an die Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ gegen „Islam und Orient“.
Schließlich führte die EU-Erweiterung im Jahr 2004 zu einer Vermischung der Konzepte von Flüchtlingen, Migranten und Asylsuchenden: Das Feindbild des „Fremden/Anderen“ begann, politische Auseinandersetzungen und Debatten zu beherrschen. Dieses Feindbild hat viele lokale Formen und Gestalten angenommen: ein vager Begriff, den jeder nach seinen politischen Interessen füllen kann. In den USA löste darüber hinaus die Wahl von Barack Obama zum Präsidenten 2008 den Aufstieg der Tea Party-Bewegung aus, die sich gegen Wirtschafts-, Sicherheits- und Gesundheitspolitik der Regierung richtete – wahrscheinlich auch als Reaktion auf den „schwarzen Mann“ im Weißen Haus.
Wie dieses Buch zeigen wird, gibt es keine allgemeingültige Erklärung für den anhaltenden Aufstieg und den Erfolg rechtspopulistischer Parteien. Viele Faktoren tragen dazu bei, etwa die nativistischen Renationalisierungstendenzen, Narrative und Ideologien von Grenzen und Grenzziehungen, wirtschaftliche Ängste sowie dramatische Vergangenheiten – all dies bewirkt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Ländern. So unterscheiden sich Länder mit faschistischer und nationalsozialistischer Vergangenheit deutlich von Ländern ohne eine solche Vorgeschichte. Die „Sündenböcke“ reicher Länder sind andere als diejenigen armer Länder, die vehement von der Wirtschafts- und Eurokrise seit 2008 getroffen wurden. Es ist bemerkenswert, doch keinesfalls Zufall, dass viele oft heftige und polemische Debatten über die Regulierung weiblicher Körper geführt wurden und werden. Die Geschlechterrollen haben sich geändert, und es scheint, als ob das ultimative „Fremde/Andere“ derzeit mit Kopftuch und Burka personifiziert wird, mit der Art, wie sich muslimische Frauen kleiden (oder manchmal gezwungen sind, sich zu kleiden).
Charismatische Führer und aggressive Rhetorik sind ebenfalls wichtige Faktoren. Lange Zeit wurden rechtspopulistische Parteien in erster Linie aufgrund ihrer Rhetorik, Argumentationsweise und aggressiven Art der Auseinandersetzung identifiziert und erkannt. Allerdings reichen diese Faktoren als hervorstechende Merkmale allein nicht aus, um das komplexe Phänomen des Rechtspopulismus zu definieren. Vielmehr ist es der Inhalt, das heißt Ideologien und Überzeugungen, Behauptungen und durch eine solche Rhetorik vermittelte Vorstellungen, die beobachtet und analysiert werden müssen. Nur so wird ein Einblick in die vielen Facetten des wachsenden Rechtspopulismus möglich. Bedeutung wird durch Inhalt und Form erzeugt, sie kann nur über vielschichtiges Kontextwissen verstanden und erläutert werden – über historische, soziopolitische, intertextuelle und interdiskursive sowie situative Dimensionen des Kontexts.
Bei einem Vortrag über rechtspopulistische Rhetorik und Ideologien, den ich 2010 im Rathaus von Örebro (Schweden) hielt, befragte mich mein Sohn Jakob über mögliche Ähnlichkeiten und Unterschiede zur Tea Party in den USA, der lautstarken Opposition zu Obamas Präsidentschaft im Jahr 2008. Er drängte mich, ein Buch zu schreiben, das europäische rechtspopulistische Politik und Strategien mit den amerikanischen politischen Bewegungen der Tea Party vergleicht, die weitgehend zur Republikanischen Partei gehören. Letztlich ist dieses Buch ein Versuch, zumindest einige der jüngsten Entwicklungen zu erklären. Anhand vieler Beispiele soll die Mikropolitik des Rechtspopulismus nachgezeichnet werden, die in Diskursen, Bildern und Texten in verschiedenen mehr oder weniger formalen Kontexten wirksam wird. 14 Textbeispiele, über alle Kapitel verteilt, dienen als vertiefte Analysen von Momentaufnahmen der politischen Situation in Österreich, Finnland, Deutschland, Ungarn, Italien, Polen, der Schweiz, den Niederlanden, der Ukraine, Großbritannien und den USA. Eingebettet in viel Kontextwissen, Zahlen und Fakten aus verschiedenen nationalen und EU-Wahlen sowie wichtigen diskursanalytischen, soziologischen, historischen und politikwissenschaftlichen Theorien. Sie umrahmen die differenzierte sprachliche, pragmatische, rhetorische und Argumentationsanalyse.
Abschließend stellt sich natürlich die Frage nach politischen Alternativen: Wie können wir alle vermeiden, in jene raffinierte „Falle“ zu gehen, die uns täglich durch rechtspopulistische Ideologien und ihre rhetorischen Manifestationen gestellt wird? Ein unmittelbar anwendbares Rezept oder eine Checkliste überschreiten den Rahmen eines Buches; dennoch bleibt es wichtig, neue Politiken und entsprechende Diskurse anzudenken und zu entwerfen.
Dank
Viele Freunde, Freundinnen, Kolleginnen und Kollegen haben in den vergangenen drei Jahren intensiven Forschens und Schreibens enorm zu diesem Buch beigetragen: Rainer Bauböck, Rudolf de Cillia, Helmut Gruber, Franz Januschek, Tony Judt, Katharina Köhler, András Kovács, Verena Krausneker, Theo van Leeuwen, Jay Lemke, Bernd Matouschek, Anton Pelinka, Alexander Pollak, Martin Reisigl, Maria Sedlak-Arduc und Teun van Dijk waren allesamt beteiligt an den Diskussionen und Forschungen über die FPÖ, ihren damaligen Führer Jörg Haider und seine „berüchtigte“ Rhetorik in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Ohne diese wichtigen Gespräche und die Teamarbeit in verschiedenen Projekten gäbe es die interdisziplinären Grundlagen für diesen neuen, noch wenig bekannten Forschungsschwerpunkt nicht.
Debatten bei vielen Gelegenheiten auf Veranstaltungen der Zivilgesellschaft nach 2000 anlässlich der „schwarz-blauen“ Koalition in Österreich (Koalition aus Österreichischer Volkspartei und Freiheitlicher Partei Österreichs) trugen ebenfalls zum Verständnis der enormen – unvorhergesehenen – Auswirkungen der Veränderungen bei, die diese Regierung durchgeführt hat. Zum ersten Mal war der Europäische Cordon sanitaire durchbrochen: Eine rechtspopulistische Partei mit häufigen verdeckten rassistischen, nativistischen, revisionistischen und antisemitischen Äußerungen wurde Teil einer Regierung in der EU. Diese Aktivitäten bestimmten schließlich meine Ethnographie: Ich konnte die Auswirkungen einer solchen Politik unmittelbar erleben.
Von 2003 bis 2005 nahm ich als Leiterin des österreichischen Teams gemeinsam mit Michał Krzyżanowski und Fleur Ulsamer an einem Projekt des fünften europäischen Rahmenprogramms teil mit dem Akronym XENOPHOB („Das europäische Dilemma. Institutionelle Strukturen und Rassendiskriminierung“). Als ich 2004 nach Lancaster berufen wurde, führte ich diese Arbeit fort, zum Beispiel im vom Economic and Social Research Council (ESRC) finanzierten Projekt RASIM – gemeinsam mit Paul Baker, Costas Gabrielatos, Majid KhosraviNik, Michał Krzyżanowski und Tony McEnery. Diese Medienstudie eröffnete sowohl methodisch als auch theoretisch neue Horizonte. Die Forschungsgruppe „Dynamics of Memory“, zu der u. a. Mercedes Camino, Aristoteles Kallis, David Sugarman und Naomi Tadmor gehörten, brachten viele Erkenntnisse durch den Vergleich der rechtspopulistischen Politik mit den Erfahrungen aus der Vergangenheit des Totalitarismus in vielen anderen europäischen Ländern.
Vor allem aber bin ich meinen ehemaligen und aktuellen Doktoranden sehr dankbar: Es war und ist eine große Freude und Herausforderung, mit ihnen zu arbeiten und nicht nur ihre, sondern auch meine Forschungen zu besprechen. Ihren kritischen, inspirierenden und kenntnisreichen Fragen und Anmerkungen verdanke ich viele Einsichten. Natürlich wäre dieses Buch nicht ohne die Unterstützung von Markus Rheindorf fertiggestellt worden. Markus hat viele Kapitelentwürfe gelesen und häufig Unstimmigkeiten, Redundanzen und Widersprüche entdeckt. Ich danke auch Georg Hauptfeld, der sich – angesichts der Relevanz des Themas – für eine rasche deutsche Übersetzung einsetzte, diese in einer ersten Fassung vorlegte und viele wichtige Überarbeitungen vorschlug.
Mein Sohn Jakob gab nicht nur den Anstoß zu diesem Buch, er musste sich auch meine Ängste und Sorgen anhören und hat den endgültigen Entwurf kommentiert. Mein Lebensgefährte Georg Schönfeld musste während der Arbeit an diesem Buch oft ohne mich auskommen: im wörtlichen Sinn, weil wir zwischen Lancaster und Wien pendelten; und metaphorisch, weil ich manchmal in mein Arbeitszimmer verschwand, um mich ausschließlich auf die Fertigstellung der letzten Kapitel zu konzentrieren. Danke Euch beiden!