Autorenvita

 

© Thienemann Verlag GmbH

 

Hortense Ullrich redet gern, lacht gern und schreibt gern. Und zwar über alles, was das Leben an Lustigem und Komischem zu bieten hat. Sie schreibt einfach auf, was bei ihr zu Hause tagtäglich passiert. Allerdings nie die volle Wahrheit, denn die würde ihr ohnehin niemand glauben. Ihre Töchter Allyssa und Leandra sind die Vorbilder für Jojo und ihre Schwester Flippi. Jojos überbesorgte, kochunfähige Mutter hat rein zufällig große Ähnlichkeit mit der Autorin. Nur Hortense Ullrichs Mann und die beiden Hunde kommen ungeschoren davon. Noch. Acht Jahre verbrachte Hortense Ullrich mit ihrem Mann und ihren Kindern in New York, inzwischen lebt sie in Bremen.

 

Buchinfo

 

Kabummm! In Jojos Bauch explodiert ein millionenfaches Glücksfeuerwerk, sobald sie nur an Max denkt. Doch das kann ihr hoffentlich keiner ansehen! Die Sache mit Max ist nämlich streng geheim. So geheim, dass nicht mal Jojos beste Freundin Lucilla davon wissen darf ...

 

Eine Jojo-Geschichte

 

Freche Mädchen – freche Bücher!

 

Dienstag, 16. September

 

»Also, dann lass uns jetzt frühstücken gehen«, sagte Max.

Ich sah ihn ungläubig an. Ist das eine normale Reaktion für einen Jungen, der gerade ein Mädchen geküsst hatte – »Also, dann lass uns jetzt frühstücken gehen«? Ich stelle ja weiß Gott nicht so hohe Romantikanforderungen wie meine beste Freundin Lucilla, aber etwas charmanter hätte Max schon reagieren können. »Also, dann lass uns jetzt frühstücken gehen«, tzz. Immerhin hatte er mich gerade geküsst! Und das, obwohl ich ihm mitgeteilt hatte, dass wir uns am besten aus dem Weg gehen sollten, weil ich mich leider in ihn verliebt hatte. Und da ich bis gestern noch mit seinem Zwillingsbruder Felix zusammen war, hielt ich es nicht für angebracht, jetzt auch nur in Max’ Nähe gesehen zu werden. Ich hatte es ihm doch ganz genau erklärt. Wie kommt er auf die Idee, mich einfach zu küssen? Und wieso fand ich es toll? Mein Herz raste und meine Ohren klingelten, aber mein Gewissen lief Amok.

Ich war heute Morgen extra früh zur Schule gegangen, um zu vermeiden, Max auf dem Schulhof zu begegnen. Meine Chancen standen gut, weil er eh meist zu spät kommt. Und was ist? Ich treffe Max! Super. Ich war noch nicht mal an der Schule, als ein Auto neben mir anhielt, Max raussprang und zu mir kam. Toll, ich quäle mich schlaftrunken vor der Zeit aus dem Bett und laufe ihm dann doch in die Arme. Irgendwie im wahrsten Sinn des Wortes. Ich erkläre ihm mein Dilemma und ihm fällt nichts Besseres ein, als mich zu küssen. Und mein schöner Plan war futsch. Ich stand völlig verdattert da und sah ihn ungläubig an.

Er war vollkommen relaxt und grinste bloß. »Also, dann lass uns jetzt frühstücken gehen«, sagte er.

»Das kann ich nicht!«

»Wieso? Du setzt einen Fuß vor den anderen und schon gehst du. Ist ganz leicht. Probier’s mal.«

Ich sah ihn an. »Du weißt, was ich meine!«

»Nein. Erklär’s mir.«

»Ich kann nicht wegen Felix.«

»Ich denke, es ist Schluss zwischen euch beiden?«

»Ja. Aber ich kann doch nicht gleich am nächsten Tag mit dir durch die Gegend laufen.«

»Wieso?«

»Das gehört sich nicht. Das kann ich Felix nicht antun.«

»Du hast es ihm doch schon angetan.«

»Nein. Na ja, doch, aber das ist was anderes.«

»Ich sehe das Problem nicht. Wenn du nicht mehr mit Felix zusammen bist, dann kannst du doch jetzt mit mir frühstücken gehen. Das hättest du übrigens auch tun können, wenn du noch mit ihm zusammen wärst.«

»Max! So einfach ist das nicht.«

»Wie sieht denn dein Plan aus? Willst du warten, bis mein Bruder verheiratet ist und drei Kinder hat, bevor du mal mit mir ausgehst?«

»Besteht die Chance, dass das in den nächsten drei Wochen passiert?«

»Nein. Aber besteht die Chance, dass du jetzt mit mir frühstücken gehst?«

»Können wir nicht erst etwas Zeit vergehen lassen?«

»Ehrlich gesagt hab ich jetzt Hunger.«

»Das meine ich nicht.«

»Ich weiß, aber ich will jetzt wirklich was frühstücken und du kannst mir doch auch beim Frühstück erklären, wieso du auf keinen Fall mit mir frühstücken gehen willst.«

»Okay«, nickte ich. Dann sah ich ihn an. »Das ist aber eine merkwürdige Logik.«

»Deine ist auch nicht besser«, tröstete er mich. »Jetzt lass uns gehen.«

Er legte seinen Arm um meine Schultern und wollte sich in Bewegung setzen.

Ich blieb stehen. Und schob sehr bedauernd seinen Arm von meiner Schulter. »Mach das lieber nicht.«

»Sag das meinem Arm, er tut das automatisch, wenn ein gut aussehendes Mädchen neben mir steht.«

Ich bemühte mich, nicht laut aufzuseufzen. Max ist umwerfend charmant. Ich zögerte.

»Jetzt komm schon. Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen, dann kann mein Arm sich nicht mehr selbstständig machen. Okay?«

Ich musste lächeln. »Na gut«, nickte ich schließlich und lief neben ihm her. Doch dann stoppte ich abrupt. »Es geht nicht!«

»Wieso?«

»Schule. Wir müssen zum Unterricht. Ich will nicht zu spät kommen.«

Max lachte. »Du hast nicht viel Erfahrung im Schuleschwänzen, was?«

»Gar keine.«

»Na, dann wirst du wohl dank mir ein paar machen.«

»Könnten wir vielleicht mit kleinen Dingen anfangen? Wie etwa eine neue Eissorte ausprobieren?«

»Du bist echt witzig, Jojo.«

Witzig. Lief das unter Kompliment? Ich konnte doch nicht, statt in der Schule zu sitzen, mit Max zum Frühstücken gehen. Aber für Max schien das nichts Besonderes zu sein.

»Schreiben deine Eltern dir jedes Mal eine Entschuldigung?«, fragte ich ihn.

»Wofür?«

»Na, fürs Schuleschwänzen.«

»Ach, du bist immer noch bei dem Thema«, sagte er. »Nein, die schreibe ich selbst.«

Ich sah ihn groß an.

»Ich kann das auch für dich tun. Ich hab auch Praxisstempel von Ärzten. Such dir eine Krankheit aus, ich bescheinige sie dir.«

»Hast du vor, das später professionell zu machen?«

»Du meinst, ob ich Arzt werden will?«

»Nein, eher, ob du ein Kleinkrimineller werden willst.«

Max lachte wieder. »Wieso machst du da so ein Drama draus?«

»Weil … weil es nicht okay ist.«

Max blieb stehen, nahm mich in den Arm und raunte mir ins Ohr: »Mach doch mal was Gefährliches.«

Wenn er mich nicht angesehen und in den Arm genommen hätte, wäre es mir gelungen, mich einfach umzudrehen und zur Schule zu gehen. Aber nun schmolz mein Widerstand und ich hörte mich zu meiner eigenen Verblüffung fragen: »Wo gehen wir hin?«

»Frühstücken. Im Palast-Hotel

Wir liefen weiter. Das Palast-Hotel ist das mit Abstand teuerste und vornehmste Haus in der Stadt.

»Kann man da einfach so rein?«

»Ähm, ja. Du weißt schon, dass die damit Geld verdienen, dass Leute ihr Hotel betreten. Das ist die Grundidee des Hotelbusiness.«

»Ich meine doch, kann man, nur um zu frühstücken, da reingehen? Muss man da nicht vorher erst übernachten oder so?«

»Also ehrlich gesagt bin ich jetzt etwas unsicher, ob das ein Scherz sein soll oder nicht.«

Selbstverständlich war es kein Scherz.

Aber da ihn diese Frage offensichtlich irritierte, stellte ich eine andere: »Wieso gehen wir nicht in ein ganz normales Café?«

»Ah, Anfängerfehler! In einem normalen Café muss man damit rechnen, dass sich dort ein Lehrer schnell mal ein Croissant holt oder so. Und dann wirkt mein ärztliches Attest nicht mehr so glaubwürdig. Und im Palast-Hotel ist die Chance, Lehrer zu treffen, sehr gering.«

Ich war beeindruckt. »Du hast das ziemlich gut durchdacht, was?«

»Jahrelange Übung.«

Max’ Argumentation war schlüssig und natürlich hatte das Ganze auch einen Riesenvorteil für mich: Hier würde ich niemanden treffen, den ich kenne.

Ich warf einen Blick auf das imposante Gebäude. Palast-Hotel. Sieh mal an! Das hätte ich nicht gedacht, dass ich da mal reinspazieren würde, um zu frühstücken.

Wir sahen uns vom Bürgersteig aus den Eingang nur an, schon sprang ein uniformierter Mann zur Tür und hielt sie uns mit einer leichten Verbeugung auf. Also gingen wir die Treppe hoch – ich versuchte zu schreiten, weil ich das für angemessen hielt, und bemühte mich, ein sehr vornehmes und wohlhabendes Gesicht zu machen. Gar nicht so einfach, wenn man darin keine Übung hat und eine Sonderangebotsjeans mit einem Grabbeltisch-T-Shirt trägt.

Max bewegte sich ganz selbstverständlich, so als wäre es das Normalste von der Welt, ein solches Hotel zu betreten. Gut, für ihn war es das ja auch.

Er sah mich von der Seite an. »Und schon wieder eine neue Erfahrung, was?«

»Ja. Wer hätte das gedacht, dass ich so viel lerne, ohne die Schule zu besuchen!«

Max grinste.

Als wir drinnen waren, begrüßte uns an der Rezeption eine Dame. Ich zuckte zusammen und kam mir ertappt vor. Max nickte bloß und führte mich durch die Empfangshalle hindurch zum Restaurant. Dort wurden wir dann schon wieder begrüßt. Diesmal von einem Herrn, der hinter einer Art Pult stand. So viele Gute Morgen hintereinander – das klang vielversprechend!

»Frühstück für zwei?«, fragte der Herr Max. Das war eine leichte Frage, die hätte ich locker beantworten können. Aber er sah nur Max an.

Max nickte und der Typ hauchte: »Sehr gern, bitte hier entlang.« Schon setzte er sich in Bewegung.

Wir folgten ihm. Max etwas gelangweilt, ich wie auf Watte. Die ganze Situation war ziemlich unwirklich. Wir wurden zu einem Tisch am Fenster geführt, von dem aus man einen tollen Blick runter auf die Straße hatte. Ich kam mir sehr privilegiert vor, hier frühmorgens im feinsten Hotel der Stadt zu sitzen und Leute zu beobachten, die alle zur Arbeit gingen. Alles war supervornehm und leise, man hörte nur gedämpftes Gemurmel der anderen Gäste.

Ganz automatisch flüsterte ich: »Kommst du oft hierher?«

Max flüsterte zurück: »Wieso flüsterst du?«

»Keine Ahnung, aber ich komm mir vor wie in einer Kirche.«

»Ja, das Restaurant hier gilt auch als Gourmettempel«, grinste er. »Und der Maître Di ist der Hohepriester. Statt einen Klingelbeutel rumgehen zu lassen, legen sie dir nachher ein dezentes Ledermäppchen mit der Rechnung auf den Tisch.«

Das war wohl Millionärshumor. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Max lebt eben in einer anderen Welt. Und im Gegensatz zu Felix genießt er es. Felix ist sehr viel normaler, ihm hat man nie angemerkt, dass seine Eltern steinreich sind.

Als mein Blick auf die blütenreine schneeweiße Leinentischdecke fiel, seufzte ich unmerklich. Da würde man jeden Fleck sehen, den ich unweigerlich hinterlassen würde. Das konnte nicht gut gehen, ich war für so etwas nicht geschaffen. Man würde mir wahrscheinlich schon bei der Bestellung Hausverbot erteilen.

Aber ich musste gar nicht bestellen. Als der Kellner kam, sagte Max: »Wir hätten gerne zweimal das American Breakfast. Und bitte mit lila Muffins.«

»Lila Muffins?«, fragte ich, als der Kellner wieder weg war.

Max grinste: »Ich denke mir immer Sonderwünsche aus und warte auf den Tag, wo sie mal sagen: ›Haben wir nicht.‹«

»Bisher noch nicht vorgekommen, was?«

»Nope.«

Als das American Breakfast vor uns stand, war ich ziemlich beeindruckt. Tatsächlich hatten sie es geschafft, lila Muffins zu fabrizieren. Eine Schicht mit Blaubeersaft eingefärbter Mascarpone überzog die kleinen Kuchen. Oben drauf waren noch ein paar Blaubeeren gestreut. Hm, lecker! Begeistert war ich auch von den aufgestapelten Pancakes.

Ich wollte gerade anfangen, da sagte Max: »Mach dir von dem Ahornsirup drüber«, und deutete auf das Kännchen, das neben meinem Teller stand.

Ja, gute Idee. Offensichtlich gehört dazu etwas Übung und ein wenig Geschick, aber auf keinen Fall sollte man das Kännchen mit dem Sirup mit Schwung über die Pancakes gießen. Denn dann läuft der Sirup ebenfalls mit Schwung über den Tellerrand hinaus auf die Tischdecke.

»Ups«, kommentierte ich.

»Brauchst du noch mehr Sirup?«

War das ironisch gemeint oder fürsorglich?

Fürsorglich, denn nun schob er mir sein Kännchen entgegen. Aber ich hatte meine Pancakes bereits in Sirup ertränkt und sah etwas bedauernd auf die Tischdecke, wo sich der heruntergelaufene Ahornsirup langsam ausbreitete.

Wie aus dem Nichts erschien ein Kellner, tupfte mit einer Stoffserviette den Ahornsirup auf, entschuldigte sich und legte über den Fleck blitzschnell eine frische Serviette, die mein Missgeschick überdeckte. Ich war völlig perplex. Das ist ja interessant. Ich muss also nur in teure Restaurants gehen, dann flippen die Kellner nicht aus, wenn man was verschüttet oder einen Tisch zum Umkippen bringt. Normalerweise fliege ich immer raus und bekomme Hausverbot. Und hier entschuldigen sie sich dafür, dass ich tollpatschig bin. Das ist ja genial!

Trotzdem war es mir irgendwie unangenehm. »Ich hoffe echt, dass mich niemand hier sieht.«

»Die Leute, die dich kennen, wissen doch, dass du ungeschickt bist«, grinste Max. Also war sein Angebot mit dem Extrasirup doch ironisch gemeint.

Ich wollte eigentlich etwas empört reagieren, aber ich sagte bloß: »Nein, ich meinte, dass mich niemand mit dir hier sieht.«

Max sah erstaunt auf. »Wieso willst du nicht mit mir gesehen werden?«

»Das hab ich dir doch schon lang und breit erklärt: wegen Felix.«

Nach diesen Worten musste ich über mich selbst den Kopf schütteln. Wie absurd! So hatte die ganze Sache ja angefangen. Ich hatte eine harmonische Beziehung mit Felix, Max’ Zwillingsbruder. Dann war Max aufgetaucht, weil er wieder einmal von einer dieser teuren Privatschulen geflogen war und seine Eltern ihn nun in eine öffentliche Schule steckten, und zwar in meine. Als Max an seinem ersten Schultag bei uns in der Schule erschien, waren alle Mädels hin und weg. Max sieht supergut aus, ist charmant und witzig und es umgibt ihn ein Hauch von Arroganz, was ausgesprochen anziehend wirkt. Und als er mich dann überschwänglich herzlich begrüßte, weil ich ja die Freundin seines Bruders war, schoss ich auf der Coolnessskala enorm in die Höhe. Malou, die Anführerin der In-Clique, zeigte plötzlich Interesse an mir, grüßte mich und lud mich sogar zu ihrer Party ein. Also unter der unausgesprochenen Bedingung, dass ich Max mitbrachte. Dass ich schon lange mit seinem Zwillingsbruder fest befreundet war, hatte nie jemanden beeindruckt, obwohl sich die beiden absolut ähnlich sehen. Felix ist nicht so teuer gekleidet und er gelt sich die Haare nicht. Und, na ja, da ist noch der Coolnessfaktor. Über den verfügt Felix nicht. Als dann das Gerücht aufkam, ich sei mit Max zusammen, stellte ich das nicht sofort klar, sondern sammelte weiter Coolnesspunkte. Mein Leben wurde unübersichtlich und chaotisch. Das führte unweigerlich dazu, dass ich mit Felix ein klärendes Gespräch führen musste, und ich musste mir eingestehen, dass ich mich in Max verliebt hatte. Das war das Ende meiner Beziehung mit Felix. So gerne ich jetzt auch mit Max zusammen sein wollte, fand ich es unpassend und auch irgendwie unfair Felix gegenüber.

»Also Felix soll nicht wissen, dass du mit mir Zeit verbringst?« Max überlegte.

»Ja. Und auch niemand anders. Und deshalb sollten wir keine Zeit miteinander verbringen. Zumindest vorläufig nicht.«

Max sah mich etwas irritiert an, dann grinste er plötzlich breit. »Hey, das ist neu. Könnte ganz spannend werden. Geniale Idee, Jojo!«

Was? Wovon redete er? Aber sollte ich nun zugeben, dass ich keine Ahnung von meiner eigenen genialen Idee hatte? Ich lächelte etwas, sonnte mich in seiner Bewunderung und hoffte, möglichst bald zu erfahren, was ich gerade vorgeschlagen hatte.

Max grinste weiter vor sich hin. »Also, wie machen wir das?«, erkundigte er sich.

Ich hatte keine Chance, ich musste fragen. »Was?«

»Na, unsere heimlichen Treffen.«

»Heimliche Treffen?«

»Ja. Das hast du doch eben gesagt.«

Hatte ich? Nein. Hatte ich nicht.

Er war begeistert von der Idee und wenn ich darüber nachdachte – so schlecht war sie wirklich nicht. Ich wäre mit Max zusammen. Heimlich zwar, aber besser als gar nicht.

»Klar. Genau das habe ich gemeint: Wir treffen uns heimlich.«

 

Dienstagmittag, 16. September

 

Nach dem Frühstück lehnte sich Max zurück und fragte: »Was steht jetzt auf dem Programm?«

»Schule.«

»Nein, lass uns unser Doppelleben planen.«

»Wie bitte?«

»Wir könnten uns doch mal in einer anderen Stadt treffen oder über Verkleidungen nachdenken«, schlug Max vor.

Verkleidungen? Wie alt sind wir? Sieben? Ich nickte vage.

Er sah mich begeistert an. »Das ist echt cool! So was hatte ich noch nie.«

Mich beschlich kurz das Gefühl, dass ihm die Umstände, unter denen wir uns treffen würden, mehr Spaß machten als die Tatsache, dass wir uns treffen. Aber den Gedanken schob ich ganz schnell zur Seite.

Max war völlig aus dem Häuschen. »Und das hier wird ab jetzt unser ständiger Geheimtreff. Jeden Morgen zum Frühstück hier im Hotel«, plante Max munter weiter.

»Und was ist mit Schule?«, erkundigte ich mich.

Max winkte ab. »Ach, vergiss die Schule. Tägliche Anwesenheit wird total überbewertet.«

Ich verstand langsam, wieso sich Schulen so schnell wieder von ihm trennten.

»Also, ich gehe von Zeit zu Zeit doch ganz gern hin«, meinte ich.

»Was heißt das?«

»Das heißt, dass ich mich sehr schlecht fühle, weil ich jetzt hier bin statt in der Schule. Noch mal mache ich das auf keinen Fall.«

Max zuckte die Schultern. »Gut, dann treffen wir uns nachmittags um vier immer zum High Tea. Der wird hier wie in England serviert, mit Sandwichs, Scones und allem Drum und Dran. Und ich bestelle dir wieder die lila Muffins.«

»Okaaay.« Ich klang wohl etwas müde.

Max sah mich an. »Was ist? Die fandest du doch lecker, oder?«

»Ja, total. Die Muffins waren super.«

»Aber du scheinst gar nicht so begeistert. Ist doch ein guter Plan. Wir müssen nur darauf achten, dass wir wasserdichte Alibis haben und keine Spuren hinterlassen.«

Ein bisschen kam ich mir vor wie in einem billigen Agententhriller. »Hör mal, ich wollte keine Bank ausrauben, sondern mich einfach nur mit dir treffen, ohne dass Felix das mitbekommt. Zumindest am Anfang.«

»An was für einem Anfang?«

Na, am Anfang unserer Beziehung, dachte ich, sagte aber lieber: »Na, in der ersten Zeit nach meiner Trennung von Felix.«

»Ja, aber davon rede ich doch auch!« Er beugte sich über den Tisch, nahm meine Hand und blickte mir in die Augen. »Ich finde es perfekt. Du und ich, heimliche Treffen – das ist doch total aufregend.«

Ich war froh, dass ich saß, denn meine Knie wurden butterweich. Ich strahlte. Ja, das war perfekt. Lucilla würde ausflippen, wenn ich ihr das erzähle, so etwas ist genau ihre Kragenweite. Es ist aufregend und romantisch zugleich. Dann fiel mir ein, dass sie mir eindeutig zu verstehen gegeben hatte, ich solle mich auf keinen Fall von Felix trennen. Das war durchaus auch ein eigennütziger Rat, denn gerade hatten sich Felix und ihr Freund Valentin ein bisschen miteinander angefreundet und Lucilla hatte jede Menge Pärchenaktivitäten für uns vier geplant. Ich musste ihr die neue Entwicklung schonend beibringen.

Ich sah auf die Uhr. Lucilla war noch in der Schule und bestimmt machte sie sich Gedanken, wo ich blieb. Deshalb sollte ich jetzt schleunigst aufbrechen. Hm, aber ich wollte Max nicht enttäuschen und ihm sagen, dass ich so was Langweiliges tue, wie zur Schule zu gehen.

»Ich muss jetzt nach Hause.«

»Du kannst erst nach Schulschluss nach Hause gehen, sonst fällt es auf, dass du geschwänzt hast«, erklärte mir der Meister der Tricks und Täuschungen.

Damit hatte er natürlich recht, aber ich wollte ja auch gar nicht nach Hause gehen, ich wollte zur Schule. Mein schlechtes Gewissen plagte mich nämlich zunehmend. Ich bin nicht der Schulschwänzertyp. Also ich lege keinen großen Wert darauf, zur Schule zu gehen, aber der Gedanke, erwischt zu werden und Ärger zu bekommen, gefiel mir ganz und gar nicht. Ich überlegte, dass ich das Schuleschwänzen etwas abmildern könnte, wenn ich noch hingehen und mir irgendeine lahme Ausrede überlegen würde, wieso ich erst jetzt auftauchte. Zu spät zu kommen ist definitiv nicht so schlimm wie schwänzen.

»Doch, kann ich. Bei mir ist niemand zu Hause.«

»Dann können wir ja auch zu dir gehen.«

Nein!!! Ich wollte ja zur Schule.

»Toller Vorschlag. Ich denke, wir wollen nicht zusammen gesehen werden.«

»Das werden wir auch nicht. Du gehst jetzt nach Hause, ich verkleide mich als Paketbote und komme eine halbe Stunde später bei dir vorbei.«

»Hast du eine Uniform dabei und ein Paket?« Ich meinte das nicht ernst, sondern ich wollte ihn darauf hinweisen, dass sein Plan Lücken aufwies.

Max grinste. »Nein, aber ich kauf mir einfach gleich irgendwas Uniformähnliches.«

»Ach«, machte ich bloß. Ich hatte vergessen, dass Max ja über genug Geld verfügt, solche absurden Ideen auch in die Tat umzusetzen.

»Was ist deine Lieblingsfarbe? Ich besorge mir was in der Farbe.«

»Pink«, grinste ich.

Max grinste zurück. »Du glaubst, ich trau mich nicht?« Seine Augen funkelten und sein Lächeln war umwerfend, als er sagte: »Und ich kauf auch etwas für dich, was ich dir ganz offiziell liefern kann.«

Das war wirklich verlockend. Ich sah in seine Augen und schmolz dahin.

»In einer Stunde bin ich bei dir«, kündigte Max an.

Nein, lieber nicht! Ich kämpfte mit mir, bis wir in der Eingangshalle des Hotels standen und gerade rausgehen wollten. Dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, hielt ihn am Ärmel fest und sagte: »Max, das ist vielleicht doch keine so gute Idee …«

Er nahm mich in den Arm, erwiderte: »Da bin ich aber ganz anderer Meinung«, und küsste mich.

Alle meine guten Vorsätze waren dahin. Max ging. Ich blickte ihm seufzend nach und dann auf die Uhr: Ich hatte noch genug Zeit, um schnell zur Schule zu laufen.

 

Es hatte bereits zur zweiten großen Pause geklingelt, als ich ankam. Die ersten Schüler strömten auf den Schulhof. Ich hielt nach Frau Schröder Ausschau, unserer Klassenlehrerin. Sie war eine Hundeliebhaberin und ich hatte die perfekte Ausrede parat. Für alles, was mit einem Hund zu tun hatte, würde sie nämlich Verständnis haben. Und seit Neustem haben wir einen Hund. Eine Arbeitskollegin meiner Mutter hat ihn aus ihrem Spanienurlaub mitgebracht, aber ihr Vermieter erlaubte keine Hunde in der Wohnung und um ihn vor dem Tierheim zu retten, bat sie uns, ihn zu übernehmen. Der Hund ist nicht wirklich eine Bereicherung für unser Leben. Er ist ängstlich, sucht ständig Schutz unter Tischen und da drückt er sich dann so platt auf den Boden, dass er aussieht wie ein kleiner Fellteppich. Sein Lieblingsplatz ist unter unserem Couchtisch und das Einzige, was ihn hervorlocken kann, sind Leberwurstbrote. Ein weiterer Nachteil ist sein Name. Wir müssen ihn Señor Gonzalez rufen. Natürlich haben wir es mit Bello, Purzel, Hasso, Alf, Freddy und Leo versucht, aber ohne Erfolg. Nur wenn man Señor Gonzalez ruft, bewegt er den Kopf und sieht einen erwartungsvoll an.

Ich stand noch am Eingang zum Schulhof, da entdeckte ich Frau Schröder. Sie eilte schnurstracks auf mich zu. Mittlere Panik setzte bei mir ein. Aber als sie auf meiner Höhe war, sah sie mich nicht mal an und stoppte auch nicht, sondern ging Richtung Parkplatz. Ich erwachte aus meiner Starre, sprintete zu ihr und da sie immer noch nicht stehen blieb, lief ich neben ihr her, während ich mit ihr redete. »Es tut mir leid, dass ich heute so spät komme, aber Señor Gonzalez ging es nicht besonders gut.

»Señor Gonzalez?«, fragte sie etwas geistesabwesend, ohne ihr Tempo zu drosseln.

»Ja. Er ist erst seit Kurzem bei uns, er kommt aus Spanien. Wir haben ihn von einer Kollegin meiner Mutter übernommen, bei ihr war nicht genug Platz. Und er hat ein paar Anpassungsschwierigkeiten. Er ist extrem scheu. Und er machte einen sehr deprimierten Eindruck heute Morgen und ich brachte es nicht übers Herz, ihn alleine zu lassen.«

Frau Schröder nickte mitfühlend und meinte: »Das ist sehr lieb von dir. Lass dir von Lucilla erzählen, was wir durchgenommen haben, und sie soll dir die Hausaufgaben geben.«

Inzwischen standen wir vor ihrem Auto. »Sonst noch etwas? Ich muss nämlich jetzt dringend los.«

»Nein, alles okay.«

»Gut«, meinte sie, stieg in ihr Auto ein und fuhr los.

Ich sah ihr verblüfft hinterher. Wow, das war ja einfach!

Ich ging zurück auf den Schulhof, da kam Lucilla auch schon auf mich zu.

»Hey, Jojo, wo warst du denn?«

Ich dachte, ich würde mal besser bei derselben Geschichte bleiben, das würde mein Leben vereinfachen. »Ach, frag nicht!«, machte ich erschöpft.

»Wieso soll ich dich nicht fragen?«

»Nein, das meinte ich doch nicht so.«

»Das hast du aber eben gesagt.«

»Ja, aber ich wollte doch noch weiterreden und es dir erklären.«

»Du sagst erst ›Frag nicht‹ und dann beantwortest du die Frage?«

Lucilla verwirrte mich. Dabei brauchte ich doch jetzt volle Konzentration, um eine glaubwürdige Señor-Gonzalez-Geschichte zu basteln.

»Ich bin zu spät, weil es Probleme mit Señor Gonzalez gab.« Nur welche? Mit einer Hundedepression ließ sich Lucilla bestimmt nicht abspeisen. Ich fing etwas vage an. »Ich wollte gerade das Haus verlassen, dachte, ich sehe noch mal nach Señor Gonzalez …« Mir war noch nichts eingefallen.

Lucilla rief erschrocken dazwischen: »Er war weg!«

»Genau.« Damit konnte ich arbeiten. »Alle anderen waren schon gegangen, also blieb es an mir hängen, den Hund zu suchen.«

»Ach so.« Das reichte ihr bereits.

Aber ich war inzwischen in Fahrt und wollte weiterfabulieren. »Und du glaubst ja nicht, wo er war …«

»Doch, ich glaube es dir.« Ich sollte wirklich an meiner Ausdrucksweise arbeiten. Lucilla neigt dazu, Dinge zu wörtlich zu nehmen.

»Er war im Kleiderschrank im Flur. Jemand hat die Schranktür aufgelassen und er ist reingekrochen.« Mir gefiel die Geschichte. Lucilla hatte aber das Interesse verloren, also verzichtete ich auf weitere Ausschmückungen.

»Na, wenigstens kommst du rechtzeitig zur Mathearbeit.«

»Was? Wir schreiben jetzt Mathe? Murks! Das hatte ich völlig vergessen.«

Also, wenn man ein so kompliziertes Liebesleben hat wie ich, kann das schon mal passieren. Da gab es jetzt nur eins: Flucht.