BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
E-Book-Produktion:
César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1861-6
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Einsamer Weg
1
Es ist am späten Nachmittag, als Ringo Tyburn nach Pecos Flower hereingeritten kommt, scheinbar einer der vielen Reiter, die von weither in diese kleine Stadt kommen, um Einkäufe zu machen und sich auch ein wenig zu amüsieren. Denn die kleine Stadt am Pecos River ist auf mehr als hundert Meilen in der Runde sozusagen der Nabel der Welt.
Ringo Tyburn reitet auf einem erstklassigen Pferd, sitzt in einem wertvollen Sattel und wirkt auf den ersten Blick schon wie einer dieser zweibeinigen Tiger, die sich allein durch Verwegenheit behaupten und nach dem Leitspruch leben: Der Feige stirbt viele Tode, der Mutige nur einen.
Er reitet in den Hof der Schmiede und sagt dem heraustretenden Schmied, dass der Rotfuchs neue Eisen haben müsse. Dann fragt er höflich, ob dies heute noch geschehen könne, bis nach dem Abendessen, das er noch gerne in der Stadt einnehmen würde.
Der Schmied betrachtet den wunderschönen Fuchs und sieht, dass dieses Tier ein Dreihundert-Dollar-Pferd ist. Das ist eine riesige Summe, wenn man bedenkt, dass man hier im Pecos-Land schon für zwanzig Dollar ein Durchschnittspferd bekommen kann. Man schreibt das Jahr 1866. Bargeld ist knapp im Land. Denn man muss jetzt Yankee-Dollars haben.
»Das mache ich«, sagt der Schmied. »Für zwei Dollar mache ich das. Dieses Tier braucht besondere Eisen. Die muss ich sehr sorgfältig schmieden. Zwei Dollar, Mister.«
Ringo Tyburn nickt stumm. Dann nimmt er dem Tier Sattel und Gepäck ab und legt alles, auch das Gewehr im Sattelholster, auf die Bank beim Brunnen. Er wäscht sich dort den Staub aus Gesicht und Nacken und streicht sich die blonden Haare zurück. Sie sind lang und fallen ihm bis über den Hemdkragen nieder.
In seinen blauen Augen ist ein warnendes Glitzern, als er sagt: »Und behandeln Sie meinen Rotfuchs wie einen Edelmann. Wenn Sie jemanden haben, der ihn gut versorgt, dann zahle ich noch einen Dollar mehr.«
»Das wird mein Gehilfe gerne tun«, sagt der Schmied und sieht ihm dann nach. Dabei denkt er: Der lebt von seinem Colt, und es fragt sich nur, auf welche Weise, auf die gute oder die böse. Ja, das ist die Frage.
Doch dann macht er sich an die Arbeit und ruft nach seinem Gehilfen, der in einem Schuppen beim Aufräumen ist und nach einer Stahlstange sucht, aus der sich eine Wagenachse schmieden lässt.
Ringo Tyburn aber wandert sporenklingelnd die Hauptstraße von Pecos Flower entlang. Als er an der Pecos-Bank vorbei kommt, glitzern seine leuchtend blauen Augen. Aber er betrachtet die Bank nicht besonders auffällig, sondern geht lässig an ihr vorbei.
Aus Nancy McLornes Schneiderladen tritt ein Mann.
Sie halten beide inne und betrachten sich. Dann sagt Ringo Tyburn mit einem Lachen in der Kehle: »Oho, Jake, da bist du ja. Ich hörte schon in El Paso, dass du herübergekommen seiest. Vielleicht habe ich dich sogar gesucht. Was würdest du sagen, wenn ich zugebe, nach dir gesucht zu haben?«
Jake Galloway ist so groß wie Ringo Tyburn, nur dunkel wie ein Comanche, mit hellgrauen Augen. Als er nun lächelt, blinken seine Zahnreihen in seinem dunklen und verwegenen Gesicht. In seinen Augen ist ein harter Ausdruck, als er sagt: »Ringo, der alten Zeiten wegen lade ich dich zu einem Drink ein, der alten, wilden und rauchigen Zeiten wegen, als wir noch zusammen ritten, unsere Colts vermieteten, Pferde und Rinder stahlen drüben in Mexiko und so allerlei taten, auf was wir nicht sehr stolz sein konnten. Gehen wir!«
Sie schreiten nun nebeneinander her, und man sieht ihnen an, dass sie irgendwie zur gleichen Sorte gehören, zweibeinige Tiger sind, um es mit diesem Vergleich zu beschreiben, der sicherlich sehr treffend ist.
Sie erreichen den Pecos Flower Saloon und gehen hinein.
Mike O’Nelly, der dabei ist, mit einer Fliegenklatsche einen dicken Brummer zu jagen, unterbricht die Jagd, um zwei Gläser mit Bier zu füllen.
Er betrachtet Ringo Tyburn vorsichtig, so als wüsste er genau, dass dieser ein auffälliges Anstarren als Herausforderung betrachten würde.
Sie leeren dann beide die Biergläser mit durstigen Zügen.
Im Hintergrund des Raumes steht ein Billardtisch.
»Spielen wir?« So fragt Ringo Tyburn. Jake Galloway nickt stumm, und er weiß, dass Ringo Tyburn mit ihm ohne Zuhörer reden will. Das muss so sein, denn warum sonst hätte Tyburn nach ihm gesucht?
Sie beginnen ihre Billardpartie zuerst schweigend.
Mike O’Nelly nimmt indes mit der Fliegenklatsche die Jagd auf den dicken Brummer wieder auf, der sich sogar manchmal auf seine Glatze setzt, was O’Nelly nicht davon abhält, mit der Klatsche nach ihm zu schlagen.
Ringo Tyburn sagt nach einer Weile zwischen zwei Stößen: »Bist du nicht neugierig, warum ich nach dir suchte?«
»Ich kann es mir denken«, erwidert Jake Galloway. »Du bist dabei, die alte Mannschaft wieder zusammenzuholen. Der Krieg hatte uns getrennt. Damals mussten wir nach allen Richtungen die Flucht ergreifen. Ich ritt nach Mexiko hinüber. Du möchtest das verwegene Rudel wieder zusammenholen für neue Unternehmungen.«
»Richtig«, erwidert Ringo Tyburn. »Es kommen jetzt überall Yankee-Dollars ins Land. In allen Städten werden die Banken damit gefüllt, um Kredite vergeben zu können für den Aufbau und Aufschwung. Die reichen Yanks im Osten wollen auf diese Weise den Süden schlucken. Ich kenne mehr als ein halbes Dutzend Städte wie diese hier, in denen was zu holen ist. Und wenn wir das Geld haben, gehen wir hinüber nach Mexiko und leben wie reiche Hidalgos. So einfach ist das. Wir müssen nur die alte Mannschaft wieder zusammenholen. Ich fand schon Bat Jordan und Morg Allister. Mit dir sind wir vier. Dann müssten wir noch zwei von der alten Mannschaft finden. Weißt du …«
»Nein«, unterbricht ihn Jake Galloway ruhig und macht erst einen Stoß, bevor er wieder spricht.
Aber als er dies dann tut, sind seine Worte für Ringo Tyburn mehr als nur eine Enttäuschung, sehr viel mehr. Sie sind eine Warnung.
Denn er sagt: »Ringo du hast zwar erfahren, dass ich hier in Pecos Flower bin, aber das ist noch nicht alles. Du weißt ja, ich ritt damals vor vielen Jahren als wilder Junge von hier fort, um mir ein Stück von dieser Welt zu erobern. Doch ich wurde nur ein Revolvermann und Sattelpirat. Ich kam hierher zurück, um nach dem Mädchen zu sehen, welches ich schon damals als großer Junge haben wollte. Aber dann – als ich eine Weile hier war und Nancy gefragt hatte, ob sie mich heiraten wolle –, da gaben sie mir hier den Stern. Verstehst du, sie machten mich vor einer Woche zum Sheriff. Und nun haben sie mein Wort. Dass ich ein guter Sheriff sein werde.«
Nach diesen Worten schlägt Jake Galloway seine Lederweste weit genug auf, so dass Ringo Tyburn den Stern auf der Hemdtasche sehen kann.
Tyburn starrt Galloway ungläubig an.
»Das kann doch nicht wahr sein«, sagt er. »Das ist ein Scherz, ein blöder Scherz. Das gibt es doch gar nicht.«
Aber Galloway nickt ganz ruhig und gelassen. »Weißt du. Ringo«, sagt er langsam mit nachsichtiger Freundlichkeit, »was ich dir jetzt erklären möchte, ist eigentlich auch ganz einfach. Wir waren wilde Burschen. Wir vermieteten unsere Colts, kämpften für mächtige Burschen, denen es darum ging, ihre Macht zu erhalten. Wir waren angeworbene Coltritter. Und als dann der Krieg ausbrach, da stahlen wir Pferde- und Rinderherden, um damit Armeen zu versorgen. Zuletzt mussten wir in alle Himmelsrichtungen flüchten, denn nur allein hatte jeder von uns eine Entkommenschance. Als ich hierher in diese Stadt kam, stand ich am Scheideweg. Ich konnte zwei Wege gehen, doch für einen dieser beiden Wege musste ich mich entscheiden. Deinen Weg wäre ich fast gegangen. Aber da war Nancy, die meine Frau werden will. Und hinzu kam die Chance, die die Stadt mir gab. Ich nahm also diesen Weg. Jetzt bin ich hier der Sheriff. Und als solcher sage ich dir: Hau ab und komm nie wieder. Bleib aus meinem Distrikt, nicht nur aus meiner Stadt – nein, aus meinem Distrikt. Sonst müsste ich als Sheriff meine Pflicht tun. Denn diese Stadt hat mein Wort. Ich werde es halten. Hast du alles gut verstanden?«
Ringo Tyburn starrt ihn wieder ungläubig an.
Heftig schüttelt er den Kopf.
»Dass sich ein Bursche deiner Sorte so sehr ändern kann …«, murmelt er mit einem Klang von Bedauern in der Stimme.
Dann legt er den Billardstock hin, geht zur Bar, wirft dort ein Geldstück auf die Platte und tritt hinaus auf die Straße.
Die Sonne versank indes hinter den Pecos-Hügeln. Der Abend ist gekommen.
Ringo Tyburn verspürt Hunger. Als er sich nach einem Restaurant umsieht, fällt sein Blick auch auf den kleinen Schneider- und Modeladen.
Auf dem Schild liest er:
Schneiderei, Frauen-
und Kindermoden
Herrenhemden-Anfertigung.
Nancy McLorne
Er setzt sich in Bewegung und betritt wenig später den Laden, in dem schon eine Lampe brennt. Nancy McLorne ist dabei, in einem großen Kasten nach bestimmten Knöpfen zu suchen. Drei hat sie davon schon neben dem Kasten auf dem Ladentisch liegen. Nun findet sie einen vierten.
Dann blickt sie auf und sieht in Ringo Tyburns Augen.
Tyburn nimmt seinen Hut ab. »Ich bin Tyburn«, sagt er. »Ringo Tyburn. Ich wollte Sie sehen, Nancy McLorne. Denn ich bin ein alter Sattelpartner von Jake. Ich wollte die Frau sehen, die ihn sesshaft machen konnte.«
Er macht eine kleine Pause. Sie sieht ihn fest an, und sie spürt, dass etwas von ihm ausgeht, was in sie einzudringen versucht.
Sie denkt: Sein Instinkt muss der eines Raubtiers sein. Ein gefährlicher Mann, der sich stets nimmt, was er haben will. Und er würde auch mich haben wollen, wenn nicht Jake wäre.
Sie lächelt ein wenig und spricht dann: »Nun gut. Mister Tyburn. Jetzt haben Sie mich gesehen. Was wollen Sie noch?«
»Nun verstehe ich Jake besser«, erwidert er und wendet sich zur Tür.
Als er sie öffnet und hinaus will, prallt er fast gegen Jake.
Sie halten dicht voreinander inne.
Und nun spüren sie zum ersten Mal den gegenseitigen Anprall einer beginnenden Feindschaft.
»Ja, die alten Zeiten sind vorbei. Jake«, murmelt Ringo Tyburn. »Jetzt weiß ich es genau.«
»Das ist gut«, erwidert Jake Galloway. »Und dann vergiss auch meine Worte nicht. Bleib weg von meiner Stadt und meinem Distrikt! Der alten Zeiten wegen bleib nur immer weg.«
»Vielleicht – vielleicht auch nicht«, erwidert Ringo Tyburn mit einem Klang von Belustigung in der Kehle. »Du weißt ja, Jake, ich nehme Herausforderungen stets an. Wir werden sehen. Ich gehe jetzt zum Abendessen. Und wenn der Schmied mein Pferd beschlagen hat, reite ich weiter.«
Jake Galloway nickt nur stumm und gibt ihm den Weg frei.
Er sieht ihm dann nach. Nancy McLorne tritt neben ihn. Ihre Hand schiebt sich in die seine. Und sie sagt: »Vielleicht wart ihr früher mal Freunde, aber jetzt seid ihr das gewiss nicht mehr – oder?«
»Nein, jetzt wohl nicht mehr«, murmelt er. »Wir befinden uns auf verschiedenen Wegen. Die alten Zeiten sind vorbei. Du und diese Stadt, ihr habt mein Wort. Und in zwei Wochen wirst du meine Frau.«
2
Es vergehen drei Monate. Manchmal kommen mit den Postkutschen Nachrichten nach Pecos Flower, auch Zeitungen, in denen man es schwarz auf weiß lesen kann.
Man kennt nun überall im Pecos Land zwischen der Mexiko-Grenze und Santa Fé die Tyburn-Bande. Denn sie überfiel schon in einem halben Dutzend kleiner Städte die Banken und raubte stets ziemlich hohe Summen.
Dabei gab es bereits einige Tote und viele Verletzte. Denn die Banditen zögern nicht zu schießen. Wer sie aufhält oder bedroht, den schießen sie nieder.
Sie alle sind gefährliche Schützen. Und nach jedem Raubüberfall trennen sie sich und verschwinden in alle Richtungen.
Nur in Pecos Flower versuchten sie noch nicht ihr Glück.
Und allmählich beginnt man im ganzen Land zwischen Santa Fé und El Paso darüber zu munkeln, dass der Sheriff von Pecos Flower und die Banditen früher einmal Sattelgefährten waren auf rauchigen Fährten und Pecos Flower deshalb verschont wird.
Auf die Ergreifung der Banditen sind hohe Kopfpreise ausgesetzt, besonders auf Ringo Tyburn, der ständig sein Aussehen verändert, sich sogar die hellblonden Haare färbt.
Viele Aufgebote und Kopfgeldjäger sind hinter der Bande her, aber niemand schafft es, auch nur einen der Banditen zu erwischen. Letztere haben auch überall im Land Freunde, bei denen sie Unterschlupf finden und von denen sie gewarnt werden. Denn sie zahlen gut für jede Hilfe von ihrem Raubgeld.
So vergehen also drei Monate.
Im ganzen Land zu beiden Seiten des Pecos fragt man sich, wann wohl die Bank in Pecos Flower an die Reihe kommen wird. Denn es hat sich herumgesprochen, dass auf dieser Bank zurzeit viel Geld liegt. Eine große Grund- und Bodenverwertungsgesellschaft aus dem Osten hält hier Geld bereit für Kredite an Rancher und Farmer, auch für die hereinströmenden Heimstättensiedler.
Das ganze Land zu beiden Seiten des Pecos soll jetzt erschlossen werden und durch den Fleiß der Menschen den Geldgebern Gewinne bringen.
Denn rings um Pecos Flower – bis zu zwanzig Meilen in der Runde – ist noch sehr viel Land frei.
Auch Sheriff Jake Galloway fragt sich manchmal besonders in den Nächten, wenn er wach ist und Nancy neben sich atmen hört –, ob Ringo Tyburn es wagen wird, hier in Pecos Flower einen Coup zu landen.
Was würde dann sein?
Diese Frage stellt er sich immer wieder. Aber es kann für ihn nur eine einzige Antwort geben. Er hat Tyburn gewarnt.
Und wenn Tyburn diese Warnung als eine Herausforderung betrachtet, dann muss er wissen, dass es keine Gnade geben kann.
Sie haben beide sehr verschiedene Wege eingeschlagen, und jeder dieser Wege kann in die Hölle führen. Immer dann, wenn Jake Galloway mit seinen Gedanken an diesem Punkt anlangt, dann lauscht er noch schärfer nach Nancys Atemzügen.
Ja, sie ist nun fast schon ein Vierteljahr seine Frau und macht ihn – so wie er meint – zum glücklichsten Mann auf dieser Erde.
Wenn dies nur immer so bleiben könnte! Der Wunsch in ihm ist dann stets wie ein stummer Ruf, nein, wie ein Schrei. Denn tief in seinem Kern verspürt er ständig eine ungute Ahnung. Und es ist ihm, als zögen sich die schwarzen Wolken eines Unwetters über ihm zusammen.
Ja, er spürt Furcht.
Denn er weiß, dass es gegen das Schicksal kein Ankämpfen geben kann. Glück oder Unglück sind jedem Menschen vorbestimmt.
Jake Galloway macht sich also immer wieder sorgenvolle Gedanken.
Doch dann wieder – wenn Nancy erwacht und sich in seine Arme rollt –, vergisst er alles in seinem Glück.
***
Es ist gegen Mittag eines der folgenden Tage, als Jake Galloway von einem kleinen Rancher um Hilfe ersucht wird, dem man seine sechs Zuchtstuten aus dem Corral stahl.
An den Fährten kann Jake Galloway erkennen, dass es sich nur um zwei Pferdediebe handelt. Und so sagt er dem Rancher, dass er bei seiner Familie bleiben solle. Er selbst nimmt allein die Fährte auf. Sie führt nach Westen in die Hügel hinein.
Jake Galloway weiß genau, auf was er sich einlässt, als er die Fährte aufnimmt. Ja, es könnte sein, dass man ihn aus der Stadt locken wollte und er bald in einen Hinterhalt reiten wird.
Doch was bleibt ihm anderes übrig?
Der Rancher ersuchte ihn um Hilfe. Er muss als Sheriff seine Pflicht tun. Und es kann ja auch durchaus sein, dass es sich tatsächlich nur um zwei Pferdediebe handelt und nicht mehr hinter der Sache steckt.
Er muss sich auf seinen Instinkt verlassen, der ihn warnen wird, wenn eine Gefahr auf ihn lauert. Dieser Instinkt hat ihn schon oft auf seinen rauen Wegen gewarnt.
Und so wird es wohl auch diesmal sein. Er verlässt sich darauf und folgt der Fährte wie ein ständig witternder Wolf.
Als er durch eine Hügellücke den Anfang eines kleinen Tales erreicht, hält er an. Denn sein Instinkt warnt ihn nun jäh und scharf, so als träfe ihn ein kalter Hauch. Ja, auf dieses Ahnungsvermögen konnte er sich schon immer verlassen. Verdammt, denkt er, was soll ich tun? Dort vor mir sind Waldinseln, auch Felsengruppen, Bodenwellen, fast schon kleine Hügelrücken. Und überall in dieser guten Deckung kann ein Bursche mit einem Büffelgewehr liegen, der mich auf dreihundert Yard Entfernung erledigen könnte.
Er atmet einige Male tief ein und aus.
Dann entschließt er sich. Denn wenn er nicht aufgeben oder einen großen Umweg machen will, dann muss er etwas wagen.
Es ist schwer, mit einem Büffelgewehr – einer Sharps – ein sich in großer Entfernung rasch bewegendes Ziel zu treffen. Mit Büffelgewehren schießt man auf stehende oder im Grase ruhende Büffel. Eine Sharps ist keine Waffe für rasche Schnappschüsse.
Und so reitet Jake Galloway jäh an und lenkt sein Pferd immer wieder nach rechts und links. Er darf dem Schützen – sollte hier einer auf ihn lauern – keine Gelegenheit zum ruhigen Zielen geben.
Natürlich ist es ein großes Wagnis. Der Bursche könnte ein wahrer Kunstschütze sein oder ganz einfach nur Glück haben mit einem Schuss.
Er kommt auf seinem geschmeidig und leicht springenden Pferd etwa fünfzig Yard vorwärts. Dann hört er die Kugel pfeifen. Und auch das Krachen des Schusses vermeint er durch den Hufschlag seines galoppierenden Pferdes zu hören.
Er stößt einen wilden Schrei des Triumphes aus, denn er weiß, dass diese Sharpsgewehre nur einschüssig sind und der verborgene Schütze nun erst die leere Hülse auswerfen und eine neue Patrone einlegen muss. Vielleicht schafft er es in diesen Sekunden noch bis in die Deckung einer kleinen Waldinsel, über die der Schütze auf dem Hügelrücken hinwegschießen konnte. Fast schafft er es, doch nicht ganz.
Der zweite Schuss folgt dem ersten rascher, als Jake hoffte. Der heimtückische Schütze lud unwahrscheinlich schnell.
Die schwere Kugel trifft Jake Galloways Pferd mitten in die Stirn. Wahrscheinlich rettet das Tier so Jakes Leben. Denn es fängt die Kugel auf, weil es in diesem Sekundenbruchteil den Kopf hochnimmt und zugleich ein kleines Hindernis überspringt.
Galloway kommt gut aus dem Sattel, rollt über den Boden und bleibt einige Atemzüge lang benommen liegen.
Als er sich dann endlich schnell in Deckung rollt, fällt kein Schuss mehr. Er macht sich nun zu Fuß auf den Weg, findet überall Deckung und arbeitet sich bald den Hang hinauf.
Aber oben findet er nur die beiden Papphülsen der Patronen und die Spuren des Mannes und dessen Pferdes. Der Bursche ging kein Risiko mehr ein und machte sich aus dem Staub. Er wusste zu gut, dass der Sheriff nun dicht genug herangekommen war und überall Deckung finden würde.
Jake Galloway setzt sich erst einmal auf einen großen Stein und denkt nach. Er atmet noch etwas rascher als sonst.
Es gibt immer noch zwei Möglichkeiten als Erklärung für diesen Hinterhalt.
Die Pferdediebe wollten den Verfolger aufhalten. Oder es waren gar keine richtigen Pferdediebe, sondern Burschen, denen es nur darum ging, den Sheriff aus der kleinen Stadt Pecos Flower herauszulocken.
Je länger Jake Galloway darüber nachdenkt, umso mehr hält er diese zweite Möglichkeit für wahrscheinlicher.
Denn in den vergangenen Wochen hat er immer wieder über Ringo Tyburn und dessen Bande nachgedacht. All die kleinen Städte, in denen es Bankhäuser gab, wurden schon überfallen, nur die Bank in Pecos Flower noch nicht.
Als er damals Ringo Tyburn warnte, nicht mehr in seinen Distrikt und in seine Stadt zu kommen, da hatte Tyburn sich herausgefordert gefühlt. Und dass Galloway nicht mehr mit ihm reiten wollte und ein neues Leben begann, darüber ärgerte sich Tyburn wie über einen Verrat.
Für ihn war Galloway ein Aussteiger, ein Abtrünniger, ja ein Deserteur, der auf die andere Seite wechselte, nur weil man ihm einen Blechstern gab.
Jake Galloway hatte immer gewusst, dass Tyburn und das wilde Rudel eines Tages kommen würden, um auch die Bank in Pecos Flower auszurauben.
Er erhebt sich nach einer Weile und geht zu seinem toten Pferd zurück, nimmt dem Tier den Sattel ab und lädt sich diesen auf.
Dann macht er sich auf den Rückweg.
Und er weiß, was auch passiert sein mag in Pecos Flower, er wird um Stunden zu spät kommen. Alles wird schon geschehen sein. Er kann es hier nicht verhindern. So einfach war es, ihn aus der Stadt zu locken.
Der kleine Rancher, dem sie die Pferde stahlen, hatte ein Recht auf die Hilfe des Sheriffs. Er musste reiten.
Und nun muss er laufen. Dennoch hatte er großes Glück.