Cover

Nora Roberts

Die O’Haras 3

Hinter dunklen Spiegeln

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Anne Pohlmann

Wilhelm Heyne Verlag
München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe Skin Deep
ist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © 1988 by Nora Roberts
Published by Arrangement with Eleanor Wilder
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by MIRA Taschenbuch
in der Cora Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Fotos von Thinkstock
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-12057-3
V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

PROLOG

»Ich weiß nicht, was wir mit dem Mädchen machen sollen.« Frank O’Hara fuhr sich noch einmal mit der Puderquaste übers Kinn, damit es gleich auf der Bühne nicht glänzte. »Ach Molly, du machst dir zu viele Sorgen.«

»Sorgen?« Molly mühte sich mit dem Reißverschluss ihres Kleides ab, blieb aber in der Garderobentür stehen, um den Gang im Auge behalten zu können. »Frank, wir haben vier Kinder, und ich liebe sie alle. Doch Carrie bringt nichts als Ärger.«

»Du bist dem Mädchen gegenüber zu hart.«

»Weil du nicht hart genug bist.«

Auflachend drehte sich Frank um und nahm seine Frau in die Arme. Gut zwanzig Jahre Ehe hatten seine Gefühle für Molly um nichts schwächen können – auch wenn sie die Mutter seines zwanzigjährigen Sohnes und seiner drei Teenie-Töchter war. »Molly, mein Schatz, Carrie ist ein wunderschönes, junges Mädchen.«

»Und sie weiß es.« Unruhig behielt Molly über Franks Schultern die Tür am Ende des Korridors im Auge. Wo blieb das Mädchen? In fünfzehn Minuten mussten sie auf die Bühne.

Bei der Geburt ihrer drei Töchter, die nur um Minuten auseinanderlagen, hatte sie nicht im Traum daran gedacht, dass die älteste ihr mehr Sorgen als die beiden anderen zusammen bereiten würde.

»Gerade wegen ihres Aussehens kommen die Schwierigkeiten«, fuhr Molly halblaut fort. »Wenn ein Mädchen wie Carrie aussieht, müssen ihr die Jungen einfach in Scharen nachlaufen.«

»Sie weiß mit den Jungen umzugehen.«

»Das bereitet mir zusätzliche Sorge. Sie weiß zu gut mit ihnen umzugehen. Sie ist erst sechzehn, Frank.«

»Und wie alt warst du, als du und ich …«

»Das war etwas anderes«, unterbrach Molly ihn, musste aber sofort über das eindeutige Grinsen ihres Mannes lachen. Sie wischte etwas Puder von seinen Rockaufschlägen. »Sie könnte nicht das Glück haben, einen Mann wie dich kennenzulernen.«

»Und was ist das für eine Art von Mann?«

Sie ließ die Hände auf seinen Schultern liegen und sah ihn an. Sein Gesicht war schmal und mittlerweile von Fältchen gezeichnet, doch die Augen waren immer noch die des wortgewandten jungen Mannes, der ihr den Kopf verdreht hatte. Auch wenn er ihr nie den Mond auf einem silbernen Tablett gebracht hatte, wie einmal von ihm versprochen, waren sie doch Lebenspartner im wahrsten Sinne des Wortes geworden – in Freud und Leid, durch dick und dünn. Und es hatte viel Dünnes gegeben. Mehr als die Hälfte ihres Lebens hatte sie mit diesem Mann verbracht, und doch gelang es ihm immer noch, sie zu bezaubern.

»Ein lieber Mann.« Sie küsste ihn auf den Mund. Doch beim Geräusch der ins Schloss fallenden Tür entzog sich Molly ihrem Mann.

»Nun fall nicht gleich über sie her, Molly.« Frank hielt seine Frau am Arm fest. »Dann verschließt sie sich doch nur. Außerdem ist sie jetzt ja da.«

Verdrießlich sah Molly ihrer Tochter Carrie entgegen, die einen leuchtend roten Pullover und eine eng anliegende schwarze Hose trug, die die Linien ihres jugendlich aufblühenden Körpers betonten. Die frische Luft hatte Farbe auf ihre Wangen gebracht, wodurch die schon jetzt fast elegante Linie ihrer Wangenknochen noch unterstrichen wurde. Ihre Augen waren von einem sehr, sehr tiefen Blau und blickten kess und selbstbewusst.

»Carrie.«

Mit dem ihr eigenen Gespür für ein wirkungsvolles Sich-in-Szene-Setzen drehte sich Carrie vor der Garderobe, die sie mit ihren Schwestern teilte, um. »Mom.« Ein kleines Lächeln lag um ihre Mundwinkel, das sich vertiefte, als ihr Vater ihr über die Schulter ihrer Mutter zuzwinkerte. Sie wusste, auf Dad konnte sie immer zählen. »Ich weiß, ich bin etwas spät, aber ich schaffe es ja noch. Michael hat mich seinen Wagen fahren lassen«, fügte sie begeistert hinzu.

»Den tollen kleinen roten Flitzer?« begann Frank und hüstelte dann, als er Mollys missbilligenden Blick bemerkte.

»Carrie, du hast deinen Führerschein erst seit ein paar Wochen.« Wie hasste Molly solch tadelnde Zurechtweisungen. Sie wusste, wie es war, wenn man sechzehn war. Und weil sie es wusste, musste sie auf der Hut sein. »Dein Vater und ich halten dich noch nicht für erfahren genug, um einen Wagen zu fahren, wenn nicht einer von uns dabei ist. Und außerdem«, fuhr sie fort, bevor Carrie Widerspruch anmelden konnte, »ist es dumm, sich ans Steuer eines fremden Wagens zu setzen.«

»Wir waren auf den Landstraßen.« Carrie trat auf sie zu und küsste ihre Mutter auf beide Wangen. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Ich brauche etwas Spaß, sonst gehe ich ein wie eine Primel.«

Da Molly ihre Tochter zu gut kannte, ließ sie sich nicht erweichen. »Carrie, du bist noch zu jung, um mit irgendeinem Jungen auszufahren.«

»Michael ist kein Junge. Er ist einundzwanzig.«

»Was meine Meinung nur noch bestärkt.«

»Er ist ein Anmacher«, bemerkte Terence ruhig, der sich ihnen näherte. Er zog nur eine Braue hoch, als Carrie sich mit funkelnden Augen zu ihm umdrehte. »Und wenn ich herausbekomme, dass er dich anfasst, dann wird er sein blaues Wunder erleben.«

»Das geht dich nichts an.« Es war eine Sache, von ihrer Mutter zurechtgewiesen zu werden, doch etwas ganz anderes, wenn sie es sich von ihrem Bruder anhören musste. »Ich bin sechzehn, nicht sechs, und ich habe es satt, bevormundet zu werden.«

Beim Anblick der beiden spürte Frank Stolz in sich aufsteigen. Die beiden waren die Hitzköpfe der Familie, und er liebte sie von ganzem Herzen. »In Ordnung, in Ordnung.« Beschwichtigend stellte er sich zwischen die beiden. »Das hat alles Zeit bis später. Jetzt muss Carrie sich umziehen. Zehn Minuten, Prinzesschen«, sagte er halblaut zu ihr. »Und nicht trödeln. Komm, Molly, wir wollen die Leute draußen in Stimmung bringen.«

Molly warf Carrie einen Blick zu, der ihr zu verstehen gab, dass die Angelegenheit noch nicht erledigt war. »Du verstehst hoffentlich, dass wir ein Recht haben, uns Sorgen um dich zu machen.«

»Vielleicht.« Carries Kinn war noch entschlossen vorgestreckt. »Aber du brauchst es nicht. Ich kann schon seit einer Weile auf mich selbst aufpassen.«

Mit einem kleinen Seufzer folgte Molly ihrem Mann zu der kleinen Bühne, wo sie sich den Lebensunterhalt für den Rest der Woche verdienen würden.

Alles andere als besänftigt, musterte Carrie ihren Bruder erneut. »Ich entscheide, wer mich anfasst, Terence. Vergiss das nicht.«

»Pass lieber auf, dass dein Freund mit dem tollen Wagen sich anständig benimmt. Es sei denn, es gefällt dir, wenn er beide Arme in Gips hat.«

»Ach, geh zum Teufel.«

»Möglich«, entgegnete er leichthin und zog sie dann leicht am Haar. »Ich werde dir dann den Weg zeigen, mein liebes Schwesterchen.«

Weil sie am liebsten gelacht hätte, riss Carrie die Tür auf und warf sie ihrem Bruder vor der Nase zu.

Maddy, die Alana beim Zuknöpfen ihres Kostüms half, blickte auf. »Hast du dich doch noch entschlossen zu kommen?«

»Fang du jetzt bitte nicht auch noch davon an.« Carrie nahm ihr Kostüm, das gleiche wie das ihrer Schwestern, von der Garderobenstange.

»Fällt mir nicht im Traum ein – obwohl es sich eben vom Flur her ganz interessant angehört hat.«

»Wenn sie sich wegen mir doch endlich nicht mehr so anstellen würden.« Carrie zog ihren Pullover über den Kopf.

»Sieh es doch einmal so herum«, entgegnete Maddy. »Sie sind so damit beschäftigt, sich wegen dir anzustellen, dass sie sich kaum einmal Alana und mich vornehmen können.«

»Ihr steht also in meiner Schuld.«

»Mom hat sich wirklich Sorgen gemacht«, warf Alana ein.

Carrie spürte jetzt doch ein kleines Schuldgefühl. »Das braucht sie nicht. Mit mir ist alles in Ordnung, und ich habe meinen Spaß gehabt.«

»Hat er dich wirklich seinen Wagen fahren lassen?«, fragte Maddy interessiert und nahm die Bürste, um Carrie beim Frisieren zu helfen.

»Ja. Ich habe mich gefühlt wie … Ich weiß auch nicht. Irgendwie wichtig.« Sie sah sich in dem kleinen, fensterlosen Raum mit seinem Betonboden und schäbigen Wänden um. »Wisst ihr, ich will einfach nicht immer in einem Loch wie diesem stecken.«

»Jetzt klingst du ganz wie Dad.« Lächelnd rückte Alana ihr die Schminkdöschen zurecht.

»Nein.« Aus jahrelanger Erfahrung heraus trug sich Carrie schnell ihr Make-up auf. »Eines Tages werde ich eine Garderobe haben, die dreimal so groß ist. Ganz in Weiß, mit einem Teppich, der so dick ist, dass man bis zu den Knöcheln einsinkt.«

»Ich hätte es lieber farbig«, entgegnete Maddy und ließ sich einen Moment lang von der Träumerei anstecken. »Farben über Farben.«

»Weiß«, betonte Carrie. Sie erhob sich rasch vom Schminktisch, um sich ihr Kostüm anzuziehen. »Und an der Tür ist ein Stern. Ich werde in einer Limousine fahren und habe einen Sportwagen, neben dem der von Michael wie ein Spielzeug aussieht.« Ihre Augen waren ganz dunkel geworden, während sie das Kostüm überzog, das schon unzählige Male geflickt worden war. »Und ein Haus mit einem Riesengarten, und einen gekachelten Pool.«

Weil der Hang zum Träumen ihnen vererbt worden war, spann Alana das Bild weiter aus, während sie Carries Kostüm hinten zuknöpfte. »Wenn du ins Restaurant gehst, erkennt der Besitzer dich sofort und gibt dir den besten Tisch und eine Flasche Champagner auf Kosten des Hauses.«

»Du bist den Fotografen gegenüber immer freundlich.« Maddy gab Carrie ihre Ohrringe. »Und verweigerst nie ein Autogramm.«

»Natürlich.« Carrie befestigte die Glasklips an ihren Ohren und träumte von Diamanten. »Es gibt im Haus zwei riesige Prunkzimmer für meine beiden Schwestern. Abends sitzen wir zusammen und essen Kaviar.«

»Lieber Pizza«, verbesserte Maddy sie.

»Pizza und Kaviar«, warf Alana ein.

Lachend legte Carrie die Arme um die Taillen ihrer Schwestern. »Wir werden es weit bringen. Wir werden uns einen Namen machen.«

»Das haben wir doch schon«, entgegnete Alana. »›Die O’Hara-Drillinge‹.«

Carrie betrachtete ihr Spiegelbild. »Und den wird niemand jemals vergessen«, sagte sie leise.