Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.)

Blut und Ehre

Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.)

Blut und Ehre

Geschichte und Gegenwart

rechter Gewalt in Deutschland

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

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1. Auflage, September 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von Juni 2013)

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Satz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag, Berlin

ISBN 978-3-86284-236-0

Inhalt

Andrea Röpke und Andreas Speit

Einleitung

Zufällige Entdeckung des NSU – Anklage gegen Beate Zschäpe und Unterstützer – Der misslungene Prozessstart – Verharmloste Netzwerke – Ausgeblendeter Rechtsterrorismus – Verheerende Ermittlungen, vernichtete Akten

Anton Maegerle, Andrea Röpke und Andreas Speit

Der Terror von rechts – 1945 bis 1990

Gruppen radikaler nationalistischer Kräfte – Schüsse auf Rudi Dutschke – Unzählige Bombenanschläge und rechte Terrorgruppen in der Bundesrepublik – Die internationale Gruppe Ludwig – Das Oktoberfestattentat – Kommando Omega – Rechte Gewalt in der DDR

Julia Jüttner

Der Nationalsozialistische Untergrund

Der Überfall und das Ende in Eisenach – Jugend in Jena – Politische Freunde – Radikalisierung – Leben im Untergrund – Zwischenstation Chemnitz – Morde und Bombenanschläge – Zwickauer Helfer

Andreas Speit

Der Terror von rechts – 1991 bis 1996

Brandanschlag in Rostock-Lichtenhagen – Politische Folgen und gesellschaftliche Resonanzen – Hoyerswerda – Taten und Einstellungen – Mannheim-Schönau – Quedlinburg – Neonazis und Nachbarn – Mölln – Solingen – Gewaltideen und militante Konzepte der Szene – Verbote und Kameradschaftsgründungen – Der ungeklärte Anschlag von Lübeck

Andrea Röpke

Der Nationalsozialistische Untergrund und sein Netzwerk

Die Jenaer Neonazis und die rechte Szene – Ausspähen von Polizei und Antifaschisten – Waffen und Sprengstoff – Fluchthelfer von Blood & Honour – Pässe und Hilfe im Untergrund – Freies Netz

Andrea Röpke

Der Terror von rechts – 1996 bis 2011

Begleitmusik zum Terror – »Landser« im Visier der Behörden – Rechtsrock-Band als kriminelle Vereinigung – Generalbundesanwaltschaft ermittelt – Blood & Honour-Terrorgruppen und Musik – Netzwerke von Ku-Klux-Klan bis Combat 18

Andreas Förster

Das Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus

Neonazi-Treffen mit Tonband – Die Karriere des Topspitzels Tino Brandt – Geheimoperation Rennsteig – V-Leute im Umfeld der Terrorzelle – Braune Seilschaften in den Geheimdiensten seit 1945 – Antikommunismus als Staatsauftrag – Fragwürdige V-Mann-Politik – Geheimes BKA-Papier warnt vor »Brandstifter-Effekt« durch Spitzel

Andrea Röpke und Andreas Speit

Der Terror von rechts – aktuelle Entwicklungen

Fast vergessenes Verbrechen in Winterbach – Die Hammerskin Nation, der NSU und das Blutbad von Wisconsin – Halberstadt: Angriff auf Theatergruppe – Sturm 34 – Pölchow: Angriff auf Gegendemonstranten – Autonome Nationalisten – Kiel: Schlag auf Balletttänzer – Bückeburg: Angriff auf Jugendlichen – Oschatz: Ermordung eines Obdachlosen – Radikale NPD – Gewaltbereite Kameradschaften – Mammutprozess gegen Aktionsbüro Mittelrhein

Andrea Röpke und Andreas Speit

»Sie taten alles, aber sie schauten nicht nach rechts« – Nachwort

Rechtsextreme Opfer wurden staatliche Opfer – Ermittlungen gegen die Angehörigen der Mordopfer und die Betroffenen der Bombenanschläge – V-Leute-Diskussion und NPD-Verbotsdebatte – Anti-rechts-Initiativen brauchen eine andere Förderung

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Verwendete Literatur

Danksagung

Sachregister

Ortsregister

Personenregister

Zu den Autoren und Herausgebern

Andrea Röpke und Andreas Speit

Einleitung

Zufällige Entdeckung des NSU – Anklage gegen Beate Zschäpe und Unterstützer – Der misslungene Prozessstart – Verharmloste Netzwerke – Ausgeblendeter Rechtsterrorismus – Verheerende Ermittlungen, vernichtete Akten

Sie wollten zwei Bankräuber stellen, doch sie fanden zwei tote Rechtsterroristen. Am 4. November 2011 flog der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in Eisenach auf, weil zwei uniformierte Beamte einem weißen Wohnmobil im Stadtteil Stregda zu nah kamen. In der thüringischen Stadt scheiterte damit die Flucht von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem ihrer vielen Banküberfälle. Es waren Schüsse zu hören und eine Stichflamme aus dem Inneren des Fahrzeuges zu sehen. Anrückende Sicherheitskräfte fanden nicht nur zwei Leichen, sondern ein ganzes Waffenarsenal. Doch erst als sie eine Česká mit Schalldämpfer entdeckten, wurde das ganze Ausmaß der Verbrechen deutlich. Hier ging es nicht nur um eine Serie ungeklärter Überfälle, sondern vor allem um jahrelang im Geheimen mordende Neonazis.

Keine polizeilichen Ermittlungen, keine wertvollen V-Mann-Informationen führten zur Aufklärung dieser Mordserie. Es war ein Zufall, der das Bundeskriminalamt und die Geheimdienste zur rechtsradikalen Untergrundgruppe um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt führte, die vermutlich für die Hinrichtungen von neun unschuldigen Menschen mit türkischen und griechischen Wurzeln verantwortlich sind. Von Zwickau aus soll die Gruppe laut Ermittlungen eine blutige Spur durch ganz Deutschland gezogen haben. Enver Şimşek (2000, Nürnberg), Abdurrahim Özüdoğru (2001, Nürnberg), Süleyman Taşköprü (2001, Hamburg), Habil Kılıc (2001, München), Mehmet Turgut (2004, Rostock), İsmail Yaşar (2005, Nürnberg), Theodoros Boulgarides (2005, München), Mehmet Kubaşik (2006, Dortmund) und Halit Yozgat (2006, Kassel) fielen nach bisherigen Erkenntnissen den Neonazi-Terroristen der NSU-Gruppe zum Opfer. Im April 2007 sollen die Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt außerdem die 22-jährige Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn mit einem Kopfschuss getötet haben, ihr Kollege überlebte schwer verletzt. Bei mindestens zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen, die ihnen zur Last gelegt werden, gingen die Neonazis äußerst brutal vor, verletzten Passanten, schossen auf Bankangestellte oder schlugen Kunden die Waffe über den Kopf. Viele Betroffene der Überfälle sollen noch heute unter psychischen Folgen und Ängsten leiden.

Die neun Toten können nun nicht mehr als vermeintliche Opfer organisierter Kriminalität mit »Migrationshintergrund« oder noch abwertender als Opfer von »Döner-Morden« hingestellt werden. Bei ihren Angehörigen hören die Verdächtigungen und Unterstellungen, sie seien »kriminell«, nun endlich auf.

Die Empörung in der Bevölkerung hält sich aber in Grenzen. Nur wenige hundert Menschen beteiligten sich an der ersten Trauerdemonstration nach den NSU-Enthüllungen in Jena und Erfurt. Rechtsextreme Gewalt ist in der Bundesrepublik alltäglich – so alltäglich, dass sie kaum noch aufschreckt. Statistisch gesehen, werden durchschnittlich pro Tag zwei Menschen von Neonazis angegriffen, verletzt oder getötet. Qualvoll und einsam starb im Juni 2012 Klaus-Peter Kühn in seiner Wohnung in einem Plattenbau im thüringischen Suhl. Er ist das vorläufig letzte bekannt gewordene Opfer rechter Gewalt. Drei Rechtsextreme hatten ihn überfallen, ausgeraubt, schwer misshandelt und geschlagen. Sie hielten ihn für einen »Penner«. Die Leiche des 59-Jährigen wurde erst vier Tage später gefunden. Kühn ist der 183. Tote durch rechtsextreme Gewalt seit 1990, so die Zählung des Opferfonds Cura der Amadeu Antonio Stiftung. Zahlreiche Beratungsstellen und kritische Redaktionen sowie andere Einrichtungen der Zivilgesellschaft schauen seit Jahren genauer hin als die offiziellen Stellen. Die Bundesregierung erkennt zurzeit nur 63 Todesopfer an. 120 Menschen also – die wegen ihrer Hautfarbe, ihres politischen Engagements, ihres Berufs, ihrer Behinderung, ihrer Obdachlosigkeit, ihrer Hiphop-Kleidung oder ihrer Art zu lieben von Neonazis ermordet wurden – finden keine Anerkennung. Strengere Zählkriterien werden als Grund für die Differenz vorgeschoben, doch im Grunde signalisiert die Aberkennung des politischen Opferstatus, dass die staatlich Verantwortlichen das ganze Ausmaß an Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nicht wahrhaben oder gar vertuschen möchten. Diese Art der Wahrnehmung von rechtsextremer Gewalt hat in der Geschichte der Bundesrepublik leider Tradition.

Die in Karlsruhe ansässige Generalbundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe vor, von 1998 bis 2011 gemeinsam mit den verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in zehn Fällen heimtückisch und aus niederen Beweggründen Menschen getötet und mehrere Menschen verletzt zu haben. Ihr werden auch zwei Sprengstoffanschläge und mehrere andere Gewalttaten zur Last gelegt. Zudem soll sie eine Brandstiftung begangen haben, um Straftaten zu verdecken, wobei sie das Leben weiterer Menschen riskierte. Auf Seite 242 der Anklageschrift wird ihr vorgeworfen, bei einem der Morde im Juni 2005 in Nürnberg dabei gewesen zu sein. Eine Zeugin will sie ganz in der Nähe des Tatorts in einem Edeka-Markt gesehen haben. Dass die Hauptangeklagte vermutlich nicht geschossen und selbst überfallen hat, ist für die Generalbundesanwaltschaft irrelevant. Die Anklagebehörde geht davon aus, dass Zschäpe von den zahlreichen Waffen und erbeuteten Geldern – insgesamt sollen es etwa 600 000 Euro gewesen sein – wusste. Ihr wird vor allem angelastet, für ihre beiden Mittäter Mundlos und Böhnhardt den »Rückzugsraum« geschaffen zu haben, indem sie als »nette Nachbarin« die Kontakte zu den Anwohnern pflegte und dafür sorgte, dass das ungewöhnliche Trio in seiner bürgerlichen Umgebung in Sachsen nicht allzu sehr auffiel. Ihre Hauptaufgabe bestand demnach darin, die Taten abzutarnen.

Laut Staatsanwaltschaft war die 38-Jährige vollwertiges Mitglied der terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund, die von den Mitangeklagten André Eminger und Holger Gerlach unterstützt wurde. Dem Angeklagten Ralf Wohlleben, hoher ehemaliger NPD-Funktionär aus Jena, wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Derselbe Vorwurf gilt dem ehemaligen Neonazi Carsten Schultze, der gestanden hat, den drei Untergetauchten in den Anfangsjahren eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Der 38-jährige aktive Kameradschaftsaktivist Wohlleben befindet sich wie Zschäpe in München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Alle anderen Verdächtigen sind auf freiem Fuß.

Der Prozess sollte vor dem Oberlandesgericht in München am 17. April 2013 beginnen, musste aber kurzfristig auf Anfang Mai verschoben werden. Der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, gilt als akribisch, fair und manchmal aufbrausend. In sieben Jahren als Vorsitzender des Schwurgerichts kassierte der Bundesgerichtshof nur ein einziges seiner Urteile. Schon vor Prozesseröffnung hieß es jedoch, dem Gericht fehle die nötige Sensibilität für das Verfahren mit 53 Anwälten und 77 Nebenklägern. Die Wahl des Saals A 101 im Strafjustizzentrum mit nur 200 Plätzen galt früh als unglücklich, weil die Zuteilung für Zuschauer und Presse sehr stark begrenzt ist und ausländische Medien beim ursprünglich praktizierten Vergabeverfahren gar nicht berücksichtigt wurden. Erst nach Einschalten des Bundesverfassungsgerichts durch die türkische Zeitung »Sabah« gab es hier eine Änderung. Erneut hatte es besonders die Angehörigen der Opfer getroffen, für die zu wenig Platz vorgesehen war, worauf auch Barbara John, die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, hinwies.

Obwohl die oberste Anklagebehörde in Karlsruhe weiter ermittelt, acht Beschuldigte sowie insgesamt 129 mutmaßliche zusätzliche Helfer oder Unterstützer im Fokus sind, geht man offiziell davon aus, dass es sich beim NSU lediglich um einen »Dreierbund« handelt, ein »einheitliches Tötungskommando«. Die »wahre Identität und terroristische Zielsetzung« sei der Anklage zufolge nur einem eng begrenzten Kreis von wenigen Unterstützern und Gehilfen bekannt gewesen. Auf der vorläufigen Zeugenliste mit über 600 Namen stehen auch nur wenige Namen von Neonazis. Wichtige Helfershelfer des braunen Netzwerkes aus Sachsen wurden bisher vom Gericht weitgehend ausgeblendet. Die Fluchthilfe für die drei 1998 untergetauchten Jenaer Bombenbauer Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos gilt inzwischen als verjährt. Dieser Ansatz offenbart, dass die Ermittler nicht von zahlreichen Mitwissern und braunen Seilschaften ausgehen wollen. Das würde die bisherige Sichtweise der Sicherheitsbehörden zum rechtsextremen Terror in Deutschland auch zu sehr in Frage stellen.

In einem geheimen Dossier des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mit dem Titel »Rechtsextremismus Nr. 21: Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklungen von 1997 bis 2004« war bereits festgeschrieben worden, dass »für einen planmäßigen Kampf aus der Illegalität heraus« eine »wirkungsvolle Unterstützerszene« fehle. Diese Einschätzung darf heute hinterfragt werden. Denn bereits beim Weg in den Untergrund konnte sich das Trio auf Kameraden und Kameradinnen verlassen. Eine Telefonliste, gefunden in der Jenaer Garage, in der auch der Sprengstoff der drei lagerte, hätte die Ermittler frühzeitig auf die Spur führen können. 35 Namen und Adressen von Vertrauten aus ganz Deutschland waren dort notiert. Doch das wichtige Detail landete ohne große Beachtung in der Asservatenkammer des Landeskriminalamtes in Erfurt – und verstaubte. Die Aufzeichnungen lesen sich heute wie ein »Who is who« der Helfer oder »eine Landkarte der späteren Tat- und Fluchtorte«, wie es der CDUObmann und frühere Polizist Clemens Binninger im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages formulierte. Wenigstens ein Dutzend der darauf verzeichneten Neonazis hielt mit den dreien Kontakt im Untergrund, beschaffte Mordwaffen, besorgte Papiere, organisierte Unterschlupfe. Die wichtigsten Helfer stammten dabei aus den Reihen der rechtsradikalen Blood & Honour-Bewegung. Der NSU hat die Ideen von Blood & Honour umgesetzt, einen »Rassenkrieg« für die »Reinhaltung« des deutschen Blutes zu führen – passend zum Motto »Blut und Ehre«.

Nur wenige Tage nach dem Verschwinden des Trios Ende 1998 aus Jena entsandte das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden zur Unterstützung zwei Kriminalhauptkommissare in die Thüringer Provinz, die gemeinsam mit den Kollegen vom Landeskriminalamt die bei der Durchsuchung der Bombenwerkstatt sichergestellten Dokumente auswerten sollten. Schnell stellten die BKA-Beamten fest, dass Namen und Adressen »ohne Bedeutung« seien, so der entsprechende Vermerk. Ein eklatanter Irrtum. Den ansonsten so erfolgreichen Zielfahndern des Landeskriminalamtes in Erfurt wurde die »Garagenliste« gar nicht erst übergeben. Immerhin enthielt sie die Namen von Neonazis aus Jena, Chemnitz, Rostock, Hamburg, Nürnberg, München, Regensburg, Ludwigsburg und Rheinland-Pfalz – alle in den 1990er Jahren befreundet oder bekannt mit Uwe Mundlos. »Dass die wertvolle ›Garagenliste‹ nicht zur Zielfahndung gelangte, sondern offenbar einfach weggelegt wurde, ist ein erneuter Fall von eklatantem Dilettantismus«, bemerkte Eva Högl, SPD-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Seit Januar 2012 haben vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Berlin, Erfurt, München und Dresden ihre Arbeit aufgenommen. Das elfköpfige Abgeordnetengremium im Bundestag unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) soll helfen, die Taten der Terrorgruppe aufzuklären und auch »Schlussfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse und Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden« herauszuarbeiten. Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Professor Hajo Funke bescheinigt dem Bundestagsausschuss, bisher »höchst sachorientierte, um nicht zu sagen vorbildliche Arbeit« geleistet zu haben. Clemens Binninger kritisierte Anfang Mai in einem Zwischenbericht auf dem Medienportal »vocer« sehr deutlich »den zu oft inkonsequenten Umgang der Justiz mit rechtsextremistischen Straftätern«. Der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Polizist wundert sich auch über die Untersuchungspraxis des Generalbundesanwaltes, denn in einigen Fällen bestanden die Akten mit den Prüfvorgängen zu den NSU-Taten lediglich aus einigen Zeitungsartikeln zum jeweiligen Sachverhalt. Eigene Anfragen, Prüfung polizeilicher Sachstandberichte? – Fehlanzeige. Dieser Zustand, so Binninger, sei »inakzeptabel und unprofessionell«. Mario Melzer, Thüringer Ermittler beim Staatsschutz, ist einer der wenigen Beamten, die sich für das Versagen, die Pannen und den erschreckenden Unwillen der Behörden bei den Opfern und Hinterbliebenen entschuldigte. In der ARD-Dokumentation »Der Zschäpe-Prozess – Brauner Terror vor Gericht« vom April 2013 berichtete der erfahrene Polizist, wie er seinerzeit mit seinen Bemühungen, das Trio festzusetzen, ausgebremst worden sei. Seitens seiner Behördenleitung war es ihm auch jetzt noch untersagt, allzu viel zum NSU-Komplex zu sagen. Doch Melzer ließ sich den Mund nicht ganz verbieten. Er wusste früh, wie gefährlich die drei waren, zumal ihre Aktionen im Laufe der 1990er Jahre in Thüringen immer militanter wurden. Seine Ermittlungen führten zur Verurteilung von Böhnhardt, doch die Haft musste dieser nie antreten. In den entscheidenden Momenten sei er als ein mit dem Fall betrauter Beamter anderweitig polizeilich eingesetzt und nach geäußerter Kritik später sogar versetzt worden, so Melzer. Er wirft sich heute vor, damals nicht hörbarer protestiert zu haben.

Trotz der von Bundeskanzlerin Angela Merkel zugesagten Aufklärung der Verbrechen »mit Hochdruck« muss man sich über die Art der Ermittlungen doch an manchen Stellen wundern. Etwa dann, wenn die Generalbundesanwaltschaft in der Anklage davon spricht, dass die grausamen Bekenner-DVDs, mindestens 15 Stück, allesamt von Beate Zschäpe auf der Flucht verteilt worden seien. Sicher kann sich die Behörde aber gar nicht sein, denn nur neun der Umschläge wurden tatsächlich aufgefunden, und bei zweien davon sind die Briefstempel unleserlich. An anderen Stellen halten Zeugen an widersprüchlichen Aussagen fest, ohne eine Klärung der Vorgänge.

Fehlende Haftbefehle der zuständigen Staatsanwaltschaft machten die Flucht des Trios nach dem Fund von mehr als einem Kilogramm hochexplosivem TNT in Jena erst möglich. Danach aber säumten unzählige Spitzel vom Bundesamt für Verfassungsschutz, diverser Landesämter für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) und der Polizeibehörden den Weg des flüchtigen Trios. Obwohl es bald erste Hinweise auf einen Unterschlupf in Chemnitz gab, danach sogar konkrete Helfernamen und Treffpunkte an Autobahnen bekannt waren, abgehörte Telefongespräche und Fotos des Verfassungsschutzes vorlagen, wurden die drei nicht gefasst. Sie konnten bis 2011 immer wieder ungestört zurück nach Thüringen reisen.

Im Auftrag des Thüringer Innenministers analysierte eine 2011 eingesetzte Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des pensionierten Richters am Bundesgerichtshof Dr. Gerhard Schäfer das Behördenverhalten von 1998 bis 2001 – und kam zu erschreckenden Ergebnissen. Das dreiköpfige Gremium sprach von unkoordinierten Durchsuchungen, fehlenden Haftbefehlen, mangelhaftem Informationsaustausch zwischen Ämtern, unstrukturierter Aktenführung, unzureichenden Ermittlungen und unterlassenen Faktenanalysen. Bei der Vorstellung des 256 Seiten starken Berichts am 15. Mai 2012 wirkte Schäfer erschüttert. Eine solche Mischung aus Inkompetenz und Konkurrenz insbesondere zwischen dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) und dem Thüringer Landeskriminalamt (TLKA) schien vorher unvorstellbar. Die Arbeit des TLfV, so Schäfer, sei ein »sehr belastendes Kapitel«. Die Kommission kommt zu der Auffassung, dass es bei sorgfältigerer und besser abgestimmter Arbeit möglich gewesen wäre, mindestens einen, vermutlich sogar alle drei Beschuldigten festzunehmen.

Doch dieser Terrorismus von rechts entsprach offenbar nicht den Terrorismusvorstellungen der Ermittler. Warum nicht? Weil etwas fehlte, so die immer wiederkehrende Erklärung von Verfassungsschutz und Polizei. Es gab keine öffentlichen Bekennerbotschaften zu den Morden. Diese vermeintliche Entschuldigung offenbart die Herangehensweise, dass rechter Terror an linkem Terror gemessen wird. Die spezielle Geschichte rechter Gewalt-, Brand- und Bombenanschläge ist dabei ausgeblendet worden. »Der Terror von rechts war immer schon stiller als der von links«, betont Fabian Virchow, Leiter des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus und Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Mit »theoretisch ausgefeilten Bekennerschreiben« hätte sich die rechtsextreme Szene »zu keiner Zeit« hervorgetan. Die verkürzte Denklogik spiegelt sich auch in der Begriffsbildung mancher Medien wider, die von der »Braunen Armee Fraktion« in Anlehnung an Rote Armee Fraktion (RAF) schreiben. Dabei wird ausgeblendet, dass die Zielgruppen von braunem und rotem Terror weitgehend andere sind.

Auffällig dabei: Der linke Terror ist im kollektiven Gedächtnis präsent, der rechte Terror wenig – bis gar nicht. In den Medien konnten die Sicherheitsbehörden zunächst fast unwidersprochen behaupten, rechte Gewaltstrukturen habe es nie gegeben. Der Bückeburger Prozess von 1979 gegen die terroristische Vereinigung Wehrsportgruppe Werwolf wurde dabei geflissentlich übergangen. Gegenüber den Morden der RAF erschienen vielen Verantwortlichen die rechten Terrorgruppen und neonazistischen Gewalttäter weniger bedeutsam.

Zwei Aspekte kamen den Neonazi-Mördern der NSU entgegen: die vorherrschende Unterschätzung von Rechtsterrorismus und die Annahme, bei diesen Opfern könne das Tatmotiv bloß im Kriminellen liegen. »Die These, dass die Česká-Mordserie einen rechtsextremen Hintergrund haben könnte, wurde bewusst öffentlich nicht zur Sprache gebracht«, fasste der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, seine Erfahrungen nach monatelanger akribischer Ausschussarbeit ernüchtert zusammen. Und die stellvertretende Bundestagspräsidentin Petra Pau, ebenfalls Mitglied im NSU-Gremium, meinte gar: »Die polizeilichen Ermittlungen damals hatten rassistische Züge.« Für die ermittelnden Beamten der zentralen Ermittlungskommission »Bosporus« in Bayern, in deren Zuständigkeitsbereich allein fünf Morde fielen, waren die Täter schwerpunktmäßig im organisierten kriminellen Milieu oder im Umfeld der Opferfamilien zu suchen. Und die Medien folgten weitgehend der falschen Annahme und befeuerten die rassistischen Vorverurteilungen noch.

»Was die Abgetauchten betrifft, waren wir ewig weit weg, weil uns niemand was gesagt hat«, räumte der Leitende Kriminaldirektor beim Polizeipräsidium Unterfranken, Wolfgang Geier, Anfang 2013 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtages ein. Bis 2008 war er einer der wichtigsten Männer bei der Suche nach den Serientätern. Geier selbst habe sich »bis zuletzt nicht vorstellen können, dass es Rechtsterrorismus in diesem Ausmaß gibt«. Auf die Hilfe des regionalen Geheimdienstes konnten die Ermittler nicht wirklich bauen: Eine Anfrage an den bayerischen Verfassungsschutz nach einer Liste bekannter Rechtsextremer zog sich im Jahr 2005 über viele Monate hin. Geiers Eindruck sei damals gewesen: »Die blockieren, die mauern.« Letztlich wurde im März 2007 eine Liste mit 682 Namen übergeben – allerdings ohne Adressen.

Wenn schon nicht die neun mit einer Waffe begangenen Morde an den türkischen und griechischen Kleinunternehmern genügend Anlass für die Ermittler ergaben, sich intensiv auch mit Neonazis als möglichen Tätern auseinanderzusetzen, so hätte doch spätestens der Bombenanschlag in der belebten Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 Polizei, Politik, Medien und Öffentlichkeit aufrütteln müssen. In der 60. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages am 15. März 2013 wurde allerdings das bürokratische Versagen der zuständigen Behörden auch in diesem Fall überdeutlich. Die damalige Mitarbeiterin im Referat für politisch motivierte Kriminalität beim Bundesministerium des Innern (BMI), Christine Hammann, berichtete, dass lediglich am ersten Tag von »terroristischer Gewaltkriminalität«, danach nur noch von »organisierter Kriminalität« gesprochen wurde. Die Terroreinschätzung wurde eilig gestrichen, später will es niemand gewesen sein. Als Hammann am 11. Juni 2004 einen Bericht zum Erkenntnisstand für das BKA verfasste, schrieb ein Unterabteilungsleiter handschriftlich darauf: »Kann Notwendigkeit der Vorlage nicht erkennen«. Bereits fünf Tage nach dem Anschlag wanderte der Vorgang somit in die Ablage.

Die Ermittlungsakten der Bundesanwaltschaft umfassen nach dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle inzwischen rund 1000 Bände. 4300 »gegenständliche« Asservate und 2500 auf Datenträgern gespeicherte Dokumente wurden ausgewertet. Es gab mehr als 1000 Vernehmungen und über 20 Durchsuchungen, und es wurden mindestens 67 Telekommunikationsverbindungen überwacht. Zeitweise sollen bis zu zehn Staatsanwälte und mehr als 400 Polizisten in das Verfahren eingebunden gewesen sein. Doch viele ungeklärte Fragen sind trotzdem geblieben. Gab es Helfer, die die Opfer auswählten oder beim umfangreichen Ausspähen der Tatorte halfen? Warum fiel die Bankraubserie mit allein zehn überfallenen Kreditinstituten in Sachsen in diesem Zusammenhang nicht auf? Warum schlugen Personenspürhunde im November 2011 vor der Haustür eines bekannten NPD-Aktivisten in Eisenach an, der das Trio von früher gekannt haben muss? Warum befand sich ein Verfassungsschützer aus Hessen genau zum Tatzeitpunkt in dem Internetcafé, in dem Halit Yozgat erschossen wurde, und wie kann es sein, dass er nichts mitbekommen haben will? Doch die wichtigste Frage stellen sicherlich die Angehörigen der Opfer: Warum wurde gerade mein Ehemann, Vater und Bruder Opfer des NSU?

Das ganze Ausmaß der Vernichtung von Akten und Verschweigen von Aktionen der Sicherheits- und Geheimdienstkräfte wird nicht im Vordergrund des NSU-Prozesses stehen, und doch beschäftigt es Politik, Wissenschaft und Medien seit 2011 intensiv. Heribert Prantl von der »Süddeutschen Zeitung« kommentierte bereits 2011, ob bei solchen Fehlleistungen nicht nur die NPD, »sondern auch der Verfassungsschutz verboten gehört«. »Immer mehr Menschen fragen sich«, so Prantl, »wer denn die Verfassung vor einem Verfassungsschutz schützt, der mit Akribie und Eifer kritische Demokraten observiert, aber gewalttätige Neonazis in Ruhe lässt oder als V-Leute beschäftigt.«

Tatsächlich scheint der Skandal um die vielen enttarnten Spitzel der Geheimdienste ausgerechnet einer Gruppe entgegen zu kommen – den Neonazis. Den Strategen der NPD sind die Enthüllungen als Alibi sehr dienlich. In den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern erklären die NPD-Fraktionen deutlich, wen sie für die Verbrechen der NSU verantwortlich machen – die Geheimdienste. »Die Kartenhäuser über das NSU-Phantom brechen zusammen«, lautet eine Pressemitteilung der extrem rechten Partei. Auch NPD-Chef Holger Apfel weist jede politische Nähe zu den Rechtsterroristen weit von sich, obwohl er, genau wie das Trio, 1996 an einem gemeinsamen Aufmarsch in Worms teilgenommen hat. Er blendet auch aus, dass ein ehemaliger NPD-Landesvize aus Thüringen und ein Ex-Anführer der NPDJugendorganisation Junge Nationaldemokraten nach Ermittlererkenntnissen eine Mordwaffe für das Trio besorgt haben.

Schon 2003 waren V-Leute das Alibi für die Partei. Das Bundesverfassungsgericht stellte aus Sorge vor den staatlich besoldeten Rechtsextremen das Verbotsverfahren gegen die NPD ein. Längst scheint das V-Mann-System im »Kampf gegen rechts« gescheitert zu sein. Während sich die NPD offiziell von den Verbrechen distanziert und sogar im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss mit einem Obmann an der Aufklärung beteiligt sein darf, finden sich in der Szene immer wieder offene Solidaritätsbekundungen und Verehrung für die rechten Mörder, vor allem aber für Ralf Wohlleben. Nicht nur bei Facebook gibt es fortwährend Solidaritätsbezeugungen für »Wolle« – so der Spitzname von Wohlleben. »NSU ist wieder da!«, schmierten Unbekannte Mitte April 2013 an die Außenwand des Gewerkschaftshauses in Zwickau. »Die Schmierereien zeigen, dass sich der Rechtsextremismus in der Region nicht von selber verflüchtigen wird«, sagte die Zwickauer Gewerkschaftschefin Sabine Zimmermann gegenüber der »Sächsischen Zeitung«. Im April 2013 verteilten Münchener Aktivisten des Neonazi-Netzwerkes, genannt Freies Netz Süd, rund um das Justizzentrum in der Nymphenburger Straße Flyer mit der Schlagzeile »NSU – Phantom – Verfahren«. Sie hetzen dabei schamlos gegen die Angehörigen der »Döner-Mord-Opfer«. Die Freies Netz-Aktivisten sehen sich als Opfer einer staatlichen »Repressionswelle«, beschimpfen die »Schweinejournaille« und halten die Ermittlungen für »frei erfundene Mutmaßungen«. Strategisch versucht die radikale Rechte, den Imageschaden der Geheimdienste für sich zu nutzen, sie fordert die Auflösung des Verfassungsschutzes. Die ambivalente Haltung der Gewalt gegenüber zeigte derweil die Erklärung einer Frau aus dem NPD-Präsidium, in der sie sagte, dass sie die RAF-Gründerin Ulrike Meinhof als persönliches Vorbild betrachte, Beate Zschäpe jedoch als »Verräterin« ansehe.

Von einer »anderen Dimension von Rechtsterrorismus« sprach der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, während einer Tagung 2013. Die Serienmorde des NSU seien mit großer »Brutalität und Präzision« begangen worden. Er hob hervor, dass es so etwas vorher nicht gegeben habe. Mit Blick auf die Geschichte muss man diese Aussage aber wohl deutlich relativieren. In dem vorliegenden Buch wird beispielsweise auf das Oktoberfestattentat von 1980 mit zwölf getöteten Besuchern eingegangen, das ebenfalls akribisch durch den Attentäter und mögliche Hintermänner aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann geplant worden ist. Die Autorinnen und Autoren zeichnen die Gewalt und den Terror des Rechtsextremismus von 1945 bis 2013 nach. Die Öffentlichkeitsarbeit der NPD wird dabei als Inszenierung enttarnt und der rechte Terror – gestützt von einer Vielzahl an Kameradschaften und Organisationen – in deren Umfeld verortet. Um die gegenwärtige Verfasstheit der rechtsextremen Szene einordnen zu können, wird den geschichtlichen Entwicklungen – teilweise bis in die Details – nachgegangen. Die Autorinnen und Autoren haben frühere Opfer rechtsextremer Gewalt besucht, Aussteiger getroffen, Anwälte interviewt, Literatur und Hunderte geheimer Akten durchgesehen. Sie haben mit Redaktionen korrespondiert und die Sitzungen der NSU-Untersuchungsausschüsse akribisch ausgewertet. Die Quellen werden im Text jeweils mit benannt.

Im Kapitel »Der Terror von rechts – 1945 bis 1990« weisen Anton Maegerle, Andrea Röpke und Andreas Speit anhand einer Vielzahl von – oft unbekannten – rechtsextremen Angriffen, Gewalttaten und verborgen agierenden militanten Gruppen nach, wie stark repräsentiert das gewaltbereite Lager war und wie sich sogar paramilitärische Truppen ungestört über Jahrzehnte hinweg zwischen 1945 und 1990 entwickeln konnten. Das rechte Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke sowie die Aktivitäten von Neonazis in der DDR sind dabei Teil der Darstellung, genau wie zahlreiche weitere Morde und Anschläge. Es sind erschütternde Fälle, die weitestgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurden bzw. kaum in den Geschichtsbüchern nachzulesen sind.

Julia Jüttner stellt im Kapitel »Der Nationalsozialistische Untergrund« die Entwicklung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe als Kern des NSU vom Anfang bis zum Ende dar. Vor allem Zschäpe, die 1,66 Meter große Frau, 63 Kilogramm schwer und Raucherin, betrachtet sie genau. So betonte Zschäpe bei einer ersten Vernehmung, Mundlos und Böhnhardt hätten sie nie zu etwas gezwungen. Einige Medien wie die »Bild«-Zeitung sahen sie jedoch nur als »Nazi-Braut« oder »heißen Feger«. Jüttner arbeitet indes heraus: Zschäpe ist eine Überzeugungstäterin mit geschlossenem neonazistischen Weltbild. Sie beschreibt ihre Radikalisierung und ihr Bemühen um einen bürgerlichen Anstrich für die »Legendierung« der Gruppe, benennt Kameraden und zeigt das Umfeld auf.

Rostock, Hoyerswerda, Solingen und Mölln: Die Namen der Städte sind längst zu Synonymen massiver rechter Gewalt der 1990er Jahre geworden. In dem Kapitel »Der Terror von rechts: 1991 bis 1996« schildert Andreas Speit die rassistischen Übergriffe und politischen Auseinandersetzungen jener Jahre nach der deutschen Vereinigung. Betroffene kommen zu Wort, fast vergessene Anschläge werden erinnert. Ein Déjà-vu zu Ermittlungspraxen gegenüber den NSU-Opfern und früheren Opfern rechtsextremer Gewalt kommt auf – nicht nur, wenn die skandalösen Umstände des noch immer nicht aufgeklärten Brandanschlags in Lübeck vom Januar 1996 nachskizziert werden. Hierbei wird die staatliche Fehleinschätzung der neonazistischen Kameradschaftsszene als vermeintlich »lose Cliquen« deutlich herausgearbeitet. Deren ideologische Motivation und militanter Aktionismus wurden seinerzeit fahrlässig unterschätzt, denn genau in dieser Zeit kursierten in der bundesweiten radikalen Neonazi-Szene Schriften zum bewaffneten Kampf, mit praktischen Hinweisen zu Gewalttaten.

Andrea Röpke widerspricht in dem Kapitel »Der Nationalsozialistische Untergrund und sein Netzwerk« der behördlichen Aussage, das Trio habe weitestgehend autonom gehandelt. Sie zeichnet die verschiedenen Unterstützerstrukturen nach. Bereits auf dem Weg in den Untergrund, so wird sichtbar, waren militante Seilschaften von Blood & Honour und militante Kameradenkreise entscheidend, die sich aktiv zwischen Rechtsrock und Polit-Aktionen bewegten. Später kamen von dort auch Geld, Ausweise, neue Identitäten und wohl auch Waffen für die NSU-Terroristen. Anders als offiziell dargestellt, scheint das Trio niemals gesellschaftlich und politisch isoliert gewesen zu sein.

Im Kapitel »Rechter Terror seit Mitte der 1990er Jahre« hebt Andrea Röpke die Bedeutung der Hassgesänge als Begleitmusik zum Terror hervor. Neonazi-Terrorgruppen und deren Beeinflussung durch rassistische Untergrund-Bands wie »Landser« werden dabei herauskristallisiert. Auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe verfügten über spannende Kontakte ins Musikmilieu, vor allem ins damalige braune »Mekka« Chemnitz. Die Bedeutung von Rechtsrock für die Ideologisierung und Radikalisierung wird an eindrücklichen und teils schockierenden Beispielen dargestellt.

Andreas Förster warnt im Kapitel »Das Versagen der Sicherheitsbehörden« davor, bei den Ermittlungen damals und heute nur von »Pannen« zu reden. Das Problem liegt tiefer. Er stellt das Agieren der Behörden aus ihrer inneren Logik und historischen Entwicklung heraus dar und belegt, dass Neonazis als V-Männer dem Staat mehrheitlich nicht dienten, sondern ein eigenes doppeltes Spiel trieben. Besoldete »Spitzel« diverser Behörden finanzierten den Aufbau von Szene-Strukturen mit und erschwerten die Strafverfolgung. Trotz geheimer Aktionen und unzähliger Zuträger im Umfeld von Terrorgruppen scheiterten die Dienste zumeist – sowohl an ihrer Inkompetenz als auch am mangelnden Austausch aufgrund von Konkurrenzverhalten. An konkreten Fällen stellt Förster die zum Teil sehr fragwürdige Arbeit von Geheimdiensten und Polizei dar.

Andrea Röpke und Andreas Speit gehen im letzten Kapitel exemplarisch bis 2013 den jüngsten Entwicklungen nach und stellen einzelne militante Neonazi-Gruppen vor, darunter das kaum beachtete Netzwerk zwischen Freien Kameradschaften, international agierenden Hammerskins und Rockerbanden. Außerdem berücksichtigen Röpke und Speit die Entwicklung militanter autonomer Nationalisten und zeigen an einem aktuellen Fall, dass brutale rassistische Verbrechen durchaus nicht auf die neuen Bundesländer beschränkt sind.

Im Nachwort »Sie taten alles, aber sie schauten nicht nach rechts« schildern Andrea Röpke und Andreas Speit die Enttäuschungen, Erschütterungen und Ernüchterungen bei den Angehörigen der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds, die oft selbst verdächtigt wurden, kriminell zu sein. Sie zeigen die Defizite der Gesellschaft bei der bisherigen Auseinandersetzung mit rechtsextremer Gewalt auf und richten klare Forderungen an die Politik.

Bei alledem wird deutlich: Nicht nur die fatalen Analysen der Behörden und die falschen Ermittlungen der Polizei kamen dem NSU-Trio entgegen. Auch die alltäglichen rechten Einstellungen und Vorbehalte in der Mitte der Gesellschaft spielen dabei eine Rolle. Stephan Lucas und Jens Rabe, die Anwälte von Semiya und Kerim Şimşek, stellten fest, dass »die Reaktionen in Politik und Gesellschaft auf den NSU verblüffend schwach« ausgefallen seien. Während die RAF-Gewalt von Staat und Bevölkerung damals als »Kriegserklärung« verstanden worden sei, hielte man sich beim rechten Terror jetzt eher zurück. Sie fragen: »Liegt es daran, dass es eine schwache Bevölkerungsgruppe trifft, die Migranten? Das wäre erschreckend, verroht und gefährlich.«

Anton Maegerle, Andrea Röpke und Andreas Speit

Der Terror von rechts – 1945 bis 1990

Gruppen radikaler nationalistischer Kräfte – Schüsse auf Rudi Dutschke – Unzählige Bombenanschläge und rechte Terrorgruppen in der Bundesrepublik – Die internationale Gruppe Ludwig – Das Oktoberfestattentat – Kommando Omega – Rechte Gewalt in der DDR

»Dieser Vorgang ist objektiv betrachtet eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden.« Am 21. November 2011 räumte Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), das Scheitern der Behörden gegen den Rechtsterror ein. Wenige Tage zuvor, am 8. November 2011, hatte sich Beate Zschäpe mit einem Anwalt in Jena der Polizei gestellt. In der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages musste der damalige Geheimdienstchef eingestehen, dass die Sicherheitsbehörden Gefahren und Entwicklungstendenzen von rechtsextremem Terror nicht ausreichend wahrgenommen hatten. Es durfte nicht sein, was nicht sein sollte: mordende Gruppen von Rechtsextremen, tragende Netzwerke für den Untergrund. Dieses Credo stimmten verschiedene Leiter der unterschiedlichsten Sicherheitsbehören und Verfassungsschutzämter über Jahrzehnte immer wieder an. »Wir haben keine Erkenntnisse, dass es aktuell rechtsterroristische Strukturen in Deutschland gibt«, hatte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, 2004 im Interview mit der Nachrichtenagentur AP verkündet. Hansjörg Geiger führte als BfV-Präsident 1995 in einem Interview mit der Illustrierten »Focus« aus: »Die Rechtsextremisten haben keine Sympathisantenszene, in der braune Terroristen schwimmen können wie die Fische im Wasser.« Die Studie »Rechtsextremismus Nr. 21 – Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklung von 1997 bis Mitte 2004« des BfV spiegelt diese nachhaltige Fehleinschätzung wider. Auf der vorletzten Seite des Dokuments steht: »Derzeit sind in Deutschland keine rechtsterroristischen Organisationen und Strukturen erkennbar«, und das Amt hebt hervor: »Ungeachtet der Tatsache, dass es den ›Bombenbastlern von Jena‹ jahrelang gelungen war, sich ihrer Verhaftung zu entziehen, gibt es keine wirkungsvolle Unterstützerszene, um einen nachhaltigen Kampf aus dem Untergrund heraus führen zu können.« Mit den Bombenbastlern aus Jena ist das spätere NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gemeint.

Ende 2012, nach vielen Sitzungen des Untersuchungsausschusses zu den NSU-Morden im Bundestag, sagte dessen Vorsitzender Sebastian Edathy: »Die Gefährlichkeit eines zunehmend gewaltbereiter gewordenen Rechtsextremismus wurde lange Zeit massiv unterschätzt.« Der SPD-Politiker wurde noch deutlicher: »Man konnte und wollte sich ganz offenkundig nicht vorstellen, dass es in Deutschland organisierten Rechtsterrorismus geben könnte, obwohl es dafür in der Vergangenheit durchaus Anhaltspunkte gab« – eine Vergangenheit, die früh nach 1945 beginnt.

Ein Sammelbecken radikaler nationalistischer Kräfte war seit ihrer Gründung 1949 die Sozialistische Reichspartei (SRP). Pate stand ein Mann, der die erstarkende Neonazi-Szene zeitlebens mitprägen sollte: Otto Ernst Remer, ehemals als Kommandeur des Wachbataillons »Großdeutschland« an der Niederschlagung des Aufstandes gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt. Kein Einzelfall, die Partei erhielt großen Zulauf von alten Nationalsozialisten. Eine Schlagzeile in der Parteizeitung der SRP, »Deutsche Opposition«, vom April 1952 lautete: »Remers Programm: Kampf bis zum Umfallen gegen das Bonner Regime«. Auf einer Pressekonferenz im Mai 1950 verherrlichte der Parteivorsitzende Fritz Dorls die Zeit von 1933 bis 1945 gar als »Höhepunkt einer revolutionären Entwicklung des Abendlandes« und die Konzentrationslager und Gaskammern als »revolutionäre Methodik dieser Epoche«. Die »Süddeutsche Zeitung« berichtete kurze Zeit später, dass in München sogenannte »Rollkommandos« der SRP gegründet worden seien, die den Schutz bei Veranstaltungen übernehmen und deren Mitglieder Uniformen mit Armbinden und Parteiabzeichen tragen würden. Im Herbst 1952 erfolgte das Verbot der SRP durch das Bundesverfassungsgericht wegen der Wesensverwandtschaft der Partei zur NSDAP. Dorls plante daraufhin, die Partei im Untergrund weiterzuführen, floh dann aber nach Ägypten, wo er für den deutschen Verfassungsschutz tätig gewesen sein soll. Nach seiner Rückkehr Mitte der 1950er Jahre wurde er als einer der ersten Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Organisation 1957 zu einer Haftstrafe verurteilt.

Im Dezember 1952, keine zwei Monate nach dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei, schloss sich im Gasthaus »Schützenhof« im niedersächsischen Wilhelmshaven deren ehemalige Reichsjugend mit Teilen der Deutschen Unitarischen Jugend und der Vaterländischen Jugend zur Wiking-Jugend (WJ) zusammen. Walter Matthaei bestimmten die Anhänger zum ersten Bundesführer, schon mit dabei waren die späteren Chefs Raoul und Wolfgang Nahrath. Es sei die Zeit gewesen, »in der der mutige Einzelkämpfer sich im Durcheinander des Zusammenbruchs behauptete«, hieß es im »Wikinger« 1971 rückblickend. »1945 brach nicht nur das Reich zusammen, sondern mit ihm die größte einheitliche, von einem ungeheuren Idealismus getragene Jugendbewegung aller Zeiten (...)«, schrieb ein Kamerad aus der Gründergeneration der WJ. Seit der Gründung, nur sieben Jahre nach dem Verbot der Hitlerjugend, gelang es militanten rechten Kräften, 42 Jahre lang die Neonazis von morgen im Verborgenen zu drillen, ihren soldatischen Gehorsam und rassistischen Größenwahn zu schärfen. Tausende von Jungen und Mädchen, vor allem aus NS-treuen »Sippen« in Westdeutschland, gingen durch deren harte Schule mit Frühsport, Gewaltmärschen, Lagerfeuerromantik, Mut- und Messerproben sowie politischen Schulungen. Nach eigenen Angaben will die Wiking-Jugend 15 000 Kinder und Jugendliche geschult und gedrillt haben. Führende Kader wie der NPD-Bundesvize und -Landtagsfraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, marschierten in deren Reihen mit. Der NPD-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Stefan Köster aus Mecklenburg-Vorpommern trommelte bei ihnen. Andere WJ-Mitglieder wurden später als Terrorakteure bekannt. Die Organisation propagierte die »Zurückdrängung des Fremdrassigen«, die »Verhinderung der Vermehrung von Minderwertigen« zum Schutz »deutscher Volkssubstanz« und forderte gar einen gelben Stern zur Kennzeichnung von jüdischen Mitbürgern. Schießen stand ebenso wie »Erbgesundheitspflege« auf den Plänen für die Jugendfahrten. Ein Technischer Dienst (TD) im Inner Circle der WJ-Organisation agierte bis 1994 – nicht nur zur Vorbereitung von Lagern. Aus deren Reihen heraus gab es immer wieder gewaltsame Übergriffe. Waffen wurden gehortet. WJ-Gründer Matthaei zog Mitte der 1950er Jahre nach Spanien, er war wegen seiner Homosexualität in Ungnade gefallen. Militärischen Zielen blieb der Altnazi treu: Auf seiner Finca El Tiemblo in der Provinz Ávila soll die terroristische Spanische Jugendbrigade an Maschinenpistolen und Gewehren aller Kaliber ausgebildet worden sein.

In den 1950er Jahren mehrten sich die Anzeichen dafür, dass das »nationale Lager« sich regenerierte und an Mobilisierungskraft gewann. Das Verbot der SRP hatte den politischen Spielraum der nationalen Opposition zunächst eingeschränkt, erklärt Gideon Botsch, Politikwissenschaftler der Universität Potsdam. Aus deren Perspektive stand zu befürchten, dass es im Schatten von Wirtschaftswunder, Kaltem Krieg und einer als »Umerziehung« empfundenen Demokratisierung zu einem Kontinuitätsbruch kommen würde, der schließlich das Ende der völkischen und nationalistischen Tendenzen insgesamt mit sich bringen könnte. So kam den gegründeten Jugendverbänden des nationalen Lagers die wichtigste Funktion zu. Über sie konnte sich die »Bewegung« nach den Verbrechen des Nazi-Regimes überhaupt neu entwickeln, sie wurden zur »kommenden Kraft« stilisiert. Begeisterungsfähigkeit, rebellische Grundhaltung und die Möglichkeit zur Beeinflussung junger Leute, so Botsch, bildeten einen weiteren Grund für die intensive Jugendarbeit nationalistischer Strategen. In den 1960er Jahren kristallisierten sich die Wiking-Jugend und der konkurrierende Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) heraus. Sie erlangten überregionale Bedeutung. Beide Gruppen ordneten sich politisch nah der 1964 gegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) an, einige Nachwuchskader übernahmen Doppelfunktionen.

Am 2. Januar 1971 verübte eine »Odalgruppe«, die das gemeinsame Symbol von Wiking-Jugend und Bund Heimattreuer Jugend, die Odalrune, nutzte, einen Sprengstoffanschlag auf ein Redaktionsbüro der DKP-Zeitung »Unsere Zeit« in Hamburg. 1976 griffen etwa 60 Teilnehmer eines WJ-Sommerlagers Journalisten des WDR-Magazins »Monitor« an und zertrümmerten Kamera und Auto des Drehteams. Den späteren Chef des Bundesordnungsdienstes der NPD, Manfred Börm, verurteilte das Landgericht Koblenz im Februar 1979 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe. Er hatte einen Pfahl in das Fahrzeug des WDR-Teams gerammt. Es sollte nicht seine letzte Straftat gewesen sein. Immer wieder griffen WJ-Anhänger im Laufe der Jahre Journalisten an.

Bereits kurz vor dem Ende der DDR entstand im Sommer 1989 in Dresden im sogenannten Gau Sachsen die WJ-nahe Sachsenjugend. Monatelange Auseinandersetzungen waren vorausgegangen. Neonazi-Skinheads waren dabei in das Dresdener Café der offenen Arbeit »Pep« eingedrungen und hatten dort provoziert. Bei einem Sommerfest war es zu einer größeren Schlägerei zwischen ostdeutschen Punkern und Rechtsextremen gekommen. Letztere erhielten Hausverbot. Einige völkisch-nationalistische Jugendliche gründeten die uniformierte Sachsenjugend mit Braunhemd, schwarzem Halstuch oder Schlips, schwarzen Hosen und Schnürstiefeln. Nach dem Umbruch in der DDR schlossen sie sich der WJ an. Erst 1994 verbot das damals noch in Bonn ansässige Bundesministerium des Innern die mit etwa 500 Mitgliedern gesamtdeutsch organisierte Wiking-Jugend. In der Pressemitteilung vom 10. November 1994 hieß es dazu: »Die WJ will das Grundgesetz notfalls auch mit Gewalt abschaffen und erneut einen nationalsozialistischen Staat in Deutschland errichten.«

Bereits 1953 waren radikale Pläne von Altnazis bekanntgeworden, eine »NS-Kampftruppe« zu etablieren. Nach Erkenntnissen der britischen Besatzungsbehörden gab es in Westdeutschland eine Verschwörung gegen den Staat und die alliierte Autorität im Land – so stand es im amtlichen Kommuniqué aus London, welches die deutsche Öffentlichkeit am 15. Januar 1953 überraschte. Demnach plante ein sogenannter »Gauleiter-Kreis« um Werner Naumann die »Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland«. Die Verschwörer um Naumann hatten ihren Einfluss derartig ausgeweitet, dass die Briten einschritten. In Hamburg, Solingen und Düsseldorf verhafteten britische Sicherheitsoffiziere ein halbes Dutzend Politiker und transportierten lastwagenweise Aktenmaterial aus ihren Wohnungen ab. Es war einer der spektakulärsten Unterwanderungsversuche in der Nachkriegsgeschichte, der in dieser Nacht zerschlagen wurde. Der ehemalige Staatssekretär im Reichspropagandaministerium und SS-Brigadeführer Werner Naumann und sein »Gauleiter-Kreis« hatten versucht, die nordrhein-westfälische FDP zu durchsetzen.