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© 2010 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

 

 

ISBN 978-3-440-13511-2

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Mission: Shoppen bis zum Umfallen

Es war ein grauer Samstagnachmittag im Oktober und es regnete. Das Einkaufszentrum war brechend voll. Gestresste Mütter, die plärrende Kinder hinter sich herzerrten, mit zahllosen Tüten beladene Familienväter, kichernde Teenager und ältere Damen mit Shoppingtrolleys schoben sich langsam durch die Gänge. Die Stimmen der Besucher vermischten sich mit seichter Popmusik, die aus den Lautsprechern an der Decke drang. Zwischendurch verkündete eine sanfte Damenstimme die neuesten Sonderangebote und Verkaufsaktionen der einzelnen Geschäfte.

»Puh, ist hier viel los!« Franzi verzog das Gesicht, als sie hinter ihren Freundinnen Kim und Marie das Einkaufszentrum betrat. »Und die Luft ist zum Schneiden.« Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Windjacke und zog die Gummibänder fest, die ihre kurzen, roten Zöpfe zusammenhielten.

»Wir sind offenbar nicht die Einzigen, die auf die Idee gekommen sind, bei diesem Mistwetter bummeln zu gehen.« Kim strich sich ein paar Regentropfen aus ihren dunklen Stirnfransen. »Vielleicht sollten wir uns gleich ins Eiscafé verziehen, bevor wir von den Besuchermassen überrollt werden.«

»Auf keinen Fall«, sagte Marie entschieden. »Wir haben heute eine wichtige Mission – schon vergessen?«

»Und die wäre?«, fragte Franzi.

Marie grinste. »Shoppen bis zum Umfallen!« Sie warf mit einer schwungvollen Bewegung ihre langen, blonden Haare zurück, straffte die Schultern und stellte die Ellbogen seitlich auf. »Mir nach!« Dann stürzte sie sich todesmutig ins Getümmel.

Normalerweise hatten Kim, Franzi und Marie eine ganz andere Mission: das Aufklären kniffliger Kriminalfälle. Seit sie ihren Detektivclub Die drei !!! gegründet hatten, waren ihnen schon einige Verbrecher ins Netz gegangen. Sie hatten nicht nur einem Handyerpresser, skrupellosen Tierschmugglern und gefährlichen Juwelendieben das Handwerk gelegt, sondern auch eine entführte orientalische Prinzessin gerettet und einen sorgfältig geplanten Bankraub verhindert. Ihre Ermittlungen hatten sie bereits nach Berlin und Paris, an die Côte d’Azur und auf die berühmte Pferderennbahn im englischen Ascot geführt.

Momentan war allerdings kein neuer Fall in Sicht. Seit dem Ende der Sommerferien herrschte totale Flaute. Statt aufregende Abenteuer zu erleben, hatten sich die drei !!! in den letzten Wochen tagein, tagaus durch den herbstlichen Nieselregen zur Schule und wieder nach Hause geschleppt, seitenlange Referate vorbereitet, für unzählige Klassenarbeiten gelernt und sich gegenseitig endlose Vokabellisten abgefragt. Sämtliche Lehrer schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Offenbar wollten sie ihren Schülern unbedingt das Leben schwer machen und ihnen auch noch den letzten Rest Freizeit rauben.

»Jetzt reicht’s!«, hatte Franzi vor ein paar Tagen gestöhnt. »Wenn ich noch eine einzige Vokabel lerne, platzt mir der Kopf. Im Übrigen glaube ich nicht, dass ich jemals das Wort ›Kühlaggregat‹ auf Französisch brauchen werde.« Sie hatte gerade einen Zeitungsartikel über französische Obst- und Gemüsetransporte durchgearbeitet – eine Hausaufgabe, die mal wieder bewies, dass ihre Französischlehrerin eindeutig sadistisch veranlagt war. Warum sonst sollte sie ihre Schüler mit einem derartig langweiligen Thema quälen?

Daraufhin hatten die drei !!! einstimmig beschlossen, dass sie dringend eine Abwechslung brauchten und sich am Samstagnachmittag bei einer ausgedehnten Shoppingtour von den Strapazen des Schulalltags erholen wollten.

Eine Stunde nach Beginn der Shoppingmission hatte Marie einen neuen Wintermantel, ein Paar grasgrüne Lederstiefel mit schwindelerregend hohen Absätzen und eine Handtasche in Schlangenlederoptik erstanden. Kim hatte sich eine für ihre Verhältnisse ziemlich gewagte Röhrenjeans und heruntergesetzte Sneakers gekauft.

»Jetzt brauchen wir nur noch etwas für dich, Franzi«, stellte Marie gut gelaunt fest. Shoppen versetzte sie immer in Hochstimmung. »Wie wär’s mit einem schicken Herbstoutfit?«

Franzi gähnte. »Muss das sein? Meine Füße tun weh, und alle fünf Minuten rammt mir jemand im Vorbeigehen seine Einkaufstasche zwischen die Rippen. Wollen wir nicht lieber ins Café Lomo gehen und einen Kakao Spezial trinken?«

»Später«, sagte Marie. »Alles zu seiner Zeit. Ich verlasse dieses Einkaufszentrum erst, wenn du auch etwas gekauft hast.« Sie betrat mit energischem Schritt eine schicke Boutique und verkündete: »Hier finden wir bestimmt das Richtige.«

Franzi war sich da nicht so sicher. »Der Laden ist doch viel zu teuer«, zischte sie. »Außerdem ist dieser edle Kram überhaupt nicht mein Ding. Lass uns lieber in das Sportgeschäft nebenan gehen. Ich könnte ein neues Shirt zum Skaten gebrauchen.«

»Nichts da.« Marie ging auf einen Kleiderständer zu. »Du hast mehr als genug Sportklamotten. Höchste Zeit, dass du auch mal deine weibliche Seite betonst. Wie wär’s hiermit?« Sie hielt ein bodenlanges, cremefarbenes Wollkleid hoch.

Franzi stöhnte. »Igitt! So was ziehe ich nie im Leben an.«

»Na gut, dann nehmen wir eben etwas anderes.« Marie ließ sich nicht so leicht entmutigen. Mit fachmännischem Blick scannte sie die restlichen Klamotten auf dem Ständer. Plötzlich stieß sie einen spitzen Schrei aus. Die top gestylte Verkäuferin hinter dem Tresen zuckte zusammen und runzelte missbilligend die Stirn, was Marie jedoch überhaupt nicht bemerkte. »Jetzt hab ich’s!«, rief sie. »Das hier ist einfach perfekt für dich!« Sie zog ein schlichtes, lindgrünes Minikleid mit halblangen Ärmeln und Polokragen hervor. »Die Farbe passt super zu deinen roten Haaren!«

Franzi rümpfte die Nase. »Ich weiß nicht … Eigentlich trage ich nie Kleider …«

»Dann wird sich das jetzt eben ändern«, sagte Marie entschieden. »Es ist echte Verschwendung, dass du deine super Figur immer in diesen schlabberigen Skateroutfits versteckst.«

»Probier das Kleid doch wenigstens mal an«, ermutigte nun auch Kim ihre Freundin.

Franzi seufzte. Eigentlich hatte sie nicht die geringste Lust, sich in eine der engen Umkleidekabinen zu quetschen. Aber sie wusste, dass Marie nicht locker lassen würde, darum gab sie schließlich nach. »Also gut. Aber wenn mir das Kleid nicht gefällt, gehen wir sofort ins Lomo, okay?«

Marie grinste. »Abgemacht.«

Wider Erwarten fühlte sich Franzi in dem Kleid alles andere als unwohl. Nachdem sie sich umgezogen hatte, drehte sie sich verblüfft vor dem großen Spiegel. »Wahnsinn! Ich sehe total anders aus.«

»Genau. Und zwar viel besser.« Marie nickte zufrieden. »Ich wusste doch gleich, dass der schlichte, sportliche Schnitt zu dir passt.«

»Steht dir echt gut«, sagte Kim. »Du solltest das Kleid unbedingt nehmen.« Sie zwinkerte Franzi zu. »Benni wird es bestimmt auch gefallen.«

Franzi wurde rot. »Meinst du?«

Benni war ihr Skaterkumpel, mit dem sie vor einer Weile kurz zusammengewesen war. Leider hatte es nicht funktioniert, und jetzt waren sie nur noch gute Freunde. Doch in letzter Zeit spürte Franzi wieder ein leichtes Kribbeln in der Magengegend, wenn sie Benni sah. Mit seinen blonden Locken und der sportlichen Figur war er aber auch genau ihr Typ – mal ganz abgesehen von seiner süßen und witzigen Art.

»Also gut.« Franzi gab sich einen Ruck. »Ich nehme es.« Doch als sie einen Blick aufs Preisschild warf, blieb ihr glatt der Mund offen stehen. »Das … das muss ein Irrtum sein«, stammelte sie. »Wer gibt denn so viel Geld für so ein bisschen Stoff aus?«

Marie zuckte mit den Schultern. »Qualität hat eben ihren Preis.« Sie zog ihr Portemonnaie heraus. »Mach dir keine Gedanken, ich übernehme das.«

Franzi schüttelte heftig den Kopf. »Das kann ich auf keinen Fall annehmen! Das ist doch viel zu viel.«

Marie seufzte. »Willst du das Kleid jetzt haben oder nicht? Du weißt doch, dass ich mehr als genug Taschengeld bekomme. Außerdem hat Papa mir vorhin extra noch etwas zugesteckt, damit wir uns einen schönen Nachmittag machen können. Ich glaube, er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er schon wieder zu einem Wochenend-Dreh muss. Dabei wollten wir morgen eigentlich zusammen segeln gehen. Na ja, bei dem Wetter wäre das wahrscheinlich sowieso nichts geworden …« Sie versuchte, ein gleichmütiges Gesicht zu machen.

Franzi sah ihre Freundin mitfühlend an. Manchmal war es nicht leicht für Marie, dass ihr geliebter Vater ein berühmter Schauspieler war. Er wurde von seiner Arbeit sehr in Anspruch genommen und hatte deshalb nicht viel Zeit für seine Tochter. Wenn er mal zu Hause war, verwöhnte er sie dafür aber umso mehr und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Außerdem verdiente er mit seiner Rolle als Hauptkommissar Brockmeier in der Vorabendserie Vorstadtwache so viel, dass er und Marie ein ziemlich luxuriöses Leben führen konnten.

»Okay«, gab Franzi nach. »Wir können ja zusammenlegen. Ich hab noch ein bisschen Taschengeld übrig.«

»Prima!« Zufrieden ging Marie zur Kasse, wo die Verkäuferin in Anbetracht des dicken Umsatzes, der sie erwartete, ein strahlendes Lächeln aufgesetzt hatte. »Dann sind wir uns ja einig.«

 

Nachdem die drei !!! die Boutique verlassen hatten, schlenderten sie mit Tüten beladen in Richtung Ausgang. Franzis Laune hatte sich nach ihrem Einkauf gebessert. Verheißungsvoll knisterte das in Seidenpapier gewickelte Kleid in der vornehmen Papiertasche. Ob es Benni tatsächlich gefallen würde? Sie beschloss, es gleich zu ihrem nächsten Treffen außerhalb der Skateranlage anzuziehen.

Eigentlich wollten die Freundinnen ihren Shoppingnachmittag mit einem Besuch in ihrem Lieblingscafé, dem Café Lomo, beschließen, doch als sie an einer Parfümerie vorbeikamen, zog Marie die anderen kurzerhand hinein.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, stöhnte Franzi. »Ich will endlich an die frische Luft!«

»Es dauert nur eine Minute«, versicherte Marie und blieb vor einem Regal mit hochpreisigen Kosmetikartikeln stehen. »Ich will mir bloß schnell einen neuen Lippenstift kaufen. Die aktuellen Herbstfarben sind einfach unwiderstehlich!« Sie griff nach einem auberginefarbenen Lippenstift und probierte ihn auf ihrem Handrücken aus. »Nein, der Ton ist zu kräftig für meinen hellen Teint. Aber zu deinem neuen Kleid würde er prima passen.« Marie hielt Franzi den Lippenstift hin. »Probier doch mal!«

Franzi schüttelte den Kopf. Sie schminkte sich nicht besonders oft, und wenn, dann eher dezent. »Ich will doch nicht aussehen wie lebendig gewordenes Gemüse. Außerdem mag Benni mehr den natürlichen Typ.«

»Aha!« Marie grinste. »Du stehst also tatsächlich noch auf ihn.«

Franzi fühlte sich ertappt und wurde prompt rot. »Na ja … ein klitzekleines bisschen vielleicht«, gab sie widerwillig zu.

»Wie schön!« Kim strahlte über das ganze Gesicht. »Vielleicht kommt ihr ja bald wieder zusammen. Benni wäre bestimmt überglücklich.«

»Ich weiß nicht …« Genau dieser Punkt machte Franzi schon seit einer Weile zu schaffen. »Nach unserer Trennung war er zwar super traurig, aber inzwischen ist so viel Zeit vergangen … vielleicht will er ja gar nichts mehr von mir!«

»Es gibt nur einen Weg, um das herauszufinden«, sagte Kim. »Du musst mit ihm über deine Gefühle reden.«

Franzi seufzte. »Das sagt sich so leicht …«

»Du schaffst das schon.« Kim lächelte ihrer Freundin aufmunternd zu. »Und ich bin mir ganz sicher, dass Benni dir keinen Korb geben wird.«

»Wie läuft’s eigentlich zwischen dir und Michi?«, erkundigte sich Franzi, um vom Thema abzulenken. »Ist alles wieder paletti?«

Kim war mit ihrem Freund Michi bereits seit einer halben Ewigkeit zusammen. Die beiden waren einfach das perfekte Paar, wie Franzi immer wieder etwas neidvoll feststellte, wenn sie sie zusammen sah. Michi war aber auch ein toller Typ: gut aussehend, nett, witzig und verständnisvoll. Ein absoluter Glücksgriff. Allerdings hatten Kim und er in den Sommerferien eine Beziehungskrise gehabt, die ihr Liebesglück zeitweilig etwas getrübt hatte.

Kims Gesicht nahm eine rosa Färbung an, wie immer, wenn von Michi die Rede war. »Wir haben unsere Krise zum Glück überwunden. Ich glaube, die Sache hat uns sogar noch enger zusammengeschweißt.«

Trotzdem meinte Franzi, einen Schatten über Kims Gesicht huschen zu sehen. »Aber?«, hakte sie nach.

»Nichts aber.« Kim biss sich auf die Unterlippe. »Na ja … abgesehen davon … dass …«

Marie ließ den Lippenstift, den sie gerade aus dem Regal gezogen hatte, sinken und wandte sich Kim zu. »Was ist los? Stimmt was nicht zwischen euch?«

Kim seufzte. »Das kann man so nicht sagen.«

»Was ist es dann?« Franzi sah ihre Freundin aufmerksam an. »Du brauchst uns nichts vorzumachen, dazu kennen wir dich viel zu gut.«

»Ich weiß«, murmelte Kim. Dann gab sie sich einen Ruck. »Irgendwie ist es zwischen Michi und mir nicht mehr so wie früher. Es fehlt etwas. Dieses gewisse Kribbeln, das sonst immer da war, wenn wir uns gesehen haben …«

»Bist du etwa nicht mehr in ihn verliebt?«, fragte Franzi alarmiert.

»Doch, ich glaube schon.« Das Rot auf Kims Wangen vertiefte sich. »Das heißt, eigentlich bin ich mir in diesem Punkt sogar hundertprozentig sicher. Aber … na ja … wir unternehmen einfach nichts Aufregendes mehr zusammen. Früher haben wir jedes Wochenende lange Ausflüge gemacht, zum Badesee oder in den Wald zum Picknicken. Es war immer total romantisch und schön. Jetzt treffen wir uns höchstens mal im Café Lomo. Michi erzählt von seinem Job in der Eisdiele und ich von der Schule. Das war’s dann auch schon. Wo bleibt denn da die Romantik?«

Marie legte Kim tröstend eine Hand auf den Arm. »Aber das ist doch völlig normal. Ihr seid schließlich schon länger zusammen, da schleicht sich irgendwann eine gewisse Routine in die Beziehung ein. Es bleibt eben nicht immer so rosarot wie am Anfang.«

Kim schüttelte trotzig den Kopf. »Ich will aber keine Routine!«

»Meine Eltern hocken abends auch meistens nur noch vor dem Fernseher«, erzählte Franzi. »Abgesehen von ihrem wöchentlichen Kinoabend natürlich. Irgendwann hat man sich halt nichts mehr zu sagen.«

Kim machte ein erschrockenes Gesicht. »Du kannst Michi und mich doch nicht mit deinen Eltern vergleichen! Wir sind schließlich kein altes Ehepaar!«

»So hat Franzi das bestimmt nicht gemeint«, sagte Marie beschwichtigend. »Ihr müsst euch einfach mal wieder Zeit füreinander nehmen und etwas ganz Besonderes zusammen machen. Wie wär’s zum Beispiel mit einem romantischen Abendessen bei Kerzenschein? Das kann wahre Wunder wirken.«

»Meinst du?« Kim machte ein skeptisches Gesicht.

Marie nickte eifrig. »Und ob! Probier’s doch mal aus. Übrigens war ich gestern bei Adrian zum Abendessen eingeladen. Das war auch ziemlich romantisch …«

Franzi wurde sofort hellhörig. »Adrian? Ich dachte, den wolltest du dir aus dem Kopf schlagen.«

Adrian war ein junger Schauspielschüler, der mit seiner WG in der Wohnung unter dem Penthouse von Marie und ihrem Vater wohnte. Die beiden waren gute Freunde, doch das reichte Marie nicht. Sie hatte alles versucht, damit mehr daraus wurde, leider ohne Erfolg. Dabei konnte sonst kaum ein Junge ihren Flirtkünsten widerstehen. Schließlich hatte sie entnervt beschlossen, sich zu entlieben und ihre Energien auf aussichtsreichere Projekte zu konzentrieren – zum Beispiel auf ihre zukünftige Karriere als Schauspielerin oder Sängerin. Und natürlich auf den Detektivclub.

»Na ja …« Jetzt war es an Marie, rot zu werden. »Das ist leichter gesagt als getan. Ich hab ehrlich versucht, nicht mehr an Adrian zu denken. Und ich hätte es auch fast geschafft. In den letzten Wochen bin ich ihm erfolgreich aus dem Weg gegangen und hab mich mit einer Extradosis Sport und Schauspielübungen abgelenkt. Aber gestern stand er plötzlich vor unserer Tür. Einfach so.«

»Und?«, fragte Kim gespannt.

»Er hat mich zum Abendessen eingeladen«, erzählte Marie weiter. »Es gab selbst gemachte Pizza. Ich dachte, ein entspanntes Essen mit seiner WG kann nicht schaden. Außerdem war ich mir sicher, dass ich über Adrian hinweg bin. Leider lief es nicht ganz so wie geplant.«

Franzi zog eine Augenbraue hoch. »Was ist passiert?«

»Die anderen WG-Mitbewohner waren gar nicht da.« Marie seufzte. »Adrian hatte nur für uns zwei gedeckt. Und überall im Wohnzimmer Kerzen aufgestellt. Es war so romantisch!«

»Hat er dich etwa geküsst?«, quiekte Kim.

»Leider nicht.« Marie stieß noch einen Seufzer aus. »Es sollte so eine Art Versöhnungsessen sein. Adrian wollte wissen, warum ich mich in letzter Zeit so rar gemacht habe. Natürlich konnte ich ihm den wahren Grund nicht sagen. Also hab ich irgendwas von Stress in der Schule gestammelt. Und als er gefragt hat, ob wir noch Freunde sind, wäre ich ihm am liebsten um den Hals gefallen. Ich konnte mich in letzter Sekunde zurückhalten.«

»Du stehst also immer noch auf ihn«, stellte Franzi fest.

Marie nickte. »Scheint so. Aber er nicht auf mich. Das ist mir gestern noch einmal klar geworden. Es war alles rein freundschaftlich.«

»Schöner Mist«, stellte Kim fest.

»Tja.« Marie lächelte etwas gequält. »So viel zu romantischen Abendessen bei Kerzenschein.«

Bevor Franzi etwas erwidern konnte, nahm sie eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr. Sie fuhr herum. Hinter ihr stand ein Mädchen, das ungefähr im Alter der drei !!! war. Es war sehr blass und sah mit seinen braunen, halblangen Haaren und dem ungeschminkten Gesicht eher unscheinbar aus. Es kam Franzi vage bekannt vor, ohne dass sie hätte sagen können, woher. Franzi beobachtete wie das Mädchen etwas in seiner Umhängetasche verschwinden ließ. Gleich danach schaute es sich verstohlen um. Als es Franzis aufmerksamen Blick bemerkte, wurde sein Gesicht noch etwas blasser, und es ging mit schnellen Schritten auf den Ausgang zu.

»Was ist los?«, fragte Kim. »Kennst du die?«

Das Ganze war so schnell gegangen, dass Franzi dem Mädchen ein paar Sekunden verblüfft nachschaute, ohne reagieren zu können. Hatte es gerade tatsächlich etwas geklaut? Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Dann erreichte die Verdächtige den Ausgang, und der Alarm ging los. Das laute Piepen kreischte in Franzis Ohren. Alle starrten zum Ausgang. Das Mädchen war einen Moment wie gelähmt. Es umklammerte seine Tasche. Franzi sah, wie seine Fingerknöchel weiß wurden.

Die Verkäuferin hinter der Kasse rief etwas und gestikulierte wild. Ihre Kollegin ließ vor Schreck einen kunstvoll geschliffenen Parfumflakon fallen, den sie gerade einer Kundin hatte präsentieren wollen.

Doch bevor irgendjemand etwas tun konnte, passierten zwei Dinge gleichzeitig.

Das Mädchen rannte los.

Und Franzi spurtete hinterher.

Schneewittchen mit den eiskalten Augen