Buchinfo

Wo immer Luna jemanden in Not sieht oder ein Problem wittert, ist sie zur Stelle. Ist doch klar! Nur leider weiß das meist niemand zu schätzen. Dass ihre Hilfsaktionen ab und an im mittleren Chaos enden – dafür kann sie ja schließlich nichts. Auch als ihre beste Freundin dringend eine Oma und einen Opa für den Großeltern-Tag an der Schule braucht, hat Luna sofort einen Plan parat: Bestimmt können sie sich ein paar rüstige Senioren aus dem Altenwohnheim ausleihen …

Autorenvita

© privat

Hortense Ullrich hat über 60 Bücher für Kinder und Jugendliche geschrieben, von denen es 140 Übersetzungen in 25 Sprachen gibt; mit einer Gesamtauflage von über 3 Millionen Exemplaren. Zuvor hat sie als Journalistin und Drehbuchautorin gearbeitet. Acht Jahre verbrachte sie mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in New York. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Bremen.

»Ich kann mich ja mal darum kümmern!«, sagte ich und nickte meinem Vater beruhigend zu. Doch der wirkte ganz und gar nicht beruhigt, sondern drehte in leichter Panik seinen Kopf Hilfe suchend zu meiner Mutter.

Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und wandte sich dann an mich.

»Nein, Luna. Papa regelt das selbst.«

»Ich helfe gern!«

»Ich weiß«, nickte meine Mutter und ganz leise murmelte sie: »Das ist ja das Problem.«

Was sollte das denn heißen?

Wir saßen beim Sonntagsfrühstück und gerade hatte mein Vater meiner Mutter erzählt, dass sein Artikel über die Verschwendung von Steuergeldern für eine Skulptur vor dem Rathaus in der neuen Ausgabe des Stadt-Magazins nicht drin war.

»Da hat einer vom Stadtrat interveniert, unter Garantie! Der ist nämlich ein Spezi von diesem Künstler und wahrscheinlich teilen die sich das Honorar. Das Geld hätte man wesentlich sinnvoller anlegen können, zum Beispiel für die Kita in der Vorstadt. Da herrschen unglaubliche Zustände, die Kinder sind in einem baufälligen Gebäude untergebracht«, hatte er sich aufgeregt.

Ich bin der Meinung, mein Vater hat recht. So etwas kann man doch nicht einfach hinnehmen, da muss man was tun!

»Wenn Luna sich drum kümmert, wird Papa entweder verhaftet oder die Kita wird geschlossen«, sagte mein ein Jahr jüngerer Bruder Paul kauend. »Das wird genauso wie damals, als sie zu meinem Biolehrer gegangen ist und sich darüber beschwert hat, dass er mich zu einer Strafarbeit verdonnert hat, weil ich im Unterricht geschwätzt hatte.«

»Aber du hast doch deinen Nachbarn bloß immer wieder danach gefragt, was der Lehrer gerade gesagt hat.«

»Ja, weil ich nicht aufgepasst hatte. Aber du hast ihm erzählt, ich sei schwerhörig.«

»Ich dachte, dann kriegst du mildernde Umstände und musst den Aufsatz nicht schreiben.«

»Musste ich aber trotzdem! Und wegen meiner Schwerhörigkeit muss ich jetzt bei ihm in der ersten Reihe sitzen. Danke, Luna!«

»Hey, ich hatte es nur gut gemeint«, verteidigte ich mich.

Paul verdrehte die Augen und seufzte.

»Wir sollten heute einen Ausflug machen zum Birkengrund«, wechselte mein Vater das Thema. »Das ist ein Naturschutzgebiet am Stadtrand, das die Stadtverwaltung in Bauland umgewandelt hat, und nun soll dort gebaut werden. Und zwar Büros. Sie nennen es sogar Büropark, obwohl dort nach der Bebauung nichts Grünes mehr zu sehen sein wird. Glaubt man das? Ein unerhörter Skandal! Ich will mich mal vor Ort umsehen und ein paar Leute interviewen. Auf jeden Fall werde ich einen Artikel darüber schreiben.«

Dass seine Artikel selten veröffentlicht wurden, hielt ihn nicht davon ab, sie zu schreiben. Mein Vater arbeitete als freier Journalist – notgedrungen, denn die Zeitung, bei der er angestellt war, gab es nicht mehr. Seitdem war er zu Hause, kümmerte sich um den Haushalt und um Paul und mich. Was gut war, denn meine Mutter arbeitete ganztags für ein Maklerbüro, manchmal auch abends und am Wochenende, wenn sie Häuser und Wohnungen zeigen musste.

»Kann Pia mitkommen?«, fragte ich.

»Natürlich«, nickte mein Vater.

»Aber will sie denn nicht vielleicht etwas mit ihrer Mam unternehmen?«, fragte meine Mutter.

»Die ist nicht zu Hause, sie muss heute für eine Kollegin einspringen.«

Meine beste Freundin Pia Bernhardt wohnt nur zwei Häuser weiter, zusammen mit ihrer Mutter, die als Rezeptionistin in einem Hotel arbeitet. Pias Eltern hatten sich scheiden lassen, als Pia sieben Jahre alt war. Ihr Vater war ausgezogen, Pia und ihre Mutter sind in dem kleinen Reihenhaus geblieben. Pia ist mehr oder weniger den ganzen Tag allein, weil ihre Mam ziemlich viel arbeiten muss. Deshalb ist Pia oft bei uns, aber seit Neuestem gehe ich lieber rüber zu Pia, weil sich herausgestellt hat, dass ein erwachsenenfreies Haus durchaus seine Vorteile hat.

»Gut, dann frag sie, ob sie mitkommen will«, sagte meine Mutter.

Ich stand auf.

»Nicht jetzt. Wir frühstücken noch.«

»Ja, ihr. Aber ich bin schon fertig.«

»Luna …«

»Und es gibt doch keinen Grund, dass ich euch beim Kauen zusehe, oder?«

Meine Mutter sah meinen Vater an, der zuckte mit den Schultern.

»Okay«, seufzte sie.

Ich ging zur Terrassentür, meine Mutter stoppte mich.

»Keine Abkürzung! Ich will nicht schon wieder Ärger mit Frau Berghof bekommen.«

»Genau genommen ist es auch keine Abkürzung«, sagte Paul, immer noch kauend. »Der Weg vor den Häusern ist sogar noch etwas kürzer als der durch den Garten, weil Luna sich ja immer ganz hinten im Garten durchschleichen muss.«

So ein Besserwisser! Ich warf meiner Mutter einen fragenden Blick zu, doch die machte eine eindeutige Bewegung mit dem Kopf Richtung Haustür. Ich fügte mich.

Im Reihenhaus zwischen Pia und mir wohnt Amalia Berghof, eine ältere verwitwete Dame, grantig und bärbeißig, und sie mag keine Kinder. Pia und ich kürzen ganz gern durch Frau Berghofs Garten ab, wenn wir uns besuchen wollen, worüber sie sich immer super aufregt. Kann ich gar nicht verstehen, es nutzt ja wohl ihren Rasen nicht ab, wenn Pia und ich da gelegentlich drüberlaufen. Und wir sind auch immer ganz vorsichtig, wenn wir uns zwischen den Büschen durchzwängen, die sie vor einiger Zeit als Grenze und Hindernis angepflanzt hat. Frau Berghof hat einen relativ großen und auch tiefen Teich ganz hinten in ihrem Garten, mit Fröschen, Libellen und einem kleinen Steg. Pias und mein Lieblingsplatz. Der Teich ist von Schilf eingerahmt und sehr idyllisch. Wenn Frau Berghof nicht zu Hause ist, sitzen Pia und ich immer gemütlich auf dem Steg, picknicken und schmieden Pläne. Auf unseren Handys haben wir eine To-do-Liste angelegt mit Dingen, die wir dringend verbessern oder ändern müssen. Das reicht von Weltfrieden über Spielstraßen in Wohnvierteln, kostenloser Gummibärenausgabe am Schulkiosk, Hausaufgaben noch am selben Tag machen, bis hin zur Frisur von Frau Schneider, unserer Mathelehrerin, die sich mit ihrem streng geflochtenen langen Zopf keinen Gefallen tut. Sie ist auf der Suche nach einem Ehemann und so wird das nie was! Ein weiterer wichtiger Punkt auf unserer Liste ist, später mal so einen Teich anzulegen und ihn für alle Kinder zugänglich zu machen.

Als Pia die Haustür öffnete, wunderte sie sich. »Wieso kommst du nicht durch den Garten? Frau Berghof ist in der Kirche, vor zwölf wird sie nicht zurück sein«, sagte sie.

Wir kannten Frau Berghofs Tagesablauf sehr genau. Mussten wir, um so wenig Ärger wie möglich mit ihr zu bekommen.

»Ich weiß, aber meine Mutter …«

»Schon klar. Wollen wir zum Teich?«

»Sicher.«

Als wir auf dem Steg saßen, zogen wir die Schuhe aus, krempelten die Hosenbeine hoch und ließen unsere Füße ins Wasser baumeln.

»Eigentlich echt gemein, dass sie deiner Mutter ständig Wochenenddienste aufs Auge drücken. Dann hat sie ja nie Zeit für dich.«

Pia seufzte und nickte.

»Das sollten wir unbedingt auf unsere To-do-Liste schreiben«, schlug ich vor.

»Hast du dein Handy dabei?«, fragte Pia.

»Nein. Meine Mutter hat es einkassiert, weil ich beim Frühstück gewhatsAppt habe. Ich krieg es in einer Stunde wieder.«

»Ich hol schnell meins.«

Während ich auf Pias Rückkehr wartete, versuchte ich, einen der kleinen Frösche zu fangen.

Da hörte ich etwas. Ich spähte durch das Schilf und erschrak. Frau Berghof war zurück! Sie stand auf der Terrasse und goss ihre Topfpflanzen. Dann sah sie zum Teich, verließ die Terrasse und spazierte in meine Richtung.

Ohne nachzudenken ließ ich mich ins Wasser gleiten und tauchte unter. Das war natürlich keine gute Idee, denn ich konnte maximal eine Minute lang den Atem anhalten. Verflixt!

Vorsichtig tauchte ich wieder auf, um Luft zu holen.

Da hörte ich, wie Pia nach Frau Berghof rief: »Meine Mutter lässt fragen, was das Geheimnis Ihrer Blumen ist. Die blühen immer so schön.«

»Wasser«, sagte Frau Berghof kurz angebunden.

»Ah, das ist ja interessant, ich werde es ihr ausrichten.«

Auf Pia ist hundertprozentig Verlass. Nun musste ich die Zeit, die sie mir verschafft hatte, nutzen.

»Ist die Kirche heute ausgefallen?«

»Was geht dich das an?«

So leise wie möglich kletterte ich aus dem Teich, schnappte meine und Pias Schuhe und schlüpfte durch die Büsche auf unser Grundstück.

Patschnass kehrte ich durch die Terrassentür wieder in unser Haus zurück.

Meine Familie saß noch beim Frühstück. Als sie mich sahen, schüttelte mein Bruder ungläubig den Kopf und mein Vater grinste. Nur meine Mutter war erschrocken.

»Luna! Was ist passiert?«

»Lange Geschichte. Ich glaube nicht, dass du sie hören willst.«

Sie stöhnte und fragte nur: »Hat Frau Berghof dich erwischt?«

»Nein.«

Meine Mutter atmete auf. »Gut. Dann steh jetzt nicht länger hier rum, du tropfst ja den ganzen Boden nass. Geh duschen und zieh dir trockene Sachen an.«

Paul deutete mit dem Löffel auf meinen Kopf. »In deinen Haaren, hinter deinem linken Ohr, hat sich ein kleiner Frosch verfangen. Du solltest ihn wieder freilassen.«

»Paul! – Es sind nur Algen, Luna«, beruhigte mich meine Mutter.

Als Pia und ich am nächsten Tag mittags die Schule verließen, gingen wir an Frau Schneider vorbei, die am Eingang zum Parkplatz stand. Sie schien auf jemanden zu warten. Sie strich sich übers Haar und zupfte ihre Kleidung zurecht.

»Hey, stopp mal«, flüsterte ich Pia zu. »Ich will wissen, auf wen sie wartet.«

Pia antwortete nicht, aber sie war brav neben mir stehen geblieben. Sie starrte vor sich hin, statt Frau Schneider im Auge zu behalten.

Als Herr Jensen, der neue Sportlehrer, kam, straffte Frau Schneider die Schultern und sah zu ihm hinüber. Sie lächelte ihn vorsichtig an.

Aha! Unser neuer Sportlehrer gefiel ihr also. Doch er ging achtlos an ihr vorbei. Wahrscheinlich hatte er sie gar nicht bemerkt. Frau Schneider hatte etwas Unsichtbares an sich, man nahm sie einfach nicht wahr. Sie konnte sich zu jeder Gruppe Schüler stellen und zuhören, was so gesprochen wurde, ohne dass sie auffiel. War vielleicht ein Vorteil, aber nicht, wenn sie einen Mann beeindrucken wollte.

Sie lief hinter Herrn Jensen her, sprach ihn an und hielt ihm einen Zettel entgegen. »Hier ist der Vertretungsplan. Für Markus. Er war heute nicht im Lehrerzimmer, als die verteilt wurden. Da dachte ich … kannst du ihm den Zettel geben?«

Jensen blieb überrascht stehen, was für meine Theorie sprach, dass er sie vorher übersehen hatte. »Mach ich«, sagte er, nahm den Zettel und grinste. »Oder willst du auf ihn warten und es ihm selbst geben?«

»Nein!« Sie wurde etwas rot.

»Na gut«, meinte er und ging weiter.

Also kannten sich die beiden, duzten sich und die Schneider hatte einen Vorwand gesucht, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Eindeutig: Sie fand ihn gut.

Jensen ging zu seinem Wagen, Frau Schneider blieb etwas entfernt stehen und beobachtete ihn. Er wartete an seinem Auto, bis Markus Bolte kam, ein Mathe- und Physiklehrer, die beiden hingen immer zusammen rum. Merkwürdige Vorstellung, dass Lehrer auch miteinander befreundet sein konnten und zusammen in ihrer Freizeit was unternahmen. Die zwei begrüßten sich kumpelhaft, Jensen gab Bolte den Zettel von der Schneider, Bolte blickte sich um, die Schneider ging in Deckung, dann stiegen die beiden Lehrer ins Auto. Frau Schneider sah ihnen hinterher, als sie vom Parkplatz fuhren, und schien zu seufzen. Dann lief sie ebenfalls zu ihrem Wagen.

Ich nickte Pia zu. »Wir können gehen. Sie ist in den Jensen verknallt.«

Wir machten uns auf den Heimweg, liefen nebeneinanderher. Pia war ungewöhnlich schweigsam, was mir erst nach einer Weile auffiel, weil ich die Angewohnheit habe, ununterbrochen zu reden. Zumindest behauptet das meine Mutter immer.

»Die Schneider muss echt was an ihrer Optik machen. Sie ist total die graue Maus. Der Jensen hat sie völlig übersehen. Und er sieht ziemlich gut aus, da muss sie sich anstrengen. Eigentlich braucht sie ein komplettes Make-over. Mit der Frisur sollten wir anfangen. Aber wir können ja schlecht zu ihr hingehen und es ihr sagen. Wir müssen uns was anderes einfallen lassen.«

Pia sagte nichts. Gut, musste sie auch nicht, ich hatte ja keine Frage gestellt.

»Was hältst du davon, wenn wir ein paar Fotos aus Zeitschriften ausschneiden? Mit schicken Kurzhaarschnitten. Und sie in ihr Fach legen lassen?«

»Okay.«

»In einem neutralen Umschlag. Dann wäre es sozusagen anonym.«

»Von mir aus.«

»Das ist Phase eins. Danach machen wir weiter mit ihrer Kleidung. Da hat sie auch kein Händchen für. Meine Oma ist schicker gekleidet als sie.«

Pia schien nicht so ganz bei der Sache zu sein. Sie nickte geistesabwesend.

Ich schaute sie von der Seite an und sagte: »Außerdem sollten wir die Frösche in Frau Berghofs Teich mal neu streichen. Die alte Farbe blättert schon ab.«

Pia nickte wieder. »Wenn du meinst.«

Aha. Sie hörte mir gar nicht zu. Ich drehte mich zu ihr und blieb stehen. »Was ist los?«

»Nichts.«

Doch Pia war nicht stehen geblieben, sondern einfach weitergegangen. Damit hatte ich nicht gerechnet und daher stand ich etwas dumm in der Gegend rum und blickte erst mal ins Leere, bis in meinem Hirn die Information angekommen war, dass Pia mir nicht gegenüberstand. Ich drehte meinen Kopf und sah sie bereits um die Ecke biegen.

»Pia!«

Als ich sie eingeholt hatte, wollte ich das mit dem Zum-Reden-stehen-Bleiben noch einmal versuchen, diesmal aber mit Ansage. Doch Pia wollte weder stehen bleiben noch reden.

Ich lief neben ihr her und hatte das Gefühl, dass sie das Tempo erhöhte. Wollte sie mich abhängen? Keine Chance, ich konnte mithalten. War sie sauer auf mich? Das sollte ich besser gleich mal klären.

»Hab ich was falsch gemacht?«

»Nein.«

»Hast du was falsch gemacht?«

»Nein.«

»Pia, du weißt, dass ich dich so lange fragen werde, bis du mir erzählst, was los ist. Erspar uns beiden doch mein Generve und sag, worum es geht.«

»Nein.«

Okay, ich musste also raten. Die übliche Prozedur, wenn ich herausbekommen wollte, was in Pia vorging. »Also, nur um das mal vorneweg zu klären: Du bist doch sauer, oder?«

Sie zögerte kurz und meinte: »Nein.«

»Ärgerlich?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Traurig?«

Sie zuckte mit den Schultern.

Aha. Traurig.

An der Stelle würde man normalerweise fragen: Wieso? Und man bekäme eine Antwort. Nicht bei Pia. Und sie war nicht die Einzige. Es gibt eine Menge Leute, die nicht in der Lage sind, einfach geradeheraus zu sagen, was für ein Problem sie haben. Sie weichen aus, murmeln so was wie: Lass nur, es geht schon. Und schmollen weiter vor sich hin. Damit komm ich nicht zurecht, ich will, dass alle Leute gute Laune haben, dass es ihnen gut geht, und ich leiste gern meinen Beitrag dazu und bemühe mich, ihnen zu helfen. Und in solchen Fällen ist dann echte Detektivarbeit angesagt, bis ich herausgefunden habe, was ihr Problem ist. Aber das schreckt mich nicht ab. Im Gegenteil!

»Hat es was mit der Schule zu tun?«

Schulterzucken. Das bedeutet bei Pia: ja. Also, was war vorgefallen? Nichts!

Seit wann war sie so merkwürdig? In der letzten Stunde hatte es angefangen. Bio. Hm. Wir hatten im Rahmen des Biologieunterrichts das Thema Abstammungslehre. Gregor Mendel. Vererbung, Gene und so. Um uns mehr für die Abstammungslehre zu begeistern, hatte Frau Kamprath, unsere Biolehrerin, das Thema dann auf unsere eigene Familie ausgeweitet. Wir hatten etwas Ahnenforschung betrieben, Stammbäume erstellt, Merkmale wie Haar- und Augenfarbe ermittelt und überprüft, was rezessiv und was dominant ist. Eigentlich ganz lustig.

Heute hatte Frau Kamprath uns mitgeteilt, dass wir in vier Wochen eine kleine Ausstellung veranstalten, dazu sollten wir unsere Großeltern einladen.

»Hat es was mit dem Großelterntag zu tun?«

Schweigen – ein ganz deutliches Ja.

»Was ist damit? Ist doch eine gute Idee.«

Nun blieb sie stehen und sah mich an. »Ich hab keine Großeltern mehr!«

Ach verflixt. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Oh Mann! Arme Pia.

»Ich kann dir ein Paar Großeltern leihen, ich hab zwei. Willst du lieber die Eltern von meiner Mutter oder die von meinem Vater?«

Pia sah mich groß an. »Was ist denn das für eine Idee? Jeder kennt deine Großeltern, die sind bei allen Schulveranstaltungen dabei.«

Ja, ich musste zugeben, der Plan hatte Lücken.

Sie seufzte. »Ich bin bestimmt die Einzige ohne Großeltern.«

»Aber da kannst du doch nichts dafür!«

»Das weiß ich selbst.«

»Außerdem hat Frau Kamprath gesagt, dass wir, wenn unsere Großeltern nicht kommen können, auch unsere Eltern mitbringen dürfen.«

»Ja toll. Ich hab nur meine Mutter und die muss arbeiten. Es ist doch unter der Woche.«

Nun seufzte ich. Und verstand Pia. Das konnte einem wirklich die Laune verderben.

»Ich lass mir was einfallen, Pia. Versprochen.«

»Was willst du dir da einfallen lassen? Da kann man nichts machen. Ist halt so.«

»Bitte? Na hör mal! Man kann immer was machen.« Mein Kampfgeist war geweckt. »Keine Sorge, alles wird gut, Pia! Ich werde dein Problem lösen!«

Sie klang fast ein wenig panisch, als sie sagte: »Schon in Ordnung, Luna. Lass mal.«

»Also ich bitte dich, wofür sind Freundinnen da? Du kannst auf meine Hilfe zählen.«

Mein Vater hatte für Paul und mich Mittagessen gekocht, und ich muss sagen, es wird immer besser.

Als mein Vater damals seinen Job verloren hatte, fing meine Mutter an, in dem Maklerbüro, in dem sie bis dahin von Zeit zu Zeit ausgeholfen hatte, ganztags zu arbeiten, und mein Vater hatte die Aufgabe, sich um den Haushalt und um die Kinder zu kümmern. Dass zum Kümmern auch gehörte, dass er für Paul und mich kochen musste, war ihm zunächst nicht klar. Und da er einer von den Menschen ist, die keine regelmäßigen Mahlzeiten brauchen, hatte ihn auch nicht sein eigener knurrender Magen daran erinnert, dass Kinder, wenn sie aus der Schule kommen, ganz gerne etwas essen würden.

Anfangs hatte das zur Folge, dass wenn wir aus der Schule kamen und fragten: »Was gibt’s zu essen?«, mein Vater immer diesen panischen Gesichtsausdruck bekam, und während er rot wurde sagte: »Ich dachte, wir holen uns was bei Hühner Hugo.« Ein Imbiss, der sich, wie der Name schon sagte, auf Huhn spezialisiert hatte.

Das ging so lange, bis Paul sich beschwerte: »Ich glaube, vom vielen Huhnessen wachsen mir langsam Federn und Luna gackert beim Lachen schon ganz hühnerig.«

Mein Vater verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und versprach, von nun an selbst zu kochen.

Anfangs bestand unsere Ernährung hauptsächlich aus Suppen. Er hatte gelernt, wie man einen Dosenöffner benutzte, war dann zu Tütensuppen übergegangen, inzwischen waren wir bei Tiefkühlkost angekommen, was wirklich ein enormer Fortschritt war. Und mittlerweile hielt er sich auch an die Auftauzeiten und wir mussten nicht mehr beim Essen auf kleinen Eisstückchen herumkauen. Heute war es sogar hart an der Grenze zu perfekt.

Als wir mit dem Essen fertig waren, lobte Paul ihn dafür.

»Und wie ist es mit dir, Luna?«, erkundigte sich mein Vater.

Ich war etwas abgelenkt, denn ich dachte über den Großelterntag nach. Hoffentlich hatte ich mich nicht übernommen mit dem Versprechen, Pias Problem zu lösen. Ich hatte nämlich null Ahnung, was ich tun konnte. Aber ich hatte ja fast vier Wochen Zeit. Mir würde schon noch etwas Geniales einfallen.

»Alles klar«, sagte ich.

»Alles klar oder hat es dir geschmeckt?«

»Oh, ach so. Ja, das Essen war echt lecker. Und warm.«

»Alles okay?«, fragte er nach. »Du warst so still heute beim Essen.«

»Und dafür sind wir dir sehr dankbar«, rief Paul.

»Ich hab dich auch lieb«, antwortete ich ihm ironisch.

»Ärger in der Schule?«, fragte mein Vater nach.

»Hast du wieder jemandem geholfen?«, grinste mein Bruder.

»Nein, aber ich bin dabei, genau das zu tun.«

»Worum geht’s?«, fragte mein Vater.

Sollte ich Pias Dilemma erwähnen? Da fiel mir Frau Schneider ein. Bestimmt könnte ich ein paar Tipps von meinem Vater bekommen. Denn ich war noch nie verliebt, also kannte ich mich auf diesem Gebiet nicht wirklich gut aus. Was müsste Frau Schneider tun, damit sich Herr Jensen in sie verliebt? Denn vielleicht war es nicht damit getan, dass wir die Raupe in einen Schmetterling verwandelten.

Ich wandte mich an meinen Vater. »Ich hab da mal ein paar Fragen zum Thema Liebe.«