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Impressum
Texte & Fotos: © Copyright by Carsten Kiehne & Stefan Herfurth Pfotographie (S.31)
Cover: © Copyright by Manuela Petri
Veröffentlichung: März 2021, 1. Aufl.
ISBN 978-3-753433417
Herstellung & Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Verlag: Selbstverlag SAGENHAFTER HARZ
Grünstr. 20, 06485 Bad Suderode
www.sagenhafter-harz.com & www.reiki-im-harz.de
carsten.kiehne@gmx.net
Der Harz ist sicher die sagenreichste Region Deutschlands & der Ostharz, meines Erachtens der schönste Teil des Ganzen! Seit über einem Jahrzehnt sammle ich die Heimatgeschichten dieser Region und habe allein vom Ostharz über 1.000 Erzählungen gebündelt. Da bleibt die Qual der Wahl, welche Sagen & Märchen in diesem Buche Platz bekommen, können doch höchstens 100 davon abgedruckt werden. Ich habe mich entschlossen, nicht die allseits bekannten Geschichten zu wählen. Zwar ist in diesem Buch viel von den faszinierenden touristischen Highlights zu lesen – vom Selke- & Bodetal, dem Mägdesprung, der Teufelsmauer, Hexentanzplatz & Rosstrappe, sowie den historischen Städten & Landen ringsum – doch sind es eher die wunderschönen, oft tiefweisen doch seltsamerweise fast unbekannten Sagen, die ich mit diesem Werk vorm Vergessen retten möchte!
Die Ihnen hier vorliegende Sammlung ist zum größten Teil in noch keinem meiner anderen Bücher – z.B. in der Reihe „Beiträge zur Heimatkunde“, in denen ich unsere wundervollen Städte Ballenstedt, Gernrode, Bad Suderode, Quedlinburg, Thale, Halberstadt, Blankenburg etc. abhandelte – erschienen & stellt somit einer Erweiterung der bisherigen Sagensammlungen dar.
An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei all Jenen bedanken, die mir Ihre teils bis zu 200 Jahre alten Harzer Sagenbücher zur Verfügung stellten, damit dieses Werk entstehen konnte & der heimatliche Sagenschatz wieder in die Orte zurückwandern kann. - Viele dieser kuriosen Geschichten animierten mich wirklich zum Wandern, denn obwohl ich meinte, meinen Ostharz wie meine Hosentasche zu kennen, lernte ich Orte kennen, die sicher sogar den Einheimischen verschlossen und unbekannt sind. Das soll sich ändern: Ich lade sie ein, mit diesem Büchlein Ihre Heimat bzw. Ihren Urlaubsort neu zu erkunden, den besonderen Orts- & Flurnamen auf den Grund zu gehen, manches Geheimnis unserer Altvorderen zu lüften & den Sinn der Sagen auf der Zunge zergehen zu lassen. Kommen Sie mit mir auf längst vergessene Pfade, zu geheimnisvollen Orten, Ihr Sagenerzähler Carsten Kiehne
„Zum Lesen natürlich“, denken Sie vielleicht & fragen sich nun verwundert: „Was will uns der Märchenonkel vorgaukeln? Wie soll man ein Buch denn anders benutzen, als es zu lesen, es ins Regal zu stellen? Als Briefbeschwerer vielleicht?“
Zum einen soll es Lust darauf machen, die Heimat oder den Urlaubsort zu entdecken. Ein Sagenbuch ist also gut als Wanderführer zu gebrauchen. Ich habe durch Sagen und die darin beschriebenen Örtlichkeiten schon die tollsten Plätze für mich entdeckt & oft erstaunt festgestellt – wenn ich doch einmal vor Ort nach dem Weg fragen musste – dass selbst Einheimische diese Sagenorte nicht kennen! Sie stellen quasi „erwanderbare“ Geheimtipps dar!
Auch soll dieses Buch Lust auf Heimatgeschichte machen. Von manch einem Ort kenne ich nur 1-2 Erzählungen, obschon er über 1.000 Jahre „auf dem Buckel“ hat. Da gibt’s also weit mehr & die Alten wissen noch Einiges zu berichten. Doch, wer fragt sie, wer erzählt es weiter &, wer schreibt es nieder? Wenn die Urgroßeltern & Großeltern nicht mehr sind, fällt die Geschichte, ihr ganzes Wissen ins Vergessen hinein. Meines Erachtens darf das nicht passieren, womit ich Sie herzlich einladen möchte, mit mir auf Schatzsuche zu gehen & den Alten, einige ihrer Geschichten abzulauschen!
Sie können dieses Büchlein auch – selbst wenn’s sich seltsam anhört, doch was ist schon normal in diesen Tagen – als Ratgeber benutzen! Haben Sie eine Frage, auf die Sie im Moment keine Antwort wissen? Stellen Sie diese Frage im Geiste & vertrauen Sie darauf, dass Sie, wenn Sie dieses Buch durchblättern, in eben der aufgeschlagenen Geschichte die Lösung darauf finden. Lesen Sie die Sage so, als ob sie nur für Sie geschrieben wäre. Was will sie Ihnen verkünden, welchen Rat mitgeben? Welche inneren Bilder & Gefühle werden beim Lesen & Lauschen wach? Sie haben Zweifel? Probieren Sie es aus, lassen Sie sich überraschen! Sagen sind voll vom geheimen Wissen unserer Ahnen, sie bergen einen tieferen Sinn, meine ich!
Viel Spaß dabei, diesen Sinn zu ergründen & im Alltag zu finden!
Oh, wie war es dem Grafen Dientrich von Heringen an der Helme ein Dorn im Auge, dieses verhasste Kloster Walkenried. „Es sind keine Mönche, sondern Wölfe, die ihre gierigen Klauen weit in mein Land ausstrecken und alte Rechte damit schmälern.“ Es wäre an der Zeit, dachte er, dem ein Ende zu machen, die an jeder Ecke neu entstehenden und reichen Gutshöfe des Klosters zu plündern und zu brandschatzen! - Das geschah dann auch im Jahre 1404 mit großem Erfolg, doch legte sich seinerzeit niemand ungestraft mit der Kirche an und mit den Walkenrieder Mönchen schon gar nicht. Die wenig frommen Gottesmänner beschwerten sich bei König Ruprecht, der zwei Jahre darauf ein gewaltiges Heer aus Nordhausen, Mühlhausen und Goslar zusammentrommelte, um den unverschämten Grafen zu lehren, dass sich „ein Hase besser nicht mit Wölfen messen solle.
Als die Bürger Heringens die gewappnete Übermacht des Königs sahen, da beschworen sie ihren Grafen aufzugeben und die Stadt kampflos dem Feinde zu überlassen: „Gegen ein solches Rudel Wölfe kann kein Hase ankommen!“, hörte man in allen Straßen flüstern. Doch Graf Dietrich war schlau, eben ein gewitztes Langohr, der wusste, dass Heringens Burg nicht einfach zu berennen war. Diese Feste müsste man schon lange belagern und da konnte einem großen Heer schon mal die Lust aufs Kämpfen vergehen und der Proviant knapp werden. Und wie es der Graf vorausgesehen hatte, konnten die Kriegsleute des Königs mit ihren Feuerpfeilen und Schleudermaschinen, der stattlichen Burg keinen ernsten Schaden tun.
So ward es auch des Königs Feldherren Plan, die Stadt Heringen auszuhungern, was beinahe auch Erfolg gehabt hätte, wäre Graf Dietrich nicht auf eine Finte gekommen:
„Lasst uns dem hungernden Wolf einen Hasen vorsetzen!“, lachte er und ließ das sicher allerletzte Kaninchen aus dem Schlossgarten fangen, es braten, aufs Vortrefflichste würzen und dem Feldherren des Königs mit der Botschaft kredenzen, er könne gerne von nun an jeden Tag einen solchen Bissen bekommen, die Stadt sei schließlich für Jahre aufs Beste versorgt.
Welche ein Schreck für die Belagerungsmannschaft: Gerade meinte man die Stadt zum Aushungern und Aufgeben bewegen zu können, da verschenken die im Überfluss Stehenden Gebratenes an ihren Feind. Solch köstliche Düfte hatten die Soldaten des Königs schon lange nicht mehr gerochen und ein Murmeln und Murren ward laut im Feldlager, das den Feldherren schleunigst zum Umdenken bewog. Am nächsten Morgen ließ er seine Streitmacht abrücken. Graf Dietrich aber errang den Sieg in auswegloser Lage, denn auch die Stadt hätte am nächsten Morgen wegen Nahrungsmittelknappheit aufgeben müssen. So kam es also, dass ein Hase tatsächlich den Kampf gegen Wölfe gewann.
Auf dem Berg, auf dem sich heute das Schloss Mansfeld erhebt, hauste jener ungeheuerliche Lindwurm, den der Ritter St. Georg erlegte. Der Berg heißt noch heute der Lindberg und St. Georg wurde als Schutzpatron der Grafschaft eifrig verehrt. Auf mansfeldischen Münzen ist sein Bild abgedruckt, wie er hoch zu Ross den Lindwurm erlegt.
Neben Drachen und Drachentöter verehrt man als Mansfelder Wahrzeichen auch einen Mönchs- und einen Nonnenkopf. Die Sage erzählt, dass auf dem Schloss ein klösterliches Liebespaar gefangen gehalten worden sei. Der Nonne erzählte man, der Mönch wäre im "Feuerschein zum lieben Gott aufgefahren", worauf sie sich bald in ihrer Kammer erhängte, dem Geliebten nachzueilen. Doch der Mönch war bis zu diesem Punkt wohlauf, hörte nun aber vom Tode der Liebsten und stürzte sich vom Schlossberg in den Abgrund. Unzertrennlich sollen beide noch heute als Geister durchs Gemäuer spuken und so manch frommen Gast lüsterne Gedanken ins Herz gepflanzt haben.
Und lüstern soll es im alten Schlosse gar oft zugegangen sein. Einmal besuchte Doktor Luther die hohen Herren von Mansfeld. Da schwemmte ihm schon der Wein die Treppe herab entgegen und droben im Festsaal wankten und schwankten die Trinker. Da rief Luther dem blauen Blut prophetisch zu: „Ei, ihr hohen Herren, dünget ja gut und schön! Da wird brav das Gras dort wachsen, wo ihr gehet uns stehet!" Und so geschah es auch: Das alte Grafengeschlecht starb aus und das Schloss ging in Trümmern - Gras wuchs auf den Treppen und Gängen. Mittlerweile aber, ist das Schloss schöner als eh und jeh und hat neue, fromme Herren, die den Geistern zu widerstehen scheinen! (aufgeschrieben nach Bechstein)
Als Kaiser Heinrich auf seiner Pfalz Wallhausen in der goldenen Aue Hoflager hielt, wollte er einem seiner verdienten Mannen eine Gnade erweisen. Eben jener Recke erbat sich ein Stück Land, angrenzend an die goldene Aue, gerade so groß, wie er es mit einem Scheffel Gerste umsäen könne. Diese Bitte gewährte ihm der Kaiser, hatte sich dieser Vasall doch in vielen Schlachten als unermüdlich, tapfer und treu erwiesen. Doch der Ritter säte nicht dicht an dicht, sondern lang und weit, bis sich der Kreis des gesäten endlich schloss und soviel Raum umfasste, dass es einer ganzen Grafschaft gleichkam.
Die anderen Dienstmannen des Kaisers murrten gegen den Ritter, missbilligten dessen Unbescheidenheit und stellten ihn am Hoftag vorm Kaiser in aller Öffentlichkeit zur Rede. Eine Totenstille lag im ganzen Saal und niemand traute sich ein Wort zu sagen, geschweige denn, sich nur zu rühren. Scheue Blicke trafen sich, als der Recke vorm Kaiser niederkniete und das Wort erhob: „Es war des Kaisers Wort, oder nicht?", fragte er bedächtig. Die anderen Vasallen protestierten lautstark, aber der Kaiser hob lachend seinen Arm, worauf die Meute schwieg und sprach: „Wort ist Wort. Was der Mann umsät hat, das ist des Mannes Feld!" Von da an gab es eine neue Grafschaft mit dem Namen „Mansfeld", in dessen Wappen Gerstenkörner standen, heraldisch als rote Rauten auf weißem Grund ausgedrückt. (aufgeschrieben nach Bechstein)
Auf den Wiesen, die zum ehemaligen Dorf Echtershagen gehörten, fand man früher ganz seltsam behauene, platte Steine. Sie sollen aus jenen Zeiten stammen, in denen unserer Vorfahren noch ihren Göttern opferten. Selbst aber in jenen Tagen, als man lange nicht mehr zu Wodan oder Thor betete, mahnten die Menschen einander, bloß die Hand nicht frevelhaft an die Steine zu rühren: „Sie sind unantastbar, ganz gleich ob heilig oder verflucht!“
Ein Bauer aus Königerode hielt nichts von diesem alten Aberglauben und dachte sich, mit diesen Steinen in seinem Stall einen schönen, glatten Fußboden zu legen. So fuhr er also seinen Karren vor, hob mit seinen Knechten, die die Arbeit nur widerwillig taten aber tun mussten, unter größter Anstrengung einen Stein, einen Zweiten und auch einen Dritten auf den Karren. Auch den vorgespannten Rossen war es nicht geheuer. Sie benahmen sich ganz eigen, wurden zappelig, scheuten, doch der Bauer wusste sie mit der Peitsche zur Ruhe zu rufen. Doch was war das? Der Karren rührte sich kein Stück, als würden die Räder im Eis feststecken. „Los, abstajen, schieben, faules Pack!“, herrschte er seine Knechte an, doch auch mit Muskelkraft wollte der Karren kein Stück vorwärtsfahren. Erst als der Bauer fluchte und schrie „Zum Teufel nochmal“, setzte sich der unheilsame Zug in Bewegung.
Nach Stunden, obschon der Weg in nicht einmal 30 Minuten zurückzulegen wäre, kamen die Rosse schweißgebadet im Hofe des Bauern an. Die Steine kippte man im Stall vom Karren, zerrte sie an die rechte Stelle, was der Bauer zufrieden beäugte. „Sech ich doch, alles altes Jeschwätz, sieht doch prächtich aus, nech?“
Die Nacht aber schlief er alles andere als prächtig. Ein Getöse kam aus den Ställen, das Vieh war unruhig, so als ob der Wolf, schlimmer noch, der Teufel selbst durch die Ställe schlich. Mehrmals machte er sich aus dem Bette, nahm einen guten Knüppel, um im Schlafrock nach den Tieren zu sehen. Den Pferden stand der Schweiß auf der Stirn. Die Schweine krampften am Boden und sein eigener Köter biss sogar nach seiner Hand. Nun endlich schwante ihm Böses: Es liegt an den Steinen. „Verfluchtes Zeuch, glach morjen pack ech euch zurück!“
Und wirklich, wie die ersten Sonnenstrahlen den Kirchturm Königerodes bemalten, war er bereits dabei die Gäule anzuspannen, als das Wunder geschah:
Die Knechte, die zuvor zu viert größte Anstrengungen hatten, einen Stein aufzuladen, schafften es nunmehr allein. Und während die Fahrt zum Gehöft, den Berg hinab, auch für die Pferde mühselig war, ging’s jetzt wie der Wind den Hügel hinauf, zurück nach Echtershagen. Da wusste der Bauer, die Alten hatten Recht: Diese Steine sind unantastbar, ganz gleich ob heilig oder verflucht!
Es wird auch erzählt, Mönche hätten einst einen Kirchenschatz gestohlen und unter den platten Steinen versteckt. Für diese Freveltat könnten sie nun nicht im Grabe ruhen, sondern müssten als unruhige Geister noch heute diesen Schatz bewachen. Diese Mönche wären es gewesen, die den Tieren im Stall so übel mitgespielt hätten. Nur der kann die Geister erlösen, der den Schatz aus der Tiefe holt und zurückbringt. Doch wehe Wanderer, du läufst Gefahr den Fluch auf dich zu ziehen! (aufgeschrieben nach Langlotz)
N ahe des Harzörtchen das heute „Dankerode" heißt, gibt es einen runden Stein, etwa einen Meter hoch und einen Meter dick, den man nicht im Spaß berühren sollte. Es ist einer der alten Lehrsteine, die von den Priestern vor unserer Zeit nur mit Bedacht aufgesucht wurden, wenn es darum ging unsterblich kranke Menschen zu heilen. Letztens besuchte ich einen Freund, von dem ich schon viele Monate nichts mehr gehört hatte.
Wie ich bei ihm klingelte, öffnete seine abgemagerte Frau die Tür, bat mich herein und erklärte mir traurig, dass mein Freund schon lange keine Freude mehr am Leben hatte, „fressen und trinken" könne er gerade noch, aber nicht mehr lachen und lieben. Vom Hausarzt war dem, nur noch in einem abgedunkelten Raume, Sitzenden eine Depression schlimmsten Grades bescheinigt worden. So fahl hatte ich sein Gesicht noch nie gesehen, blass und ausdruckslos blickten leere Augen in den Raum. „Willst du gesund werden, mein Freund?", fragte ich ihn, „und wieder lachen, lieben und danken können?" – „Wofür sollte ich dankbar sein?", fragte er mich allen Ernstes, ließ sich aber auf meine Idee ein und ging mit mir zu eben jenem Felsen. „Was soll das denn bringen?", fragte er mit eintöniger Stimme, berührte trotzdem den Stein und ... erlebte diese Geschichte:
„... Plötzlich reiste ich durch die Zeit zurück, immer weiter und weiter ..., dann war's, als würd' ich mich im Kreise drehen, schneller und schneller ... schlug dann bald auf dem harten Boden auf und muss ohnmächtig geworden sein. Wie ich wieder erwachte, da war ich in alte Gewänder gehüllt. Ein seltsamer Gestank drang durch den Wald an meine Nase und ließ mich reflexartig würgen. Benommen stolperte ich nach Hause, erkannte aber gar nichts wieder. Es war derselbe Ort, in dem ich lebte, aber auch wieder nicht ... ohne Straßen, nur schlammige Wege ... und die Häuser, sie waren nicht aus festem Stein, sondern aus Lehm, einstöckig, grau und mit Stroh bedeckt. Die Füße zogen mich wie von selbst in meine Hütte, die ich doch nicht wieder erkannte. Jetzt aber traf es mich wirklich wie ein Schlag mitten ins Herz. Vor mir sah ich eine Frau sitzen, ... eine Fremde und doch war sie mein Eheweib. Sie schrie und weinte und drückte wehklagend ein kleines, lebloses Bündel an ihre Brust. Unser einziges Kind ward vom Hungertod hinweg genommen. Stunde über Stunde weinte ich mit meiner Frau. Es wollte mir das Herz in der Brust zerreißen, schnürte mir die Kehle zu und als die Nacht hereinbrach, entschlief mir meine Frau entkräftet in meinen Armen, meinem Kind nachzufolgen in eine bessere Welt ... oder andere Zeit. Ich weiß nur noch, wie ich, der ich immer ein Heide und niemals gottgläubig war ... den Herrn im Himmel verfluchte, ihm Gewalt androhte, ihm abschwor, bald ihn anflehte, auch mich zu holen, ihn um die Gabe des Vergessens bat, mir schlussendlich wünschte, aufzuwachen ...!"
Mein Freund war, als er den Stein nahe Dankerode berührte, in sich zusammengebrochen und lag bewusstlos sicher eine Viertelstunde auf dem Waldboden herum. Ich hatte nicht einmal ein Handy dabei, fühlte immer nur den Puls, redete auf ihn ein, er solle bloß wiederkommen. Bat selbst Gott darum ... und plötzlich, schien sicher der Körper meines Freundes wieder zu Kräften zu kommen. Die Seele hatte offenbar entschieden noch zu bleiben. Wie er die Augen auftat ..., da lächelte er bloß, lächelte in einer Weise - fast kindlich unschuldig und euphorisch - wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt hatte. Der schwere Mantel der Depression, den er so viele Jahre getragen hatte, er hatte ihn abgeworfen ... und ein Wort entfuhr immer und immer wieder seinem lächelnden Munde: „Danke!“
So glaube ich heute, dass „Dankbarkeit" ein Heilmittel gegen Ärger und alle Sorgen ist. Bald feiern wir wieder unser Erntedankfest. Ein Tag an dem wir für all jene Dinge dankbar sein sollten, dankbar sein dürfen, die unser Leben bereichern. Für was also bist du dankbar?
Einen halben Tag von Mansfeld entfernt, lag einst die Altweibermühle. Frauen, die unzufrieden mit ihrer Schönheit, der Gesundheit des Körpers oder einfach nur mit dem Alter wären, müssten zu Pfingsten vorm Sonnenaufgang aufstehen, schweigend zu einer Quelle gehen, sich dort reinwaschen und schließlich bis zur heiligen Mittagsstunde immer gen Westen gehen. Wenn die Sonne am höchsten steht, kämen sie zu einer alten Mühle, in der die Frau Holle ihren Dienst versieht. Ihr ist eine Gabe der ersten Ernte mitzubringen und schön Dank zu sagen! Dann dürften die runzligen, alten Weiber hineintreten, sich nächtlich durchwalken lassen und kämen am nächsten Morgen auf der anderen Seite gänzlich verjüngt zum Vorschein!
In vielen Harzer Orten wurde dieser Brauch, der wer weiß woher stammt, noch lange begangen: Alle sieben Jahre zu Pfingsten – das man nach sieben mal sieben Tagen, also am fünfzigsten Morgen nach Ostern feierte – wurde von den Burschen eines Ortes zur beginnenden Weizenernte eine Art Mühle aus Getreide errichtet, durch welche die Frauen hindurchkriechen mussten. Die Mädchen, die als alte Weiber verkleidet waren, entledigten sich in der Mühle ihrer Gewänder und krochen – oh Wunder – verjüngt ans Tageslicht. Natürlich durften die Damen, als sie noch nicht so emanzipiert waren wie heute, nur mit Mahlantrag des Ehemannes vor den Obermüller treten. Welcher Mann aber hätte schon etwas dagegen, ein „aufpoliertes“ Weib nach ein bis sieben Mahlgängen zurückzubekommen? Mancherorts sagt man, wurden die alten Weiber gar von ihrem ansonsten so sanftmütigen Angetrauten mittels Besen und Kochlöffel aus ihren Häusern getrieben. Anderswo wurden alle alten Weiber eingefangen und mit dem Leiterwagen zur Mühle gekarrt, um sie dort in selbstgebauten Konstrukten (mit viel Gekrache und Gezeter, bei welchem die Mühlmaschine selbstredend viel Blut, Schleim und anderes Gedärm ausspeite) zu verjüngen. Selber schuld, wer es versäumte, denn nach dieser Tortur, fiel am Mühlausgang ein wunderschönes, zum Anbeißen leckeres Dirn in sehnsüchtig erwartende Verehrerarme …!
Ursprünglich spricht man im Christentum auch vom Pfingstwunder, meint jedoch den Heiligen Geist, der in die Jünger einfuhr, worauf sie in fremden Zungen sprachen. Ich stelle mir vor, dass es auf Körper und Geist eine durchaus verjüngende Wirkung erzielt, wenn sich der fromme Mensch an einem hohen Festtag zu einem geheiligten Ort begibt, um sich dort ganz und gar seinem Gott hinzugeben. Vielleicht spielt bei dem vorgegebenen Zeitraum auch eine Rolle, dass jede Zelle unseres Körpers innerhalb von sieben Jahren die natürliche Fähigkeit hätte, sich selbst zu erneuern. Ehrten unsere Ahnen einst mit diesem Ritual womöglich die Kraft der Sonne? Dankten sie für das Wachstum der Früchte, für Reife und Fülle? Nicht umsonst opferten doch die Juden zu Pfingsten, ihrem Fest Schawuot (dem Tag der Erstfrüchte), einen Teil ihrer geernteten Erträge. (aufgeschrieben nach Kahlo)
In einer Zeit als den katholischen Priestern noch erlaubt war, sich eine Frau zu nehmen, warb Abt Konrad, ein geborener Graf von Falkenstein, um die schöne Gräfin von Arnstein. Da er ein stattlicher und gescheiter Mann war und die junge Gräfin ihm in Liebe zugewandt war, stimmten ihre Eltern dem Ehebund zu. Oh, was war das für ein schillerndes Verlobungsfest, was man den Beiden zur Ehre auf Burg Arnstein gab? Die Tafeln festlich gedeckt, die Teller reichlich voll, die Krüge mit bestem Weine gefüllt und die Musik spielte auf, so schön, als seien die Engel aus den Himmeln herabgestiegen. Überall war Tanz und Freude und neuer Mut, denn mit dem Bund dieser beiden starken Häuser würde ein glänzendes Zeitalter kommen. Als die Gäste immer ausgelassener feierten, sah das Paar die Gunst der Stunde gekommen, sich klammheimlich hinauszustehlen, um in einem Moment der zuckersüßen Zweisamkeit zu zergehen. Diesen Regenbogen, den die Beiden hinaufbeschworen, wenn sie einander mit lächelnden Augen liebkosten, hätte selbst ein Blinder leuchten sehen.
Doch wo einst Farbe schillerte, war auch immer eine graue Kutte in der Nähe, die neidvoll erklärte, dass Gott solches nicht wolle. An diesem lauen Sommerabend war es ein Kardinallegat des Papstes, der die Zweisamkeit hüstelnd unterbrach und schmierig lächelnd bat, das traute Liebesspiel kurz auszusetzen. „Was fällt ihm ein …?“, platzte es aus Abt Konrad heraus, was der andere mit zynischen Worten unterbrach:
„Nicht mir, sondern dem Papst höchstselbst fiel ein, dass ab sofort kein Priester mehr in den Stand der Ehe zu treten, sondern sein Leben ganz Gott und der Kirche zu widmen hat. Seine Heiligkeit verkündet weiterhin, dass wer Frau und Kinder schon habe, diese ferner meiden soll, um nicht von Gottes Liebe abgelenkt zu werden! Ungehorsam wird unnachgiebig mit dem apostolischen Bannfluch bestraft! Falls der werte Abt, seine Holde also ein letztes Mal küssen möchte …!?“ Die Gräfin von Arnstein sah dem päpstlichen Legaten mitten ins Herz und konnte Bosheit darin finden. Sein Lächeln ließ sie frösteln!
Kaum war der Unglücksbote verschwunden, schwor Abt Konrad seiner Liebsten, dass er nicht von ihr lassen werde, ganz gleich ob er mit ihr den Himmel oder die Hölle habe. Da rollte ein Blitz mit entsetzlichem Donnergrummeln aus dem sich jäh verdunkelten Himmel herab und erschlug die beiden Arm in Arm sich Haltenden. – Manche nannten es eine göttliche Strafe, weil sich der Abt in seiner Fleischeslust versündigte. Ich aber will darin eine unendliche Gnade sehen, denn aus Grab welches die Liebenden aufnahm, wuchs recht bald mit gewaltiger Lebenslust eine majestätische Doppellinde gen Himmel. Alljährlich, um den Johannistag herum, flattern in der Krone des gewaltigen Baumes, der Mönchslinde, zwei Turteltäubchen, deren Flügelschläge wie einer klingt! (aufgeschrieben nach Größler)
N ahe des Fleckens Harkerode ruhen die Trümmer der mansfeldischen Burg Arnstein. Auf dieser Burg saß zur Zeit Kaiser Karl V. ein Graf Hoyer, der dessen Feldmarschall war. Die Feinde des Kaisers nannten mit Schrecken den Namen Hoyer, denn Gnade walten zu lassen war ihm fremd. Mit aller Härte schlug er die Schlachten und drosch, wie ein wildes Ungetüm auf seine Gegner ein. Grausam behandelte er aber auch die eigenen Männer, die seine harte Faust so fürchteten, dass sie lieber im Kampf ihr Leben ließen, als von ihrem Burgherren zur Rechenschaft gezogen zu werden. – Machte er Gefangene, ließ er sie zum Spaß auspeitschen und im Burgverlies auf Arnstein verschmachten. Die Burgherrin war von gleicher Strenge und Herzenshärte. So oft wurden beide schon zu Lebzeiten verwünscht, dass sie nach ihrem Tode nun tatsächlich in allen Vollmondnächten auf der Feste ruhelos und wimmernd umhergehen.
Die Gräfin spinnt und muss wohl bis zum jüngsten Tage weiterspinnen. – Unaussprechliches Grauen überkommt Jene, die ihnen begegnen, so dass man meint, es gebe nichts Gutes und Schönes mehr auf dieser Welt. Kommt aber der Tag, dass sich droben - trotz allem Getöse - ein Liebender angstlos seiner Geliebten verspricht und, wenn sich der Vollmond in ihren Augen bricht, wären die Geister erlöst und ins Licht geflößt. (aufgeschrieben nach Bechstein)
Als das Kloster Konradsburg noch wohlhabend war und Güter und Forste selbst im entfernten Stangerode hatte, da musste ein Mönch jede Woche vom Kloster ins Dörflein gehen, um dort nach dem Rechten zu sehen und die Lehen zu verwalten. Aber er machte diese Reise gerne und verweilte oft bei der Häuslersfrau, welche nahe des dem Kloster zugehörigen Waldstücks Mönchsholz wohnte. Meist war er dort dann zu Besuch, wenn ihr Mann auf Reisen ging, und das fiel auch dem Schwager des Häuslers auf.
Zum Schein beschloss der Häusler, dass er Salz aus Halle holen wollte, schirrte seine Pferde, verabschiedete sich von seinem Weibe und machte sich auf den langen Weg. Hinterm nächsten Hügel aber fuhr er in den tiefen Wald hinein, band im Dickicht seine Pferde an und schlich sich im Schutz der Dunkelheit durchs Mönchsholz zurück nach Hause. Hinterm Hof warteten bereits der Schwager und ein Nachbar und harrten still der Dinge. Mitten in der Nacht näherte sich eine vermummte Gestalt dem Haus und blökte dreimal deutlich vernehmbar. Da ward in der Schlafstube die Kerze entzündet, das Fenster einen Spalt weit aufgeschoben, worauf aus dem Inneren eine weibliche Stimme leise bellte. Das war das vereinbarte Zeichen. Der Blöker richtete sich auf, schritt hinters Haus an die Tür …, doch bevor er vermochte, an die Tür zu klopfen, sank der Freier tot darnieder.
Der Häusler war in seiner Eifersucht leise zu dem Mönch ans Haus gesprungen und hatte dem Buhlen mit einem Axthieb den Schädel gespalten. Rasch waren Schwager und Nachbar hinzugeeilt, schleiften den Ermordeten in die letzte Ecke des Gartens und vergruben die Leiche und das Beil unterm Nussbaum.
Nach der Tat verabschiedete sich der Häusler rasch von den beiden anderen Männern, hetzte zu seinen Pferden und setzte seine Reise nach Halle fort. - An seinem Haus aber und in ganz Stangerode spukte es seit dieser Stunde. Das machte die Runde und wie er wiederkam, da erzählten die Leute, dass ein Mönch spurlos verschwunden sei und ein blökender Geist nun jede Nacht ihr Dorf aufsuche.
Selbstverständlich erfuhren auch die Mönche von der Konradsburg von dieser Aufregung und reisten nach Stangerode, um den Geist mit frommen Sprüchen und Weihwasser zu bannen. Der zog sich gleich in den Nussbaum zurück und ließ sich von hier auch nicht vertreiben. - In einer feierlichen Prozession rückte da der Konvent des Klosters am Thomastage nach Stangerode, segnete den Bereich am Nussbaum und grub, unaufhörlich Messgesänge und Beschwörungsformeln singend und murmelnd, die Erde auf. Welch ein Schreck, als darin der vermisste Mönch und der Mordgegenstand zum Vorschein kam. Von diesem Tage an, musste das ganze Dorf – um Buße zu tun – einen jährlichen Kuttenzins entrichten: Einen Silberpfennig pro Haus. Am Thomastage sollte dieser Kuttenzins von allen Stangerödern in einer feierlichen Prozession zum Kloster getragen und pünktlich zur abendlichen Gebetsstunde an die Mönche übergeben werden. Dabei sollten sich die Bürger merken, dass man für jede Minute, die jene Bußgabe zu spät im Kloster erscheinen würde, eine Tonne gesalzenen Hering berechne. (aufgeschrieben nach Korf)
M it ehrlicher Arbeit war da nichts zu machen und nicht nur ihm alleine ging es so! Während sich die Oberen die Bäuche vollschlugen und nicht wussten, wohin mit ihrem Geld, verhungern die Armen und Elenden und müssen noch ihr letztes Hemd geben! „Dagegen muss doch jemand etwas tun?“, rief ein Kutscher aus Sylda, „Aber, wer? Wer soll denn etwas tun?“, fragte ein anderer Dorfbewohner. „Wer sollte die Tollkühnheit besitzen, sich mit der Obrigkeit aufzulehnen?“ - „Wir, wir werden es gemeinsam tun!“, sagte Gangloff, ein einfacher Leinenweber entschieden.
„Keiner der unseren kann seine Kinder mehr ernähren. Wie ihr wisst, habe ich selbst sechs kleine hungrige Mäuler zu stopfen, dabei reicht es nicht einmal für mich und mein Weib. Der Baron von der Asseburg aber wird fett und fetter.“ Die anderen klatschten Beifall. „Wir werden etwas unternehmen – ich tue das Meine und jeder tut das Seine, Einer für Alle und Alle für Einen!“ - „Aber, was wirst du tun, Gangloff?“, fragte der Kutscher und sah den Leinenweber breit grinsen.
„Herr Baron, wir haben einen Wilddieb in unseren Wäldern, schon wieder fehlen vier Rehe. Ich finde wohl Spuren von einem Jäger im Wald, bin ihnen nachgegangen, aber sie gehen alle ins Leere. Meine Jäger hören allnächtlich ein Schießen, aber keiner von ihnen war’s!“, sagte der Revierförster des Asseburgers kleinlaut. „Dann nehme er sich halt noch vier oder fünf von meinen Männern, alles gute Schützen, und gehe er dem Wilderer nach aber lasse er mir meinen Frieden. – Nur wenige Wochen später war der ominöse Wilddieb, der Geist des Harzes, überall bekannt. Er wurde auch immer frecher, schoss gar die großen Hirsche und verschwand mit seiner Beute ungesehen. Die Förster stellten zwar Fallen, diesmal nicht fürs Getier, nur für den Räuber, saßen selbst mit einer Rotte auf der Lauer, hörten nächtliche Schüsse, eilten darauf zu und hätten sich oft beinahe gegenseitig erschossen, weil sie einander für den Wilderer hielten, der längst im Schatten des Waldes verschwunden war.
… „Heyda, was guckst du so verdrießlich? Warst doch auf dem Freischießen in Pansfelde, nicht gut gelaufen? Wie das, bist doch mit Abstand der beste Schütze im Harz?“, fragte ein Jäger den anderen, der nur mürrisch Antwort gab. „Ich der Beste? Das war einmal. Ein Leinenweber aus Sylda, zeigt uns allen die Nase. So einen Schützen habe ich mein Lebtag nicht gesehen, Gangloff heißt er, den Namen müssen wir uns wohl merken.“ – Wie recht er damit behalten sollte, denn von Gangloff sprach man bald viel, mal hier, bald dort, in den Kneipen und Spelunken, in den Bergdörfern und selbst in den großen Städten. Er wäre wie ein Geist, auf jedem Schützenfest zugegen, räume alle Preise ab, sei aber sofort wieder weg, schieße wohl auch öfter Wild - immer mit der blankpolierten Kugel, Schrot rühre er nicht an - und gebe den Erlös oder das Fleisch den Armen. Ein Held sei er, ein wahrer Held, so etwas brauche der Harz! - „Pah, ein Held, ich wette um zehn güldene Taler, dass dieser Geist unser Wilderer ist!“, wetterte der Baron von der Asseburg und befahl den Gangloff gut im Auge zu behalten, zu beschatten und seinem Treiben, wenn‘s denn ein Frevelhaftes wäre, ein Ende zu setzen.
Die aber, die Gangloff beobachten sollten, wurden längst von Gangloff selbst aufs Genaueste ausgekundschaftet: Was waren deren Gewohnheiten? Wie verhielten sich die Forstbeamten und Jäger? Waren sie diensteifrig oder faul? Gangloff kannte alle ihre Kniffe, Verstecke und Sitze im Wald. Sein größter Vorteil aber war, dass er die Waldleute kannte, die Köhler und Kiepenfrauen, die Holzfäller und Fuhrleute …, mit allen war er gut Freund und gut im Geschäft, arbeitete mit Ihnen Hand in Hand, wobei man falsche Spuren legte und das erlegte Wild dann im Nachbarland verkaufte. Vom Erlös profitierten alle, nur eben nicht der Baron mit seinem Gefolge.
Bald wusste Jeder: Gangloff ist der Geist, doch nachweisen konnte man’s ihm nie. Er machte sich sogar einen Spaß daraus, ging nächtlich „Gassi“, selbstredend ohne Flinte, ließ sich von den Förstern fein verfolgen, verschwand plötzlich irgendwo im Unterholz und nicht weit von diesem Ort entfernt fielen alsbald Schüsse. Den Gangloff fasste man schnell, doch das erlegte Wild oder gar die Flinte, die blieben verschollen. „Ich, ich wildere doch nicht, meine Herren!“, entgegnete er den Förstern, „Ich bin nur waldtrunken und mondsüchtig und heule mit hungrigen Wölfen!“ – Immer mussten sie den Grinsenden seiner Wege ziehen lassen, doch damit sollte endlich Schluss sein. Der junge, heißblütige Revierförster Carl Stief ließ sich nämlich in den Dienst des Asseburgers versetzen, um „Schrecken des Harzes“ ein Ende zu setzen. Ganz öffentlich betonte dieser aufbrausende und unbeherrschte Charakter, dass er den verhassten Gangloff schon vor die Flinte kriegen würde und, wenn dies geschehen würde, dann …! - Einmal trafen sie sich wirklich, doch nicht mit den Waffen, nur mit Worten, wobei Stief wütend rief: „Glück hast du, dass ich meine Flinte nicht bei mir trage, die Ladung Schrot im Gesicht hätte dich nur hübscher gemacht!“ Das hat sich Gangloff wohl gemerkt.
Am 29. September 1834 kam von der Pirsch nur der Hund des Revierförsters nach Hause zurück. Stief blieb verschollen. Erst zwei Tage später fand man ihn, tot, von einer Schrotladung erschossen. Jetzt erinnerten sich die Beamten des Barons, die von Gangloff oft bloßgestellt wurden, an den Konflikt zwischen beiden, worauf man Gangloff in Sangerhausen schnappte und in Gefängnis warf.
Da saß nun der Freigeist, sah die grünen Bäume und den blauen Himmel nur auf dem Weg von einer Anhörung zur nächsten, in welchen ihm der Mord zwar nicht bewiesen werden konnte, er die Zeit aber dennoch weiterhin in seiner grauen und