Der Prinz - Marinelli - die Vorigen
Der Prinz im Hereintreten:
Was ist das? Ist Emilien nicht wohl?
Odoardo:
Sehr wohl; sehr wohl!
Der Prinz indem er näher kömmt:
Was seh' ich? Entsetzen!
Marinelli:
Weh mir!
Der Prinz:
Grausamer Vater, was haben Sie gethan!
Odoardo:
Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. War es nicht so, meine Tochter?
Emilia:
Nicht Sie, mein Vater, Ich selbst, ich selbst ...
Odoardo:
Nicht du, meine Tochter; nicht du! Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt. Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater!
Emilia:
Ah, mein Vater ...
sie stirbt, und er legt sie sanft auf den Boden
Odoardo:
Zieh hin! Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache schreyet?
nach einer Pause
Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst kehren werde, um meine That wie eine schaale Tragödie zu beschließen? Sie irren sich. Hier!
indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft
Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und liefere mich selbst in das Gefängniß. Ich gehe, und erwarte Sie, als Richter. Und dann dort, erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!
Der Prinz nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli:
Hier! heb' ihn auf. Nun? Du bedenkst dich? Elender!
indem er ihm den Dolch aus der Hand reißt
Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht mischen. Geh, dich auf ewig zu verbergen! Geh! sag' ich. Gott! Gott! Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?
Ende des Trauerspiels
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Emilia Galotti
Odoardo und Claudia Galotti - Eltern der Emilia
Hettore Gonzaga - Prinz von Guastalla
Marinelli - Kammerherr des Prinzen
Camillo Rota - einer von des Prinzen Räthen
Conti - Maler
Graf Appiani
Gräfin Orsina
Angelo und einige Bediente
Die Szene, ein Kabinett des Prinzen
Der Prinz an einem Arbeitstische, voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft:
Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! Die traurigen Geschäffte; und man beneidet uns noch! Das glaub’ ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden. Emilia?
indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt, und nach dem unterschriebenen Namen sieht
Eine Emilia? Aber eine Emilia Bruneschi, nicht Gallotti. Nicht Emilia Galotti! Was will sie, diese Emilia Bruneschi?
er lieset
Viel gefodert; sehr viel. Doch sie heist Emilia. Gewährt!
er unterschreibt und klingelt; worauf ein Kammerdiner hereintritt
Es ist wol noch keiner von den Räthen in dem Vorzimmer?
Der Kammerdiener:
Nein.
Der Prinz:
Ich habe zu früh Tag gemacht. Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn rufen.
der Kammerdiener geht ab
Ich kann doch nicht mehr arbeiten. Ich war so ruhig, bild’ ich mir ein, so ruhig. Auf einmal muß eine arme Bruneschi, Emilia heißen: weg ist meine Ruhe, und alles!
Der Kammerd welcher wieder herein tritt:
Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfinn Orsina.
Der Prinz:
Der Orsina? Legt ihn hin.
Der Kammerd:
Ihr Läufer wartet.
Der Prinz:
Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf. Wo ist sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?
Der Kammerd:
Sie ist gestern in die Stadt gekommen.
Der Prinz:
Desto schlimmer, besser, wollt’ ich sagen. So braucht der Läufer um so weniger zu warten.
der Kammerdiener geht ab
Meine theure Gräfinn!
bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt
So gut, als gelesen!
und ihn wieder wegwirft
Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann seyn, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber – ich habe!
Der Kammerd der nochmals herein tritt:
Der Maler Conti will die Gnade haben ...
Der Prinz:
Conti? Recht wohl; laßt ihn herein kommen. Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen.
steht auf
Conti - der Prinz
Der Prinz:
Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?
Conti:
Prinz, die Kunst geht nach Brodt.
Der Prinz:
Das muß sie nicht; das soll sie nicht, in meinem kleinen Gebiethe gewiß nicht. Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.
Conti:
Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen, kan ihn um den Namen Künstler bringen.
Der Prinz:
Ich meyne nicht vieles; sondern viel: ein Weniges; aber mit Fleiß. Sie kommen doch nicht leer, Conti?
Conti:
Ich bringe das Porträtt, welches Sie mir befohlen haben, gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient ...
Der Prinz:
Jenes ist? Kann ich mich doch kaum erinnern ...
Conti:
Die Gräfinn Orsina.
Der Prinz:
Wahr! Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.
Conti:
Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum malen. Die Gräfinn hat, seit drey Monathen, gerade Einmal sich entschließen können, zu sitzen.
Der Prinz:
Wo sind die Stücke?
Conti:
In dem Vorzimmer, ich hole sie.
Der Prinz
Der Prinz:
Ihr Bild! Mag! Ihr Bild, ist sie doch nicht selber. Und vielleicht find’ ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke. Ich will es aber nicht wiederfinden. Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen. Wär’ es auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen andern Grund gemalet ist, in meinem Herzen wieder Platz machen will: Warlich, ich glaube, ich wär’ es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen. Nun bin ich von allem das Gegentheil. Doch nein; nein, nein! Behäglicher, oder nicht behäglicher: ich bin so besser.
Der Prinz - Conti, mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen einen Stuhl lehnet
Conti indem er das andere zurecht stellet:
Ich bitte, Prinz, daß Sie die Gränzen unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit, liegt ganz außer den Gränzen derselben. Treten Sie so!
Der Prinz nach einer kurzen Betrachtung:
Vortrefflich, Conti; ganz vortrefflich! Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem Pinsel. Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!
Conti:
Das Original schien dieser Meynung nicht zu seyn. Auch ist es in der That nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur, wenn es eine giebt, das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht; ohne das Verderb, mit welchem die Zeit dagegen an kämpfet.
Der Prinz:
Der denkende Künstler ist noch eins so viel werth. Aber das Original, sagen Sie, fand dem ungeachtet ...
Conti:
Verzeihen Sie, Prinz. Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe nichts nachtheiliges von ihr äußern wollen.
Der Prinz:
Soviel als Ihnen beliebt! Und was sagte das Original?
Conti:
Ich bin zufrieden, sagte die Gräfinn, wenn ich nicht häßlicher aussehe.
Der Prinz:
Nicht häßlicher? O das wahre Original!
Conti:
Und mit einer Miene sagte sie das, von der freylich dieses ihr Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.
Der Prinz:
Das meynt’ ich ja; das ist es eben, worinn ich die unendliche Schmeicheley finde. O! ich kenne sie, jene stolze höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bey dieser Gräfinn. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen, Augen, wie sie die gute Gräfinn nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.
Conti:
Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen ...
Der Prinz:
Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfinn gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht. Redlich, sag’ ich? Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerey in sanfte Schwermuth verwandelt.
Conti etwas ärgerlich:
Ah, mein Prinz, wir Maler rechnen darauf, daß das fertige Bild den Liebhaber noch eben so warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe müßten uns auch nur beurtheilen.
Der Prinz:
Ja nun, Conti; warum kamen Sie nicht einen Monath früher damit? Setzen Sie weg. Was ist das andere Stück?
Conti indem er es holt, und noch verkehrt in der Hand hält:
Auch ein weibliches Porträtt.
Der Prinz:
So möcht’ ich es bald, lieber gar nicht sehen. Denn dem Ideal hier,
mit dem Finger auf die Stirne
oder vielmehr hier,
mit dem Finger auf das Herz
kömmt es doch nicht bey. Ich wünschte, Conti, Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern.
Conti:
Eine bewundernswürdigere Kunst giebt es; aber sicherlich keinen bewundernswürdigern Gegenstand, als diesen.
Der Prinz:
So wett’ ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebietherinn ist.
indem der Maler das Bild umwendet
Was seh’ ich? Ihr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantasie? Emilia Galotti!
Conti:
Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?
Der Prinz indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem Bilde zu verwenden:
So halb! – um sie eben wieder zu kennen. Es ist einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. Nachher ist sie mir nur an heiligen Stäten wieder vorgekommen, wo das Angaffen sich weniger ziemet. Auch kenn’ ich ihren Vater. Er ist mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf Sabionetta am meisten widersetzte. Ein alter Degen; stolz und rauh; sonst bieder und gut!
Conti:
Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.
Der Prinz:
Bey Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen!
noch immer die Augen auf das Bild geheftet
O, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein Lob vergißt.
Conti: