BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
E-Book-Produktion:
César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3670-2
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Texas-Richter
Man darf diese ersten Richter damals in Texas nicht mit den Maßstäben von heute messen. Denn lange bevor es in den Gebieten des südwestlichen Texas gesetzgebende Körperschaften und das Recht schützende Einrichtungen gab, hatte der Wilde Westen und ganz besonders der Südwesten seine eigenen, ungeschriebenen Gesetze. Teilweise waren sie aus den Rechtsgepflogenheiten des Ostens übernommen worden, aber hauptsächlich ergaben sie sich aus den Notwendigkeiten und besonderen Gegebenheiten der Grenze. Im Grunde aber ging es immer nur um eins: Die Redlichen wollten Schutz vor den Bösen. Das allein zählte – sonst nichts.
Aus diesem Grund gab es in jener Zeit Richter, wie man sie sich heute nicht vorstellen kann. Da lebte zum Beispiel im westlichen Texas ein Friedensrichter, der weder die Gesetze kannte, noch ein Gesetzbuch besaß. Auf seinem Schreibtisch lag ein in weiches Schafleder eingebundener Versandhauskatalog. Mit Hilfe dieses Katalogs bestimmte er das Strafmaß.
Wenn etwa ein Angeklagter wegen eines kleineren Vergehens vor ihm stand, setzte der Richter seine Nickelbrille auf, schlug aufs Geratewohl den Katalog auf, blickte einen Moment auf die aufgeschlagene Seite und verkündete dann die Höhe der Geldbuße.
Wenn der Verurteilte protestierte, drückte ihn dessen Anwalt auf den Sitz zurück und zischte ihm zu: »Seien Sie froh, dass er bei Kinderkleidung aufgeschlagen hat und nicht bei Klavieren.«
Westlich des Pecos, in der Gegend des Großen Knies des Rio Grande, gab es den berühmt berüchtigten Richter Roy Bean. Er machte sich selbst zum Richter und hielt Gericht hinter der Bar von »Lilys Saloon zu Jersey«. Einer seiner berühmtesten Urteile lautete so: Er erklärte, dass ihm kein einziges Gesetz in Texas bekannt sei, das verbiete, einen Chinesen zu töten. Deshalb sprach er den Mörder frei, begoss den Freispruch tüchtig mit eigenem Whiskey und kam dabei auf die Idee, dem toten Chinesen eine Geldbuße für unerlaubtes Waffentragen aufzuerlegen. Diese Strafe belief sich auf genau die Summe, die der tote Chinese in seinen Taschen hatte.
Es gab natürlich auch eine andere Sorte von Texas-Richtern. Sie waren davon überzeugt, eine Mission erfüllen zu müssen. Manche waren Fanatiker des Rechts, unbestechlich und nur darauf aus, die Guten vor den Bösen zu schützen.
Aber oft taten sie Gutes auf selbstherrliche und deshalb böse Weise.
Manchmal waren sie aufgrund ihrer Selbstherrlichkeit voreingenommen und deshalb ungerecht.
Die Rechtsentwicklung des Wilden Westens durchlief fast alle Etappen, von den primitivsten Anfängen bis zur heutigen Rechtsauffassung.
Denn am Anfang stand allein die Vergeltung, die Ausrottung der Bösen. Da gab es keine Gnade.
Und wenn die Gerichtshöfe nicht funktionierten, bildeten sich Vigilantenkomitees, die Hunderte von Mördern und Pferdedieben aufknüpften.
G.F. Unger
1
Die kleine Stadt am Pecos sah hübsch aus, so richtig freundlich und nett. Man sah ihr an, dass sie schon von den Spaniern gegründet wurde, dann den Mexikanern gehörte und schließlich einigen Zuzug von Angloamerikanern bekam.
Die Adobehäuser und -hütten leuchteten zwischen dem Grün der Bäume und Gärten.
Es musste viele Brunnen geben in Amity. Früher hieß der Ort Amistad, und beides bedeutete so viel wie Freundschaft.
Nun, ich konnte Freunde gebrauchen, denn ich hatte unterwegs mein Pferd verloren. Ich schleppte meinen alten Sattel und mein weniges Gepäck auf meinem Buckel.
Zum Glück war der Pecos River mal wieder fast ausgetrocknet, sodass ich ihn durchwaten konnte, ohne mir die Stiefel ausziehen zu müssen.
Es waren gute Stiefel, denn ich hatte sie erst vor einem halben Jahr einem Yankeeoffizier abgenommen. Das war, bevor ich nach Westen ritt, um nicht mit meiner fast völlig aufgeriebenen Einheit, die die Nachhut zu bilden hatte, in Gefangenschaft zu geraten.
Denn plötzlich war der Krieg aus.
Der Süden hatte kapituliert.
Nun, ich watete also durch den Pecos und hoffte, dass in dieser Stadt, von der ich früher schon den Namen hörte, freundliche Menschen waren.
Andernfalls nämlich …
Oha, was dann sein würde, darüber wollte ich nicht nachdenken.
An einem der großen Wasserlöcher, die sich hinter den Landvorsprüngen bildeten, weil sich bei Hochwasser dort die Strudel drehten, hockte ein alter Mann und angelte. Das Strudelloch hatte gewiss an die zehn Yards Durchmesser und war tief. So tief, dass man den Grund nicht sehen konnte. Denn solch ein Strudel wirkte wie ein gewaltiger Bohrer, der den Boden aufwirbelte, sodass an dieser Stelle ein tiefes Loch entstand.
Ich hielt bei dem alten Angler an, legte vorsichtig mein Gepäck zu Boden und nickte stumm.
Der Alte betrachtete mich mit seinen scharfen Falkenaugen.
Nach einer Weile sagte er: »Das ist keine gute Stadt für Tramps ohne Geld in der Tasche – und ohne Pferd. Gar keine gute Stadt. Aber du hast wohl keine andere Wahl, mein Junge – oder?«
»Nein«, erwiderte ich. Und ich protestierte nicht, dass er mich »mein Junge« nannte.
Denn er war ein sehr alter Bursche und hätte fast mein Großvater sein können.
Sonst ließ ich mich nicht so einfach »Mein Junge« nennen.
Er sagte: »Ich habe für meine Augen zu kurze Arme. In der Büchse dort sind einige Angelhaken. Vielleicht kannst du mir einige an den seidenen Vorfächer binden. Du siehst so aus, als könntest du das. Weißt du, in diesem Loch sind schlaue Forellen. Die bekomme ich nur mit farblosen Seidenvorfächern. Oder kannst du keine Angelhaken anbinden?«
Er fragte es zuletzt mit einem schon recht verächtlichen Klang in der Stimme.
»Ich kann«, erwiderte ich. »Das hat mir mein Vater schon beigebracht, bevor ich Lesen und Schreiben lernte.«
Er nickte zufrieden, und ich machte mich an die Arbeit.
Wieder schwiegen wir eine Weile.
Er zog indessen eine zappelnde Forelle aus dem Wasserloch, löste sie vom Haken und warf sie zu den drei anderen.
»Noch zwei«, er grinste mit braunen Zahnreihen, »dann langt es. Und du bist eingeladen, mein Junge, damit du wenigstens eine gute Erinnerung an diese Stadt behalten kannst.«
Ich hatte indes seine Angelhaken an seidenen Vorfächern befestigt und in ein weiches Stück Holz gehakt.
»Das Schlimme ist«, sagte ich, »dass ich kein Geld habe, mir ein Pferd zu kaufen. Wie sollte ich von hier wegkommen können ohne Pferd?«
Er nickte ernst.
»Ja, das ist ein Problem«, sagte er. »Denn wir haben einen Richter in der Stadt. Und der lässt Pferdediebe aufhängen. In dem Punkt kennt er keine Gnade. Pferdediebstahl ist für ihn wie Mord. Schon von Richter Rufus Parker gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte ich.
»Vor einem halben Jahr kämpfte ich noch in Virginia und entkam knapp der Gefangenschaft. Ich war seitdem ständig unterwegs nach Texas. Meinem Pferd bekam das nicht, obwohl ich zuletzt fast nur noch zu Fuß lief. Nein, ich hörte noch nie etwas von Richter Rufus Parker.«
»Er übt zugleich auch das Amt des Sheriffs aus.« Der Alte grinste und zog dann wieder eine Forelle aus dem Wasserloch. Während er sie zu den vier anderen warf, fügte er hinzu: »Denn niemand will hier Sheriff sein, weil das zu gefährlich ist. Manchmal wirbt er einige Deputies an. Auf diese Weise könntest du vielleicht zu einem Pferd kommen, mein Junge.«
»Am besten wäre es, wenn Sie mich nicht mehr ›mein Junge‹, sondern einfach nur Joey nennen würden, denn Joey Marwin, das ist mein Name«, sagte ich.
Er sah mich etwas schräg von unten her an. Aber dann nickte er.
»O ja«, sagte er, »ich wusste gleich, dass du ein stolzer Bursche bist. Was für einen Rang hattest du denn in der Texas-Brigade?«
»Ach«, sagte ich und grinste, »das hab ich glatt vergessen.«
Er grinste schief zurück. Aber dann holte er die sechste Forelle aus dem Wasserloch. Als Köder hatte er stets einen bunten Wollfaden benutzt, den er wie eine schillernde Fliege über der Wasseroberfläche kreisen ließ.
»Jetzt können wir zum Abendessen gehen«, sprach er. »Ich habe eine kleine Hütte am Rand der Stadt.«
Ich hörte meinen Magen knurren und fragte: »Könnten wir nicht noch einige Forellen dazu fangen?«
Wieder grinste er mit seinen braunen Zahnreihen.
»Ich habe in meiner Hütte aus meinem Garten auch noch andere essbare Dinge. Ich werde dich satt bekommen, Joey Marwin.«
Da nahm ich meinen Sattel und das andere Gepäck auf und folgte ihm.
Er hinkte und hielt sich ein wenig schief. Ich wusste, zu welcher Sorte ich ihn rechnen musste. Er war ein alter Cowboy und Zureiter von Wildpferden, wahrscheinlich ein ehemaliger Wildpferdjäger, dem die Biester so viele Knochen brachen, dass er nun nicht mehr reiten konnte.
Und so führte er gewiss ein kärgliches Leben am Rand der menschlichen Gemeinschaft. Dass er mich mitnahm zu sich, war für mich kein Wunder. Denn die Armen helfen eher als die Reichen.
Das war schon immer so, weil die Reichen voller Misstrauen sind gegen die Pechvögel des Lebens.
***
Seine Hütte lag in einem Garten am Rand der Stadt. Als ich meinen Sattel in den Schuppen brachte, sah ich dort ein Prachtstück dieser Art. Es war ein silberbeschlagener Sattel, der gewiss noch an die dreihundert Dollar wert war, ein Meisterstück von einem Sattel. Auf einer kleinen Silberplatte konnte ich lesen, dass dies der ***. Rodeo-Preis des Jahres 1845 von San Antonio war.
Der Sattel war also älter als zwanzig Jahre, aber erstklassig gepflegt. Heiliger Rauch, dachte ich. Das war ja noch ein Jahr, bevor Texas in die Union aufgenommen wurde. Vor mehr als einundzwanzig Jahren gewann dieser Bursche da den ersten Preis bei einem der großen Rodeos, die damals von den mexikanischen Reiterspielen, den »Jaripeos«, übernommen wurden, nachdem Texas eine Republik geworden war. Heiliger Rauch, was musste dieser alte Bursche leiden, wenn er seinen Erinnerungen nachging.
Ich wusch mich dann am Brunnen und schlug, so gut ich konnte den Staub aus meiner abgerissenen Kleidung.
Dann ging ich in die Adobehütte, die nur zwei Räume besaß. Die Dämmerung fiel draußen über das Land, kam von Osten her über den Pecos gekrochen als Vorbote der Nacht.
Der Alte stand am Herd und ließ es in der Pfanne zischen.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte er über die Schulter.
»Yes, Sir«, erwiderte ich.
»Ja, das war ich mal.« Er grinste wehmütig. »Zuerst hieß ich nur Shorty Brownhaker, dann aber bald schon Wild-Shorty Brownhaker. Und jetzt bin ich ein alter Hund. So geht es einem, wenn man keine Reichtümer angesammelt hat, weil man nie ans Alter dachte.«
Er brachte die Pfanne auf den Tisch, in der er die Forellen gebraten hatte mit Mandeln und mexikanischem Gemüse.
Wir aßen schweigend.
Und dann, als wir beim Kaffee waren, sagte er: »Also, dann geh los und sieh dir die Stadt an. Und wenn dich jemand fragt, ob du ein Satteltramp bist ohne Geld in den Taschen, dann sag ihnen, dass du bei Shorty Brownhaker wohnst. Vielleicht dulden sie dich dann in dieser Stadt – vielleicht.«
Ich erhob mich, nickte und ging.
Denn ich war begierig, die Stadt kennen zu lernen.
Würde sie mir Glück oder Pech bringen?
Ich versuchte mit meinem Instinkt eine Antwort zu bekommen, ein Gefühl, eine Vorahnung.
Aber ich spürte nichts.
Indes ich vom Fluss her auf der staubigen Wagenstraße hineinging, kam die Nacht.
Überall brannten nun Lichter.
Eine Frau sang für ein Kind ein Wiegenlied.
Und ein Hund kam aus einem Hof und schnupperte an mir.
Aber Hunde waren stets freundlich zu mir.
Er knurrte nicht einmal.
In den Häusern saßen die Menschen nach vollbrachtem Tagewerk beim Abendessen. Manche waren wohl schon fertig mit dem Essen und hockten im Schaukelstuhl auf der Veranda, um die erste Nachtkühle zu genießen nach dem heißen Tag.
Ich beneidete all diese Menschen. Denn sie hatten einen festen Platz, ein Heim und gehörten zu einer Gemeinschaft. Denn die kleine Stadt war ja wohl eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützte und sich eine Ordnung gegeben hatte.
Ich aber war ein streunender Tramp, der fünf Jahre im Krieg war und nun nach etwas suchte, was er all die Jahre vermisste. Ich war des langen Reitens und Kämpfens müde.
Einige Male hielt ich an, witterte, lauschte und nahm die Stimmung von Amity in mich auf. Ich wünschte mir, hier einen Job zu bekommen. Vielleicht sollte ich es bei der Post- und Frachtagentur versuchen – oder beim Schmied.
Ich konnte Pferde zureiten, sechsspännige Postkutschen durch raues Land fahren, aber auch gute Schmiedearbeit leisten.
Besonders gut konnte ich mit einem Revolver und einem Gewehr umgehen. Doch auf einen Job in dieser Richtung war ich nicht scharf.
Einige Male wollte ich an einem Vorgartenzaun anhalten und die Leute, die vor ihren Häusern und Hütten saßen, fragen, wo man einen Job bekommen könne.
Doch ich ließ es bleiben.
So erreichte ich endlich den kleinen Platz, der von vier großen Häusern begrenzt wurde. Das eine Gebäude war eine Mischung von Fonda, Bodega und Saloon. Das zweite Gebäude war der Generalstore mit den Magazinen und Lagerschuppen. Das dritte Haus war leicht als ein Hotel zu erkennen.
Und vor dem vierten Haus verhielt ich eine Weile und sah es mir an.
Überall leuchteten Laternen oder Lampen.
Im Schein zweier Lampen konnte ich auf dem großen Schild über der Veranda die Worte lesen:
Judge Rufus Parker
LAW WEST OF THE PECOS
Nun wusste ich es genau. Dort war der Gerichtshof westlich des Pecos River. Und der Judge, der Richter, hieß Rufus Parker.
Ich erinnerte mich an die Worte des alten Shorty Brownhaker, der mir gesagt hatte, dass dieser Richter Pferdediebe hängen ließ. Doch das tat nicht nur dieser Richter. Pferdediebe wurden fast überall aufgeknüpft.
Ich stand noch etwas staunend da und überlegte, ob ich in den Saloon gegenüber gehen sollte, denn in jedem Saloon erfuhr man fast alles über eine Stadt, ihr Umland und die Möglichkeit, einen Job zu bekommen, als ich Hufschlag hörte. Reiter kamen von Norden her in die Stadt geritten, mehr als ein halbes Dutzend Reiter, denen ein leichter Wagen folgte.
Der aufgewirbelte Staub hüllte mich ein, als sie vor dem Gerichtsgebäude anhielten. Und nachdem sich der Staub wieder lichtete und ich bessere Sicht hatte, da sah ich, dass ein Mann aus dem Gerichtsgebäude auf die Veranda getreten war, ein nur mittelgroßer, fast schmächtig wirkender Mann, der auf der Weste einen Stern trug, wie ihn auch die Sheriffs trugen, nur schien mir dieser Stern etwas größer geraten zu sein.
Von überall strömten Leute herbei.
In einiger Entfernung hörte ich eine heisere Stimme rufen: »Hoiii, kommt auf die Piazza! Richter Parker wird Gericht halten!«
Ich sah nun, dass einer der Reiter gefesselt auf dem Pferd hockte. Sogar seine Fußgelenke waren unter dem Pferdebauch mit einem Strick zusammengebunden.
Ich trat zu den anderen, und so bildeten wir um die Reiter und den Wagen vor der großen Veranda des Gerichtsgebäudes eine Art Volksversammlung.
Ich war gespannt darauf, was jetzt kommen würde.
In die entstandene Stille hörte ich die Stimme eines der Reiter fragen: »Sind wir hier richtig bei Richter Rufus Parker, dem einzigen Vertreter des Gesetzes westlich des Pecos?«
»Ja, da seid ihr richtig, Leute. Ich bin Richter Rufus Parker und Tag und Nacht für das Gesetz zuständig. Was kann ich für euch tun, Leute?« Nach diesen Worten war es wieder einige Atemzüge lang still.
In dieser Stille hinein sagte der Gefangene von seinem Pferd herunter mit heiserer Stimme: »Zur Hölle, was soll dieses ganze Theater? Wenn ihr mich aufhängen wollt, dann tut es schnell und ohne Brimborium! Ich hab ja doch keine Chance mehr. Also veranstaltet nicht noch ein Theater, ihr verdammten Arschlöcher!«
Wieder wurde es still.
Dann fragte Richter Rufus Parker: »Was hat er verbrochen?
Der Sprecher der Ankömmlinge erwiderte: »Euer Ehren, wir sind Siedler vom Saint Joseph’s Creek. Dieser Bursche kam zur Hütte von Mrs. Chandler, als deren Mann auf dem Feld arbeitete, und tat ihr Gewalt an. Als Mister Chandler die Hilferufe vernahm und seiner Frau zu Hilfe kam, wurde er erstochen. Aber indes die Männer kämpften, ergriff Mrs. Chandler die gusseiserne Pfanne und schlug sie dem Mörder auf den Kopf. Sie konnte ihn fesseln, bevor er wieder zur Besinnung kam. Und nun sind wir hier, damit Recht gesprochen wird. Wir hätten ihn selbst aufhängen können. Doch wir wollen, dass ihn das Gesetz verurteilt und richtet. Deshalb kamen wir fünfzig Meilen weit vom Saint Joseph’s Creek hierher. Wann werden Sie die Verhandlung eröffnen, Euer Ehren?«
»Sofort«, erwiderte Rufus Parker. »Sie ist hiermit eröffnet.«
Er deutete auf die Frau im leichten Wagen.
»Ist das Mrs. Chandler?«
»Die bin ich, Richter«, erwiderte die Frau mit spröder Stimme. »Und ich kam her, weil ich an die Gerechtigkeit glauben möchte.«
Wieder wurde es still.
Wir alle hielten den Atem an.
Richter Rufus Parker trat an den Rand der Veranda.
»Bringt den Angeklagten zu mir herauf«, verlangte er. »Ich will die Beule auf seinem Kopf sehen.«
Ein Raunen des Staunens wurde hörbar. Doch die Siedler vom Saint Joseph’s Creek gehorchten. Sie holten den Gefangenen vom Pferd und stießen ihn die Stufen der Veranda hinauf. Oben musste der Gefangene niederknien. Der Richter nahm eine Lampe vom Tisch, die inzwischen jemand angezündet hatte. Er leuchtete damit, indes seine Finger das wirre Haar des Angeklagten auseinander strichen.
»Ja, diese Beule wurde gewiss vom Schlag mit einer gusseisernen Bratpfanne verursacht.« Er nickte und ließ den Gefangenen aufstehen.
Dieser spuckte ihm ins Gesicht und schrie heiser: »Oha, du Arsch mit Ohren, ich habe ja doch nicht die geringste Chance! Warum das alles noch? Willst du erst noch deine Herrlichkeit demonstrieren, deine Anmaßung, einen Mann wie mich hängen lassen zu können? Oha, ich bin nur ein kleiner Hurensohn! Aber ich sage dir, eines Tages wirst du einen Großen zu hängen versuchen. Und dann wirst du erleben, wie groß du mit deinem Gesetz wirklich bist. Zur Hölle mit euch allen!«
Die letzten Worte kreischte er kaum verständlich heraus. Und dann spuckte er den Richter wieder an, ganz und gar in hilflosem Hass.
Richter Rufus Parker trat langsam zurück, stellte die Lampe auf den Tisch und setzte sich.
Auf dem Tisch lag ein dickes Buch. Und auf dem Buch lag ein Revolver.
Er rührte beides nicht an, aber die Faust daneben krampfte sich zusammen und ließ einen Moment lang erkennen, wie sehr er sich mit aller Kraft beherrschte.
Er nahm dann endlich den Revolver vom dicken Buch, ergriff ihn am Lauf und klopfte mit dem Kolben auf den Tisch, so als hielte er einen Hammer in der Hand.
Und dann sprach er laut und klar: »Wie du auch heißen magst, und woher du auch gekommen bist, bevor du diese Untat begangen hast – ich bestrafe dich nach Recht und Gesetz mit dem Tod durch Erhängen. Ich übergebe dich jetzt dem Henker, der dich am Hals aufhängen wird, bis du tot bist. Die Verhandlung ist geschlossen.«
Wieder klopfte er mit dem Colt wie mit einem Hammer.
Und dann trat der riesige Mann, der zuvor schon die Tischlampe angezündet und sich dann wieder in den Hintergrund zurückgezogen hatte, vor.
Ich begriff, dass der Riese der Henker war und dass nun alles auf der Stelle seinen Gang gehen würde ohne jeden Aufschub.
Dieser Richter, der sich als das einzige Gesetz westlich des Pecos betrachtete, schob nichts auf die lange Bank.
Der Henker packte den Gefangenen hinten am Kragen und stieß ihn vor sich her von der Veranda hinunter.
Die Siedler, die den Gefangenen brachten, folgten ihm.
Nur die Frau blieb im Wagen sitzen.
Mitten auf der Piazza stand ein großer Baum mit weit ausladenden Ästen. Dort hängte jemand zwei Laternen auf, und die Ansammlung der Zuschauer bewegte sich hinter dem Henker und dessen Gefangenen her.
Ich ging nicht mit.
Denn ich war nicht begierig, einen Mann hängen zu sehen – nein, ich hatte schon genug Tote gesehen während des Krieges, die auf alle nur denkbare Arten zu Tode kamen.
Ich war an solchen Schauspielen nicht interessiert.
Doch ich war überzeugt, dass der Bursche das Hängen verdient hatte. Er tat einer Frau Gewalt an und ermordete ihren Mann.
Wie anders sollte man sich hier im wilden Südwesten vor solchen Kerlen schützen, wenn nicht durch deren Ausrottung? Das war nun mal die Meinung aller, die mit Frauen und Kindern hier leben mussten. Sie wollten Schutz und Sicherheit.
2
Nun, ich ging also nicht mit hinüber zum großen Baum. Ich wandte mich wieder dem Richter zu, der noch auf der Veranda verhielt. Kaum mehr als ein Dutzend Schritte trennten uns. Der Laternen- und Lampenschein reichte noch bis zu mir. Er konnte mich sehen, so wie ich ihn sah. Und er kam hinter dem Tisch hervor und bis zum Rand der Veranda. Ich aber trat einige Schritte näher. Wir betrachteten uns.
»Nun, haben Sie etwas auf dem Herzen – oder warum verharren Sie hier und gingen nicht, um dem Henker bei der Arbeit zuzusehen?« Seine Stimme klang kühl. Doch ich wusste, dass er sich der Gefahr bewusst war.
Denn wenn ich ein Freund des Verurteilten war, dann hatte er nicht viele Chancen. Der Tisch mit dem Colt darauf stand drei Schritte hinter ihm. Er sah, dass ich einen tiefgeschnallten Colt trug.
Aber er ließ keine Furcht erkennen. Ich spürte seine Furchtlosigkeit. Er strömte sie aus wie einen Atem.