JACOB: »Hat jemand hier ein echtes Buch über Vampire gelesen, oder erinnern wir uns nur an das, was wir in den Filmen gesehen haben? Ich meine, ein echtes Buch?«

SEX MACHINE: »Du meinst, wie ein Time-Life-Buch?«

Alle lachen

Dialogszene aus dem Vampirfilm »From Dusk Till Dawn« von Quentin Tarantino

Vorbemerkung

Ulldart, Zwerge, Drachen in den Zwanzigerjahren, Cyberpunk, Dunkle Spannung – in den letzten Jahren kam schon einiges an Werken zusammen. Liebesromane, Krimis, Space-Operas sowie hochliterarische Dramen und was mir sonst noch an Genres fehlt werden später an der Reihe sein.

Es wurde Zeit für ein Lach- und Sachbuch!

Nun ja, zum Lachen ist das Buch eher sekundär. Vermutlich immer dann, wenn es besonders abstrus klingt, was der Volksglaube zu meinen Lieblingen sagt: den Vampiren!

Abstrus für unsere moderne Sicht. Liest man die Stellen jedoch genauer, erinnert sich, aus welcher Zeit sie stammen, und versucht auch nur ein bisschen, sich in ebendiese Zeit hineinzuversetzen, wird einem das Lachen im Hals stecken bleiben.

Es geht in den Osten Europas.

Eine Welt ohne allgegenwärtiges Licht.

Keine Straßen- und keine Taschenlampen, die Wälder sind dichter und wilder und nachts eine Wand aus Schwärze; ein Marsch durch die Dunkelheit ist ein Marsch durch die Dunkelheit. Nirgends werfen die Millionen Glühbirnen einer großen Stadt ihren Schein an den Nachthimmel, um einem Wanderer den Weg zu weisen. Einsamkeit bedeutet tatsächliches Nichtvorhandensein anderer Menschen im Umkreis von vielen, vielen Kilometern. Kein Telefon, kein Handy und auch sonst keine Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen …

Die Menschen glauben noch auf eine andere, intensivere Art an Gott. Gleichzeitig besitzt das Böse für sie Macht und Einfluss auf das tägliche Leben. Und mehrere Gestalten. Reale Gestalten: Hexen, Werwölfe, Zauberer, Nachtschrecken und andere dämonische Kreaturen tummeln sich in ihrer Vorstellung um sie herum, die mit christlichen Symbolen in Schach gehalten werden können.

Und genau in diese Welt bewegen wir uns hinein, wenn wir die zahlreichen historischen Quellen zum Vampirismus erkunden.

»Der Vampirglaube, so fremd und fern er uns Menschen von heute auch vorkommen mag, er war ein Kind seiner Zeit und wurde ernst genommen bei reich und arm. (…) Die Menschen handelten keineswegs leichtfertig oder gar aus Sadismus heraus, sondern aus einer tieferen, inneren Not gegenüber einer geheimnisvollen Macht. Es wäre falsch, über sie zu lächeln oder sie gar als ›dumm‹ zu bezeichnen. Wir können nur stilles Erbarmen für sie hegen und von Herzen dankbar sein, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Medizin, uns heute vor solchen Angstzuständen bewahren«, schreibt Leo Gerschke im Westpreußen-Jahrbuch von 1962 am Ende seiner Betrachtung über den Vampirglauben im alten Westpreußen im Laufe der Jahrhunderte.1

Recht hat er!

Verwirrt, weil es um Vampire geht und wissenschaftlich klingt?

Überrascht, weil es in der Tat etwas Wissenschaftliches darüber gibt?

Gut so!

Auch Blutsauger möchten ernst genommen werden, denn sie haben ein Recht darauf. Schließlich gibt es sie schon lange genug als Phänomen, das bis heute erstens nicht verschwunden ist und zweitens seine Anziehungskraft nicht verloren hat.

Und schon sind wir mitten in der Materie: Woher kommen Vampire? Was vermögen sie? Warum faszinieren sie uns Menschen nach wie vor?

Und vor allem: Warum waren zu Beginn der Dreißigerjahre des 18. Jahrhunderts – als Händels Musik Erfolge feierte, Voltaire seinen »Brutus« schrieb, der Sextant erfunden wurde und hier und da Kriege geführt wurden – zahlreiche Menschen in Europa überzeugt, dass es Vampire tatsächlich gibt?

Vampire – verflucht, wie zur Hölle (die wird später übrigens auch eine Rolle spielen) kommt man darauf, ein solches Thema ernsthaft anzupacken?

Zum einen: Ich habe viele Romane gelesen, und wenn man im Horror-Bereich unterwegs ist und solche Bücher mag, kommt man mit den Vampiren zwangsläufig in Kontakt. Zum anderen: Ich bin gelernter Historiker und war Journalist. Nachforschungen und das Wühlen in historischen Aufzeichnungen, Quellen und Verweisen machen mir wirklich Spaß! Und damit habe ich den Beweis erbracht, dass ein Geschichtsstudium abseits vom Lehramt nicht automatisch brotlose Kunst bedeutet …

Am Anfang stand mein Interesse herauszufinden, woher der europäische Aberglaube kommt, auf den sich die vielen Bücher und Filme beziehen und der durch seine morbide Faszination Menschen in seinen Bann zieht.

Und das nicht nur heute.

Als Nebeneffekt der Recherche habe ich dann selbst noch ein Buch über Vampire geschrieben: »Kinder des Judas«. Diese Sorte Vampir, die zum einen ein wenig ins Klischee des Filmvampirs fällt, zum anderen gänzlich anders ist, taucht hier auch noch auf. Zu dem, was über die Kinder des Judas bekannt ist, habe ich im Roman meine eigenen erfundenen Ideen gemixt.

Literarisch betrachtet haben sich außer mir viele Autoren mit dem Blutsauger beschäftigt, ob Goethe, Heine, Sheridan Le Fanu, Edgar Alan Poe, Guy de Maupassant, Alexej K. Tolstoi, Nikolai Gogol, Bram Stoker oder auch Anne Rice und Stephen King sowie buchweise andere geschätzte Kollegen der Gegenwartsliteratur. Ihre Klassiker und modernen Bestseller haben die Schreckgestalt Vampir als Mittelpunkt.

Demnach, so meine legitime Vermutung, musste sich in der Vergangenheit mindestens eine »unerhörte Begebenheit« ereignet haben, die den heute bekannten Blutsauger in irgendeiner Weise berühmt machte.

Wer konnte ahnen, dass es letztlich gleich so viele waren und die spektakuläre Hochphase definitiv im 18. Jahrhundert liegt?

Meine Nachforschung begann – und hat mich mit ihren spannenden Ergebnissen selbst überrascht.

Das Problem, das sich mir bei der Recherche stellte, war nicht die Sekundärliteratur des 20. Jahrhunderts, die sich erstaunlicherweise als sehr umfangreich erwies – umfangreicher, als ich erwartet hätte.

Viel schwieriger war es, an alte Zeitungsartikel, Dissertationen und Aufsätze aus dem 18. Jahrhundert zu gelangen, die offensichtlich kaum in deutschen Bibliotheken vorhanden sind. Lagen sie theoretisch dann doch vor, wurde mir des Öfteren mitgeteilt, dass die Werke zum Schutz der Seiten nicht ausgeliehen oder kopiert werden dürften.

Hin und wieder waren sie auch schlicht geklaut – und schon könnte man denken: Aha. Eine Verschwörung der Vampire!

Glücklicherweise gibt es moderne Sammlungen, durch die man an die Quellen gelangen kann. Wobei mich manchmal der Eindruck beschleicht, dass einige Autoren grandios voneinander abgeschrieben haben.

Ein neuerliches Problem kam hinzu: Verwirrend war die unterschiedliche Schreibweise von Städten und Ortschaften, nicht nur in den überlieferten Texten, sondern auch in der Sekundärliteratur, die eine Einordnung der aufgetretenen Vampirfälle zusätzlich erschwerte.

Englische Schreibweisen wichen von französischen ab, deutsche Schreibweisen variierten zusätzlich untereinander, in einem Buch wurde ein Fluss kurzerhand zu einer Stadt umbestimmt. Personen hießen unvermittelt anders, obwohl es sich um dieselben Orte, Zeiträume und Begebenheiten handelte.

Ja, ich weiß. Könnte auch zur Verschwörung der Vampire gehören …

Tatsache ist, dass wenige Menschen über den Hintergrund der Vampire – den tief verwurzelten Glauben, der die Menschen vor allem auf dem Balkan beherrschte – Bescheid wissen. Oder von dem »typisch deutschen« Vampirtypus, dem Nachzehrer, gehört haben.

So gehe ich davon aus, dass auch die Leserschaft von dem, was sie auf den folgenden Seiten zu lesen bekommt, größtenteils überrascht sein wird.

Ach ja … Dracula kommt nur kurz drin vor.

Einführung

SETH: »Ja, ich weiß, was los ist. Wir haben ein Bündel von scheiß Vampiren da draußen, die versuchen hereinzukommen und unser scheiß Blut aussaugen wollen. So ist das, schlicht und einfach.

Und ich will nicht so eine Scheiße hören wie ICH GLAUBE NICHT AN VAMPIRE, weil ich verdammt noch mal auch nicht an Vampire glaube.

Aber ich glaube meinen eigenen scheiß Augen, und mit meinen beiden Augen sah ich beschissene Vampire!

Also, stimmen wir darin überein, dass wir es mit Vampiren zu tun haben?«

Alle nicken.

Dialogszene aus dem Vampirfilm »From Dusk Till Dawn« von Quentin Tarantino

Trotz des fiktionalen Einstiegs der strikte Hinweis: Es wird in diesem Büchlein nur nebenbei um die erfundenen Exemplare der Gattung Vampire gehen. Erfunden im Sinne von »durch Belletristikautoren und -autorinnen sowie Filmleute ausgedacht«. Die herrlich deftigen Zitate aus dem Film »From Dusk Till Dawn« sollen lediglich zeigen, dass ein bisschen Grundwissen noch niemandem geschadet hat. Seth und Jacob wären über die kommenden Infos glücklich gewesen.

Der Schwerpunkt liegt definitiv auf solchen Kreaturen, die im Volksglauben vor allem in der Vergangenheit gefürchtet waren. Und trotz des immensen Umfangs und Abwechslungsreichtums der Realvampire kann es nur eine Einführung sein, ohne dass ich einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Dazu gibt es zu viel Material.

Der kurze Ausflug zu den Glanzlichtern in der Historie des Vampirismus wird zeigen, wie es zu unserem heutigen Vampirbild gekommen ist. Nicht zu vergessen die Kräfte und Fertigkeiten der Vampire.

Natürlich ist bei manchen von mir zitierten Autoren Vorsicht angeraten, und ich rege dazu an, bei näherem Interesse selbst weitergehende Nachforschungen anzustellen. Zum Beispiel, wie man darauf kommt, in Westpreußen nach Vampiren zu suchen, wo doch die Langzähne normalerweise im tiefen Osten beheimatet sind. Sollte man zumindest glauben.

Um es vorweg zu sagen: Nicht nur Westpreußen hatte in der Vergangenheit bestimmte Vorstellungen von den gefährlichen, wiederkehrenden Toten.

Bei näherer Betrachtung wird schnell deutlich, dass es sich bei Vampirismus oder vampirismusähnlichen Begebenheiten vielmehr um ein weltumspannendes, kulturenumfassendes Phänomen handelt, das in den unterschiedlichsten Zeiten und Ländern unabhängig voneinander auftrat. Dadurch präsentierte es sich in den Vorstellungen der Menschen jedoch nicht weniger unheimlich, grauenvoll oder schrecklich.

Beispiele gefällig?

Fangen wir mit der Untoten-Rundreise an.

Auf den vor der Küste Nordaustraliens liegenden Inseln kennen die Bewohner die sogenannten Forsos, zurückkehrende Tote, die ihre lebenden Verwandten heimsuchen und deren Vorhaben behindern. Eigenheiten, welche auch die gemeinen europäischen Vampire besitzen. Was genau einen Vampir ausmacht, dazu später mehr.

Die arabischen Länder wissen um die Ghoule, leichenfressende Nachtwesen mit spitzen Reißzähnen, die auf Begräbnisstätten lauern. Begräbnisstätten, Friedhöfe – auch hier ist die Verwandtschaft zum Vampir nicht zu verleugnen.

Die Japaner nennen ihren mit dem Ghoul verwandten bösen Geist Kasha, die chinesischen lebenden Toten heißen Kuei. Zum Kuei werden solche Menschen, die in ihrem irdischen Leben nicht genügend Verdienste erworben haben. Leistungsdruck mit besonderem Ansporn, könnte man sagen.

Ein Hindu, der durch Gewalteinwirkung starb oder dessen Leiche ohne Zeremoniell begraben wurde, kehrt als Preta zurück, der willkürlich gegen alle lebenden Wesen vorgeht, die ihm begegnen. Hass auf die Lebenden – wieder etwas, das ihn mit den meisten Vampiren verbindet. Vampire sind nun einmal nicht eben bekannt dafür, dass sie Reichtümer verschenken und gute Gaben verteilen.

Auf Haiti sind die Revenants gefürchtet, Seelen, die in die toten Körper zurückkehren, weil sie spüren, dass sie von den Lebenden vergessen werden. Die indische, mehr geisterhafte Vampirrasse wird Vetala oder Rákshasa genannt, auch sie legt sich in der Nähe von Grabstätten auf die Lauer und wartet auf Opfer.2

Im Ashantiland heißen die Vampire Asanbosam, in Guinea Owenga, die Madagassen nennen die Blutsauger Ramanga. Der Vampir »Azeman« treibt dagegen nur in bestimmten Gegenden des nordöstlichen Südamerikas, im früheren Surinam oder Holländisch Guyana, sein Unwesen.3 Die Mexikaner haben Furcht vor einem Vampir namens Civateteo, Brasilien verfügt sogar über zwei Spezies, die Jaracaca und die Lobishomen4; ein ganz gefährliches Gebiet ist Malaysia, wo mehr als sechs verschiedene vampirische Geister leben.5

Die generelle internationale Vielfalt ist beeindruckend: Anthony Masters zählt in seinem Buch rund vierzig Sorten Vampire in mehr als dreißig Ländern auf.

Grenzenlose Vielfalt: Die eben kurz vorgestellten Vampirrassen, -verwandten oder vergleichbaren Wiedergängerphänomene haben unterschiedliche äußere Erscheinungsformen, treten als geisterhafte Wesen auf, leben in verwesenden Körpern oder verändern erst dann ihr Aussehen, wenn sie zu einem der gefürchteten Wesen geworden sind.

Doch bleiben wir zunächst in unserer direkten Nachbarschaft.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war im westlichen Europa von Vampiren kaum etwas zu hören oder zu sehen. In den Köpfen der Menschen waren zu dieser Zeit eher die Erinnerungen an Hexenverfolgungen und -prozesse präsent, die vor allem im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht hatten.

1725 wurde im Umland Wiens eine »entsetzliche Begebenheit«, sprich Vampirbefall, aus einem Dorf namens Kisolova bekannt und durch Flugblätter verbreitet. Ansonsten blieben diese Nachrichten aber noch weitgehend unbemerkt.

Sieben Jahre später jedoch spitzte sich die Lage zu, was in einer regelrechten Vampirhysterie gipfeln sollte, von der ganz Westeuropa ergriffen wurde.

Ausgelöst wurde sie 1732 durch die nun international verbreitete Nachricht über den Vorfall in Medvegia, bei dem etwa ein Dutzend Vampire ein Dorf terrorisierten, Menschen quälten und töteten.

Richtig: ein Dutzend!

Die fast unglaublichen Ungeheuerlichkeiten über lebende Tote, die nachts Menschen nachstellten, um ihnen das Blut auszusaugen, nahmen von nun an zu und wurden immer öffentlicher.

Man kramte in Archiven und erinnerte sich plötzlich an Vampirbegebenheiten aus früheren Jahren, die damals wohl untersucht oder zur Kenntnis genommen worden waren, allerdings nicht die Beachtung gefunden hatten, wie sie sie im Nachhinein erfahren sollten.

Das Besondere an Medvegia ist, dass der Vampirglaube und die Ereignisse nicht als abergläubisches Phänomen der ungebildeten Landbevölkerung abgetan wurden, sondern dass die Obrigkeit des Kaiserreichs Österreich-Ungarn gleich zwei (!) Untersuchungskommissionen, bestehend aus hochrangigen Offizieren und Ärzten, in das Gebiet entsandte, um die Begebenheit zu erforschen.

Nebenbei bemerkt: Es wäre interessant zu erfahren, ob die UN bei ihrem Bosnisch-Kroatisch-Serbischen Friedenseinsatz in den Neunzigern oder vielleicht heute noch bei aktuellen Schutzmissionen in den Gebieten ähnliche Beschwerden oder Hinweise von der Bevölkerung bekommen hat. Das wäre ein weiterer Beleg, wie gegenwärtig und selbstverständlich der Glaube an die Schreckensgestalt in jenen Breiten ist.

Da nicht öffentlich bekannt wurde, dass entsprechende Vampir-Anfragen an die Bundeswehr oder andere Behördenstellen gerichtet wurden, mein Tipp: Sollte jemand zufällig Freunde und Bekannte haben, die mit der Bundeswehr dort stationiert waren oder vielleicht gebürtig aus den klassischen Vampirregionen stammen, einfach mal nachhaken.

Doch zurück in die Vergangenheit des 18. Jahrhunderts.

Die Berichte aus dem Jahr 1732, welche die Existenz der Blutsauger nicht anzweifelten, sondern vielmehr den Volksglauben bestätigten, waren es, welche die Neugier im westlichen Europa erregten und eine Lawine ins Rollen brachten.

Kein Scherz!

In der Folge beschäftigten sich hoch dotierte Expertenkommissionen von angesehenen internationalen Universitäten genauso fieberhaft mit den Vorfällen wie Laien, Geistliche und Schriftsteller. Es erschienen Unmengen von Büchern, Artikeln und Stellungnahmen, welche die Vampire mithilfe der unterschiedlichsten Theorien erklären wollten. Oder das Phänomen schlicht als Lüge und Trugbild abtaten.

Wer sich die Originale der Berichte anschauen möchte und die Reise nicht scheut: Das Wiener Hofarchiv verwahrt die Originalakten, Schriftwechsel und Anordnungen des Kriegsrates zu den Vampirfällen bis zum heutigen Tag.

Aber eines nach dem anderen.

Die Frage, die man sich automatisch stellt: Gibt es den Vampir überhaupt als einen charakteristischen Typus?

Dass der Vampir es selbst mystisch liebt, merkt man spätestens dann, wenn es um die Ursprünge des Blutsaugers geht.

Bis heute streitet sich die Forschung, worauf der Glaube fußt. Nicht viel besser wird es übrigens bei der Etymologie des Wortes »Vampir«. Hier treten etliche Schwierigkeiten auf.

Absicht oder Zufall?

Da ist sie wieder, die Verschwörungstheorie … Hatten die Vampire ihre Finger im Spiel, um sich nebulös zu machen?

Wie sonst könnte man die vielen verschiedenen Erklärungsversuche der Kirche, Wissenschaftler und Schriftsteller deuten? Gemachte Vielfalt?

Der plötzlich in Mode gekommene Blutsauger wurde einmal als Hirngespinst verdammt, oder aber die seltsamsten Beweisführungen wurden erbracht, um die Existenz des Vampirs wissenschaftlich zu beteuern und zu belegen.

Apropos nebulös und verwirrend: In der existierenden Sekundärliteratur wimmelt es von völlig widersprüchlichen Meinungen zu Hintergrund, Regionen und Vorhandensein des Vampirglaubens.

Noch ein geschicktes Manöver der Vampire? Denn wenn viele Informationen gestreut werden, wissen eventuelle Gegner wiederum alles und nichts.

Außerdem gibt es dann noch die »echten« Vampire in der näheren Gegenwart …

Begeben wir uns also auf die Spurensuche und versuchen, etwas Licht in die Gruft zu bringen und die Geheimnisse der Vampire aufzudecken.

Noch eine kleine Warnung: Menschen mit leichtem Hang zum Verfolgungswahn werden danach überall Vampire sehen.

Pflöcke schnitzen, Messer wetzen und Benzin für ein lustiges Feuerchen suchen – es könnte gefährlich werden …

Kapitel I

»Es war einmal …«

1. Vor dem großen Schrecken – Vampirfälle vor 1731/32

Der berühmteste aller Vampirfälle in Medvegia aus den Jahren 1731/32 ist kein plötzlich auftretendes Phänomen, das vorher noch nie in Erscheinung getreten wäre. Im Gegensatz zu den anderen Fällen ist dieser durch die offizielle Untersuchung der Obrigkeit am weitesten über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. Das Ausmaß der dort auftretenden »Vampirepidemie« sprengte jeden vorherigen Bericht; davor handelte es sich meistens um Einzelerscheinungen.

Nichtsdestotrotz hat es Hinweise auf Vampirismus und sich ähnlich verhaltende Wiedergänger bereits in den Jahrhunderten zuvor gegeben.

Die Furcht vor den lebenden Toten, die es auf das Blut und das Leben von Menschen und Tieren abgesehen hatten, sowie vor blutsaugenden Wesen herrschte bereits in der Antike.

Die Griechen und Römer ängstigten sich vor den Lamien, gespenstischen Frauen, die durch allerlei Zauberkunst Kinder, darunter vorzugsweise schöne Jungen, anlockten, ihnen das Blut aussaugten und das Fleisch genossen.6 Verwandte von ihnen sind unter anderem die Lemuren, Empusen und auch die Strigen7; die Mormo, Larua und Gilo gehören ebenso dazu.8

Wie sehen diese Schreckgestalten nun aus?

Die Empusen nutzen einen Trick, den auch Vampire beherrschen: Sie verändern ihre Gestalt, um an ihre Opfer zu kommen. Sie erscheinen als Ochse, Maultier, schöne Frau oder Hund; das Gesicht leuchtet feuerrot, ein Bein ist aus Erz, das andere aus Eselsmist [Anm. d. A.: Ich habe keine Ahnung, wie das aussehen soll.]. Sie töten in erster Linie Kinder, um deren Blut zu trinken.9

Die Strigen wiederum sind dämonische Nachtvögel oder räuberische Menschen in Vogelgestalt, ausgestattet mit dickem Kopf, starren Augen, einem Krummschnabel, grauem Gefieder und langen Krallen. Sie fliegen nachts umher, rauben Kinder aus der Wiege, zerfleischen sie und saugen ihr Blut aus.10

Und noch weiter geht es zurück in der Geschichte. Assyrer, Chaldäer und Babylonier kannten blutsaugende Monster – laut gefundenen Inschriften – ebenso11 wie die Indianerkulturen Süd- und Nordamerikas12.

Machen wir einen großen zeitlichen Sprung nach vorne, in eine Zeit, in der sich exaktere Aufzeichnungen finden, die über bloße Beschreibungen hinausgehen. Jetzt geht es um Vorfälle.

Erste vage Belege finden sich im Mittelalter oftmals mit Hinweisen auf Hexen, den »Wehrwolf« oder »Thierverwandlungen« verknüpft.13 Chronisten berichten außerdem von blutsaugenden und todbringenden Verstorbenen, die man entweder pfählen, enthaupten oder verbrennen musste, um sie endgültig an ihren Taten zu hindern:14 Heimsuchung der Lebenden, Zerstörung von Hab und Gut, der Tod von Vieh und Mensch. Später wurden diese drei Arten der Unschädlichmachung meistens kombiniert, üblich war auch das Verbrennen oder Durchstechen des Herzens, wie noch gezeigt wird.

Ach ja, wenn hier von Pfählen gesprochen wird, ist das Durchbohren des Herzens oder Bauches mit einem Pflock oder einer langen Stange gemeint. Eigentlich müsste man es richtigerweise »pflöcken« nennen, was aber reichlich albern klingt; deswegen gebrauche ich das Wort pfählen.

Zurück zu den Anfängen des Vampirs.

Es existiert ein Erlass Karls des Großen, der all diejenigen mit dem Tode bestraft, die Männer und Frauen unter der Beschuldigung, sie seien »striga vel masca«, verbrannten. Zu Deutsch: Strigen und Hexen. Burchard von Worms berichtet vom heidnischen Brauch, die Leichen früh verstorbener Kinder und schwangerer Frauen zu durchstechen.

Um 1337 tauchen in Deutschland wiederkehrende Tote auf, so zum Beispiel die Begebenheit des Hirten Myßlata aus dem böhmischen Dorf Blow bei Cadan. Der Hirte wurde zwar zunächst gepfählt, riss sich aber den »eichenen Pfahl« aus dem Leib und verspottete die Dorfbewohner. Erst nach seiner Verbrennung hörten die vampirischen Umtriebe des Hirten auf, die Leiche soll in den Flammen wie ein Ochse gebrüllt haben.15

Die Chronik von Sebastian Mölers aus dem Jahre 1343 offenbart, dass im Verlauf einer verheerenden Pestepidemie die Zahl der Vampirfälle in Tirol sehr groß gewesen sei. Die Benediktinerabtei in Marienberg war davon schwer betroffen, und einer der letzten Mönche, Dom Steino von Netten, wurde sogar von einem Vampir getötet.16 Ich gebe zu, dass Tirol geografisch ein wenig aus der Reihe tanzt. Immer diese Bergvölker!

Warum nun hat man sich nicht nur auf das Pfählen verlassen?

Weil es nicht immer funktionierte!

Die Unwirksamkeit ereignete sich auch bei der Frau des Töpfers Dúchaz 1345 in Levin, die im Leben eine Zauberin gewesen sein soll, nach ihrem Tode aber in Tiergestalt umherging und für das Ableben anderer Menschen sorgte. Man grub sie aus, schaffte sie auf den Scheiterhaufen und pfählte sie dort. Besser gesagt: Man versuchte es. Nachdem sie sich den Pflock aus dem Körper gerissen hatte, gelang ihr die Flucht vom vorbereiteten Scheiterhaufen in Form eines Wirbelwindes.17

Die Obrigkeit reagierte auf die Vorkommnisse. Der serbische Herrscher Stephan Dusan beispielsweise verhängte 1357 per Gesetz Strafen gegen das abergläubische Ausgraben und Verbrennen von Toten durch Bauern.18

Die Verschwörungstheoretiker unter den Lesern könnten an dieser Stelle wieder die Frage aufwerfen: War es als Schutz vor dem Aberglauben gedacht, oder gehörte der Herrscher gar zu den Vampiren und hat sie zu schützen versucht?

Schwenken wir auf der Landkarte mehr nach Westen und schreiten chronologisch fort.

Enge Verwandtschaft der Vampire besteht zu den »Nachzehrern«, eine preußisch-norddeutsche Art der variantenreichen Untoten, auf die später noch näher eingegangen wird.

Das älteste Zeugnis hierzu stammt aus 1517 und berichtet vom großen Sterben zu Gross Mochbar während einer Pestepidemie. Auch in Hessen und Schmalkalden trieben die »Nachzehrer« ihr Unwesen.19 Ihr Schmatzen aus den Gräbern, die Eigenschaft, von der sich ihr Name ableitet, hörte man außerdem zu Pestzeiten 1552 im sächsischen Freiberg, 1553 in Schlesien, 1562 zu Sangershausen und 1584 zu Jüterbogk.20

Bereits 1605 erzählt die Frankensteiner Chronik von einem Ungetüm in Neustadt, das die Bewohner heimsuchte und sogar tötete; gegen die »plagenden Toten« fanden 1612 in Jauer und 1614 in Giersdorf Prozesse statt.21

Moment mal: Prozesse gegen Tote?

Die Vorstellung von Gerechtigkeit und der Wirkung von Richtersprüchen der Frühen Neuzeit übersteigt unsere heutige. Es ging darum, geschehenes Unrecht gutzumachen und Gerechtigkeit für die Betroffenen herzustellen. Prinzip Auge um Auge.

Grob zusammengefasst bedeutete dies, dass der Täter für seine begangenen Taten leiden musste, die Seele durch die körperliche Pein gestraft wurde. Dabei spielte es keine Rolle, ob nun der Delinquent ein lebender Mensch oder ein zurückgekehrter Toter war. Die Seele würde die zugefügten Verstümmelungen schon spüren.

Die verbrecherischen Untoten wurden vom Gericht behandelt wie Lebende, und mit dem Richterspruch und der abschließenden Verurteilung hoffte man auf das Ende des umtriebigen Untoten, der seine gerechte Strafe erhalten hatte – spätestens dann, wenn er auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war.

Die ersten eindeutigen Fälle von Vampirismus wurden 1591 aus Schlesien und 1617/18 aus Eibenschütz (oder Egwanschiftz) in Mähren gemeldet, für 1624 existieren einige Berichte über upierzyca – weibliche Vampire – aus Krakau, Polen22, und 1672 kommt es zu einem Vorfall in Kring im österreichischen Kronland Krain.

Der Mercure galant berichtete in den Jahren 1693 und 1694 von weiteren »Vampyren« in Russland und Polen.23

Nicht immer wussten selbst die Männer Gottes, was man gegen den Aberglauben der Bevölkerung tun kann. In seiner Not fragte ein polnischer Geistlicher am 9. Januar 1693 bei der Universität Sorbonne in Paris nach, wie sich ein Beichtvater gegenüber der Sache verhalten solle, worauf die Doktoren Fromageau, de Precelles und Durieraz ein radikales Verdammungsurteil über die üblichen Schutzmaßnahmen, wie Pfählen, Köpfen und Verbrennen, verhängten.24

Oha, hergehorcht, Verschwörungsfreunde: Standen die Doktoren womöglich auf der Gehaltsliste der Vampire und haben den laschen Versuch unternommen, die Geldgeber auf diese Weise zu schützen?

Im schlesischen Freudenthal »vexierten [plagten] die Gespenster des Nachts die Leute abscheulich«, deshalb wurde 1698 ein verdächtiger Körper aus dem Grab gehoben und geköpft, frisches Blut soll herausgequollen sein. »Die Leute wurden hierdurch noch furchtsamer und zogen ethliche davon anderswohin«25.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war das Interesse an Vampiren in einem kleinen Kreis gestiegen.

1701 erzählt Karl Ferdinand von Schertz in seiner »Magia posthuma«, dem ersten Buch über Vampire, von Ausgrabungen verdächtiger Leichen in Mähren. Samuel Friedrich Lauterbach berichtet von Leichenausgrabungen im polnischen Fraustadt 1710; im gleichen Jahr köpfte man im preußischen Harsen während einer Pestepidemie nachträglich aus den Gräbern gehobene Leichen.26

Da man an dem Verhalten der Bevölkerung nicht mehr vorbeikam und es anscheinend nicht bei Einzeltaten blieb, berieten Geistliche im Jahr 1707 mit Sorge auf der lutheranischen Synode von Rózsahegy (Ruzomberok) über den um sich greifenden Brauch, Leichen zu exhumieren, zu köpfen und anschließend zu verbrennen.

Der ungarische Arzt Samuel Köleséri, der den Verlauf der Pest in Transsylvanien schildert, berichtete 1709 voller Entsetzen und Abscheu über die Anzahl der ausgegrabenen Leichen, die mit einem Pfahl durchbohrt oder enthauptet wurden, weil die Bevölkerung sie für die Pest verantwortlich gemacht hatte.27

Für 1721 existieren Aufzeichnungen in Russland, Polen und im Großherzogtum Litauen über »tote Körper«, die nachts in die Häuser der Leute einfallen, sich über die Einwohner hermachen und versuchen, sie auszusaugen.

Im Zeitraum von 1725 bis 1732 häuften sich die Berichte über die Vampire für bestimmte Distrikte in Serbien und das Banat von Temesvár.28

Natürlich gab es unter den ersten Vorkommnissen schon kleine Berühmtheiten.

Da war der aus seinem Grab zurückgekehrte Schuhmacher im Jahr 1591 aus Breslau. Er sorgte für Aufsehen, weil er die Stadt vom 22.September 1591 bis zum 18. April 1592 terrorisierte. An seinen Opfern fanden sich Würgemale und Flecken. Die besorgten Einwohner gruben den Leichnam aus, der einen völlig unverwesten Eindruck machte, und verscharrten ihn auf ungeweihter Erde.

Doch die Aktivitäten des »Geists«, wie die Bezeichnung lautete, verstärkten sich, bis ihm der Henker am 7. Mai auf Geheiß des Stadtrats den Kopf abschlug, Hände und Füße entfernte sowie das Herz herausschnitt und alle Einzelteile auf sieben Klafter Holz, heute etwa einundzwanzig Raummeter, verbrannt waren; die Asche wurde am nächsten Morgen in den Fluss gestreut.29

Und: Vampire sind ansteckend!

Das zeigte das böhmische Dörfchen Eibenschütz. 1617 suchte ein Vampir lange Zeit die Menschen heim, brachte seine Opfer um. Schließlich wurden sowohl der Vampir als auch seine toten Opfer auf jeweils getrennten Holzstapeln an einem vom Dorf weit entfernten Ort verbrannt.30 Damit waren sich die Menschen sicher, dass keine zweite Welle über sie hereinbrechen würde.

1672 erschien der tote Georg, oder auch Giure, Grando in dem bereits oben erwähnten Ort Kring wieder.

Einige Leser mögen die Vorstellung, nachts von einem Vampir oder einer Vampirin in romantisch-erotischer Weise beglückt zu werden, reizvoll finden. Es scheint aber alles andere als sexy gewesen zu sein, wenn der Blutsauger sich Zutritt verschaffte.

Der Original-Wortlaut aus dem Bericht:

»Hernach ist dieser Begrabene offt ihrer vielen erschienen bey nächtlicher Weile, da er auf der Gassen hin, und wieder hergegangen, und bald hie, bald da an die Hauß-Thüre geschlagen, und seynd unterschiedliche Leute darüber gestorben, zumahl aus solchen Häusern, da er hat angeklopffet. Denn vor welchem Hausse er angeschlagen, daraus ist bald darauf einer mit dem Todte abgangen. Er hat auch bey seiner hinterlassenen Wittwen sich eingefunden, und dieselbe würcklich beschlaffen, welche aber, weil sie einen Abscheu vor ihm getragen, endlich zu dem Supan (oder Marckt-Schultzen) Miho Radetich hingeloffen, und bey ihm verblieben, und gebeten, er wollte ihr doch wieder ihren verstorbenen Mann Hülfe verschaffen.«31

Wie ging eine solche Vampirjagd vonstatten?

Exemplarisch hierzu der Bericht aus Kring.

Der Supan organisierte ein paar Helfer und den Dorfgeistlichen, die sich zusammen mit ihm auf den Friedhofmachten, bewaffnet mit »zweyern Wind-Lichtern, und einem Crucifix«, um das Grab zu öffnen.