Vorwort

Augusta – »Feuerkopf« und Friedensfürstin

2010 war bekanntlich das Jubiläumsjahr der Königin Luise, jener früh verstorbenen Lichtgestalt der preußischen Geschichte. Ihr Leben und Wirken wurde in zahlreichen Ausstellungen, Filmen, Vorträgen und neuen Publikationen gewürdigt, sie selbst damit endgültig zur »Königin der Herzen« erhoben.

Im Jahr 2011 jährt sich nun der 200. Geburtstag der Kaiserin Augusta (1811–1890), die ganz im Schatten ihrer beliebten Vorgängerin steht. Sie hat Luise natürlich niemals kennengelernt, schließlich kam die geborene Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach erst ein Jahr nach deren Tod zur Welt. Doch 1829 heiratete die junge Augusta Luises zweitältesten Sohn, den späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., wurde also deren Schwiegertochter. Luise und Augusta – zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher kaum hätten sein können. Augusta besaß weder das einnehmende Wesen noch die besondere Ausstrahlung der verstorbenen Preußenkönigin, im Gegenteil. Dafür aber hatte sie andere Qualitäten, die die Nachwelt allerdings kaum zur Kenntnis genommen hat. Aus diesem Grund ist Augusta schon bald nach ihrem Tod in Vergessenheit geraten. Völlig zu Unrecht.

Aufgewachsen am liberalen und kunstsinnigen Weimarer »Musenhof«, an dem noch der alte Goethe ein und aus ging, kam die erst 17-jährige Augusta anlässlich ihrer Hochzeit ins militärisch-nüchterne Berlin, eine für sie völlig fremde Welt. Ihre Ehe mit dem preußischen Prinzen Wilhelm war mit einer schweren Hypothek belastet, denn das Herz des Hohenzollern gehörte noch immer der »engelsgleichen« Elisa Radziwiłł, die aber nicht heiraten durfte. Augusta war also nur »zweite Wahl«.

Doch die junge Prinzessin biss tapfer die Zähne zusammen und nahm sich fest vor, an der Spree trotz allem glücklich zu werden. Wirklich glückliche Zeiten waren freilich selten, zumal ihr in Berlin ein geistig anregendes Klima fehlte und sie zunächst keine erfüllende Aufgabe fand. Nachdem sich Augusta in den ersten Jahren der Ehe weitgehend der Erziehung ihrer beiden Kinder Friedrich Wilhelm und Luise gewidmet hatte, erwachte in den Vierzigerjahren ihr Interesse an der Politik, das durch die 1848er Revolution in Berlin auch gleich auf eine praktische Probe gestellt wurde. Mit ihrer gemäßigt liberalen Einstellung stand Augusta am Hohenzollernhof aber ziemlich allein da, selbst wenn sich Wilhelms Haltung während der Koblenzer Jahre – er residierte dort als Generalgouverneur der preußischen Rheinprovinz – in eine »gesundkonservative« Richtung änderte und er als König von Preußen die sogenannte Neue Ära einleitete. Schwierig wurde es jedoch, als der altpreußische »Hardliner« Otto von Bismarck auf den Plan trat und 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt wurde. Es entstand eine erbitterte Feindschaft zwischen ihm und Augusta, die fast ein Leben lang andauerte. Zunächst hatte Augusta noch geglaubt, in ihrem Sohn Friedrich Wilhelm und dessen englischer Gemahlin Vicky zwei Verbündete zu haben, weil auch sie gemäßigt liberale Reformen einforderten und die nationale Einigung Deutschlands durch »moralische Eroberungen« herbeiführen wollten. Bekanntlich kam es anders. Die deutsche Einheit war zwar auch Bismarcks Ziel, aber um sie zu erreichen, setzte er auf »Blut und Eisen« statt »Reden und Parlamentsbeschlüsse«. Die Methoden des Ministerpräsidenten, der innerhalb weniger Jahre drei Kriege anzettelte, an deren Ende 1871 die Gründung des Deutschen Reiches stand, haben Augusta entsetzt. Heute würde man sie mit Fug und Recht als Pazifistin bezeichnen. Für sie war Krieg keineswegs ein Mittel zur Durchsetzung der Politik, sondern ein barbarisches Unterfangen, das nichts als Leid und Unheil über die Menschen brachte. Auch wenn Augusta die Hände gebunden waren und sie das Blutvergießen nicht verhindern konnte, so war es ihr doch ein Herzensanliegen, wenigstens das schlimmste Leid zu lindern. Als Königin und später auch als Kaiserin arbeitete sie eng mit Henri Dunant, dem Gründer des Roten Kreuzes, zusammen, bemüht, die Not der Kriegsopfer auf beiden Seiten, nicht ausschließlich auf der deutschen, zu mildern. Nachdem sich ihr Engagement zunächst auf verwundete Soldaten beschränkt hatte, dehnte sich ihr Tätigkeitsgebiet schließlich auf die Verbesserung der hygienischen Bedingungen und der Krankenpflege überhaupt aus.

Nicht minder energisch wehrte sich Augusta im Kulturkampf gegen die Maßnahmen ihres Widersachers Bismarck und konnte zumindest durchsetzen, dass damals die Kranken pflegenden Orden nicht aufgelöst wurden.

Augusta war nämlich eine Frau von ungewöhnlicher religiöser Toleranz. Selbst evangelisch erzogen – nicht protestantisch, wie sie immer wieder betonte –, verkehrte sie trotzdem unbefangen mit Katholiken und Juden. Als sie in den Fünfzigerjahren in Koblenz lebte, machte sich ihre unvoreingenommene Haltung besonders bezahlt. Die katholischen Rheinländer, die 1815 eher widerwillig zu Preußen geworden waren, hatten sich vor allem aufgrund ihrer Konfession stets als »Untertanen zweiter Klasse« gesehen. Das änderte sich jetzt allmählich.

Doch Augusta war nicht nur die milde Wohltäterin und die preußische »Friedensfürstin«. Sie war auch jener »Feuerkopf«, unter dem ihre Umgebung, einschließlich des kaiserlichen Gemahls, immer wieder zu leiden hatte: eine mitunter halsstarrige und eigensinnige Frau, die zu heftigen Wutausbrüchen neigte und es nicht ertragen konnte, die Kontrolle über ihre Umgebung zu verlieren. Bismarck schrieb später in seinen Erinnerungen über Augusta, »deren Temperament, wenn es galt, ihren Willen durchzusetzen, auch in der Rücksicht auf Alter und Gesundheit des Gemahls nicht immer die Grenze fand«.

Augusta verübelte es Bismarck, dass er schließlich mehr Einfluss auf den Kaiser hatte als sie selbst, und sie nahm es vor allem ihrer Schwiegertochter Vicky übel, dass sie ihr den einzigen Sohn entfremdete. Das führte schließlich dazu, dass sich ihre Wege trennten, menschlich wie politisch. Augusta, die so große Hoffnungen in ihren Sohn gesetzt hatte, war zutiefst enttäuscht und glaubte nicht mehr, dass er die nötigen Qualitäten für das Amt des Kaisers mitbrachte. Stattdessen setzte sie auf ihren Enkel Wilhelm, der so zum Instrument eines sich immer weiter ausdehnenden Familienkonflikts wurde und der sich schließlich eng an die Großeltern anlehnte. Zum Schluss ging Augusta sogar so weit, über ihren eigenen Schatten zu springen und ihren alten Hass auf Bismarck zu überwinden, nur um den Enkel ganz auf ihre Seite zu ziehen. Die kaiserliche Familie war völlig zerstritten.

Bekanntlich ging Augustas heimlicher Wunsch 1888 in Erfüllung. Nach dem Tod Wilhelms I. saß ihr an Kehlkopfkrebs erkrankter Sohn Friedrich III. nur 99 Tage auf dem Thron, bevor ihr Enkel als Wilhelm II. tatsächlich deutscher Kaiser wurde. Augusta starb nur knapp zwei Jahre später und hat deshalb nicht mehr einsehen können, wie sehr sie sich geirrt hatte. »Herrliche Zeiten« hatte der Kaiser seinen Untertanen versprochen. Stattdessen führte er das Deutsche Reich 1914 durch seine sprunghafte Politik in den Ersten Weltkrieg.

»Ein ganz liebenswertes und originelles Geschöpf«

 Prinzessin am Weimarer »Musenhof« 

Augusta, die (fast) vergessene deutsche Kaiserin

Sie war weder die »Königin der Herzen« noch eine populäre »Landesmutter« wie Deutschlands letzte Kaiserin Auguste Viktoria (1858–1921), die Gemahlin Wilhelms II. Reichskanzler Otto von Bismarck, ihr politischer Gegner, hat Augusta einmal sogar als »alte Fregatte« bezeichnet. Und selbst nach ihrem Tod sah man die Kaiserin durchaus kritisch: »Sehr geachtet, aber nicht beliebt und volkstümlich«, heißt es in einem Nachruf der Kölnischen Zeitung vom 8. Januar 1890. »Sie war eine geborene Kaiserin, und niemand konnte besser als sie die Majestät repräsentieren, aber es war ihr weniger verliehen, im Umgang sich schlicht, einfach und natürlich zu geben. Man glaubte, etwas Absichtliches zu merken.« Wie aber wurde Augusta so? Als sie jung war, schwärmte die höfische Gesellschaft noch von ihrer »Heiterkeit« und »Natürlichkeit«. Goethe nannte die Weimarer Prinzessin »ein ganz liebenswertes und originelles Geschöpf«. Welche Erfahrungen haben sie geprägt und schließlich so verhärtet, dass sie begann, sich gleichsam hinter einer »Maske« zu verstecken? Und was führte dazu, dass man Augusta, die preußische Königin und erste Kaiserin des Deutschen Reiches, heute fast vergessen hat?

Ein freudiges Ereignis für ganz Weimar

In Weimar war es Anfang des 19. Jahrhunderts schon wieder ruhiger geworden. Der Glanz des legendären »Musenhofs« begann allmählich zu verblassen, selbst wenn Goethe im Schloss noch immer ein und aus ging. Doch Herzogin-Mutter Anna Amalia, die einst aus ihrem Wittumspalais den berühmten Salon gemacht hatte, war 1807 gestorben. Auch Schiller und Herder lebten nicht mehr. Politisch hatte das kleine Herzogtum schwere Zeiten durchmachen müssen, nachdem Napoléon im Oktober 1806 mit seinen Truppen eingefallen war. Jetzt aber gab es endlich wieder Grund zur Freude. Am 30. September 1811 wurde im Weimarer Schloss eine kleine Prinzessin geboren und sechs Tage später auf den Namen Marie Luise Augusta Katharina getauft. Ihre Eltern waren Erbprinz Karl Friedrich von Sachsen-Weimar und seine russische Gemahlin Maria Pawlowna, eine Enkelin Katharinas der Großen. Augusta war nach der 1808 geborenen Marie das dritte Kind des Erbprinzenpaares; der 1805 geborene Sohn Alexander war allerdings schon im Säuglingsalter gestorben. Oberhaupt der fürstlichen Familie war Herzog Karl August, ein enger Freund Goethes und Sohn von Anna Amalia, die ihn und seinen jüngeren Bruder nach dem frühen Tod ihres Mannes allein aufgezogen und auch die Regentschaft geführt hatte. Das kleine Weimar konnte bekanntlich etliche bemerkenswerte Frauen vorweisen, zu denen auch Augustas Mutter Maria Pawlowna gehörte. Eher im Hintergrund hielt sich hingegen Augustas Großmutter Luise, Gemahlin des vitalen Herzogs Karl August, eine geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt. Und doch verehrten die Weimarer Bürger gerade sie als heimliche Heldin. Nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt, in der Preußen im Oktober 1806 eine vernichtende Niederlage hinnehmen musste, hatte der Verbündete Karl August zunächst die Flucht ergriffen. Lediglich Luise hielt im Weimarer Schloss tapfer die Stellung, als wenig später die Franzosen anrückten. Das kleine Städtchen an der Ilm, das seit Jahrhunderten keine Kriege mehr erlebt hatte, war den Siegern schutzlos ausgeliefert. Angst und Schrecken machten sich breit, es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen und anderen Gräueltaten. Selbst Goethe wäre fast den marodierenden Franzosen zum Opfer gefallen, wenn seine Christiane nicht todesmutig eingeschritten wäre. Auch Herzogin Luise bewies Courage. Als Napoléon auf der Suche nach Karl August wütend die Schlosstreppen hochstürmte, trat sie ihm unbeeindruckt entgegen und erklärte dem Kaiser kühl, ihr Mann sei gerade dabei, seinen Pflichten nachzugehen. Dann drehte sie sich um und ließ den verdutzten Napoléon einfach stehen. Beeindruckt von dem souveränen Auftritt der sonst eher schüchternen Herzogin befahl Napoléon, der Feldherr, seinen Soldaten, die Plünderungen unverzüglich einzustellen. Doch die Kriegslasten waren hart genug. Als Karl August Ende 1806 nach Weimar zurückkehrte, musste er, um seinen Herzogstitel zu behalten, nicht nur dem Rheinbund beitreten, sondern an Frankreich auch Kontributionen in Millionenhöhe zahlen.

Weimar im Glanz russischer Pracht

Durch die Hochzeit des Erbprinzen Karl Friedrich mit der russischen Großfürstin Maria Pawlowna war im November 1804 ganz neuer Glanz nach Weimar gekommen, und das sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Um die reiche Aussteuer der 18-jährigen Zarentochter von St. Petersburg an die Ilm zu transportieren, mussten 80 Planwagen eingesetzt werden! Marias kostbare Besitztümer wurden nach ihrer Ankunft mehrere Wochen lang im Weimarer Schloss ausgestellt, um den Bürgern die Gelegenheit zu geben, die Reichtümer ihrer neuen Erbprinzessin und künftigen Herzogin gebührend zu bewundern: Porzellan, Gold und Silber, Möbel, Tapeten, Gobelins, Spiegel, Kronleuchter, Vasen, Gläser, Stoffe und natürlich Marias prächtige Garderobe. Und das war noch nicht alles. Hinzu kam nämlich, dass Maria Pawlowna auch künftig mit finanziellen Zuwendungen aus dem Zarenhaus rechnen konnte.

Dass die Deutschkenntnisse der jungen Russin eher rudimentär waren, stellte kein großes Problem dar. In Hofkreisen sprach man ohnehin meistens Französisch.

Die Frage war natürlich: Wie kam eine russische Großfürstin aus dem Hause Romanow, einer der mächtigsten und reichsten Dynastien des Kontinents, in das kleine und politisch eher unbedeutende Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach? Und das, obwohl die Weimarer protestantisch waren, während Maria Pawlowna russisch-orthodox erzogen wurde und ihren Glauben auch weiterhin beibehielt? Liebe, so viel steht fest, war mit Sicherheit nicht im Spiel gewesen, und Karl Friedrich galt, anders als sein Vater, auch nicht als Mann von besonderer Ausstrahlung und intellektueller Brillanz. Tatsächlich war die Verbindung eine Idee ebendieses Vaters gewesen. Karl August wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis das marode Heilige Römische Reich Deutscher Nation auseinanderbrechen würde. Deswegen hielt er es für ratsam, sich frühzeitig nach mächtigen Bündnispartnern umzusehen. Schon im März 1799 hatte der Weimarer Herzog einen seiner Diplomaten nach St. Petersburg gesandt, um Zar Paul I. (1756–1801) und dessen deutschstämmiger Gemahlin Maria Fjodorowna (Sophie Dorothea von Württemberg) die Hochzeitspläne zu unterbreiten. Man wurde sich schneller einig, als Karl August zu hoffen gewagt hatte. Das Zarenpaar hatte mehrere Töchter, die alle standesgemäß und politisch vorteilhaft verheiratet werden mussten. Da schien es naheliegend, dynastische Verbindungen mit verschiedenen europäischen Herrscherhäusern zu knüpfen. Doch noch waren die Hochzeitspläne nicht in trockenen Tüchern. Als der despotische Paul I. 1801 einem Attentat zum Opfer fiel, atmete zwar ganz Europa auf, doch Karl August war unsicher, ob auch dessen Sohn, der neue Zar Alexander I., das vom Vater gegebene Heiratsversprechen einhalten würde. Und so schickte er seinen bewährten Diplomaten Wilhelm von Wolzogen ein weiteres Mal nach St. Petersburg, um die Lage zu sondieren. Nachdem dieser schließlich mit guten Nachrichten nach Weimar zurückgekommen war, konnten Karl Friedrich und Maria Pawlowna am 3. August 1804 vor den Traualtar treten.

Alexander I. wusste, dass seine jüngere Schwester am Weimarer »Musenhof« eine gute Figur machen würde. Tatsächlich fügte sich Maria von Anfang an klug in die eher bescheidenen Verhältnisse ein und verzauberte ihre Umgebung mit jugendlichem Charme und großer Freundlichkeit. Goethe bezeichnete sie später schmeichelhaft als »eine der besten und bedeutendsten Frauen ihrer Zeit«. Doch was Maria Pawlowna bei der Bevölkerung wirklich beliebt machte, war ihr unermüdlicher Einsatz für Kranke und Bedürftige, mit dem sie sich schließlich den ehrenvollen Namen »Engel der Armen« erwarb. Seit dem Ende der Napoleonischen Kriege widmete sie sich intensiv karitativen Tätigkeiten – kümmerte sich um die Pflege von Verwundeten, die Betreuung der Kriegswitwen und die Linderung der allgemeinen Armut überhaupt. So wurde Maria Pawlowna zum »Motor« einer breiten Wohlfahrtsbewegung, die sie durch großzügige Spenden aus ihrem Privatvermögen zusätzlich förderte. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit galt vernachlässigten Kindern. Sie sorgte dafür, dass die Kleinen wenigstens ein Mindestmaß an Ausbildung erhielten, um den Anforderungen einer Welt im Aufbruch in die Moderne gewachsen zu sein. Es waren erste, aber durchaus wichtige Schritte in ein gesellschaftliches Neuland, das ohne Maria Pawlownas Engagement wahrscheinlich noch lange Zeit brachgelegen hätte. In diesem Sinne hat die Erbprinzessin auch ihre Kinder erzogen und vor allem bei Augusta ein großes Mitgefühl für die Kranken und Bedürftigen geweckt.

Fürstliche Kindererziehung

Augusta, ihre Schwester Marie und der 1818 geborene Bruder Karl Alexander wuchsen im Wesentlichen genauso auf wie andere Fürstenkinder auch. Gleich nach der Geburt wurden sie der Obhut einer mütterlichen Kinderfrau übergeben. In diesem Fall war es Amalie Batsch (1786–1847 oder 1852), an der Augusta bis zu deren Tod in zärtlicher Liebe hing und mit der sie auch als erwachsene Frau noch regelmäßig korrespondierte. Frau Batsch kümmerte sich nicht nur zuverlässig um das Wohlergehen ihrer Schützlinge, sie hielt die viel beschäftigte Maria Pawlowna auch schriftlich darüber auf dem Laufenden. Von 1808 bis 1843 erhielt die Mutter ausführliche Berichte über die Entwicklung ihrer Kinder, meist wöchentlich, mitunter sogar täglich. Und das selbst noch, als Augusta und Marie schon längst in Berlin verheiratet waren. Sie nahmen ihr geliebtes »Bätschchen« nämlich mit an die Spree, damit sie in bewährter Weise auch für den Nachwuchs der Prinzessinnen sorgen konnte.

Bei Amalie Batsch fand Augusta die Nestwärme, die ihr die Mutter schon allein aus Zeitmangel nicht geben konnte. Und doch hat sie es ihrer aufopferungsvollen Kinderfrau nicht immer leicht gemacht. Frau Batsch charakterisierte ihren Schützling nämlich als »heftiges, energisches, starkes Kind«, das seine Umgebung mit Sturheit und Wutausbrüchen in Atem hielt. Diese Eigenschaften behielt Augusta ein Leben lang bei. Kaiser Wilhelm, ihr späterer Gemahl, pflegte sie deshalb nicht nur als »Feuerkopf« zu bezeichnen, er hat unter ihren Ausbrüchen auch erheblich gelitten. Doch dazu kommen wir später. Zunächst einmal war es wohl eher Marie, die zu leiden hatte. Charlotte von Schiller, Witwe des 1805 verstorbenen Dichters, fiel häufiger auf, dass sich die drei Jahre Ältere viel von ihrer kleinen Schwester gefallen lassen musste.

Doch auch ein »Feuerkopf« hatte sich aristokratischen Zwängen zu beugen. Augusta wurde, wie ihre Geschwister, von Anfang an zu strenger Pflichterfüllung erzogen. »Eine Prinzessin darf niemals müde werden«, pflegte Maria Pawlowna zu sagen, eine Maxime, die sie freilich auch selbst beherzigte. Augusta hatte einen vollen Stundenplan, der eine umfassende Bildung ebenso berücksichtigte wie die höfische Etikette, der sich die Prinzessin unterwerfen musste. Für Launen und Allüren gab es hier keinen Platz, auch wenn es in den Aufzeichnungen der Lehrer hin und wieder heißt: »Prinzessin Augusta war heute nicht so aufmerksam wie sonst.« Auf dem Stundenplan standen Sprachen wie Französisch und Russisch, Geschichte, Geografie und natürlich Religion. Der protestantische Glaube spielte in Augustas gesamtem Leben eine bedeutende Rolle. Die religiöse Unterweisung der Fürstenkinder erfolgte weitgehend im Sinne des verstorbenen Hofpredigers Johann Gottfried Herder (1744–1803), der 1776 nach Weimar gekommen war. Der Schriftsteller und evangelische Theologe war ein Vertreter des Humanitätsideals und eines Christentums, das nicht ausschließlich auf althergebrachten Dogmen basierte, sondern auf praktizierter Nächstenliebe. Augusta lernte also schon frühzeitig, sich ihre eigenen Gedanken zur Religion zu machen. Häufig begleitete sie auch ihre Mutter zum russisch-orthodoxen Gottesdienst, wo sie einen ganz anderen Ritus kennenlernte als den vergleichsweise nüchternen der evangelischen Kirche. Hier, in der weihrauchgeschwängerten mystischen Atmosphäre, fühlte sie sich Gott ganz besonders nahe. So wurde damals die Grundlage für Augustas ungewöhnliche Toleranz in religiösen Dingen begründet, eine durchaus fortschrittliche Haltung, die ihr aber in späteren Jahren noch eine Menge Ärger bereiten sollte.

Auch die musische Seite des Unterrichts kam nicht zu kurz. Es gab Klavierstunden, Tanz- und Malunterricht. Um das Zeichentalent der Prinzessin zu fördern, hatten die Eltern eigens die Künstlerin – und ab 1837 sächsische Hofmalerin – Louise Seidler (1786–1866) engagiert, die auf ausdrückliche Empfehlung Goethes angestellt wurde. Die Malerin war eine begeisterte Anhängerin der Nazarener, einer 1809 gegründeten Künstlergruppe, die sich durch eine romantische Rückbesinnung auf die »alten Meister« und die Konzentration auf religiöse Motive auszeichnete. Heutzutage werden die Werke der Nazarener in der Regel als etwas »kitschig« bezeichnet, doch Augustas späterer Kunstgeschmack wurde durch den Unterricht von Louise Seidel maßgeblich geprägt.

Pflichterfüllung und Entbehrungen

Zur Erziehung der Prinzessinnen gehörte auch das Zeremoniell des »Zirkelhaltens«, eine eher ermüdende Prozedur, die von den fürstlichen Herrschaften jedoch mit hoheitlichem Verhalten, Charme und Würde durchgeführt werden musste. Das »Zirkelhalten« lag wohl kaum jemandem im blauen Blut und musste daher erst mühsam erlernt werden – vor einer Anzahl leerer Stühle. Auch Augusta musste immer wieder an solchen Sitzreihen vorbeigehen, freundlich lächeln und »jedem Stuhl« etwas Nettes und Verbindliches sagen. So etwas gab es nicht nur in Weimar, es war an allen Fürstenhöfen üblich. Schließlich erwartete man von einer Prinzessin, dass sie bei einem feierlichen Empfang Hunderte von Gästen mit liebenswürdiger Sicherheit und formvollendeter Höflichkeit begrüßte. Sprachliche Gewandtheit war dabei ebenso wichtig wie eine tadellos aufrechte Haltung. Augusta hat deshalb später einen Holzstab zwischen den Schultern getragen, der sie daran hindern sollte, einen unmajestätisch krummen Rücken zu machen. Er hat jedoch ihre Bewegungsfähigkeit derartig beeinträchtigt, dass sie mehrmals schwer gestürzt ist. Auch ein solcher Holzstab war damals nichts Ungewöhnliches, ebenso wie eine Brettvorrichtung, die man benutzte, um die Füße an das gerade Voranschreiten zu gewöhnen und einen »Watschelgang«, wie man ihn später Queen Victoria nachsagte, zu vermeiden.

Trotz des vielseitigen Lehrprogramms scheint Augusta eine recht unbeschwerte Kindheit verlebt zu haben. Charlotte von Schiller glaubte zumindest, die beiden Weimarer Prinzessinnen seien »glücklich wie die Engel« gewesen. Nur eines hat Augusta offenbar missfallen: ihre angeblich unzureichende Ernährung. Zumindest behauptete sie später, sie habe sich in ihrer Kindheit niemals so richtig satt essen dürfen. Die spärliche Kost – bei der offenbar Schwarzwurzeln eine wichtige Rolle spielten – habe ihrer Gesundheit auf Dauer geschadet und sei Ursache für die geringe Widerstandskraft ihres Körpers gewesen. So ganz mag man das nicht glauben. Die Behauptung erinnert ein wenig an die Memoiren der Wilhelmine von Bayreuth, die ebenfalls beklagte, sie und ihre Geschwister hätten nie genug zu essen bekommen. Dass mehrere Kinder des »Soldatenkönigs« Friedrich Wilhelm I. eher als mollig zu bezeichnen waren, scheint Wilhelmines Angaben jedoch zu widersprechen. Auch Augusta war als junges Mädchen alles andere als eine »Bohnenstange«, sondern schon »sehr formiert«, wie wir es zuverlässig von ihrem späteren Bräutigam wissen, Prinz Wilhelm von Preußen. Dennoch kann ihre Behauptung nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es an allen europäischen Fürstenhöfen üblich, die Portionen für die Kleinen überschaubar zu halten. Genau das entsprach nämlich dem damaligen Erziehungsprinzip. Der Pädagoge Joachim Heinrich Campe (1746–1818) vertrat die Ansicht, Kinder sollten von frühester Jugend an Mäßigung und Enthaltsamkeit gewöhnt werden. Ein leider unbekannter Zeitgenosse schrieb sogar: »Ich glaube, ihnen eine der höchsten Glückseligkeiten zu schenken, wenn ich sie entbehren lehre. Meine Kinder haben schon vom dritten Jahre an sich die Versagung der Speisen, welche auf dem Tische standen, ohne Tränen gefallen lassen und sich mit der gemeinsten Kost, oft hartem Brot, begnügt.« Denn – so seine Begründung, »so schnell die kräftig genährten Kinder blühen, so schnell welken sie auch«. Tatsächlich aber hoffte man, durch eine asketische Ernährung das Erwachen der Sexualität so lange wie möglich hinauszögern zu können: »Junge Leute, mit magerer Kost ernährt … entwickeln ihre Lüste später.« Und bei einer Prinzessin war es natürlich besonders wichtig, dass sie bis zu ihrer Heirat einen untadeligen Ruf besaß und nicht mit irgendwelchen Skandalgeschichten in Verbindung gebracht wurde.

Politischer Neubeginn

Zunächst war Augusta noch viel zu klein, um die politischen Wirren ihrer Zeit bewusst mitzuerleben. Inzwischen nämlich war das geschehen, was ihr kluger Großvater schon längst vorausgesehen hatte: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das seit der Zeit Karls des Großen existierte und zum Schluss nur noch als »lebendiger Leichnam« dahinsiechte, war zusammengebrochen. Auf Druck Napoléons musste Franz II. 1806 in Wien seine Krone niederlegen und künftig als österreichischer Kaiser Franz I. weiterregieren. Das entstandene Vakuum füllte Napoléon zum Teil durch die Gründung des Rheinbunds, dem 16 Fürsten aus Süd- und Mitteldeutschland beitraten und die »Seine Majestät, den Kaiser der Franzosen« zum Protektor ausriefen. Auch Karl August war bekanntlich widerwillig zum Mitglied des Rheinbunds geworden. Doch mit dem gescheiterten Russlandfeldzug hatte der »kleine Korse« den Zenit seiner Macht überschritten. Ende Februar 1813 schloss Russland ein Bündnis mit Preußen, dem auch Österreich beitrat. Karl August beeilte sich daraufhin, die Seiten zu wechseln, wenngleich Goethe noch im selben Jahr in Anspielung auf Napoléon zu den Deutschen sagte: »Schüttelt immer an euren Ketten, ihr werdet sie nicht zerbrechen, der Mann ist zu groß.« Aber bald musste Goethe seinen Irrtum einsehen. In der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 konnten die Verbündeten das napoleonische Heer nach schweren Kämpfen besiegen. Das war der Anfang vom Ende. Mit der Schlacht bei Waterloo 1815 war Napoléons Schicksal endgültig besiegelt. Er wurde auf die Atlantikinsel St. Helena verbannt, wo er sechs Jahre später verbittert starb.

Unterdessen hatte der Wiener Kongress 1814/15 bereits eine Neuordnung Europas durchgeführt, aus der der Deutsche Bund hervorgegangen war. Dabei handelte es sich um ein lockeres Bündnis von 35 Fürstenstaaten und vier freien Städten. Nach der Verfassung waren sie durch jeweils mindestens einen Gesandten im Bundestag in Frankfurt am Main vertreten. Den Vorsitz führte Österreich unter seinem Staatskanzler Fürst Metternich.

Fortschrittliches Weimar

Nach der unruhigen Zeit, die die europäischen Staaten durchgemacht hatten, standen jetzt alle Zeichen auf Wiederherstellung der alten Ordnung und der »Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands«. Es begann die träge Epoche des Biedermeier. Zwar hatte Artikel 13 der Bundesakte versprochen: »In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden«, doch das nahm kaum einer der Fürsten wirklich ernst. Rühmliche Ausnahme war Augustas Großvater, den man im Februar 1815 zum Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach befördert hatte. Als Karl August am 5. Mai 1816 die Verfassung für sein Großherzogtum unterzeichnete, war er der erste deutsche Fürst, der diese Zusage einlöste – und blieb auch für längere Zeit der einzige. In den nächsten Jahren machte Karl August aus seinem kleinen Land einen vergleichsweise liberalen Staat. Außer der Verfassung setzte er die Pressefreiheit durch und unterstützte die damals fortschrittlichen Burschenschaften, die Jenaer Studenten im Juni 1815 gegründet hatten. Viele kannten sich aus den Freiwilligenverbänden der Befreiungskriege, als sie 1813 für Freiheit und Einheit des deutschen Vaterlandes gekämpft hatten. Jetzt aber sahen sie sich betrogen, der hohe Blutzoll schien umsonst gewesen zu sein. Doch sie wollten auch künftig für die nationale Einigung Deutschlands eintreten und »Flagge zeigen«. Mit ihren schwarz-rot-goldenen Fahnen, die die Farben der Lützower Jäger1 trugen, demonstrierten sie deutlich sichtbar für ihre Forderungen. Es dauerte nicht lange, bis sich ihnen auch Studenten von anderen deutschen Universitäten anschlossen.

Großherzog Karl August verfolgte das Treiben der Burschenschaftler mit großer Sympathie. Als die jungen Leute für den 18. und 19. Oktober 1817 zum dritten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht und zur 300-Jahr-Feier von Luthers Wittenberger Thesenanschlag auf die Wartburg bei Eisenach einluden, gewährte ihnen der Großherzog seine Unterstützung. Fürsorglich stellte er den »Burschen« sogar Brennholz zu Verfügung, um den Räumen des alten Gemäuers eine wohlige Atmosphäre zu verleihen. Vergleichbares wäre wohl in kaum einem anderen deutschen Land möglich gewesen. Zum »Wartburgfest« kamen mehr als 500 Studenten und mehrere angesehene Professoren aus Jena. Sie sangen vaterländische Lieder, hielten hitzige Reden und mahnten die deutsche Einheit und Freiheit an. Reaktionäre Kräfte wie Fürst Metternich verspotteten den »Schirmherrn« Karl August daraufhin als »Altburschen«, doch Augustas Großvater dürfte darin eher einen Ehrentitel gesehen haben.

Hausfreund Goethe

Somit wuchs Augusta am Hof von Weimar im Spannungsfeld zwischen strenger höfischer Etikette und vergleichsweise liberaler Politik auf. Beides hat sie entscheidend geprägt. Gewissermaßen »zur Familie« gehörte auch Johann Wolfgang von Goethe, der schon seit 1775 in Weimar lebte und dem Hof seither eng verbunden war.

Ebenfalls 1775 war Karl August 18 Jahre alt und somit volljährig geworden. Nachdem bislang seine Mutter Anna Amalia die Regentschaft für ihn geführt hatte, konnte er künftig selbst als Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach regieren. Der Start in sein neues Leben sollte auch gleich mit einer Hochzeit besiegelt werden. Als Karl August im Oktober 1775 nach Karlsruhe reiste, um Luise von Hessen-Darmstadt zu heiraten, machte er auch in Frankfurt Station. Hier traf er sich mit dem 26-jährigen Goethe, dem er bereits im Vorjahr zum ersten Mal begegnet war. Die beiden jungen Männer verstanden sich ausgesprochen gut, und schließlich lud Karl August den Poeten sogar ein, ihn nach Weimar zu begleiten. Sein Angebot galt freilich weniger dem unlängst berühmt gewordenen Autor des Werther als vielmehr dem staatspolitisch orientierten Juristen, von dessen Fachwissen sich der unerfahrene Herzog eine Menge erhoffte. Sachsen-Weimar-Eisenach war damals mit seinen rund 100 000 Einwohnern nicht nur ein kleines, sondern auch ein armes Land. Die Agrarwirtschaft erzielte keine großen Erträge, und die Industrie war erst ansatzweise entwickelt. Karl August konnte also jeden klugen Kopf gut gebrauchen! Der Zeitpunkt des Zusammentreffens mit Goethe hätte günstiger kaum sein können. Der Dichter hatte soeben seine Verlobung mit Lili Schönemann gelöst und suchte nicht nur beruflich nach neuen Perspektiven. So kam er am 7. November 1775 nach Weimar – und blieb dort bis zu seinem Tod 1832.

Während sich Karl August freute, einen tüchtigen Juristen an Land gezogen zu haben, war seine Mutter Anna Amalia aus ganz anderen Gründen von dem »Neuzugang« begeistert. Dieser bemerkenswerten Frau, Augustas Urgroßmutter, wollen wir uns ein wenig genauer widmen. Anna Amalia, eine geborene Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel und Nichte Friedrichs des Großen, war 1756 mit 17 Jahren als frischgebackene Herzogin nach Weimar gekommen. Kurz zuvor hatte sie daheim im Braunschweiger Schloss den nur zwei Jahre älteren Ernst August II. Konstantin geheiratet, der gleichwohl schon als Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach große Verantwortung trug. Die Stadt Weimar, die heute nicht nur mit klangvollen Namen wie Goethe und Schiller in Verbindung gebracht wird, sondern auch mit Anna Amalia selbst, war damals noch ein dorfähnliches Städtchen mit gerade mal 6000 Einwohnern. Die Gassen waren eng und verwinkelt, die meisten Gebäude noch mit Stroh oder Holzschindeln gedeckt. Ansehnliche Bürgerhäuser suchte man vergeblich. Anna Amalias Eltern, Karl I. und Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel, machten sich große Sorgen, ob ihre Tochter in ihrer neuen Heimat Fuß fassen würde. Am 3. September 1757 brachte die junge Herzogin ihr erstes Kind zur Welt, Erbprinz Karl August. Nur wenige Monate später war sie erneut schwanger. Doch Konstantin, der zweite Sohn, der im September 1758 das Licht der Welt erblickte, lernte seinen Vater nicht mehr kennen. Der Herzog starb im Mai 1758 kurz vor seinem 21. Geburtstag. Wenngleich der junge Mann seit jeher eine äußerst schwache Gesundheit gehabt hatte, so kam sein Tod doch völlig überraschend. Die eigentliche Todesursache wurde nie geklärt, eine Obduktion ergab lediglich, dass mehrere Organe angegriffen waren. Jetzt, da Anna Amalia Witwe geworden war, wurden die Sorgen der Eltern noch größer, denn sie hatten kein großes Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Tochter, die immer so etwas wie das »hässliche Entlein« der Familie gewesen war. Tatsächlich stand Anna Amalia vor einer schier unlösbaren Aufgabe, doch vielleicht war es gerade das, was sie antrieb, sich in einen »stolzen Schwan« zu verwandeln. Von 1758 bis 1775 führte sie nicht nur die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn, sie legte auch den Grundstein für die kulturelle Entwicklung Weimars. Anna Amalias Initiative ist es zu verdanken, dass aus dem unscheinbaren Städtchen an der Ilm binnen kurzer Zeit ein Zentrum des Geisteslebens wurde, Brennpunkt der deutschen Literatur in ihrer Glanzzeit. Wirklich geplant war das freilich nicht. 1772 holte die Herzogin Christoph Martin Wieland nach Weimar, weil sie dringend einen kompetenten Erzieher für ihre pubertierenden Söhne brauchte. In dieser Hinsicht hatte sie Wielands Qualitäten zwar überschätzt, doch unter seinem Einfluss begann das brachliegende Weimarer Geistesleben allmählich aufzublühen.

Und schließlich ist es Anna Amalias Verdienst, dass die seit 1991 nach ihr benannte Bibliothek noch heute existiert. Die Herzogin drängte nämlich darauf, die wertvolle und umfangreiche Büchersammlung aus dem Weimarer Stadtschloss in das nahe gelegene sogenannte Grüne Schloss zu verlagern. Auf diese Weise rettete sie die kostbaren Bände und Handschriften vor den Flammen, als das Stadtschloss 1774 niederbrannte. Der dreigeschossige Bibliothekssaal hatte sein Vorbild vermutlich in der alten Bibliothek von Wolfenbüttel, ihrem Geburtsort und dem damaligen »Arbeitsplatz« des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing. In Weimar übernahm natürlich Goethe eine Zeit lang die Stellung des Hofbibliothekars.

Nachdem Karl August 1775 volljährig geworden war und die Regierungsgeschäfte selbst übernommen hatte, machte Anna Amalia aus ihrem Haus einen Salon. Sie lud Dichter und Wissenschaftler, Philosophen und Generäle zum geistigen Austausch ins Weimarer Wittumspalais, wo sie bis zu ihrem Tod 1807 lebte. Hier diskutierte man über »Gott und die Welt«, las sich gemeinsam vor und führte sogar kleine Theaterstücke auf. Goethe erinnerte sich später: »Anna Amalia gefiel sich im Umgang mit geistreichen Personen und freute sich, Verhältnisse dieser Art anzuknüpfen.« Wenngleich es in höfischen Kreisen noch immer üblich war, sich des Französischen zu bedienen, so ermunterte Anna Amalia ihre Gäste doch immer wieder, die deutsche Sprache zu benutzen, die auf diese Weise allmählich »hoffähig« wurde. Damit führte sie eine Tradition fort, die bereits ihre Mutter Charlotte, eine Schwester Friedrichs des Großen, in Braunschweig begründet hatte. Der Preußenkönig selbst hingegen verachtete die deutsche Sprache und behauptete, sie sei nur die Sprache der »Kutscher und Knechte«. Er selbst sprach in der Regel französisch und konnte sich im Deutschen – schriftlich wie mündlich – nur recht unbeholfen ausdrücken.

Es versteht sich von selbst, dass Goethe rasch zum Mittelpunkt des Weimarer »Musenhofs« wurde, nicht nur als brillanter Dichter und geistreicher Gesprächspartner. Er erwies sich auch als geschmeidiger Höfling, der bereitwillig sein Talent zur Verfügung stellte, wenn anlässlich von Geburten, Jubiläen und Hochzeitstagen ein passendes Gedicht benötigt wurde.

Bis 1788 fungierte Goethe zudem als Staatsminister. In dieser Funktion half er Karl August, das Rechtswesen zu reformieren, Land- und Forstwirtschaft zu erneuern und nicht zuletzt natürlich Kunst und Wissenschaft zu fördern. So regte er die Gründung des Weimarer Hoftheaters und den Ausbau der Landesuniversität Jena an.

Der Herzog und der Dichter waren ein gutes Gespann, nicht nur politisch, sondern auch privat. Sie verbrachten so manche durchzechte Nacht miteinander, sehr zum Leidwesen von Herzogin-Mutter Anna Amalia. Überhaupt war das Privatleben des vitalen Herzogs keineswegs makellos. Seine Gemahlin Luise (1757–1830) hatte ein schweres Ehelos gezogen. Sie war eine introvertierte und schwermütige Frau, die nicht nur ganz im Schatten der beliebten Anna Amalia stand, sondern auch die Gunst des Gatten mit anderen Damen teilen musste. Eine ihrer Rivalinnen war die Weimarer Schauspielerin Karoline Jagemann (1777–1844).

»Es ist von jeher mein Los gewesen, verkannt zu sein«, schrieb Luise einmal ziemlich verbittert, »denn ich habe nicht die Gabe, dasjenige, was ich im Innersten meines Herzens fühle, darzubringen.« Diese Charaktereigenschaften hat Augusta wohl von ihrer Großmutter geerbt, ebenso wie eine eher pessimistische Sicht der Dinge, die ihr später den Namen »Kassandra« einbrachte. Hinzu kamen die Neigung, alles schwerzunehmen, das ernste Wesen und das unsinnliche Temperament.

Doch mochte Karl August auch ein miserabler Ehemann sein, als Staatsmann hat er sich durchaus bewährt. Als die französische Schriftstellerin Madame de Staël (1766–1817) im Jahr 1803 Deutschland bereiste, schrieb sie: »Von den deutschen Fürstentümern macht keines die Vorzüge eines kleinen Landes, wenn sein Oberhaupt ein Mann von Geist ist, der, ohne dass dadurch der Gehorsam aufhörte, seinen Untertanen auch zu gefallen suchen kann, besser als in Weimar … Die militärischen Talente des Herzogs stehen in allgemeinem Ansehen, und seine pikante, durchdachte Unterhaltung erinnert immerfort daran, dass er von Friedrich dem Großen geschult worden ist. Sein Geist und der seiner Mutter haben die bedeutendsten Schriftsteller nach Weimar gezogen. Deutschland hatte hier zum ersten Mal eine literarische Hauptstadt.« Für Napoléon war das zu viel des Lobes. Auf seine Anordnung musste de Staëls Buch Über Deutschland später vernichtet werden.

»Sie kann schon mitsprechen in der Welt« – Augusta und Goethe

Auch als Goethe schon längst seine politischen Ämter niedergelegt hatte, um sein Leben völlig der Kunst und Wissenschaft zu widmen, unterhält er weiterhin beste Kontakte ins (groß)herzogliche Schloss. Für Augusta wurde der Dichter so etwas wie ein großväterlicher Freund. Zu ihrem neunten Geburtstag am 30. September 1820 schrieb er der kleinen Prinzessin ein Gedicht, das mit den Zeilen begann: »Alle Pappeln in den Lüften, jeder Strauch in seinen Düften, alle sehn sich nach Dir um …«

Hin und wieder widmete Goethe Augusta und ihrer Schwester Marie seine kostbare Zeit auch persönlich. Dann erzählte er ihnen Märchen aus fernen Ländern, berichtete »allerlei Merkwürdiges aus dem Orient« und versuchte, den Prinzessinnen chinesische und arabische Schriftzeichen beizubringen. Am 7. September 1820 beobachteten die drei eine Sonnenfinsternis, und es war für Goethe ein besonderes Vergnügen, den staunenden Mädchen das seltene Naturereignis zu erklären. Ganz ohne Zweifel hat Augusta von der Anwesenheit des berühmten Dichters profitiert. Von der schöngeistigen Atmosphäre am Weimarer Hof wurde sie sicherlich geprägt, aber keinesfalls inspiriert. Erstaunlicherweise ist die deutsche Dichtung Augusta ein Leben lang fremd geblieben. Goethe wäre gewiss enttäuscht gewesen, hätte er noch erlebt, dass die Prinzessin später fast ausschließlich französische Bücher las. Auch ansonsten besaß Augusta kein überdurchschnittliches künstlerisches Verständnis. Zwar malte und musizierte sie auch noch in späterer Zeit, kam aber nicht über das Stadium einer Dilettantin hinaus. In keinem dieser Bereiche zeigte sich eine besondere Begabung.

Und doch war Augusta ein Mädchen von wacher Intelligenz. Schon Goethe freute sich über die Lebhaftigkeit der Prinzessin, er hielt die damals 12-Jährige für ein »ganz liebenswürdiges und originelles Geschöpf«, rühmte »ihren hellen Verstand, die hohe Bildung, das reiche Wissen«. Voll Überzeugung versicherte er: »Sie kann schon mitsprechen in der Welt.« Und genau das hat Augusta auch ihr Leben lang getan.

Außer Goethe haben sich aber noch andere Zeitgenossen anerkennend über die heranwachsende Augusta geäußert. So schrieb Wilhelm von Humboldt, der sich häufiger in Weimar aufhielt, damals an seine Frau: »Man kann sich nicht hübscher, lebendiger und geistvoller ausdrücken, als sie es tut.« Und in einem Brief an den Freiherrn vom Stein heißt es: »Ihr lebendiger und durchdringender Geist spricht aus ihrem Blick. Ihre Züge sind im höchsten Grad bedeutungsvoll.«

Die russischen Wurzeln

Und doch gab es einen dunklen Schatten in Augustas Leben, über den sie aber nie wirklich gesprochen hat: ihre russische Familie. 1824/25 reiste sie mit ihren Eltern und Schwester Marie zum ersten Mal nach St. Petersburg, die Heimat von Maria Pawlowna, wo jetzt ihr Onkel Alexander I. residierte. Vermutlich war das Schicksal der Zarenfamilie in Weimar nie ein Thema gewesen. Doch es ist anzunehmen, dass Augusta mehr über die dunklen Geheimnisse wusste, als ihre Eltern ahnten.

Der Aufstieg Russlands zu einer europäischen Großmacht war untrennbar mit der Zarendynastie der Romanows verbunden. Im 16. Jahrhundert gehörte die Familie noch dem russischen Dienstadel an, rückte aber ins Zentrum der Macht vor, als Iwan IV. – genannt Iwan der Schreckliche – 1547 Anastasija Romanowa heiratete. Nach einer Zeit politischer Wirren wurde 1613 überraschend Michael Fjodorowitsch aus der Familie der Romanows zum neuen Zaren gewählt. Seitdem herrschte die Dynastie uneingeschränkt über Russland und drückte ihm ein autokratisches Regierungssystem auf, das sich in den zwei darauffolgenden Jahrhunderten kaum veränderte. Die deutlichsten Spuren in der Geschichte hinterließen der »Modernisierer« Peter der Große, Gründer der neuen Hauptstadt St. Peterburg – die übrigens nicht nach dem durch und durch weltlichen Zaren, sondern nach dem heiligen Petrus benannt wurde –, sowie die deutschstämmige Katharina die Große, eine geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst und Augustas Urgroßmutter.

1762 hatte sie ihren Ehemann Peter III. vom Thron gestürzt und sich als Katharina II. selbst zur neuen Zarin gemacht. Die Russen respektierten sie trotz allem, denn sie beherrschte nicht nur die Landessprache, sondern war auch gleich nach ihrer Ankunft zum russisch-orthodoxen Glauben konvertiert. Und schließlich konnte sich ihre Erfolgsbilanz sehen lassen: Bei ihrem Tod 1796 war Russland sowohl wirtschaftlich als auch militärisch stärker als je zuvor, ein Land mit 37 Millionen Einwohnern. Doch dann häuften sich die Probleme, wie es Katharina vorhergesehen hatte.

Ihr Sohn und Nachfolger Paul I. (1756–1801) – pikanterweise nicht der Spross ihres Gemahls, sondern der eines Höflings – erwies sich als denkbar schlechter Herrscher: despotisch, sprunghaft und taktlos. Um mögliche revolutionäre Ideen von seinem Land fernzuhalten, errichtete er beinahe so etwas wie einen »Eisernen Vorhang« zwischen Russland und dem Westen und erließ zum Teil lächerliche Zensurvorschriften. Das Tragen der neuesten Mode, die nach der Französischen Revolution in ganz Europa Furore machte, untersagte er ebenso wie die Verwendung der Wörter »Bürger« oder »Gesellschaft«. Doch nicht nur die Untertanen litten unter der Zarenherrschaft, auch seine eigene Familie. Paul und seine Gemahlin Maria Fjodorowna, geborene Sophie Dorothea von Württemberg, hatten zehn Kinder, darunter die späteren Zaren Alexander und Nikolaus sowie die 1786 geborene Maria Pawlowna, Augustas Mutter. Am Zarenhof herrschten damals klaustrophobische Zustände, denn Paul I. lebte in ständiger Angst vor einer Palastrevolution. Immer neue Putschgerüchte führten dazu, dass er schließlich sogar unter Verfolgungswahn litt. Um sich vor möglichen Attentätern zu schützen, ließ er den Michalowski-Palast (Michaelschloss, heute Teil des Russischen Museums) in St. Petersburg zu einer Festung umbauen und mit Wassergräben, Zugbrücken und Geschütztürmen versehen. Trotzdem wurde Paul zunehmend misstrauischer, auch gegenüber der eigenen Familie. Zum Schluss vertraute er noch nicht einmal mehr seiner Ehefrau. Doch mochte sich der Zar auch noch so verbarrikadieren, seinem Schicksal konnte er nicht entgehen. Gerade durch sein merkwürdiges Verhalten schuf er sich immer wieder neue Feinde. Kaum hatte er im Februar 1801 den befestigten Palast bezogen, als eine Verschwörergruppe konkrete Pläne für ein Attentat diskutierte. Angehörige der Hocharistokratie, aber auch ehemalige Günstlinge des Zaren und unzufriedene Gardeoffiziere waren der Ansicht, dass es so in Zukunft nicht mehr weitergehen könne. Am Abend des 24. März 1801 erzwangen sie sich Einlass in den Gebäudekomplex, drangen bis in den Schlafraum des Zaren vor, überwältigten zwei Kammerherrn und griffen sich ihr Opfer, das hinter einem Wandschirm Zuflucht gesucht hatte. Wie es heißt, soll einer der Attentäter dem Zaren so lange einen Briefbeschwerer gegen den Hals gedrückt haben, bis dieser seinen letzten Atemzug tat. Offiziell wurde der Mord nie bestätigt. Es hieß lapidar, Paul I. sei einem Schlaganfall erlegen.

Jetzt bestieg der junge Alexander I. (1777–1825) den Zarenthron, Augustas Onkel. Zusammen mit der Familie verließ er den unheimlichen Michalowski-Palast und bezog wieder das Winterpalais in St. Petersburg, seit 1760 Wohnsitz der Zaren. Ganz anders als sein Vater war Alexander ein Mensch, der sich äußerst charmant und liebenswürdig gab und viele Menschen bezaubern konnte – so auch Preußens Königin Luise. Und doch verbarg sich dahinter eine zwar schillernde Persönlichkeit, die aber einen politischen Schlingerkurs verfolgte. Vorübergehend spielte Alexander I. mit dem Gedanken an eine liberale Erneuerung Russlands – 1818 sollte das Land sogar eine Verfassung erhalten –, doch dann schwenkte er plötzlich um und verfolgte einen genau entgegengesetzten Kurs: Künftig war weder von einer Verfassung noch von der versprochenen Bauernbefreiung die Rede, im Gegenteil. Die Zensur arbeitete strenger als je zuvor, die Universitäten hatten schlimme Verfolgungen zu erdulden, denn gerade hier sollte jedes freiheitliche Gedankengut radikal ausgemerzt werden. Unterdessen kapselte sich Alexander I. zunehmend in einer mystisch-religiösen Scheinwelt ab. Er stand ganz unter dem Einfluss der russischen Adligen Juliane von Krüdener (1764–1824), einer religiösen Exzentrikerin und fanatischen Anhängerin der pietistischen Erweckungsbewegung. Die 13-jährige Augusta lernte ihren Onkel beim Besuch in St. Petersburg daher als weltabgewandten Frömmler kennen.

Familientreffen in St. Petersburg

Augusta fühlte sich in der bedrückenden Atmosphäre am Zarenhof äußerst unwohl. Noch empfand sie gewiss nur ein diffuses Gefühl des Missfallens, aus dem später aber eine generelle Abneigung gegen alles Russische wurde. Selbst die imperiale Pracht von St. Petersburg, die sogar Paris in den Schatten stellte, ließ die Weimarer Prinzessin vollkommen kalt.

Der eigentliche Zweck der Russlandreise 1824 war mehr als nur ein Familientreffen, denn der Besuch des Weimarer Großherzogspaars diente hauptsächlich dazu, Heiratspläne zu schmieden. Die eigentliche Initiative ging von Augustas russischer Großmutter aus. Maria Fjodorowna hatte sich nach dem Tod ihres Gemahl nämlich nicht ins Privatleben zurückgezogen, sondern versuchte nach wie vor, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Dem Zaren war daran gelegen, die dynastischen Bande mit Preußen weiter zu verstärken. Als junger Mann hatte Alexander I. heftig mit Preußens schöner Königin Luise geflirtet und auch mit ihrem eher spröden Gemahl Friedrich Wilhelm III. Freundschaft geschlossen. Als 1803 eine Tochter geboren wurde, fungierte Alexander als Taufpate. Nach ihm wurde das kleine Mädchen Alexandrine genannt. Schon damals hatte man darüber gesprochen, das gute Einvernehmen zwischen Berlin und St. Petersburg, auch und vor allem in politischer Hinsicht, durch Heiratsbeziehungen dauerhaft zu festigen.

Preußen war durch seinen Einsatz in den Befreiungskriegen wieder in den Kreis der europäischen Großmächte aufgestiegen, stand allerdings in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu Russland. Aufgrund seiner militärischen Stärke war Russland nach 1815 die mächtigste Macht Europas. Sein internationales Gewicht gewann durch die treue Gefolgschaft Preußens noch weiter an Bedeutung.

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