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© Piper Verlag GmbH, München 2021
Unter Mitarbeit von Heike Wolter
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Covermotiv: Amanda Dahms und Illustrationen von Hendrik Streeck
Mit 76 Schwarz-Weiß-Abbildungen vom Autor
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe) 

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Kein Platz für Fremde – Eine Einleitung

»Mich hat’s voll erwischt!«, knarrte es mir vom Sofa entgegen, als ich ins Wohnzimmer unserer WG trat. Ich identifizierte die Stimme rasch: Tilmann, angehender Jurist. Er saß auf dem Sofa, eingemummelt in eine Wolldecke. Aha, ein schwerer Fall von Männergrippe.

Ich ahnte, was nun kommen würde. Ich war damals Medizinstudent im vierten Semester, und wenn ich meinen Tag nicht gerade damit verbrachte, aus dicken Schinken Lateinisches zu pauken, wurde ich gerne von meinen Mitbewohnern als Ersatzarzt benutzt. Schon beim Betreten der Wohnung war mir klar gewesen: Hausbesuch. Verrotzte Taschentücher lagen verstreut auf dem Boden. Auf freundliche Nachfrage erklärte der Patient: »Mir brummt der Schädel.« Er stöhnte auf: »Und aus meiner Nase laufen Sturzbäche. Mein Hals kratzt, als wenn da Hämorrhoiden drin wären.« Wehleidig starrte er vor sich hin. »Ich sterbe.«

»Nein, tust du nicht«, entgegnete ich bestimmt. »So ein Schwachsinn. Du hast einfach einen kleinen Infekt.« »Mann, ich hab’ in drei Tagen meine Prüfung, ich kann jetzt nicht krank sein. Kannst du mir nicht etwas geben, damit ich schnell wieder gesund werde?«, drängelte er. »Tut mir leid, da kann ich nicht viel machen. Da wird sich dein Immunsystem schon selber durchboxen.«

»Immunsystem, wenn man es braucht, ist es nicht da.« Missmutig zog er die Schultern hoch. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, fragte er vorsichtig interessiert: »Und wie soll das funktionieren?« Ich seufzte. Eigentlich musste ich noch mein Augenpraktikum nachbereiten, aber das konnte auch noch ein bisschen warten.

Ich begann also: »Weißt du, Tillmann, das Immunsystem ist eines der kompliziertesten und faszinierendsten Bestandteile des Körpers. Das Verblüffende ist: Dieses Organ hat keinen festen Wohnsitz im Körper, wie zum Beispiel der Darm oder das Gehirn. Nein, es ist überall zu Hause. Was es macht, sagt schon sein Name: Es hilft uns, ›frei von‹ etwas – auf Latein immunis – zu bleiben. Tagein, tagaus verteidigt es unseren Körper gegen Eindringlinge. Oder, etwas weniger spektakulär gesagt: Es setzt sich für uns mit der Umwelt auseinander. Meist ohne dass wir es bemerken. Überwiegend unauffällig und leise perfektioniert das Immunsystem unser persönliches Hospitality Management. Willkommenskultur ist dabei meist nicht angesagt. Nach dem Motto: Better safe than sorry. Rasch und zielgenau unterscheidet das Immunsystem Eigenes und Fremdes. Bekanntes und Unbekanntes. Willkommenes und Gefährliches.

Wenn eine richtige Krise angesagt ist, bekommen wir das mit. So wie du gerade. Jetzt werden alle verfügbaren Ressourcen abgezogen, um den Erreger in mehreren Verteidigungslinien zu bekämpfen. In diesem Moment ist fassbar und spürbar, dass unser Immunsystem arbeitet. Sonst tut es eher im Stillen seinen Dienst. Mithilfe von Abermillionen kleinen Unterstützern sorgt es für unser Überleben. Das Immunsystem ist ein über Jahrmillionen stetig perfektioniertes System. Gleichzeitig ist es anfällig und verletzlich – und verdient somit unsere ganze Beachtung und Unterstützung.«

Mittlerweile waren auch die anderen WG-Mitglieder nach Hause gekommen, hatten gekocht und lümmelten nun alle im Wohnzimmer herum.

Am Tisch saß zu meiner Linken Susanne, die Kunst und Geschichte auf Lehramt studierte, sich bei Amnesty International engagierte und nur ab und zu in der WG auftauchte. Sie hatte seit einiger Zeit einen FWB, Friend with benefits. Pikanterweise handelte es sich um einen bekannten Fußballspieler. Susanne verbrachte die meiste Zeit in seinem Loft. Ähnlich abwesend war Markus, der höchstens zum Essen rauskam und jetzt rechts am Tisch Nudeln in sich hineinschaufelte. Er war unser Langzeitsoziologiestudent, was daran lag, dass er sich mehr in seiner virtuellen Welt aufhielt als anderswo. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er in seinem leicht müffelnden, verdunkelten Zimmer. Sandra, die pummelige BWL-lerin, saß auf dem Boden und sortierte ihre Uni-Mitschriften. Dabei seufzte sie hin und wieder, um dann kopfschüttelnd weitere Blätter aus ihrer großen Kramtasche zu holen. Den Kreis beschloss Lisa, die uns regelmäßig daran erinnerte, mal zu chillen. Sie studierte, wie Tilmann, Jura, war allerdings der Meinung, dass sich die Anstrengungen dieses Studiums nur mit Kiffen aushalten ließen. Da ich gerade so gut im Fluss war, schloss ich, es noch ein bisschen spannender zu machen. Als ich von einer täglichen Alieninvasion sprach, war mir die Aufmerksamkeit aller sicher.

Ich habe mir dieses Szenario natürlich nur ausgedacht, um anhand dessen unsere typischen Berührungspunkte mit dem Immunsystem zu verdeutlichen. Ein paar der Gespräche habe ich aber tatsächlich geführt, darum kommt man als angehender Arzt in einer Studenten-WG wohl nicht herum.

 

Wo einheimische Bakterien regieren – Auf der Haut

Den auf dem Körper landenden Alienankömmling erwartet in einem tropischen Klima ein Gemisch aus toten Zellhaufen, zerklüfteten Spalten, unbekannten Seen, Wäldern – wunderbare Rückzugsmöglichkeiten und artgerechte Lebensräume für unzählige verschiedene heimische Bewohner. Hier ist oft kein Platz für einen anderen Erreger, der Einlass begehrt. Die Alteingesessenen sind zu Tausenden – der neue Erreger meist allein. Denn die erste Verteidigungslinie gegen fremde Eindringlinge sind noch nicht mal wir selber. Es sind Bakterien, denen unser Immunsystem erlaubt hat, in unserer Nähe zu wohnen. Das tut es nicht aus Zuneigung, sondern nur, wenn es sich einen klaren Nutzen davon verspricht.

Jene Einheimischen sind Bakterien, die in Frieden mit uns zusammenleben. Manche dieser Bakterien helfen uns sogar. Mit anderen Arten hingegen verbindet uns eine Hassliebe. Auf die sollten wir besonders achtgeben, denn sie tun uns grundsätzlich gut, können uns aber bei einem schlechten Immunstatus auch schaden. Was passiert, wenn das sorgsam austarierte Gleichgewicht (Equilibrium) gestört ist, wird im Kapitel klar.

Doch erst einmal zurück zum ungeheuren Nutzen der Bakterien auf der Haut. Sie engagieren sich nicht nur in der Verteidigung gegen äußere Angriffe, sondern produzieren sogar Stoffe, die unsere Haut schützen. Das können Enzyme sein, die Fremde direkt angreifen oder ein Milieu schaffen, in dem sich die Neuankömmlinge nicht wohlfühlen. Diese Bakterien haben sich ihr Revier sorgsam ausgesucht. Was auf der Nase lebt, ist nicht unbedingt glücklich mit der Witterung unter der Achsel. Bestimmte Bakterien im Darm mögen nicht die direkte Sonneneinstrahlung, die die Glatze verbrennen kann. Aber wo sich diese Bakterien einmal häuslich eingerichtet haben, entwickeln sie großen Besitzerstolz. Nur äußerst ungern werden Fremde reingelassen – glücklicherweise. Denn unserem Körper und unserem Immunsystem tut es gut, wenn hier schon einmal eine erste strenge Auswahl stattfindet.

Häufig verhungern die Alienbakterien einfach. Sie kriegen nicht genügend Nährstoffe ab, denn die ortsansässigen Bakterien haben ihre Versorgung perfektioniert und denken gar nicht daran zu teilen. Manchmal bleibt es nicht dabei, Fremde rüde vom Esstisch zu stoßen, einige der einheimischen Bakterien fressen die Neuankömmlinge sogar auf. Genüsslich verzehren sie deren Bestandteile, um sich selbst fortzupflanzen.

Damit dieses System nicht zerstört wird, sollten wir etwas dazu beitragen, in Frieden mit »unseren Hautbakterien« zu leben. Wasser und Seife, aber natürlich auch Desinfektionsmittel sind dabei Freund und Feind zugleich. Eine allzu dreckige Haut erlaubt es neuen Bakterien, Fuß zu fassen, und kann so zu gefährlichen Infektionen führen. Zu viel Seife zerstört nicht nur die Umwelt der Bakterien, sondern tötet auch viele von ihnen direkt. Bakterien sind aber im Grunde so etwas wie soziale Tiere und leben in Kolonien. Sind sie nicht zusammen, werden sie unglücklich und wachsen schlechter.

Auch Make-up kann ein Grund dafür sein, dass sich einige Bakterien nicht mehr gut verbreiten. Es verändert das Milieu der Haut, weswegen die Bakterien ihrem einstigen Wohnort schweren Herzens Adieu sagen. Da gerade Stewardessen oft mehrere Stunden lang frisch und tadellos aussehen müssen, spricht man dabei manches Mal vom Eindrucksvoll wird bei dieser unangenehmen Hautkrankheit klar: Wenn die guten Bakterien weg sind, droht noch Schlimmeres. Fremde Bakterien und Pilze besiedeln die freien Flächen und führen zu Bläschen. Vermehrte Pflege setzt dann einen Teufelskreis in Gang, denn was die Haut eigentlich braucht, sind nur Wasser und Luft.

Schutz durch tote Zellen – In der Haut

Haben es doch einmal ein paar Neuankömmlinge an der obersten Verteidigungslinie vorbeigeschafft, stoßen sie auf die Haut. Genauer gesagt auf das , die Hornhaut – unsere zweite Verteidigungslinie. Die haben wir auf einem Großteil der Körperoberfläche. Nur ist sie an manchen Stellen ziemlich verdickt – beispielsweise an den Füßen, wenn die richtig beansprucht werden. Diese oberste Hautschicht besteht aus abgestorbenen Zellen, die schützend die lebenden bedecken. Ja, fast alles von außen Sichtbare an uns ist tot. Auch Haare, Wimpern oder Fingernägel, die ebenfalls physische Barrieren bilden.

Apropos Haare – gemeint ist weniger die Pracht auf dem Kopf als der Haarmantel, der uns mehr oder weniger dicht am ganzen Körper umgibt. Für ankommende Erreger wirken Haare wie riesige Bäume, die den gröbsten Schmutz wegfangen. Wimpern sind dichte, weitverzweigte Wälder und Fingernägel sowie Hornhaut gleichen undurchdringlichen Gesteinsplatten. Zusammen mit den Flüssen aus Schweiß, Speichel und anderen Sekreten, die viele Hautareale mit heilendem und abwehrendem Inhalt umspülen, und den beschützenden Bakterien ist das ein wirklich unwirtliches, extraterrestrisches Terrain.

Aber es ist auch ein filigranes Biotop. Wenn es zerstört wird, kann das schlimme Folgen haben. Zerstört wird es übrigens nicht nur durch kleine und große Katastrophen – offene Wunden beispielsweise –, sondern vor allem durch zu häufiges Waschen mit Seife und anderen Reinigungsmitteln. Und somit sind wir wieder beim Säubern. Dabei sollten wir uns nicht falsch verstehen: Waschen an sich ist eine sehr gute Idee. Es entfernt nicht nur unangenehme Gerüche, sondern auch unliebsame Erreger. So wird in gesundem Maß die oberste Schicht mit dem Dreck entfernt. Unsere Mitbewohner auf der Haut verstecken sich derweil im zerklüfteten Gebiet. Danach kriechen sie schnell aus ihren Löchern und besiedeln die nun saubere Haut einfach wieder. Schlecht ist es aber, wenn mit Seife, Bürste und Desinfektionsmittel auch noch der letzte Winkel klinisch rein geputzt wird. Dann rottet man im schlimmsten Fall ganze Bakterienpopulationen aus. Was passiert, lässt sich leicht ausdenken: Für einige Stunden wendet sich die nackte Haut ohne schützende Bakterienbataillone der Welt zu. Erste Verteidigungslinie ade. Keine Schicht aus toten Zellen, die eine Schutzmauer bilden, und keine Sekrete, die die Zellen mit gesundem Material umspülen. Zweite Verteidigungslinie ade. Die Haut kann austrocknen und sich leichter infizieren.

Hornhaut beim Küssen? – Die Wunderwaffe Speichel

An ein paar Stellen macht unser Körper einen Sicherheitskompromiss: Bestimmte Hautareale sind nicht von Hornhaut bedeckt, sondern von Schleimhäuten. Das ist im Mund, in der Nase, an den Augen, an den Genitalien und am Darmausgang der Fall. Hier strecken wir der Welt unsere lebendigen Zellen entgegen, weil wir damit entweder etwas wahrnehmen wollen oder eine Körperöffnung brauchen. Essen wäre ganz schön fade, wenn unsere Zunge so dick wäre wie unsere Fußsohle. Ein Kuss würde sich anfühlen, als wenn sich zwei große Zehen berühren. Erst die Rezeptoren für den Tast- und den Wärmesinn, dicht an der Oberfläche liegend, zünden ein Feuerwerk an Gefühlsempfindungen. Gewiss stellt allerdings nicht die Lust am Küssen einen evolutionären Vorteil dar. Dass wir so genau mit den Lippen und der Zunge tasten und schmecken, ist wahrscheinlich dadurch entstanden, dass wir Nahrung so besser in gut und schlecht, spitz oder rund, lebend oder tot einteilen können. Auch durch ein Auge mit einer dicken Hornhautschicht zu schauen, würde wie der Blick durch eine Milchglasscheibe sein.

Um aber auch in diesen Zonen Eindringlinge abwehren zu können, hat der Körper zusätzliche Schutzmechanismen entwickelt: Erstens stapeln sich hier viele Zellen übereinander. Nach dem Motto: Stark befahrene Straßen gehören gut befestigt. Wo viel Austausch stattfindet, gibt es viele Zellen, die gestapelt übereinanderliegen. Zweitens werden diese Stellen von einem zähflüssigen Sekret umspült. Zum einen damit die Zellen nicht innerhalb von Minuten austrocknen, zum anderen hält dieses Sekret eine Reihe an nützlichen Raffinessen bereit, aber auch angepasste Bakterien machen das Eindringen sehr viel schwerer.

 

Am besten lässt sich das am Speichel erklären. Jeder von uns produziert etwa 1,5 Liter pro Tag davon. Genau, eine große Colaflasche Speichel – eine merkwürdige Vorstellung. Speichel ist aber eine wahre Wunderflüssigkeit. Eine wichtige Rolle spielen seine Bestandteile bei der Zerkleinerung der Nahrung. Zusätzlich muss er die Mundhöhle befeuchten, denn nur so bleiben die nackten, ungeschützten Zellen am Leben und nur so können wir schlucken, schmecken und sprechen. Und Neuankömmlinge abwehren, die im Körper nichts zu suchen haben, soll er auch noch.

Als Multitalent ist der Speichel gefüllt mit verschiedenen Enzymen, die sich auf ihre Aufgabe spezialisiert haben. Wie zum Beispiel das Lysozym, das die Zellwände bestimmter Bakterien direkt angreift. Andere Enzyme hungern diese Aliens aus, wie Lactoferrin, das Eisen wegfängt, damit fremde Bakterien weniger gut wachsen und sich vermehren können. Denn auch sie brauchen, wie wir, Eisen zum Leben. Dann ist da noch das Histatin, das die Vermehrung von Bakterien und Pilzen hemmt. Hinzu kommt eine ganze Armada an Antikörpern, die sich auf die Eindringlinge stürzt und diese zum Gefressenwerden markiert oder gleich neutralisiert. Diese Antikörper sind zwillingsförmige Warndreiecke, die auf gefährlichen Strukturen angebracht werden, damit körpereigene Zellen sie leichter erkennen und wegräumen können. Weil diese Warndreiecke auch noch ordentlich groß sind, beeinträchtigen sie die Bewegungsfähigkeit der markierten Bakterien im zähflüssigen Schleim. Wie Tausende Kletten hängen sie am Erreger und halten ihn so lange fest, bis er von einer Verdauungszelle befreit und aufgegessen wird. Aber dazu später mehr.

 

Eine recht gute Abwehrtinktur – kein Wunder, dass eine Volksweisheit empfiehlt, Spucke auf Wunden oder Insektenstiche zu geben. In der Tat ist Speichel eine schnelle Erste-Hilfe-Wunddesinfektion. Mit einer Einschränkung: Er wirkt nur bei einem selber. Antibakteriell, antimykotisch – gegen Pilze gerichtet –, antiviral. Aufgrund der individuellen Beschaffenheit der Mundflora bei jedem Menschen, die sich zum Beispiel durch Essgewohnheiten einstellt, kann aber das, was für einen selber gut ist, beim anderen zu einer gefährlichen Blutvergiftung führen. Also aufgepasst: Spucke ja, Muttis Spucke nein!

So wie der Speichel sind auch andere Schleimhäute und Schleimsekrete immer bereit, unseren Körper zu verteidigen. Enzyme und Antikörper sowie eine ausgewogene Flora aus Bakterien helfen dabei. Zusätzlich haben sich an den verschiedenen Öffnungen des Körpers spezialisierte Eigenschaften entwickelt, um Erreger und anderen Schaden abzuwehren. Eine kleine Reise durch den Körper zeigt, wie sie wirken.

Die Nasenschleimhaut fängt zum Beispiel den groben Schmutz bereits mit den Borsten in der Nase ab. Richtig! Die lästigen Nasenhaare haben sogar eine Funktion. Kaum hat die Atemluft die Nase passiert, gelangt sie durch die Luftröhre in die Lunge. Hier befindet sich unter dem Sekret ein hauchdünner Pelz aus schlagenden Zellen, das Flimmerepithel. Das sind spezialisierte Zellen, die in einer Art Haar enden. Sie wedeln beständig in eine Richtung und transportieren den Schmutz, der in die Lunge gelangt ist, oder auch alte Zellen, Bakterien und alles, was nicht in die Lunge gehört, nach oben, sodass es entweder ausgehustet oder runtergeschluckt wird. Im Schleim befinden sich die üblichen Verdächtigen: Antikörper, die markieren, Lysozyme, die die Oberflächen von Bakterien zersetzen, Lactoferrin, das das Wachstum hemmt, und weitere Inhibitoren, die den Fremden das Weiterleben schwer machen.

Was nicht Richtung Lunge unterwegs ist, nimmt beim Eindringen in den Körper womöglich eine andere Autobahn zur Einreise: durch den Mund in die Speiseröhre, die ihrerseits in den Magen mündet. Dort erwarten fremde Erreger unangenehme Bedingungen. Die Magensäure macht mit den meisten Neuankömmlingen kurzen Prozess. Sie hat einen pH-Wert von nahezu eins. Ätzender geht es fast nicht. Alles, was dort reinfällt, wird zersetzt, außer es hat spezielle Schutzvorrichtungen oder kommt in so großer Zahl, dass doch mal einige wenige überleben und weiter unten im Darm aufblühen können. Die Schleimhaut im Magen ist weniger dazu da, dem Fremden den Garaus zu machen – das kann die Magensäure zumeist effektiver erledigen. Hier muss der Körper vor der selbst produzierten Säure geschützt werden.

Erreger und alles andere, was auch nach der Magenpassage noch da ist, begegnen im Darm der gleichnamigen Schleimhaut. Und – man ahnt es schon – hier geht es weiter wie gehabt: Ein Epithel mit kleinen Noppen – Villi – besetzt, um die Nährstoffe gut aufnehmen zu können, Schleim und seine Inhaltsstoffe sorgen nicht nur dafür, dass die Speisen zerkleinert und für den Körper in annehmbarer Form aufgenommen werden können, sondern sind auch für das Immunsystem zentral. Dabei haben die Abschnitte sowohl bei der Zerkleinerung und Nahrungsaufnahme unterschiedliche Aufgaben, als auch für das Immunsystem. Vor allem im Dünndarm patrouillieren und regulieren rege Immunzellen. Je weiter es nach unten geht, desto mehr nimmt die Darmflora, die aus Hunderten Bakterien besteht, zu. Diese helfen uns nicht nur in der Nahrungsaufnahme und Bereitstellung von zum Beispiel Vitamin K, sondern lassen schlicht den anderen Bakterien keinen Platz, um sich hier niederzulassen.

Eine besondere Schleimhaut ist die bei Frauen vorkommende Vaginalschleimhaut. Während die Grundfunktion der anderer Schleimhäute entspricht, gibt es eine Besonderheit: Die Zusammensetzung des Vaginalsekrets verändert sich regelmäßig – im Laufe des Menstruationszyklus – und bei besonderen Anlässen – in der Schwangerschaft. Auch das Alter spielt aufgrund der sich wandelnden Hormonlage eine wesentliche Rolle: vor allem für die Dicke der Vaginalschleimhaut und ihre Fähigkeit, ihre Funktion im Immunsystem zu erfüllen. Wie sensibel die Schleimhaut auf Einflüsse von außen reagiert, zeigt sich für Betroffene oft an der Folge von Antibiotikaeinnahmen: Das Medikament lässt Bakterien sterben – schlechte wie gute. Die guten sind vor allem die Lactobazillen, deren Fehlen Pilzinfektionen begünstigt.

Schleimhäute können also durch unser Verhalten in ihrer Funktion für ein gesundes Immunsystem unterstützt werden. Sie zu strapazieren, kann hingegen unangenehme Auswirkungen haben. Schafft es ein Bakterium doch einmal durch die obersten Verteidigungslinien der Haut und hat die physischen Barrieren der Hornhaut zum Beispiel durch eine Hautverletzung überwunden, erwartet es nicht nur ein lebenswerteres Terrain, sondern auch eine Armee des Körpers, die einem Eindringling nicht einfach so das Feld überlässt: die Immunzellen. Sie gehen üblicherweise strategisch vor. Kein Stimmenwirrwarr, kein Chaos, sondern konzertierte Aktion. Aber erst mal muss Alarm geschlagen werden, damit die Armee des Körpers losmarschieren kann. Hierfür ist die unspezifische Reaktion zuständig und allen voran die Mustererkennung.

Von Fischschuppen und Tierpelzen – Mustererkennung

Jeder tut es, um Informationen zu organisieren. Manche können es besser als andere. Das ist ihr Vorteil. Die Rede ist von Mustererkennung oder – englisch – . Der Sinn dieser Fähigkeit liegt auf der Hand: Wenn Muster rasch und sicher erkannt werden, können schneller passende Reaktionen eingeleitet werden. Im menschlichen Körper gibt es zahlreiche Rezeptoren, die Muster erkennen, die nicht zum Körper gehören. Hierdurch kann der Körper rasch entscheiden: Ist das, was da gerade vorbeikommt, hier richtig? Oder haben wir diesen Kandidaten noch nie gesehen? Bildlich gesprochen: Was zu einem Rüssel oder einer Schuppe gehört, mag vom nächsten Elefanten oder Fisch stammen, ist aber ganz sicher nichts Eigenes. Die Entscheidung ist demnach einfach: weg damit!

Für diesen unschätzbaren Dienst braucht es Rezeptoren, die die Sortierung vornehmen. An die Entdeckung einiger dieser Strukturen kann sich eine Frau wahrscheinlich noch ganz genau erinnern – die Biologin und Biochemikerin Christiane Nüsslein-Volhard. Sie arbeitete viele Jahre mit der Fruchtfliege , einem Lieblingsobjekt der Genomforschung. Ihr Untersuchungsziel: herausfinden, wie die Entwicklung eines Embryos von den Genen gesteuert wird. Dann: eine spektakuläre unerwartete Entdeckung. Nüsslein-Volhard und ihr Kollege Eric Wieschaus entdeckten ein Gen mit einer bisher unbekannten Struktur. »Toll!«, rief sie aus und die beiden beschlossen, die Entdeckung humorvoll auch gleich so zu nennen. Es entstand schon bald die Bezeichnung Toll-like-Rezeptoren (kurz: ) für Rezeptoren, die in der Lage sind, Strukturen zu erkennen, die ausschließlich woanders, aber sicher nicht im Menschen vorkommen.

 

Im Laufe der Zeit erforschte man immer neue dieser Rezeptoren. Beim Menschen sind bisher 10 bekannt, insgesamt weiß man von 14 verschiedenen im Tierreich. Sie alle können bestimmte Fremdmerkmale ausmachen: -2 beispielsweise erkennt den Stoff Zymosan und bemerkt daher genau, wenn sich Pilze in den Körper einschleichen wollen; -5 erfasst Flagellin der Flagellen, das quasi die Schwimmflosse einiger Bakterien bildet; und -7 hat sich unter anderem auf einzelsträngige spezialisiert, die so nur bei Viren vorkommt. Daher ist dieser Rezeptor zusammen mit einigen anderen auch im Zellinneren lokalisiert, um eine mögliche Virusinfektion sofort nachzuweisen. Neben den Toll-like-Rezeptoren gibt es noch unzählige andere, die auf ihre spezielle Weise das angeborene Immunsystem triggern. Vergleichbar ist die Arbeit dieser Rezeptoren mit der eines Dermatologen, der auf den ersten Blick den Hautkrebs vom Furunkel zu unterscheiden weiß.

Da solche Rezeptoren, die allgemeine Regeln im Aufbau von Stoffen erkennen, in einfacheren und komplexeren Organismen existieren, nimmt man an, dass sie sich sehr früh in der Evolution entwickelt haben. Sie verschaffen der spezifischen Abwehr einen Zeitvorsprung und läuten derweil kräftig die Alarmglocken. Auf diesen Lärm hin wachen die Immunzellen des unspezifischen Systems auf, der Körper reagiert zunächst mit allgemeinen Maßnahmen. Das passiert durch eine Signalkette, die die aktivierten Toll-like-Rezeptoren anstoßen.

Völker, hört die Signale! – Abwehrkampf der Zellen

Ist das Bakterium im Körper angelangt und die ersten Alarmglocken schrillen, sind zumeist Fresszellen sofort zur Stelle. Die Makrophagen fallen über die Bakterien her und fressen sie auf. Nicht einmal vor Erregern, die ebenso groß sind wie sie selbst, haben sie Angst, und wenn sie sie nicht verdauen können, sind die Bakterien im Bauch der Fressenden oft zumindest erst mal unbeweglich. Die meisten Eindringlinge werden in den Fresszellen einfach in Stücke zerlegt. Wie das passiert, hat schon 1922 der britische Arzt Alexander Fleming entdeckt: Er fand ein Enzym im Nasensekret, das Bakterien tötet, indem es deren Hülle beschädigt. Dieses Enzym nannte er Lysozym. Lysozym ist das Hackebeil der Fresszellen. Multitaskingfähig wie die Fresszellen sind, senden sie während ihrer schweißtreibenden Vernichtungsarbeit zudem Botenstoffe aus und laden weitere Immunzellen ein, am Gelage teilzunehmen. Beispielsweise locken sie Monozyten an den Ort des Geschehens, die sich dort zu Makrophagen wandeln und so die Zahl und Schlagkraft der bereits vorhandenen erhöhen.

Doch neben den Makrophagen lockt auch das geschädigte Gewebe selber Immunzellen an. Stirbt eine Zelle, sendet sie vorher noch Signale aus. Unbemerkt von den Bakterien, ruft die Dahinsiechende in letzter Sekunde Hilfe herbei und hofft, dass der eigene Tod etwas Nützliches hat und gerächt werden könnte. Die Signale helfen, dass sich im Blut vorbeiströmende Fresszellen sowie bestimmte Blutzellen, Neutrophile, langsamer bewegen und an den Blutgefäßen kleben bleiben, weil sie bemerken, dass hier etwas nicht stimmt. Neugierig haften sie sich an die Wände des Blutgefäßes und drücken sich durch die Zellen ins Gewebe. Unterstützt wird dieser Prozess durch Wasser, das durch einen Botenstoff in das Gewebe einfließt und die Durchlässigkeit zwischen den Zellen erhöht.

So kommen alle dahin, wo sie am besten wirken können: Besonders engagiert sind dabei die Neutrophilen, die größte Gruppe der weißen Blutkörperchen. Sie sind die schnelle Eingreiftruppe mit einer Vielzahl an Funktionen. So können sie zum einen die Bakterien wie andere Fresszellen aufnehmen und zersetzen, bauen sich aber zum anderen auch palisadenartig im Kreis um die Bakterien auf und verhindern deren Durchdringen. Wenn sie im Todeskampf sterben, sind sie der Spiderman des Immunsystems und werfen ihre klebrige , gespickt mit antibakteriellen Substanzen, wie ein Fangnetz über den Delinquenten. Der kann sich nicht mehr bewegen und wird langsam von den Substanzen im Netz zersetzt.

Da die Tätigkeit von Makrophagen, Monozyten und Neutrophilen oft nicht ausreicht, um das Bakterium zu besiegen, wird das Alarmsignal weitergegeben. Makrophagen und Neutrophile bilden damit das Inflammasom, das weitere Entzündungssignale aktiviert.

Diesen Prozess kann man sich als Postsystem vorstellen. Eine Post nur für Zytokine, die Botenstoffe in diesem chemotaktischen Prozess. Die Gruppe der Zytokine besteht unter anderem aus Chemokinen, Interferonen und Interleukinen. Ihren Alarm kennen wir alle. Chemokine fordern andere Immunzellen auf, sich zum Ort des Geschehens zu begeben, und sie helfen durch Wassereinlagerung, die sich als Schwellung bemerkbar macht, die Durchlässigkeit der Gewebezellen zu erhöhen. Sie sind die Einladung für andere Immunzellen zur Party. Interferone hingegen sind Hormone, die eine antipathogene Antwort stimulieren. Sie feuern gleichsam die Zellen an, sich zur Wehr zu setzen. Interleukine komplettieren das Alarmtrio, indem sie die Kommunikation zwischen den Immunzellen verbessern und für die klassischen Entzündungsreaktionen Fieber und Rötung sorgen. Hierfür ist vor allem das Interleukin-6 verantwortlich und es reichen tatsächlich wenige Moleküle aus, um Fieber entstehen zu lassen. Mit der Hilfe weiterer Botenstoffe kommuniziert Interleukin-6 über komplexe Schaltwege an unseren Wärmeregulator im Gehirn, dass eine höhere Körpertemperatur angebracht ist. Warum Fieber – zu einem gewissen Grad – sinnvoll ist, wird im Kapitel ausgeführt.

Wie die Signalkette funktioniert, lässt sich hervorragend an den Interferonen erklären: Diese Proteine – unterteilt in die Gruppen Alpha, Beta und Gamma mit verschiedenen Produktionsorten – haben vor allem antivirale Wirkung, werden aber auch bei anderen Erregern aktiviert. Sie sind nicht spezifisch, sondern arbeiten gegen zahlreiche verschiedene Erreger indem sie eine ganze Kaskade an antiviralen Proteinen in verschiedenen Zellen anwerfen. Das angeworfene Alarmprogramm in den bisher nicht infizierten Zellen schützt diese, sodass sie nicht mehr infiziert werden können. Mehr als 30 Eiweißverbindungen in der Alarmkaskade hat man schon identifiziert. Und das Beste daran ist: Das Ganze geschieht schnell – schließlich wird die Interferonausschüttung und -wirkung nicht zentral gesteuert, sondern lokal verarbeitet.

Bis dieser Weg erforscht war, brauchte es mehrere Jahrzehnte, nachdem Alick Isaacs und Jean Lindenmann vom Londoner Nationalen Institut für Medizinische Forschung schon 1957 entdeckt hatten, wo Interferone eigentlich herkommen. Sie fanden heraus, dass von Viren befallene Zellen selbst Interferone ausschütten. Aber auch spezialisierte Zellen des Immunsystems bilden Interferone, um umliegende Zellen zu warnen und sie zu ermutigen, Proteine zu produzieren, die Viren an der Vermehrung hindern. Was dann passiert, nennt sich Interferon-Signalkaskade, auf die die Zelle reagiert: Sie blockt die Verteilung des Virus innerhalb der Zelle, indem sie zum Beispiel die Bildung dafür nötiger Enzyme stoppt, oder sie zerstört freie Viren- in der Zelle. Ein effektiver Mechanismus, denn entweder wird so die virale Reproduktion verlangsamt oder das Interferon treibt die infizierte Zelle in den raschen programmierten Zelltod – ein Kamikazeakt mit dem vornehmen Namen Apoptose.

Doch Interferone verdanken ihre Bekanntheit nicht allein diesem überzeugenden Mechanismus, sondern der Tatsache, dass im Laufe ihrer Erforschung weitere Fähigkeiten zutage traten. Sie haben nämlich auch therapeutischen Nutzen. Da Interferone die Zellteilung hemmen können, lässt sich so auch die Vermehrung erkrankter Zellen behindern. Früher wurde diese Eigenschaft im Zusammenhang mit chronischer Hepatitis, Genitalwarzen und sogar experimentell bei der Behandlung von Ebolapatienten genutzt, heute ist sie vor allem für die Krebsforschung von großem Interesse, wenn auch die Nebenwirkungen einer Interferontherapie nicht zu unterschätzen sind.