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Handbuch Canyoning
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© 2021 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen
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eISBN 9783840337758
E-Mail: verlag@m-m-sports.com
www.dersportverlag.de
Vorbemerkungen – Canyoning ist anders als andere Sportarten
1Die Entwicklung des Canyonings
1.1Die geschichtliche Entwicklung
1.2Die rechtliche Lage
2Ausrüstung
3Die Vorbereitung einer Canyontour
3.1Die Schwierigkeitsbewertung von Canyons
3.2Das Topo eines Canyons
3.3Das Einzugsgebiet des Canyons
3.4Wetter- und Wasserverhältnisse
3.5Wasserfassungen
3.6Die Gesteinsart des Canyons
3.7Sicherungen
3.8Die Gruppengröße
4Bewegung im Canyon
4.1Gehen und Abklettern
4.2Springen
4.3Rutschen
4.4Schwimmen
4.5Abseilen
4.6Naturschutz bei der Begehung von Canyons
5Kommunikation im Canyon
5.1Visuelle Zeichen
5.2Pfeifsignale
5.3Technische Hilfsmittel
6Seiltechnik
6.1Knoten
6.2Zentralkarabinertechnik
6.3Selbstblockierung
6.4Lösbare und fixe Systeme, geschlossener Kreis
6.5Komplettprozedur
6.6Der Umlenker
6.7Das Seilgeländer
6.8Zusätzliche Seiltechniken
7Besondere Formen des Canyonings
7.1Canyoning mit Kindern
7.2Eiscanyoning
7.3Nachtcanyoning
8Gefahren beim Canyoning
8.1Objektive Gefahren
8.2Subjektive Gefahren Gefahren aufgrund psychologischer Mechanismen
8.3Die besondere Rolle der Gruppe
8.4Ein Modell zur Entstehung von Unfällen
8.5Incidents und Accidents
8.6Deskriptiver Zugang
9Sicherheit beim Canyoning
10Der Weg zum Canyoning – Canyoning lernen
10.1Lernen von Techniken
10.2Wie lernt man Canyoning in der Gesamtheit?
Anhang
1Das Ausbildungssystem der Deutschen Canyoning Schule
2Links
3Literatur
4Schwierigkeitsbewertungen
5Schriftenreihe der Deutschen Canyoning Schule
6Making of
7Bildnachweis
Liebe Outdoorfans, liebe Sportler, liebe Canyoningnovizen: Toll, dass ihr euch für die überaus faszinierende und aufregende Sportart Canyoning interessiert. Tolle Naturerlebnisse, herausfordernde Situationen und ein einmaliges Gruppengefühl liegen vor euch. Wer einmal mit dem Canyoning angefangen hat, den lässt dieser Sport so schnell nicht mehr los. Wir wünschen euch viel Spaß bei euren Touren!
Gleichzeitig soll dieses erste Kapitel euch in aller Klarheit deutlich machen, dass es sich beim Canyoning um eine Risikosportart handelt. Bitte nehmt euch die Zeit, die Hinweise aus diesem Kapitel zu lesen. Nehmt sie ernst, handelt stets umsichtig, überschätzt euch nicht – dann stehen euch einmalige Erlebnisse bevor.
Canyoning unterscheidet sich von anderen Sportarten. Wenn man tanzen lernt und danach mit wenigen Kenntnissen tanzt, tanzt man eben relativ schlecht. Wenn man beginnt, Badminton zu spielen, wird man am Anfang wenige Bälle treffen und noch weniger Bälle zielsicher platzieren können. Solange es einem Spaß macht und solange man keinen höheren Anspruch an die Sportart hat, ist das auch überhaupt kein Problem und der normale Einstieg in fast jeden Sport. Man kann mit einem relativ niedrigen Kompetenzniveau beginnen und darauf vertrauen, dass man durch das Praktizieren Erfahrung gewinnt und sein Leistungsniveau steigert.
Bein Canyoning funktioniert dies jedoch nicht. Man kann es – außer in geführten Touren – nicht auf einem „niedrigen Niveau“ betreiben. Dies kann schnell zu erheblichen Problemen führen. Ein Blick in die Medien oder eine entsprechende Internetrecherche liefert zahlreiche Beispiele hierfür. Auch in „einfachen“ Schluchten können Fehler sehr schnell eminente Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Annähern an den Canyoningsport durch autodidaktisches Praktizieren und die Hoffnung darauf, dass sich dabei ein Kompetenzgewinn einstellt, ist fahrlässig und gefährlich.
Das bedeutet, dass du dich entscheiden musst, ob du Canyoning „richtig“, das heißt, mit relativ viel Aufwand an Ausbildung, Equipment und der entsprechenden Investition an Energie, Zeit und auch Geld betreiben willst. Wenn du nicht dazu bereit bist, solltest du Canyoning nur im Rahmen professionell geführter Touren betreiben. Auch das macht eine Menge Spaß und stellt für fast alle Canyonauten den Einstieg in die Sportart dar. Ein bisschen eigenverantwortliches Canyoning, nur so „zum Spaß“, geht nicht! Denn: Canyoning ist prinzipiell lebensgefährlich. Beim Canyoning gilt der Ausspruch von Adorno in einem besonderen Maße: „Das Halbverstandene und Halberfahrene ist nicht die Vorstufe von (Aus-)Bildung, sondern ihr Todfeind“.
Daher ist ein Extrakapitel dem Thema „Gefahren beim Canyoning“ gewidmet. Dieses Kapitel hat nicht die Absicht, dir den Canyoningsport zu vergällen, sondern dir das aufzuzeigen, was dich in der Realität erwarten kann. Ein Großteil der in diesem Buch beschriebenen Techniken und Verhaltensweisen dient dazu, die beschriebenen Gefahren zu vermeiden oder ihnen effizient zu begegnen.
Canyoning ist eine Risikosportart, die man nur zusammen mit ausgebildeten und erfahrenen Personen ausüben sollte. Ein Lehrbuch kann niemals eine Ausbildung ersetzen. Ein unvollständiges oder fehlerhaftes Verständnis der Inhalte kann zu fatalen Konsequenzen führen. Ein Lehrbuch dient zum NACH-Lesen und zur Unterstützung einer Ausbildung, kann diese aber niemals ersetzen. Wenn ihr euch für entsprechende Kurse interessiert, beachtet bitte, dass eine Ausbildung ausschließlich von Canyonführern mit anerkanntem Fachkundenachweis (also mit amtlicher Bestätigung der Kompetenz) durchgeführt wird. Und wer würde schon zu einem Fahrlehrer gehen, der selbst keinen Führerschein besitzt?
Und vor allem müssen die Techniken immer wieder geübt werden, bis einem die einzelnen Knoten, Abseiltechniken etc. und insbesondere die Vorbereitung einer Tour in Fleisch und Blut übergegangen sind. Übt dies unbedingt vor der ersten Tour und zwar außerhalb von Schluchten! Idealerweise geht ihr dazu in einen Klettergarten. Wer vom Klettersport kommt, wird bald merken, dass sich die Techniken signifikant unterscheiden. Am ehesten entsprechen sie noch den Techniken in der Speläologie. Die in diesem Buch beschriebenen Techniken stellen den derzeitigen Stand der Technik dar.
Techniken, die uns gefährlich erscheinen, sind in diesem Buch in Schwarz-Weiß mit rotem Rahmen und mit Warnsymbol abgebildet und sollten dringend vermieden werden!
Ergänzend zu den Kapiteln dieses Buchs können über einen QR-Code zusätzliche Informationen abgerufen werden. Der Verweis auf den jeweiligen QR-Code erfolgt an der entsprechenden Stelle im Text.
Techniken und Ausrüstung verändern sich. Techniken, die zu einem Zeitpunkt als Standard erachtet wurden, können nach einiger Zeit durch andere, bessere ersetzt werden.
Und nicht zuletzt: Die Schluchten selbst verändern sich permanent. Ein Gumpen, in den ich im letzten Jahr noch problemlos springen konnte, kann mit dem Schmelzwasser des Frühlings komplett zugekiest sein – oder es steckt auf einmal eine Eisenstange im Wasser, die jemand achtlos von oben in die Schlucht geworfen hat. Aber auch durch Flutwellen, Felsstürze etc. verändern sich die Schluchten von einem Tag auf den anderen. Daher sind alle Informationen, die eine Schlucht beschreiben (in sogenannten Topos) immer relativ zu betrachten.
Dieses Handbuch wurde von sachkundigen Personen erstellt und von mehreren fachkundigen Personen gegengelesen, es kann jedoch – wie jedes Manual – prinzipiell auch noch Fehler beinhalten. Für solche Fehler haften die Autoren nicht.
In diesem Kapitel wollen wir die geschichtliche Entwicklung des Canyoningsports kurz beschreiben. Die Entwicklung der Verfügbarkeit von Informationen über Canyons wird nachgezeichnet und die rechtliche Situation wird dargestellt.
Schluchten und Höhlen haben schon immer Menschen angezogen, zunächst als Rückzugsort und Wohnbehausung. Man findet Höhlenmalereien, die mehrere tausend Jahre alt sind. Eremiten suchten schon sehr früh die Abgeschiedenheit von Höhlen und Schluchten auf. In der Neuzeit war es wichtig, Schluchten zu begehen, um sie für die Holzdrift nutzbar zu machen. Im Zuge dessen wurden die ersten Steige angelegt, um – stromaufwärts wie stromabwärts – eine Schlucht begehbar zu machen.
Höhlenforscher begannen in der Mitte des 19. Jahrhunderts systematisch mit dem Begehen und Kartografieren von Höhlen. Erste Canyonexpeditionen fanden in den 1950er- und 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Südfrankreich statt. 1955 wurde der Mascun in der spanischen Sierra de Guara erstbegangen.
Im Jahr 1986 beschloss man im französischen Speläologenverband, eine eigene Gruppe zu gründen, die sich speziell mit Canyoning beschäftigen sollte. Aus dieser ging 1988 die „Commission Canyon“ hervor. Im Jahr 1995 wurde die CEC (Commission Européene de Canyon), später in CIC (Commission Internationale de Canyon) umbenannt, als eine Organisation zur Ausbildung und zur Interessensvertretung kommerzieller Canyonführer gegründet.
Die CIC versteht sich sowohl als eine Ausbildungs- als auch als eine berufsständische Organisation. Ein Großteil der technischen Entwicklungen in unserer Sportart ist sicher den Franzosen zu verdanken. Dort wurde schon sehr früh viel Wert auf die Entwicklung entsprechender Techniken gelegt.
Die AIC (Assoziazione Italiana Canyoning) wurde 1998 gegründet. Durch einen tragischen Unfall im Frauenbach im Jahr 1999 motiviert, gründete die AIC im Jahr 2000 die Scuola Nazionale Canyoning „Federico Tietz“ (benannt nach dem Kollegen, der bei dem besagten Unfall ums Leben gekommen war), die anfangs stark durch französische Ausbilder unterstützt und beeinflusst wurde. Die AIC veranstaltet auch seit 2002 ein jährliches internationales Canyoningtreffen. Seit einigen Jahren findet auch das „Rassemblement International Canyoning“ (RIC) in verschiedenen Ländern statt.
In der Zwischenzeit gibt es auch Canyoningvereine in (aus europäischer Sicht) eher entlegenen Ländern wie z. B. Nepal und Brasilien. Dort entwickelt sich das Canyoning erst langsam.
In Deutschland und Österreich begann man in den 1980er-Jahren, Schluchten zu begehen. Die Pioniere waren meist Höhlenforscher, Kajakfahrer und Kletterer, da diese bereits einen Teil der Ausrüstung besaßen und auch über Kenntnisse verfügten, die im Canyon anwendbar waren. Auch wenn sich ein Teil dieser Techniken später als nicht optimal oder sogar als gefährlich erwiesen hat (z. B. das Abseilen mit einer Prusiksicherung, wie es beim Klettern üblich war), waren diese aus anderen Bereichen übernommenen Techniken doch ein Grundstock, um Canyons zumindest „irgendwie“ begehen zu können.
In Österreich wurde die ACA, die Austrian Canyoning Association, 2011 gegründet. Sie ist eine Vereinigung für nicht kommerzielles Canyoning, wird aber von professionellen Canyonführern geleitet. Eine Mitgliedschaft ist jedoch für jedermann möglich, unabhängig von Nationalität und Ausbildungsstand.
Im Jahre 1995 wurde der Deutsche Canyoning Verein (DCV) gegründet. Er ist ein Verein, der im Gegensatz zu ACA, AIC, CIC sowie der Deutschen Canyoning Schule nicht von Canyoningführern geleitet wird.
Ein wichtiges Buch wurde 1997 von Stefan Hofmann veröffentlicht, das sich mit dem Thema Technik, hauptsächlich aus der Sicht eines Canyoningführers, beschäftigt. Die Entwicklung des Canyonings ist leider auch mit tragischen Ereignissen verbunden. Der Begriff „Canyoning“ wurde einer breiteren Öffentlichkeit leider erst durch das Unglück im Saxetbach im Jahr 1999 bekannt, bei dem es die bis heute größte Anzahl an Todesopfern gab. Ab circa 2010 wurde in Österreich die kommerzielle Durchführung von Canyoningtouren – allerdings bundesländerspezifisch – mittels Gesetzen geregelt.
Die Deutsche Canyoning Schule (DCS) wurde 2012 gegründet. Sie verfolgt das Ziel, private Canyongeher für ein sicheres Begehen von Canyons zu qualifizieren und sie auf eventuelle Notsituationen vorzubereiten. Dazu werden Kurse auf verschiedenen Leveln und zu verschiedenen Spezialthemen angeboten. An der DCS werden auch Ausbildungen für Tourenleiter im nicht kommerziellen Bereich angeboten (siehe Kap. 10). Die Inhalte dieses Buchs stellen gleichzeitig den Lehrplan der Deutschen Canyoning Schule dar.
Das erste deutschsprachige Buch, in dem Ausrüstung, Technik und vor allem auch Touren in Deutschland, Österreich und weiteren Ländern beschrieben wurden, veröffentlichte Alfons Zaunhuber 1996. Das Buch ist besonders deshalb bemerkenswert, weil in ihm erstmalig Touren relativ detailliert beschrieben wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Wissen um geeignete Schluchten, Ein- und Ausstiege, besondere Schwierigkeiten sowie die Länge der Abseilstellen eher ein Geheimwissen, das sorgsam gehütet wurde. Insbesondere auch in Österreich, wo das Canyoning sehr schnell kommerzialisiert wurde, wurde die Geheimhaltung dabei auf die Spitze getrieben. Die Schluchten erhielten Tarnnamen (Jurassic Park, Silver Slide, …), in der Anfangsphase soll dies auch zu Problemen geführt haben, da Rettungskräfte bei Unfällen aufgrund der Tarnnamen keine Orientierung hatten. Heutzutage existiert eine Menge an Führern, die exakte und differenzierte Beschreibungen einer Unzahl an Canyoningtouren bieten. Zusätzlich gibt es eine ganze Reihe von Onlinedatenbanken.
Der Vorteil einer Onlinedatenbank besteht natürlich darin, dass die Informationen sehr aktuell sind und dass es auch aktuelle Gefahrenmeldungen gibt. Das ist besonders wichtig, da sich die Canyons ständig verändern, der Canyon „lebt“ gewissermaßen. Man kann sich nicht sicher sein, dass man den Canyon so vorfindet, wie man ihn das letzte Mal gesehen hat. Die umfangreichste und zudem frei zugängliche Datenbank ist die „CanyoningApp“ (www.canyoningapp.com).
Das rechtliche Umfeld für das Canyoning ist in Europa höchst unterschiedlich. In den meisten europäischen Ländern ist Canyoning erlaubt, in Frankreich wird es sogar intensiv gefördert. Eine eigene Gruppe der Gendarmerie kümmert sich z. B. in den Seealpen darum, dass die Canyons optimal begehbar sind. In Österreich und der Schweiz ist das Canyoning ganz analog zum Rafting ein fester Bestandteil des touristischen Angebots. In Italien wird das Canyoning ebenfalls stark gefördert, bei den internationalen Treffen der AIC engagieren sich sogar Gemeinden und ganze Tourismusregionen bei der Unterstützung des Treffens.
In Deutschland dagegen sieht man das oft kritischer, einige Landkreise des Alpenraums haben das Canyoning verboten. Das führt dann unter anderem auch zu seltsamen Situationen, da Canyons mitunter die Grenze zwischen Deutschland und Österreich darstellen und die rechtliche Lage dadurch völlig konfus wird. Die regional sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen führten auch dazu, dass die Qualität der Sicherungen sehr unterschiedlich sein kann. In Südfrankreich sind die Sicherungen in aller Regel sehr gut. In Italien werden Canyons regelmäßig von der AIC saniert.
In Kap. 2 geht es um die für das Canyoning notwendige persönliche Ausrüstung, die jeder Teilnehmer einer Canyoningtour haben muss. Da immer wieder neue Ausrüstungsgegenstände auf den Markt kommen, die in dieses Buch einfließen sollen, findet ihr das ausführliche Kapitel über die Ausrüstung online.
https://download.m-m-sports.com/extras/Handbuch_Canyoning/Ausruestung.pdf
Ausrüstung
Das Online-Kapitel „Individuelle Ausrüstung“ ist der persönlichen Ausrüstung gewidmet. Ein eigenes Kapitel („Seile“) behandelt das Thema Seile, da an diesen wortwörtlich unser Leben hängt. Im Kapitel „Technische Notfallausrüstung für die Gruppe“ geht es dann um die technische Notfallausrüstung, die in einer Gruppe vorhanden sein muss und mit der ihr in der Lage seid, unvorhergesehene Situationen sicher zu bewältigen. Die medizinische Notfallausrüstung für eine Gruppe, die man benötigt, um die Folgen eines Unfalls im Canyon im Griff zu haben, beschreiben wir ebenfalls in einem separaten Online-Kapitel.
Wir empfehlen euch sehr, auch die Onlinekapitel dieses Buchs ausführlich zu lesen! Ihr findet dort viele spannende Tipps rund um eure persönliche Ausrüstung sowie alles zur Materialkunde.
Hier im Buch beschränken wir uns darauf, die Ausrüstung in Form von Checklisten aufzulisten.
•Canyoningschuhe
•Neoprenanzug
•Neoprensocken
•Helm
•Optional: Schlaz
•Optional: Handschuhe
•Canyoninggurt
•Selbstsicherung
•Optional: Multitool
•Abseilgerät
•Pfeife
•Messer
•Schere
•5 Schraubkarabiner Alu
•1 Stahlschraubkarabiner
•Shunt
•Tibloc
•Expressschlinge
•2 Rollen
•Kurzprusik
•Langprusik
•Rucksack
•Wasserdichte Tonne
•Statische Canyoningseile
•Ein Notseil (doppelt so lang wie die längste Abseilstelle)
•Ein kurzes, dynamisches Seil (zum Hochklettern)
•Seilstücke (zur Verwendung als Fixseil)
•Handy (mindestens eines, besser mehrere), am besten mit Powerbank
•Optional: Funkgeräte
•Gegebenenfalls GPS-Gerät
•Taucherbrille
•Lawinensonde
•Wurfanker
•Betastick/Reacher oder Ähnliches
•Großer Abseilachter
•Treibanker
•Optional: Setzzeug/Bohrmaschine mit Dübelmaterial
•Lichtquelle
•Rauchkörper
•Signalraketen
•Ideal: Escaper
•Je nach Schlucht (Aquatik): Wurfsack
•SAM-Splint
•Ready Heat
•Je TN eine Rettungsdecke
•Biwaksack
•Thermosflasche mit heißem Wasser
•Poncho
•Esbitkocher/Gaskocher
•Zeckenkarte
•Beatmungsmaske
•Klebeband
Die Ausrüstung entwickelt sich ständig weiter. In einem Buch kann immer nur der Stand zum Erscheinen des Buchs wiedergegeben werden. Daher werden auf der Homepage der Deutschen Canyoning Schule (www.deutsche-canyoning-schule.de) neue Produkte vorgestellt, die aus unserer Sicht tatsächlich hilfreiche Innovationen sind und die natürlich auch von uns getestet wurden.
Eine gute Vorbereitung ist essenziell für das Gelingen einer Canyontour. Die Vorbereitung stellt das „stumpfe Ende“ des Unfallgeschehens dar (siehe Kap. 8).
Hier gilt das Sprichwort: „If you fail to plan, you plan to fail.”
Einen Canyon ohne entsprechende Vorbereitung gehen zu wollen, wäre mehr als fahrlässig. Eine gute Planung ist die beste Voraussetzung für ein sicheres und fantastisches Schluchterlebnis – und die Planungsphase macht bereits viel Spaß, steigert sie doch erheblich die Vorfreude.
Bei der Vorbereitung einer Tour sind insbesondere folgende Aspekte zu bedenken:
•die Schwierigkeitsbewertung der Tour;
•das Topo der Tour;
•das Einzugsgebiet des Canyons;
•das Wetter und die Wasserverhältnisse;
•das eventuelle Vorhandensein von Wasserfassungen;
•die Gesteinsart des Canyons;
•die Sicherungen sowie
•die Gruppenzusammensetzung.
Nicht für alle Schluchten sind diese Informationen leicht zu beschaffen. Lange Zeit galten Informationen über Canyons – insbesondere über die Zustiege – als eine Art Geheiminformation, die man nur unter Gleichgesinnten weitergab. Das hat sich in den letzten Jahren erfreulich geändert.
Dank der verfügbaren Informationen könnt ihr nicht nur sehr viel leichter zwischen „lohnenden“ und „uninteressanten“ Schluchten unterscheiden (obwohl dies immer sehr subjektive Wertungen sind), die bekannten Zustiege verhindern auch, dass sich jede Canyoninggruppe aufs Geradewohl ihren eigenen Weg in die Schlucht bahnt und damit mehr als unbedingt notwendig die empfindliche Natur stört. Daher gilt: Wenn in einer Beschreibung von einer Begehung wegen naturschutzrechtlicher Bedenken abgeraten wird, so haltet euch bitte daran!
Es gibt in der Zwischenzeit jede Menge Canyonbeschreibungen in Buchform. Diese können natürlich nicht, oder nur sehr zeitverzögert im Rahmen von Neuauflagen, auf saisonale oder aktuelle Änderungen der Verhältnisse in den Schluchten reagieren. Die Informationen im Netz sind hier – zumindest potenziell – eher up to date.
Eine Garantie bietet aber auch die scheinbare Aktualität des Internets nicht: Bitte schaut immer genau, wann eine Tourinfo zuletzt aktualisiert wurde. Und nicht vergessen: Auch eine gestern ins Netz gestellt Information kann heute schon überholt sein! Gute Informationsquellen sind unter anderem canyoningapp.com oder canyon-carto.net.
Wichtig: Die reine Verfügbarkeit von Informationen genügt nicht. Man muss auch lernen, die Informationen richtig zu interpretieren!
Bei der Schwierigkeitsbewertung von Canyons gibt es kein allgemein anerkanntes System. Es setzt sich jedoch das französisch-italienische System immer mehr durch, daher haben wir uns entschieden, dieses hier näher auszuführen.
Bei der Anwendung eines jeden Systems zur Schwierigkeitsbewertung gilt stets:
Eine Bewertung bezieht sich immer auf einen höchstens normalen Wasserstand und optimale Bedingungen. Da jedoch der Wasserstand die entscheidende Variable aller Schwierigkeiten und Risiken ist, muss dieser immer mit beachtet werden.
Zeitangaben sind sehr relativ. Sie beziehen sich in der Regel auf eine Gruppe von vier Personen. Bei einer größeren Gruppe kann es schnell zu Wartezeiten an Fixpunkten kommen. Zudem unterscheiden sich Personen natürlich bezüglich ihrer Bewegungsgeschwindigkeit und bezüglich der Schnelligkeit in der Anwendung von Sicherungs- und sonstigen Techniken. Ruhepausen sind in den Angaben nicht inbegriffen.
Wichtig zu wissen: Der gleiche Schwierigkeitsgrad zweier Schluchten kann, im Detail betrachtet, auf völlig unterschiedlichen Anforderungen beruhen, z. B. kann eine identisch eingestufte aquatische Schwierigkeit in einem Fall auf dem Vorhandensein eines (lebensgefährlichen!) Siphons, im anderen Fall auf starker Strömung oder auf hohem Wasserdruck bei einer Abseilstelle beruhen.
Die Angaben beziehen sich auf die schwierigste zu erwartende Einzelstelle, sie beziehen sich nicht auf die Häufigkeit solcher Stellen. Es macht vor Ort jedoch einen großen Unterschied, ob ein Canyon lediglich eine schwierige Schlüsselstelle hat oder ob er aus einer Abfolge schwieriger Stellen besteht. Lest euch also bitte immer die gesamte Beschreibung durch und nicht nur die Schwierigkeitsbewertung, um zu wissen, was auf euch zukommt und welches Material ihr mitnehmen müsst.
Die französisch-italienische Bewertung besteht aus drei Angaben: Die erste Angabe (beginnend mit einem kleinen „v“) bezieht sich auf die Vertikalität („Steilheit“) des Canyons auf einer Skala von 1 (leicht) bis 7 (sehr schwer) in arabischen Ziffern. Die zweite Angabe (beginnend mit einem „a“) informiert über die Aquatik des Canyons, ebenfalls auf einer Skala von 1 (leicht) bis 7 (sehr schwer) in arabischen Ziffern.
Die dritte Angabe bewertet die „Ernsthaftigkeit“ eines Canyons. Die Bewertung der Ernsthaftigkeit ist ein Durchschnittswert aus drei Komponenten:
1.aus der Zeit bis zum Erreichen sicherer Stellen im Falle eines plötzlich auftretenden Hochwassers,
2.aus der Zeit zur Erreichung eines Notausstiegs und
3.aus der Gesamtdauer der Canyonbegehung. Die Ernsthaftigkeit wird auf einer Skala von I (leicht) bis VI (sehr schwer) bewertet. Diese Zahlen werden römisch geschrieben.
Oftmals erfolgt noch die Bewertung der „Schönheit“ eines Canyons. Diese Bewertung ist jedoch maximal subjektiv, gibt euch aber einen guten Hinweis auf besonders lohnenswerte Schluchten.
Die Bewertung eines Canyons hat folgende Struktur:
•Bewertung der Vertikalität,
•Bewertung der Aquatik sowie
•Bewertung der Ernsthaftigkeit.
Eine Beispielbewertung kann folgendermaßen aussehen:
v3, a4, III
Dies bedeutet:
•Der Canyon hat eine Schwierigkeit von 3 bezüglich der Vertikalität.
•Er hat eine Schwierigkeit von 4 bezüglich der Aquatik.
•Die Ernsthaftigkeit des Canyons wird mit III bewertet.
Eine genaue Definition der jeweiligen Schwierigkeitsstufen befindet sich im Anhang.
Das Bewertungsschema kann jedoch immer nur die Situationskomponente, die objektiven Bedingungen im Canyon, beschreiben. Zur Beantwortung der Frage, ob man einen Canyon begehen kann, ist es jedoch unerlässlich, diese Situationskomponenten auf dem Hintergrund der eigenen Kompetenz und natürlich auch der Kompetenz der anderen Gruppenmitglieder zu betrachten. Diese Einschätzung unterliegt jedoch häufig gewissen Verzerrungen (siehe Kap. 8).
Natürlich ist eine Schwierigkeitsbewertung nur so gut wie die Person, die diese Bewertung erstellt hat.
Es gibt keine staatliche oder sonstige Stelle, die die Schwierigkeitsbewertungen überprüfen oder diejenigen autorisieren, die die Schwierigkeitsbewertungen vornehmen. Man hat somit keinerlei Sicherheit, dass die Schwierigkeitsbewertung auch richtig ist.
Anmerkung:
Die Bewertung C1 bis C6, die man immer noch gelegentlich vorfindet, ist völlig veraltet und ohne jegliche praktische Relevanz, da sie versucht, eine Gesamtbewertung eines Canyons vorzunehmen und keine Differenzierungen ermöglicht.
Der Ausdruck „Topo“ stammt aus dem Klettersport und ist die Abkürzung für „Topografie“. Er bezeichnet die grafische Darstellung einer Kletterroute. Der Begriff wurde für das Canyoning übernommen und meint die grafische Darstellung der relevanten Beschreibungen eines Canyons. Dabei hat sich umgangssprachlich die Form „das Topo“ durchgesetzt.
Ein Topo ist neben der Schwierigkeitsbewertung die wichtigste Informationsquelle, die ihr für eine (wetterunabhängige) Einschätzung einer Schlucht habt. Anhand eines guten Topos könnt ihr tatsächlich eine Schlucht schon im Geiste begehen und die Materialauswahl treffen. Es bietet sich an, ein Topo entweder in laminierter Form oder als Bild auf dem Handy mit in die Schlucht zu nehmen, um sich unterwegs orientieren zu können.
Dabei hat ein Topo folgende Einschränkungen: Es ist eine abstrakte (und nie maßstabsgetreue) Darstellung des Canyons, man muss also „Übersetzungsarbeit“ leisten, um daraus die wichtigen Informationen ableiten zu können. Zudem „lebt“ ein Canyon. Durch Hochwasser können sich z. B. Rutsch- und Springstellen sehr stark verändern, Haken können beschädigt werden etc. Daher ist es wichtig, zu wissen, wie alt ein Topo ist. Je neuer dieses ist, desto brauchbarer ist es.
Ein Topo kann immer nur eine Hilfe sein – ihr dürft ihm nie zu 100 Prozent vertrauen. Das Topo gibt euch keine Garantie, sondern lediglich eine Idee, wie der Canyon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aussehen wird.
Was beinhaltet ein gutes Topo?
•Höhe der Abseilstellen
•Lage der Haken
•Abseilen trocken oder im Wasserstrahl?
•Gegebenenfalls Zwischenstände
•Seilgeländer
•Rutschstellen
•Sprungstellen
•Gefahrenstellen
•Scharfe Kanten
•Notausstiege
•Engstellen
•Wasserfassungen
•Wasserzuläufe
•Siphons
•Unterspülungen
•Rückläufe
•Gehpassagen
•Die Lage von Ein- und Ausstiegen
•Die Gesteinsart
•Besondere Charakteristiken
•Die Schwierigkeitsbewertung
•Das Erstellungsdatum
•Eine Legende
Es existiert keine „Norm“, welche Symbole und welche Buchstaben in einem Topo zu verwenden sind. Im Prinzip kann jeder Ersteller eines Topos dieses so gestalten, wie er es möchte. Daher ist eine Legende zwingend notwendig, um ein Topo interpretieren zu können. Auch wenn es keine offizielle Norm gibt, so werden doch einige Symbole und Buchstaben in den meisten Topos verwendet.
Die Buchstaben sind dabei Abkürzungen aus dem Französischen: In Frankreich wurde die entsprechende Pionierarbeit geleistet, die Buchstaben und Symbole haben sich eingebürgert.
Gebräuchliche Symbole in Topos
Gebräuchliche Buchstaben in Topos |
||
R |
(Rappel) |
Abseilen außerhalb des Wassers |
C |
(Cascade) |
Abseilen im Wasser |
S |
(Sault) |
Springen |
T |
(Tobbogan) |
Rutschen |
E |
(Escalade) |
Klettern, in der Regel abklettern |
M |
(Marche) |
Gehen |
RG |
(Rappel Guide) |
Führungsseil, Seilbahn |
Mc |
(Main currable) |
Seilgeländer |
Rg |
(Rive gauche) |
In Flussrichtung links |
Rd |
(Rive droite) |
In Flussrichtung rechts |
Affl. |
(Affluent) |
Zufluss |
Echap. |
(Échappatoire) |
Notausstieg |
Enc |
(Encaissement) |
Eingeschnitten |
D |
(Detour) |
Umgehung |
Der Buchstabe D wird nicht einheitlich verwendet, er kann auch bedeuten: |
||
D |
(Deescalade) |
Abklettern |
Interpretation eines Topos
Ein Topo wird nur „von links nach rechts“ aufgezeichnet und ist insofern keine „Wegbeschreibung“ wie ein Navigationssystem, vor allem wird nicht der Bachlauf nachgezeichnet! Um dies zu verdeutlichen, wollen wir nachfolgend ein Topo interpretieren und mit der Situation in der realen Schlucht abgleichen.
Dieses Topo soll nachfolgend erläutert werden. Zudem gibt es zu jeder der 12 Stellen Fotos der realen Verhältnisse im Canyon. Die entsprechenden Stellen sind zur leichteren Orientierung in der Kopfzeile mit Zahlen versehen. Diese Zahlen findet man normalerweise natürlich nicht in einem Topo.
Korrekte Interpretation:
Topo-Abschnitt 1
„Die Tour beginnt mit einer Abseilstelle, an der man im Trockenen vier Meter abseilt (R 4) und dann in einem Becken landet. Die Abseilstelle besteht aus zwei Haken und befindet sich auf der linken Seite in Flussrichtung (xx Rg).“
Die Einstiegstelle von oben
Die Einstiegstelle von unten
Topo-Abschnitt 2
„Danach folgen circa 100 Meter Gehstrecke.“
Topo-Abschnitt 3
„Nun folgt eine 12 Meter hohe Abseilstelle in einem Wasserfall (C 12). Es gibt dazu rechts (xx Rd) und links (xx Rg) jeweils eine Abseilstelle mit zwei Haken. Das Becken hat eine Länge von sieben Metern (die man voraussichtlich durchschwimmen muss).“
Die Abseilstelle von oben
Achtung: Die Angabe „sieben Meter“ heißt hier NICHT, dass das Becken sieben Meter tief ist (man also springen könnte!).
Topo-Abschnitt 4
Danach schwimmt man durch ein sieben Meter langes Becken.
Das Becken von unten
Topo-Abschnitt 5
„Von nun an ist der Canyon eng eingeschnitten. Es folgt eine circa 100 Meter lange Gehstrecke.“
Wie man sieht, kann eine „Gehstrecke“ durchaus hüfthoch im Wasser sein.
Topo-Abschnitt 6
„Auf der rechten Seite befindet sich dann ein fünf Meter langes Seilgeländer (MC 5 Rd).“
(Diese Stelle, die bei hohem Wasserstand gefährlich wird, wird mit dem Seilgeländer oben umgangen.)
Topo-Abschnitt 7
„Am Ende des Seilgeländers seilt man sich trocken zwei Meter (R 2) ab und kommt in einem Becken an.“
Topo-Abschnitt 8
„Weiter geht es mit circa 50 Metern Gehgelände.“
Topo-Abschnitt 9
„Anschließend findet man ein zwei Meter langes Seilgeländer (Mc 2) auf der rechten Seite (Rd).“
Topo-Abschnitt 10
„Am Ende des Seilgeländers folgt ein Sprung aus 1,5 Metern Höhe (S 1,5) in ein Becken.“
Die Person steht am Ende des Seilgeländers, d. h. am Absprungpunkt.
Topo-Abschnitt 11
„Danach schwimmt man durch ein circa 10 Meter langes Becken.“
Das Becken in Flussrichtung
Das Becken von unten, gegen die Flussrichtung
Topo-Abschnitt 12
„Nach diesem Becken gibt es links einen Notausstieg (Echap Rg).“
Verlasst euch niemals auf die Aktualität eines Topos – und nicht auf die aufregenden Bilder, die ein Topo in eurem Kopf erzeugt. Vor Ort kann sich die Situation völlig anders darstellen. Das macht den Reiz des Canyonings aus – aber, viele Unfälle im Canyon passieren, weil das Topo unkritisch als ein aktuelles Abbild der Realität gesehen wird, oder weil man sich darauf verlässt, dass die Schlucht noch genauso aussieht wie beim letzten Mal . . .
Auch wenn eine Schlucht vor allem aus massivem Fels besteht, so verändert sie sich doch. Zwei solche typischen Veränderungen sind nachfolgend abgebildet:
Durch quer liegende Bäume, in denen sich weiteres Holz sowie Gestein ansammelt, bilden sich Staudämme. Diese Staudämme können dann z. B. Abseilstellen unter sich begraben. Ebenso kann es sein, dass diese Staudämme durch Verwitterung oder durch ein Hochwasser platzen und somit Abseilstellen, die jahrelang gut erreichbar waren, plötzlich einige Meter höher liegen und dadurch unerreichbar werden.
Ein natürlicher „Staudamm“
Ein natürlicher „Staudamm“, von oben gesehen
Der gleiche „Staudamm”, von unten gesehen
Ein Beispiel für eine Veränderung des Canyons durch einen Felssturz:
Das nebenstehende Bild zeigt eine Abseilstelle.
Durch den Abbruch eines großen Felses bildet sich heute an dieser Stelle ein großes Becken.
Man erkennt gut die Höhe des Beckens. Der Wasserspiegel befindet sich in etwa auf der Höhe, auf der sich die Person an der Abseilstelle im obigen Bild befindet. Die Abseilstelle ist somit völlig verschwunden. Bemerkenswert ist, dass in einigen „aktuellen“ Topos auch circa 10 Jahre nach dem Felssturz noch die Abseilstelle verzeichnet ist.
Die Analyse des Einzugsgebietes ist absolut zentral für die sichere Durchführung einer Canyontour. Viele Unfälle entstehen durch das Nichtbeachten der Verhältnisse im Einzugsgebiet.
Das Einzugsgebiet ist die Fläche, aus der der Canyon sein Wasser erhält. Eine Schlucht stellt eine Art „Trichter“ dar, in dem sich das Wasser von verschiedenen Zuflüssen sammelt. Die Größe des Einzugsgebiets ist entscheidend dafür, wie lange das Wasser nach Regenfällen „nachläuft“: Je größer das Einzugsgebiet ist, desto länger läuft das Wasser nach (!) Regenfällen nach. Es kann also sein, dass eine Schlucht, die nach einem Regenguss völlig harmlos wirkt, wenige Stunden später – bei strahlendem Sonnenschein – auf einmal Hochwasser führt. Um dies einschätzen zu können, ist maßgeblich die Oberfläche des Einzugsgebiets zu beachten.
Besteht diese hauptsächlich aus Fels, so läuft das Wasser bei Regenfällen schnell in die Schlucht und auch schnell wieder ab. Besteht das Einzugsgebiet dagegen aus Erde, so puffert diese den Wasserzufluss ab.
Sehr trockene und sehr durchnässte Erde kann nur wenig Regen aufnehmen und ihn daher nur in geringem Umfang abpuffern, das Einzugsgebiet wird also in den folgenden Stunden möglicherweise viel Wasser in die Schlucht geben. Ein feuchter, aber nicht durchnässter Boden hat hingegen eine hohe Speicherfähigkeit von Wasser.
Der Zusammenhang zwischen der Feuchtigkeit der Erde im Einzugsgebiet und ihrer Pufferungsfähigkeit (Retentionsfähigkeit) folgt einer umgekehrten U-Funktion. Es ist also nicht nur das aktuelle Wetter und die Wetterprognose in die Beurteilung einzubeziehen, ihr müsst ebenso die Wettervergangenheit im Einzugsgebiet für eure Tourplanung berücksichtigen!
Retentionsfähigkeit eines Einzugsgebiets
Das Einzugsgebiet ist entscheidend, um die Gefahr eines schnellen Wasseranstiegs oder gar einer Flutwelle abschätzen zu können. Je größer das Einzugsgebiet ist, je mehr Zuflüsse der Canyon hat, je nasser oder trockener die Erde im Einzugsgebiet ist und je felsiger und je steiler das Einzugsgebiet ist, desto größer ist die Gefahr eines schnellen Wasseranstiegs.
Dieser Wasseranstieg wird in der Regel durch Starkregen oder Gewitter im Einzugsgebiet ausgelöst. Das Einzugsgebiet kann dabei sehr weit weg vom eigentlichen Canyon sein. Ein Blick nach oben ist kein sicherer Indikator dafür, ob ein Starkregenereignis droht oder nicht. Man muss dafür die Wettersituation im Einzugsgebiet kennen. Diese ist in der Regel wichtiger als die Wettersituation direkt über dem Canyon.
Die nebenstehende Abbildung zeigt das Einzugsgebiet der Kobelache. Der Canyon selbst ist in Rot eingezeichnet. Die schwarze gestrichelte Linie markiert das Einzugsgebiet. Die Länge des Hauptzuflusses beträgt circa acht Kilometer. Das Einzugsgebiet ist vom Canyon aus nicht einsehbar. Der Canyon liegt auf circa 600 Höhenmetern, der höchste Punkt des Einzugsgebiets ist auf 1.570 Metern. Eine Gitternetzlinie entspricht zwei Kilometern.
Leider sind die Einzugsgebiete in den Canyonbeschreibungen in aller Regel nicht verzeichnet. Hier besteht noch ein Nachholbedarf. Daher müsst ihr euch selbst Gedanken über das Einzugsgebiet machen.
Bei der Suche nach dem Einzugsgebiet geht ihr folgendermaßen vor: