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Inhaltsverzeichnis
 
Titel
Impressum
Vorwort
Grußwort
Einleitung
 
Kulturelle Konflikte
Kulturelle Konflikte als Kultur thematisierende Konflikte
Kulturdimensionen und Konfliktfelder
Der kulturelle Kontext als Bezugspunkt der Konfliktkommunikation: Typen ...
Der kulturelle Kontext als Bezugspunkt der Konfliktmotive: Kultur als mögliche Konfliktursache
 
Kulturelle Konflikte im globalen Konfliktgeschehen seit 1945
Die Datenbank
Erster Befund: Hoher und steigender Anteil kultureller Konflikte
Zweiter Befund: Kulturelle Konflikte sind primär innerstaatlich
Dritter Befund: Religiöse und historizitäre Konflikte treten am häufigsten auf
Vierter Befund: Kulturelle Konflikte sind besonders gewaltintensiv
Fünfter Befund: Große regionale Unterschiede
Topographie kultureller Konflikte im Untersuchungszeitraum
 
Fallstudien
Der Aceh-Konflikt als Beispiel für einen historizitären Kulturkonflikt
Der Sprachenstreit in Belgien
Ethnoregionale und religiöse Konflikte in Nigeria
Der Streit um den Abdruck der Mohammed-Karikaturen 2005
 
Die Ursachen von Konflikten und die Bedeutung des kulturellen Kontexts
Kulturelle Fragmentierung als Kontext von Konflikten
Mehrvariablenanalyse: das relative Erklärungsgewicht kultureller Faktoren
Der Einfluss kultureller Variablen auf Konflikte (1950-2005)
Konkurrierende Einflussvariablen
Der Youth Bulge als Herausforderung für die »Kulturkampfthese«
Interdependenz und Nichtlinearität der Erklärungsfaktoren
 
Zusammenfassung
 
Literatur

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Grußwort

Kultur als Thema von Konflikten

Unsere Welt rückt immer weiter zusammen. Kulturen und Religionen begegnen sich in einer Intensität wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Deswegen beschäftigen sich mein Mann und ich bereits seit vielen Jahren mit dem Thema der geistigen Orientierung und mit den Voraussetzungen für eine friedvolle Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Letztlich geht es uns dabei um die Fragen: Was hält unsere Gesellschaft angesichts der Vielfalt kultureller und religiöser Prägungen zusammen? Welchen Beitrag kann Kultur für die Verständigung von Menschen innerhalb einer Gesellschaft oder auch zwischen verschiedenen Staaten leisten? Welchem Wandel unterliegen die Menschen in der globalisierten Welt mit dem sich immer schneller entwickelnden technischen Fortschritt? Und wie können Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen einander friedlich begegnen?
Durch verschiedene Projekte in den vergangenen Jahren hat die Bertelsmann Stiftung diese Themen aufgegriffen, beispielsweise bei den Internationalen Kulturdialogen und zuletzt beim Religionsmonitor. In unseren Gesprächen und Dialogen mit Persönlichkeiten aus aller Welt wurde deutlich, dass Kultur beides sein kann: Zivilisatorischer Reichtum, der wirklichen geistigen Fortschritt in der Weltgesellschaft erst möglich macht, aber auch ein verschärfender Faktor in Krisen und Konflikten.
Beim Salzburger Trilog 2007, einer Veranstaltung, auf der sich jährlich internationale Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Kultur am Rande der Salzburger Festspiele begegnen, um zu den drängenden Zukunftsfragen Europas und der Welt zu diskutieren, wurde von internationalen Experten beanstandet, dass oftmals die Ähnlichkeiten und gemeinsamen Anliegen zwischen den Religionen und Kulturen derart betont werden, dass dabei die Unterschiede zwischen ihnen eher oberflächlich und unbedeutend wirken. Leider erfahren wir in Zeiten von Konflikten eine andere Realität. Häufig werden dann vermeintliche Nebensächlichkeiten zu konfliktträchtigen Ereignissen. Was für Außenstehende vielleicht nur als geringfügige Abweichung erscheint, erlangt für direkt Betroffene eine besondere emotionale Bedeutung. Menschen, die seit vielen Jahren friedlich miteinander lebten, entwickeln Konflikte. Nicht selten werden so bisherige Freunde zu Feinden. Kriege oder gewaltsame Auseinandersetzungen, die dann aus solchen Konflikten entstehen können, bringen großes Leid über die Menschen. Hinzu kommt, dass seit der Globalisierung viele Menschen Angst vor der Verdrängung der eigenen Kultur und einer daraus resultierenden Entwurzelung haben.
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee zu dieser Studie, um die Rolle der Kulturen im globalen Konfliktgeschehen zu beleuchten. Mit dieser Studie möchten wir die Möglichkeit eröffnen, differenzierter auf die Ursachen von Frieden oder Konflikt in der Begegnung unterschiedlicher Kulturen zu schauen. Diese Publikation soll dazu ermutigen, noch intensiver nach wirksamen Ansätzen für einen friedvollen und nachhaltigen internationalen Kulturdialog zu suchen. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir nur mit Toleranz und Verständigung zwischen den Kulturen eine friedliche Zukunft auf dieser Welt haben können.
 
Liz Mohn
Stv. Vorstandsvorsitzende
Bertelsmann Stiftung

Vorwort
Diese Studie zu der Rolle von Kultur in global bedeutenden Konflikten ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg und der Bertelsmann Stiftung. Mehrere Entwicklungen begründeten unser gemeinsames Interesse, die oft stark emotionalisierte Debatte um Möglichkeit und Unmöglichkeit des Zusammenlebens der Kulturen auf der Basis einer umfassenden Datengrundlage zu versachlichen.
Nicht nur in den Leitmedien, sondern auch im Konfliktbarometer, mit dem die Universität Heidelberg das weltweite Konfliktgeschehen erfasst, haben sich Berichte über Konflikte mit kulturellen Bezügen gemehrt, von denen der sogenannte Karikaturenstreit im Jahr 2006 nur ein besonders prominentes Beispiel ist. Damit wuchs ebenfalls das Interesse an einer systematischen Erfassung dieser Konfliktlagen. Zudem wurde in der Stiftungsarbeit zum »Internationalen Kulturdialog« immer deutlicher, dass es weltweit einen wachsenden Bedarf an konkreten Strategien zum Umgang mit kulturellen Konfrontationslinien gibt. Um zu beurteilen, wo die Strategien des interkulturellen Dialogs am effektivsten ansetzen können, werden dringend Erkenntnisse darüber benötigt, wie kulturelle Unterschiede das Entstehen und den Verlauf von Konflikten beeinflussen.
Schließlich hatten beide Institutionen den Anspruch, über eine differenzierte Auseinandersetzung mit der berühmt gewordenen These des zwischenzeitlich verstorbenen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington vom »Kampf der Kulturen« einen wesentlichen Beitrag zum »Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008« zu leisten.
Vor diesem Hintergrund wurden die Leitfragen dieser Studie formuliert. Was ist das Kennzeichen kultureller Konflikte? Wie lassen sie sich systematisieren? Lässt sich im globalen Konfliktgeschehen tatsächlich eine Zunahme kultureller Konflikte beobachten? Inwieweit beeinflussen kulturelle Faktoren das Auftreten und den Verlauf von Konflikten? Was folgt aus den empirischen Befunden für die Akteure des Dialogs der Kulturen? Das wissenschaftliche Team um Prof. Dr. Aurel Croissant und Prof. Dr. Uwe Wagschal hat die Studie mit großer Sorgfalt ausgearbeitet. Insbesondere wurde mit der Definition und Operationalisierung kultureller Konflikte methodisches Neuland betreten. Die Fokussierung auf die identitätsbildenden kulturellen Dimensionen Religion, Sprache und Geschichtserfahrung erwies sich für die Fragestellungen als besonders gewinnbringend.
Unsere Ergebnisse weisen vor allem in eine Richtung: Obwohl kulturelle Konflikte signifikant zugenommen haben, sind weder der angebliche »Kampf der Kulturen« noch die Unterschiede zwischen den Religionen die hauptursächlichen Triebfedern internationaler Spannungen. Zumeist ist es das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die politische Konflikte begründen. Doch sobald Kultur in politischen Konflikten thematisiert wird, werden sie besonders anfällig, gewaltförmig ausgetragen zu werden. Deshalb sollte die wesentliche Botschaft dieser Studie lauten, kulturell imprägnierte Konflikte differenziert zu analysieren, um die Gefahr der Instrumentalisierung von Kultur in politischen Konflikten frühzeitig zu erkennen und einzudämmen. Die wichtigsten Strategien dafür sind der interkulturelle Dialog in Verbindung mit der Verbesserung gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen. Kulturelle Prägung mag Schicksal sein - um eine These des ehemaligen Premierministers von Singapur, Lee Kuan Yew, aufzugreifen -, kulturelle Konflikte sind es nicht.
 
Die Bertelsmann Stiftung dankt allen an der Entstehung dieser Studie Beteiligten, an erster Stelle den Autoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität Heidelberg für die konstruktive Zusammenarbeit, den Kolleginnen und Kollegen in der Bertelsmann Stiftung sowie allen Experten, die in der Konzeptionsphase oder zu den ersten Ergebnispräsentationen in Heidelberg und auf dem Internationalen Kulturforum in Vietnam kenntnisreich Stellung bezogen haben, namentlich Prof. Dr. Helmut Anheier, Dr. Matthias Basedau, Prof. Dr. Thorsten Bonacker, Prof. Dr. Sven Chojnacki, Prof. Dr. Ulrich Eith, Dr. Gero Erdmann, Prof. Dr. Johan Galtung, Prof. Dr. Hans Gebhard, Prof. Dr. Andreas Hasenclever, Josef Janning, Prof. Dr. Hans Keman, Dr. habil. Patrick Köllner, Prof. Dr. Gudrun Krämer, Prof. Dr. Jan-Erik Lane, Prof. Dr. Surendra Munshi, Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Senghaas und Dr. Peter Thiery.
 
Malte C. Boecker, LL.M.
Senior Expert, Bertelsmann Stiftung

Einleitung
Das Themenfeld Kultur und Konflikt ist in den letzten beiden Jahrzehnten in Öffentlichkeit und Wissenschaft gleichermaßen kontrovers diskutiert worden. Meinungsbildend, zumindest für eine gewisse Zeit, war im Westen vor allem die 1993 von Samuel Huntington ausgesprochene Warnung vor einem heraufziehenden Zusammenprall der Kulturen. Während andere Forscher (Fukuyama 1992) nach dem Zerfall der Sowjetunion das »Ende der Geschichte« prognostizierten, war Huntington davon überzeugt, dass zukünftig Kultur die Triebfeder neuer internationaler Spannungen sein würde. Besonders kritisch sah er vor diesem Hintergrund die Konfliktlinien zwischen der westlichen und der islamischen Welt.
Inzwischen, mehr als 15 Jahre später, sind Huntingtons Thesen in den Sozialwissenschaften vielfacher Prüfung unterzogen worden. Ein »Kampf der Kulturen« in der internationalen Politik wie auf nationalstaatlicher Ebene - so das fast einhellige Urteil der Forschung - lässt sich in der von Huntington ursprünglich beschriebenen Form nicht erkennen.
Dennoch fällt auf, dass sich sein Erklärungsmuster hartnäckig in den öffentlichen Medien hält und dass in den wenigen großen zwischenstaatlichen Konflikten nach 1990 mit den USA und Afghanistan sowie dem Irak solche Staaten involviert sind, die laut Huntington wichtige Vertreter ihrer Kulturkreise sind. Im sogenannten Karikaturenstreit von 2006 gingen mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße, um zum Teil gewaltsam gegen die wahrgenommene Beleidigung des Islam zu demonstrieren. Ähnliches, wenn auch abgemildert, ließ sich nach der Rede von Papst Benedikt XVI. an der Universität Regensburg im September 2006 beobachten.
Häufiger noch als auf der zwischenstaatlich-transnationalen Ebene lassen sich innerhalb von Staaten Beispiele für Konflikte finden, in denen gegensätzliche Werte und Identitätsmerkmale eine wichtige Rolle zu spielen scheinen. Solche »kulturellen«, mitunter unscharf als »ethnisch«, »ethno-religiös« oder »ethno-nationalistisch« umschriebenen Konflikte sind nicht neu. Betroffen sind keineswegs nur »islamische« Gesellschaften oder Länder mit muslimischen Bevölkerungsgruppen. Religion, Sprache und der Bezug auf unterschiedliche Interpretationen der eigenen »historischen Identität« sind in vielen Regionen und Ländern mit sehr unterschiedlicher kultureller Prägung Thema von Auseinandersetzungen, die häufig auch gewaltsam ausgetragen werden. Als bekannte Beispiele können hier angeführt werden: der religiöse Nordirland-Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken, der sprachliche Konflikt um das frankophone Québec in Kanada, der historizitäre, das heißt Konflikt- und Herkunftsgeschichte in den Mittelpunkt rückende Konflikt zwischen Hutus und Tutsis in Ruanda sowie der Sprache wie auch Religion thematisierende Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen in Sri Lanka.
Die sozialwissenschaftliche Literatur bietet entsprechend eine Fülle an Untersuchungen zu den Entstehungsbedingungen, Verlaufsformen und Konsequenzen. Die vorliegende Studie liefert vor diesem Hintergrund einen neuen empirischen Beitrag zur Analyse der Bedeutung von Kultur und fokussiert auf kulturelle Faktoren im weltweiten Konfliktgeschehen. Es handelt sich hierbei um die Zusammenfassung einer weit umfangreicheren Untersuchung, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von den Autoren im vergangenen Jahr am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg durchgeführt wurde (Croissant et al. 2009).
Sowohl diese Gesamtuntersuchung als auch eine Sonderstudie zu Asien (Croissant und Trinn 2009) und die vorliegende Kurzstudie rücken das Konzept der »kulturellen Konflikte« in den Mittelpunkt der Analyse. Als Ergebnis einer intensiven Diskussion unterschiedlicher Ansätze in der sozialwissenschaftlichen Forschung, die im Rahmen dieser Kurzstudie nur skizziert werden kann, wurden kulturelle Konflikte definiert als solche innerstaatlichen, zwischenstaatlichen oder transnationalen politischen Konflikte, in denen die beteiligten Akteure die Konfliktfelder Sprache, Religion und/oder geschichtliche Zusammenhänge (nachfolgend auch als »Historizität« bezeichnet) thematisieren.
Hervorzuheben ist dabei, dass kulturelle Konflikte über das Thema des Konflikts bestimmt werden und nicht wie sonst oft über die ihnen zugrunde liegenden »Ursachen« im Sinne von Wirkfaktoren. Kulturelle Konflikte werden also nicht notwendigerweise durch kulturelle Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Gruppen (etwa Sprache oder Religion) ausgelöst.
Kulturelle Konflikte sind politische Konflikte, in denen Kultur den Konfliktgegenstand darstellt. Bei der Bestimmung von Konflikten als »kulturell« stehen also nicht die Ursachen des Konflikts oder die Motive der Konfliktakteure im Vordergrund, sondern die Themen, auf welche die Akteure im Verlauf des Konflikts durch Aussagen oder Handlungen Bezug nehmen, und welches Verständnis sie damit verknüpfen. In kulturellen Konflikten stellen kulturelle Faktoren, wie zum Beispiel religiöse oder »ethnische« Unterschiede, somit nicht zwingend die Ursache dieser Konflikte dar.
Die Konzeptualisierung von kulturellen Konflikten und die Ausdifferenzierung von Kultur als sozialem Phänomen entlang der drei Dimensionen von Sprache, Religion und Historizität (zur Begriffsklärung siehe das zweite Kapitel dieser Studie) ermöglichen die Abgrenzung kultureller Konflikte von anderen Konfliktformen nichtkultureller Art. Zudem erlauben sie eine Binnendifferenzierung kultureller Konflikte in unterschiedliche Formen (»Typen«).
Diese Differenzierung erweist sich in der empirischen Analyse, wie die folgenden Ausführungen zeigen, als außerordentlich ergiebig für die empirisch-analytische Beschäftigung mit dem weltweiten Konfliktgeschehen.
Dieser Untersuchung lag ein dreifach bestimmtes Erkenntnisinteresse zugrunde:
Erstens sollte eine theoretisch fundierte Herleitung, Definition und Abgrenzung kultureller Konflikte von anderen Konfliktthementypen geleistet werden.