An einem milden, sonnigen Frühlingswochenende im Jahr 2016, erhielt das alte, fast verfallene Steinhaus, seinen ersten Bewohner, seit vielen Jahren.
Der junge Schriftsteller Hans-Peter Klimm, wollte sich zurückziehen, um sein Buch endlich fertig zu schreiben.
Er wollte aus der Großstadt heraus und fand durch Zufall weit ab von Berlin, in der Uckermark, dieses Kleinod, das ihm Ruhe und Abgeschiedenheit bot.
Genau nach solcher abgeschiedenen Oase der Ruhe hatte er schon lange gesucht.
Es war ein kleines Haus mit nur zwei Schlafzimmern im Obergeschoss, einer Lounge, einem winzigen Dachboden, einem Bad und einer alten Küche mit einer Frühstücksecke anstelle eines Esszimmers, so wie früher die alten Häuser der Landbevölkerung nun einmal waren.
Das Innere des Hauses war leer und staubig, ein Beweis für seinen langen Leerstand, sein Alter, die mangelnde Instandhaltung und der nicht vorhandenen Pflege.
Die gelbe Tapete in der Lounge schälte sich ab und die Farbe bräunte sich an den Rändern, wie bei einer gebrauchten Zigarette.
Die Schlafzimmer waren zwar frisch gestrichen worden, aber sie waren beige, unerträglich langweilig, und die Wasserleitungen waren alle verdächtig verrostet.
Die einzigen guten Dinge, die über das Haus gesagt werden konnten, waren das Äußere mit seinen bezaubernden Steinmauern, hängenden Pflanzen, Kletterpflanzen, blühenden Blumenbeeten und einer schönen hellblauen Eingangstür.
„Du wirst es hier keine vierzehn Tage durchhalten“, sagte Jürgen laut, mehr zu sich selbst.
Er wischte sich dabei mit seinem Ärmel den Schweiß von der Stirn, aber er schmierte ihn nur über seine Lederjacke.
Es war ein Wunder, dass er sie angezogen hatte, nachdem er den ganzen Tag lang nur Möbel bewegte.
„Ich denke nicht, dass in diesem Haus alles schlecht ist“, sagte Alfred und ließ sich auf einen Sessel fallen.
„Peter braucht es ja nur für - ah, wie hast du es genannt?“
„Inspirierende Intervention“, versorgte Jürgen ihn mit seinem Wissen und rieb sich die Schläfen dabei.
Er lehnte sich lässig gegen die Wand der Lounge und schloss die Augen, denn auch er war ganz schön fertig, von dem etwas überstürzten Umzug seines Freundes hierher in die Uckermark.
Peter kratzte sich dabei nervös an seinem Hinterkopf und sah ein wenig hoffnungslos aus.
Der Makler hatte ihm sehr schöne Bilder der umliegenden stillen Landschaft gezeigt.
Weite Felder, blühende Gärten und grüne Wälder, einfach verlockend, zum Abschalten und konzentrieren.
Auf diesen Bildern hatte das Haus urig ausgesehen, genau das, wonach Peter gefragt hatte.
Er hätte die billige Miete als rote Fahne der Warnung sehen sollen, aber es war nicht die erste vorschnelle Entscheidung gewesen, die er in letzter Zeit getroffen hatte.
Die Kündigung seines Jobs in der Stadt, war von allen am voreiligsten gewesen, jetzt stand er ohne festes Einkommen da.
„Er steht unter Schock“, sagte Alfred, als zu viel Zeit vergangen war und Peter sich nicht rührte.
„Auf jeden Fall steht er unter Schock“, stimmte Jürgen ihm frech grinsend zu.
„Verpiss dich“, sagte Peter mehr im Spaß, war aber doch ein wenig verärgert darüber, wie richtig sie doch lagen.
Tatsächlich klang die Idee, allein in der abgenutzten Hütte zu leben, von Sekunde zu Sekunde, immer schlechter und schlechter, was hatte er sich nur dabei gemacht, als er sich entschloss hierher zu ziehen.
Doch es war schon viel zu spät, um seine Entscheidung noch einmal zu überdenken.
Er hatte bereits einen achtzehnmonatigen Mietvertrag unterschrieben, und die meiste Hälfte seines Wochenendes damit verbracht, mit Hilfe von seinen beiden Freunden Alfred und Jürgen, all seine Habseligkeiten hierher zu verfrachten und etwas überstürzt einzuziehen.
Alle Möbel und Kisten waren jetzt in diesem Hause und warteten auf das Auspacken.
Der Laptop stand auf einem alten Mahagonischreibtisch im kleineren der beiden Schlafzimmer, das er als sein Arbeitszimmer umgewandelt hatte.
Dort war der einzige Telefonanschluss, den er auch als Internetanschluss nutzen konnte.
Bis auf die wenigen Kisten, die noch ausgepackt werden mussten, war er bereit, seinen Traum zu verwirklichen.
Er sah schon das Leben eines Einsiedlers vor sich ablaufen.
„Dann machen wir uns am besten auf den Weg und lassen ihn jetzt alleine in seinem Schloss zurück“, sagte Alfred und sah zu Jürgen hin, und dann wieder auf seine Uhr.
Es war halb sechs Uhr am Abend.
„Ich muss nach Hause, Queenie muss gefüttert werden.“
Queenie war Alfreds Hauskatze, die er irgendwo einmal aufgegriffen hatte.
„Machen wir uns auf den Weg“, murmelte Jürgen, und er richtete sich von der Wand auf und kramte in seiner Gesäßtasche nach den Schlüsseln für den fahrbaren Lastwagen, den sie für den Umzug gemietet hatten.
Er klimperte mit den Schlüsseln sichtbar deutlich vor Alfreds Augen.
Peter überlegte immer noch, was er mit sich anfangen sollte, wenn die beiden Freunde weg waren.
In wenigen Augenblicken würde er ganz und gar allein sein und keine Gesprächspartner mehr haben.
„Du hörst hier dem Rauschen der Bäume zu, Hans-Peterchen“, sagte Jürgen und sah erfreut aus, als er den schmutzigen Blick, den Peter ihm zuwarf, saht, weil er seinen vollen Namen verwendet hatte, etwas, von dem er wusste, dass Peter es verabscheute, wenn man es zu ihm sagte.
„Du rufst uns an, wenn der Geist des Hauses herauskommt, um dich zu erschrecken.“
„Wir kommen dann sofort mit dem Militär und der Luftwaffe, um dich zu retten“, lachte Alfred.
„Wir werden den Geist fangen und festnehmen, nicht wahr, Jürgen?“
Jürgen schob seine Brille über den Nasenrücken hoch und verdrehte die Augen, denn er hatte am Tag zuvor einige Einheimische in der Kneipe inmitten der Gemeinde getroffen und sich mit ihnen unterhalten.
Dabei hatte er erfahren, dass das von Peter gemietete Haus tatsächlich schon von Geistern heimgesucht wurde.
„Oh ja, es ist wirklich schrecklich, die armen Mädchen sind dort vor langer Zeit gestorben und geistern nun im Haus herum.“
„Glaube nicht, dass sie jemals weitermachen könnten, das ist schon lange her, dass jemand sie gesehen haben will“, hatte eine ältere Frau gesagt, die sich viel zu nahe heran beugte, um mit Jürgen zu sprechen.
Eine Handvoll anderer Frauen hatte sich neben ihm in der Kneipe versammelt und ihn mit großem Interesse beobachtet.
Es war keine Überraschung, denn Jürgen sah sehr gut aus, er hatte den „Bad Boy“ Look mit seiner Leder-Motorradjacke, dem Black Schlapper-T-Shirt und den schwarzen Doc Martens-Stiefeln an seinen Füßen.
Seine Arme waren mit lauter Tätowierungen bedeckt, hatten immer eine Packung Zigaretten in der Gesäßtasche und formten sein langes schwarzes Haar, das aus seinem hübschen Gesicht gekämmt war, zu einem Pferdeschwanz zusammen.
Weder Alfred noch Peter ärgerten sich darüber, dass er ihnen immer die Frauen ausspannte.
Sie kannten ihn schon so lange, dass sie es hinnahmen, wie er eben nun einmal war.
Er war für sie ein äußerst treuer Freund, auf den man sich zu hundert Prozent verlassen konnte, wenn man sich angesichts einer Krise, egal wie groß oder klein, sofort an ihn wandte und ihn um Hilfe bat, war er immer zur Stelle.
Er war ein gewiefter Witzbold, das war keine Lüge, aber es war immer ein harmloser Spaß, den er sich mit seinen Freunden erlaubte.
Jürgen hatte so viel mehr zu bieten, als er nach außen zeigte.
Nur seine besten Freunde wussten, egal wie cool er sich tief im Inneren verhielt, dass er genauso wie sie war, freundlich, sympathisch, lustig und zutiefst selbstbewusst - verdammt, sie waren alle nur Menschen und jeder hatte auch seine kleinen Fehler.
Die drei waren Freunde gewesen, seit sie die gleiche Schule besucht hatten.
Sie liebten dieselben Streiche und hielten immer, wie Pech und Schwefel zusammen.
Als sie studierten, hatten sich im selben Wohnheim zusammengetan und überall die absolute Zerstörung ausgelöst, dem Personal Streiche gespielt, sich nachts zum Gebäude der Mädchen geschlichen, nach dem Urlaub Alkohol aus den Spirituosenschränken ihrer Eltern ins Wohnheim eingeschmuggelt, was für eine blöde Sache hatten sie eigentlich nicht getan?
In all dieser Zeit waren die drei mehr Brüder als Freunde geworden.
„Wooooooo“, sagte Jürgen und wackelte mit den Fingern, als er seinen Eindruck über den Geist an seine Freunde weitergeben wollte.
„Ich denke, sie haben alles erfunden, um uns Angst zu machen“, sagte Alfred und sprach dabei über die Bewohner des Dorfes.
„Wir waren das ganze Wochenende hier und haben herumgeräumt und geputzt, ich habe keinen Geist gesehen, ihr etwa.“
„Oh doch, da sind einige Geister hier“, sagte Jürgen lachend, und deutete auf den voll bestückten Bar-Wagen in der Ecke der Lounge, der fast unter der Last der Spirituosen zusammenbrach.
Er schien vergessen zu haben, dass er gerade dabei war, sich und Alfred nach Hause zu fahren. (Alfred hatte immer noch keinen Führerschein, Gott sei Dank für ihn).
„Raus jetzt“, sagte Peter und sah seine beiden Freunde an, die ja zurückfahren wollten.
Er führte sie nach draußen und war doch etwas traurig darüber, dass sie ihn verließen, um in die Stadt zurückzukehren.
Alfred kicherte, warf Peter einen Handkuss zu und zwinkerte dabei schelmenhaft.
„Es wird nicht beim Abschied geweint“, sagte Alfred zu Peter und alle mussten lachen.
„Es ist wirklich pervers, was du da machst“, grummelte Peter.
Peter ging mit seinen Freunden die Auffahrt hinunter, bis zu dem gemieteten Lastwagen, der am Gehweg geparkt war.
Er nahm seine Umgebung in sich auf und war getröstet, wie schön doch die Landschaft rundherum doch war.
Sanfte Hügel, fröhliche Nachbarhäuser, zwitschernde Vögel und der frische, süße Duft von Geißblatt.
Auf dem Grundstück stand eine große Eiche, die ein wenig Schatten vor der Sonne spendete, die aber bereits schon untergegangen war.
Es war wirklich ein schöner Ort, mit dem man den Zustand im Inneren des Hauses entschuldigen konnte.
Jürgen drehte sich um, als Peter ihn freigab und seinen Arm dabei losließ.
„In Ordnung, Kumpel“, sagte Jürgen.
„Wenn etwas sein sollte, wir sind sofort da, also, keinen Angst vor dem fürchterlichen Geist.“
„Bist du sicher, dass ich dich nicht überzeugen kann, dem Landleben doch noch den Rücken zu kehren und mit uns in die Stadt zu kommen“, wollte Alfred wissen.
Peter schüttelte seinen Kopf.
„Nein, ich bleibe hier.“