Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des Titelbildes.

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Copyright © 2019 Levi, Eliphas

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BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN:9783749400546

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort:

Wir bringen dieses Buch des bekannten französischen Magiers Eliphas Levi unter dem Titel „Der Ausgleich zwischen Mikro- und Makrokosmos“ heraus, obwohl der ursprüngliche „Das große Geheimnis“ lautet. Unser Grund liegt darin, mit dem Titel gleich den eigentlichen Inhalt anzuschneiden: Das magische Gleichgewicht, das für uns Hermetiker von so großen Interesse ist und das Levi in seinem Buch so wunderbar beschrieben hat. In Franz Bardons Werken wird es immer wieder als Grundlage für die okkulte Schulung verlangt. Genau dasselbe gilt es für den französischen Martinisten, der noch dazu viele wesentliche und bedeutende Punkte anführt.

ERSTES BUCH
Das königliche Mysterium
oder die Kunst die Mächte zu unterwerfen.

1. Kapitel.
Der Magnetismus.

Die Kraft des Magnetismus ist analog der des Magneten; sie ist in der ganzen Natur verbreitet. Ihre Eigenschaften sind: Die Kraft des Anziehens, des Abstoßens und der sich ausgleichenden Polarisation. Die Wissenschaft legt die Erscheinungen des astralen und mineralischen Magnetismus dar. Der tierische Magnetismus tritt täglich in Erscheinung durch Tatsachen, welche die Wissenschaft mit Misstrauen beobachtet, die sie aber bereits nicht mehr leugnen kann, obwohl sie, um sie gelten zu lassen, mit Recht erwartet, dass man dabei durch eine unbestreitbare Synthese die Analyse zu beendigen vermag.

Bekanntlich erzeugt das Magnetisieren, hervorgerufen durch den tierischen Magnetismus, einen außergewöhnlichen Schlaf, während dessen die Seele des Magnetisierten in eine vollkommene Abhängigkeit vom Magnetiseur gerät, mit der Eigentümlichkeit, dass die schlafende Person ihr eigenes und ihr eigentümliches Leben zu verlassen scheint, um einzig die Phänomene des Universallebens zu offenbaren. Sie spiegelt die Gedanken der anderen, sieht anders als mit den Augen, ist überall gegenwärtig ohne ein Bewusstsein vom Raum zu haben, nimmt die Form besser als die Farben wahr, überspringt die Zeiträume oder vermischt sie, spricht von der Zukunft, als ob es die Vergangenheit sei, von der Vergangenheit, als sei es die Zukunft, erklärt dem Magnetiseur seine eigenen Gedanken, ja bis zu den geheimsten Vorwürfen des Gewissens. In sein Gedächtnis beschwört sie Geister von Menschen, an die er denkt und beschreibt sie aufs genaueste, ohne dass die oder der Somnambule sie jemals gesehen hat. Sie spricht die Sprache der Wissenschaft mit dem Gelehrten und diejenige der Phantasie mit dem Dichter, entdeckt die Krankheiten und verkündet deren Heilmittel, gibt sehr oft weise Ratschläge, leidet mit dem, der leidet und stößt zuweilen einen schmerzhaften Schrei aus, womit sie Leiden anzeigt, die noch kommen müssen.

Diese seltsamen aber unwiderleglichen Tatsachen bringen uns zu dem Schluss, dass es ein Leben geben muss, das allen Seelen gemein ist, oder wenigstens eine Art Spiegel für alle Gedanken und Erinnerungen, in welchem wir uns gegenseitig sehen können, wie es bei einer Menge geschieht, die an einem Spiegel vorübergeht. Dieser Spiegel ist das odische Licht des Freiherrn von Reichenbach, unser astrales Licht, die große treibende Kraft des Lebens, die von den Hebräern Od, Ob und Aour genannt wird. Der Magnetismus, der vom Willen des Ausführenden gelenkt wird, ist Od, der passive Somnambule ist Ob; die Wahrsagerinnen des Altertums waren Somnambule, trunken von dem passiv astralen Licht. Dieses Licht wird in unseren heiligen Büchern Geist der Python genannt, denn die Schlange Python ist in der griechischen Mythologie sein allegorisches Bild.

In seiner doppelten Tätigkeit wird es auch durch die Schlangen des Merkurstabes dargestellt; die Schlange zur Rechten ist Od, die zur Linken ist Ob, und in der Mitte auf dem Gipfel des Merkurstabes glänzt die Goldkugel, die Aour oder die Lichtgleiche darstellt.

Od zeigt das freigelenkte Leben an, Ob das Leben des Schicksals. Deshalb sagt der jüdische Gesetzgeber: „Weh denen, die wahrsagen durch Ob, denn sie rufen den Geist des Schicksals auf, das ist ein Vergehen gegen die Vorsehung Gottes und gegen die Freiheit des Menschen!“

Es ist ganz gewiss ein großer Unterschied zwischen der Schlange Python, die sich im Schlamme der Sündflut wälzte, die Sonne mit ihren Pfeilen durchbohrte, und jener, die sich um den Äskulapstab windet, ebenso wie zwischen der Versuchungsschlange aus Eden und der ehernen Schlange, welche die Kranken in der Wüste heilte. Diese beiden Schlangen, einander gegenüber gestellt, geben in der Tat ein Bild von den entgegengesetzten Kräften, Polen, Fluiden, die man vereinigen kann, die sich aber niemals vermischen dürfen. Dadurch, dass das Szepter des Hermes sie trennt, versöhnt es sie und vereinigt sie in gewisser Weise. Und so geht für das durchdringende Auge der Wissenschaft aus der Analogie die Harmonie der Gegensätze hervor.

Zwang und Freiheit sind die beiden großen Gesetze des Lebens; diese beiden Gesetze sind eins, denn das eine ist dem anderen unerlässlich.

Der Zwang ohne Freiheit wäre schicksalhaft, wie die Freiheit ohne das Band der Notwendigkeit Unsinn würde. Recht ohne Pflicht ist Torheit. Pflicht ohne Recht ist Sklaverei.

Das ganze Geheimnis des Magnetismus besteht darin, das Verhängnis des Ob zu lenken durch die Klugheit und Gewalt des Od, um daraus das vollkommene Gleichgewicht des Aour zu schöpfen.

Wenn ein nicht ausgeglichener und dem Verhängnis der ihn beherrschenden Leidenschaften unterworfener Magnetiseur seine Wirksamkeit auf das verhängnisvolle Licht ausüben will, so gleicht er einem Mann, der mit verbundenen Augen auf ein blindes Pferd steigt und es mit heftigen Sporenstößen inmitten eines Waldes voller Unebenheiten und Abgründe forttreibt.

Die Wahrsager, die Kartenleger, die Somnambulen sind alle Halluzinierte, die durch Ob wahrsagen. Das Glas Wasser der Wahrsagerei aus dem Wasser, die Karten Etteilas, die Linien der Hand etc. versetzen den Hellseher in eine Art von Hypnose. In den Reflexen seiner unsinnigen Wünsche oder habsüchtigen Einbildungen sieht er den Ratgeber, und da er selbst ein Geist ist, wenig gehoben und ohne Willensadel, wahrsagt er Torheiten und suggeriert noch größere, was für ihn übrigens eine Bedingung für den Erfolg ist. Wenn einer, der aus Karten wahrsagt, zu Ehrbarkeit und guten Sitten riete, so verlöre er alsbald seine Kundschaft unterhaltungslüsterner Frauen und hysterischer Jungfern.

Die beiden magnetischen Lichte könnten auch das Licht des Lebens und das Licht des Todes heißen, das eine das astrale Fluidum, das andere der spektrale Phosphor, das eine die Fackel des Wortes, das andere der Schemen des Traumes.

Um ohne Gefahr zu magnetisieren, muss einer das Licht des Lebens in sich tragen, das heißt, er muss ein Weiser und Gerechter sein.

Ein Sklave der Leidenschaften magnetisiert nicht, er fasziniert. Aber der Glanz seiner Faszination vergrößert um ihn den Kreis der Schwindelei, er vervielfacht seine Reize und schwächt mehr seinen Willen. Er gleicht einer Spinne, die sich erschöpft und schließlich in ihren eigenen Fäden gefangen hängt.

Bis zur Gegenwart haben die Menschen noch nicht das erhabene Reich der Vernunft kennen gelernt, sie verwechseln sie mit der kleinlichen, fast immer irrigen Klügelei jedes einzelnen. Indessen würde M. de la Palice ihnen selbst sagen, dass derjenige, der sich irrt, keine Vernunft hat, denn die Vernunft ist genau das Gegenteil unserer Irrtümer.

Die Individuen und die Massen, welche die Vernunft nicht leitet, sind Sklaven des Schicksals. So entsteht die öffentliche Meinung, und die öffentliche Meinung regiert die Welt.

Die Menschen wollen beherrscht, betäubt, fortgerissen werden. Die großen Leidenschaften erscheinen ihnen schöner als die Tugenden, und ihre großen Männer sind oft große Toren.

Der Zynismus des Diogenes gefällt ihnen wie der Charlatanismus des Empedokles. Sie würden nichts so sehr bewundern wie Ajax und Kapaneus, wenn Polyeukt nicht noch rasender gewesen wäre. Pyramus und Thisbe töten sich und sind das Vorbild der Liebenden. Der Erfinder eines Paradoxons wird sicher zu einem Namen kommen. Umsonst überliefern sie durch Verachtung und Neid den Namen des Erostrat der Vergessenheit; dieser Name ist so wahnsinnig schön, dass er über die Wogen ihres Zornes triumphiert und sich ewig in ihr Gedächtnis eingräbt.

Die Narren sind also Magnetiseure oder vielmehr Faszinierende, und das macht die Narrheit ansteckend. Weil man kein Maß hat für das, was groß ist, lässt man sich fangen von dem, was seltsam ist.

Die Kinder, die noch nicht laufen können, wollen, dass man sie nimmt und herumträgt.

Niemand liebt das Ungestüm so sehr wie die Untüchtigen. Die Unfähigkeit zu froher Unterhaltung gebiert einen Tiberius, eine Messaline. Der Pariser Gassenjunge im Paradies des Boulevard möchte Cartouche sein und lacht aus vollem Herzen, wenn er sieht, wie Telemach ins Lächerliche gezogen wird.

Nicht alle finden Geschmack am Opium- oder Alkoholrausch, aber alle möchten ihren Geist berauschen und finden Gefallen daran, ihr Herz im Delirium reden zu lassen.

Als das Christentum durch das faszinierende Bild des Kreuzestodes sich in die Augen der Welt eingrub, sprach ein Schriftsteller jener Zeit den Gedanken aller aus, indem er ausrief: „Ich glaube, weil es sinnlos ist“.

Die Torheit des Kreuzes, wie Paulus selbst es nannte, war damals unwiderstehlich fortreißend. Man verbrannte die Bücher der Weisen, und in Ephesus gab Paulus das Vorspiel zu der Heldentat des Omar. Man stürzte die Tempel, die Weltwunder und die Götterbilder. Meisterwerke der Kunst. Man fand Geschmack am Tode, und man wollte allen Schmuck des gegenwärtigen Daseins niederreißen um sich vom Leben zu trennen.

Den Ekel an der Wirklichkeit begleitet immer die Liebe zu den Träumen: „Quam sordet tellus, dum coelum aspicio!“, sagt ein berühmter Mystiker; wörtlich übersetzt: „Wie schmutzig wird die Erde, wenn ich den Himmel betrachte!“ Wie dein Auge, das sich im Raum verliert, beschmutzt die Erde, deine Nährmutter? Was ist die Erde denn anderes als ein Stern des Himmels. Ist sie schmutzig, weil sie dich trägt? Nun man bringe dich auf die Sonne, und alsbald wird dein Ekel auch sie beschmutzen! Wäre der Himmel reiner, wenn er leer wäre? Und ist es nicht ein Wunder zu sehen, wie er des Tags die Erde erleuchtet und des Nachts von einer unzählbaren Menge von Erden und Sonnen erglänzt? Wie, die prachtvolle Erde mit den unendlichen Ozeanen, die Erde voll Blumen und Bäumen wird Kot für dich, weil du dich in die Leere stürzen willst; glaube mir, suche deshalb nicht den Platz zu tauschen; die Leere ist in deinem Geist, in deinem Herzen.

Die Liebe zu den Träumen ist es, die soviel Kummer in die Träume der Liebe gießt. Die Liebe, wie die Natur sie uns gibt, ist eine köstliche Wirklichkeit, aber unser krankhafter Stolz möchte etwas noch besseres als die Natur. Daher kommt der hysterische Wahn der Unverstandenen. Der Gedanke Lotte im Kopfe von Werther formt sich schicksalhaft, wie er musste und wird zur brutalen Form der Pistolenkugel. Selbstmord ist die Lösung des Liebeswahnsinns.

Die wahre Liebe, die natürliche Liebe ist das Wunder des Magnetismus. Es ist das sich Durchschlingen, das Vereinigen, der beiden Schlangen des Merkurstabes. Es scheint Schicksal zu sein, aber es ist die Folge der erhabensten Vernunft, welche sie den Gesetzen der Natur folgen lässt. Die Fabel erzählt, dass Teiresias, als er die sich paarenden Schlangen getrennt hatte, sich den Zorn der Venus zuzog und androgyn wurde: das vernichtete bei ihm die sexuelle Potenz; dann schlug ihn die erzürnte Göttin noch einmal und machte ihn blind, weil er der Frau zuschrieb, was grundsätzlich dem Manne zukommt. Teiresias war ein Wahrsager, der durch das Licht des Todes weissagte, daher zeigten seine Weissagungen stets Unglück an und schienen solches zu beschließen. Diese Allegorie enthält und fasst die ganze Philosophie des Magnetismus, die wir soeben entdeckt haben.

II. Kapitel.
Das Böse.

Das Böse – wo es wirklich wird – ist die Bejahung der Unordnung; oder beim Bestehen der ewigen Ordnung ist die Unterordnung im wesentlichen vergänglich. In Gegenwart der absoluten Ordnung, die der Wille Gottes ist, ist die Unordnung nur relativ. Die absolute Bejahung der Unordnung ist das Böse, ist also im wesentlichen die Lüge.

Die absolute Bejahung des Bösen ist die Verneinung Gottes, da Gott der erhabene und absolute Grund des Guten ist.

In der philosophischen Ordnung ist das Böse die Verneinung der Vernunft. In der sozialen Ordnung ist es die Verneinung der Pflicht. In der physischen Ordnung ist es der Widerstand gegen die unverletzlichen Gesetze der Natur. Das Leid ist nichts Böses, es ist seine Folge und fast immer das Heilmittel vom Bösen.

Nichts von Natur Unvermeidliches kann etwas Böses sein. Der Winter, die Nacht und der Tod sind keine Übel. Es sind die natürlichen Übergänge von einem Tag zum andern, vom Herbst zum Frühling, von einem Leben zum andern.

Proudhon hat gesagt: „Gott ist das Böse“. Gerade so gut hätte er sagen können: „Gott ist der Teufel“, denn der Teufel gilt gewöhnlich als das Genie des Bösen.

Wenn wir den Satz umdrehen, so erhalten wir folgende paradoxe Formel: „Der Teufel ist Gott“, oder mit anderen Worten: „Das Böse ist Gott“. Wenn er so sprach, wollte dieser König des logischen Denkens, den wir hier anführen, sicher nicht mit dem Namen Gottes die hypothetische Personifikation des Guten bezeichnen. Er dachte an den abgeschmackten Gott, der die Menschen drückte, so müssen wir sagen, dass er Recht hatte, denn der Teufel ist eine Karikatur Gottes, und was wir das Böse nennen, ist das falsch verstandene und falsch definierte Gute.

Man kann das Böse nicht um des Bösen willen, und die Unordnung um der Unordnung willen lieben. Die Übertretung der Gesetze gefällt nur, weil sie uns über die Gesetze zu erheben scheint. „Die Menschen sind nicht um des Gesetzes willen da, sondern das Gesetz um der Menschen willen“, sagte Jesus; ein kühnes Wort, das die Priester jener Zeit als umstürzend und gottlos empfinden mussten, ein Wort, dessen menschlicher Stolz ungeheuerlich verderben kann. Man sagt uns, dass Gott nur Rechte hat und keine Pflichten, weil er der Stärkste ist. Dies Wort aber ist gottlos. Wir verdanken Gott alles, wagt man hinzuzufügen, und Gott verdankt uns nichts. Das Gegenteil ist richtig, Gott ist unendlich viel größer als wir, er lädt unendliche Schuld auf sich, da er uns in die Welt setzt. Er hat den Abgrund der Menschenschwäche aufgerissen, an ihm ist es ihn wieder zu schließen.

Die wahnwitzige Niedertracht in der Tyrannei im Altertum hat uns das Phantom eines abgeschmackten und niederträchtigen Gottes überliefert, dieser Gott tut ein ewiges Wunder, um das endliche Wesen in seinem Leiden zur Unendlichkeit zu zwingen.

Nehmen wir einmal an, einer von uns habe eine Eintagsfliege erschaffen können; und er sagt zu ihr, ohne dass sie es verstehen könnte: „Mein Geschöpf, bete mich an!“ Das arme Tierchen ist herum geflattert, hat an nichts gedacht und ist am Ende seines Tages gestorben. Daraufhin sagt ein Schwarzkünstler zu dem Menschen, wenn er einen Tropfen seines Blutes auf die Eintagsfliege fallen lasse, so könne er sie damit wiederbeleben. Der Mann sticht sich – ich täte das Gleiche an seiner Stelle – und siehe, die Eintagsfliege ist wieder erweckt. Was wird der Mensch tun? – Was er tun wird, schreit ein fanatischer Gläubiger. Da die Eintagsfliege in ihrem ersten Leben, nicht den Geist oder die Dummheit gehabt hat ihn anzubeten, wird er eine fürchterliche Glut schüren und die Eintagsfliege hineinwerfen und dabei nur bedauern, dass er ihr Leben inmitten der Flammen nicht auf wunderbare Weise erhalten kann, damit sie ewig brenne! – Nun, werden alle sagen, es gibt keinen närrischen Teufel, der so niederträchtig, so schlecht ist! Ich bitte um Verzeihung, ihr Alltags-Christen, der in Frage stehende Mensch kann nicht existieren, das gebe ich zu, aber es gibt in eurer Einbildung einen noch grausameren und niederträchtigeren, das ist euer Gott, so wie ihr ihn erklärt, und er ist es von dem Proudhon tausendmal recht hatte, wenn er sagt: „Gott ist das Böse“.

In diesem Sinne wäre das Böse, die lügnerische Bejahung eines schlechten Gottes und dieser Gott wäre der Teufel oder sein Gevatter. Eine Religion, die als Balsam für die Wunden der Menschen eine solche Lehre brächte, vergiftete sie, anstatt sie zu heilen. Grenzenlose Verdummung des Geistes und Verderbtheit des Gewissens ginge daraus hervor. Und die Propaganda, die im Namen eines solchen Gottes gemacht würde, könnte der Magnetismus des Bösen heißen. Das Resultat der Lüge ist die Ungerechtigkeit. Aus der Ungerechtigkeit kommt die Unbilligkeit, welche in den Staaten die Anarchie schafft und in dem Individuum Liederlichkeit und Tod.

Eine Lüge kann nicht bestehen, wenn sie nicht in dem toten Licht eine Art spektraler Wahrheit erzeugt. Und alle Lügner des Lebens täuschen sich selbst zuerst, indem sie die Nacht für den Tag halten. Der Anarchist glaubt, er sei frei, der Dieb, er sei geschickt, der Freigeist, er mache sich lustig, der Despot hält das Unterdrücken für Regieren. Was ist nötig um das Böse auf Erden zu vernichten? Allem Anscheine nach eine sehr einfache Sache: „Die Dummen und Schlechten dazu bringen, ihren Irrtum einzusehen“. Aber hier zerbricht aller gute Wille und scheitert jede Macht. Die Dummen und Schlechten wollen ihren Irrtum nicht einsehen. Wir gelangen zu jener geheimen Perversität, welche die Wurzel alles Übels zu sein scheint, der Geschmack am Frevel und der Hang zum Irrtum. Wir behaupten unsererseits, dass diese Perversität wenigstens nicht gewollt und frei beabsichtigt ist. Sie ist nichts als die Vergiftung des Willens durch die totbringende Kraft des Irrtums.

Die Luft, die sich atmen lässt, besteht bekanntlich aus Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, Der Wasserstoff und Sauerstoff entsprechen dem Licht des Lebens, der Stickstoff dem Licht des Todes. Ein Mensch, der im Stickstoff untertaucht, kann weder atmen noch leben, ebenso kann ein Mensch, von spektralem Licht erstickt, keinen freien Willensakt mehr vollbringen. Die große Erscheinung des Lichtes vollendet sich nicht in der Atmosphäre; nur im organischen Auge wird es gesehen. Eines Tages sagte, wenn ich nicht irre, M. Littre, ein Philosoph der positivistischen Schule, dass die Unermesslichkeit nur eine unendliche Macht sei, die hier und da von Sternen erhellt ist. Das stimmt, antwortete ihm jemand, für unsere Augen, die zur Aufnahme eines anderen Lichtes als das der Sonne nicht eingerichtet sind. Aber erscheint die Idee dieses Lichtes uns nicht schon im Traume, während auf der Erde Nacht ist und unsere Augen geschlossen sind? Welches ist der Tag der Seelen? Wie sieht man durch den Gedanken? Würde die Nacht unserer Augen auch für anders geartete Augen bestehen? Und wenn unsere Augen nicht beständen, würden wir die Nacht wahrnehmen? Für die Blinden gibt es weder Sterne noch eine Sonne; und wenn wir eine Binde um unsere Augen legen, werden wir freiwillig blind. Die Perversität der Sinne wie die der Seelenfähigkeiten ist die Folge eines Zufalls oder eines Vergehens gegen die Gesetze der Natur; da wird sie notwendig und verhängnisvoll. Was sollen wir für die Blinden tun? Sie an der Hand fassen und führen. Aber wenn sie sich nicht führen lassen? Muss man Geländer errichten! Aber wenn sie diese umwerfen? Dann sind sie nicht nur Blinde, sondern gefährlich Wahnsinnige, und man muss sie umkommen lassen, wenn man sie nicht einschließen kann.

Edgar Allan Poe erzählt die hübsche Geschichte eines Irrenhauses, in dem es den Kranken gelungen war sich der Wärter zu bemächtigen; sie hatten sie in ihre eigenen Zellen eingeschlossen, nachdem sie ihnen die Masken wilder Tiere gegeben hatten. Da triumphierten sie in den Gemächern ihres Arztes, sie tranken den Wein des Hauses und beglückwünschten sich gegenseitig gelungene Kuren gemacht zu haben. Während sie bei Tisch sind, zerreißen die Gefangenen ihre Ketten und überraschen sie mit heftigen Stockhieben. Sie rasten gegen die armen Irrsinnigen und gaben ihnen recht in gewisser Art durch sinnlos schlechte Behandlung.

Das ist die Geschichte der modernen Revolutionen, die Toren triumphieren durch ihre große Zahl, die man Majorität nennt. Sie bringen die Weisen ins Gefängnis und machen sie zu wilden Tieren. Bald werden die Gefängnisse morsch und bersten, und die Weisen von gestern, toll geworden durch das Leiden, entfliehen heulend und Entsetzen verbreitend. Man wollte ihnen einen falschen Gott aufdrängen, sie schreien, dass es überhaupt keinen Gott gibt. Dann vereinigen sich die Gleichgültigen, stark geworden durch die Angst, sie unterdrücken die rasenden Irren und setzen feierlich die Herrschaft der Blöden ein. Das haben wir schon gesehen!

Bis zu welchem Grade sind die Menschen verantwortlich für diese Schwingungen und Krämpfe, die so viele Verbrechen verursachen? Welcher Denker wagt es zu sagen? Man verketzert Marat und man spricht Pius V. heilig.

Es ist wahr, dass der furchtbare Ghistieri seine Gegner nicht durch die Guillotine tötete, er verbrannte sie. Pius V. war ein strenger, karger Mann und überzeugter Katholik. Marat trieb die Uneigennützigkeit bis zum Elend. Beide waren ehrliche Menschen, aber sie waren mörderische Menschen, ohne gerade Ungeheuer zu sein.

Wenn nun aber eine verbrecherische Torheit der Mitschuld eines Volkes begegnet, dann wird sie beinah ein furchtbares Recht, und wenn die Menge, nicht belehrt sondern von der gegenteiligen Art getäuscht, ihren Helden verlässt und verleugnet, dann wird der Besiegte zugleich der Sündenbock und der Märtyrer. Der Tod Robespierres ist ebenso schön wie der Ludwigs XVI.

Aufrichtig bewundere ich jenen fürchterlichen Inquisitor, der, als er von den Albigensern niedergemetzelt worden war, mit seinem Blut auf die Erde schrieb: „Credo in unum Deum!“

Ist der Krieg ein Übel? Ja, ohne Zweifel, denn er ist furchtbar. Aber ist er ein absolut Böses? Der Krieg ist die zeugende Arbeit der Nationen und Zivilisationen. Wer ist für den Krieg verantwortlich? Die Menschen? Nein, denn sie sind seine Opfer. Wer denn? Wagt man zu sagen: Gott? Fragt den Grafen Joseph de Maistre. Er wird euch sagen, warum die Priester das Schwert immer gesegnet haben, und dass etwas Heiliges in dem blutigen Amt eines Henkers liegt. Das Böse ist der Schatten, es ist die Kehrseite des Guten. Wir wollen bis ans Ende gehen und wagen zu sagen, dass es das negativ Gute ist. Das Böse ist der Widerstand, der das Streben zum Guten stärkt; und deshalb hat Jesus-Christus sich nicht gescheut zu sagen: „Es muss Ärgernisse geben“.

Es gibt in der Natur Missgeburten, wie es in einem schönen Buche Druckfehler gibt. Was beweist das? Dass die Natur wie die Presse blinde Werkzeuge sind, die die Klugheit leitet. Aber, werdet ihr mir sagen, der Setzer verbessert seine Korrekturbogen. Ja, gewiss, und in der Natur dient der Fortschritt dazu. Wenn ihr mir den Vergleich gestattet, so ist Gott der Direktor der Druckerei und der Mensch der Setzer Gottes.

Die Priester haben immer gesagt, dass die Plagen verursacht werden durch die Sünden der Menschen, und das ist wahr, denn das Wissen ist dem Menschen gegeben worden um die Plagen vorauszusehen und ihnen zuvorzukommen. Wenn, wie man behauptet, die Cholera aus der Verwesung der an der Mündung des Ganges aufgehäuften Leichen entsteht, wenn die Hungersnot durch den Wucher kommt, die Pest durch die Unsauberkeit verursacht wird, wenn der Krieg so oft durch den stupiden Stolz des Königs und das Ungestüm des Volkes veranlasst wird, ist dann nicht wahrhaftig die Schlechtigkeit oder vielmehr die Dummheit der Menschen Ursache der Plagen? Man sagt, dass Ideen in der Luft liegen, und wahrhaftig die Laster tun es auch. Jede Verderbnis verursacht Verwesung und jede Verwesung hat ihren besonderen Gestank. Die Luft die die Kranken umgibt, ist krankhaft und die moralische Pest hat auch ihre besonders ansteckende Atmosphäre. Ein ehrliches Herz fühlt sich wohl unter Menschen, die guten Willens sind. Es wird gedrückt, leidet und erstickt unter lasterhaften Wesen.

III. Kapitel.
Die Gemeinsamkeit des Bösen.

Der große Rabbi Isaak Loriah sagt in seinem Buch über die dauernde Bewegung der Seelen, man müsse die Stunde vor dem Einschlafen mit großer Wachsamkeit ausnützen. Während des Schlafes verliert die Seele tatsächlich eine Zeitlang ihr individuelles Leben um im universalen Lichte unterzutauchen; dieses Licht tritt in zwei entgegen gesetzten Strömungen in Erscheinung. Das Wesen, das einschläft, überlässt sich der Umschlingung der Schlange des Äskulap, dem Symbol des Lebens und der Neugestaltung, oder lässt sich durch die giftigen Fesseln der hässlichen Python binden. Der Schlaf ist ein Bad im Licht des Lebens oder im Phosphor des Todes. Wer mit Gedanken der Gerechtigkeit einschläft, badet im Verdienst der Gerechten, wer sich aber dem Schlummer mit Gedanken des Hasses und der Lüge überlässt, badet im Todesmeer, wo die Verpestung der Bösen wogt.

Die Nacht ist wie der Winter, der die Keime heimlich hütet und vorbereitet. Wer Unkraut sät, kann keinen Weizen ernten. Wer in der Gottlosigkeit einschläft, kann nicht unter der göttlichen Segnung erwachen. Man sagt: Guter Rat kommt über Nacht! Dem Gerechten bringt die Nacht weisen Rat, dem Bösen unselige Triebe! Das sind die Lehren des Rabbi Isaak Loriah.

Wir wissen nicht, bis zu welchem Grade man diesen wechselseitigen Einfluss der in Schlummer versenkten Wesen zugeben kann. Er wird von unfreiwilligen Kräften so gelenkt, dass die Guten die Guten besser machen die Schlechten jene verderben, die ihnen ähnlich sind. Es wäre viel tröstlicher zu denken, dass die Milde der Gerechten über die Schlechten erstrahlt, um ihnen Ruhe zu geben, und dass die Unrast der Schlechten nichts vermag über die Seele des Gerechten. Sicher ist, dass die schlechten Gedanken den Schlaf beunruhigen, und dass ein gutes Gewissen in wunderbarer Weise das Blut erfrischt und im Schlafe ausruht.

Es ist jedenfalls wahrscheinlich, dass die magnetische Strahlung, tagsüber von Gewohnheiten und Willen bestimmt nachts nicht aufhört. Ein Beweis dafür sind die Träume in denen es uns oft scheint, als handelten wir unsern geheimsten Wünschen entsprechend. Der heilige Augustin sagt: „Nur der hat sich wirklich die Tugend der Keuschheit erworben, der selbst in seinen Träumen bescheiden ist“.

Alle Sterne sind magnetisch und alle himmlischen Magneten wirken gegenseitig im Planetensystem, in den Gruppen des Weltgebäudes und der ganzen Unendlichkeit. Ebenso ist es bei den Lebewesen auf der Erde. Die Natur und die Kraft der Magneten wird durch den wechselseitigen Einfluss der Gestaltung bestimmt. Das muss ernstlich geprüft und durchdacht werden.

Die Schönheit, die Harmonie der Formen wird immer begleitet von einer großen Anziehungskraft. Es gibt aber Schönheiten, über die sich streiten lässt, und die bestritten werden.

Es gibt konventionelle Schönheiten, die sich an einen gewissen Geschmack und gewisse Leidenschaften anpassen. Am Hofe Ludwig XV. hätte man die Hüften der Venus von Milo unförmig und ihre Füße zu groß gefunden. Im Orient sind die Favoriten des Sultans fett, und im Königreich Siam kauft man die Frauen nach Gewicht.

Die Menschen sind nicht weniger geneigt um der wahren oder imaginären Schönheit willen, die sie berauscht, Torheiten zu begehen. Es gibt Gestalten, die uns berauschen und unsere Vernunft mit verhängnisvoller Gewalt beherrschen. Wenn unser Geschmack verdorben ist, dann lassen wir uns ganz einnehmen von imaginären Schönheiten, die tatsächlich Verzerrungen sind. Die Römer der Dekadenz liebten niedrige Stirnen und die Froschaugen der Messaline. Ein jeder baut sich hier unten sein Paradies nach seiner Art. Hier jedoch fängt die Gerechtigkeit an. Das Paradies der Verdorbenen ist immer und notwendigerweise die Hölle.

Die Richtung des Willens gibt den Werken ihren Wert. Denn der Wille bestimmt das Ende, das man sich vorgenommen hat, und das erstrebte und erreichte Ziel entscheidet immer das Wesen der Arbeit. Nach unseren Taten wird Gott uns richten um mit dem Evangelisten zu sprechen nicht nach unseren Werken. Taten bereiten vor, beginnen, verfolgen und vollenden Werke. Sie sind gut, wenn die Taten gut sind. Im entgegengesetzten Fall sind sie schlecht. Wir wollen nicht sagen, dass der Zweck das Mittel heiligt, sondern dass ein anständiges Ende notwendig anständige Mittel braucht, und dem seiner Natur nach gleichgültigsten Werk Wert verleiht.

Was man billigt, tut man, oder man lässt es tun, indem man dazu anspornt. Ist unser Prinzip falsch, unser Ziel unbillig, so handeln alle, die denken wie wir, so, wie wir an deren Stelle handeln würden; und wenn es gelingt, so denken wir, dass sie gut daran getan haben. Wenn wir mit dem Scheine der Taten eines anständigen Mannes das Ziel eines Bösewichts erreichen wollen, so werden unsere Taten schlecht werden. Die Gebete eines Heuchlers sind gottloser als die Gotteslästerungen eines Ungläubigen. Kurz gesagt: Alles was man für die Ungerechtigkeit tut ist unrecht, alles für die Gerechtigkeit getan, ist recht und gut.

Wir haben gesagt, dass die menschlichen Wesen Magnete sind, welche gegenseitig aufeinander wirken. Diese anfänglich natürlich magnetische Kraft, dann in ihren Formen durch die Gewohnheit und den Willen bestimmt, schließt die menschlichen Wesen in Reihen und Glieder zusammen, vielleicht etwas anders als Fournier es vermutete. Es ist also richtig mit ihm zu sagen, dass die Anziehungskräfte den Geschicken proportional sind, aber nicht richtig keinen Unterschied zu machen zwischen Kräften des Schicksals und künstlichen Anziehungskräften. Ebenso glaubte er, dass die Schlechten die von der Gesellschaft nicht Verstandenen seien, während im Gegenteil sie nicht verstehen wollen. Was hätte er in seiner Gliederung der Menschen getan, deren Anziehungskräfte im Verhältnis zu ihren Geschicken (ihm folgend) gerade diese Gliederung verwirrt und zerstört hätten?

In unserem Buche: „Die Wissenschaft von den Geistern“ haben wir den kabbalistischen Überlieferungen folgend eine Einteilung der guten und schlechten Geister gegeben. Einige oberflächliche Leser werden vielleicht sagen: Warum lieber diese Namen als andere? Welcher Geist hat vom Himmel herab oder welche Seele aus dem Abgrund empor die hierarchischen Geheimnisse der anderen Welt enthüllen können? Das ist alles nur üppige Phantasie. Wenn die Leser so sprechen, dann täuschen sie sich. Diese Einteilung ist nicht willkürlich, und wenn wir das Dasein dieser oder jener Geister in der anderen Welt vermuten, so tun wir das, weil sie ganz sicher in dieser existieren. Anarchie, Vorurteil, Geheimniskrämerei, List, Unbilligkeit, Hass sind die Gegenpole von Weisheit, Autorität, Klugheit, Anstand, Güte, Gerechtigkeit. Die hebräischen Namen Kether, Chochmah, Binah, Thamiel, Chaigidel, Satariel etc., die Gegenpole zu Hajoth, Hakkadosch, Ophanim, Aralim etc. bedeuten nichts anderes.

Ebenso ist es bei den großen Worten und dunklen Ausdrücken der alten und modernen Dogmen; bei der letzten Analyse findet man immer wieder die Grundzüge der ewigen und unbestechlichen Vernunft. Es ist offenbar und gewiss, dass die Massen noch nicht reif sind für die Herrschaft der Vernunft, und dass die Tollsten und Abgefeimtesten sie der Reihe nach durch verblendete Glaubenslehren irreführen. Und Torheit gegen Torheit: Ich finde mehr wahren Sozialismus in der Torheit Loyolas als in der von Proudhon.