Table of Contents

Titel

Impressum

Widmung

Im Folterkeller

Nachtrag

Warum ich schreibe

Über den Autor Anwar Almann

 

 

Anwar Almann

 

 

 

 

Die Stille der

duftenden Nacht

Die Geschichte einer Flucht

 

 

 

 

Novelle

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Anwar Almann

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2021

ISBN: 9783957538796

Grafiken Copyright by AdobeStock by © SasinParaksa

 

Gewidmet allen Menschen und insbesondere den Minderheiten, die in der Novelle erwähnt werden.

 

 

Im Folterkeller

 

Sie schritten einen Korridor entlang. Die Bodenbretter quietschten lästig. Serdar hörte verschiedene Stimmen, laute und leise. Dazwischen Schreie, Stöhnen und um Gnade Bittende. „So hört sich Folter an!“, dachte er. Angst kroch in ihm hoch, und er merkte, wie manchmal jemand an ihm vorbeihuschte. Sehen konnte er nicht, seine Augen waren verbunden.

Die Fahrt hierher hatte ungefähr eine Stunde gedauert. Er wusste nicht, wo er sich gerade befand. War es ein Gefängnis? Ein Wohnhaus?

Jemand – ein Geheimdienstler? – stieß eine Tür auf und nahm ihm die Augenbinde ab. Serdars Augen zuckten kurz.

Im Raum saßen drei Personen an einem langen Tisch ihm gegenüber. Ein großes Porträt von Ayatollah Khomeini hing an der Wand hinter ihnen. Die drei wechselten kurz und schweigend einen Blick. Der in der Mitte trug eine Uniform und einen nicht nennenswerten Bart. Während sein strenger Blick an Serdar hängen blieb, flüsterte er: „Bitteschön!“

Die beiden anderen, die richtige Bärte hatten, nickten nur. Der eine, mit Herpes auf seiner unteren Lippe, las Serdars persönliche Daten vor und fragte ihn leise nach der Richtigkeit. Als Serdar seine Daten bestätigte, fragte ihn derselbe: „Sie sind seit erst zwei Monaten hier in Teheran, Herr Serdar?“

„Ja, das stimmt“, antwortete Serdar matt und nachdenklich. Innerlich verbreitete sich Angst in ihm.

Aber er wollte sich nicht ängstlich und schwach zeigen. Er hatte keinen Grund dafür, dachte er. „Wie ist es möglich, dass Sie so fließend unsere Sprache sprechen?“, wollte der Offizier erfahren. „Sie stammen doch nicht aus dem Iran.“

Da verstand Serdar, worum es womöglich ging.

In Verlegenheit zu geraten, würde ihm schaden, dachte er. Gelassen und möglichst locker sollte er sich präsentieren. Er wusste auch nicht, ob er sich im berüchtigten Evin befand, dem Gefängnis, aus dem nur selten ein Gefangener zurückkehrte.

Bevor er mit einer Antwort herausrückte, hörte er wieder Schreie, Stöhnen, Klagen, aus einem der Folterzimmer. Er zuckte innerlich, weil verschiedene Männerstimmen dauerhaft zu hören waren, die schreiend einen Gefolterten mit Fragen bombardierten. Serdar erinnerte sich an die Detonation, die eine Woche zuvor auf dem arabischen Basar, nahe des Stadtviertels Topchune im Süden Teherans, stattgefunden hatte. Viele Tote und Verletzte hatte die Explosion gefordert. Hautnah hatte er das erlebt. Seit dem Tag wurden zahllose irakische Flüchtlinge verdächtigt, festgenommen, verhört und gefoltert. Manche verschwanden spurlos für immer.

Serdar atmete tief ein und erklärte mit zitternder Stimme:

 „Ihnen sollte doch bekannt sein, dass die kurdische und persische Sprache sich sehr ähnlich sind? Beide Sprachen gehören zur Gruppe Sanskrit und sind indoeuropäische Sprachen.“

Drei der Männer bestätigten seine Aussage nur durch Kopfnicken.

 „Ich bin ein kulturinteressierter Mensch“, ergänzte Serdar.

„Sind Sie Deserteur?“, fragte ihn der Offizier mit nikotingelben Fingern. „Nein. Ich bin Zivilist und war Angestellter der Universität“, antwortete ihm Serdar selbstbewusst. Er wischte seine nasse Stirn unwillkürlich ab. Dann atmete er erneut tief ein und erzählte weiter:

 „Die persische Literatur liegt mir am Herzen!“

„Sind Sie ein Dichter, Herr Serdar?“, fragte der Offizier. Serdar räusperte sich und erwiderte:

„Ich habe viele Sachen geschrieben. Ob ich ein Poet bin, kann ich selber nicht beurteilen.“

„Sie sehen wirklich wie ein echter Deutscher aus, und ein Literat sind Sie auch noch!“, mischte sich der andere mit Herpes auf der Lippe ein. „Was kennen Sie von der deutschen Literatur?“

Serdar war sehr überrascht, gleichzeitig erfreut und antwortete spontan:

„Mir gefallen drei Zitate besonders, zum einen von dem griechischen Philosophen Platon, der soll mal gesagt haben: ‚Wenn uns die Liebe berührt, werden wir alle Dichter.‘“

„Aha, aha“, erwiderte der Herpesträger. „Und Goethe soll gesagt haben: ‚Ein Gedicht soll entweder vortrefflich sein oder gar nicht existieren.‘“

„Oder, der deutsche Dichter Lessing sagt: ‚Schreibe, wie Du redest, so schreibst Du schön‘ ja, diese Zitate gefallen mir.“

„Herr Serdar“, unterbrach ihn dieser und kommentierte bösartig, während er seinen Kopf näherbrachte, „wir wollen hier kein Literaturseminar abhalten, sondern wir wollen Antworten. Okay?“

„Ja. Verstehe!“

„Waren Sie schon mal auf dem Basar in der Nähe von Topchune im Süden Teherans?“

Serdar dachte rasch: Wenn er einfach mit Nein antwortete und doch Beweise vorhanden wären, dass er da gewesen war, würde das Konsequenzen haben. Es war ein Spiel mit dem Feuer.

„Ich war auch paar Mal in der kleinen Bücherei auf der Lalezarstraße gewesen, um in den Büchern zu stöbern sowie Zeit zu vertreiben.“ Wissen Sie schon Bescheid?, dachte Serdar.

Der eindringliche Blick des Offiziers machte Serdar nervös. Ihm war plötzlich warm geworden und ein bisschen schwindlig.

„Ja. Ich war ein paar Mal dort“, sagte er leise.

„Und warum?“

„Weil ich irakische Gerichte vermisst habe.“

„Oder um falsche Dokumente zu besorgen, Herr Serdar?“, hakte der Herpeszivilist nach.

„Nein. Selbstverständlich nicht!“, antwortete Serdar mit trockener Kehle. „Ich brauche so was nicht, weil ich echte Dokumente besitze. Und ich versuche seit zwei Monaten, ein Visum zu bekommen.“

Während des ganzen Verhörs notierte der andere in Zivil gekleidete Beamte, der an der rechten Seite des Offiziers saß, etwas. Der gleiche Geheimdienstler legte die Hände an den Hinterkopf und fragte: „Warum bekommen Sie denn das Visum nicht?“ Serdar wusste, warum. Aber er wagte es nicht, die Wahrheit zu sagen.

Die Wahrheit war so:

Man musste das Personal bestechen. Man musste eine bestimmte Summe Schmiergeld an die Angestellten vom Innenministerium zahlen. Ob man ein Visum erhielt, hing auch mit der Höhe der bezahlten Summe zusammen.

Nach einer kurzen Weile antwortete Serdar leise:

 „Ja. Wie die Angestellten des Innenministeriums mir immer mitteilen, steht mein Name bereits auf der Liste. Ich muss also nur geduldig abwarten und ab und zu nachfragen. Deshalb gehe ich fast jeden Tag zum Innenministerium und erkundige mich. Anschließend bleibe ich zum Mittagessen in der Stadt.“

„Für welches Land haben Sie sich denn entschieden?“, wollte der Geheimdienstler wissen. „Obwohl ich das Visum für Deutschland oder Österreich beantragt habe, ist mein Favorit der deutsche Staat, weil ich dort einen Bruder und etliche Bekannte habe. Sonst egal wohin.“

„Sonst egal wohin gibt’s aber nicht!“, wiederholte höhnisch der Offizier und lachte.

„Sie sehen wirklich wie ein echter Deutscher aus, weniger wie ein Kurde. Ein Literat sind Sie auch!“

„Na, gut“, mischte sich der andere ein, „deshalb möchte er unbedingt nach Deutschland, zu seinen Vorfahren!“, kommentierte der Mann höhnisch. Da lachten alle mit lustigen Grimassen.

Das ganze Verhör war begleitet von ständigen Schreien und Klagerufen der Gefolterten in den Zimmern nebenan.

Bei jedem Schrei zuckte Serdar und kämpfte gegen seine innere Qual. Der Schreck lief ihm kalt den Rücken herunter. Der Schweiß brach ihm an mehreren Stellen zugleich aus, als ob er im Hammam säße. Seine Augen zuckten schneller und häufiger. Sein Herz raste. Er fühlte sich so schwach und leer und ohnmächtig.

„Gibt es etwas Wichtiges zu sagen, Herr Serdar?“, fragte ihn der Herpes-Mann und schaute Serdar prüfend an.

„Was meinen Sie?“, erwiderte Serdar. Innerlich war er erschrocken und dachte: Jetzt ist alles vorbei. Sie kennen meine echte Identität! Jetzt wird es eng.

„Irgendetwas über dich! Was Wichtiges!“, sagte der, der an der Seite des Offiziers saß.

Der Blick auf die drei halbvollen Gläser und den ebenfalls halbvollen, durchsichtigen Wasserkrug auf dem Tisch feuerte Serdars Durst an. Sein Gaumen und Rachen waren trocken wie die Sahara. Seine Zunge war schwer wie Stein.

Serdar nahm seinen ganzen Mut zusammen und raunte:

„Entschuldigen Sie. Es könnte doch sein, dass einer von Ihnen eine fremde Sprache wie Englisch, Französisch oder Russisch oder was weiß ich vielleicht Arabisch spricht – und wäre es gerecht, Sie nur aufgrund Ihrer Sprachkenntnisse als Spion zu verdächtigen?“

Die drei schauten sich abwechselnd an.

„Nein. Nicht unbedingt“, erwiderte der Offizier und blickte ihn aufmerksam an, dann sagte Serdar rasch: „Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass es zwei sehr bekannte iranische Übersetzer gibt, die ins Persische übersetzen und wie ich Kurden sind? Muhamadi Qazi aus Mahabad und Ibrahimi Yunsi aus dem kleinen Städtchen Banne.“ Aber beide Namen weckten kein Interesse bei seinem Gegenüber.

„Waren Sie nicht beim Militär, Herr Serdar?“

„Nein. Ich wurde zum Militärdienst aufgefordert, bin aber nicht hingegangen. Außerdem, wenn ich Deserteur wäre, wäre ich doch sicher in einer anderen Flüchtlingseinrichtung im Stadtteil Karac oder in Jehrum gelandet. Also dort, wo Deserteure hingeschickt werden.“

„Ja, das stimmt genau, was Sie gerade sagen! Aber sagen Sie mal, woher wissen Sie das so genau?“, hakte der andere Zivilist nach. „Von Anfang an, wenn man sich zum ersten Mal registriert, wird man zugeordnet“, antwortete Serdar ruhig.

„Ach so, ja möglich. Aber Sie sind im Flüchtlingsheim Eram-Park einquartiert worden. Und Sie waren also an der Uni angestellt?“ Der Offizier änderte seinen Ton plötzlich:

„Aber dein Land führt Krieg gegen uns! Und Ihr braucht jeden, der eine Waffe halten kann. Ihr zieht jetzt ja sogar Körperbehinderte und Homosexuelle ein.“

„Das ist Saddam Husseins Krieg und nicht meiner. Klarer gesagt: Das ist kein kurdischer Krieg gegen den Nachbarn Iran“, sagte Serdar mutig.

„Sie meinen die Islamische Republik Iran, Herr Serdar?“, grätschte der Zivilist dazwischen.

„Klar. Stimmt. Sie haben recht. Die Islamische Republik Iran“, schmeichelte Serdar rasch. „Hussein ist auch unser Feind. Sie wissen doch, wie grausam er mit Kurden umgeht?“

„Mit Arabern auch, Herr Serdar, mit Arabern auch“, entgegnete einer der Bärtigen.

„Ja, klar, da haben Sie recht. Und ich soll meinem Feind behilflich sein? Aufgrund dessen bin ich doch gezwungen, abzuhauen.“

Eine Weile verging. Die drei waren mit sich beschäftigt. Das Schweigen nagte an Serdars Seele. Um dieses Schweigen zu brechen, sagte Serdar leise und beinahe bettelnd:

„Darf ich Ihnen von einem brutalen Ereignis des irakischen Systems erzählen?“

„Einen Kriegswitz?“, entgegnete der Offizier grinsend.

„Nein, es ist ein Wahnwitz! Von einem tragischen Ereignis, das nichts mit dem Krieg zu tun hatte.“

„Dann schießen Sie mal los, Herr Serdar!“, befahl derjenige mit dem Herpes auf der Lippe und wedelte mit der Hand.

„An einem Militärposten hielten irakische Soldaten einen Minibus an und sie befahlen allen, auszusteigen“, fing Serdar an, von der Tragödie zu erzählen. „Nur ein sehr alter Mann, ein Greis bleibt im Bus sitzen. Weil er sich nicht flott bewegen kann, wegen seines hohen Alters.