Magda Trott
 
WAG ES,
MONIKA!

 

1
Monika fährt aufs Land

Überall waren die Fenster der großen Mietshäuser weit geöffnet. Man wollte die strahlende Junisonne, die endlich nach vielen Regentagen wieder schien, in die Zimmer hereinlassen. Auch auf den Balkonen machte sich reges Leben bemerkbar. Nur in einem der hübschen Häuser blieben im zweiten Stockwerk die Fenster fest geschlossen. Jetzt zog sogar eine Frauenhand die gelben Vorhänge zu. Es schien, als fürchte man sich dort vor der Sonne, die neugierig in den großen Raum gelugt hatte.

»Lege das Buch aus der Hand, Monika, ich habe die Vorhänge geschlossen. Es wäre nicht gut für dich, wolltest du weiterlesen.«

Das junge, sechzehn Jahre zählende Mädchen auf dem Diwan, in eine wärmende Decke gehüllt, ließ das Buch sogleich sinken. Der blonde Kopf hob sich ein wenig.

»Mama, die Sonne scheint endlich wieder einmal. Warum hast du die Vorhänge zugezogen?«

»Das Licht könnte dich blenden.«

»Mama, darf ich nicht endlich aufstehen? Ich halte schon über eine Stunde Nachmittagsruhe. Ich fühle mich wirklich wieder ganz wohl.«

»Bleibe noch ein wenig liegen, mein Herzchen.«

Über die blauen Mädchenaugen sanken die Lider mit den langen Wimpern. Ein müder, leidender Zug stand in dem blassen Gesicht. Man hätte glauben können, die Ruhende habe eine schwere Krankheit hinter sich, denn die schmalen Hände wirkten durchsichtig. Vor allem aber war die Gesichtsfarbe Monikas überaus zart; kein lebensfrohes Rot schimmerte durch die Haut.

»Darf ich mit zum Bahnhof gehen, Mama? Ich möchte Tante Berta sehr gern abholen.«

»Aber Kind, wo denkst du hin? Die Straßen sind noch feucht, die Luft nach dem Regen ist für dich unzuträglich. Wenn wir einen Wagen nähmen, könntest du Zugluft bekommen und dich erkälten.«

Ein Seufzer kam über die Lippen des jungen Mädchens. Was war das für ein Leben! Andere Mädchen ihres Alters gingen dem Vergnügen nach, trieben Sport, liefen bei Wind und Wetter draußen umher, nur sie, Monika, mußte sich den Anordnungen der überängstlichen Mutter fügen. Monika wußte, daß die Mutter in ihrer großen Güte und Angst um ihr einziges Kind freudig auf alles verzichtete. Trotzdem schenkte Frau Reinus der Tochter nicht das, wonach sie sehnlichst verlangte: Freundinnen, mit denen Monika ihre Jungmädchenzeit auskosten konnte, oder eine Tätigkeit, die ihre schwachen Kräfte hob. Alles wurde ängstlich von ihr ferngehalten.

Traurig war es im Hause Reinus geworden, seit der Vater, Baumeister Reinus, an einer Lungenentzündung gestorben war. Das arme Mädchen hatte überhaupt schon an manchem Sarge gestanden. Die beiden Brüder, Karl und Franz, waren gestorben; ihnen war der Vater nach wenigen Jahren gefolgt. So blieb Monika der unglücklichen Witwe als einziger Schatz. Sie war schwächlich und kränkelte als Kind viel, so daß die Mutter fürchtete, auch diese Letzte zu verlieren, und nun alles tun zu müssen glaubte, was dem Wohle der Tochter dienen sollte.

Frau Reinus nahm die gutgemeinten Ratschläge der Ärzte und der Bekannten nicht mehr an. Übereinstimmend behaupteten alle, daß Monika durch die ungesunde Lebensweise, durch die Verhätschelung der überängstlichen Mutter sich niemals zu einem gesunden und kraftvollen Menschen entwickeln werde. Anfangs hatte Frau Reinus nachgegeben und auf ärztlichen Rat hin Monika an einem Schwimmkursus teilnehmen lassen.

Als sich aber bald eine Erkältung einstellte, als Monika für mehrere Wochen ans Bett gefesselt war, wurde sie noch ängstlicher behütet und vor jeder Unbill der Witterung geschützt.

Für alle Bitten Monikas hatte Frau Reinus taube Ohren. Immer wieder erklärte sie der Tochter, sie wolle nicht noch ihr letztes Kind verlieren, Monika müsse sich fügen. Nun erwartete man heute eine Verwandte, Tante Berta Stolte, eine kerngesunde Frau vom Lande. Stoltes hatten vor Jahrzehnten das Restgut Charlottenhof erworben und fühlten sich darauf außerordentlich wohl. Es war in Charlottenhof in den letzten Jahren erheblich stiller geworden; der älteste Sohn Erwin weilte als Inspektor auf einem Gute. Gerda, die älteste Tochter, hatte sich verheiratet, Olga besuchte in der Stadt das Lehrerinnenseminar. So blieb die sechzehnjährige Grete allein zurück. Ihr gesellte sich seit dem ersten April des Jahres ein junges Mädchen zu. Toni Aurin diente im Stolteschen Hause ihr Landjahr ab. Sie war nach der nahegelegenen Ortschaft mit einem Trupp junger Mädchen gekommen, die auf den verschiedenen Höfen ihrer ländlichen Tätigkeit nachgingen. Kamen die jungen Helferinnen an den Abenden zusammen, so gab es fröhliche Stunden, und manch ein übermütiger Streich wurde ausgeführt.

Seit dem Frühjahr ging der Briefwechsel zwischen Frau Reinus und den Verwandten in Charlottenhof rege hin und her. Tante Berta war im Winter zu den Verwandten nach der Stadt gekommen und entsetzt über das Aussehen Monikas gewesen. Hier welkte eine Blume im Schatten dahin, die sich wahrscheinlich in guter Luft und Sonne prächtig entfaltet haben würde. So riet Frau Stolte der Schwägerin, sie solle Monika für mehrere Monate nach Charlottenhof geben, man werde der überängstlichen Mutter im Herbst ein rotwangiges, kräftiges Töchterlein zurückbringen.

Die Ärzte, die stets um Monika waren, unterstützten die Bitte. Leider konnte sich Frau Reinus bisher nicht entschließen, ihre Tochter hinaus aufs Land zu schicken.

Nun kam Tante Berta selbst nach der Stadt, um Monika und deren Mutter zu holen. Riesige Koffer waren von Frau Reinus gepackt worden, denn für den Aufenthalt auf dem Lande brauchte man wollene Tücher, warme Schuhe und anderes mehr. Obwohl man dem heißen Sommer entgegenging, fürchtete die Witwe, daß Monika die Luftveränderung nicht bekommen könne. Monika dagegen freute sich unsäglich auf das Neue, das in ihr Leben trat. Sie erhoffte, daß ihr in der gleichaltrigen Grete Stolte eine Helferin erstehen werde, um der übergroßen Fürsorge der Mutter etwas zu entgehen.

Gegen sechs Uhr traf Tante Berta bei Reinus ein. Sie wurde herzlich von Monika begrüßt, die ihr versicherte, sie komme gern und freudig mit hinaus nach Charlottenhof.

»Du findest augenblicklich viele junge Mädchen deines Alters in unserer Gegend. Meine Grete freut sich auf dein Kommen, und unsere Haustochter Toni ist ein besonders übermütiger Racker, der alles auf den Kopf stellt. Mit beiden Mädchen wirst du dich austollen können und …«

»Austollen?« fiel Frau Reinus der Schwägerin ins Wort, »Monika ist viel zu zart, viel zu schwächlich, um größere Spaziergänge zu machen oder gar zu tollen.«

»Dich werden wir stark und kräftig machen, Monika. Sollst sehen, wie gut dir unsere kräftige Landluft bekommt.«

»Es wäre schön, liebe Tante, wenn ich wieder gesund würde.«

»Aber, Kind, du bist ja gar nicht krank!«

»Doch sehr schwächlich«, mengte sich erneut die besorgte Mutter ein.

»Ein Bleichgesicht bist du! Natürlich, wenn ihr im Monat Juni alle Fenster fest geschlossen habt, wenn du Kleider trägst, die dich bis zum Halse fest einhüllen, kannst du unmöglich auch frisch und rotwangig aussehen. Lauf erst mit meinen Mädelchen über die Wiesen, ohne Schuhe und Strümpfe, badet erst im kleinen See, laßt euch in der Sonne ordentlich wärmen …«

»Aber Berta, du glaubst doch selber nicht, daß ich das jemals dulden würde! – Monika würde zugrunde gehen!«

»Das wollen wir erst sehen, liebe Erika. Ich kann wohl verstehen, daß du deine Tochter ängstlich hütest, aber ein gesundes Kind erziehst du auf diese Art und Weise bestimmt nicht. Darfst mir deine Einzige ruhig anvertrauen. Alle meine Kinder sind gesund, keiner hat es etwas geschadet, wurde sie tüchtig vom Wind durchgeblasen.«

Immer größer wurde die Verwunderung in Tante Berta, als sie sehen mußte, daß für Monika ein besonderes Brot zum Abendessen gebracht wurde. Die Mutter meinte, sie könne weder Schwarz- noch Graubrot vertragen, Monikas Magen sei zu schwach. Das Obst, das Tante Berta mitgebracht hatte, durfte roh nicht genossen werden, man würde es morgen schmoren, denn anders bekäme es Monika nicht. Und am Abend, als Monika ins Federbett kroch, schlug Tante Berta entsetzt die Hände zusammen.

»Im Monat Juni noch ein Federbett! Kind, wickelst du dir vielleicht noch ein wollnes Tuch um den Hals?«

»Mir ist furchtbar warm unter dem dicken Bett, Tante Berta, aber Mama will es so. Sie ist immer so besorgt um mich.«

»Wenn du erst in Charlottenhof bist, wird das alles anders, Monika. Mit dir ist, so wie du jetzt bist, wirklich nichts anzufangen. Aber warte ab, wir machen aus dir ein rotwangiges Mädel!«

»Ach, liebe Tante, wäre das schön!«

»Du mußt nur ein wenig wagen, mußt den dich beengenden Krimskrams langsam von dir werfen. Bei uns wird nicht so viel Federlesen gemacht. Krank wirst du auch nicht werden, ich passe gut auf!«

»Wir werden Mama schwer davon überzeugen können, daß mir ein anderes Leben besser wäre als das, was ich bisher führte.«

»Stecke dich ruhig hinter mich oder den Onkel; die beiden Mädchen, Grete und Toni, werden dir auch gern beistehen. Habe nur Mut, Monika!«

»Ich habe schon häufig darüber nachgedacht, daß ich eigentlich ein vollkommen unbrauchbarer Mensch bin. Ich habe zu Ostern die Schule verlassen und möchte gern etwas lernen. Mama meint immer, ich sei dazu viel zu schwach. – Ich bin auch wirklich schwach, liebe Tante, ich fühle mich immer müde und abgespannt. Dabei tue ich gar nichts.«

»Trägheit ist auch eine Krankheit, Monika, gegen die energisch etwas getan werden muß. Wir werden dir helfen, doch du mußt guten Willen haben.«

Frau Reinus war nach der mit Tante Berta gehabten Unterhaltung sorgenvoller denn je. Sie fürchtete, daß die kraftvolle Schwägerin ihrer schwächlichen Tochter die nötige Sorgfalt nicht angedeihen lassen werde, daß Monika in Charlottenhof krank werden würde. Am liebsten hätte Frau Reinus noch in letzter Stunde die ganze Reise abgesagt. Das ging aber nicht mehr gut. Nun, für wenige Tage konnte sie mit Monika im Charlottenhof bleiben, um dann wieder heimzukehren oder in einen geschützten Gebirgsort zu fahren.

Drei Tage später erfolgte die Abreise. Da es windig war, mußte Monika den dickeren Mantel anziehen; Frau Reinus nahm zur Vorsicht noch ein Tuch über den Arm. Tante Berta schüttelte schweigend den Kopf dazu. Wie würde man das verzärtelte Stadtkind einpacken, wenn draußen auf dem flachen Lande der Sturm um das Haus fegte?

Monika war voller Erwartung. Sie kannte von kurzen Besuchen das kleine Gut genauer. Jetzt war beschlossen worden, daß sie bis zum Herbst dort verblieb. Sie sollte sich ein wenig nützlich machen. Viel würde es gewiß nicht werden, weil sie ihrer eigenen Kraft gar nichts zutraute.

An der Bahnstation wartete das offene Auto der Stolteschen Familie, das Onkel Gustav selbst steuerte. Frau Reinus war entsetzt. In einem offenen Auto ließ sie Monika niemals fahren. Sie fragte sogleich, ob es nicht möglich sei, den Wagen zu schließen, doch Onkel Gustav erklärte energisch, es sei heute ein so herrlicher Tag, da fahre man im offenen Wagen viel besser. Monika mußte es dulden, daß ihr die Mutter das wollne Tuch um den Kopf schlug. So hielt sie ihren Einzug in Charlottenhof.

»O weh, meine Base ist anscheinend sehr krank«, flüsterte Gerda ihrer Gefährtin zu, »schau nur, wie fest sie eingewickelt ist!«

»Da hätte sie mit der Reise noch ein Weilchen warten sollen.«

Dann erfolgte eine herzliche Begrüßung. Tonis braune Augen blitzten die Angekommene übermütig an. Sie war ein großes, kräftiges Mädchen, von der Sonne stark verbrannt. Die Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Grete Stolte war nicht ganz so groß wie Toni Aurin, auch schlanker. Trotzdem sah man ihr auf den ersten Blick an, daß sie frühzeitig zufassen gelernt hatte. Ihr Gesicht glich einem rotwangigen Apfel, die beiden dicken Zöpfe waren wie eine Krone um den Kopf geschlungen.

»Bist du krank, Monika?« forschte Grete, als sie sah, daß Monika von der Mutter die wenigen Stufen hinangeleitet wurde. »Du siehst sehr elend aus.«

»Nein, krank bin ich nicht.«

»Monika muß sich sogleich ein wenig hinlegen, um von der Reise auszuruhen«, sagte Frau Reinus. »Zum Mittagessen ist sie wieder frischer. – Komm, mein liebes Kind.«

»Ich werde Monika unser Zimmer zeigen«, sagte Grete, »wir beide schlafen zusammen.«

»Ihr beide schlaft zusammen? Ich hatte doch gebeten, bei meiner Tochter zu schlafen.«

»Das hat sich leider nicht einrichten lassen, Tante. Wir konnten nicht alles umdrehen. Monika wird bei mir auch gut schlafen.«

Für Frau Reinus gab es neue Aufregungen, als sie der Tochter Zimmer sah. Kein Unterbett auf der weichen Matratze, nur Decken, einfache Fenster, kein dicker Bettvorleger, sondern ein anscheinend aus Abfallstücken selbst gewebter. Derbe Handtücher, auch keine dunklen Vorhänge, kurzum, es dünkte Frau Reinus unmöglich, daß sich Monika hier wohlfühlen könnte. Sie beschloß, die Verwandten immer wieder zu bitten, nach und nach alles das abzuändern, damit der Tochter Gesundheit dadurch nicht beeinträchtigt werde.

»Bist du wirklich sehr müde?« fragte Grete, »ich wollte dir unseren Garten zeigen. Es ist eine Pracht, all die blühenden Blumen anzusehen. – Monika, mußt du dich wirklich hinlegen?«

»Ja, Grete, das muß ich tun.«

»Fühlst du dich so elend?«

»Die Reise war weit und anstrengend.«

»Vier Stunden mit der Eisenbahn«, lachte Grete, »da mußt du mal mit dem Leiterwagen gefahren sein, da wird man noch ganz anders geschüttelt. – Aber schlafe ruhig, dann bist du um so frischer.«

»Ist das ein Bleichgesicht«, lachte Toni, als Grete zu ihr zurückkam. »Glaubst du, daß sie jemals mit uns auf die Bäume steigt oder im Tümpel ein Bad nimmt?«

»Sie sieht nicht danach aus«, erwiderte Grete. »Die müssen wir erst ordentlich in die Schule nehmen. Krank ist sie nicht.«

»Die übliche Stadtkrankheit, die Sabine drüben gehabt hat. Der tat am zweiten Tage der Rücken weh, und als einmal eine Kuh auf sie zugelaufen kam, wurde sie fast ohnmächtig.«

Frohes Lachen klang von den Lippen der beiden Mädchen.

»Monika soll den Sommer über hierbleiben. Da haben wir genügend Zeit, aus ihr eine rechte Landpomeranze zu machen.«

Frau Reinus saß inzwischen am Bett ihrer Tochter. »Soll ich dir die Decke von Gretes Bett überlegen, mein Kind? Ist dir kalt?«

»Nein, Mama!«

»Wirst du hier schlafen können, ohne dunkle Vorhänge?«

»Ich will jetzt nicht schlafen, Mama, ich will nur ein wenig ruhen. – Schau die schönen Blumen in der Vase!«

»Die nehme ich hinüber in mein Zimmer, Kind. Im Schlafzimmer dürfen keine Blumen stehen.«

»Bitte, laß sie hier.«

»Nein, Monika, der starke Duft könnte dir schaden.«

Das junge Mädchen schloß die Augen. Das tat sie immer, wenn sie durch die Fürsorge der Mutter zu arg bedrückt wurde. Frau Reinus hing vor das Fenster das dicke Tuch, das sie für unterwegs mitgenommen hatte, um das Zimmer etwas mehr zu verdunkeln. Sie warf noch einen sorgenvollen Blick auf die Ruhende, um dann auf Zehenspitzen den Raum zu verlassen.

Sie hatte keine Gelegenheit, die Schwägerin allein zu sprechen. Frau Stolte stand in der Küche und richtete das Essen. In großen Schüsseln standen Erdbeeren und Stachelbeeren auf dem Tisch, die auf das Einkochen warteten. Das eine Mädchen war mit Gemüseputzen beschäftigt. So wagte Frau Reinus nicht, die Schwägerin um eine Unterredung zu bitten.

»Willst du dich auch hinlegen, Erika, oder willst du mir helfen?« fragte Frau Stolte die Schwägerin.

»Ich – ich – werde ein wenig in den Garten gehen.«

»So tue das. Grete und Toni sind wahrscheinlich draußen.«

Frau Reinus suchte die jungen Mädchen nicht auf; sie ging in eine der Lauben, ließ sich dort nieder und stützte sorgenvoll den Kopf in die Hand. Hier konnte sie unmöglich längere Zeit bleiben, hier wurde zu wenig Rücksicht auf die schwächliche Monika genommen. In acht Tagen würde sie wieder abreisen. Hoffentlich erkältete sich Monika bis dahin nicht, denn der Wind wehte hier ganz anders als in der Stadt.

Aus der Entfernung hörte sie frohes Lachen. Das waren Grete und Toni, die irgendwo Beeren pflückten. Leises Bedauern stieg in Frau Reinus auf. Wie glücklich wäre sie, wenn ihre Tochter diese Arbeit verrichten könnte. Leider war Monika dazu viel zu schwächlich, sie mußte vor jeder Anstrengung gehütet werden.

2
Fröhlicher Feierabend

An den Spargelbeeten stand Frau Stolte und beobachtete die beiden jungen Mädchen, die mit langen Messern den Spargel stachen. Bei ihrer Tochter fand sie nichts zu tadeln, denn Grete hatte die Arbeit schon öfters gemacht. Toni dagegen mußte immer wieder unterwiesen werden, bald stach sie zu tief, bald zu kurz. Das junge Mädchen verlor die fröhliche Laune nicht, die braunen Augen blitzten vor Lebenslust und manches Scherzwort kam von ihren Lippen. Schließlich glaubte Frau Stolte, daß weitere Anweisungen nicht mehr am Platze wären, sie ging davon, um nachzusehen, ob ihre Nichte noch immer nicht aus den Federn sei.

»Sag doch, Grete«, meinte Toni, »ist deine Base wirklich ernstlich krank oder ziert sie sich nur?«

»An allem ist Tante Erika schuld. Sie hat ständig Sorgen um Monika und fürchtet, sie könne auch noch ihr letztes Kind verlieren. Zwei Kinder sind ihr bereits gestorben, auch Onkel Kurt starb an einer Lungenentzündung. Nun hat sie natürlich übergroße Sorgen um ihre Einzige. Monika möchte mitunter ganz gern die übergroße Fürsorge abschütteln, leider geht das nicht.«

»Das würde mit heute also anders werden, Grete. Du sagtest mir, deine Tante Erika habe vom Gericht eine Mitteilung erhalten, sie müsse in Erbschaftssachen fortfahren.«

»Ja, nun jammert sie furchtbar, daß Monika ohne Aufsicht hierbleiben muß. Ich bin überzeugt, daß sie wieder am Bett ihres Wickelkindes sitzt und Ermahnungen gibt.«

»Fürchterlich! – Ich komme auch aus der Stadt und manches ist mir anfangs hier draußen komisch vorgekommen, aber so zimperlich bin ich nicht gewesen. Sie sollte sich mal die Sabine drüben beim Bauer Linke ansehen. Die kommt sogar aus der Großstadt und hat sich herrlich eingelebt.«

»Na, den Kühen geht sie immer noch hochachtungsvollst aus dem Wege.«

»Aber mit dem Rudel Kinder wird sie gut fertig. Sie wollte heute abend herüberkommen.«

»Fein«, sagte Grete und stach das Spargelmesser tief in den Erdboden, »Sabine weiß immer viel lustiges Zeug zu erzählen.«

Toni machte ein pfiffiges Gesicht. »Denkst du, ich weiß das nicht? Ich habe schon meinen Feldzugsplan entworfen. Der Monika werden wir von morgen an die Knochen ein wenig umdrehen und langsam aus dem Stadtkind ein tüchtiges Landmädel machen!«

»Das habe ich mir auch schon ausgedacht«, lachte Grete. »Heute nachmittag fährt Tante Erika mit den Wolltüchern heim und morgen geht es los!«

»Zieh ihr gleich früh um fünf Uhr die Bettdecke fort!«

»Wird gemacht!«

»Sie kann auch mit in den Morgensonnenschein. Dieses Bleichgesicht kann Erdbeeren mit uns pflücken …«

»Und bekommt Rheumatismus in die Hände, Hexenschuß in den Rücken, Blasen an die Füße und wunde Fingerchen. Plötzlich stellt sich das Nesselfieber ein und – rin ins Bett!«

»Nimm ihr morgen früh auch die seidenen Strümpfe fort. Sie kann, wie wir, mit nackten Beinen umherlaufen. Holzpantoffeln wird sie freilich niemals tragen, aber feine Strümpfe braucht sie nicht.«

Grete schlug der Arbeitskameradin derb mit der Hand auf die Schulter. »Wird alles gemacht! Den Schrank, in dem sie ihre feinen Strümpfe und Seidenkleider hat, knalle ich zu, und den Schlüssel – verliere ich. Dann kann sie ein Dirndlkleid von mir anziehen und die bloßen Füße in die Schuhe stecken.«

Toni lachte überlaut. »Die fettgemachte Stricknadel in deinem Dirndlkleid! Das wird wie auf einer Stange hängen. Meins paßt ihr auch nicht. So muß uns Sabine eins leihen, sie ist die dünnste.«

»Sie nimmt einfach eine Arbeitsschürze, die wickeln wir ihr über das Unterröckchen. Sei nur unbesorgt, ich werde morgen früh schon mit ihr fertig werden. Tante Erika ist dann weit!«

»Und wenn sie Schnupfen bekommt?«

»Bei dem heißen Wetter?«

»Sie ist doch aus Marzipan.«

»So vergeht der Schnupfen bald wieder. Ich habe keine Sorgen!«

Die beiden jungen Mädchen kicherten immer wieder, wenn sie an ihren Kriegsplan dachten.

»Die Hauptsache ist, daß wir aus dem Bleichgesicht einen rotwangigen Apfel machen. Meinst du nicht auch, Toni?«

»Freilich, meine ich das. – Der Sabine bekommt der Aufenthalt auf dem Lande auch vortrefflich, sie hat jetzt schon ’ne anständige Farbe und war anfangs auch so ein Nachtschatten.«

Währenddessen war Frau Stolte ins Haus gegangen, um nach Monika zu sehen. Sie fand die Nichte in Tränen. Am Fenster saß die Mutter und rang die Hände.

»Laß doch die dummen Dinger spotten, Monika. Die Hauptsache ist, daß du dich nicht erkältest. Ich erlaube dir ja, heute ein Kleid ohne Ärmel anzulegen. Wenn du dich aber im Garten niedersetzt, so nimm ein Kissen mit.«

»Darüber lachen sie auch, Mama.«