© 2019 Eckard Wulfmeyer

Pfoten-Pfad

Eckard Wulfmeyer

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Alle Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, von: Eckard Wulfmeyer

Titelbild: Sarah Wulfmeyer

Foto Seite →: Sarah Wulfmeyer

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-749-49398-2

Danke an all die fleißigen Helfer und Unterstützer, die

ihren Beitrag geleistet haben, für dieses Buch. Reinhold

Pannenberg und Angelika Gieck für das Lektorat und

Korrektur. Sarah Wulfmeyer für das Layout und das

Titelbild. Eva, Kirsten, Lisa, Malte, Sylvia und Susanne

für das Probelesen. All den Menschen, die uns auf dem

Pfoten-Pfad begegnet sind und ihren Teil zu diesem Buch

beigetragen haben.

Ihlienworth im August 2019

Eckard Wulfmeyer

Inhaltsverzeichnis

  1. Mein Hund und ich sind ein Rudel
  2. Vererbte Rudelstellung
  3. Man muss den Hund wegschicken, wenn er zum Kuscheln kommt …
  4. Du darfst einem Hund nicht direkt in die Augen schauen...
  5. Das Training, das auf der Basis von Motivation und Belohnung basiert, funktioniert nicht nur effektiver, schneller, nachhaltiger und besser als Strafe, sondern stärkt auch die Bindung zwischen Hund und Mensch.
  6. Lassen Sie sich nicht von dem Heer der Rechthaber und Schlaumeier verunsichern, die sich täglich neue Verwirrungsmodelle in der Hundeerziehung ausdenken. Ignorieren ist bei Wölfen seit 5 Millionen Jahren ein wichtiges „Erziehungsmittel“
  7. Der Hund darf nicht auf das Sofa oder in das Bett, denn erhöhte Positionen zeigen Dominanz an.
  8. Kommandos darf man nur einmal sagen, sie nutzen sich sonst ab.
  9. Wir müssen mal ausprobieren, welches Kommando dein Hund gerne hätte.
  10. Geschirr oder Halsband?
  11. Ich habe einen dominanten Hund.
  12. Quietschspielzeug hebt die Beißhemmung auf.
  13. Sozialisierungsphase und Prägungsphase: Was Hündchen dann nicht lernt, lernt Hund später nicht mehr.
  14. Wenn der Hund einem Menschen das Gesicht leckt, besteht die Gefahr, dass Krankheiten übertragen werden.
  15. Kotfresser - Wenn der Hund die Hinterlassenschaften anderer Tiere frisst
  16. Impfpflicht
  17. Wenn dein Hund nicht auf dich achtet, bist du zu langweilig.
  18. Rüden und läufige Hündinnen
  19. Trainieren statt dominieren
  20. Der Mensch geht immer zuerst durch die Tür.
  21. Ein Hund braucht ca. zwanzig Stunden Schlaf am Tag.
  22. Wenn ich jeden Tag mit meinem Hund Fahrrad fahre, dann will er immer mehr, und ich muss immer mehr Fahrrad fahren.
  23. Nordische Hunderassen sind ruhige Vertreter ihrer Art
  24. Zerrspiele machen aggressiv
  25. Hunde dürfen kein Schwein fressen. Weder Fleisch noch Knochen.
  26. Er hat nach drei Sekunden alles vergessen.
  27. Rohes Fleisch macht aggressiv.
  28. Ich brauche die Aufmerksamkeit meines Hundes, er soll mich anschauen.
  29. Trockenfutter ist gut für die Zähne, besser als Fleisch und Dosenfutter.
  30. Hunde müssen nach dem Fressen zwei Stunden schlafen.
  31. Der Hund lernt ortsbezogen
  32. Muss mein Hund auf jeden hören?
  33. Man muss etwas tausend Mal wiederholen, bis der Hund es zuverlässig ausführt.
  34. Intelligenzspielzeug
  35. Der Hund hat Stress!
  36. Hunde sind Egoisten oder: Der Hund ist dir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde.
  37. Mein Hund ist eifersüchtig
  38. Ich muss vor meinem Hund essen, um zu zeigen, dass ich der Chef bin.
  39. Zuerst wird immer der Mensch begrüßt, dann erst der Hund.
  40. Liegepositionen innerhalb der Wohnung, mit denen der Hund Kontrolle ausübt.
  41. Geflügelfleisch soll nicht an Hunde verfüttert werden, es macht Hunde nervös, weil Geflügel nervöse Tiere sind und sie diese innere Unruhe auf die Hunde übertragen.
  42. Der Magen und das Herz sind innere Organe.
  43. Barfen ist rohes Fleisch füttern.
  44. Die Raufergruppe.
  45. Grundsätzlich sollten keinem Hund – egal ob Welpe oder erwachsener Hund – bestimmte Dinge wie Decke, Spielzeug, Kauknochen, Sessel etc. „gehören“
  46. Tauschen!
  47. Trockenfutter quillt um das Dreifache auf, und der Hund muss bei Trockenfutter fünfmal so viel trinken.
  48. Schutzverträge/Adoptionsverträge von Tierschutzorganisationen
  49. Grundsätzlich gilt, dass man pro Lebensmonat des Hundes und pro Spaziergang ca. fünf Minuten unterwegs sein sollte.
  50. Der Hund tut nur etwas, wenn er was dafür bekommt.

Kaum eine Szene ist so überfrachtet mit willfährigen Meinungen, illustren Erklärungen, absurden Glaubenssätzen und so manchen an den Haaren herbeigezogenen Begründungen wie die Hundeszene. Und ich staune regelmäßig, wie es Hundetrainern gelingt, dass erwachsene Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und klar im Denken sind, Dinge tun, die hochgradig peinlich und zum Teil demütigend sind. Da spuckt man mit Käse oder Fleischwurst aus dem eigenen Mund nach dem Hund, schmiert sich das Gesicht mit Leberwurst ein oder veranstaltet ein Tauziehen mit dem Hund, indem man beim Spazierengehen abrupt stehen bleibt. Man hält sich Käse vor die Stirn und stößt dabei piepsende Geräusche aus. Man lobt den Hund in höchsten Tönen, obwohl er den gröbsten Unfug gemacht hat. Man quietscht mit der Stimme und springt in die Luft, dass es den anwesenden Kindern schon peinlich ist. Man läuft bei Leinenführung hin und her, so dass der Hund schon denken muss, sein Mensch sei jetzt völlig orientierungslos und brauche Hilfe. Man stellt seinen eigenen Teller mit Essen auf den Boden und isst dann auch vom Boden. Man wirft sich zum Gassigehen in Arbeitskleidung und bestückt sich wie ein Handwerker auf Hochmontage mit Werkzeugen und Hilfsmitteln, als wäre der Hund ein Bauprojekt. Da wird Hundefutter vom Menschen vor den Augen des Hundes gegessen, um ihm zu zeigen, wie gut es schmeckt. Aus sonst entspannt lebenden Menschen werden angespannte Nervenbündel gemacht, die nur noch den Hund im geistigen und optischen Fokus haben. Man bedankt sich sogar beim Hund, wenn er nach langem Bellen endlich still ist. Es gibt Menschen, die ihren schweren, aber kerngesunden Hund wie ein Krankenpfleger ins Auto wuchten – und das mit Rückenschmerzen.

Es gibt noch viele weitere Beispiele, die erwähnenswert wären. Ich bin mir ganz sicher, dass sich in so mancher Hundeschule die Hundetrainer nach dem Unterricht den Bauch halten vor Lachen und sich gar nicht wieder einkriegen können, weil sie wieder die Menschen dressiert haben, freiwillig ihre Selbstachtung aufzugeben, um lustige und peinliche Dinge vorzuführen wie ein Zirkusclown mit einem dressierten Hund.

Was wohl die Leute aus den vergangenen Jahrhunderten dächten, wenn sie sehen könnten, welchen Aufwand die heutigen Menschen treiben, nur damit ihre Hunde so einfache Kommandos wie „Sitz“ oder „Komm“ ausführen.

In diesem Buch betrachte ich so manches Dogma der Hundeszene aus einem anderen Blickwinkel, so manche Weisheit mit einem humorvollen Augenzwinkern. Mein Anspruch ist nicht, dass ich mit allem immer richtig liege. Doch denke ich, dass es nicht schaden wird, wenn jeder Hundehalter die Dogmen und Weisheiten der Hundeszene selbst hinterfragt. Und dazu ist nicht viel notwendig: Nur der eigene Verstand, gekoppelt mit der eigenen Lebenserfahrung. Von Immanuel Kant stammt die berühmte Definition des aufgeklärten Individuums als eines, das ‚wagt zu wissen‘ und das ohne ‚selbst verschuldete Unmündigkeit‘ den Mut besitzt, sich des eigenen Wissens ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.

Ich will niemanden belehren, noch weniger bekehren, doch vielleicht regt es den einen oder anderen an, so manche Aussage über unsere geliebten Vierbeiner einmal neu zu überdenken.

Die Menschen kommen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland zu uns auf den Pfoten-Pfad. Und sie staunen, wenn wir ihnen zu Beginn sagen, dass sie am besten alles, was sie über Hunde gehört haben, vergessen sollen. Unsere Kunden nehmen dies immer sehr positiv auf, sie sind erleichtert. Können sie sich doch von vielen Fesseln befreien, die ihnen die lokalen Hundetrainer angelegt haben. Und sie staunen am Ende, wie einfach das Zusammenleben mit einem Hund sein kann.

Man hört von so manchem Hundetrainer und Kynologen, wie viel und wie oft sie sich weiterbilden, wo sie überall auf Seminaren und Fortbildungen waren und dass sie nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten. Äußert man Zweifel oder beginnt, die aufgestellten Thesen der Hundefachleute zu hinterfragen, wird dann leider doch immer wieder schnell deutlich, dass es oft nicht sehr weit her ist – weder mit der wissenschaftlichen Basis, noch mit der entsprechenden Weitsicht. Hier ist dann die Wahrheit oft nur das, was in die eigene Wahrnehmung, Annahme oder Wunschwelt passt. Wenn sachliche Argumente durch Gefühle unterdrückt oder gar abgewürgt werden, ist an eine offene Diskussion nicht mehr zu denken.

Insofern ist es verständlich und nicht verwunderlich, dass so viele Menschen teilweise erbärmlich einfältigen Erziehungsmethoden anhängen. Mit Wissen, Herz und Verstand ließe sich das leicht überprüfen, eine offene Weltsicht vorausgesetzt. Daran lässt sich deutlich sehen, wohin uns Populismus führt: direkt ins Mittelalter, wo Annahme und Glauben die Weltwahrnehmung dominierten. Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton hat dazu gesagt: „Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an nichts, sie glauben allen möglichen Unsinn.“

Grob vereinfacht ist Wissenschaft folgendes: Man stellt eine Theorie auf und macht sich dann daran, diese zu beweisen. Beispiel: Ich sitze im Wohnzimmer, höre ein Geräusch in der Küche und sage: „Mein Hund frisst dort etwas vom Tisch!“ Dann gehe ich in die Küche, um meine Aussage zu überprüfen. Und schon betreibe ich eine Vorform der Wissenschaft. Wenn ich hingegen sage: „Mein Hund frisst etwas in der Küche vom Tisch!“, und sehe nicht nach, weil ich nur glaube, dass er das tut, dann ist das die Vorstufe zur Religion. Hier trifft die alte Weisheit zu: Glauben ist nicht wissen!

Glaube ist also nichts anderes, als eine Annahme die nicht überprüft wird.

Um es gleich vorwegzunehmen: ich bin weder Hundetrainer noch Hundefachmann, Kynologe oder ähnliches! Und ganz ehrlich: Ich möchte es auch gar nicht mehr sein. Ich war es einige Jahre lang, bevor ich mich auf das Mentalcoaching für Hundehalter spezialisierte. Etwas, das mir viel mehr liegt, als Hunde oder deren Halter auszubilden.

Ich bin mir sogar sicher, dass sehr viele Hundetrainer die Tiere ganz toll und wunderbar ausbilden und sicherlich oftmals besser, als ich es könnte. Doch fehlt es ihnen zumeist an Wissen über die Kernpunkte, die über die Ausbildung von Hunden hinausgehen. Respekt und Vertrauen kann man nicht ausbilden oder trainieren, beides muss man sich erarbeiten, muss man sich verdienen. Eine typische Aussage solcher Hundehalter: „Zu Hause hört er so gut, da klappt alles, da ist er ganz lieb, aber sobald wir draußen sind, klappt nicht mehr viel.“ Damit ist der Beweis erbracht, dass der Vierbeiner gut trainiert und erzogen ist und dass er weiß, was er zu tun hat, denn zu Hause klappt ja alles. Aber das ist auch der Beweis dafür, dass er sich andererseits gegen die Anweisungen entscheidet, auch wenn es eigentlich wichtig wäre zu gehorchen.

Einem solchen Hund muss man nichts mehr beibringen, er kann alles, er ist wunderbar trainiert und erzogen. Hier muss man nach dem Grund suchen, warum er sich gegen die Anweisungen des Menschen entscheidet. Denn was nützt es mir, dass mein Hund gut trainiert ist und eigentlich ganz toll, brav und ruhig an meiner Seite gehen kann, aber er tut es nicht und zieht stattdessen wie eine Wünschelrute von links nach rechts und hin und her? In einem solchen Fall entscheidet er sich gegen meine Anweisung und damit gegen mich. Oder der Hund möchte gegen meinen Willen lieber zu dem Artgenossen auf der anderen Straßenseite laufen statt neben mir zu gehen, wobei es ihn auch nicht sonderlich interessiert, dass ich am anderen Ende der Leine hänge. Diesen fehlenden Respekt kann man nicht trainieren. Oder er lässt sich aus dem Spiel mit anderen Hunden nicht abrufen, was sonst eigentlich jedes Mal klappt. Damit ist der Beweis erbracht, dass er sehr wohl weiß, was er beim Rückruf zu tun hat und dass er trotzdem beim Spiel mit anderen Hunden oder beim Jagen offensichtlich lieber seine eigenen Interessen verfolgt, statt zu unserem gemeinsamen Wohle zu handeln und zurückzukommen.

Aber was mache ich als Mentalcoach für Hundehalter? Ich helfe den Menschen, die Beziehung zu ihrem Hund zu analysieren. Ich unterstütze sie dabei, die Kraft und die Stärke, die zweifellos in ihnen steckt, zu finden, zu aktivieren und für sich zum Wohle aller zu nutzen. Ich bin ihnen dabei behilflich, sich durchzusetzen und auch Nein zu sagen, wenn es angebracht ist. Ich helfe ihnen, sich den Respekt und das Vertrauen ihres Hundes zu erarbeiten und zu verdienen. Ich bringe ihnen bei, die starken Emotionen aus schlechten Erfahrungen zu überwinden und daraus positive Emotionen für die Zukunft zu schaffen, sodass gemeinsame Hundeausflüge zukünftig die gewünschte Entspannung bieten.

1. MEIN HUND UND ICH SIND EIN RUDEL

Ähm, nein! Das seid ihr nicht. Leider ist der Begriff Rudel in der Vorstellung vieler Menschen eine streng hierarchisch strukturierte soziale Gruppe mit nach Unterwerfung strebenden „Alphatieren“. Und jetzt fange ich einfach mal mit dem wissenschaftlichen „Klugscheißer“-Modus an und erkläre, warum ihr das nicht seid und nicht sein werdet.

Es gibt wohl neben dem Wort Dominanz kaum eines, das in der Hundeszene so inflationär und so oft falsch verwendet wird wie das Wort Rudel. Rudel ist ein Begriff mit hoher Bedeutung, so wie das Wort Familie, bei dem es sich sehr ähnlich verhält. Und mit den Bezeichnungen Rudel, wie auch Dominanz, werden meist falsche Zusammenhänge und Ableitungen konstruiert, auf die wir in diesem Buch noch zu sprechen kommen. Es ergeben sich mit diesen Begriffen falsche Überlegungen im Kopf des Menschen. Diese sehen zwei oder mehr Hunde und denken, es sei ein Rudel. Oder eine Familie nimmt einen Hund zu sich ins Haus und denkt jetzt, sie sei ein Rudel. Dabei gibt es eine klare Definition für das Rudel:

Ein Rudel ist ein Familienverband! Und das beinhaltet Eltern, Kinder, Geschwister, Tanten, Cousinen und deren Nachkommen. Oder wie Günther Bloch es beschreibt: „Soziale Familienverbände mit echten verwandtschaftlichen Beziehungen. Es sind bemerkenswert kooperative und sozial strukturierte Gruppen mit formal dominanten Elterntieren und deren Nachwuchs aus 2-3 Jahren.“ Solche Rudel kommen in Deutschland kaum noch vor. Wenn, dann meistens bei Züchtern, die nur Eltern und Nachkommen haben, bei Mushern, die sich ihre Zughunde selbst heranziehen oder bei Schäfern, die sich ihre Hütehunde selbst nachziehen.

Da ein Hund in der Regel gekauft und nicht hineingeboren wird, ist eine Menschenfamilie mit Hund eben kein Rudel. So einfach ist das im Grunde. Aber was bist du mit deinem Hund denn dann, wenn ihr kein Rudel seid? Ihr seid eine Meute! Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nicht miteinander verwandte Hunde, die in einer Gemeinschaft leben, nennt man Meute. Das gilt ebenso für artverschiedene Gemeinschaften. Bestimmt hast du schon mal im Fernsehen gesehen, wie man früher in England hoch zu Ross in roten und schwarzen Mänteln und weißen Hosen gejagt hat. Da war immer eine große Anzahl an Beagles dabei, die den Fuchs suchen mussten. Diese Beagles bildeten eine Hundemeute. In Deutschland nahm man früher für diese Art von Jagd übrigens Pudel, und auch dabei handelte es sich um eine Meute. So, wie du mit deinem Hund, der Nachbar, oder der Polizeibeamte.

Das gilt auch für die Hunde in Hundepensionen. Diese werben aktuell gerne mit dem Wort „Rudelhaltung“. Das ist schlichtweg falsch, hört sich aber gut an. Und in Zeiten alternativer Fakten nehmen es viele eben nicht mehr so genau, sondern entscheiden sich lieber für das, was sich besser anhört.

Was ist der genaue Unterschied zwischen einem Rudel und einer Meute? In einem Rudel gibt es ein festes Sozialgefüge. Dieses Gefüge hat diese Tiere von Natur aus in der Evolution so erfolgreich gemacht. Es gibt von den Eltern ausgehend eine Struktur, die versorgt, beschützt und lehrt. Die Älteren bringen den Jüngeren alles bei, was diese zum Überleben brauchen. Bei den Jüngeren herrscht von Anfang an ein Respektgefüge gegenüber den Älteren vor, das nicht einmal im Ansatz in Frage gestellt wird. Sie werden dort quasi hineingeboren. „Die Erfahrung der Erfahrenen achten“, nannte Eberhard Trummler dieses System. Ein Rudel wird von einem erfahrenen Althund geführt, meist einer Hündin. Dann folgen zumeist in der Hierarchie die Nachkommen, vom ältesten bis zum jüngsten. Und wenn du, lieber Leser, all dies nun gerade auf dich und deinen Hund beziehst, denke daran: Ihr seid kein Rudel!

In einer Meute fehlt dieses feste, gewachsene soziale Gefüge. Hier kommen fremde Menschen und Hunde zusammen, die sich einfach vertragen müssen. Sie haben keine Wahl. Nur in Ausnahmen bildet sich ein gefestigtes soziales Gefüge heraus. Dies ist der riesengroße Unterschied zu einem Rudel, und daraus resultiert ein anderer Umgang der Hunde untereinander.

Das betrifft auch Menschen, die Teil einer Meute sein wollen. In einer Meute mit mehreren Hunden darf ich es als Mensch nicht zulassen, dass sich ein „Hunde-Chef“ herausbildet, sondern alle müssen auf gleicher Ebene stehen. Wenn hier einer Chef werden will, muss er sich diese Stellung in der Regel „erstreiten“. Dies kann unter Hunden eventuell zu Beißereien führen. Die anderen Hunde stellen diesen Chef ständig oder in gewissen Abständen oder Gelegenheiten in Frage, was wiederum Streit und eventuell Beißereien mit der Gefahr von Verletzungen nach sich zieht.

Das gilt ebenso, wenn ein Mensch Chef dieser Meute sein will. Auch er wird immer wieder in Frage gestellt. Das kann funktionieren, wenn es einmal ausgefochten und zwischen den Beteiligten dann geklärt ist. Dies kann sich aber jederzeit wieder ändern. Im Familienverband eines Rudels ist dies durch das Sozialgefüge geregelt. In einer Meute ist das die Aufgabe des Besitzers, denn er muss nun die Stellung des Althundes in einem Familienverband erreichen. Er muss sich den Respekt eines jeden einzelnen Hundes erarbeiten und verdienen. Den bekommt er nicht geschenkt oder per Paketdienst geliefert.

Diesen Respekt verdient er sich durch die Haltung und den Umgang mit allen Beteiligten. Er übernimmt die Aufgaben des erfahrenen Althundes, und das heißt: Er beschützt seinen Hund, erfüllt seine Bedürfnisse, wie Futter, soziale Kontakte (damit sind nicht nur die Hunde gemeint, sondern auch der Mensch) und Bewegung. Er bildet ihn aus, bringt ihm alles bei, was er braucht und geht konsequent und gerecht mit ihm um. Damit hat der Besitzer also eine ganz andere Aufgabe, als den Chef zu spielen. Nichts ist somit unsinniger als die Aussage: Hunde klären das unter sich. Das ist und bleibt meine Aufgabe als Halter und Besitzer, denn Hunde klären gar nichts unter sich. Jede Beißerei oder Streiterei mit anderen Hunden zerstört dieses mühsam aufgebaute Vertrauen und den Respekt dem Menschen gegenüber.

Nur so bekommt Lisa ihre vierzehn Hunde unter Kontrolle.

„Was? Vierzehn Hunde?“, magst du nun denken, lieber Leser, „vierzehn Hunde?“ Ja, Lisa hat neben ihrer Meute von vier Hunden noch ein Rudel von Alaskan Huskys. Diese leben draußen am Haus in einem großen Gehege mit angeschlossener Scheune. Mit diesen Huskys fährt sie in einem Gespann vor einem Trainingswagen. Es ist ein echtes Rudel, also ein Familienverband von Eltern, Geschwistern und Nachkommen. Ich habe das Glück, dass ich an diesem Rudel teilhaben darf, eine wunderbare Erfahrung. Nicht zu vergleichen mit unseren Meutehunden. An diesem Rudel konnten wir nach Belieben, Lust und Laune Langzeit-Verhaltensstudien durchführen. So ist in einem Rudel die Kommunikation viel feiner und weniger missverständlich, der Umgang viel klarer, eindeutiger und respektvoller sowie das Miteinander deutlich harmonischer und liebevoller, als in einer Mensch-Hund-Meute.

Wir sind beide bei jeder Begegnung Gast in diesem Rudel, mehr nicht. Wenn wir zu den Huskys in das Gehege gehen, dann dürfen diese Hunde uns zum Beispiel anspringen. Das würden wir bei unseren „Meuten“ nicht dulden, aber im Rudel sind wir eben nur Gast und akzeptieren ihre Regeln. So respektieren wir auch die Individualdistanz der Huskys, wenn sie es wünschen oder dass sie uns anknurren, wenn sie ein Stück Fleisch im Maul haben. Dies ändert sich, sobald wir etwas von den Huskys wollen. Wenn wir sie zum Beispiel vor den Wagen spannen, sie auf ihren Gesundheitszustand hin untersuchen oder während der Fahrt Richtung und Geschwindigkeit vorgeben. Dann bilden wir mit dem Rudel eine Meute. Und all das, was weiter oben beschrieben wurde, kommt dann zum Tragen.

Wir bestimmen, ob es an der nächsten Kreuzung rechts oder links weitergeht, und wir setzen uns durch. Im Gegensatz zu einer Meute, wo wir uns bei jedem Hund einzeln durchsetzen müssen, brauchen wir das bei dem Rudel nur bei dem Leittier zu tun. In diesem konkreten Fall ist die Hündin Indy das Leittier. Wenn sie die von uns gewünschte Richtung einschlägt, folgt der Rest des Rudels automatisch. Natürlich bekommen alle mit, dass Indy unseren Anweisungen folgt, dass wir uns, falls erforderlich bei ihr durchsetzen und dass sie in die Richtung geht, die wir wünschen. Dieses Durchsetzen verschafft uns den erforderlichen Respekt des Rudels. Dennoch sind wir weiterhin gemeinsam nur eine Meute und Gast in dem Rudel.

Sie erkennen ebenfalls, wie auch die Leithündin Indy, dass das Befolgen unserer Anweisungen für sie enorme Vorteile hat, denn wir führen sie sicher durch das Gelände. Das schafft Vertrauen, das wir bei allen Hunden des Rudels genießen und das so weit geht, dass wir das Gespann durch fließenden Straßenverkehr führen können. Man bedenke, dass die vordersten Hunde, die sogenannten „Leaddogs“, ungefähr sieben bis acht Meter vor unserem Wagen laufen. Stell dir einfach mal vor, du hättest deinen Hund an einer sieben Meter langen Schleppleine, die gespannt ist, und steuerst ihn dann durch einen Wald oder eine Stadt, wobei er nur auf der rechten Seite des Weges oder des Bürgersteiges bleiben darf. Er soll nicht stehenbleiben, nicht schnüffeln und nur im Laufen pinkeln. Er hat Wild und Fährten aller Art zu ignorieren, ebenso entgegenkommende Hunde, Jogger, Fahrradfahrer, Autos und so weiter. So langsam wird dir klar, lieber Leser, was das bedeutet, welche Herausforderung es darstellt?

Wir sind in der Lage, das Husky-Gespann sicher auf einem engen Weg durch eine feuchtfröhliche Grünkohlwanderung mit über 50 Teilnehmern zu führen. Die Gruppe könnte mit lauter Musik, Kindern auf Dreirädern oder Erwachsenen unterwegs sein, die vor die Hunde stolpern, weil sie wegen des Alkohols bereits weitestgehend die Kontrolle über ihre Körperkoordination verloren haben.

Wir fahren mit unseren Hunden beispielsweise zum Tierarzt, und sie lassen sich in unserer Gegenwart problemlos untersuchen und sogar an schmerzenden Verletzungen abtasten, ohne Einsatz von Sedativa, Maulkorb oder dergleichen, einfach nur, weil sie uns vertrauen.

Wir können mit ihnen durch ein Naturschutzgebiet fahren, zwischen hunderten von überwinternden Gänsen links und rechts hindurch, ohne dass sie beginnen, diese zu jagen. Und das ist auch deshalb gut, weil so allen Beteiligten eine große Verletzungsgefahr erspart bleibt. Brut- und Setzzeit? Egal, alle sind an der Leine, haben entsprechenden Auslauf und die Auslastung, die sie benötigen. Und Spaß haben wir alle zusammen, sogar großen Spaß.

Auf dieses Rudel werde ich noch das eine oder andere Mal zu sprechen kommen. Und womöglich wirst du überrascht sein, was du lesen wirst.

2. VERERBTE RUDELSTELLUNG

Das ist ein Trend, der in den letzten Jahren in die Hundeszene geschwappt ist. Dieser Trend hat die Hundeszene im Grunde genommen in drei Lager geteilt. Zum einen diejenigen, die noch nie zuvor etwas davon gehört haben, dann diejenigen, die diese Theorie verfechten und als drittes Lager die entsprechenden Gegner. Und an dieser Stelle oute ich mich schon jetzt als Gegner dieser Theorie. Anhänger und Verfechter gehen davon aus, dass es eine vererbte und damit genetisch definierte und festgelegte Rudelstellung in jedem Hund gibt. Es soll also schon von Geburt an festgelegt sein, ob ein Hund ein Leittier ist, ein Bindehund, ein Meldehund oder was auch immer. Je nach Ausführungen der Befürworter dieser Theorie gibt es eben auch entsprechende verschiedene Begrifflichkeiten für die einzelnen Positionen im Rudel. Selbst die Definitionen der einzelnen Positionen variieren je nach Initiator wie auch die Erklärungen des Zustandekommens.

Die Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich keiner Diskussion über Hunde aus dem Weg gehe, denn nur durch kontroversen Austausch können mein Gegenüber und ich profitieren. Und wenn ich mit den Anhängern der Theorie der vererbten Rudelstellung diskutiere, dauert es nicht allzu lange bis wir an den Punkt kommen, an dem mir gesagt wird: „Du musst mal bei diesen oder jenen einen Kurs besuchen!“ Ich unterstelle jetzt mal nicht, dass das eine betriebswirtschaftliche Geschäftsidee ist, um diese doch sehr teuren Seminare zu verkaufen, auch wenn dieser Eindruck bei mir immer wieder erweckt wird.

Ich würde es für eine Dummheit der Natur halten, wenn die Stellung in einem Rudel bereits von Geburt an festgelegt ist. In einem gewissen Grad ist die Zusammensetzung einer DNS von Zufällen abhängig wie beispielsweise, wer sich mit wem paart. Und davon ist eben auch das Ergebnis abhängig. So könnte und müsste es dann so sein, dass es Verpaarungen gibt, bei denen besonders viele Leittiere herauskommen. Wie es auch Verpaarungen zwischen Hunden mit verschieden langem Fell gibt, bei denen es mal mehr Welpen mit langem Fell gibt und mal welche mit kurzem. Das kann natürlich nicht sein, und so etwas würde wohl von der Evolution sehr schnell ausgemerzt werden.

In einem Rudel kann sich durch verschiedene Faktoren, hauptsächlich durch Verlust einzelner Tiere wie Abwanderung, Krankheit oder Unfall, die Rudelstruktur ändern. Und dann wäre es ja geradezu fatal, wenn etwa das Leittier stirbt und alle anderen Mitglieder des Rudels aufgrund ihrer genetischen Fixierung nicht in der Lage sind, diese Stellung auszufüllen. Vielleicht liege ich mit meinen Gedanken falsch, ich weiß es wirklich nicht, aber die Verfechter der Rudelstellungtheorie konnten mir bis heute keine plausible Erklärung liefern – außer eben den Hinweis, dass ich doch entsprechende Workshops und Seminare besuchen sollte.

Aber werfen wir doch einen Blick in das Huskyrudel. Hier sind die Aufgabenstellungen nach unseren Beobachtungen fließend und können sich situativ verändern. Als die eigentliche Leithündin Indy ihre Welpen großzog, war sie im Rudel entsprechend weniger präsent. Sie konnte nicht mehr alle ihre Aufgaben so wahrnehmen wie zuvor oder wie nach der Welpenzeit. Und in der Zeit, als Indy ihre Welpen aufzog, übernahmen dann andere Mitglieder des Rudels ihre Aufgaben. Unseren Beobachtungen zufolge dauerte es auch Monate, bis die einzelnen Welpen ihren Platz und ihre Stellung in dem Rudel gefunden hatten. Bis dahin variierte dies zum Teil immer wieder.

Wenn die Huskys im Gespann vor dem Trainingswagen laufen, so hat auch dort jeder seinen Platz. Doch gibt es manchmal Situationen, in denen wir diese ansonsten fest vergebenen Plätze im Gespann durchtauschen. Wenn wir beispielsweise feststellen, dass Indy, die in der Regel das Gespann anführt, einen schlechten Tag hat, weil sie womöglich unkonzentriert ist, kann es durchaus vorkommen, dass wir dann Edge oder Magic als führenden Husky einsetzen. An diesen Tagen sind die dann sozusagen einfach besser drauf, sind konzentrierter, und können dadurch das Gespann besser anführen. Und unsere Erfahrungen bestätigen, dass es die gleichen Vorgehensweisen in dem Rudel untereinander gibt, abhängig davon, wer was am besten kann und vor allem davon, wer welche Rolle im Rudel jetzt am besten ausfüllen kann.

Mir ist bislang kein wissenschaftlicher Beweis bekannt, der die genetisch fixierte oder auch vererbte Stellung im Rudel belegt. Dieser Theorie stehen jedoch die Erkenntnisse vieler Verhaltensforscher entgegen, die sich mit den Wahrnehmungen an unserem Huskyrudel decken.

Aber das Ganze soll dich nur am Rande interessieren, denn du bist mit deinem Hund kein Rudel.

3. MAN MUSS DEN HUND WEGSCHICKEN, WENN ER ZUM
KUSCHELN KOMMT …

…schließlich darf der Hund nicht Handlungen des Menschen bestimmen. Er zeigt mir sonst, dass er der Chef ist und wer das Sagen hat. Wie auch beim Spiel darf er nicht bestimmen, wann was initiiert wird. Zudem ist das Kuscheln und die damit verbundene Aufmerksamkeit eine wichtige Ressource, genauso wie das Futter. Und über die Verteilung darf nur der Mensch bestimmen, nicht der Hund.

Soweit die Aussagen und Begründungen zu dieser Weisheit. Und nun, lieber Leser, wie fühlt sich das für dich an? Du sitzt gerade bequem, unterhältst dich vielleicht mit jemandem oder schreibst ihm Nachrichten, Musik läuft leise im Hintergrund. Der Kaffee oder Tee steht auf dem Tisch, der Duft steigt in deine Nase und die Hausarbeit kann warten. Entspannung macht sich breit. Nun kommt dein geliebter Hund und stupst an deine Hand. Ist das nicht schön? Er möchte gestreichelt werden, war er doch den Vormittag über alleine, weil du arbeiten warst. Und nun sollst du ihn wegschicken? Kannst du das? Willst du das? Das kann doch nicht richtig sein, oder doch? Wie fühlt sich das für dich an?

Darauf eine wissenschaftliche Antwort zu finden erweist sich als sehr schwierig. Ich habe keine bewiesene Untersuchung gefunden. Ich habe Annahmen gefunden, genauso wie Glaubenssätze und Gedankenmuster, aber keinen Nachweis. Auch nicht in dem Zusammenhang, wie es sich unter Hunden verhält. Mein Gefühl jedoch sagt mir, dass es nicht falsch sein kann, wenn der Hund zu mir kommt, gestreichelt und gekuschelt werden möchte und ich es in dem Moment genauso wünsche wie er. Abends, nach getaner Arbeit und dem Abendessen, auf dem Sofa sitzen, ein Buch lesen und neben mir ein Hund, den ich so ganz nebenbei kraule. Was kann daran verkehrt sein? Mein Gefühl sagt mir: Nichts! Was sagt dir dein Gefühl? Und wenn in dieser beschriebenen Situation mein Hund zu mir kommt und Zuwendung einfordert, so gebe ich ihm die Streicheleinheiten gerne, macht es doch auch mir in dem Moment Spaß, habe doch auch ich dadurch ein gutes Gefühl.

Manchmal gibt es aber auch Situationen, da passt es einfach nicht. Wie zum Beispiel gerade eben, als meine kleine Islandhündin Elin zu mir kam und gestreichelt werden wollte. Ich schickte sie weg, da ich gerade genau diese Zeilen verfasste und in die Tastatur tippte. Es gibt eben manche Situationen, in denen ich dem Wunsch meiner Hunde nach körperlicher Aufmerksamkeit nicht nachgeben kann oder will, und dann ist das eben so. Und dann wiederum gibt es Situationen, in denen es wunderbar passt.

Meine Beobachtungen an dem Huskyrudel sind dementsprechend: Mal wird Kontaktliegen geduldet, mal nicht, je nachdem, wie es die Situation hergibt. Wenn alle entspannt herumliegen, sind Kontaktliegen, auch gemeinsames Kuscheln und gegenseitige Fellpflege, kein Problem und werden gerne gesehen. Entsteht jedoch Aufregung oder gar Hektik im Rudel, weil sich beispielsweise ein fremder Hund dem Gehege nähert, dann wird auch in diesen Momenten jeder Versuch des Kuschelns ignoriert oder gar sanktioniert.

Das gilt auch dann, wenn Welpen oder Junghunde in dem Rudel sind. Auch diese lernen, dass sie die Aufmerksamkeit durch Spiel oder körperlichen Kontakt nur dann bekommen, wenn es die Lage zulässt und alle es wollen. Ansonsten wird verwarnt oder entsprechend geknurrt. Es wird unmissverständlich klar gemacht: Jetzt nicht!