Für

Irene, Dominik und Jörg

Thies Claussen

Unsere Zukunft

Wie leben wir 2050?

© 2017 Thies Claussen

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Umschlagsfoto: Pixabay

Autorenfoto: Andreas Pohlmann

ISBN

Paperback 978-3-7345-9828-9
Hardcover 978-3-7345-9829-6
e-Book 978-3-7345-9830-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Unsere Zukunft – Wie leben wir 2050?

Vorwort

1. Das neue Altern

2. Arbeitswelt

3. Haushalt und Wohnen

4. Verkehr

5. Technologie

6. Digitalisierung und Industrie 4.0

7. Klima und Energie

8. Medizin und Gesundheit

9. Freizeit und Urlaub

10. Bildung

11. Medienwelt und Internet

12. Wertewandel

Literaturverzeichnis

Vorwort

Unsere Vergangenheit kennen wir Deutschen mehr oder weniger gut. Ob schillernde Persönlichkeiten wie Friedrich der Große, Otto von Bismarck oder Kaiser Wilhelm II., die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs, der Wiederaufbau mit dem Wirtschaftswunder unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, die 68er-Bewegung bis zur jüngsten Vergangenheit mit der deutschen Wiedervereinigung: Das alles ist Geschichte, die uns Deutsche geprägt hat.

Heute leben wir in Deutschland im Herzen Europas eingebunden in die Welt mit ihren Anforderungen an jeden Einzelnen, an unsere Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Technologie, Wissenschaft und Politik.

Wie aber sieht unsere Zukunft aus? Wie leben wir in Deutschland im Jahr 2050? Welche Anforderungen stellt uns unsere zukünftige Arbeit? Von welcher Lebenserwartung können wir ausgehen? Welche Entwicklungen zeichnen sich in den Bereichen Verkehr, Technologie oder Digitalisierung ab? Ermöglicht uns der medizinische Fortschritt ein gesundes Altern? Wie gehen wir künftig mit unserer Freizeit um? Welchen Herausforderungen muss sich unser Bildungssystem in Zukunft stellen? Sind die künftige Medienwelt und das Internet eher Hilfe oder Belastung? Welche Werte sind für uns wichtig?

Diese und viele andere Fragen stellen sich uns für die nächsten Jahrzehnte, die vor uns liegen. Keiner kann die Zukunft exakt vorhersagen. Aber viele Trends und Megatrends zeichnen sich ab.

Dieses Buch will zu wichtigen Themen, die unsere Zukunft betreffen, Informationen, Antworten und Anregungen geben.

Der Autor stützt sich dabei auf die Arbeiten anerkannter Zukunftsforscher wie Horst W. Opaschowski, Reinhold Popp, Ulrich Reinhardt, Ulrich Eberl oder Matthias Horx, auf aktuelle Studien von Stiftungen und Instituten und auf Untersuchungen und Berichte der Bundesregierung und anderer öffentlicher Einrichtungen, Verbände und Organisationen. Die verwendeten Quellen werden im Literaturverzeichnis genannt.

Das Buch versucht, das äußerst komplexe Thema „Unsere Zukunft“ auf wichtige Schwerpunkte zu fokussieren und übersichtlich und verständlich darzustellen.

Krailling/München, März 2017 Thies Claussen

1. Das neue Altern

 

Die Französin Jeanne Calment starb 1997 im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen. Als Kind hatte sie in der Provence noch den Maler Vincent van Gogh getroffen. Jeanne Calment ist der älteste Mensch, dessen Lebensalter zweifelsfrei gesichert ist. Doch inzwischen werden die über 100-Jährigen immer zahlreicher – mit 105 Jahren spielte Johannes Heesters noch im Theaterstück „Jedermann“ die Rolle von Gott. Im Jahr 2050 werden Menschen mit einem solch biblischen Alter nichts Besonderes mehr sein.

Die Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter an: Sie beträgt nach aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamtes für neugeborene Jungen 78 Jahre und 2 Monate, für neugeborene Mädchen 83 Jahre und 1 Monat. Damit hat sich die Lebenserwartung Neugeborener allein in den letzten zehn Jahren bei Jungen um 2 Jahre und 3 Monate, bei Mädchen um 1 Jahr und 6 Monate erhöht.

Dieser Trend geht noch weiter: Das Statistische Bundesamt schätzt, dass – wenn keine Sonderentwicklungen und unvorhergesehene Ereignisse wie Kriege, Krisen oder Umweltkatastrophen eintreten – die Lebenserwartung von Jungen, die im Jahr 2060 geboren werden, auf fast 87 Jahre, die der Mädchen auf über 90 Jahre ansteigen kann.

Auch für ältere Menschen hat die Lebenserwartung weiter zugenommen. Nach den sogenannten „Sterbetafeln“ beläuft sich zum Beispiel die noch verbleibende Lebenserwartung von 65-jährigen Männern auf mittlerweile 17 Jahre und 8 Monate. Für 65-jährige Frauen ergeben sich statistisch gesehen fast 21 weitere Lebensjahre. In den letzten zehn Jahren ist in dieser Altersgruppe ein Anstieg bei den Männern um 1 Jahr und 5 Monate beziehungsweise 1 Jahr und 2 Monate bei den Frauen zu verzeichnen. Und dieser Trend setzt sich fort, auch wenn nicht jeder mit Johannes Heesters gleichzieht.

Führt die deutliche Erhöhung der Lebenserwartung dazu, dass unsere Bevölkerung in Deutschland immer mehr wächst? Die Antwort ist ein klares Nein. Das Gegenteil ist der Fall.

Trotz der Alterung der Bevölkerung und trotz aktueller Nettozuwanderung durch Flüchtlinge: Ein Bevölkerungsrückgang ist in Deutschland auf lange Sicht wegen der niedrigen Geburtenrate unvermeidbar. Die Zahl der Gestorbenen wird die Zahl der Geborenen immer stärker übersteigen. Derzeitige Situation: 2015 starben in Deutschland 925.000 Menschen, während nur 738.000 Kinder geboren wurden.

Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass auch die durch die Flüchtlingskrise ausgelöste aktuell hohe Zuwanderung nur sehr eingeschränkte Auswirkungen auf die langfristige Bevölkerungsentwicklung hat. Mit anderen Worten: Die Alterung und der Rückgang unserer Bevölkerung sind durch die aktuell hohe Zuwanderung nicht umkehrbar. Zwar kann durch eine hohe Nettozuwanderung das Tempo und das Ausmaß der Alterung gemindert werden. Der derzeitige Altersaufbau in Deutschland wird die Bevölkerungsentwicklung in den nächsten drei Jahrzehnten jedoch stärker prägen als die Nettozuwanderung.

Das Statistische Bundesamt schätzt, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland von 81,3 Millionen Menschen bei schwächerer Zuwanderung im Jahr 2060 auf nur noch 67,6 Millionen Menschen zurückgeht, bei stärkerer Zuwanderung auf 73,1 Millionen Menschen. Diese Annahmen gehen von einer durchschnittlichen jährlichen Geburtenrate von 1,4 Kindern je Frau bei einem steigenden durchschnittlichen Alter der Frau bei der Geburt des Kindes und von einem Anstieg der Lebenserwartung um 7 Jahre bei Männern und um 6 Jahre bei Frauen aus.

Besonders stark wird die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter schrumpfen. Die Anzahl der 20- bis 64-Jährigen (derzeit 49 Millionen) wird bis 2060 auf etwa 34 bis 38 Millionen zurückgehen.

Ebenso zurückgehen wird nach Erwartung des Statistischen Bundesamtes die jüngere Bevölkerung im Alter von unter 20 Jahren von gegenwärtig 15 Millionen auf 11 bis 12 Millionen im Jahr 2060.

Dagegen wird die Anzahl der Menschen im Alter ab 65 Jahren weiter steigen, besonders in den nächsten 20 Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer sukzessive in dieses Alter aufrücken. Während derzeit jede fünfte Person dieser Altersgruppe angehört, wird es 2060 bereits jede dritte Person sein. Besonders deutlich wird diese Entwicklung an den Zahlen der Hochbetagten. Derzeit leben in Deutschland 4,4 Millionen 80-Jährige und Ältere. Ihre Anzahl wird 2060 mit insgesamt 9 Millionen etwa doppelt so hoch sein wie heute.

Dies führt zu einer ganzen Reihe heute zum Teil noch ungeklärter Fragen: Müssen wir künftig bis 68, 69, 70 Jahre oder gar noch länger arbeiten, um unsere Sozialsysteme in Balance zu halten und den Jüngeren keine unzumutbaren Belastungen aufzubürden? Oder schaffen es deutliche gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritte, die bisherigen Renteneintrittszeiten zu halten? Wie viele Senioren- und Pflegeheime und wie viele Pflegekräfte brauchen wir künftig? Welche Beiträge können die älteren Menschen künftig für die Gesellschaft einbringen? Können die jungen Menschen mit ihrer Arbeit das Wirtschaftssystem bei den sich abzeichnenden demografischen Entwicklungen in Gang halten?

Auch auf regionaler Ebene treten die demografischen Verwerfungen immer deutlicher hervor. Was im Osten Deutschlands schon vor 25 Jahren deutlich wurde, ist mittlerweile zu einem bundesweiten Phänomen geworden: Vor allem junge Menschen zieht es verstärkt in die urbanen Zentren, während die peripher gelegenen ländlichen Gebiete – dort, wo nicht entschlossen gegengesteuert wird - kontinuierlich an Bedeutung verlieren und die Dörfer immer mehr den Älteren überlassen werden.

Nach Ansicht von Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung haben die Landflucht und die Renaissance der Städte vor allem folgende fünf Gründe:

Erstens liegen die Kinderzahlen auf dem Land heute so niedrig wie in den Städten. Während früher die Dörfer ihren Überschuss an Menschen stets an die Städte abgaben und so das urbane Wachstum förderten, ohne selbst zu schrumpfen, verlieren sie heute junge Menschen auf der Suche nach einer Ausbildung oder einem Job, ohne die Lücken aus eigener Kraft füllen zu können.

Zweitens entstehen neue Arbeitsplätze in modernen Wissensgesellschaften dort, wo sich eine kritische Masse an Unternehmen, Forschungseinrichtungen und klugen Köpfen findet – also in den Ballungsräumen und kaum auf dem Land.

Drittens haben sich in den ländlichen Gebieten die infrastrukturellen Versorgungsbedingungen durch den Wegzug vieler Menschen bereits deutlich verschlechtert. Schulen und Geschäfte schließen, der Nahverkehr wird ausgedünnt, Arztpraxen machen dicht, und dieser Rückzug treibt weitere Personen in die Zentren.

Viertens steigen die Bildungswerte bundesweit, also auch auf dem Land, was dazu führt, dass immer mehr junge Menschen nach ihrer Schulzeit eine Ausbildung an einer Hochschule in einer größeren Stadt aufnehmen.

Fünftens haben sich viele Städte in den vergangenen Jahrzehnten einer Erneuerungskur unterzogen, zum Beispiel haben sie attraktiven Wohnraum geschaffen, alte Industriebrachen und Gleisanlagen rekultiviert oder die Betreuungsbedingungen für Kinder verbessert. Weil zudem immer mehr Paare Doppelverdiener sind und zunehmend weite Pendelfahrten zum Arbeitsplatz scheuen, sind Städte gerade für junge Familien wieder zu einem attraktiven Wohnstandort geworden.

Dörfer mit zunehmend älterer Bevölkerung, Städte mit dem Zuzug junger Menschen: Dieser Trend wirft die Frage auf, wie dem entgegenzuwirken ist. Es zeigt sich, dass der ländliche Raum nur dann nicht abgekoppelt wird, wenn der Staat und die regionalen Akteure mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen gegensteuern. Zu diesen Maßnahmen gehören schnelle Internetverbindungen, gut ausgebaute Infrastruktur, regionale Außenstellen von Hochschulen und gute Bildungseinrichtungen, ausreichende medizinische Versorgung und genügend Einkaufsmöglichkeiten.

Trotz allem kann dieser Trend wohl nicht völlig gestoppt werden. Die Zukunftsfähigkeit von Räumen weist in Deutschland erhebliche Unterschiede auf. Dies zeigen zum Beispiel auf der einen Seite demografische Krisenregionen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, aber auch altindustrielle Kreise im Ruhrgebiet, auf der anderen Seite stabile und wachsende Metropolräume wie Hamburg, Köln/Bonn, Frankfurt, Stuttgart, Berlin und München.

Unabhängig von diesen regionalen Aspekten gilt der allgemeine Trend: Der Anteil junger Menschen nimmt ab, der Anteil der älteren Bevölkerung wächst. Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Trends durchläuft der Einzelne verschiedene Lebensphasen, die sich bereits in den vergangenen Jahrzehnten verschoben haben und die sich noch weiter verschieben können.

Matthias Horx beschreibt in seinem Buch „Das Megatrend-Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht“ sechs Phasen des Lebens in unserer Langlebigkeitsgesellschaft:

Verkürzte Juvenilität: Die Pubertät beginnt früher, die Kindheit endet entsprechend schon mit zwölf Jahren (anstatt mit 14 oder 15, wie früher).

Verlängerte Postadoleszenz oder „Odyssee-Jahre“: Zwischen Pubertät und Festlegung auf einen Lebenspartner, Berufswahl, Familiengründung schiebt sich eine lange Experimentierphase, in der mit Jobs, Ausbildungen, Wohnorten, Partnerschaften, Beziehungen jongliert wird.

Die „Rushhour“: Um die 30 beginnt jener Lebensabschnitt, in dem sich der Konflikt zwischen Erwerbsarbeit, Liebe und Familie verstärkt – der Stress nimmt zu, Entscheidungen stehen an, die gerne hinausgezögert werden.

„Selfness-Phase“: Während sich in der alten Industriegesellschaft in der Phase zwischen 40 und 50 eher die tradierten Statusrollen verfestigten, beginnt nun ein verstärkter Individualisierungs- und Selbstfindungsprozess.

„Zweiter Aufbruch“: In einem Alter zwischen 50 und 65 werden die verpassten Chancen bilanziert und etwa durch neue Berufsherausforderungen oder Partnerschaften kompensiert. In diesem Abschnitt kommt es auch zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung in Form von Ehrenämtern, Engagements in der Politik oder Wirtschaft: Sinnfindung jenseits der traditionellen Erwerbsarbeit.

Weisheitsphase: Zwischen 70 und 80 Jahren kommt es zur Entscheidung zwischen einer weiteren mentalen Entwicklung oder zu einer frühzeitigen Alterung. Auch mit Einschränkungen und Gebrechen, selbst mit schlechten Gewohnheiten lässt sich durchaus im hohen Alter noch Staat machen – der Vielraucher Helmut Schmidt saß im Rollstuhl und war eine hochgeschätzte geistige Autorität.

Soweit die sechs Lebensphasen im Rahmen der neuen Alterns nach Matthias Horx. Einiges davon werden wir bei uns, im Kreis unserer Familie und Freunden oder bei Bekannten wiedererkennen. Einiges davon wird aber individuell auch ganz anders verlaufen.

Der Trend zum neuen Altern zeigt sich besonders bei den älteren Menschen. Der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski betont, dass das frühere Defizitbild vom Alter längst überholt ist.

Opaschowski unterstreicht, dass die 65plus-Generation mehr Erfahrung, Gelassenheit und Unabhängigkeit auszeichnet. Sie weiß, was sie will, fühlt sich weniger unter Druck und leidet auch weniger unter Stressbelastungen. In Bezug auf Vitalität und Mobilität ist sie auch objektiv jünger als frühere altersgleiche Generationen.

Eine Altersstudie von Allensbach/Generali weist repräsentativ nach, dass die Vitalität der Älteren in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat: Eine große Mehrheit fühlt sich jünger, als es ihrem tatsächlichen Alter entspricht. Physisch und mental sind die Älteren mit ihren Lebensumständen sehr zufrieden. Eine optimistische Grundhaltung dominiert ihr Leben:

Rund drei Viertel der 65- bis 69-Jährigen bezeichnen sich als nicht alt.

Im Durchschnitt fühlen sie sich um 9,3 Jahre jünger als sie wirklich sind.

Zwei Drittel dieser Altersgruppe beschreiben sich als optimistisch.

Selbst Innovationsfähigkeit und Offenheit für Neues, die eigentlich spezifische Merkmale für Jugend und Jugendlichkeit sind, sind bei der 65plus-Generation stark ausgeprägt. Die 65-Jährigen – so die Allensbach/Generali-Altersstudie – sind heute so innovationsfreudig wie die 55-Jährigen vor dreißig Jahren.

Wenn dieser Trend anhält: Das neue Altern gibt den Jüngeren durchaus Anlass zum Optimismus. Was aber erwartet die künftige Arbeitswelt von ihnen?

2. Arbeitswelt

 

Wie sieht unsere Arbeitswelt in 10, 20 oder in 30 Jahren aus? Welche Anforderungen werden an uns gestellt? Wie sicher sind künftig unsere Arbeitsplätze?

Viele Fragen, viele Spekulationen, viele Ängste drängen sich auf. Nicht nur Arbeitsmarktforscher wissen, dass die Arbeit ständigen Veränderungen unterliegt. Viele von uns haben selbst erlebt, wie der Einsatz von Computern in den letzten 10 und 20 Jahren die Arbeit zum Teil drastisch verändert hat. Mit der Digitalisierung und der sogenannten Industrie 4.0, der Vernetzung der Produktion, stehen schon die nächsten Veränderungen an.

Einen Blick in die Zukunft wirft das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Dessen Direktor, Joachim Möller, ist optimistisch, dass uns die Arbeit in Zukunft nicht ausgeht. Zwar werden auch künftig Arbeitsplätze im Zuge der fortschreitenden Rationalisierung, vor allem in der Produktion, wegfallen. Trotzdem werden nach Auffassung Möllers durch neu entstehende Bedürfnisse eher mehr neue Arbeitsplätze geschaffen werden als durch Rationalisierung wegfallen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht von folgenden Entwicklungen unserer Arbeitswelt aus:

Beschäftigte müssen künftig mehr wissen und können. Viele der heute noch üblichen Routinearbeiten werden wegfallen. Die neuen Arbeitsplätze werden anspruchsvoller und erfordern deshalb eine bessere Ausbildung. Gefragt ist künftig vor allem Problemlösungskompetenz.

Stark verändern wird sich die Industriearbeit. Der Mensch wird dabei keineswegs vom Roboter verdrängt, sondern wird mit ihm künftig eng zusammenarbeiten. Hochintelligente Produktionsautomaten werden nicht nur schmutzige und belastende Arbeiten übernehmen, sondern ganz wesentlich dazu beitragen, Produktionsfortschritte zu ermöglichen.

Vor allem im Versand, aber auch in anderen Dienstleistungsbranchen wird es auch künftig Chancen für weniger gut ausgebildete Menschen geben.

Zwar hält die Bundesregierung in ihrem „Grünbuch Arbeiten 4.0“ eine Arbeitslosenquote von rund 3 Prozent im Jahr 2030 für realistisch. Die IAB-Arbeitsmarktforscher sind allerdings vorsichtiger. Um dieses Fernziel erreichen zu können, seien weitere Anstrengungen in der Bildung und für den Arbeitsmarkt wichtig.

Die Arbeit wird flexibler: Arbeit am Wochenende, am späten Abend oder in der Nacht wird künftig verbreiteter sein als heute. Die stärkere weltweite Vernetzung der Firmen und eine Produktion, die rasch auf kurzfristige Nachfrage reagieren muss, werden die Betriebe stärker unter Druck setzen.

Die besten Jobchancen haben künftig Techniker. Qualifizierte Mitarbeiter in technischen Berufen werden nach einer IAB-Modellrechnung im Jahr 2030 bundesweit fehlen. Manche Kaufleute, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler werden dagegen im Jahr 2030 Probleme bei der Jobsuche haben.

Fachkräfte werden auch künftig gesucht sein. Unternehmen müssen ihnen daher nicht nur attraktive Arbeitsbedingungen bieten, sondern sich auch auf individuelle Arbeitszeitwünsche einstellen. Familienzeit, Sabbatjahr, Zeit für Fortbildung werden nach Einschätzung der Arbeitsmarktforscher in Unternehmen selbstverständlich sein müssen, wenn sie im Wettbewerb um die Köpfe nicht das Nachsehen haben wollen.

Viele Skeptiker sprechen bei der Debatte über die Arbeit der Zukunft immer wieder vom „Ende der Arbeit“: Globalisierung, Digitalisierung, „Industrie 4.0“ und „Künstliche Intelligenz“ würden massenweise Arbeit vernichten und zu einer gewaltigen Krise der Erwerbsgesellschaft führen.

Die Entdinglichung der Produktion, die Verlagerung der Wertschöpfung aus Fabriken in den raumlosen Orbit virtueller Netzwerke und der Ersatz menschlicher Arbeit durch selbstregulierte, mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Automaten würden den Strukturwandel unserer Arbeitswelt weiter beschleunigen. Wer mithalten kann, würde profitieren, die anderen würden zurückbleiben.

Ohne Risiken ist der durch die Digitalisierung beschleunigte Strukturwandel unserer Arbeitswelt sicher nicht. Deswegen ist aktuell auch wieder eine Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen entstanden. Dafür sprechen sich Joe Kaeser von Siemens, Timotheus Höttges von der Deutschen Telekom, Götz Werner von der Drogeriekette dm oder der Tesla-Chef Elon Musk aus. Dadurch sollten künftig soziale Spannungen vermieden werden, da sonst – wie sich Joe Kaeser in der Presse geäußert hat – absehbar „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“.

Aber: Jeder Technologieschub erzeugte bisher – und dies ist auch künftig anzunehmen - eine gesteigerte Nachfrage und ganz neue Bedürfnisse. Diese Auffassung vertreten wie bereits erwähnt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit und eine Reihe weiterer Experten. Selbst automatisierte Fabriken erzeugen Bedarf nicht nur nach hohem Service und technischer Expertise, sondern auch nach einfacherem Service im Bereich Wartung und Betreuung. Auch der Dienstleistungssektor bietet noch zahlreiche, zum Teil neue Möglichkeiten.

Matthias Horx vom Zukunftsinstitut geht davon aus, dass freigesetzte Beschäftigte neue Jobs in Berufen finden, von denen man gestern noch nichts ahnte. Ein Beispiel von Horx: Künftig würden uns „Humanagenten“ dabei helfen, unser Leben zu bewältigen: In Zukunft leisten wir uns einen persönlichen Gesundheitscoach. Einen Wohlstandsguide. Einen Bildungsberater. Einen Mobilitätsagenten oder einen Wissensnavigator.