ZUM AUTOR

Hans-Werner Sinn war, als er dieses Buch schrieb, Ordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft der LMU München und zugleich Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Vorher hatte er unter anderem in Kanada, den USA, den Niederlanden, Österreich und Israel unterrichtet. Dank seiner umfangreichen wissenschaftlichen Werke gehört er in Europa noch immer zu den Top 30 der 30.000 erfassten Wissenschaftler der internationalen Vergleichsstatistik „Research Papers of Economics (RePEc)“. Jahrelang wurde er dort auf dem Spitzenplatz deutscher Ökonomen geführt. Zahlreiche Bestseller wie »Kaltstart«, »Ist Deutschland noch zu retten?« (2003), »Die Basar-Ökonomie« (2005), »Kasino-Kapitalismus« (2009), „Das grüne Paradoxon“ (2008/2012/2020) und viele weitere machten ihn auch in der Öffentlichkeit bekannt.

STIMMEN ZUM BUCH

»Hans-Werner Sinn analysiert mit ungeschminkter Deutlichkeit die Klimaschutzpolitik und die Grenzen des nationalen Handelns. Seine grundlegenden Erkenntnisse werden die Diskussion um einen effizienten Klimaschutz verändern. Dieses Buch lässt einen nicht mehr los.«

Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen

»Sinn hat ein dickes Buch über die Irrwege der Umweltpolitik geschrieben. Ein großes Buch.« Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Eines der besten Wirtschaftsbücher des Jahres 2008« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

»Das Buch ist jedem Bürger zur Lektüre zu empfehlen.« Neue Zürcher Zeitung

»Sinn ist eine exzellente, kühle und sachliche Analyse der unbeabsichtigten Effekte der Klimapolitik gelungen, die in der aktuellen Umweltdebatte eine Rolle spielen sollte – spielen muss.« Welt am Sonntag

»Sinns Werk zeichnet faktenreich den CO2-Kreislauf in den Sphären der Welt nach, er nennt die Verursacher des Klimawandels in Wirtschaft und Politik und analysiert die Wirkungen und Nebenwirkungen der Maßnahmen zu seiner Bekämpfung.« Financial Times Deutschland

»Sinns Analyse der Umweltpolitik ist exzellent, trifft den Nerv der Debatte.« Wirtschaftswoche

»Die Kapitel über den Klimawandel zeugen davon, dass sich da jemand ganz tief in die Materie vergraben hat und fasziniert ist vom Kreislauf des Kohlenstoffs. Sinns ökonomische Diskussion (…) ist vielschichtiger als das, was etwa die Atomkraftlobby sonst bietet. Das sollen die grünen Energiepolitiker jetzt erst einmal kontern.« die tageszeitung

»Messerscharfe Analysen, lesenswert« Bayernkurier

»Hans-Werner Sinn (…) kritisiert die Klimapolitik und trifft den Nagel auf den Kopf. (Die von ihm vorgeschlagene Kapitalgewinnsteuer) würde die Steueroasen austrocknen. So was schlägt sonst nur Attac vor.« Die Wochenzeitung

»… ein höchst solides Handbuch und Nachschlagewerk zum neuesten Stand der Forschung in Sachen Weltklima-Veränderungen. Das große Verdienst dieser Darstellung ist, dass es Sinn gelingt, einen komplizierten naturwissenschaftlichen Sachverhalt sehr anschaulich und übersichtlich zu erläutern.« Radio Bremen

»… anregend zu lesen, weil Sinn bemüht ist, umfassend die Probleme anzugehen und sie nicht nur im nationalstaatlichen Kontext zu betrachten.« SWR2

Hans-Werner Sinn

Das grüne Paradoxon

Plädoyer für eine
illusionsfreie Klimapolitik

Geringfügig korrigierter Wiederabdruck der dritten Auflage des zunächst 2008 als Hardcover bei Econ und zuletzt 2012 als Taschenbuch bei Ullstein erschienenen Textes.

Meinen Schülern
Sascha Becker, Helge Berger, Marko Köthenbürger,
Kai Konrad, Ronnie Schöb, Marcel Thum,
Alfons Weichenrieder und Frank Westermann

1. Auflage, 2020, E-Book

Weltbuch Verlag GmbH

Schweiz | Deutschland

ISBN 978-3-906212-61-1

© Grundlage ist die gedruckte deutschsprachige Ausgabe mit der

ISBN 978-3-906212-57-9

Weltbuch Verlag GmbH, CH-Sargans, Oktober 2020

Alle Rechte vorbehalten

Buchsatz, Design, Titelgestaltung: Dirk Kohl, Dresden

Korrektorat: Marianne Jahnke, Chemnitz

Gesamtproduktion: Weltbuch Verlag GmbH, www.weltbuch.com

Hinweis zum Urheberrecht:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur fundierte Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen, Darstellungen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu. Wo Bildquellen anzugeben sind, geschieht dies am Bild/Grafik selbst. Nicht von uns gekennzeichnete Bilder/Grafiken dürfen wir ohne Quellenangabe abdrucken bzw. verwenden.

INHALTSVERZEICHNIS

PROLOG

KAPITEL 1

WARUM DIE ERDE IMMER WÄRMER WIRD

Nur ein klitzekleines bisschen • Der Treibhauseffekt • Warum es auf das Kohlendioxid ankommt • Andere Treibhausgase • Alte Luft • Schon ein Grad mehr • Die letzten 800.000 Jahre • Korrelation und Kausalität: Ein lösbares Rätsel • Auf zum Nordpol • Der Nordpol schmilzt • Wie warm es wird • Was ist schlimm daran? • Anmerkungen

KAPITEL 2

WAS DIE WELT GEGEN DEN KLIMAWANDEL ZU TUN VERSUCHT

Die ersten Klimaabkommen • Nicht nur eine Kaiserstadt • Die Umweltsünder • 20–20–20: Ziele und Maßnahmen der EU • Verdächtiger Eifer • Wunsch und Wirklichkeit • Handel mit Luft • Wie ein Markt die Umwelt schützt • Zu viele Zertifikate? • Verteilen oder versteigern? • Europa macht Schule: Zertifikate für die Welt • Ökologie versus Ökonomie: verbreitete Missverständnisse • Anmerkungen

KAPITEL 3

DIE GRÜNE REPUBLIK

Fast verschlafen • Wo sind wir und wo wollen wir hin? • Die Ökosteuer • Erneuerbare Energien: der Trick mit den Einspeisetarifen • Weltmeister Deutschland • Kraft-Wärmekopplung • Teurer Klimaschutz • Marburger Ökowahn • Das Gesetz des einen Preises • Warum es keine gestaffelten Steuer- und Fördersätze geben sollte • Unterschiedliche Vermeidungskosten in der Praxis • Ein Hauch DDR • Kinderschuhe und Durststrecken: wacklige Argumente • Doppelt gemoppelt: Warum das meiste gar nichts bringt • Auch für die Kioto-Bilanz hilft der grüne Strom nicht • Arbeitsplätze durch Umweltschutz: das Totschlagargument • Und noch mehr dubiose Argumente Krisen und Kriege • Anmerkungen

KAPITEL 4

TELLER ODER TANK?

Die Sonne einfangen • Bio liegt vorn • Nur Bio hilft Kioto • Grünes Benzin • Deutschland ist am gelbsten • Mehr als Elektrizität • Die Politikinstrumente der EU und Deutschlands • Fragwürdige Ökobilanz • Hoffnung BtL • Brandrodung • Ein Hektar für mich? • Bauern in die OPEC! • Die Tortilla-Krise • Der Sperrklinkeneffekt • Der Mensch, der Kohlenstoff und die Industrialisierung • Anmerkungen

KAPITEL 5

ATOMSTROM NEIN DANKE?

Deutschland in der Klimafalle • Warum der Atomausstieg kein Argument für die Sonderförderung grüner Energien ist • Die Stromlücke • Importieren oder selber machen? • Geisterfahrer Deutschland • Frankreich: unser Spiegelbild im Westen • Windräder als Ersatz? • Das Thema Sicherheit • Zeppelin, Titanic und Cat-Bonds • Wie gefährlich ist die Endlagerung? • Die Endlagerung des Kohlendioxids • Reicht das Uran? • Anmerkungen

KAPITEL 6

DAS VERGESSENE ANGEBOT

Rechnung ohne den Wirt • Die fehlende Stellschraube • Angebot und Nachfrage • Wie die grüne Politik die Nachfragekurve verschiebt • Rembrandts versus Autos: das Kohlenstoffangebot • Der Griff in den Klingelbeutel • Das Angebot der Natur • Wie viel bleibt in der Luft? • In der Hand der Scheichs • Was die Herren treibt • Gier und Nachhaltigkeit • Nirwana-Ethik • Falsche Voraussicht • Die gesellschaftliche Norm • Langsamer fördern: Warum die Grünen recht haben • Warum man aber die Kohlenstoffvorräte nicht für immer und ewig versiegeln sollte • Die Angst vor dem Putsch • Anmerkungen

KAPITEL 7

WAS WIR TUN KÖNNEN

Wider den blinden Aktionismus • Das grüne Paradoxon • Ein bisschen Theorie • Das grüne Paradoxon und der Kohlenstoffschwund • Können Produktionskosten und Ersatztechnologien die Extraktion stoppen? • Vorübergehende und dauerhafte Preisänderungen • Verblassendes Grün • Super-Kioto • Mit gutem Beispiel vorangehen? • Quellensteuern auf Kapitalerträge: eine angebotspolitische Maßnahme • Die bessere Ökosteuer • Mehr Wälder • Krieg und Frieden • Anmerkungen

EPILOG, DANK, AUFLAGEN-BEMERKUNGEN

TABELLENVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

PROLOG

Warum gibt es immer mehr Füchse in Brandenburg? Weil sie sich von dem frischen Geflügel ernähren, das ihnen die Windräder zerhackt vor die Füße werfen. Jägerlatein? Vielleicht. Immerhin schätzt aber der deutsche Naturschutzbund, dass jährlich mindestens 100.000 Vögel in den rotierenden Windrädern umkommen. Nicht nur Jäger schütteln den Kopf, wenn sie sich die Folgen grüner Politik vor Augen führen. Die grüne Politik ist voller Paradoxa.

Im Namen der Umweltpolitik werden die schönsten Naturlandschaften Norddeutschlands durch Windräder entstellt. Auf grünen Auen wachsen Wälder weißer Betonpfeiler, und in des echten Waldes Stille dringt das Brummen ihrer Rotoren. Wer bei klarem Wetter nach Hamburg oder Berlin fliegt, sieht Landstriche, die, so weit das Auge reicht, mit den weißen Grobianen besetzt sind. Die Gegenden, die Caspar David Friedrich zu seinen romantischen Landschaftsbildern animierten, gibt es nicht mehr. Auch die letzten Flecken unberührter Natur werden in Industriegebiete verwandelt. Nach einem Flug über Norddeutschland, noch im Bann der für mich unglaublichen Eindrücke, habe ich vor einigen Jahren einen führenden grünen Politiker getroffen und ihn gefragt, ob der Naturschutz nicht auch das Landschaftsbild umfasse. Als Antwort erhielt ich die lapidare Feststellung, die Gebiete, die ich gesehen hätte, stünden nicht unter Naturschutz. In Naturschutzgebieten dürfe man die Windräder nicht aufstellen. Das verschlug mir die Sprache. Mit dem grünen Pass im Gepäck darf man die Landschaft offenbar nach Belieben verschandeln.

Und diesen Weg will Deutschland ja nun konsequent weitergehen, denn die Windflügel sollen auch noch die Atomkraftwerke ersetzen. Was bislang als Schlüsseltechnologie der Menschheit zum Ersatz der fossilen Brennstoffe und zur Überwindung des Klimaproblems galt, wird mit lockerer Hand beiseitegewischt. Eine Woche nach dem Unglück von Fukushima im März 2011 beschloss die Bundesregierung den Atomausstieg. Während die Stromproduktion in Japan durch die Havarie in Fukushima um 6 % zurückging, wurde sie in Deutschland freiwillig um 7 % reduziert. Nirgends sonst auf der Welt, nicht einmal in Japan selbst, verspürte die Bevölkerung so viel Angst wie in Deutschland, nirgends haben die Medien das Ereignis in ähnlicher Weise zelebriert. Eine Massenhysterie hat das Land erfasst und treibt es zu einsamen Entscheidungen. Unser Land spielt bei der Atomkraft den Geisterfahrer auf der Autobahn und findet es paradox, dass alle anderen in die falsche Richtung fahren. Wieder einmal soll die Welt am deutschen Wesen genesen, und wiederum will sie partout nicht folgen. Fukushima ist eben nur ein Dorf in Deutschland.

Die Windräder werden sich schwertun, den Atomstrom zu ersetzen, weil ihre Leistungsfähigkeit begrenzt ist. Obwohl es in Deutschland davon heute schon wimmelt, tragen sie nur winzige 1,4 % zum Endenergieverbrauch bei. Zudem liefern sie einen ziemlich unregelmäßig fließenden und deshalb wertlosen Strom, den man durch Gaskraftwerke und Speicherkraftwerke verstetigen muss, bevor er nutzbar wird. Aber keine Angst, das Licht wird in Deutschland nicht ausgehen. In den anderen europäischen Ländern gibt es nämlich weit über 100 Atommeiler, die uns mit Strom versorgen werden. Die Belieferung mit ausländischem Atomstrom kann Deutschland, ohne die EU-Verträge zu brechen, gar nicht verhindern, selbst wenn es das wollte. Das Land, das für die Energiegewinnung durch Atomspaltung den Nobelpreis bekommen hat und einmal führend bei dieser Technologie war, gibt seine Sicherheit in die Hände der französischen und tschechischen Nachbarn, deren Kraftwerke zum Teil so nah an den deutschen Grenzen stehen, dass man sie mit bloßem Auge von Deutschland aus sehen kann.

Aber das sind Fakten, die wir verdrängen, denn es geht ja in Wahrheit gar nicht um eine rationale Entscheidung, sondern um Gefühle, Stimmungen und Träume. Die deutsche Konsensgesellschaft steht im Bann der neuen grünen Ideologie, die den Sozialismus ersetzt hat. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendeine führende Zeitung über technische Wunderdinge berichtet, die uns helfen, fossile Energie zu sparen und neue Energiequellen zu erschließen. Man träumt von der Wasserstoffwirtschaft, als ob der Wasserstoff irgendwo im Boden läge und nicht bloß ein Speichermedium sei. Man will das Land mit Windrädern bepflastern, die Dächer mit Solarzellen decken und die Autos mit Biosprit fahren. Neue Industrien werden mit öffentlichem Geld hochgezogen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen, aber im Endeffekt zahlt immer der Bürger die Zeche.

Ich will den grünen Politikern wirklich nicht unterstellen, dass sie sich Pfründe verschaffen wollen. Sie sind gemeinhin Idealisten, die das Klima retten und ihre Mandate behalten wollen. Das ist nachvollziehbar. Das Geld verdienen andere. Aloys Wobben hat in seiner Firma Enercon mit Windrädern ein Vermögen gemacht, das auf fünf Milliarden Euro geschätzt wird. Für Windräder gibt es nämlich einen reißenden Absatz, nachdem die Politik im Jahr 2000 das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien in Kraft gesetzt hat. Danach mussten die Netzbetreiber für den minderwertigen Windstrom 80 % mehr als für normalen, stetig fließenden Strom zahlen. Für Sonnenstrom, der gerade dann nicht zur Verfügung steht, wenn man das Licht anknipsen will, muss sogar mehr als das Zehnfache gezahlt werden. Im Durchschnitt aller alternativen Energieträger ist der grüne Strom für die Netzbetreiber mehr als doppelt so teuer wie normaler Strom. Kein Wunder, dass bei den Herstellern des grünen Stroms eine Goldgräberstimmung erzeugt wurde. Dass der grüne Idealismus sich so gut mit dem Mammon versteht ist für einen Ökonomen wie mich zwar nicht paradox, doch manch einer mag es so empfinden.

Deutschland ist Weltmeister bei der grünen Energie. Bei der Produktion von Biodiesel liegen wir sogar mit weitem Abstand vor allen anderen Ländern. Die Lobby aus Automobilfirmen, die ihre Auflagen zur CO2-Drosselung abmildern wollen, und Bauern, die auf die neuen Gewinne durch den Anbau von Pflanzen zur Biospritgewinnung hoffen, paart sich mit dem ideologischen Interesse grüner Politiker und führt Deutschland auf einen einsamen Sonderweg. Nur der Alarmruf des ADAC, der darauf hinwies, dass bei Millionen von Autos durch das beigemischte Bioethanol die Dichtungen kaputtgehen würden, hat die Politik gezwungen, für einen Moment innezuhalten. Dass der Teller mit dem Tank im Wettbewerb steht, wenn man Energiepflanzen zum Autofahren statt zum Essen verwendet, war nicht das Thema. Es hätte aber das Thema sein sollen, denn die Hungerproteste in 37 Ländern der Welt, die im Jahr 2008 durch die hohen Nahrungsmittelpreise ausgelöst wurden, gehen auf das Konto der Biosprit-Freunde. Und machen wir uns nichts vor. Auch die Jasmin-Revolution in den arabischen Ländern kämpft nicht in erster Linie gegen Diktatoren, sondern gegen den Hunger, denn vor dem Ausbruch dieser Revolution waren die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel auf das höchste Niveau der Geschichte gestiegen. Die Bioenergie war ethisch gemeint, erweist sich aber bei näherem Hinsehen als extrem unethische Energieform. Auch dies ist ein Paradoxon.

Für die Bürger, aber auch die Politik und die Wissenschaft stellt sich die Frage, ob der deutsche Kurs wirklich sinnvoll ist. Wissen wir eigentlich, was wir tun? Oder ist das alles nur blinder Aktionismus zur Befriedigung einer neuen, grünen Religiosität? Interpretiere ich die Windflügel vielleicht nur falsch? Sind sie gar keine technischen Einrichtungen zur Produktion von Strom, sondern in Wahrheit Sakralbauten zur Dokumentation des neuen Glaubensbekenntnisses der Deutschen?

Man muss es fast befürchten. Der vermeintliche Klimaschutz absorbiert nämlich mittlerweile so viel Kraft, und er drückt durch die horrenden Kosten den Lebensstandard der Deutschen in einem solchen Ausmaß, während die klimapolitischen Wirkungen gleichzeitig in den Sternen stehen, dass es schwerfällt, ihn als Ergebnis einer rationalen Politikentscheidung zu begreifen.

Ich möchte nicht missverstanden werden: Das Klimaproblem ist keine Einbildung. Die Menschheit ist tatsächlich bedroht durch ihre eigenen Kohlenstoffabfälle, die sie in der Atmosphäre ablädt. Das erste Kapitel dieses Buches wird das, so hoffe ich, zweifelsfrei darlegen. Es ist tatsächlich fünf vor zwölf, und man muss etwas unternehmen. Die Widerlegungsversuche der Klimaskeptiker beleuchten nur kleinere Teilaspekte des Problems und verblassen gegenüber der überwältigenden naturwissenschaftlichen Evidenz.

Aber was sollen wir nur tun? Mit welchen Instrumenten können wir den Kohlenstoffausstoß der Menschheit eindämmen? Welche Maßnahmen bringen am meisten relativ zu ihren Kosten? Sollte man tatsächlich alles tun, was technisch möglich ist, oder sollte man seine Kräfte nicht lieber auf jene Maßnahmen konzentrieren, die relativ zu dem Geld, das sie kosten, die größte Einsparung beim Ausstoß des gefährlichen Kohlendioxidgases versprechen? Sollten wir nicht mindestens die Kernfusion als Option offenhalten, statt allein auf die regenerativen Energiequellen zu setzen?

Die entscheidende Frage ist aber, ob wir Deutschen überhaupt durch unsere Aktionen das Weltklima retten können. Die meisten denken: Wir sind zwar nur ein kleiner Teil der Menschheit, aber wir gehen mit gutem Beispiel voran und tun, was wir können. Wir wissen, dass das nicht reicht, aber es ist mehr als nichts. Je mehr andere Länder unserem Beispiel folgen, desto mehr wird im Endeffekt erreicht.

Leider ist diese Sichtweise naiv. Erstens übersieht sie, dass Deutschland im Rahmen des Kioto-Abkommens in ein System des internationalen Emissionshandels für Kohlendioxid eingebunden wurde. Dieses System lässt jeglichen Effekt der deutschen Förderung grünen Stroms verpuffen, weil das, was wir an fossiler Energie einsparen, stattdessen anderswo konsumiert wird. Die Politik erzählt den Leuten, sie könnten mithelfen, das Klima zu retten, wenn sie den Stand-by-Modus ihres Fernsehgerätes deaktivieren oder Energiesparbirnen kaufen, doch in Wahrheit passiert nichts, außer dass wir dem Ausland die Emissionszertifikate verbilligen und dort zur Energieverschwendung ermuntern. Wenn in Deutschland die Kraftwerke ausgeschaltet werden, werden sie anderswo in Betrieb genommen, und zwar in einem Umfang, dass dort exakt so viel zusätzliches Kohlendioxid in die Luft geblasen wird, wie wir es einsparen. Nicht eine Tonne Kohlendioxid wird wegen der deutschen Windflügel und photovoltaischen Dächer weniger in die Luft geblasen, als es sonst der Fall gewesen wäre: ein Paradoxon, an dem sich die Politiker die Zähne ausbeißen werden.

Zweitens übersieht die zitierte Sichtweise, dass hinter dem Ausstoß von Treibhausgasen das Geschehen auf den Weltmärkten für fossile Brennstoffe steht. Die Treibhausgase, die wir in die Luft blasen, entstehen durch die Verbrennung von fossilen Beständen an Öl, Kohle und Gas, die vor vielen Millionen Jahren in der Erdkruste abgelagert wurden und nun Schritt für Schritt wieder ans Tageslicht kommen. Was, wenn die Ölscheichs und all die anderen Anbieter fossiler Brennstoffe auf den Weltmärkten weiterhin so viel fossile Brennstoffe abbauen, wie sie es geplant hatten, bevor Deutschland und andere umweltbewusste Länder mit ihrer grünen Politik begannen? Sie sind ja nicht auf uns angewiesen, sondern können ihr Öl genauso gut den Chinesen und Amerikanern geben, denen der Klimaschutz ziemlich gleichgültig ist. Die Umweltsünder können sich sogar über niedrigere Preise freuen, die aus der geringeren Nachfrage der umweltfreundlichen Länder resultieren. Die Amerikaner fahren noch dickere Autos, und die Chinesen errichten noch mehr Schlote. Nichts, aber auch gar nichts ist dann für das Weltklima gewonnen. Ob wir das Klima retten, wird nicht von Angela Merkel, der EU-Kommission oder uns Verbrauchern bestimmt, sondern von den Eigentümern der fossilen Kohlenstoffvorräte in der Erde. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad, der venezolanische Präsident Hugo Chávez, die arabischen Ölscheichs und Putins Oligarchen sind die wahren Klimamacher. Sie bestimmen, wie schnell die Erderwärmung fortschreiten wird, und haben damit das Schicksal der Menschheit in der Hand.

Die Politiker glauben, wir könnten durch grüne Gesetze, die unsere Nachfrage nach fossilen Brennstoffen verringern, die Emissionen von Kohlendioxid reduzieren und so das Klima retten. Aber wie soll das bitte gehen? Mit unserer Energiesparpolitik können wir das weltweite Angebot an Kohlenstoff nicht aushebeln. Wir mindern lediglich partiell die Nachfrage und verringern dadurch den Anstieg der Weltmarktpreise, mehr nicht. Damit verschlimmern wir das Problem vermutlich noch. Immerhin müssen die vorhandenen Ressourcen irgendwann aus der Erde herausgeholt werden, wenn man sie verwerten will. Bedrohen wir die Ressourcenbesitzer mit einer immer grüner werdenden Politik, die ihnen das zukünftige Geschäft kaputtmacht, kommen sie der Bedrohung zuvor und fördern ihre Bodenschätze nur noch schneller. Statt den Klimawandel zu bremsen, beschleunigen wir ihn. Das ist das grüne Paradoxon, das diesem Buch seinen Titel gab.

Die Klimapolitik Deutschlands und der EU hat dem Problem des Angebots fossiler Brennstoffe bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Hälfte des Marktgeschehens wird einfach aus der Klimadiskussion ausgeblendet. Man erlässt Hunderte von Verordnungen, Gesetzen und Förderprogrammen, die allesamt allein auf die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen abzielen, ohne das Angebot überhaupt nur einmal zu erwähnen. Kein Wunder, dass diese Politik bislang nicht einmal einen Knick im Zeitpfad des globalen Kohlendioxidausstoßes hat verursachen können.

Die Vernachlässigung der Angebotsentscheidungen wird hoffentlich bald der Vergangenheit angehören, denn in der Wissenschaft tut sich einiges. Zu meiner Freude und Verwunderung hat dieses Buch, das schon 2008 in der ersten Auflage herauskam, mitsamt den begleitenden und zum Teil schon vorher erschienenen englischsprachigen Veröffentlichungen bereits eine umfangreiche internationale Literaturdiskussion zum grünen Paradoxon in Gang gesetzt, an der sich viele Dutzende von Wissenschaftlern beteiligt haben. Auch das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) hat reagiert, indem es unter der Leitung von Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut die ersten klimatheoretischen Modelle formuliert hat, in denen die Angebotsseite der Märkte für fossile Brennstoffe im Sinne meiner Überlegungen berücksichtigt wurde. Das deutsche Forschungsministerium hat das grüne Paradoxon zu einem Schwerpunktthema bei der Forschungsförderung gemacht, und in den Niederlanden ist unter der Leitung von Cees Withagen und Rick van der Ploeg ein EU-finanziertes Forschungsinstitut dazu entstanden. Auch das ifo Institut hat eine Forschungsabteilung aufgebaut, die das Klimaproblem von der Angebotsseite der Märkte für fossile Brennstoffe her interpretieren soll. Ich bin gespannt, wann die praktische deutsche Politik, insbesondere jene der Grünen, erstmals auf das Thema Bezug nehmen wird. Bislang vernehme ich, bis auf das Rauschen der Windräder, dort nur Schweigen im Walde. Gerade weil ich das Klimaproblem für eines der größten Probleme der Menschheit halte, bin ich über diese Ignoranz der Politik zutiefst beunruhigt und nehme gerne die Gelegenheit wahr, diese dritte Auflage meines Buches als Taschenbuch bei Ullstein herauszubringen. Wer die beschriebenen Paradoxa durchschaut, wird seine Illusionen verlieren und eine andere Klimapolitik betreiben, die mehr Chancen hat, die Welt vor dem Kollaps zu bewahren.

München, im August 2011
Hans-Werner Sinn

Den Einwohnern von Nowosibirsk mit der Empfehlung, sich jetzt schon mal die ersten Palmen heranzuziehen

KAPITEL 1

WARUM DIE ERDE IMMER WÄRMER WIRD

Nur ein klitzekleines bisschen • Der Treibhauseffekt • Warum es auf das Kohlendioxid ankommt • Andere Treibhausgase • Alte Luft • Schon ein Grad mehr • Die letzten 800.000 Jahre • Korrelation und Kausalität: ein lösbares Rätsel • Auf zum Nordpol • Wie warm es wird • Was ist schlimm daran?

Nur ein klitzekleines bisschen

Kohlendioxid, CO2, ist ein ungiftiges Gas. Es kommt in jeder Sprudelflasche vor und erfrischt uns mit seinem Prickeln. Aber dennoch macht es uns Angst, weil sich immer mehr davon in der Atmosphäre anreichert und den Treibhauseffekt erzeugt. Ähnlich wie die Glasscheiben eines Treibhauses fängt das Kohlendioxid das Sonnenlicht ein und erwärmt so die Erde.

Kohlendioxid entsteht bei der Verbrennung von Kohlenstoff, der im Öl, in der Kohle, im Erdgas, im Holz und in anderen organischen Materialien enthalten ist. Kohlendioxid wird auch in unserem Körper und in der Natur gebildet, denn die Fette, Kohlenhydrate und Eiweiße, die Lebewesen chemisch verbrennen, enthalten ebenfalls Kohlenstoff.

Verblüffend ist, wie wenig Kohlendioxid sich in der Luft befindet. Gerade einmal 0,038%, also knapp vier Hundertstel von einem Prozent, der Atmosphäre bestehen aus diesem Gas. Damit man nicht mit den Nachkommastellen hantieren muss, sagen die Chemiker dazu auch 380 ppm, wobei ppm für Partikel bzw. Moleküle pro Million steht. Das hört sich zwar nach mehr an, ist aber nicht mehr. Vor der Industrialisierung betrug der Wert nur 280 ppm. Übrigens verteilen sich die Gase stets so in der Luft, dass ihre Moleküle gleich weit voneinander entfernt sind. Die Relation von Volumenangaben entspricht deshalb stets der Relation der Anzahl der Moleküle.1 Wegen des unterschiedlichen Gewichts der Moleküle bedeutet das freilich nicht, dass die Gewichtsrelationen den Volumenrelationen entsprechen. Kohlendioxid ist ein recht schweres Gas, das sich, wenn es durch die Luftbewegungen nicht stets vermischt würde, in Bodennähe konzentrieren würde.

Fast die gesamte Luft, nämlich 97%, besteht aus Sauerstoff und Stickstoff. Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen, macht 21% und Stickstoff macht 76% aus. Der Rest besteht aus etwa 2,5% Wasserdampf sowie einer Vielzahl von Spurengasen, wovon Kohlendioxid mit seinen 380 ppm für das Klima am wichtigsten ist. Am zweitwichtigsten ist Methan, das bei der Verrottung von Pflanzen unter Ausschluss von Sauerstoff, so zum Beispiel in Rindermägen, entsteht und einen Volumenanteil von 1,8 ppm hat. Treibhausgase im engeren Sinne sind das Kohlendioxid, das Methan, das Lachgas und andere Spurengase, die weiter unten noch näher erläutert werden. Zu den Treibhausgasen im weiteren Sinne rechnet man auch noch den Wasserdampf, was aber nicht heißt, dass er nur eine geringe Bedeutung hat.

Wasserdampf hat für den Treibhauseffekt im Gegenteil eine sehr große Bedeutung. Er tritt zumeist in völlig gelöster, unsichtbarer Form auf, kann aber auch bei niedrigem Druck oder niedriger Temperatur kondensieren und sich dann als Wolken, Regen und Schnee in der Atmosphäre befinden. Seine Konzentration variiert sehr stark. Der Treibhauseffekt wird nur durch unsichtbaren, nichtkondensierten Wasserdampf hervorgerufen. In der Regel tritt das in der Atmosphäre enthaltene Wasser zu 96% in Form von Wasserdampf auf. Die restlichen 4% sind Wassertröpfchen und Eiskristalle in den Wolken, im Regen und im frisch fallenden Schnee.2

Die Treibhausgase sind eigentlich kein Problem, sondern ein Segen für die Menschheit. Wie so häufig kommt es nämlich auf die richtige Dosierung an. Gäbe es weder Treibhausgase im engeren Sinne noch Wasser als Dampf oder Wolken in der Luft, bestünde die gesamte Luft ausschließlich aus Stickstoff und Sauerstoff, was sie ja sowieso fast tut, wäre die Erde kaum bewohnbar, weil die durchschnittliche Temperatur der Erdoberfläche bei – 6 °C läge. (Noch viel kälter wäre sie, wenn es zwar Wasser als Wasserdampf und Wolken in der Luft gäbe, aber keine Treibhausgase im engeren Sinne, denn dann wäre die Wolkendecke so dicht, dass kaum ein Sonnenstrahl auf die Erde fiele. Dazu mehr weiter unten.) Heute liegt die Temperatur der Erdoberfläche bei durchschnittlich 14,5 °C, und in vorindustrieller Zeit lag sie bei 13,5 °C. Gut 20 °C der Wärme in unserer Umgebung sind also auf die Treibhausgase einschließlich des Wasserdampfes zurückzuführen.3

So gesehen muss man wirklich von Glück sagen, dass es die Treibhausgase gibt. Erst diese Gase haben das Leben, wie wir es kennen, möglich gemacht. Eine Temperatur von etwa 14 °C klingt zwar auch nicht gerade gemütlich, sie ist es aber, denn man muss bedenken, dass es dabei um einen Mittelwert geht, der Polkappen und Tropen, Winter und Sommer, Tag und Nacht umschließt. Mit solchen Temperaturen kommen wir Menschen und die Natur gut zurecht, weil die Evolution uns für solche Temperaturen gebaut hat. In der letzten Million Jahre Evolutionsgeschichte, die wir hinter uns haben, lag die Temperatur im Mittel bei etwa 11 °C und wich von diesem Wert in den Warmzeiten um bis zu 4 °C nach oben und in den Eiszeiten um bis zu 2 °C nach unten ab. Veränderungen dieser Größenordnung konnten wir meistern, weil Pflanzen und Tiere sich zwischen den kälteren und wärmeren Regionen hin- und herbewegen und ihre Umgebungstemperatur auf diese Weise stabil halten konnten.

Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, vor 18.000 Jahren, als die Temperatur der Erde im Mittel etwa 5,5 °C niedriger war als heute, wohnte niemand auf dem Gebiet, das jetzt Deutschland ist, weil praktisch das ganze Land mit Eis bedeckt war.4 In Deutschland, das heute eine Durchschnittstemperatur von 9 °C hat, herrschten damals Temperaturen in der Gegend von – 4 °C.5 In Afrika, Indien und Australien, aber auch im Mittelmeerraum gab es indes angenehm temperierte Gebiete, wo sich unsere Vorfahren aufhielten. Die afrikanischen Tropen, die heute eine Temperatur von durchschnittlich 26 °C haben, lagen damals bei etwa 21 °C, eine Temperatur, die man heute im nördlichen Ägypten, in Texas oder Florida findet. Süditalien hatte eine Temperatur wie heute Deutschland. Die Lufttemperatur lag dort um acht bis zehn Grad unter den heutigen Werten und entsprach damit in etwa den heutigen Werten von Deutschland.6

Aus dem Segen kann aber ein Fluch werden, wenn die Treibhausgase durch Menschenhand vermehrt werden, denn das Klima reagiert außerordentlich sensibel auf die Konzentration dieser Gase. Wenn schon das klitzekleine bisschen von nur 0,038%, das sich in der Luft befindet, zusammen mit dem Wasserdampf einen Temperaturanstieg um 20 °C verursacht, dann könnte eine unkontrollierte Vermehrung leicht zum Fiasko werden. Gott behüte uns vor Verhältnissen wie auf der Venus, deren Atmosphäre im Wesentlichen aus Kohlendioxid und Wasserdampf besteht. Wegen des Treibhauseffekts ist es auf der Venus 525 °C warm. Herrschten auf unserer Erde solche Temperaturen, gäbe es kein Leben und erst recht keine Liebe. Die Erde ist gut so, wie sie ist. Von hier aus kann man die Venus am Abendhimmel betrachten, während man sich an seiner Liebsten erwärmt.

Der Treibhauseffekt

Hinter den in der Öffentlichkeit kursierenden Aussagen zum Treibhauseffekt stehen fundierte naturwissenschaftliche Theorien sowie umfangreiche Messreihen und Beobachtungen. Da diese Aussagen von praktisch allen führenden Klimawissenschaftlern geteilt werden, kann es keinerlei Zweifel im Grundsätzlichen mehr geben. Nach den ersten Studien im 19. Jahrhundert gibt es mittlerweile eine kaum mehr überschaubare Flut an wissenschaftlichen Publikationen zu dem Thema.7 Als Autorität für die Interpretation der Fakten und die Anwendung der Theorien gilt das Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC, eine von den Vereinten Nationen finanzierte, in Genf angesiedelte Forschungseinrichtung mit 2500 Mitarbeitern, die das Klima beobachtet und regelmäßig aktualisierte Berichte dazu publiziert.8 Im Kern geht die Klimaforschung von der Erkenntnis aus, dass Gase, die aus mindestens drei Atomen bestehen, wie Filter wirken. Sie absorbieren bestimmte Wellenlängen aus dem Bereich des infraroten Lichts, erwärmen sich und geben die Wärme dann an die anderen Gase in ihrer Umgebung ab. Dabei geht es insbesondere um die Rückstrahlung von der Erde ins Weltall, die vornehmlich im infraroten Wellenbereich angesiedelt ist. Dreiatomige Treibhausgase sind Kohlendioxid (CO2), Wasserdampf (H2O), Stickoxid (N2O) und Ozon (O3). Methan hat die chemische Formel CH4, besteht also aus fünf Atomen. Die unter dem Sammelnamen FCKW erfassten Gase haben mindestens sechs Atome. So wie ein Farbfilter bestimmte Spektren aus dem Licht absorbiert und dadurch den Farbeindruck erzeugt, absorbieren auch die Treibhausgase bestimmte Spektralfarben. Sauerstoff (O2) und Stickstoff (N2) erzeugen keinen Treibhauseffekt, weil bei ihnen jedes Molekül nur aus zwei Atomen zusammengesetzt ist.

Das Sonnenlicht besteht aus einem weiten Farbspektrum, das vor allem im blauen, kurzwelligen Bereich viel Energie enthält. Es fällt weitgehend ungehindert auf die Erdoberfläche, erwärmt sie und wandelt sich so in infrarotes Licht um, das wieder von der Erde abgestrahlt wird. Infrarotes Licht kann man zwar nicht sehen, aber als Wärmestrahlung spüren. Dass eine Heizung infrarote Strahlung aussendet, merkt jeder, der davor steht, und wenn man die Kälte im Rücken spürt, so liegt es daran, dass hinter einem eine Wand ist, die nur wenig solches Licht ausstrahlt. Die Polizei macht gerne Fotos mit infrarotem Licht, und man kann solche Fotos auch von seinem Haus machen lassen, um Lücken bei der Gebäudeisolierung aufzuspüren. Erhebliche Teile des infraroten Lichts, das die Erde zurückstrahlt, werden von den Treibhausgasen absorbiert, in Leitungswärme umgewandelt und so daran gehindert, ins Weltall zu entweichen. Das hält unsere Erde warm.

Es hält sie warm, aber es macht sie nicht immer wärmer. Theoretisch hat die Erde eine stabile Durchschnittstemperatur, deren Höhe freilich von der Konzentration der Treibhausgase und anderen Einflussgrößen abhängig ist. Mit der Aussage, dass die Temperatur stabil ist, meint man nicht, dass sie konstant ist, sondern dass sie nach einer äußeren Störung wie beispielsweise der Änderung der Sonneneinstrahlung oder der Verschiebung der Kontinente und der damit einhergehenden Änderung in der Absorption von Strahlung wieder gegen einen neuen Gleichgewichtswert strebt. Ein Ei, das man in einem Löffel umherträgt, befindet sich in einer stabilen Lage, obwohl es sich leicht hin und her bewegt, denn wenn man stehen bleibt, kommt es zur Ruhe. Ein Ei, das man auf dem Rücken des Löffels zu balancieren versucht, befindet sich in einer instabilen Lage, denn beim kleinsten Zittern fällt es herunter. Da die Temperatur der Erde stabil ist, führt eine geänderte Sonneneinstrahlung nicht zu sich immer weiter verstärkenden, explosionsartigen Änderungen der Temperatur, sondern nur zu leichten Änderungen, die im Laufe der Zeit immer kleiner werden und gegen einen Grenzwert streben. Temperaturabweichungen aufgrund äußerer Störungen schaukeln sich also im Zeitablauf nicht auf. Wäre die Temperatur der Erde nicht stabil in diesem Sinne, dann gäbe es kein Leben auf der Erde, weil es im Verlauf der Erdgeschichte viele solcher Störungen gab und die Erde inzwischen verglüht oder erfroren wäre.

Die Temperatur ist stabil, weil die Erde umso mehr Energie abstrahlt, je wärmer sie ist. Ist die Erde aufgrund von äußeren Störungen einmal wärmer, als es der stabilen Temperatur entspricht, gibt sie mehr Strahlung ab, als sie erhält, und wird wieder kälter. Ist sie aufgrund solcher Störungen einmal kälter, strahlt sie weniger ab, als von der Sonne ankommt, und sie wird wieder wärmer. Es ist wie bei einer Glühbirne. Der beständig zufließende Strom macht den Glühfaden nicht immer heller, sondern erzeugt eine Helligkeit, die dadurch bestimmt ist, dass die Energiemenge, die über die Strahlung verloren geht, genauso hoch ist wie die Energiemenge, die über die Stromleitung zugeführt wird.

Der Treibhauseffekt

ABBILDUNG 1.1

Im Mittel über alle Gebiete, Winter und Sommer, Tag und Nacht gerechnet, empfängt die Erde mitsamt ihrer Lufthülle pro Quadratmeter Erdoberfläche eine Energieeinstrahlung von 343 Watt. Die Erde muss deswegen gerade so warm sein, dass sie genau diese Energie wieder abstrahlt. Gäbe es nur Sauerstoff und Stickstoff in der Atmosphäre, also keinen Wasserdampf und keine Wolken, kein Kohlendioxid oder irgendwelche anderen Treibhausgase, so würden 55 Watt gleich wieder von der Luft und der Erdoberfläche reflektiert, so dass 288 Watt zur Aufwärmung der Erdoberfläche und der Luft verblieben. Die Temperatur der Erdoberfläche würde sich dann auf einem Niveau stabilisieren, bei dem die Wärmestrahlung, die von der Erde zurück ins Weltall geht, auch gerade eine Energie von 288 Watt pro Quadratmeter hat. Ohne die Treibhausgase im engeren Sinne und ohne Wasserdampf ist das die oben erwähnte Temperatur von – 6 °C.

Den Wasseranteil in der Luft kann man bei einem Vergleichsszenarium freilich schlecht wegdenken, weil er sich abhängig von der Temperatur durch die Verdunstung der Weltmeere ergibt. Da Wasserdampf in der Luft bei niedrigen Temperaturen zu einer verstärkten Wolkenbildung führt, ist auch noch die Sonneneinstrahlung auf der Erdoberfläche reduziert. Die Durchschnittstemperatur ohne die Treibhausgase im engeren Sinne, aber mit Wasser in der Luft, läge sogar nur bei etwa –18 °C.9 Auf der Erde wäre es bei einem solchen Szenarium nicht nur sibirisch kalt, es käme wegen der Wolkendecke auch kaum ein Lichtstrahl an. Menschen gäbe es nicht, obwohl in der Nähe des Äquators vermutlich auch dann noch eisfreie Gebiete vorhanden wären.

Der Temperaturanstieg von knapp 32 °C, von –18 °C auf +13,5 °C, der die Erde überhaupt erst bewohnbar macht, kommt hauptsächlich dadurch zustande, dass das Kohlendioxid und die anderen Treibhausgase einen Teil der Wärmestrahlung einfangen. Abbildung 1.1 illustriert diese Zusammenhänge in schematisierter Form. Mit dem Temperaturanstieg verdunstet allerdings auch mehr Wasser aus den Weltmeeren, und mit der höheren Wasserdampfkonzentration in der Luft entsteht ein zusätzlicher Treibhauseffekt. Zugleich geht die Wolkenbildung mit der Erwärmung zurück, was die Erwärmung abermals verstärkt. Zwar halten Wolken selbst einen Teil der abgehenden Wärmestrahlung zurück, doch dominiert der Umstand, dass sie von vornherein einen Teil des Sonnenlichts reflektieren. Summa summarum war mit den Treibhausgasen der vorindustriellen Zeit eine Temperatur von +13,5 °C vonnöten, damit genau jene 343 Watt pro Quadratmeter auf dem Wege der Reflexion oder Umwandlung in Wärmestrahlung wieder ins Weltall zurückgestrahlt wurden, die von der Sonne kamen.

Warum es auf das Kohlendioxid ankommt

Die verschiedenen Treibhausgase kann man nicht gleichsetzen. Jedes hat seine Eigenarten, und erst wenn man diese Eigenarten verstanden hat, kann man die Bedeutung des Klimaproblems wirklich ermessen.

Wasserdampf ist das wichtigste Treibhausgas. Zwar trägt er pro Molekül im Vergleich zu einem Molekül Kohlendioxid nur 4% zum Treibhauseffekt bei, doch gibt es von ihm so viel in der Atmosphäre, dass er mehr als die Hälfte des Effekts, etwa 65%, erklärt. Wasserdampf ist mit einem Volumenanteil von ca. 2,5% bzw. 25.000 ppm mit Abstand das am stärksten in der Atmosphäre vertretene klimarelevante Gas.10

Da die Konzentration des Wasserdampfes in der Luft auf dem Wege der Verdunstung von Meerwasser durch die Temperatur der Erde selbst gesteuert wird, rechnet man den Wasserdampf allerdings zumeist nicht mit ein, wenn man von den Treibhausgasen spricht. Deshalb die Unterscheidung in Treibhausgase im engeren und im weiteren Sinne, die oben getroffen wurde. Wasserdampf erzeugt zwar einen enorm wichtigen Rückkopplungs- oder Selbstverstärkungseffekt beim Treibhausgeschehen, ist aber keine autonome Einflussgröße, die durch Menschenhand anders als auf dem Wege über die Temperatur selbst verändert werden kann.

Das ist insofern wichtig, als ja häufig behauptet wird, dass der Einfluss des Kohlendioxids angesichts der überragenden Bedeutung des Wasserdampfes unerheblich für das Klima sei. Statt das Augenmerk auf das Kohlendioxid zu lenken, solle man lieber bedenken, dass sehr viel Wasserdampf aus den Kühltürmen von Kraftwerken entweiche und im Übrigen auch bei der Verbrennung von Kohlenwasserstoffen wie Kohle, Erdgas und Erdöl entstehe. Auch müsse man beim Aufbau der von grüner Seite geforderten Wasserstoffwirtschaft bedenken, dass bei der Verbrennung von Wasserstoff sehr viel Wasserdampf in die Atmosphäre gelange, so dass sich die Erde weiter erwärme. Diese Behauptungen verkennen, dass sich der Anteil des Wasserdampfes an der Atmosphäre durch das Wettergeschehen ständig selbst reguliert. Stets bildet sich über den Meeren neuer Wasserdampf, und stets kondensiert dieser Dampf, regnet binnen kurzer Zeit (acht bis zehn Tage) wieder ab und kehrt über die Flüsse in die Meere zurück.11 Wie viel bei diesem ständigen Wasserkreislauf als Dampf in der Atmosphäre verbleibt und zum Treibhauseffekt beiträgt, hängt von der Temperatur der Luft ab, denn je wärmer die Luft ist, desto mehr Wasserdampf kann sie speichern. Man sieht das jeden Morgen, wenn der Tau bei steigender Lufttemperatur wieder verdunstet. Jedwedes zusätzliche Wasser, das durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre gebracht wird, regnet aus diesen Gründen schnell wieder ab und kann deshalb nicht zum Treibhauseffekt beitragen.

Die zentrale Rolle beim Einfluss des Menschen auf das Klimageschehen hat das Kohlendioxid. Kohlendioxid ist zwar aus physikalischer Sicht nach dem Wasserdampf nur das zweitwichtigste Treibhausgas und erklärt etwa 60% des Drittels, das vom Wasserdampf nicht erklärt wird (vgl. Tabelle 1.1). Dennoch ist dieses Gas für die aktuelle Klimafrage unvergleichlich wichtiger als der Wasserdampf, weil sein Anteil an der Luft im Gegensatz zum Wasserdampf vom Menschen selbständig erhöht werden kann und nicht nur durch natürliche Prozesse bestimmt wird.

Auch das Kohlendioxid ist an Austauschprozessen mit den Meeren beteiligt. Da es in Form von Kohlensäure eine lose Verbindung mit Wasser eingeht, wird es durch den Regen in die Meere ausgewaschen. Von dort wird es indes durch den Wellengang wieder freigegeben, ähnlich wie es sich beim Schütteln einer Sprudelflasche prickelnd vom Wasser löst. Dieser Austauschprozess hat wenig Ähnlichkeit mit dem Wasserkreislauf, denn die Kohlendioxid-Menge, die die Luft aufnehmen kann, ist nicht durch natürliche Kräfte begrenzt, sondern kann durch menschliche Aktivitäten in weiten Bereichen nahezu beliebig gesteigert werden. Begrenzt ist dagegen die Aufnahmefähigkeit des Wassers in den oberen Schichten der Weltmeere, die mit der Luft im Austausch stehen. Mit wachsender Konzentration des Kohlendioxids in diesen Wasserschichten wird immer mehr Kohlendioxid durch den Wellengang freigegeben, so dass immer nur ein Teil der vom Menschen in die Luft emittierten CO2-Menge durch die Meere absorbiert werden kann und sich der Rest in der Luft ansammelt.

Wasserdampf erzeugt einen Selbstverstärkungseffekt beim Klimageschehen, weil sich bei höheren Temperaturen mehr Wasserdampf bildet und der Treibhauseffekt auf diese Weise verstärkt wird. Auch beim Kohlendioxid gibt es einen Selbstverstärkungseffekt insofern, als höhere Meerestemperaturen die Aufnahmefähigkeit des Meerwassers für Kohlendioxid verringern. Dieses Phänomen ist jedem aus der eigenen Anschauung geläufig, weil sich jeder schon einmal vollgespritzt hat, als er eine warme Sprudelflasche öffnete. Wenn es aufgrund äußerer Einflüsse zu einer Erwärmung der Erde kommt, gibt das Meerwasser mehr CO2 frei, und die Konzentration von CO2 in der Luft erhöht sich, was zu einer zusätzlichen Erwärmung der Erde führt. Die verringerte CO2-Speicherfähigkeit des Meeres bei steigenden Temperaturen ist die wichtigste destabilisierende Kraft im Klimageschehen.

Destabilisierend ist es auch, wenn steigende Temperaturen die Permafrostgebiete der Erde, die sich vornehmlich in Sibirien und Kanada befinden, zum Auftauen bringen. Tauen die Permafrostgebiete auf, wird der Verrottungsprozess in den Mooren, der während der bisherigen Kälteperiode unterbrochen war, fortgesetzt. Dabei wird CO2 und Methan freigesetzt, was den Treibhauseffekt beschleunigt. Doch zum Glück sind all diese destabilisierenden Kräfte nicht so stark, dass sie die Temperatur der Erde zum Umkippen bringen können. Da die Stabilisierungswirkung der erhöhten Abstrahlung von Wärme nach einer Temperaturerhöhung wesentlich stärker wiegt, ist aufgrund des Treibhauseffekts zwar eine erhebliche Erwärmung auf der Erde, aber keine unkontrollierte, sich aufschaukelnde Temperaturentwicklung zu erwarten.

Das Kohlendioxid wird nicht nur von den Meeren absorbiert, sondern auch von den Pflanzen. Wenn mehr Kohlendioxid in der Luft ist, dann wachsen einige Pflanzen etwas schneller, weil ein das Wachstum fördernder Nährstoff reichlicher vorhanden ist. Andererseits entsteht durch die Verrottung der Pflanzen anschließend auch wieder mehr CO2. Es wird jedoch mehr CO2 absorbiert als erzeugt, weil sich der Bestand an Biomasse in Form der Pflanzen und Tiere vermehrt. Dies bremst den Temperaturanstieg ab und wirkt insofern stabilisierend auf das Klimageschehen. Die Anreicherung des Kohlendioxids in der Luft kann durch das Pflanzenwachstum allerdings nur verlangsamt werden. Für eine Verhinderung des Temperaturanstiegs ist der Effekt viel zu schwach, zumal hinreichend hohe Temperaturen auch zu einem Absterben der Flora führen können.

22