Herstellung & Verlag: Books on Demand GmbH,
Norderstedt
Autorin: Dr. Karin Wettig, München
Bibliografische Information: die deutsche National-
bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen
Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet abrufbar: http://www.d-nb.de
ISBN 978-3-8448-8300-8
Alle Rechte der Verbreitung, sei es durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger, sowie Nachdruck bzw. die Verwendung von Inhalten vollständig oder in Auszügen sind Eigentum der Autorin.
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Dr. Karin Wettig, München © 2009
In Dankbarkeit widme ich dieses Buch all meinen Lehrern, Trainern und Vorbildern, nah und fern, und natürlich ganz besonders meinen Schülern und Schülerinnen, von denen ich täglich in der Praxis Neues dazulerne!
Theorie
Ergonomie von Stimme, Psyche & Körper
Persönliches
Belcantotechnik & die drei A’s
Stimme, Ton, Körper: mancherlei Irrtümer
Stimme & Energiefeld: Atem statt Stress
Stimme & Emotion: Lust statt Frust
Bühnenstimme & Karriere
Praxis
Training für Stimme, Atem & Körper
Gebrauchsanleitung für die Praxis
Baum: Raum einnehmen und Lockerung
Wind & Wellen: Auspusten auf FFF
Zungenstretching
Pferdeschnauben & Lippenflattern
Zungentango: Zunge & Kiefer lockern
Rüttel Dich & Schüttel Dich –
Springbrunnen - Sirenensong
Achterbahn – auf & ab
Tiger–Miez: Nasenresonanz
Hundehecheln - Zwerchfellkontakt
Faulenzen & Entspannen
Kurzporträt der Autorin
Als ich nach meiner Scheidung nicht nur vor den Trümmern meiner Ehe, sondern auch vor der Ruine meiner Sprechstimme stand, begann für mich ein spannendes Reparatur-Kapitel, das mich dann zum Operngesang führte. Zittern der Stimme wie Espenlaub und fehlende Resonanz waren durch Gesangstraining binnen 24 Monaten nicht nur ganz verschwunden, sondern umgewandelt in eine frei schwingende, lupenreine Belcantostimme. Diesen Erfolg hätte ich mir zu Beginn des Experimentes nie träumen lassen. Als Logopädie und Training für die Sprechstimme nicht gefruchtet hatten, schlug ich allen guten Rat in den Wind und beschloss, einfach Gesangsunterricht zu nehmen. Das war der erste Meilenstein zu mir selbst, mehr Selbstsicherheit und einer intensiven Begegnung mit der Stimme und der eigenen Seele. Nach dem Motto, wer zuletzt lacht, lacht am besten, konnte ich dem Sprechtrainer nach ein paar Wochen beweisen, dass mein Ansinnen mehr als erfolgreich war. Dem Gesang blieb ich von diesem Moment an treu. Neugierig auf die technischen Details, erforschte ich die technischen Hintergründe des Belcanto nach allen Seiten: körperlich, stimmlich, emotional. Joan Sutherlands filigrane Koloraturen und Maria Callas’ mitreißende Dramatik faszinierten mich schon seit der Kindheit. Ich schwor mir, dieses Repertoire nun selbst zu studieren. Verschiedene wunderbare Lehrer halfen mir auf dem Weg dorthin: James Anderson mit seinem amerikanischen Humor, stetiger Begeisterung trotz niederschmetternder Phasen zu Beginn, Peter Rabben, ein Schüler von Frederick Husler, mit seiner perfekten Belcanto-Technik durch seine Engelsgeduld und präzise Aufbauarbeit, Anna Reynolds mit ihrem tollen pädagogischen Naturtalent und den drei großen A des italienischen Gesanges. Davon später Mehr! Auf die praktischen Einsichten folgten Aha-Erlebnisse mit Einsicht in den Lernprozess im Gesang. Die Begeisterung für die neu entdeckten Operntöne fand kurz darauf ihren Niederschlag im handlichen Nachschlagewerk:
Sänger ABC – Belcanto: singen kann doch jeder!
Ohne Trällerübungen, ohne Notenbeispiele, findet hier jeder Stimminteressierte, alphabetisch geordnet, kleine Kapitel über alle wichtigen Grundbegriffe des italienischen Operngesanges. Kurze, prägnante Rezensionen zu den Quellen machen das Literaturverzeichnis zu einer wahren Fundgrube. So kann jeder Sänger in Ausbildung sich sofort über weiterführende Sachbücher informieren. Einige Leser und meine Schüler inspirierten mich Stimm- und Körperübungen aus unserer Praxis für den täglichen Gebrauch hier folgen zu lassen.
Viva il Belcanto! Dr. Karin Wettig
Sowohl Laien als auch Profis unter Sängern, Rednern & Bühnendarstellern, mögen sich hier wundern, für den Stimmaufbau keine Anleitung für Trällerübungen mit Notenbeispielen zu finden. Das ist kein Manko, sondern Absicht. Dieses handliche Buch ersetzt nicht den professionellen Stimmcoach oder Gesanglehrer, sondern gibt jedem an Körper & Stimme Interessierten, ein paar wertvolle, leicht nachzuvollziehende Körper- & Stimm-Übungen an die Hand, die den natürlichen Klang der Stimme mit besserer Atemtechnik mühelos hervorlocken und dazu so richtig Spaß machen. Mit Tiefatmung, Ton & Bewegung erreicht jeder bei täglichem Training von 10-20 Minuten nicht nur eine bessere Figur, sondern auch gute Laune, mehr Flexibilität und kurz gesagt - mehr Motivation für alle täglichen Routine-Aufgaben. Die Übungen sind ein kleines Fitnessprogramm, das Farbe in den grauen Alltag bringt!Sobald die Stimmung steigt, steigern sich auch Kondition & Resonanz. Wer viel sprechen oder moderieren muss, profitiert davon ganz enorm.
Probieren geht über Studieren!
Viele Sänger, Sängerinnen und Gesanglehrer, mit denen ich in Berührung kam oder, deren Bücher ich las, berichteten herzzerreißende Geschichten von Kämpfen mit dem richtigen Stimmansatz, dem Tonvolumen und der Verständlichkeit der Worte beim Singen. Auch Paul Lohmann, der anerkannte Spezialist für Stimmfehler, weiß davon zu berichten. Aufgrund der Erfahrung am eigenen Leib, kann ich aus heutiger Sicht sagen, dass der junge Popsänger Bill von der Gruppe Tokio Hotel sich sowohl die chronische Heiserkeit, als auch Stimmversagen und die Operation seiner Stimmbandknötchen hätte ersparen können, wenn er die korrekte, natürliche Gesangstechnik gekannt hätte. Leider wissen dies Popstars so gut wie nie, weil heute Mikrofon und Mischpult mangelnden Körpereinsatz überspielen. Die fatalen Folgen falschen Stimmgebrauchs treten jedoch nach einiger Zeit wieder in Erscheinung und die Operation an den Stimmbändern ist durchaus nicht ohne Risiko. Hätte dieser junge Weltstar einen erfahrenen Lehrer gehabt, wäre ihm dieses Problem erspart geblieben. Wie belastbar eine Stimme von Natur aus ist, beweisen, ohne es zu wollen, die sogenannten Schreikinder verzweifelter junger Eltern, die täglich mehrere Stunden schreien, scheinbar grundlos. Diese Babys werden dabei nicht heiser, höchstens auf Dauer atemlos, weil sie sich in Panikattacken steigern. Überbeanspruchung der Stimmbänder verursacht durch Reibung Heiserkeit und auf Dauer Stimmbandknötchen, winzige Verhärtungen auf den Stimmbändern, die dann operativ entfernt werden müssen. Dies geschieht durch unnötige Muskelanspannungen und falschen Gebrauch des Kehlkopfes und ist auf psychischen und körperlichen Stress zurückzuführen. Bringt man Körper und Stimme in die richtige Balance, funktionieren die Muskeln mühelos und Heiserkeit oder Schmerzen treten nicht auf.
Korrekte Belcantostimmtechnik verhindert die Überanstrengung der Stimmbänder und des Kehlkopfes, denn die sogenannten drei großen A des italienischen Gesanges sorgen dafür, dass professionelle Opernsänger trotz intensiven Stimmeinsatzes nur sehr selten Stimmprobleme bekommen. Ein Pionier unter den Stimmtrainern, der sich mit korrekter müheloser Sprechtechnik und Körperergonomie intensiv auseinandersetzte, war Frederick Mathias Alexander. Als Shakespeare-Darsteller hatte er in jungen Jahren großen Erfolg und verlor dann unerwartet seine Bühnenstimme. Wegen Heiserkeit musste er seine Karriere abbrechen. Da kein Arzt die Ursachen entdeckte, entwickelte er durch geniale Selbstbeobachtung 1890 seine ganzheitlich orientierte Körpertherapie, Alexandertechnik. Ungünstige Gewohnheiten und Haltungsfehler werden so durch sanftes Eingreifen umgestellt. Alexander besaß nicht nur bis ins hohe Alter eine angenehm tragende Stimme, sondern auch einen wohlgeformten Körper und eine ausgezeichnete Körperhaltung. Er heilte bei seinen Schülern durch Fehlbelastungen, Stress verursachte Krankheiten. Später haben Moshe Feldenkrais und Ida Rolf weitere Körpertherapien eingeführt, bei denen die Stimme nur am Rande eine Rolle spielt. Erst Kristin Linklater, Schauspielerin aus Schottland und später Stimmtrainerin in den USA, entwickelte ein Intensivtraining für Bühnendarsteller. Sie nahm Stimmunterricht bei Iris Warren, die zu sagen pflegte: „Bitte lassen Sie mich die Person hören, nicht die Stimme!“ Dort wurde Kristin Linklater als Schauspielerin ausgebildet und durch ihre Aufgabe Stimmtraining zu unterrichten wurde sie veranlaßt, ihre eigene Stimmtechnik weiterzuentwickeln, die 1976 unter dem Titel – freeing the natural voice -erschien und natürlich auf Ganzkörpereinsatz basiert. Alle diese Ansätze können für italienischen Belcanto in einer klar definierten Methode, zusammengefasst werden. Die hier vorgestellten Übungen aktivieren wichtige Körperfunktionen für den gesunden Gebrauch der Stimme und des Kehlkopfes. Denn, nur wenn die Muskeln im Körper stimmig funktionieren, klingt auch die Stimme natürlich und geschmeidig. Die korrekte Ausrichtung des Körpers in der Balance zur Schwerkraft der Erde, ist eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Anwendung der drei großen italienischen A’s in der Stimmtechnik des Belcanto:
ALTO IN PALATO – hoher weicher Gaumen
Der kuppelförmig aufgespannte weiche Gaumen dehnt sich flexibel bei hohen Tönen und öffnet den Mundraum nach hinten. Dadurch schwingt die Luft im Mund in einem gleichmäßigen Puls und der natürliche Stimmklang überträgt sich auf die Nebenhöhlen. Der weit geöffnete Raum im Mund und die entspannte Zungenwurzel sorgen dafür, dass der Ton mit seinem Reichtum an natürlichen Obertönen strahlt. Ein kleines Lächeln hilft dabei.
AVANTI – Vordersitz
Der Ton zielt gebündelt wie ein Laserstrahl weit nach vorn in den Raum hinein. Manche Sänger, wie Peter Rabben, beschreiben es so, als ob man durch einen Elefantenrüssel singen würde, manche Sängerinnen bezeichnen es als gezielten Strahl vom dritten Auge zwischen den Augenbrauen aus. Um den Ton wie den Lichtkegel eines Scheinwerfers in den Raum zu projizieren, muss der Gaumen innen weit aufgespannt sein, damit der Hohlraum dort optimal genutzt werden kann. Alle beteiligten Körperteile wie Gaumen, Zungenwurzel, Lippen, Zunge, Zwerchfell, Wirbelsäule, Bauch, Beine und Becken mit Beckenboden und der Musculus Pyramidalis über dem Schambein, arbeiten dabei mühelos wie ein eingespieltes Orchester zusammen. Nur die Synergie aller körperlichen Funktionen und die harmonische Teamarbeit der Muskeln bringen die volle Raum- Resonanz ohne Mikrofon zustande. Um das zu trainieren und perfekt zu lernen, ist außer einem großen Spiegel, einem handlichen, guten Aufnahmegerät und guter Selbstkontrolle auch ein Stimmcoach, Trainer oder Gesanglehrer unverzichtbar, da Sänger und Sängerinnen sich selbst nicht so hören wie der Ton für andere im Raum erklingt. Die Selbstkontrolle des Tones muss auch zuerst durch Abhören von Aufnahmen erlernt und perfektioniert werden.
Ein Vorbild für perfekten Vordersitz der Stimme im Bereich der Oper ist die Sopranistin, Edita Gruberova. Ihr glockenheller Sopran füllt jedes Operntheater ohne Schwierigkeiten. Mit ihrer „durchdringenden“ Resonanz stellt sie andere Sänger auf der Bühne manchmal in den Schatten, weil sie intensiv alle Klangräume des Kopfes für die Raumresonanz des Tones nutzt. Dazu gehören auch die Nasennebenhöhlen und die Stirnhöhle. Ihr Tonansatz sitzt an der Nasenwurzel zwischen den Augen. Der Blasebalg von Lunge und Bauch arbeitet perfekt, denn ihre Töne sind im Parkett genauso klar und deutlich zu hören wie im zweiten und dritten Rang. Mit über 60 Jahren singt sie noch immer überzeugend mädchenhafte Rollen. Wo immer sie auftritt, rauscht der Applaus und Blumenbuketts fliegen zum Dank auf die Bühne.
APPOGGIO – Körper- & Atemstütze