VORWORT

Foto: Erich Marek Tierbild

Im deutschsprachigen Raum werden jährlich bei den verschiedenen Jagdarten Ansitzjagd, Bewegungsjagd und Pirsch weit über drei Millionen Schüsse auf Schalenwild abgegeben. Dabei ist der Jäger, allein schon der Witterung, des Geländes und der Jahreszeit wegen, immer wieder mit neuen Situationen bei der Schussabgabe konfrontiert. Daher ist es auch nicht ungewöhnlich, wenn nicht jeder Treffer dort sitzt, wo es der Schütze beabsichtigt hatte.

In vielen Fällen verschwindet das beschossene Wild nach dem Schuss aus dem Sichtbereich des Jägers. In diesen Fällen ist es außerordentlich wichtig, dass sich der Schütze entsprechend der Trefferlage richtig verhält. Um aber den Sitz der Kugel zu bestimmen, ist nicht selten eine detaillierte Spurenauswertung notwendig. Dazu gehört ein hohes Maß an Erfahrung, Übung und Verantwortung.

Durch unsere langjährige Tätigkeit als Schweißhundeführer haben wir schon Tausende von Anschüssen gesehen, die beteiligten Jägern auf die Indizien, also Pirschzeichen am Anschuss, hingewiesen und ihnen deren Auswertung erklärt. Begeistert von unserem nahezu kriminalistischen Vorgehen animierten uns etliche Jäger, unser Wissen preiszugeben. So entstanden unsere Anschussseminare. Jährlich nutzen eine Vielzahl interessierter Jagdscheininhaber und Jungjäger dieses Fortbildungsangebot. Gemäß unserem Motto „aus der Praxis, für die Praxis“ erklären wir das richtige Verhalten vor und nach dem Schuss. Traditionen werden dabei kritisch hinterfragt und reichlich alte Zöpfe abgeschnitten. Immer wieder wurde dabei auch der Wunsch nach einem weiterführenden Seminar laut. Da aber ein Großteil der Fortbildung zu diesem Thema jeder Jäger im Selbststudium machen sollte, ist das vorliegende Buch für uns der richtige weitere Schritt.

Mit ihm wollen wir den Jägern Hilfestellungen an die Hand geben, anhand derer sie sich rund um Schuss und Anschuss – naturgemäß wird es in diesem Buch nur um den Kugelschuss auf Schalenwild gehen – möglichst optimal verhalten können. Ziel ist es, einen Anschuss richtig zu deuten, um einmal dem beschossenen Stück unnötige Leiden zu ersparen und/oder andererseits hochwertiges Wildbret vor dem Verderb zu bewahren.

Im Sinne einer handwerklich sauber ausgeübten, tierschutzgerechten Jagd wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen, aber auch die eine oder andere selbstkritische Reflektion ihrer bisherigen Gewohnheiten ... Leserinnen und Jägerinnen mögen es uns nachsehen, wenn wir der Einfachheit halber in diesem Buch nur die männliche Form, also „Jäger“ oder auch „Schütze“, verwenden.

Zur Blattzeit 

Stefan Mayer & Hubert Kapp

Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Stattdessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Qerverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.

VOR DEM SCHUSS

DIE SCHUSSBEDINGUNGEN

Weit vor der Schussabgabe muss der Jäger durch richtiges Verhalten, genaues Beobachten und das Einprägen von Details dazu beitragen, allen Beteiligten das weitere Vorgehen zu erleichtern. Zunächst vereinfacht er sich selbst damit das eigenständige Auffinden des Anschussbereichs. Kann er das beschossene Stück selbst nicht finden, erleichtert er auf jeden Fall einem später hinzugeholten Schweißhundeführer die Arbeit, wenn er ihn mit vielen präzisen Informationen versorgen kann.

Wird von einer Ansitzrichtung aus geschossen, ist der Schützenstandort eindeutig.
Foto: Stefan Mayer

Daher beginnen die richtigen Vorbereitungen für eine Anschusssuche oder auch eine Nachsuche schon vor dem Schuss.

STANDORT UND UMFELD

SCHÜTZENSTANDORT

Bei der klassischen Jagd von Ansitzeinrichtungen aus ist der Standort des Schützen mit seinem Gewehr recht einfach wiederzufinden. Deutlich schwieriger ist dies bei der Pirschjagd oder auch bei nicht optimal organisierten Bewegungsjagden, auf denen den Schützen ihre Stände nicht zweifelsfrei zugewiesen werden. Hier besteht dann die erste Aufgabe des Jägers darin, seinen Standplatz eindeutig zu markieren. Dies ist notwendig, damit später gegebenenfalls die Flugbahn des Geschosses rekonstruiert werden kann. Diese Rekonstruktion der Geschossflugbahn bietet dem Jäger eine Fülle an Informationen. So ist beispielsweise sehr schnell zu erkennen, ob der Schütze den angenommenen Standplatz des Wilds überhaupt einsehen bzw. dorthin schießen konnte. Waren Hindernisse, häufig Äste, in der Flugbahn? Für das Peilen vom Kugelriss aus und vor allem zur Bestimmung des exakten Anschussbereichs mit Hilfe einer Geländemarke ist der Schützenstandort eine unerlässliche Information.

STANDPLATZMARKIERUNG

Zur Kennzeichnung des Standplatzes hat sich Papiermarkierungsband bewährt. Es wird genau in der Höhe angebracht, in der sich die Büchse bei Schussabgabe befand. Der Knoten zeigt zu der Seite, an der das Gewehr ggf. angestrichen war. Das erleichtert das eventuell notwendige „Peilen“.

Foto: Daniela Mürmann

ZULÄSSIGES SCHUSSFELD

Dies ist die erste und überaus wichtige Frage, die sich jeder Jäger stellen muss, wenn er eine Schussabgabe in Erwägung zieht. Dahinter steht eine ganze Reihe von Sicherheitskriterien. Die Sondierung des Schussfelds entspricht quasi einer Art Gefährdungsanalyse, wie sie heute für jeden Arbeitsplatz und jede Tätigkeit gefordert wird. Sämtliche der folgenden Fragen müssen eindeutig mit „ja“ beantwortet werden können, anderenfalls hat eine Schussabgabe zu unterbleiben.

1. Ist ein sicherer Kugelfang vorhanden?

2. Ist die Geschossflugbahn frei von Hindernissen?

3. Ist im Hintergrund niemand (Wild / Mensch / Hund)?

4. Ist die Schussentfernung für mein Kaliber und Können geeignet?

DER KUGELFANG

Die Frage nach geeignetem, weil sicherem Kugelfang wird häufig stark vernachlässigt. Vermutlich ist es nicht zuletzt der geringen Anzahl Erholungssuchender in den Revieren während der Hauptjagdzeit in den frühen Morgen- und Abendstunden zu verdanken, dass es nicht zu mehr Unfällen mit abgeprallten Jagdgeschossen oder Geschosssplittern kommt. Verschiedene Untersuchungen, u. a. von der Deutsche Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen (DEVA) aus dem Jahr 2009, belegen, dass ein Büchsengeschoss beim Eintritt in weiches Erdreich einen Mindestwinkel von 10 Grad nicht unterschreiten darf, weil das Projektil sonst mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in den Boden eindringt, sondern abprallt. Eine entsprechende Gefährdung des Hinterlandes ist die Folge. Bei einem auf ebener Erde stehenden Schützen wird dieser Winkel schon ab einer Schussentfernung von zehn bis zwölf Metern unterschritten! Die Notwendigkeit von Drückjagdböcken bei Bewegungsjagden wird daraus deutlich.

Trifft das Geschoss nicht in einem Winkel von mind. 10 Grad auf, dringt es wahrscheinlich nicht in den Erdboden ein, sondern prallt ab.
lllustration: Wilfried Sloman

Nie dürfen Forstwege oder sonstige befestigte Flächen als Kugelfang betrachtet werden. Das Eindringen des Projektils ist hier praktisch unmöglich und dessen Abprallen und oft auch Zerlegung vorprogrammiert. Querschläger aber haben ein enorm großes Gefährdungspotenzial. Jagdeinrichtungen oder Schützenstände an Forstwege als Schussschneisen zu platzieren, ist daher grob fahrlässig.

Kugelfang ist immer nur der „gewachsene Boden“. Hier ist er vorhanden.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

Befestigte Wege bieten niemals sicheren Kugelfang. Schon aus Sicherheitsgründen gehört hier kein Schützenstand hin!
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

HINDERNISSE IN GESCHOSSFLUGBAHN

Zielfernrohre sind in aller Regel so eingestellt, dass das Wild in etwa 100 Metern Entfernung scharf zu sehen ist. Hindernisse in der Geschossflugbahn – dies sind vor allem dünnere Zweige und Äste – werden nur wahrgenommen, wenn sie nahe am Ziel sind. Äste und Zweige in der Nähe des Schützen tauchen im Zielfernrohr allenfalls verschwommen auf. Erkennen kann sie der Jäger nur, wenn er die Situation auch einmal mit bloßem Auge betrachtet. Äste und Zweige in der Flugbahn können zu deutlicher Treffpunktverlagerung und/oder zum Aufpilzen des Geschosses führen, Splitterverletzungen, Randtreffer und Steckschüsse dann die Folge sein. Je weiter das Hindernis vom eigentlichen Ziel entfernt ist, umso größer sind im Regelfall die Abweichungen.

Gras oder auch dünnere krautige Pflanzen beeinflussen die modernen Geschosse in aller Regel weniger. Trotzdem sollten Schüsse durch Vegetation möglichst vermieden werden.

Nicht immer sind Hindernisse in der Schussbahn so deutlich zu erkennen wie hier.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

DAS WILD UND DER SCHÜTZE

Auch unmittelbar vor der Schussabgabe sind eine ganze Reihe an Dingen zu beobachten und beachten. Der Jäger muss Informationen über das Stück Wild sammeln, das er beschießen möchte, aber auch selbst die richtigen persönlichen Voraussetzungen mitbringen. Auch das macht deutlich, was für eine anspruchsvolle Aufgabe der Kugelschuss auf Schalenwild ist.

ZUSTAND DES WILDES

Der Erregungszustand des Wildes, das beschossen werden soll, ist für die Wirkung des Geschosses wichtig. Ihn muss sich der Jäger auf jeden Fall einprägen.

Ein und dasselbe Geschoss wirkt, aus derselben Waffe verschossen und bei gleicher Trefferlage, auf ein ruhig äsendes Stück mit größter Wahrscheinlichkeit völlig anders als auf ein angespannt sicherndes Stück. Im ersten Fall ist ein schlagartiges Zusammenbrechen eher wahrscheinlich, im zweiten legt das Wild meist noch eine Fluchtstrecke zurück. Dies wird vorrangig auf den veränderten Stresshormonhaushalt im Organismus zurückgeführt. Die Nebennierenrinde schüttet beim beunruhigten Stück Wild Adrenalin aus, was unter anderem die Pulsfrequenz anhebt, den Blutdruck erhöht, die Bronchien erweitert und Glukose für die Muskulatur freisetzt. Der Organismus ist also bereit für eine Reaktion und das Tier entsprechend wachsam.

Das Signal zur sofortigen Flucht übermittelt das Gehirn über Nervenbahnen innerhalb weniger Millisekunden an die Muskulatur. Dieses Signal bleibt auch bei einem tödlichen Kammertreffer weiter aktiv. Das kann zu erheblichen Fluchtstrecken führen, obwohl der Organismus schon tot ist. Derselbe Effekt ist auch bei Schüssen auf Wild in anderen Stresssituationen, wie z. B. in der der Brunft oder auf Bewegungsjagden, zu beobachten.

Der Bock ist bereits alarmiert. Eine längere Fluchtstrecke ist jetzt wahrscheinlich.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

Anders ist es, wenn ein Geschoss das zentrale Nervensystem (Gehirn und Wirbelsäule) trifft. Dann brechen die beschossenen Stücke immer schlagartig zusammen. Über die Nachteile und Risiken von Schüssen auf das zentrale Nervensystem (Haupt- und Trägerschüsse) gehen wir im Unterkapitel „Kunstschüsse?“ Nein Danke! näher ein.

SAUEN AN DER KIRRUNG

Auch an der Kirrung beschossene Sauen legen immer wieder längere Fluchtstrecken zurück. Erfahrene Schwarzkittel haben die Gefahr von Schüssen an der Kirrung meist schon kennen gelernt. Obwohl sie vermeintlich ruhig Mais aufnehmen, sind sie an Kirrungen deshalb oft extrem angespannt.

Auch während der Brunft legt das Wild tendenziell längere Fluchtstrecken zurück.
Foto: Erich Marek Tierbild

STELLUNG DES WILDES

TRÄGER OBEN – EIN ALTER ZOPF

Nach immer noch verbreiteten Lehrmeinungen soll bei wiederkäuendem Schalenwild auch die Haltung des Trägers im Schuss von großer Bedeutung sein. Vehement wird deshalb gefordert, dass der Schuss auf die Kammer nur dann erfolgen darf, wenn der Träger oben ist. Als Begründung wird angeführt, dass sich sonst die Decke des Wilds infolge einer veränderten Trägerstellung bei der Flucht über den Ausschuss schöbe, sodass im Fährtenverlauf keine Pirschzeichen mehr zu finden seien.

Diese Meinung ist ein „alter Zopf“, der dringend abgeschnitten gehört. Ganz egal, wie ein Stück den Träger im Schuss hält, wird es ihn auf der Flucht so nicht beibehalten. Die Decke des Wilds bewegt sich auf der Flucht ohnehin ständig, auch oder gerade im Bereich der Schulterblätter. Da-ran kann der nach oben gerichtete Träger vor dem Schuss nichts ändern. Hat das Stück aber einen Ausschuss im Bereich der Kammer, werden in der Regel trotzdem immer auch Pirschzeichen zu finden sein.

Ob der Träger im Schuss oben oder unten ist, spielt keine Rolle.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

ANPFEIFEN NEIN!

Geradezu skurril wird es, wenn ein vertraut äsendes Stück vor dem Schuss angepfiffen oder angeschrien wird, damit es den Träger hoch nimmt. Das steigert nur den Erregungszustand des Stücks und macht eine Flucht nach dem Schuss viel wahrscheinlicher. Zudem wird damit auch (noch) nicht beschossenes Wild auf den Jäger aufmerksam. Will man mehr als ein Stück erlegen, wird das dadurch deutlich schwieriger. Ein wichtiger Grundsatz bei der Jagd sollte doch sein, dass die überlebenden Stücke den Schuss nicht mit dem Menschen in Verbindung bringen. Der Knall sollte, wie ein Gewitterdonner, ein ungefährliches Phänomen sein. Dann bleibt das Wild möglichst vertraut, sodass wildbiologisch sinnvolle effektive und schnelle Eingriffe in die Population möglich werden.

BREIT, SCHRÄG ODER SPITZ VON VORNE

In aller Regel versucht der Jäger, Wild zu beschießen, wenn es breit steht. Dann bietet es die größtmögliche Trefferfläche im Kammerbereich, sodass kleinere Ungenauigkeiten des Schützen eine geringe Rolle spielen. In der Jagdpraxis kann man aber nicht immer darauf warten, dass ein Stück absolut breit steht. Schüsse auf schräg stehendes Wild müssen immer wieder einmal sein. Sie haben auch den Vorteil, dass das Geschoss einen längeren Weg durch den Körper des Wildes zurücklegt und damit mehr Energie an den Wildkörper abgibt, sodass das Wild in aller Regel äußerst schnell verendet.

So verändert sich die tödliche Trefferfläche mit der Stellung des Wildes. Am größten ist sie beim breit stehenden Stück.
lllustration: Wilfried Sloman

Die Stellung des Wildes muss sich der Schütze allerdings gut einprägen, damit er weiß, welchen Weg das Geschoss durch den Wildkörper genommen hat. Die am Anschuss gefundenen Pirschzeichen sind dann anders zu werten als bei einem breit stehend beschossenen Stück. Findet sich beispielsweise viel Pansen an einem leicht schräg von hinten beschossenen Stück Rotwild, ist davon auszugehen, dass der Schuss insgesamt zu weit hinten sitzt und die Kammer eventuell nicht nicht geöffnet hat. Zwei Punkte sind bei schräg stehendem Wild unbedingt zu bedenken:

1. Die tödliche Trefferfläche verringert sich, je spitzer das Stück Wild zum Schützen steht. Die Anforderung an die Präzision des Schusses nimmt daher zu und die Wahrscheinlichkeit eines nicht sofort tödlichen Treffers ebenfalls. Sehr gut verdeutlicht dies die Illustration, die in Anlehnung an die aus Skandinavien stammende „Elchuhr“ angefertigt wurde. 2. Gerade bei stärkerem Wild kommt es häufiger zu sogenannten Steckschüssen, zu Treffern ohne Ausschuss also. Das Geschoss hat dann sämtliche Energie im Wildkörper abgegeben und vermag die Decke auf der Ausschussseite nicht mehr zu durchschlagen. Trotz fehlender Pirschzeichen kann es daher sein, dass das Wild nach wenigen Metern verendet ist. Bei einem Schuss halb spitz von hinten – also gegen den Haarstrich – werden zudem in der Regel weniger Pirschzeichen (Schnitthaare) geliefert. Darum ist – wie grundsätzlich nach jedem Schuss – eine Kontrollsuche erforderlich.

Wird Wild schräg beschossen, kann vor allem bei stärkeren Stücken der Ausschuss fehlen.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

KÖRPERSEITE UND FLUCHTRICHTUNG

„Blickt das Wild vor dem Schuss nach rechts, wird also die rechte Körperseite beschossen, flüchtet das Wild auch da hin.“ Diese alte Jägerweisheit wird immer noch häufig weitergegeben. Bei einem flüchtig beschossenen Stück Wild trifft sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu. Steht das zu beschießende Stück oder zieht es nur, ist die Fluchtrichtung durch die Stellung des Tieres kaum vorherbestimmt. Die Information, welche Körperseite beschossen wurde, ist trotzdem wichtig, um im Fährtenverlauf festgestellte Pirschzeichen, beispielsweise Abstreifungen, besser einordnen zu können. Die Frage, ob das Stück einen Ausschuss oder Steckschuss hat, kann dann oft schnell geklärt werden.

WIE VIEL ZU SEHEN?

Nicht in jeder Situation ist der gesamte Wildkörper sichtbar. Gelände oder Vegetation verdecken manchmal dessen unteren Teil. Für einen gezielten Kammerschuss ist dies in aller Regel kein Problem. Allerdings spielt die menschliche Psyche dem Jäger hin und wieder einen Streich. Obwohl er den eigentlichen Zielpunkt, die Mitte des Wildkörpers, genau sieht, hält der Schütze an der Mitte des sichtbaren Bereichs an. Tiefer anzuhalten, verhindert oft das Unterbewusstsein. Hinzukommt, dass der Jäger nicht zu nah mit der Flugbahn des Geschosses an ein Hindernis, in diesem Fall die Geländekante oder die Vegetation, geraten möchte. Ist die Waffe auf GEE eingeschossen und zeigt somit vier Zentimeter Hochschuss auf 100 Meter Entfernung, liegen dann die Schüsse oft deutlich zu hoch. Ein bewusstes Anhalten auf die Körpermitte ist bei teilweise verdeckten Stücken also besonders wichtig.

Hält der Jäger in der sichtbaren Mitte des Körpers an, steigt bei 4 cm Hochschuss auf 100 m das Risiko eines Krellschusses deutlich.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

ANZAHL DER STÜCKE

Die Zahl der vor dem Schuss zu erkennenden Stücke Wild hat gerade bei Gesellschaftsjagden eine sehr hohe Bedeutung. Bei den sozial lebenden Wildarten ist der Drang, auf der Flucht zusammenzubleiben, enorm hoch. Beschossene Stücke versuchen möglichst lange, den Anschluss zu halten. Wird z. B. bei einer Bewegungsjagd ein Frischling aus einer Rotte beschossen, kann der Nachbarschütze schon weitere wichtige Informationen liefern, wenn die Standprotokolle korrekt ausgefüllt und ausgewertet werden. Kamen dem ersten Schützen eine fünfköpfige Rotte, dem nächsten wenige Minuten später aber nur vier Sauen, kann davon ausgegangen werden, dass der Frischling nach kurzer Flucht verendet ist. Aus einer erst später durchgeführten Kontrollsuche wird in dieser Situation eine vorrangig behandelte Totsuche.

Wichtig ist aber, die Anzahl der Stücke vor der Schussabgabe zu ermitteln. Nach dem Schuss ist der Stress bei den Tieren und beim Schützen derart groß, dass es kaum noch möglich ist, korrekt zu zählen. Doch schon ohne die Aufregung infolge einer Schussabgabe wird es aber ab einer Anzahl von vier bis fünf Stück Wild schwierig, die genaue Zahl zu bestimmen. Positionswechsel, Vegetation, Bäume und Gelände erschweren die Zählung enorm.

STANDORT DES WILDES

Eine letzte, gleichwohl überaus wichtige Information, die der Jäger unmittelbar vor dem Schuss sammeln muss, ist die zum Standort des Wildes. Nur so kann er später im Gelände auch den Anschuss finden. Um diesen Punkt möglichst einfach und alleine wiederfinden zu können, bedient sich der Schütze einiger Hilfspunkte im Gelände. Diese Fixpunkte muss er sich aber schon vor dem Schuss sicher einprägen, weil danach meist keine Zeit mehr bleibt. Ist nämlich der Schuss gebrochen, hat der Jäger andere Dinge zu beachten, wie wir im nächsten Kapitel detailliert erläutern werden.

RICHTUNGSPUNKT

Der erste wichtige Fixpunkt wird genau hinter dem zu beschießenden Stück gesucht. Dies kann beispielsweise ein markanter Baum, ein Zaunpfahl, ein Ameisenhaufen oder sonst etwa Unverwechselbares sein. Nicht als Hilfspunkt dürfen Dinge dienen, die sich bei wechselnder Belichtung oder mit dem Lauf der Sonne verändern. Als Beispiel sei hier ein sonnenbeschienener Stamm genannt: Er ist nicht mehr zu finden, sobald Bewölkung aufzieht oder die Sonne etwas wandert. Dieser erste Fixpunkt, auch als Richtungspunkt bezeichnet, dient später dann als Startpunkt beim Aufsuchen des Anschusses.

Die schwache Buche (Richtungspunkt) und der Stein (Entfernungspunkt) kann sich der Jäger bei der Schußabgabe einprägen.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

ENTFERNUNGSPUNKT

Der zweite markante Punkt dient dazu, die Entfernung zum Anschuss einzugrenzen, und liegt demnach in einem Bereich von zwei bis fünf Metern vor oder hinter dem zu beschießenden Stück. Mit diesem Entfernungspunkt wird also die zweite Dimension eingegrenzt und die Suche nach dem Anschuss somit deutlich vereinfacht.

Im Idealfall reichen diese zwei Ortsmarken – also Richtungspunkt und Entfernungspunkt –, um den Anschuss sicher zu finden. Ist kein markanter Punkt direkt hinter dem Stück zu erkennen, kann auch die Mitte zwischen zwei Punkten als Richtungspunkt genommen werden. In diesem Fall gibt es dann einfach zwei Fixpunkte für die Richtung.

Wie der Anschuss mit Hilfe dieser beiden Fixpunkte gesucht und sinnvoll angegangen wird, wird im Kapitel „Anschussuntersuchung“ näher erläutert.

Solange das Wild bei der Schussabgabe steht, ist es recht einfach, Richtungspunkt(e) und Entfernungspunkt schnell zu erfassen. Viel schwieriger, aber auch machbar, wird dies bei Bewegungsjagden. Wiederkäuendes Schalenwild verhofft immer wieder oder kann durch Anschrecken oder Anpfeifen zu kurzem Verhoffen gebracht werden. Der Jagdleiter sollte deshalb verbieten, auf ziehende oder flüchtende Wiederkäuer zu schießen.

Schwarzwild kann auf der Bewegungsjagd fast immer nur flüchtig beschossen werden.
Foto: Claas Nowak naturundjagdfotografie

SONDERFALL FLÜCHTIGES SCHWARZWILD

Etwas anderes ist es beim Schwarzwild. Einmal in Bewegung, läuft es sehr lange, ohne zu stoppen. Zudem gibt es bei Schwarzwild in Bewegung kaum ein Auf und Ab, sodass das horizontale Mitfahren und ein sauberer Schuss bei entsprechender Übung gut möglich sind. Für den Schützen ist es dabei aber kaum noch möglich, sich exakte Orientierungspunkte einzuprägen. Da er aber in aller Regel schon einige Minuten auf seinem Stand steht, nutzt er diese Zeit sinnvollerweise, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Zunächst muss er sich darüber klar werden, wo er überhaupt Schussfeld und Kugelfang hat und wohin er wegen der Nachbarschützen nicht hinschießen darf. Damit kann er für seinen Platz schon viele Anschussbereiche ausschließen. Die verbleibenden möglichen Schussbereiche muss er sich dann gut einprägen, sodass er dann auch für jeden Bereich eine Richtungsmarkierung abgespeichert hat.

KLÄREN VOR DEM SCHUSS

– Markierung des eigenen Standorts!

– Schussfeld festlegen

– Kugelfang vorhanden?

– Geschossflugbahn frei von Hindernissen?

– Welche Entfernung ist für Schützen und Munition zu bewältigen?

– Richtungs- und Entfernungsmarken suchen und einprägen!