1. KAPITEL

MEILENSTEINE

Hannover 96 zählt zu den größten und erfolgreichsten Traditionsvereinen im deutschen Fußball. Die Meilensteine zeigen einige wesentliche Entwicklungsschritte in der 122-jährigen Geschichte des Klubs auf.

Wie aus dem Hannoverschen Fußball-Club (HFC) der Hannoversche Sport-Verein (HSV) von 1896 wurde

Zahlreiche Fußballvereine wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet. Zu den deutschen Städten, die auf den Rugby- und Fußball-Hype aus England (damals waren die Sportarten noch nicht klar getrennt) mit als Erstes reagierten, zählte Hannover. Als Pionier-Klub der Stadt galt der im September 1878 gegründete Deutsche Sport-verein, der allerdings nahezu komplett auf Rugby setzte. Der Hannoversche Fußball-Club (HFC), als Vorläufer von Hannover 96, wurde dagegen von Bürgerschülern und dem Fußballpionier und Lehrer Ferdinand Wilhelm Fricke am 13. April 1896 aus der Taufe gehoben. Zunächst wurde auch beim HFC Rugby gespielt und Leichtathletik betrieben, schon bald aber sollte der Fußball die führende Sportart werden. Während der DSV 78 eher ein Klub für die gehobenen Schichten war, galt der HFC zunächst eher als Klub für die mittlere und untere Schicht des Bürgertums. Das erste richtige Fußballspiel bestritt Hannover 96 am 3. Dezember 1899 gegen den Akademischen Ballspielverein.

Noch musste der Klub aber weitere interne Konflikte überstehen: Beim HFC entstand unter den Generationen eine Debatte, welche Sportart – Rugby oder Fußball – nun mehr gefördert werden sollte. Die Fußballfraktion setzte sich letztendlich in einer Kampfabstimmung am 10. April 1901 durch. Viele Rugby-Anhänger traten deshalb aus dem Klub aus, dafür traten aber immer mehr neue Fußballer dem Verein bei.

1902 kam es nochmals zu internen Konflikten, wie das Buch Rote Liebe – Die Geschichte von Hannover 96 (Verlag Die Werkstatt) umschreibt. Drei Gruppen standen sich zunächst gegenüber: noch verbliebene Rugby-Anhänger, dann jene Gruppe, die den Fußball 1898 beim HFC etabliert hatte, und die Fraktion der neuen Spieler. Die 1898-Generation trat in der Folge aus dem Verein aus und wechselte zum FC Eintracht. Der HFC erhielt dagegen Zulauf von Spielern der Germania, die aus der gehobenen Schicht stammten und den Verein finanziell besser unterstützen konnten.

Kurze Zeit später gründete wiederum eine weitere Gruppe aus früheren HFC-Spielern den Hannoverschen Ballspielverein. Der Ballspielverein ging eine weitere Fusion ein und nannte sich dann BV Hannovera. 1913 folgte aber die Wiedervereinigung des BV Hannovera mit dem Hannoverschen Fußball Club. Die Klubs schlossen sich zum Hannoverschen Sport-Verein 1896 zusammen. Warum kam es zu der Fusion? Hannovera wurde von der Stadt erneut ein Pachtvertrag für einen Sportplatz aus organisatorischen Gründen gekündigt. Der Klub war es leid, ständig einen neuen Platz suchen zu müssen, und startete mit dem HFC Verhandlungen, die zu einem positiven Abschluss führten. Dass Hannover 96 heute von seinen Fans mit »HSV«-Sprechchören angefeuert wird, rührt aus dieser historischen Entwicklung her.

Rote Trikots, aber Schwarz-Weiß-Grün als Vereinsfarbe

Das Team von Hannover 96 wird »die Roten« genannt und spielt regelmäßig in roten Trikots, auch wenn die Vereinsfarben Schwarz-Weiß-Grün sind. Wie das kommt? Nach einem eindeutigen historischen Beweis wird noch geforscht. Aber die naheliegendste Variante bislang lautet: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Hannover schon zahlreiche Vereine, und die Teams trugen eine Stadtmeisterschaft aus. Dabei gab es die klare Vorgabe, dass jedes Team genau in einer Farbe spielen muss. Grün war schon vergeben, weshalb Hannover 96 rote Trikots zugeteilt wurden. Ursprünglich wurde der Klub übrigens nicht »die Roten« genannt, sondern »die Weinroten«. Erst im Laufe der Zeit folgte die Verkürzung. Und auch bei den Trikots sollte es noch zur Abwechslung kommen: Nach der Fusion mit Hannovera im Jahr 1913 lief Hannover 96 zwischenzeitlich in schwarzen Hosen und weißen Hemden auf. Die schwarz-weiß-grünen Farben auf den Fahnen blieben aber erhalten.

Von der Radrennbahn über die Eilenriede bis zum Niedersachsenstadion: die Spielstätten von Hannover 96

Zahlreiche Fußballvereine hatten in ihrer Gründungszeit lange damit zu kämpfen, eine passende Spielstätte zu finden. Diverse Umzüge prägten daher das Vereinsleben. Bei Hannover 96 verhielt es sich dagegen anders. Sehr schnell, im Jahre 1898, konnte der Klub einen Dauermietvertrag für die Radrennbahn am Pferdeturm abschließen (heute läge das Stadion an der Hans-Böckler-Allee). Wie kam es zur schnellen Einigung? In Hannover lag der Radsport im Trend, die Sportstätten waren dafür sehr gut ausgebaut. Der HFC trug als Test 1896 bereits ein Rugby-Spiel im Innenraum der Radrennbahn aus, die Vereinsführung erkannte schnell den Komfort etwa mit naheliegenden Umkleiden und einem Restaurant. So wurde mit den Verantwortlichen 1898 der Mietvertrag abgeschlossen. Wirtschaftlich gesehen war dies ein sehr weitsichtiger Deal. Der Verein besaß bereits überdachte Sitzplätze, konnte schon sehr bald Eintrittsgelder verlangen und attraktive Klubs zu Testspielen nach Hannover laden, was wiederum den Zuspruch des Publikums erhöhte. Am 3. Mai 1914 spielte Hannover etwa gegen den englischen Top-Klub Tottenham Hotspurs (3:6) vor der damaligen Rekordkulisse von 10 000 Zuschauern.

Bis 1958 diente die Radrennbahn als Spielstätte für Hannover 96, einzig bei besonders attraktiven Liga-Partien wich der Verein ab 1928 in das größere Hindenburg-Stadion (ehemals Eilenriede-Stadion, heute »96 – Das Stadion«) aus. In der Zwischenkriegszeit fanden dort rund 25 000 Besucher Platz. Ab 1956 wurde das Eilenriede-Stadion die feste Heimspielstätte von Hannover 96, da der Radrennbahn-Komplex als marode galt und schlussendlich 1958 abgerissen wurde.

Gleichzeitig konnte Hannover 96 ab 1954 das moderne Niedersachsenstadion als Spielstätte zeitweise nutzen, ab 1959 wurde die große Arena dann zur Hauptspielstätte. Vor den Weltmeisterschaften 1974 und 2006 erfolgten größere Umbauten, das Niedersachsenstadion wurde 2002 in AWD-Arena umbenannt und seit 2013 lautet der Name HDI-Arena. Derzeit bietet das Stadion 49 200 Besuchern Platz. Das Stadion Eilenriede erfuhr ebenfalls eine Modernisierung. Im Jahr 2016 wurde das marode Eilenriede-Stadion umgebaut. Im Zuge des Neubaus der »96 – Die Akademie« (offizieller Name für das Nachwuchsleistungszentrum NLZ) bekam der 96-Nachwuchs mit »96 – Das Stadion« auch eine neue Spielstätte. Besonders bemerkenswert bei dem Millionenprojekt: Das Spielfeld wurde um 90 Grad gedreht. Die ursprüngliche Haupttribüne dient nun noch auf der einen Seite als Hintertortribüne.

Hannover 96 ist zweimal deutscher Meister

Hannover 96 wurde 1938 erstmals deutscher Meister. In zwei dramatischen Finals – das erste Endspiel endete Remis, weshalb es eine Wiederholung gab – gegen den Top-Favoriten Schalke 04 setzte sich Hannover durch. Die Mannschaft von Trainer Robert Fuchs löste große Begeisterung in Hannover aus und wurde bei ihrer Rückkehr frenetisch empfangen. Ähnlich überraschend gewann Hannover auch 1954 den zweiten Meistertitel gegen Top-Favorit 1. FC Kaiserslautern. Große Titelgewinne können jedoch auch stets zu Nachteilen führen: Obwohl Hannover 96 die Titel als Außenseiter holte, stieg die Erwartungshaltung an die Mannschaft an. Bei sportlichen Krisen fehlte dem Klub oftmals die Geduld, um die richtigen und keine überhasteten Entscheidungen zu treffen. Es dauerte wohl bis ins neue Jahrtausend hinein, bis der Verein verstand, historische Erfolge, darunter auch den DFB-Pokalsieg 1992, in Ehren zu halten, aber sie nicht als Anspruchshaltung für eine neue Saison heranzuziehen.

1960er-Jahre: Hannover holt dreimal
den Meistertitel im Amateurbereich

Früher, als der Profi-Fußball noch nicht komplett ausgereift war, besaß die deutsche Amateurmeisterschaft große Bedeutung. In den 1960er-Jahren gewann Hannover 96 gleich dreimal den Titel. 1960 besiegte Hannover im Wiederholungsspiel den Oberhausener Vorortklub BV Osterfeld mit 3:0. 1964 gab es einen 2:0-Erfolg im Finale gegen den SV Wiesbaden und 1965 besiegte Hannover die Wiesbadener erneut (2:1).

Die DNA von Hannover 96

Was zeichnet Hannover 96 eigentlich aus? Fans und Vereinsverantwortliche finden sehr viele positive Charakteristika für den Verein, wie könnte es anders sein. Einige Berichterstatter würden dagegen wohl zuerst einige Skandale des Klubs aus der Vergangenheit anführen. Eine große Stärke von Hannover 96 wird bislang weniger berücksichtigt: die lang anhaltende Comeback-Qualität des Klubs. Ob drohender Bankrott, Machtkonflikte auf der Führungsebene des Vereins, Abstiege und verpasste Aufstiege: Hannover 96 kehrte immer wieder in die Bundesliga zurück und begann sogar, sich sportlich und finanziell zu stabilisieren. Zahlreiche andere Traditionsklubs, die weit weniger Schwierigkeiten zu bewältigen hatten, stecken bis heute in den Niederungen der Amateur-Ligen fest. Es spricht für die Unterstützer des Vereins und für das Umfeld in Hannover, dass Hannover 96 aus Krisenzeiten in der Regel gestärkt zurückkehrt. Eine Auswahl der Comeback-Qualitäten von Hannover 96:

1963 wurde überraschend Rivale Eintracht Braunschweig Gründungsmitglied der Bundesliga. Eigentlich hatten die Fakten zunächst für Hannover 96 gesprochen (siehe Kapitel sieben Derby-Time). Hannover entwickelte jedoch eine Art Trotzmentalität, rüstete den Kader auf und stieg 1964 umgehend in die Bundesliga auf.

1978 stand Hannover 96 vor dem finanziellen Ruin. Der DFB-Ligaausschuss verweigerte am 22. April 1978 in erster Instanz dem hoch verschuldeten Hannover 96 die Lizenz für die zweite Liga 1978/79. Der Verein legte einen Sanierungsplan vor, doch auch in zweiter Instanz lehnte der DFB-Ligaausschuss die Lizenzvergabe an 96 ab. Die Führung von Hannover 96 gab nicht auf, suchte nochmals nach weiteren Geldgebern und richtete auch ein Gnadengesuch an den Vorstand des DFB. Mit 3:2 Stimmen gab der DFB am 14. Mai 1978 dem Gnadengesuch statt.

Die Mischung aus einer wohl zu hohen Erwartungshaltung an die Mannschaft, immer wiederkehrenden finanziellen Problemen und zahlreichen Personalwechseln führte Hannover 96 zwischen Mitte der 1970er-Jahre und Ende der 1990er-Jahre in eine sportlich missliche Lage. So stieg Hannover 1974 das erste Mal aus der Bundesliga ab. Weitere Abstiege aus dem Oberhaus folgten 1976 und 1986. Hannover kämpfte sich 1975, 1985 und 1987 wieder in die Bundesliga zurück, doch mit dem Abstieg 1989 waren die Bundesliga-Träume zunächst passé. Es kam noch schlimmer: 1996 rutschte Hannover aus der zweiten Liga in die Regionalliga ab. Im Jahr darauf scheiterten die Roten auch noch in der Relegation an der Rückkehr in die zweite Liga. Doch erneut verfolgte der Klub hartnäckig seine Ziele: Mit einer jungen Mannschaft glückte im zweiten Anlauf 1998 die Rückkehr ins Unterhaus, 2002 folgte der Aufstieg in die Bundesliga, in der sich Hannover bis 2016 durchgehend behaupten konnte. Und auch den Abstieg 2016 konterte Hannover mit dem Wiederaufstieg 2017.

Ein vierter kritischer Punkt in der Historie von Hannover 96 sind gelegentlich auftretende Machtkämpfe im Verein. Für mehr als Kopfschütteln sorgte in der Öffentlichkeit der Konflikt mit Utz Claassen im August 1997. Hannover 96 hatte gerade in der Relegation den Aufstieg in die zweite Liga verfehlt, der Unternehmer und neue Klubchef Claassen wollte Hannover 96 nun umstrukturieren. Zu seinen ersten Amtshandlungen zählte die Entlassung von Manager Franz Gerber.

Doch Gerber besaß bei Spielern und Fans großen Rückhalt. Die Fans skandierten während der Pokalpartie gegen Borussia Mönchengladbach am 16. August 1997 laut »Gerber, Gerber, Gerber!« und »Spielen für Gerber!«. Die Fans protestierten gegen den 96-Präsidenten: »Keine Diktatur« war auf einem Banner groß zu lesen. Auf einem anderen Banner stand: »Schlimmer als Braunschweig und Cottbus: Der ›eigene‹ Präsident!« Utz Claassen musste das Pokalspiel von Hannover 96 im Niedersachsenstadion gegen Mönchengladbach (Sieg im Elfmeterschießen) vorzeitig verlassen. Begleitet wurde er ohnehin von zahlreichen Personenschützern, denn Claassen hatte mehrere Drohanrufe und Morddrohungen erhalten.

Trainer Reinhold Fanz verkündete wiederum, nur im Amt bleiben zu wollen, wenn auch Gerber wieder als Manager arbeiten dürfe. Auf der Pressekonferenz standen alle Spieler rund um den sitzenden Fanz. Als Fanz sagte: »Gerber muss zurückkommen. Anders glaube ich, dass der Verein sonst Schiffbruch erleidet«, fingen die 96-Spieler plötzlich an zu jubeln und zu grölen: »Jawoll! Genau!« Zu dieser Mannschaft von einst zählen heute bekannte Akteure wie Dieter Hecking, Gerald Asamoah, Sebastian Kehl, Otto Addo, Jens Rasiejewski und Jörg Sievers. Sie alle riefen plötzlich laut wie aus einem Munde: »Wir wollen Gerber!« Utz Claassen trat kurze Zeit später nach nur 74 Tagen von seinem Amt zurück, zumal ihn auch eine einflussreiche Person in Hannover öffentlich kritisiert hatte: Martin Kind.

Die Ära Martin Kind

Nach Utz Claassen übernahm Martin Kind am 26. September 1997 das Präsidentenamt bei Hannover 96. Der Unternehmer (Hörgeräte) sanierte den Klub und stellte ihn auf wirtschaftlich gesunde Beine. Der entscheidende Kniff von Kind war es, die Ausgliederung der Profi-Abteilung in die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA bereits im Jahr 1999 durchzuführen. Zudem übernahm die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG die Markenrechte von Hannover 96, wofür umgerechnet rund 1,3 Millionen Euro an den Verein bezahlt wurden, während der gemeinnützige e. V. die Markenrechte bis heute weiter kostenlos nutzen darf. Während Kind Hannover 96 zur regionalen Marke aufbaute, kam zudem der sportliche Erfolg zurück: Zwischen 2002 und 2016 spielte Hannover 14 Jahre durchgehend in der Bundesliga und nahm zweimal an der Europa League teil.

Kurzzeitig hatte Kind sein Amt bei 96 aufgegeben. Zu Saisonbeginn 2005/2006 trat er überraschend mit der Begründung zurück, die Weichen für eine erfolgversprechende Zukunft gestellt zu haben. Doch unter der kurzen Ägide von Funktionären wie Karl Heinz Vehling und Götz von Fromberg kam erneut Dissens in den Vereinsgremien auf, weshalb Kind auch unter dem Beifall zahlreicher 96-Fans im Jahr 2006 wieder Klubchef wurde. Auch in der Ära Kind wurde der Umbau des Niedersachsenstadions in eine WM-Arena vollzogen, und Kind stemmte auch das neue Nachwuchsleistungszentrum (NLZ), dessen Baukosten sich wohl auf 18 Millionen Euro beliefen.

»Jubel-Hattrick« am 23. Mai

Der 23. Mai gilt als positiv besetztes Datum für Hannover 96. Am 23. Mai 1954 gewann Hannover 96 seinen ersten Meistertitel, am 23. Mai 1992 holten die Roten den DFB-Pokal im Finale gegen Borussia Mönchengladbach und am 23. Mai 2015 sicherte sich Hannover am letzten Spieltag der Bundesliga mit einem 2:1-Heimsieg über den direkten Konkurrenten SC Freiburg den Klassenerhalt:

Hannovers »Jubiläums-Abstieg«

Feiert Hannover 96 ein besonderes Vereinsjubiläum, ist das sportlich manchmal kein gutes Omen. Im Jahr des 90. Vereinsgeburtstags 1986 stieg Hannover in die zweite Liga ab. Zehn Jahre später kam es noch schlimmer: Zum 100. Geburtstag stieg Hannover 96 das einzige Mal in der Vereinshistorie in die dritte Liga ab (Regionalliga). Zum 120. Vereinsjubiläum musste Hannover im Jahr 2016 nach 14 Jahren Erstliga-Zugehörigkeit wieder den Gang in die zweite Liga antreten.

»Schleudersitz« Hannover 96?