Das Buch
Gewohnt derb, oft skurril, doch immer sympathisch gewährt der Autor Einblick in sein Leben: seit seinen Bestseller-Erfolgen ist das nämlich ziemlich heftig. Auftritt reiht sich an Auftritt, und der selbsternannte Vorlese-Oppa gerät beim Versuch, etwas für sich zu tun und seinen Körper à la Rocky zu stählen, fast in Lebensgefahr. Deswegen bleibt er nun lieber beim Yoga. Lieblingsposition: ›Stehender älterer Herr‹.
Dabei lässt es sich auch gut schreiben, und so bleibt in seinen Texten niemand verschont: Angela Merkel, Sigmar Gabriel, die Waffenlobby, Pegida oder die FIFA – sie alle nimmt er gnadenlos auf die Schippe. Bei allem bleibt die unerschütterliche Liebe zum einzig Wahren: dem Ruhrgebiet. Nicht Ruhrpott – denn: »Im Pott wohnt man nicht, auf’n Pott geht man.«
Der Autor
Torsten Sträter wurde 1966 geboren und wuchs mit den üblichen Parametern auf: gestrickte Pullis, samstags Daktari, danach Badewanne. Mit 41 Jahren betrat er erstmals eine Poetry-Slam-Bühne. Seitdem geht es stetig aufwärts, und er tritt mittlerweile in großen Hallen sowie regelmäßig im TV auf. Wenn er nicht auf Tour ist, lebt er, wie alle Feingeister seines Schlages, im Ruhrgebiet.
http://www.torsten-straeter.de/
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-1531-7
© Torsten Sträter (www.torsten-straeter.de) und
© Lappan Verlag GmbH in der Carlsen Verlag GmbH, Hamburg/Oldenburg 2016
© des eingeschmuggelten Texts: Jürgen von der Lippe
Lektorat: Oliver Domzalski
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München,
nach einer Vorlage von Monika Swirski
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Über das Buch und den Autor
Titelseite
Impressum
Vorwort
Widmung
Teil I – SCHÖNE GESCHICHTEN
Dienstag
Ruhig bleiben
Läuft
Ödipus
Männer schweigen
Darmspiegelung
BATMAN
Sporttagebuch
Wie ich zu tv total kam
Fleischwurst
Die Vita
Oppa
Depressionen
Krampus
Technik
Diät-Tagebuch II
JIM BEAM
Bubble Tea (enthält Spargel)
Teil II – DIE TV-TEXTE
Ersatz-Pressesprecher – die extra-3-Beiträge
Sigmar Gabriel
Viktor Orbán
Mineralölkonzerne
Waffenlobby
Weltreligionen
Pharmaindustrie
Verband Deutscher Makler
FIFA
Angela Merkel
GDL
Wladimir Putin
Franz Beckenbauer
Thomas de Maizière
Ronald Pofalla
Hier ein Text für die heute-show …
Markencheck Deutschland
Dieser Text hier …
Das Ruhrgebiet
Dreieinhalb Dankesreden
DANKE 1
DANKE 2
EXTRADANK
DANKE 3
Texte für Nuhr im Ersten
Flüchtlingsgesetz
Die Regeln
Pegida
Ich im kicker
Neuer Held
Minigolf
Propheten-Zeug: Warum wir diesmal die WM gewinnen
Liebe Jungs vom BVB …
Gute Ärzte sind wichtig
Teil III – VÖLLIG HIRNVERBRANNTES ZEUG
Abgelehntes Material
Detektiv-Roman-Versuch,
Aus aktuellem Anlass: ein Zwischenbericht zum Stand der Jonglage im Ruhrgebiet
Ich will keinen Ärger
28 Days Straeter
Feedback an den Verlag
Empfehlungen
Der Witz setzt immer ein Publikum voraus. Darum kann man den Witz auch nicht bei sich behalten. Für sich allein ist man nicht witzig.
Johann Wolfgang von Goethe
Ich arbeite nur in Schwarz, und manchmal in ganz, ganz dunklem Grau.
Batman, The LEGO Movie
Liebe Leserin, lieber Leser,
da sind wir wieder.
Falls Sie dieses Buch soeben gekauft haben, darf ich hoffen, Sie waren dafür in einem dieser beschatteten Buchläden, vielleicht die Sorte mit einem massiven Mischlingshund, der wie ein Sandsack nahe des Verkaufstresens liegt; möglicherweise hören Sie irgendwo fern aus dem Off eine Kaffeemaschine röcheln, und es duftet entsprechend; wer weiß, vielleicht ist links von Ihnen ein Metallständer mit Motiv-Kalendern, da gibt’s ja thematisch mittlerweile alles: nackte Leiber, Katzen, Städte, Bagger, Thüringer Homöopathen mit Tribal-Tattoos, Autos, Schraubenzieheraufbewahrungsblechboxen, Hyänen, Rigips, venezianische Karnevalsmasken aus Mett und Kalender mit wechselnden Motiven aus Motiv-Kalendern, deren Abbildungen ebenfalls Abbildungen aus Motiv-Kal …
Was wollte ich sagen?
Danke für den Kauf!
Falls Sie allerdings grad im Bahnhof sind, auf Ihren Anschluss warten und aus Langeweile mit Ihren franzbrötchenbeschmierten Griffeln desinteressiert Bücher durchfummeln: Ihr Zug fährt heute abweichend auf Gleis 38. Wenn überhaupt.
So. Noch mal vernünftig jetzt:
Herzlich willkommen zum dritten Buch. Natürlich ist es wieder keine Literatur geworden. Ist mir bewusst. Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau sagte einmal: »Bücher müssen mit eben so viel Überlegung und Zurückhaltung gelesen werden, wie sie geschrieben wurden.« Wenn das zutrifft, können Sie als Leser völlig lockerlassen. In diesem Buch finden Sie weder Überlegung noch Zurückhaltung, denn ich hatte lediglich im Sinn, Sie zu unterhalten. Immerhin kann ich sagen, dass so ziemlich alles, was ich in den letzten zwei Jahren für Bühne, Fernsehen, Radio oder einfach nur für die Schublade verzapft habe, hier zu finden ist. Will sagen: Eine gewisse Masse ist vorhanden.
Natürlich können Sie jetzt erwidern, dass Sie sich das alles auch auf YouTube zusammenklauben könnten, einiges gibt’s ja als digitales Material im Netz, und ich möchte antworten: Logo. Wenn Sie so gestrickt sind. Ich bin nicht der Typ, der mit den Armen rudert und andere zwingt, mein Zeug aus dem Internet zu entfernen, und ja, vielleicht ist das kaufmännisch ein bisschen dämlich, aber ich finde es ziemlich lässig. Also tun Sie, was ihnen beliebt. Dann müssen Sie eben mit Laptop auf den Pott. Es ist aber genug Material hier versammelt, das Sie noch nicht kennen. Vielleicht aus gutem Grund, wer weiß.
Was es noch zu sagen gibt:
Die letzten zwei Jahre waren ziemlich heftig. Das hat mich ein bisschen verändert. Ich habe mehr gearbeitet denn je, falls man das, was ich so mache, als Arbeit bezeichnen möchte. Ich neige an sich nicht dazu. Ich kann ganz gut schreiben und das Geschriebene dann im Rahmen meiner Möglichkeiten vortragen – gelesen oder einfach nur so erzählt. »Im Rahmen meiner Möglichkeiten« ist das Zauberwort. Ich schreibe wie ich spreche, zumindest sehr ähnlich, und vielleicht ist das authentisch genug, um andere Defizite auszugleichen. Das hindert mich zwar nicht daran, mich beim Singen zum Vollhorst zu machen, aber ich versuche zumindest, mich weniger zu blamieren als früher. Ich kenne meine Grenzen ganz gut. Beruhigt mich irgendwie. Eine meiner Grenzen ist diese Geschichte »Fleischwurst«, eine, wie ich finde, ziemlich gelungene Erzählung über meinen Sohn, Wurst … und meine Mutter. Meine Mutter ist im November 2013 gestorben, und sie fehlt mir, wie auch meinen beiden großartigen Brüdern, jeden Tag. Sie mochte diese Geschichte, obwohl ich mich in ihr ziemlich über sie lustig mache … und seit sie weg ist, kann ich diese Geschichte nicht mehr vorlesen. Irgendwann bekomme ich es sicher wieder hin, und ich denke, wenn es so weit ist, wird diese Geschichte für mich, und nur für mich, zu etwas ganz Persönlichem. In diesem Buch finden Sie das Ding auf jeden Fall. Und um Ihnen noch ein Geheimnis zu verraten: Ich mag Wurst nicht besonders. Currywurst, klar! Aber Aufschnitt? Du hast keinen Schimmer, was drin ist. Mag sein, dass einige Sachen in diesem Buch etwas anderes sagen, aber so ist das mit der Satire. Man kann gar nicht genug übertreiben.
Warum ich Ihnen das alles erzähle?
Na, Sie sind meine Leserin oder mein Leser, hm? Wem denn sonst? Ich verdanke Ihnen einiges.
Ach, und keine Sorge, falls Sie das Buch blöd fanden, nehme ich Ihnen das nicht übel. Aber ich nehm’s auch nicht zurück. Und wenn Sie es mochten, freue ich mich, da können Sie einen drauf lassen, wie der Volksmund sagt.
Mein Sohn möchte übrigens auch gern Komiker werden, und da er ein wunderbarer, liebevoller und wirklich witziger Typ ist, wird er das auch schaffen. Ich bin für Dich da.
ABER ERST MACHST DU EINE AUSBILDUNG! ERST AUSBILDUNG! WAS VERNÜNFTIGES! ECHT!
Und nun geht’s los.
Bis bald,
Ihr Torsten Sträter
Zuerst die Widmung, voller Liebe, von mir und allen,
die dich lieben:
FÜR MEINE MUTTER
SCHÖNE GESCHICHTEN
8:00 Uhr.
Der Tag türmt sich auf. Kaffee.
8:02 Uhr.
Filtertüten sind alle. Ein Weiterleben scheint undenkbar. Lösungen müssen her.
8:32 Uhr.
Wenn man Kaffee ohne Filtertüte aufbrüht, ist er wesentlich würziger. Dafür hat er die Konsistenz von Torf. Erspart mir immerhin das Müsli. Bin ich ohnehin von ab. Denn wir müssen uns ja fragen: Warum wurde Gustl Mollath jahrelang in der Klapse festgehalten, während der SEITENBACHER-MANN auf freiem Fuß ist? Ich habe Furcht vor ihm. Mythen kursieren über den Seitenbacher-Mann. Man sagt, jeden Löffel SEITENBACHER-MÜSLI, den wir essen, hatte er schon mal im Mund. Man sagt auch: Wenn man um Mitternacht vorm Spiegel dreimal seinen Namen ausspricht, stirbt in Koblenz eine Nonne an Verstopfung. Das ist natürlich Kokolores, aber trotzdem: Diese persönlich von Seitenbacher gebellten Radiospots sind ganz ganz schlimm, und ich finde, ernährungsbedingt gut kacken zu können, darf nicht die Entschuldigung für alles sein.
8:47 Uhr
Es klingelt. Mein Nachbar. Er ist Polizist, echt nett und ein Familienmensch. Seine Oma wohnt bei ihm im Obergeschoss. Ein Mehrgenerationenhaus. Immer ist jemand daheim. Deswegen werden da auch immer meine Pakete abgegeben. Früher kam der Paketbote zu mir, aber 2009 öffnete ich mal nackt die Haustür und rief, weil mir müdigkeitsbedingt die Formulierung GUTEN MORGEN entfallen war, KIKERIKI. Und ein Mann, der mit baumelndem Pillemann kräht, ist nun mal nicht des Boten erste Wahl. Also geht das Zeug seitdem nach nebenan, und mein Freund, der Polizist, bringt es rüber. Täglich. Ich bestelle aber auch nur Sachen, die ich ganz dringend brauche.
Ich nehme ihm das riesige Paket ab. Es enthält zum einen den Motivkalender BROT 2015, mit sehr beruhigenden Fotos von Broten, zum anderen einen Hochdruckreiniger.
»Torsten«, sagt mein Nachbar. »Ich hab die Schnauze voll von dem Scheiß hier. Dein Leben hat keine Struktur. Du konsumierst nur. Kaufst du so viel Zeug, weil du einsam bist?«
»Ich bin nicht einsam. Du besuchst mich ja täglich.«
»Alter! Hol dir ein Haustier. Oder geh mal ins Theater! Und hör auf, irgendwelchen Mist zu bestellen.«
9:12 Uhr
Der Hochdruckreiniger ist aufgebaut. Wie lange dauerte es bisher täglich, sich mit einem Lappen das Gesicht zu waschen? Ab jetzt wird Zeit gespart. Ich schäume mich mit einer milden Seife ein und richte dann den Wasserfächer des Hochdruckreinigers auf mein Gesicht.
9:13 Uhr
Erste Eindrücke:
1. Mein Gesicht ist sehr sauber.
2. Die Wand hinter mir hat keine Tapete mehr.
3. Die Reinigung kann man als unangenehm beschreiben.
4. Man wirkt irgendwie unvollständig ohne Augenbrauen.
9:22 Uhr
Ich muss an die Luft. Da ist was an meiner Autotür. Eine Visitenkarte. Sie ist enorm bunt.
WIR KAUFEN IHR AUTO-HEUTE-MORGEN-JEDERZEIT-ANRUF GENÜGT-WIR ZAHLEN BAR!
Darunter eine Handynummer. Ja sicher, denke ich, denen verkaufe ich meinen Wagen. Wer für eine Pappkarte alle Farbpatronen leer knallt, ist ein großzügiger Charakter. Da rufe ich sofort an. Nach dem achten Klingeln höre ich eine übelgelaunte Stimme: »Wasis?«
»Morgen. Ist da die Kfz-Hütte, die nachts Deppen losschickt, um widerrechtlich ihre Harlekin-Botschaften an andererleuts Autos zu klemmen?«
Man hört den Typen denken. Dann sagt er: »Nee. Nee-nee. Wir kaufen und verkaufen … nur … andere Sachen.«
»Aha. Was denn so?«
»Alles.«
»Alles?«
»Ja. Alles.«
Mir fällt ein, was mein Nachbar sagte: Besorg dir ein Haustier.
»Sagen Sie«, frage ich, »verticken Sie auch Reptilien?«
11:49 Uhr
Wissen Sie, wie lange eine Spülmaschine benötigt, um Ihr Geschirr sauber zu kriegen? Lange. Wenn Sie allerdings einen Hochdruckreiniger besitzen, schrumpft diese Zeit auf ein Minimum. Folgerichtig verteile ich Löffel, Gabel, Messer und Teller auf der Wiese im Garten. Ich betröpfele alles mit Spüli. Dann stelle ich den Hochdruckreiniger auf MAXIMUM.
Schwer zu beschreiben, was dann geschieht. Es ist wie Magie. Nur in hart.
13:44 Uhr
Es klingelt. Ich blicke durch den Spion. Ein fremder Herr. Er hält einen großen Karton in den Händen, und dieser Karton bewegt sich. Ah, meine Bestellung beim Visitenkartenmann. Ich verhalte mich still. Schließlich klingelt er beim Nachbarn. Der scheint das Paket nicht annehmen zu wollen. Dann platzt die Pappe auf. Für’s Protokoll: Ein Krokodil erscheint. Es gleitet blitzartig aus dem Karton und ins Haus meines Nachbarn.
Nach knapp acht Sekunden findet die Evakuierung statt. Ich gehe interessiert vor die Tür. Auf der Wiese erscheinen panisch: der Polizist, die Großmutter, dahinter das Krokodil. Eine Erinnerung aus meiner Kindheit entsteht vor meinem geistigen Auge. Ich rufe sehr laut: Tri-tra-trullala! Mein Nachbar eröffnet das Feuer, alles geht in Deckung, ich suche Feuerschutz in meinem Wagen. Betätige die Zündung, das Radio geht zeitgleich an. Großmutter, Polizist und Krokodil bewegen sich zügig auf mich zu. Im Radio sagt der Moderator:
»Ein Warnhinweis. Vorsicht auf der A2 Höhe Dortmund. Da liegt Besteck auf der Fahrbahn.«
Dann kommt die Seitenbacher-Werbung. Alle weichen wie vom Donner gerührt zurück. Sogar das Krokodil.
17:22 Uhr
Ich sehe sporadisch aus dem Fenster. Ich glaub, mein Nachbar hat Gesprächsbedarf. Allein, mir fehlt die Zeit. Vor meiner Haustür faucht das Krokodil, und ich muss es alle paar Minuten mit dem Hochdruckreiniger befeuchten. Durch den Briefschlitz. Ist ja saugefährlich. Na ja ... Das mit dem Haustier hab ich immerhin versucht, und im Theater war ich ja im Prinzip auch. Kurz.
Alles in allem ein völlig normaler Dienstag also. Jedenfalls kein Vergleich zu meinen Freitagen. Die sind gelegentlich echt ein bisschen seltsam. Aber das erzähl ich euch beim nächsten Mal.
In letzter Zeit wird es immer unruhiger draußen.
Ich möchte hiermit aber auch mal schriftlich festhalten, dass innere Ruhe zum Beispiel aus der Erkenntnis kommt, nicht immer alles sofort beantworten zu müssen. Alle fordern zügige Erwiderungen. So läuft Kommunikation heutzutage. Im Gespräch, auf Facebook, bei Konfrontationen. Aber warum? Und wen juckt das? Sie stehen in aller Regel nicht vorm Kriegsgericht. Falls Sie etwas gefragt werden: Nehmen Sie sich Zeit zum Nachdenken, und wenn Nachdenken jetzt nicht so Ihr Ding ist, nehmen Sie sich die Zeit, um so zu tun. Und sagen Sie dabei nichts. Während der andere denkt, Sie würden in Ruhe über etwas nachsinnen, können Sie in Gedanken was singen, zum Beispiel: Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad. Und wenn dann irgendwann später doch noch nachgefragt wird, ob Sie jetzt verkackt noch eins zu Ende nachgedacht haben, erheben Sie sich, deuten eine leichte Verbeugung an und sagen: »Ich melde mich.« Dann gehen Sie nach Hause. Es sei denn, Sie sind zu Hause. Dann gehen Sie woanders hin.
Mit Schlagfertigkeit verhält es sich genauso. Der Zwang zur schnellen Erwiderung setzt uns nur unter Stress, und der Effekt hält so lange wie ein Furz. Es ist quasi nur für den Kick, für den Augenblick. Machen Sie es wie ich:
1981 ging ich in den Grundkurs einer Tanzschule namens Brinkmann-Linde in Lünen. Dort herrschte das erste Mal in meinen Leben ein Dresscode, nämlich Sakko, Krawatte und Schnürschuhe. Ich trug eine Lederkrawatte, schmal, blau, heute ein verdammter Albtraum, damals aber als Accessoire ganz vorne mit dabei. Die Mädchen trugen Röcke und Kostümjacken mit Schulterpolstern, als wäre der Kleiderbügel noch drin, was jetzt aber keine Rolle spielt. Jedenfalls kam irgendwann an diesem Abend ein Schrat in grünem Lacoste-Polo mit Strickkrawatte zu mir, spannte mir meine Tanzpartnerin aus und sagte ziemlich laut und höhnisch: »Schicker Schlips!«
Alle lachten. Ich sagte nichts. Aber später recherchierte ich seinen Namen. Ich behielt ihn im Auge.
Dann rief ich ihn an. Nach dem achtzigsten Klingeln hob er ab. »Ja?«
Ich sagte: »Und mit deiner Häkelpeitsche würde ich mir nicht mal den Arsch abwischen«, und legte auf.
Nachts um vier.
26 Jahre später.
Und ich war mir sicher: Über dieses Telefonat würde er noch lange nachdenken.
Also: Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Wenn Sie ruhig bleiben, behalten Sie die Übersicht. Und ja – auch ich komme in Situationen, die furchterregend sind. Ich war letztes Jahr für einen Auftritt in Niederbayern, kam spät abends ins Hotel, die Lobby war düster, ich bog um die Ecke zur Rezeption … und da stand eine Frau mit drei Köpfen. Bleib ruhig, befahl ich mir. Und dann ging das Licht an, und ich sah, AHA, ein Dirndl. Alles absurd hervorquellend – aber kein Grund zur Panik. Sieht man eben selten. Nimm dir einfach Zeit. Schön ruhig. Dann klappt es besser.
Es gibt so viele Beispiele. Einmal war mein Sohn bei mir und machte Hausaufgaben. Dabei murmelte er halblaut vor sich hin. Ich merkte sofort, da lief was schief. Kein Wort am richtigen Platz, schlimm verschwommene Aussprache, und für einen Schlaganfall war er zu jung. Ich blieb ruhig, suchte sanft die Nummer eines Logopäden aus dem Branchenbuch, dem würde beizukommen sein. Dann kam mein Junge zu mir, ich hatte den Hörer schon in der Hand, und anhand seiner Hausaufgaben erkannte ich, AHA, er hat jetzt Niederländisch, und ich konnte wieder auflegen.
Das beste Beispiel liefert allerdings mein Bruder. Diese Geschichte ist wahr.
Mein Bruder fährt jedes Jahr nach Dänemark auf einen Campingplatz; er besitzt ein Wohnmobil von der Größe Brandenburgs, das dafür aber auch die gesamte Familie fasst, und – à la Arche Noah – zwei Exemplare jeder Tiergattung. Groß! Aber schnell geht anders. An jenem Tag der Anreise indes hatte er es eilig. Der kleine Bäcker des Campingplatzes bietet die besten und auch einzigen Brötchen im Radius von 30 Kilometern – die einem in Dänemark wie 120 Kilometer vorkommen. Punkt acht beginnt der Verkauf. Die Brötchen stets vor Augen, schaffte er es, um 8:04 Uhr auf dem Platz anzukommen, sah die noch kurze Schlange hungriger Camper aller Nationen und parkte folgerichtig direkt vorm Schaufenster der Bäckerei, woraufhin es in der Bäckerei zappenduster wurde. Camper sind lässige Klienten, aber als mein Bruder sich in die Karawane der Wartenden eingereiht hatte, ging hinter ihm die Lästerei los, und das weder leise noch subtil.
»Da hat der Prolet ja gut geparkt. Hauptsache, er kann sich den Pansen vollschlagen.«
Klang dem Slang nach wie jemand, der entweder betrunken oder aus dem Rheinland war. Und für betrunken war’s zu früh. Mein Bruder sagte nichts. Er drehte sich auch nicht um. Unsereins hätte vielleicht doch überlegt, dem Suppenkasper das Esszimmer neu einzurichten, aber mein Bruder blieb ruhig. Der Mann redete weiter. Laut.
»Das sind die rücksichtlosen Ruhrpottärsche. Typisch.«
Mein Bruder schwieg.
»Und schlank ist er auch nicht grade. Bewegung täte ihm ja gut, dem dicken Tier …«
Mein Bruder schwieg weiterhin … dann war er an der Reihe.
Verkäuferin: »Wie viele Brötchen?«
Bruder: »Alle.«
War nicht billig, aber er ging lächelnd. Mit neun Tüten. 280 Euro. Wo andere einen Phantasialand-Aufkleber am Wagen haben, steht nun bei meinem Bruder: PANIERMEHL FOREVER.
Klar, manchmal ist die Ruhe kostspielig. Aber das ist sie meistens wert.
Das Jugendwort des Jahres 2014 war: LÄUFT BEI DIR? Gut, das sind drei, außerdem fehlt eins, aber ich will nicht klugscheißen. Ich mache es mir ja immer ziemlich leicht.
Deswegen werde ich häufig gefragt: Sachma Sträter, alte Surge – warum kannst du deine Texte nicht auswendig? Warum immer dieses Gehocke und Vorgelese? Nun, zum einen habe ich mit etwa sieben Jahren festgestellt, dass ich lesen knorke finde, und dann direkt als Nächstes, dass ich total super sitzen kann. Dass ich meine Kernkompetenzen so früh herausarbeiten konnte, war schon toll für mich. Außerdem kann ich alle meine Geschichten auswendig! Aber Vorlesen ist ein paar tausend Jahre alt. Und ich finde, Sachen, die ein paar tausend Jahre alt sind, stehen mir irgendwie. Und vorgelesene Inhalte haben so eine angenehme, langsame Tiefe. Man könnte sicher auch die Gutenachtgeschichte fürs Kind als Stand-up-Nummer präsentieren, so etwa:
»Kennen Sie das? Sie kommen als Rotkäppchen, original mit roter Kappe auf der Hirse, in Ommas völlig versiffte Rentner-Hütte, denn die Omma hat gesagt, komm vorbei und bring ’ne Flasche Aperol mit – Aperol Spritz, kennen Sie? Als ich den Namen das erste Mal hörte, dachte ich, es wäre ein Insektenvernichtungsmittel, JÜRGEN! ICH HAB SOLCHE BORKENKÄFER! HOL DAS APEROL UND SPRITZ! – jedenfalls, du kommst da rein, erwartest die Omma im Bett liegend und BÄMM! ’N Tier. Du stehst da und rufst: KACK DIE WAND AN! EIN WOLF! Und er trägt Ommas Klamotten! Klar, du kommst dahinter, er hat die Omma gefressen, gut, da gehen wir konform, aber warum zum Schinder zieht er dann ihr Zeugs an? Was ist das für ein kranker Shit? Ich mein, ich hab x-mal Der weiße Hai gesehen, kann mich aber nicht erinnern, dass er nach dem Fressen eines Schwimmers versucht hat, sich in dessen Badehose zu pressen, na ja Märchen, und überhaupt, warum heißt das Mädchen Rotkäppchen, um Gottes willen? Wegen der roten Kappe. Gut. Läuft. Und wenn die Kappe mal in die Wäsche muss? Dann geht das Mädchen ohne Mütze raus, trifft den Wolf, sagt: Ich bin Rotkäppchen, und der Wolf so: Warum?«
Aber bei so was pennt Ihnen doch kein Kind ein. Vorlesen ist schön. Und Lesen erst recht. Das bringt uns zu Punkt zwei auf meiner Liste. Ich hab’s schon mal gesagt, ich sag’s noch mal:
Bitte lesen Sie. Ich bin natürlich auch am Internet interessiert, klar, und es gibt ’ne Menge Sachen, die man super im Internet kaufen kann:
Rübezahl als Lampe aus Beton.
Gestrickte Futterale für Kettensägen.
Einhornmützen für Hauskatzen.
Latexmasken mit Teekesselpfeife am Mundstück.
Was man nicht im Internet kaufen muss: Bücher. Ist nicht nötig. Wir haben, zumindest noch im Moment, die Buchpreisbindung. Kostet also überall das Gleiche. Also bitte ich Sie lieb, kaufen Sie Bücher im Buchladen.
Das macht Spaß! Buchläden sind diese Geschäfte, in denen es nach Tee und Papier riecht, Läden, in denen der Besitzer komplett in Cord gekleidet ist, aber wirklich komplett. Auch die Socken. Buchhändler sind besondere Menschen! Bibliophile Leseratten und Kaufleute, die Kunden haben, die reinkommen und sagen: »Guten Tag, ich hätte gern einen historischen Roman, der darf aber nicht in der Vergangenheit spielen.« Also ’n harter Job. Antiquarische Bücher, die man sonst nirgends findet, kann man natürlich im Internet suchen, Titel wie: 2000 JAHRE GÜTERSLOHER PENIS-LYRIK oder so. Aber der reguläre Buchhandel sollte erste Wahl bleiben. Sonst gibt’s den irgendwann nicht mehr. Ich gehe so gern in Buchläden. Es ist ein Abenteuer.
In Baden-Württemberg war ich mal in einem esoterischen Buchladen! Fantastisch! Was für großartige Titel die da hatten. Kein Scherz:
TRAUMREISE MIT DEINEM KRAFT-TIER.
Vielleicht bin ich der Einzige, der sich vorstellt, er wird nachts um drei von einem marodierenden Dackel mit Rucksack geweckt: »Wir müssen los! Komm! Traumreise, Penner«. Jedenfalls bestimmt spannendes Buch. Oder:
DER ZWEITE KÖRPER.
Krass. DER ZWEITE KÖRPER! Ich hab dann auch gedacht, na wenn das ’n Buch über Beziehungen ist, ist der Titel ’n bisschen lieblos formuliert: EY! WO IST DER ZWEITE KÖRPER? – IM REWE. ER HOLT BUTTER.
Und mein Liebling, ein großartiger Lebensberater mit dem Fettgedruckten Titel JETZT! Sensationell. JETZT! Hab mir das Buch geschnappt, bin zur Kasse und habe gesagt: »Können Sie mir das für später zurücklegen?«
Egal. Was wollte ich sagen? Lesen Sie bitte. Ruhig Bücher aus Papier. Nix gegen E-Books, aber die kann man so schlecht verleihen. Oder verkaufen. Oder signieren. Und mir ist mal vor einiger Zeit eine CD angeboten worden, auf der sich ein paar Hundert digitale Bücher befanden. Als Raubkopie. Zack, so schnell geht’s.
Wollen Sie jedoch ein ganz normales Buch raubkopieren, stehen Sie die halbe Nacht vorm Kopierer, verquollen und arschmüde, und müssen dann für Ihr Raubexemplar 180 Euro nehmen, sonst rechnet sich das nicht. Ich finde, das ist ein prima Kopierschutz. Also, wenn Sie mich fragen: ab in den nächsten Buchladen. Wenn wir das tun, gibt’s vielleicht irgendwann nicht mehr so viele leerstehende Ladenlokale, vor denen wir dann wiederum stehen und rufen: BUCHHÄNDLER? LÄUFT BEI DIR?
Okay?
Dankeschön.
Meine früheste hochkulturelle Erinnerung ist ein gemeinsamer Museumsbesuch. Also ich und meine Mutter. Sie war die treibende Kraft, ich wollte ins Freibad. Sie sagte: »Denk doch mal nach!« Der Spruch rangiert auf der Top-Ten-Liste mit blöden Eltern-Sprüchen zwischen Platz zwei und drei. »Denk doch mal nach, es ist Januar!« Da muss ich nicht nachdenken, da guck ich in die Zeitung, auf meine Uhr oder das Handy, und dann weiß ich das. »Weiß ich«, sagte ich also, »und?« – »Da haben Freibäder zu.« – »Warum?« – »Zu wenig Nachfrage.« Ich fragte nicht weiter nach, und so landeten wir im Museum. Moderne Kunst. Schon das zweite Bild fand ich toll. Rückschauend sage ich: So sah es in meiner Mikrowelle aus, als ich mal versucht habe, darin zwei Eier hart zu kochen. Damals fehlten mir die Worte, es gab ja noch keine Mikrowellen. Aber meine Mutter sagte einen Satz, der in meiner Kinderseele den Grundstein für eine nicht nur positive Einstellung legte: »Also dat könntest du auch, nur besser!« Ich habe nie gemalt. Meine Psychiaterin hat mir das später mal so erklärt: Mutter fand das Bild so scheiße, dass sie sogar mir zutraute, ein schöneres zu malen. Ich fand das Bild aber klasse. Die Botschaft, die bei mir ankam, war also: Alles, was irgendjemand toll macht, kann ich besser. Und Ödipus hat seinen Senf sicher auch noch dazugegeben.