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© 2020 Christian Wolfgang Kronmüller
Lektorat: Jennifer Kronmüller
Korrektorat: Jennifer Kronmüller
weitere Mitwirkende: Udo Bayer, Susanne Selig, Susanne Hirschkorn
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7526-6497-3
Hinweise
Alle Informationen und Übungen in diesem Buch wurden nach besten Wissen und Gewissen niedergeschrieben und erklärt. Dennoch übernimmt der Autor keine Verantwortung, wenn durch das Nachahmen und Trainieren der im Buch gezeigten Übungen Schäden entstehen. Das Buch ist kein Ersatz für Qi Gong Unterricht, der von gut ausgebildeten Lehrkräften abgehalten wird, sondern lediglich als Ergänzung zu sehen. Sollten durch die Übungen Unwohlsein und Schmerzen auftreten, sind sie sofort zu beenden und ggf. ein Arzt oder Therapeut aufzusuchen.
„Fließendes Wasser wird nicht faul und Türangeln rosten nicht: das kommt von der Bewegung!“
Lü Buwei, 300-235 v. Chr.
Der Ursprung des Qi Gong ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Bereits vor mehreren tausend Jahren wurden in China Tierbewegungen imitiert, um auf Funktionen des Körpers einzuwirken. Dabei beobachtete man die Tiere und stellte sich vor, man könne deren Fähigkeiten wie zum Beispiel die Kraft des Tigers, das Gleichgewicht des Kranichs oder die Geschmeidigkeit der Schlange erlangen. Auch rituelle Tänze und Heiltänze im alten China gehen in die Richtung, durch Bewegung und Atmung Einfluss auf seine Gesundheit zu nehmen. Diese Tänze wurden teilweise sogar durch das Ausrufen spezieller Töne und Laute sowie Gesänge verstärkt.
Aus dieser Zeit sind leider nur wenige Überlieferungen erhalten und diese beschränken sich auf Tongefäße mit eingebrannten Bildern, Seidenmalereien oder Ähnliches.
Im berühmten Buch „Der Klassiker zur inneren Medizin“ empfahl der Leibarzt des gelben Kaisers schon 400 Jahre vor Christus dem chinesischen Volk durch gezielte Gymnastik und Atemübungen die Gesundheit zu stärken und sich dadurch vor Krankheit und Leid zu schützen.
Die wohl bis heute ältesten exakt überlieferten Qi Gong Übungen sind das „Spiel der fünf Tiere“ oder chinesisch „Wu Qin Xi“, das auf den berühmten chinesischen Arzt Hua Tuo zurückgeht, der etwa 200 nach Christus gelebt hat.
Im vorliegenden Buch geht es in erster Linie um die gesundheitsfördernden Qi Gong Übungen der legendären Shaolinmönche. Diese gehen zurück auf den indischen Mönch Bodhidharma, der etwa 520 nach Christus aus Indien kam, um seine Auffassung des Buddhismus in China zu verbreiten. Er war der Vorreiter der Idee, Körper und Geist in gleichem Maße zu schulen, zu trainieren und zu fördern – was in etwa Juvenals Idee, dass nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist stecken kann (mens sana in corpora sano), entspricht.
Das tatsächliche Shaolin Qi Gong hat wenig mit den spektakulären Showauftritten der Kung Fu Meister und Mönche zu tun, die sich Holzstangen auf dem Körper zerschlagen, Betonsteine mit dem Kopf zertrümmern oder Speerspitzen an der Kehle verbiegen. Diese Übungen werden zwar immer wieder als Shaolin Qi Gong betitelt, sind aber in Wirklichkeit nur sportliche bzw. artistische Kunststücke. Dabei werden letztendlich physikalische Grundprinzipien angewandt, bzw. die anatomisch-physiologischen körperlichen Widerstandskräfte publikumswirksam dargestellt!
Diese oft auch als „Hard Qi Gong“ oder „hartes Qi Gong“ bezeichneten Aktionen sind daher als reine Showelemente zu sehen und weit weg von dem, was Shaolin Qi Gong tatsächlich ausmacht.
Wer Shaolin Qi Gong regelmäßig übt, kräftigt seinen Körper und beruhigt seinen Geist, stärkt sein Immunsystem, fördert die physische und psychische Leistungsfähigkeit, erreicht Mühelosigkeit im Alltag und strebt damit ein langes, glückliches, gesundes und erfülltes Leben an!
Für mich persönlich ist Qi Gong aktueller denn je, denn es ist die Möglichkeit, selbst positiv auf seine Gesundheit einzuwirken und damit selbst Verantwortung zu übernehmen für seine Gesunderhaltung (Prävention), Gesundung (Heilung) bzw. letztendlich für sein gesamtes Leben in harmonischem Einklang mit seiner Umwelt.
Christian Kronmüller, März 2020
Seit etwa 3500 Jahren gibt es eine Schrift in China und aus dieser Zeit stammen auch die ältesten Überlieferungen von gymnastischen Übungen, die an das heute bekannte Qi Gong erinnern.
In den Frühling- und Herbstannalen wird über den Herrscher Tao Tang (auch Tang Yao genannt) berichtet, der etwa 2000 vor Christus regierte: „Die Stimmung des Volkes wurde trübe und träge. Die Knochen und Sehnen lockerten sich und gehorchten den Menschen nicht mehr. Da erfand er den Tanz um das Volk zur Bewegung anzuleiten.“ Dies könnte ein möglicher Hinweis auf rituelle Heilübungen sein, möglicherweise Vorläufer des heutigen Qi Gong.
Aus der Shang-Dynastie (16.-11. Jahrhundert vor Christus) sind Ton- und Bronzegefäße bekannt, die Menschen zeigen, wie sie die Bewegungen der Tiere nachahmen. Dies wird als Versuch interpretiert, die Eigenschaften der Tiere anzunehmen, zum Beispiel die Langlebigkeit der Schildkröte, die Kraft des Tigers oder die stoische Ruhe des Kranichs.
Im 3. Jahrhundert vor Christus haben verschiedene Autoren die mündlichen Überlieferungen über den gelben Kaiser (qinshi huangdi) zu einem Buch zusammengefasst, was heute als der „Klassiker der inneren Medizin des gelben Kaisers“ (huangdi neijing) bekannt ist. Der gelbe Kaiser regierte etwa um das Jahr 3000 vor Christus. Das Buch ist als Dialog zwischen dem Kaiser und seinem Leibarzt verfasst. Der Kaiser fragt den Arzt, wie er dem körperlichen und geistigen Verfall der Menschen entgegen wirken könne. Und der Arzt empfahl Gymnastik und spezielle Atemübungen, um das Volk gesund zu erhalten.
Mit dem Arzt Hua Tuo (141-208 nach Christus) entstand das erste bis heute erhalten Qi Gong Übungsset, wobei der Begriff Qi Gong erst viel später entstand. Hua Tuo imitierte die Bewegungen des Tigers, des Vogels, des Bären, des Affen und des Hirsches und entwickelte ein Übungssystem, das unter dem Namen „Spiel der fünf Tiere“ (huatuo wuqinxi) bekannt wurde und bis in die heutige Zeit nahezu unverändert geübt wird.
In der chinesischen Geschichte steht geschrieben, dass um das Jahr 520 nach Christus ein bärtiger, blauäugiger Wilder aus dem Westen nach China kam, um dort zu lehren. Sein Name war Bodhidharma (chin. Pu Ti Da Mo oder einfach nur Damo). Er verließ Indien um das Jahr 480 nach Christus und überquerte in einer jahrelangen und beschwerlichen Reise den Himalaya, um in China Fuß zu fassen. Zunächst bereiste er den Süden Chinas, bevor er sich letztendlich unweit der Kaiserstadt Luoyang in das Shaolinkloster im Song Shan Gebirgsmassiv begab, welches für den indischen Mönch Ba Tuo einige Jahre zuvor vom damaligen Kaiser Xiaowen (nördliche Wei-Dynastie) erbaut wurde.
Er war entsetzt vom körperlichen Zustand der dort lebenden Mönche. Die Shaolinmönche damals lebten als Bettelmönche, zogen umher und ernährten sich rein von gespendetem Essen. Den Rest des Tages verbrachten sie in stiller Meditation oder rezitierten die Sutren des indischen Buddhismus.
Wie aber sollten die Mönche sich jahrelang auf die komplexe buddhistische Lehre konzentrieren, wenn sie in ständiger Sorge waren, ausreichend zu Essen zu bekommen, gesund zu bleiben und den auch sonst eher harten Alltag im alten China zu überstehen?
Nach jahrelanger Meditation in einer einsamen Höhle unterhalb des Gipfels des Berges Wurufeng kehrte er in das Shaolinkloster zurück und präsentierte seinen Ordensbrüdern ein neues Konzept des Buddhismus, welches er fortan Chan-Buddhismus nannte. Er integrierte in seine Lehre die Grundlagen des Taoismus (Naturverbundenheit – Zurück zur eigenen Natur finden) und des Konfuzianismus (Staatsphilosophie – Verhältnis der Menschen untereinander, z.B. auch Lehrer und Schüler). Der für die Chinesen zunächst befremdliche Buddhismus aus Indien war nun mit Gedankengut angereichert, was den Chinesen bekannt war. Somit konnten sich das Volk im alten China viel mehr mit der Lehre identifizieren und der Chan-Buddhismus verbreitete sich in der darauffolgenden Zeit über ganz Asien – bis in unsere Heute Zeit ist der Chan-Buddhismus weltweit als Zen-Buddhismus bekannt!
Während seiner Meditation formulierte Bodhidharma die drei Schätze seiner Lehre als Grundlage der neuen Philosophie:
Yi Jin Jing – bewege und transformiere deine Sehnen, Bänder und Muskeln
Xi Sui Jing – bewege deine Knochen und Gelenke und wasche das darin befindliche Mark
Chan – sitze still, damit du deinen Geist formen und mit ihm üben kannst
Bis heute ist im Chan-Buddhismus, der übrigens weltweit als Zen-Buddhismus bekannt ist, körperliches Üben und Arbeiten ein zentraler Bestandteil der Philosophie. Gymnastik, Kampfkunst, Handwerk und Kunst werden in Bodhidharmas Buddhismus gleichwertig gelebt und gelehrt wie auch die geistige Auseinandersetzung durch Meditation und Rezitation.
Es ist deshalb selbstverständlich, dass man in buddhistischen Klöstern in ganz Asien Mönche erlebt, die sich mit Bogen schießen, Ringen, Gärtnerei, Bildhauerei, Blumensteckkunst und Bonsaizucht bis zur Perfektion beschäftigen.
Qi Gong bedeutet übersetzt „an und mit der Lebensenergie arbeiten“. So ist Qi Gong also ein System aus Übungen der Atmung, der Gymnastik und der Vorstellungskraft, um die eigene Lebensenergie zu kultivieren.
Um ein grundlegendes Verständnis für Qi Gong zu erlangen, muss man sich zwangsläufig mit dieser Lebensenergie beschäftigen. Was ist Qi? Woher kommt es? Und was für Funktionen erfüllt es im Körper?
Das chinesische Schriftzeichen für Qi setzt sich aus dem Zeichen für Reis (das Grundnahrungsmittel in China) und dem Zeichen für Dampf (etwas „nicht greifbares“) zusammen.
In der traditionellen chinesischen Medizin dreht sich sowohl in der Diagnostik als auch der Therapie alles um die Lebensenergie Qi. Ein Lebewesen wird als gesund bezeichnet, wenn es ausreichend Lebensenergie Qi besitzt, die noch dazu völlig frei und ungehindert im gesamten Organismus fließen kann. Ist die Menge oder der freie Fluss gestört, so kann der Organismus erkranken oder wird anfällig für Verletzungen.
Dabei muss man wissen, dass Lebensenergie nicht gleich Lebensenergie ist. Alles, was wir wahrnehmen können – also alle Gegenstände, alle Lebewesen aber auch Wetterphänomene usw. sind Formen von Energie, also Qi. Aber nur bestimmte Formen dieser Lebensenergie können wir als Lebewesen nutzen und für unser (Über-)Leben brauchbar machen.
Unser Organsystem hat neben den uns bekannten Funktionen wie z.B. Verdauung, Kreislauf und Atmung nach der Betrachtung der traditionellen chinesischen Medizin die wichtige Aufgabe, universelle Lebensenergie Qi so umzuwandeln, dass wir sie innerhalb unseres Körpers nutzen können.
Als Ausgangsstoffe benötigen wir die Energie aus der Atmung (Sammel-Qi, zong qi), die Energie aus der Nahrung (Nahrungs-Qi, gu qi) sowie die vorgeburtliche Energie (yuan qi), die wir mit der Zeugung von unseren Eltern als kleinen Speicher mitbekommen haben. Aus diesen drei Komponenten stellt das Organsystem die wahre Lebensenergie (zheng qi) her, die unser Leben letztendlich möglich- und aus-macht.
Zuständig für das Zusammenfügen der Komponenten ist in unserem Körper die Milz. Sie wird auch als die Mutter der nachgeburtlichen Energie bezeichnet und stellt praktisch die wahre Energie (zheng qi) her und gibt sie an die Lunge ab, die sie im gesamten Körper verteilt.
Neben der wahren Energie stellt die Milz auch das Blut (xue) her, was die Chinesen gerne als die flüssige Lebensenergie bezeichnen. Das Blut (xue) wird von der Milz an das Herz weitergereicht, damit das Herz dieses wiederum im gesamten Körper verteilen kann.
Die wahre Energie hingegen wird von der Lunge über ein Netzwerk an sogenannten Energieleitbahnen und Meridiane (jingluo) im gesamten Körper verteilt. Diese Energiewege unterteilen sich in die zwölf Haupt- oder Organmeridiane, acht Sonderleitbahnen sowie unzählige kleine und kleinste Energiegefäße, die wie ein Netz über den gesamten Körper gespannt sind.
Für das Üben des Qi Gong sind die zwölf Hauptmeridiane, die acht Sonderleitbahnen sowie die Energiezentren (dantian) wichtig, die sich an bestimmten Stellen im Körper befinden und auf die im Praxisteil des Buches noch eingegangen wird.
Damit die Verteilung von Qi und Xue funktioniert, benötigen wir noch die Energie der Leber, denn die Leberenergie sorgt für einen freien Fluss von Qi, Blut (und den im Organismus entstandenen Emotionen).
Dabei ist zu beachten, dass wir durch sinnvolle, ausgewogene und hochwertige Ernährung sowie eine ruhige und effektive Atmung mit frischer und energiereicher Atemluft stets dazu beitragen können, gute Ausgangsund Grundbaustoffe für wahre Lebensenergie in den Körper aufzunehmen. Die Qualität und Menge der vorgeburtlichen Energie (yuan qi) ist allerdings nicht veränderbar und definiert im Prinzip unsere Lebensdauer und Lebensqualität (vor allem in höherem Alter): Ist der Speicher an vorgeburtlicher Energie leer, so stirbt der Mensch. Dieser Speicher befindet sich übrigens in den Nieren, so dass es nach Vorstellung der traditionellen chinesischen Medizin sehr wichtig ist, immer starke Nieren zu besitzen. Nur starke Nieren können das vorgeburtliche Qi gut beherbergen und dafür sorgen, dass dieses nicht verschwendet wird.
Mit Milz, Lunge, Herz, Leber und Niere haben wir die fünf großen Zang-Organe der traditionellen chinesischen Medizin kennengelernt. Zang-Organe sind Energiespeicherorgane, die einen direkten Einfluss auf die Produktion und Verteilung von lebensnotwendiger Energie haben. Sie entsprechen den fünf Wandlungsphasen und stehen daher in einer klar definierten Korrelation zueinander.
Zumindest was das Üben von Qi Gong angeht, haben die anderen Organe (es gibt noch den Herzbeutel als sechstes Zang-Organ und die Fu-Organe Magen, Dickdarm, Dünndarm, Gallenblase, Harnblase sowie den dreifachen Erwärmer sanjiao) hier einen eher untergeordneten Stellenwert. Sie werden wiederum durch ihre Anhängigkeit und Beziehung zu den großen Zang-Organen stets mittrainiert und damit positiv beeinflusst, bleiben aber in ihrer Bedeutung deutlich hinter den Zang-Organen.
Sofern unser Organismus ausreichend Lebensenergie (zheng qi) produziert und dieses frei und ungehindert im Körper fließen kann, erfüllt sie folgende Funktionen: