© Sonya Sones
Der Autor
Jay Asher ist der Autor des weltweiten Millionenbestsellers »Tote Mädchen lügen nicht«, der in 37 Länder verkauft, u. a. für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde und wochenlang die Spiegelbestsellerliste besetzte. Der Roman wird als 13-teilige Serie auf Netflix ausgestrahlt. Sein zweiter Jugendroman, »Wir beide, irgendwann«, entstand in der Zusammenarbeit mit der Co-Autorin Carolyn Mackler. Jay Asher lebt in Kalifornien, wo auch sein neuester Roman »Dein Leuchten« spielt. Mehr zum Autor unter jayasher.blogspot.com und auf Twitter @jayasherguy.
Mehr zu cbj/cbt auf www.instagram.com/hey_reader/
Von Jay Asher sind ebenfalls bei cbt erschienen:
Wir beide, irgendwann
Dein Leuchten
Jay Asher
Aus dem amerikanischen Englisch
von Knut Krüger
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1. Auflage 2017
Erstmals als cbt Taschenbuch November 2012
© 2007 für den Originaltext Jay Asher
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Thirteen Reasons Why« bei Razorbill, an Imprint of Penguin Random House, New York.
© 2009 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Aus dem amerikanischen Englisch von Knut Krüger
Lektorat: Ulrike Hauswaldt
Umschlaggestaltung und Fotoabbildungen im Innenteil: init | Kommunikationsign, Bad Oeynhausen, unter Verwendung der THIRTEEN REASONS WHY Series Artwork © 2017 Paramount Pictures Corporation and Netflix, Inc.
All Rights Reserved.
he ∙ Herstellung: ang
Satz und Repro: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-22004-4
V003
www.cbt-buecher.de
»Sir?«, wiederholt sie. »Wann soll das Paket ankommen?«
Mit zwei Fingern streiche ich mir über die linke Augenbraue. Das Pochen ist schlimmer geworden. »Spielt keine Rolle«, antworte ich.
Die Postangestellte nimmt das Paket. Derselbe Schuhkarton, der vor nicht mal vierundzwanzig Stunden auf meiner Veranda gelegen hatte, wieder eingeschlagen in eine braune Papiertüte, verschlossen mit durchsichtigem Klebeband, genau so, wie ich ihn bekommen hatte. Doch jetzt mit einem neuen Namen versehen. Dem nächsten Namen auf Hannah Bakers Liste.
»Was macht das?«, frage ich.
Sie legt das Paket auf eine Gummiunterlage und tippt etwas auf der Tastatur.
Ich stelle meinen Becher mit Tankstellenkaffee auf die Theke und blicke auf den Monitor. Ich ziehe ein paar Scheine aus meinem Portemonnaie, krame einige Münzen aus meiner Hosentasche und lege das Geld auf die Theke.
»Ich glaube, der Kaffee hat Sie noch nicht richtig wach gemacht«, sagt sie. »Ich bekomme noch einen Dollar.«
Ich schiebe einen weiteren Dollar rüber und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Der Kaffee ist lauwarm, als ich daran nippe, was das Schlucken noch schwieriger macht. Aber ich muss irgendwie zu mir kommen.
Oder auch nicht. Vielleicht ist es das Beste, diesen Tag wie in Trance zu verbringen. Vielleicht ist das der einzige Weg, um ihn durchzustehen.
»Müsste morgen ankommen«, sagt sie. »Spätestens übermorgen.« Dann lässt sie das Paket auf einen Rollwagen fallen, der hinter ihr steht.
Ich hätte bis nach der Schule warten sollen. Ich hätte Jenny noch einen friedlichen Tag gönnen sollen.
Obwohl sie es nicht verdient.
Wenn sie morgen nach Hause kommt, wird sie ein Paket vor ihrer Tür vorfinden. Falls ihre Eltern schon da sind, wird es vielleicht auf ihrem Bett liegen. Sie wird genauso erstaunt sein wie ich. Ein Paket ohne Absender? War das ein Versehen oder beabsichtigt? Vielleicht von einem heimlichen Verehrer?
»Wollen Sie eine Quittung?«, fragt die Angestellte.
Ich schüttele den Kopf.
Ein kleiner Drucker spuckt trotzdem eine aus. Ich sehe zu, wie sie den Beleg abreißt und in den Mülleimer wirft.
Es gibt nur ein einziges Postamt in der Stadt. Ich frage mich, ob es dieselbe Angestellte war, die auch die anderen auf der Liste bedient hat – diejenigen, die das Paket vor mir bekommen haben. Haben sie die Quittungen als makabres Souvenir behalten? Sie in ihren Wäscheschubladen versteckt oder an die Pinnwand geheftet?
Fast hätte ich es mir anders überlegt. Fast hätte ich gesagt: »Entschuldigung, könnte ich doch die Quittung haben?« Als Erinnerungsstück.
Doch hätte ich ein Erinnerungsstück gewollt, hätte ich ebenso gut die Kassetten überspielen oder den Stadtplan aufheben können. Aber ich will diese Kassetten nie wieder hören. Hannahs Stimme werde ich sowieso nicht mehr loswerden. Und auch die Häuser, die Straßen und die Highschool werden mich stets an sie erinnern.
Ich habe keine Kontrolle mehr darüber. Das Paket ist unterwegs. Ich verlasse das Postamt ohne Quittung.
Weit hinter meiner linken Augenbraue pocht mein Kopf immer noch. Wenn ich schlucke, brennt es säuerlich in meiner Kehle, und je näher ich der Schule komme, desto näher bin ich einem Zusammenbruch.
Ich will zusammenbrechen. Ich will auf den Bürgersteig sinken und in die Büsche kriechen. Denn unmittelbar hinter den Büschen macht der Fußweg eine Kurve und führt am Parkplatz der Schule entlang. Er durchschneidet eine Rasenfläche und läuft direkt auf das Hauptgebäude zu. Sobald man die Eingangstüren hinter sich gelassen hat, betritt man einen langen Gang, der an zahlreichen Schließfächern und Klassenzimmern vorbeiläuft, bis man schließlich die stets geöffnete Tür erreicht, hinter der die erste Stunde stattfindet.
Am Kopf des Zimmers, frontal zu den Schülern, befindet sich das Pult von Mr Porter. Er wird der Letzte sein, der ein Paket ohne Absender erhält. Und in der Mitte des Raumes, in der ersten Reihe links, steht der Stuhl von Hannah Baker.
Leer.
Ein Paket von der Größe eines Schuhkartons lehnt an der Haustür. Unsere Haustür hat nur einen schmalen Briefschlitz, alles, was größer als ein Stück Seife ist, muss draußen bleiben. Der hastig hingekritzelte Name auf der Verpackung adressiert das Paket an Clay Jensen, also hebe ich es auf und gehe hinein.
Ich trage das Paket in die Küche und stelle es auf die Arbeitsplatte. Ich öffne eine Schublade und nehme die Schere heraus. Dann schlitze ich das Paket mit der Schneide rundherum auf und öffne es. In dem Schuhkarton befindet sich ein länglicher Gegenstand, der in Luftpolsterfolie eingewickelt ist. Ich rolle sie auseinander und erblicke sieben Musikkassetten.
Jede Kassette ist oben rechts mit einer Nummer beschriftet. Die Farbe sieht aus wie Nagellack. Jede Seite trägt eine eigene Zahl. Die Seiten eins und zwei befinden sich auf der ersten Kassette, drei und vier auf der zweiten und so weiter. Die letzte Kassette ist auf einer Seite mit »13« beschriftet, die andere Seite ist leer.
Wer kommt nur auf die Idee, mir einen Schuhkarton mit Musikkassetten zu schicken? Wer benutzt heute noch Kassetten? Wo soll ich die überhaupt anhören?
In der Garage! Auf der Werkbank steht ein Gettoblaster. Mein Vater hat ihn auf dem Flohmarkt erstanden. Da das Teil schon uralt ist, macht es ihm nichts aus, wenn es mit Sägemehl bedeckt und mit Farbe bekleckst ist. Hauptsache, man kann damit Kassetten hören.
Ich ziehe einen Stuhl vor die Werkbank, lasse meinen Rucksack zu Boden fallen und setze mich hin. Ich drücke auf »Eject«. Eine Plastiklade schwingt auf und ich lege die erste Kassette ein.