Cover

Barbara Natterson-Horowitz

und Kathryn Bowers

Wir sind Tier

Was wir von den Tieren für unsere

Gesundheit lernen können

Aus dem Amerikanischen
von Susanne Warmuth

Mit einem Vorwort
von Josef H. Reichholf

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.


Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Zoobiquity. What Animals Can Teach Us About Health and the Science of Healing« 2012 bei Alfred A. Knopf, einem Verlag der Random House, Inc., New York.


Copyright der Originalausgabe © 2012 by Zoobiquity, LLC.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2014
beim Albrecht Knaus Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Lektorat: Manuela Kahle
ISBN 978-3-641-11113-7
V003

www.knaus-verlag.de

Für Zach, Jenn und Charlie – BNH
Für Andy und Emma – KSB

Vorwort von Josef H. Reichholf
Ein ungehöriger Vergleich?

»Wir sind Tier« ist ein Titel, der provoziert. Immer noch, obgleich wir es besser wissen sollten. Denn zu fast 99 Prozent stimmen wir genetisch überein mit den Schimpansen und Bonobos, den uns nächst verwandten Primaten. Nur ein bisschen größer ist der genetische Unterschied zu den Gorillas und Orang-Utans. Menschlich in dem Sinne, dass nur wir Menschen sie haben, sind kaum mehr als ein Prozent der Gene. Unseren Erbanlagen nach sind wir also tatsächlich »Tier«.

Rechtfertigt der geringe Unterschied unsere Überheblichkeit? Und was bedeuten die fast 99 Prozent Übereinstimmung mit Tieren? Diese Fragen wurden bisher ausgerechnet in jenen Bereichen so gut wie nicht gestellt, in denen es um Leben und Tod geht. Denn die Medizin trennt klar und scharf das Tierische vom Humanen. Sie hat zwei »Klassen« geschaffen, die tierische der Veterinärmedizin und die menschliche der Humanmedizin. Letztere bedient sich allerdings im Vorfeld, wenn es um die Erprobung von Medikamenten und Techniken geht, höchst umfangreich des »Tiermodells«. Millionen Versuchstiere leiden und sterben für uns, weil wir im Krankheitsfall durchaus bereit sind, die Überheblichkeit zu vermindern und das »nehmen«, was uns die Versuchstiere »geben« mussten. »Versuchskaninchen« möchten wir selbst lieber nicht sein. Das überlassen wir den Kaninchen, Ratten und Mäusen. Kaum sind wir aber wieder auf den Beinen und einigermaßen wohlauf, rümpfen wir die Nase über »das Tierische«. Denn wir halten uns allein für die auserwählte Kreatur. Was nicht zu der selbstgefälligen Sonderstellung passt, wird verdrängt.

So wenig »Tier« wir sein wollen, so sehr wird tierisches Verhalten oft geradezu als Vergleichsmaß dafür herangezogen, wie tief der Mensch (schon) gesunken ist. Etwa wenn Essen zur Fresssucht ausartet. Überfressen tut sich kein Tier, heißt es dann. So gehen lassen sich nur Menschen, die die Kontrolle über sich verloren haben. Einen Rausch säuft sich auch kein Tier an. Oder: »Zurück zur Natur«, »Leben in Einklang mit der Natur« und die Vorstellungen von den »Edlen Wilden« gehören zu den Gegenentwürfen zum Leben unserer Zeit, das die Natur zerstört, Menschen verführt und entwurzelt und nicht zukunftsfähig ist. So wird »das Tier« ganz nach Belieben zum schlechten oder guten Vorbild. »Anders« bleibt es immer. Unserer Eitelkeit folgend, halten wir auf höchst riskante Weise die strikte Trennung Mensch – Tier aufrecht. Wider das bessere Wissen, das längst vorhanden ist.

Die zentrale Botschaft dieses Buches besagt, dass Erfahrungen der Tiermedizin und Befunde der Verhaltensforschung an Tieren, viel enger mit der Humanmedizin verzahnt werden könnten. Manches, was uns bei Menschen rätselhaft geblieben ist, ließe sich dann besser verstehen.

Die beiden Autorinnen werben intensiv dafür, die Trennung zwischen Mensch und Tier zu überbrücken. Barbara Natterson-Horowitz ist Herzspezialistin in Kalifornien, Kathryn Bowers Wissenschaftsjournalistin. Ihr Ansatz, im amerikanischen Original »Zoobiquity« genannt, überzeugt, wie etwa eine aktuelle, im April 2014 von den beiden höchst renommierten Universitäten Stanford und der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) organisierte Konferenz gezeigt hat. Zögerlich entwickeln sich Ansätze dazu auch in Europa. Führend ist hier Wien mit dem 2010 gegründeten »Messerli-Institut für Mensch-Tier-Beziehungen« an der Veterinärmedizinischen Universität. Dort erhielt Erika Jensen-Jarolim die erste der vier Professuren zur Mensch-Tier-Beziehung. Davor leitete sie das Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der Medizinischen Universität Wien. Wahrscheinlich bedarf es auch andernorts der Neugründung von Instituten, da sich die althergebrachten Strukturen solchen Veränderungen widersetzen. Dabei sprechen die bereits vorhandenen Befunde dafür, dass viel gewonnen werden könnte mit der Verzahnung der Human- mit der Tiermedizin.

Dieses Buch enthält eine Fülle von Ansätzen. Etwa wenn es darum geht, zu verstehen, was hinter den vielfältigen Formen von Selbstverletzung steckt. Führen uns womöglich Papageien, die sich selbst die Federn ausrupfen und die Haut blutig reißen, auf die richtige Spur, warum sich Prinzessin Diana mit Rasierklingen ritzte? Selbstverstümmelungen, Drogensucht, krankhaftes Hungern bis zum Tode (Anorexie), heißhungriges Überessen mit Erbrechen (Bulimie) und manch andere krankhafte Verhaltensweisen sind sicherlich nicht »nur« psychische Erkrankungen. Wären sie das, fielen die Behandlungserfolge besser aus. Wie können Teenager vom Ritzen abgehalten und gerettet werden? Und wie sollen wir dem schrecklichen Trend zur Fettleibigkeit begegnen?

»Tiermodelle« werden zwar zunehmend diskutiert, bleiben meist aber ohne Anwendung auf Menschen. Wie schaffen es Grizzlybären, ohne Herzprobleme die Fettmassen, die sie sich im Sommer und Herbst angefuttert haben, während der winterschlafähnlichen Ruhe abzubauen? Im nächsten Frühjahr läuft ihr Leben ganz normal weiter. Überfressen und hungern gehören zum üblichen Lebensablauf der allermeisten Tiere. Nur wir meinen, Tag für Tag ganz regelmäßig essen und möglichst auch die passende Kalorienmenge zu uns nehmen zu müssen. Fasten gilt in unserer Überflussgesellschaft als Kuriosum, günstigstenfalls als etwas, dem man sich ausnahmsweise unterzieht. Dabei gehörte es seit jeher zum normalen Lebensablauf von Tieren und Menschen. Wir wissen auch, dass Tiere sehr wohl Sucht entwickeln können: Ratten beispielsweise nach elektrischer Stimulierung oder nach Kokain. Hemmungslos ergibt sich so manches Tier dem Suff, wenn gärende Früchte oder Baumsäfte Alkohol erzeugen. Nicht einmal das Sexualleben läuft bei Tieren so »sauber« ab, wie sich Moralapostel das vorstellen. Von beim Akt übertragenen, tödlichen Geschlechtskrankheiten bis zu Vergewaltigung, von gezielten Seitensprüngen bis zur Resorption von sich bereits entwickelnden Embryonen im mütterlichen Körper, gibt es alles, was aus der Menschenwelt bekannt ist – und mehr. Es wäre töricht, aus unserer (gegenwärtigen) Sicht Abnormes einfach als »tierisch« abzutun, wie es genauso falsch ist, dem »gefallenen« Menschen die so wunderbar geordnete und so herrlich gelungene lebendige Natur als Spiegel des Guten vorzuhalten.

Mit dem unbefangenen Blick auf die Tierwelt könnten wir verstehen lernen, was hinter so mancher Abnormität tatsächlich steckt. Sind Erbanlagen, also die so genannte genetische Disposition, dafür verantwortlich oder hormonelle Veränderungen? Oder das soziale Umfeld? Unter Einbeziehung der Tiere erfahren wir mehr über die Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen in unserer freier gewordenen, weniger doktrinär gesteuerten Welt. Am wichtigsten ist es sicherlich, hemmende Vorurteile zu beseitigen. Allzu bereitwillig greift man zu solchen. Als Zoologiestudent wirkte ich bei der wissenschaftlichen Vogelberingung mit. An einem Wintertag waren mir Meisen und ein Gimpel ins Fangnetz geflogen. Die Meisen nahm ich zuerst heraus, um zu verhindern, dass sie sich mit ihrem Strampeln noch stärker in den Maschen des feinen Netzes verstrickten. Als ich mir dann das viel ruhigere, herrlich rotbrüstige und kräftige Gimpelmännchen griff, fiel sein Kopf schlagartig zur Seite. Alles erschlaffte. Der Herzschlag hörte auf. Ich erschrak: Der Gimpel war tot. Leblos lag sein kleiner warmer Körper in meiner Hand und fing an auszukühlen. Der »dicke Gimpel« war zu fett, weil er am Futterhaus zu viele Sonnenblumenkerne gefressen hatte. So »erklärte« ich mir seinen Tod. Erst als ich dieses Buch las, Jahrzehnte nach dem Vorfall, begriff ich, dass die Ursache ein plötzlicher Herztod gewesen war. Ein solcher trifft auch Säuglinge erschreckend häufig. Die Erfahrungen von Tierärzten und Wildbiologen mit dem Fangstress bei Tieren trugen dazu bei, dass dieser früher unerklärlichen Todesursache nunmehr besser vorgebeugt werden kann.

Jeder von uns war in den Wochen unmittelbar nach der Geburt diesem Risiko ausgesetzt. Unser Menschsein bleibt eingebunden ins Tiersein von der Geburt bis zum Tod. Weil alles Leben eine große Einheit bildet. Sie bedeutet weit mehr als die kleinkarierte Selbstbezogenheit der Menschen auf ein paar besondere Gene, die Tiere nicht haben. Ein paar sehr schlechte gehören nämlich auch dazu!

Josef H. Reichholf ist ein deutscher Evolutionsbiologe und Professor für Ökologie. Zuletzt erschien: »Ornis – Das Leben der Vögel«.

Vorbemerkung

Dieses Buch ist das Gemeinschaftswerk von zwei Autorinnen, doch aus stilistischen Gründen haben wir uns entschlossen, es aus der Perspektive von Barbara Natterson-Horowitz zu schreiben. Wir hatten das Gefühl, dass sich ihre Entwicklung von einer Fokussierung rein auf die Humanmedizin hin zu einem breiteren, artenübergreifenden Ansatz erzählerisch besser in der Ich-Form darstellen lässt. Die meisten Interviews für dieses Buch haben die Autorinnen gemeinsam geführt, gelegentlich stellte aber auch nur eine von ihnen die Fragen. Das Buch als Ganzes ist jedoch weit mehr als das Ergebnis einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Barbara Natterson-Horowitz und Kathryn Bowers: Viele Ärzte, Veterinäre, Biologen, Forscher, engagierte Vertreter anderer Berufsgruppen sowie Patienten (deren Namen wir geändert haben, wenn es notwendig erschien) haben dazu beigetragen, indem sie uns ihre Zeit schenkten und uns an ihrem Wissen und ihren Erfahrungen teilhaben ließen.