Was nie im Trend lag, kommt auch niemals aus der Mode

Über Nora Ephron

Foto: © Elena Seibert

Nora Ephron war die Erfinderin der romantischen Komödie der Neunzigerjahre, die Macherin von berühmten modernen Klassikern wie Harry und Sally, e-m@il für Dich und Julie & Julia. Sie war Bestsellerautorin und galt in den Achtziger und Neunzigerjahren als Vorreiterinnenfigur für den modernen weiblichen Journalismus. Heute ist sie Vorbild vieler junger Schriftstellerinnen. Nora Ephron starb 2012 in ihrer Heimatstadt New York.

 

Die Übersetzerin

Maria Hummitzsch studierte Übersetzung, Afrikanistik und Psychologie. Sie hat unter anderem Werke von Imbolu Mbue und Lisa Taddeo ins Deutsche übertragen. Sie lebt mit ihrer Familie in Leipzig.

In ihrem Essay Serielle Monogamie: Ein Erfahrungsbericht schreibt Nora Ephron über ihre zahlreichen Liebschaften mit Kochbüchern und deren Autor*innen. Sie schildert, wie sie die Rezepte von Michael Field und Julia Child nachgekocht und dabei »in Gedanken Gespräche mit beiden« geführt hat. Zufälligerweise führe ich, seit ich mit Anfang zwanzig zum ersten Mal Was nie im Trend lag, kommt auch niemals aus der Mode gelesen habe, in Gedanken Gespräche mit Nora Ephron.

Wenn ich eine Kolumne beendet habe, lese ich sie Nora laut vor und höre, wie sie mich auf übertrieben blumige Passagen oder lahme Pointen hinweist. Schreibe ich einen Dialog, lässt sie mich wissen, welche Stellen unglaubwürdig klingen. Während der Arbeit an meinem Memoir habe ich sie immer wieder gefragt, ob ich ihre perfekte Balance zwischen weich und hart hinbekomme – zwischen Zynismus und Begeisterung, das richtige Verhältnis von Ausführlichkeit zu Kürze, die passende Dosis Realität, gemischt mit der passenden Dosis Romantik.

Ich frage sie in fast jeder Angelegenheit um Rat, und in meinem Alltag habe ich einzelne Sätze aus diesem Buch

Alle vertrauen Nora. Ihre Stimme ist beruhigend und wunderbar direkt – vor allem in dieser Essaysammlung. Sagt sie einem, man solle Limabohnenauflauf mit Birnen kochen, kocht man Limabohnenauflauf mit Birnen. Sagt sie, man könne gar nicht zu viele schwarze Rollkragenpullover besitzen, kauft man bei Marks & Spencer die Kaschmirabteilung leer. Sagt sie, man brauche einen in den Schreibtisch eingebauten Papierkorb, geht man die IKEA-Möbel mit der Säge an. In einer Welt der verwirrend vielen Möglichkeiten versprechen Nora Ephrons anspruchsvolle, genaue, lehrreiche und praxiserprobte Weisheiten aus dem Mund einer gebildeten, stets in Schwarz gekleideten Frau Trost und Entlastung. Aus diesem Grund habe ich Was nie im Trend lag, kommt auch niemals aus der Mode öfter verschenkt als jedes andere Buch. Ich kaufe es so regelmäßig nach, dass ich es einigen Freundinnen doppelt überreicht habe, an zwei aufeinanderfolgenden Geburtstagen.

Und obwohl ich es auch an meine männlichen Freunde verschenke, sind diese mutig ausgesprochenen Wahrheiten über die triviale und politische Unübersichtlichkeit weiblichen Lebens vor allem ein Leitfaden für Frauen. Nora Ephron hat ihre Essays in einer Zeit vor den sozialen

Ihr treffsicherer und wortgewandter Witz lebt auch von ihrer Liebe zum Detail. Sie war eine große Anhängerin der Kunst der Genauigkeit, die aus sämtlichen ihrer Texte spricht – den journalistischen Arbeiten, den Filmdialogen und selbst den Kochrezepten. In ihren Essays zeigt sich diese Besessenheit immer wieder und garantiert ein großes Lesevergnügen, egal ob sie eine kurze Abhandlung über die Geschichte der Salatmoden schreibt, über ihre

Ihr Timing macht die Geschichten hochspannend, denn selbst in der Rolle der Essayistin bleibt Nora Ephron im Grunde eine Drehbuchautorin. Das Kino war nicht nur ihr Beruf, sie hatte es im Blut (beide Eltern schrieben Hollywooddrehbücher), und sie wusste, wie man ein Narrativ durchgestaltet: Ungewissheit, Spannung, Höhepunkt, Überraschung, Finale. In der Kolumne vom verlorenen Krautstrudel gelingt es ihr, die Suche nach einem bestimmten New Yorker Gebäck als fesselnden Mysterykrimi darzustellen. In Ich und JKF: Jetzt kann ich es ja erzählen testet sie ihre Fähigkeiten als Storytellerin in einem wohl getakteten Stück mit absolut antiklimaktischem Ende aus, und es gelingt ihr mit Bravour.

Doch auch die Journalistin Ephron ist immer mit dabei. Nora Ephron hat ihre Karriere in einer Nachrichtenredaktion begonnen, und sie hat die Zunft und den Zusammenhalt geliebt. Die Herausgeberin Tina Brown schrieb in ihren Vanity Fair Diaries, eine gute Journalistin sei eine Person, die das Entscheidende wahrnehme – ein Talent, das sich nicht erlernen lässt und das Nora Ephron im Übermaß hatte. Ihre Essays sind angereichert mit Anekdoten von

In Was nie im Trend lag, kommt auch niemals aus der Mode geht es um das Altern, wie es in der Reflexion früherer Lebensentscheidungen und möglicher Reue erforscht wird; um Lektionen, die gelernt, Weisheiten, die gesammelt, und Fehler, die gemacht wurden. Das Thema passt perfekt zu Ephrons typisch bittersüßer Herangehensweise, und schon auf den ersten Seiten warnt sie uns, dass ihr Ausblick aufs Altern kein Lobgesang wird: »Hin und wieder lese ich ein Buch übers Altern, und egal von wem es stammt, es heißt immer, es sei großartig, alt zu sein. Es sei ein Gewinn, weise und klug und milde zu sein; es sei ein Gewinn, sich im Leben an einem Punkt zu befinden, wo man wisse, was wirklich zähle. Ich kann Leute nicht ausstehen, die so reden. Was denken die sich? Haben die keinen Hals?«

In Was wäre denn die Alternative?, dem letzten und

 

Dolly Alderton, 2020

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Ich schäme mich für meinen Hals. Oh, und wie. Wenn Sie ihn sehen würden, würden Sie sich vielleicht auch für ihn schämen, aber wahrscheinlich wären Sie so höflich, es zu überspielen. Wenn ich Ihnen gegenüber etwas zu dem Thema sagen würde, beispielsweise »Ich finde meinen Hals furchtbar«, würden Sie sicher etwas Nettes erwidern, beispielsweise »Ach was, so ein Unsinn«. Das wäre natürlich gelogen, aber ich verzeihe Ihnen. Lügen wie diese kommen mir ständig über die Lippen, meist bei Freundinnen, die aufgelöst sind, weil sie kleine Tränensäcke unter den Augen haben oder hängende Wangen oder Falten oder Speckröllchen, und wissen wollen, ob ich nicht auch fände, dass sie eine Lidstraffung oder eine Gesichtsstraffung oder Botox oder eine Fettabsaugung bräuchten. Meiner Erfahrung nach ist der Satz »Ach was, so ein Unsinn« ein Code für »Ich sehe, was du meinst, aber glaub ja nicht, dass ich mich in die Sache hineinziehen lasse«. Wie wir alle wissen, ist es gefährlich, sich in solche Themen verwickeln zu lassen. Denn wenn ich sagen würde: »Ja, ich sehe, was du meinst«, zieht meine Freundin vielleicht los und lässt sich zum Beispiel die Augen machen, und vielleicht klappt es nicht, und

Manchmal treffe ich mich zum Mittag mit den Mädels – an der Stelle ertappe ich mich. Ich meine natürlich meine Freundinnen, allesamt gestandene Frauen. Wir sind keine Mädels mehr, und das schon seit über vierzig Jahren. Jedenfalls treffen wir uns manchmal zum Mittag, und wenn ich dann einen Blick in die Runde werfe, merke ich, dass wir alle Rollkragenpullover tragen. Manchmal tragen wir auch alle Tücher wie Katharine Hepburn in Am goldenen See. Oder wir tragen Mandarinkragen und sehen aus wie die weiße Version der Ladys aus Töchter des Himmels. Irgendwie ist es lustig und irgendwie auch traurig, denn wir sind nicht neurotisch, was das Alter betrifft, keine von uns gibt sich jünger aus, als sie ist, und keine von uns zieht sich unpassend an. Wir haben uns alle gut gehalten für unser Alter. Bis auf den Hals.

Ach, Hälse! Es gibt Hühnerhälse und Truthahnhälse und Elefantenhälse. Es gibt Hälse mit Lappen und Hälse mit Falten, die bald zu Lappen werden. Es gibt dürre Hälse und dicke Hälse, schlaffe Hälse und kreppartige Hälse, wulstige Hälse und zerfurchte Hälse, sehnige Hälse, schlabbrige Hälse, wabblige Hälse und fleckige Hälse. Und es gibt Hälse,

Meine eigene Geschichte mit meinem Hals begann kurz vor meinem dreiundvierzigsten Geburtstag. Ich hatte eine Operation, von der ich eine schreckliche Narbe zurückbehielt, direkt über dem Schlüsselbein. Es war ein Schock, denn ich lernte auf die harte Tour, dass eine Ärztin zwar eine berühmte Chirurgin sein kann, deshalb aber noch lange keine Expertin im Zunähen sein muss. Wenn Sie von der Lektüre dieses Essays irgendetwas mitnehmen, dann bitte das: Lassen Sie sich niemals an irgendeinem Teil Ihres Körpers operieren, ohne einen Schönheitschirurgen hinzuzuziehen, der das Geschehen im OP überwacht. Denn selbst wenn man wegen etwas Ernstem oder etwas potenziell Ernstem an Ihnen herumoperiert, selbst wenn Sie tatsächlich glauben, dass Ihre Gesundheit wichtiger ist als Eitelkeit, selbst wenn Sie im Krankenhauszimmer aufwachen, unendlich froh, dass es kein Krebs war, selbst wenn Sie sich beschwingt fühlen, dankbar, am Leben zu sein, voller verblendeter Einsichten

Vorausgesetzt natürlich, dass Sie überhaupt in den Spiegel schauen. Das ist noch so eine Sache ab einem gewissen Alter, die ich bemerkt habe: Ich versuche, so wenig wie möglich in den Spiegel zu schauen. Wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme, schaue ich weg. Wenn ich doch hineinschauen muss, kneife ich die Augen zusammen, damit ich sie, falls irgendwer ganz Schlimmes zurückschaut, möglichst schnell wieder schließen kann, um den Anblick abzuwehren. Und wenn das Licht gut ist (was ich nicht hoffe), tue ich oft das, was so viele Frauen meines Alters tun, wenn man sie vor den Spiegel zwingt: Ich ziehe sanft die Haut an meinem Hals zurück und starre wehmütig auf die jüngere Ausgabe meines Ichs. (Im Übrigen habe ich noch etwas bemerkt: Wenn Sie sich wegen Ihres Halses mal so richtig in Depressionen stürzen wollen, setzen Sie sich in einem Auto direkt hinter den Fahrer und betrachten Sie sich im Rückspiegel. Was es mit Rückspiegeln auf sich hat? Ich weiß nicht, warum, aber für den Hals ist es der gemeinste Spiegel überhaupt. Es ist zweifellos eines der faszinierenden Rätsel des modernen Lebens, dicht gefolgt von der Tatsache, dass kaltes Wasser im Bad kälter ist als kaltes Wasser in der Küche.)

Aber zurück zu meinem Hals. Schließlich dreht sich dieser Essay um ihn. Und ich weiß, was Sie denken. Warum

Hin und wieder lese ich ein Buch übers Altern, und egal von wem es stammt, es heißt immer, es sei großartig, alt zu sein. Es sei ein Gewinn, weise und klug und milde zu sein; es sei ein Gewinn, sich im Leben an einem Punkt zu befinden, wo man wisse, was wirklich zähle. Ich kann Leute nicht ausstehen, die so reden. Was denken die sich? Haben die keinen Hals? Haben sie diese ganze Kaschiererei nicht satt? Stört es sie nicht, dass neunzig Prozent der Kleidung, die sie normalerweise kaufen würden, allein wegen des Ausschnitts wegfällt? Macht es sie nicht traurig, dass sie sich Chokers zulegen müssen? Am meisten bedaure ich

Natürlich ist es wahr, dass ich jetzt im fortgeschrittenen Alter weise und klug und milde bin. Und es ist auch wahr, dass ich inzwischen ernsthaft verstanden habe, was im Leben wirklich zählt. Aber wissen Sie was? Es ist mein Hals.

Ich hasse meine Handtasche. Ich hasse sie wie verrückt. Wenn Sie eine dieser Frauen sind, die Handtaschen für das Größte halten, ist dieser Essay nichts für Sie, und Sie können sich die Lektüre sparen. Das hier ist für Frauen, die ihre Handtaschen hassen, die keinen Sinn für Handtaschen haben, die verstehen, dass Handtaschen ein Spiegelbild einer nachlässigen Haushaltsführung, einer chronischen Unfähigkeit, Sachen wegzuschmeißen, und des ständigen Versagens sind, den Verpflichtungen eines fordernden und schwierigen Accessoires nachzukommen (zum Beispiel der, dass die Handtasche möglichst zur Kleidung passen sollte). Das hier ist für Frauen, deren Handtaschen ein Wust aus verstreuten Tic Tacs, einzelnen Ibuprofen, Lippenstiften ohne Kappe, Labellos unbekannten Alters, Tabakkrümeln trotz jahrelanger Rauchabstinenz, aufgedröselten Tampons, britischen Münzen von einer Londonreise im letzten Oktober, Boardingkarten von längst vergessenen Flugreisen, Hotelschlüsseln von keine Ahnung was für Hotels, auslaufenden Kulis, Taschentüchern, von denen man nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, ob sie benutzt sind oder nicht, zerkratzten Brillen, alten Teebeuteln, aus dem Scheckbuch