Über dieses Buch:

Rom im Jahre 69 nach Christus: Hilarius stammt aus einer altehrwürdigen Familie, deren Ruhm seit Langem verblasst ist. Seit vielen Jahren ist er darum auf die Unterstützung seines Patrons angewiesen – doch der selbstverliebte Quintus Servaeus Balbus lässt keine Gelegenheit aus, um ihn zu demütigen. Nun hat Hilarius nur noch ein Ziel: Balbus muss sterben! Aber wird es ihm wirklich gelingen, dem Senator ein Messer in den Rücken zu stoßen?

Ein Dichter, der Trauerreden liebt, ein hoch geehrter Senator, der seinen Sklaven ungewöhnliche Freiheiten lässt, und die letzten Überlebenden einer legendären Schlacht: Lassen Sie sich von Robert Gordian in das erste Jahrhundert entführen und tauchen Sie ein in eine Welt, deren Riten und Gewohnheiten uns staunen lassen.

Über den Autor:

Robert Gordian, geboren 1938 in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasst er historische Romane und Erzählungen. Robert Gordian lebt in Eichwalde, einem Vorort Berlins.

Eine Liste der weiteren eBooks, die Robert Gordian bei dotbooks veröffentlicht hat, finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Originalausgabe April 2017

Copyright © 2017 dotbooks GmbH, München

Die drei Erzählungen Die Sänfte, Der Tod des Dichters Clutorius Priscus und Das Mädchen mit dem Schlangenohrring (ursprünglich veröffentlicht unter dem Titel Thessalus IV) erschienen bereits 1992 in der Anthologie Das Grab des Periandros, veröffentlicht vom Verlag Neues Leben, Berlin.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildes von Shutterstock/Borya Gallerin.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95824-258-6

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Robert Gordian

Das Mädchen mit dem Schlangenohrring

Mörderische Geschichten aus dem alten Rom

dotbooks.

Die Sänfte

Es war noch Nacht und es regnete in Rom. Seit Tagen regnete es. Hilarius verließ sein Zimmer im dritten Stock und betrat die Treppe. Einige Stufen waren feucht und glitschig, weil das Dach hier kaum noch Ziegel hatte. In der Dunkelheit rutschte er aus und stürzte hinab bis zum nächsten Absatz. Er raffte sich zwar gleich wieder auf, aber die Seite schmerzte und die Toga, die an einem Nagel hängengeblieben war, hatte einen armlangen Riss bekommen.

Unten angelangt, blieb Hilarius einen Augenblick im Schutz der Arkaden stehen, die das schäbige Mietshaus in der Subura ein wenig verschönten. Die Taberna des Birrus im Erdgeschoss war fast leer, nur ein paar Betrunkene grölten heiser. Mattes Licht fiel durch die Tür auf die Pfeiler der Arkaden, auf denen dreckige Losungen standen. Hilarius ordnete die Falten der Toga, die noch vom gestrigen Regen feucht und schwer war, wobei er sich Mühe gab, den Riss zu verstecken. Dann trat er auf die Straße hinaus und schlug den Weg nach dem Esquilin ein.

Verfluchter Klientendienst. Tägliche, niemals endende Plage! Aufstehen vor Morgengrauen, bei Wind und Wetter hinaus auf die Straße. Sich einreihen in die hügelab, hügelauf trappelnde Herde der Morgengrüßer. Frierend vor der Tür des Patrons stehen. Warten, bis der bullige Türhüter öffnet und, mit seinem Stock fuchtelnd, mal den Weg frei gibt, mal verstellt – je nach der Anzahl der Quadranten, die man ihm in die Hand drückt. Dann wieder warten im Atrium, zusammen mit zwanzig, dreißig anderen. Wann endlich erhebt sich der Patron vom Lager und tritt heraus, damit man ihm sein »Ave!« zurufen kann?

Hilarius hustete. Ein Kälteschauer nach dem anderen lief ihm über den Rücken. Die nasse Toga hing schwer auf seinen schmalen, spitzen Schultern. Ja, ohne Zweifel, sie war eine der schmutzigsten hier, eine der schäbigsten. Aber man musste zum Morgengruß im Festgewand kommen und dieses war sein einziges. Zu Neujahr hatte ihm der Patron eine Toga versprochen, als Lohn für zwanzig Jahre Klientendienst. Doch dann hatte er ihm nur einen geringen Geldbetrag geschickt, von dem der Sklave, der ihn ablieferte, sich noch dreist einen Überbringerlohn nahm. Täglich hatte Hilarius sich von neuem vorgenommen, den Patron an sein Versprechen zu erinnern. Aber entweder fehlte die Gelegenheit oder einfach der Mut.

Die Ersten rief man jetzt auf. Die drei, vier Bevorzugten wurden ins Tablinum, das Empfangs- und Arbeitszimmer des Patrons, vorgelassen. Alle anderen mussten sich in der Halle gedulden, bis der Patron herauskam. Die wenigen Öllampen brannten trübe und durch die viereckige Dachöffnung fiel fahles Morgenlicht herein. Feiner Regen sprühte herab in das darunter liegende Becken. Klein und unscheinbar, mit weißer Spitznase und geröteten Augen, mit spärlichen grauen, an der Stirn klebenden Haaren stand Hilarius unter den anderen Togaträgern, die alle größer und kräftiger waren und sich murmelnd unterhielten. Er war fast fünfzig Jahre alt, einer der Ältesten hier.

Endlich erschien Quintus Servaeus Balbus in der Tür des Tablinums. Der Senator war aufgedunsen und verkatert. Gleichgültig blickte er auf die Meute der Hungerleider. Ein buntes Morgengewand, in das ägyptische Zeichen eingestickt waren, umspannte den fetten, formlosen Körper.

Die Klienten rissen die Mäuler auf und grinsend und zwinkernd, als träfe sie plötzlich helles Licht, riefen sie: »Ave, Balbus! Möge der Tag dir Glück bringen und deinen Wohlstand mehren!«

Er nickte müde und lächelte gnädig. Dann watschelte er ein paar Schritte hierhin und dorthin und ließ sich huldigen. Wen er ansprach, dem schlug aus seinem Halse stinkiger Weindunst entgegen.

Hilarius machte sich noch schmaler, als er war, und drängte sich zwischen einigen Togen nach vorn. Jemand stieß ihn grob mit dem Ellbogen, aber er gab nicht auf. Der Senator sprach gerade mit einem bärtigen Klienten, dessen Miene vor Seligkeit zerfloss. Schon war Hilarius an der Seite des Bärtigen. Doch gerade in diesem Augenblick wandte sich Balbus ab. Wieder zu spät. Wieder nichts.

»Verzeih!«, rief Hilarius mit seiner dünnen, vor Aufregung zittrigen Stimme.

Unendlich langsam drehte Balbus sich um. Seine schläfrigen, fast farblosen Augen starrten fischig auf den Klienten.

»Verzeih, ich … ich …« Die schmalen Lippen über den schwärzlichen, schadhaften Zähnen bewegten sich stammelnd.

»Was willst du, Hilarius?«, sagte Balbus.

Hilarius stieß einen Seufzer aus. Der Patron sprach ihn freundlich beim Namen an, das machte ihm Mut.

»Als ich vorhin meine Wohnung verließ, um dir den Morgengruß zu entbieten, Balbus …«

»Ja?«

»… da hatte ich einen Unfall … und fiel die Treppe hinab … sieh mal, hier …« Hilarius raffte die Toga und zeigte die zerrissene Stelle.

Balbus starrte lange dorthin. Allmählich, ganz langsam verzogen sich seine Lippen. Lautlos begann er zu lachen, wobei er die fette, fünffach beringte Hand an die Schläfe führte, wo der Schmerz zuckte nach dem gestrigen Saufgelage.

Als die Klienten den Balbus lachen sahen, überkam auch sie der Drang zur Heiterkeit. Sofort erhob sich ein Gewieher, Gekicher, ein Juchzen und Glucksen. Jeder versuchte, mit seinem »Hoho!« und »Hihi!« den anderen zu übertreffen. Einige schlugen sich die Bäuche. Die in den schäbigsten, löchrigsten Togen lachten am lautesten.

Schließlich nahm Balbus die Hand von der Schläfe und gebot Schweigen, indem er sie einen Augenblick in der Luft stehen ließ. Sofort wurde es still.

»Nun, und? Was wünschst du von mir?«, fragte der Patron.

»Du hattest … hattest mir eine Toga versprochen … zu Neujahr schon. Für meine zwanzigjährigen Dienste …«

»So? Hatte ich das«, sagte Balbus gedehnt. »Du stellst meine Freigebigkeit auf eine harte Probe, Hilarius. Weißt du nicht, dass es dein Vater war, der meinem Vater das letzte Hemd wegprozessierte? Und du willst eine Toga von mir?«

»Ich kann mir selbst keine kaufen«, sagte Hilarius, »aber in deinem Gefolge in einem Gewand wie diesem zu gehen …«

Balbus seufzte und warf einen Blick in die Runde.

»Seht ihn euch an! Das ist der Nachfahr von Leuten, die prätorischen Rang hatten. Armes Rom, wie bist du heruntergekommen! Der neue Kaiser wird viel zu tun haben.« Er wartete das zustimmende Gemurmel ab und fuhr fort: »Übrigens hat er die Senatoren, die er zu seinem Freundeskreis zählt, für heute zu Tisch geladen. Ich werde deshalb mein Tagesprogramm etwas kürzen.« Er drehte sich um und begab sich, von ehrerbietigen Blicken begleitet, zurück in das Tablinum.

Die dreißig Männer in Togen wandten sich ab und schlurften zum Vestibül. Einige gähnten, niemand drängte jetzt.

Der Februarmorgen war grau und trübe, noch immer fiel feiner Regen.

Auf der Straße wartete schon die Sänfte.

Der Gedanke, Balbus zu töten, kam Hilarius nicht zum ersten Mal. Schon vor neun Jahren, als seine Frau starb, hatte er diesen Wunsch verspürt. Er hatte Balbus die Schuld gegeben, obwohl der eigentlich nichts dafür konnte. Oder doch? Plania war bei der Geburt ihres Kindes gestorben, eines Kindes von Balbus. Damals hatte sich dieser Gedanke Hilarius‘ bemächtigt, ihn immer wieder bedrängt und geplagt und ihn nie mehr ganz losgelassen.

Abermals ging es hügelauf, hügelab, diesmal hinter der Sänfte des Senators. Der Haufen der Klienten stapfte durch den Schlamm der aufgeweichten Straßen, der die Beine und die Gewänder bespritzte. Einige, denen es besser ging, hatten einen Mantel über die Toga geworfen und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Ärmeren trugen nur die Toga. Es war nicht leicht für die Klienten, sich dem scharfen Schritt der herkulischen Sänftenträger anzupassen. Sie keuchten und husteten, ihre Gesichter glänzten vom Regen, nur wenige redeten jetzt miteinander. Kam eine andere Sänfte mit Gefolge entgegen, gab es wegen der Enge der Gassen oft Rippenstöße und Fußtritte. Zum Glück waren aufgrund des schlechten Wetter an diesem Tag weniger Sänften unterwegs als gewöhnlich. Balbus allerdings ließ sich von Regen und Kälte nicht abschrecken – er machte immer seine zehn bis fünfzehn Morgenbesuche.

Ich bringe ihn um, diesmal tue ich es, dachte Hilarius, während er sich mit den anderen im Vestibül des Hauses einer begüterten Witwe drängte, von der sich Balbus eine Erbschaft erhoffte. Dem kleinen Mann traten Tränen in die Augen, als er an die Demütigung dachte, die er eben durch den Senator erfahren hatte. Stumm hatte er die unverschämteste Lüge erdulden müssen. Es war der Vater des Balbus gewesen, der damals in dem Rechtsstreit gesiegt hatte. Durch eine schändliche Denunziation hatte er seinen Gegner, Hilarius‘ Vater, zum Selbstmord getrieben und dessen Familie ins Elend gebracht. Das geschah noch zu Zeiten des Kaisers Claudius. Später hatte der jetzige Senator den jungen Hilarius unter dem Vorwand der Wiedergutmachung eingeladen, sich seiner Klientel anzuschließen. Zwanzig Jahre lang – mit Ausnahme der Zeit, in der Balbus als Provinzgouverneur seinen unermesslichen Reichtum zusammenraubte – trottete nun Hilarius hinter der Sänfte her, verrichtete jeden niederen Dienst, ließ sich verspotten und schikanieren. Wofür? Die schäbige tägliche Sportel, die gerade reichte, um nicht zu verhungern.

Ja, es muss sein, dachte Hilarius. Meinem Vater bin ich es schuldig. Und Plania. Was macht es schon, dass ich selbst dabei draufgehen werde! Unwürdig ist es, so zu leben. Doch eine nützliche Tat, die Befreiung der Welt von diesem Schurken, kann den Tod veredeln, kann vieles wiedergutmachen …

Abermals gab es Gedränge. Balbus kam aus den inneren Räumen, er hatte seinen Besuch beendet. Die Klienten traten zurück und einander auf die Füße. Schnaufend ging der Senator hinaus und zur Sänfte.

Es wird ganz einfach sein, dachte Hilarius. Den Dolch in den Falten der Toga würde niemand bemerken. Wie viele Male am Tag schnaufte Balbus an ihm vorüber, den Mantel über den fetten Rücken gespannt. Ein breites, nicht zu verfehlendes Ziel. Bevor er die Sänfte erreichte, würde er dort in seinem Blut liegen, die fünffach beringte Hand würde im Todeskampf zucken. Und das boshafte Pack der Klienten würde schreien und seinen Ernährer beklagen.

Vielleicht erschlagen sie mich auf der Stelle, dachte Hilarius. Egal, dann müsste ich nicht auf den Henker warten …

Die acht numidischen Trägersklaven hatten die Sänfte angehoben und sich in Marsch gesetzt. Die Klienten schlossen sich an. Hilarius folgte als Letzter. Die Seite schmerzte ihn von dem Treppensturz, seine mit Kot bedeckten Füße waren Bleiklumpen. Torkelnd wie eine lahme Krähe versuchte er, Anschluss an den Haufen zu halten.

***

Wegen der Einladung ins Palatium ging der Senator, wie angekündigt, an diesem Tag früher ins Bad. Nach einem kurzen Aufenthalt im Caldarium beschränkte er sich darauf, sich vom Unctor salben und ein wenig massieren zu lassen. Während er auf der Pritsche lag und sich behandeln ließ, hockten einige der Klienten um ihn herum, um kleine Handreichungen zu leisten und den Patron zu unterhalten.

Hilarius, der sich nach einem heißen Bad gestärkt fühlte, hatte sich dieser Gruppe zugesellt. Seit er entschlossen war, Balbus zu töten, ließ er sein Opfer nicht aus den Augen. Er hatte sein Vergnügen daran, den Ahnungslosen zu beobachten, der träge Wein schlürfte und dabei seinen Körper salben ließ, den es bald nicht mehr geben würde. Genüsslich starrte Hilarius auf das glänzende Fett, das sich zersetzen, auflösen und in klebrige Asche verwandeln würde. Es war wohl die Hitze des Bades, die rötliche Flecke auf sein blasses Gesicht trieb. Vielleicht waren es aber auch die Erregung und die Vorfreude.

Jemand erzählte einen Witz und Balbus ließ ein grunzendes Lachen hören, in das die Klienten wiehernd einstimmten. Hilarius hatte nicht zugehört und verzog keine Miene.

»Nun seht euch den an!«, sagte Balbus und stieß einen Finger nach ihm. »Immer abwesend, immer in Gedanken. Du verstehst nicht zu leben, mein Bester! Sei so gut und sage dem Stasimus, dass ich jetzt etwas Obst wünsche.«

Hilarius stand auf. Als er sich umdrehte und hinausgehen wollte, stellte ihm der Witzbold ein Bein. Hilarius stolperte und fiel hin, wobei er seinen nackten, mageren Hintern ungeschickt in die Höhe und dem Balbus entgegen reckte. Der Scherz erntete brüllende Heiterkeit.

»Deine schrumpligen Äpfel meine ich nicht!«, rief Balbus. »Die lass lieber von den Affen der Gaukler beknabbern.«

Zum Glück hatte sich Hilarius diesmal nichts getan. Er suchte den Sklaven Stasimus und entdeckte ihn schlafend in einem Nebenraum. An seiner Seite stand der Korb mit Geflügelfleisch, Wein, Brot und Früchten, den Balbus in seiner Sänfte mit sich führte, damit immer ein Imbiss bereit war. Hilarius rüttelte den Sklaven an der Schulter, doch der ließ den Kopf nur tiefer auf die Brust sinken.

Hilarius fand eine silberne Schale und wählte ein paar Äpfel, Birnen und Trauben aus. Auf dem Boden des Korbs lag das Messer, mit dem Balbus das Obst zu zerkleinern pflegte. Hilarius legte es in die Schale und ging zurück ins Unctorium.

Balbus hatte sich inzwischen erhoben und zwei Herren in mittleren Jahren begrüßt, die wie er Badetücher um die Lenden geschlungen hatten. Die drei standen plaudernd in einer Nische. Auf der Pritsche lag jetzt ein anderer Badegast, den der Unctor behandelte. Die Klienten zerstreuten sich gerade.

Gleich beim Eintritt in das Unctorium erkannte Hilarius, welche Gelegenheit sich ihm bot. Ein Schreck durchzuckte ihn. So mühelos würde er es kaum wieder tun können! In der Schale das Messer – und vor ihm der breite, nackte Rücken des Balbus. Links unter dem Schulterblatt musste er zustoßen; das hatte er in der Arena gesehen, wo die Gladiatoren einander kunstfertig umbrachten. Das Messer war scharf und spitz. Es würde tief eindringen …

Langsam ging Hilarius vorwärts, die Schale vor sich her tragend. Der Rücken war nur noch drei Schritte entfernt.

Nimm das Messer!, befahl sich Hilarius. Umfasse den Griff mit der Faust, so dass die Klinge nach unten zeigt!

Er gehorchte dem eigenen Befehl. Aber kaum hatte die Rechte das Messer ergriffen, begann die Linke heftig zu zittern. Die Schale entglitt ihr, Äpfel und Birnen fielen zu Boden und rollten den Senatoren zwischen die Füße.

»Kannst du nicht aufpassen, Tölpel?«, schnauzte Balbus. Die anderen Herren traten etwas zur Seite, ließen sich aber in ihrer Unterhaltung nicht stören.

Hilarius bückte sich rasch, um das Obst aufzusammeln. Man nahm weiter keine Notiz von ihm.

»Ihr habt also auch davon gehört«, sagte einer der beiden Herren.

»Seine Spione sollen schon in Rom sein«, sagte der andere.

»Wir müssen abwarten«, meinte Balbus. »Auf Gerüchte gebe ich nichts. Im Übrigen bin ich immer loyal.«

»Der Senat ist jedenfalls nicht mehr vollzählig«, wusste der Erste. »Einige sind schon abgereist, um sich dem Prätendenten anzuschließen.«

»Leichtsinn, mein lieber Firmius«, fand der Zweite. »Die Prätorianer werden den Kaiser schützen.«

»Ob das genügt?«

»Lassen wir das doch, meine Herren«, sagte Balbus. »Freuen wir uns lieber auf die Tafel. Kaiser Otho versteht etwas davon.«

Hilarius erhob sich mit der Schale, auf der nun wieder die Früchte lagen. Das Messer hatte er verstohlen dazugelegt.

Noch immer schlug ihm das Herz bis zum Halse. Beim nächsten Mal tue ich es, dachte er. Ich lasse ihm eine letzte Frist …

Balbus nahm das Messer und begann, einen Apfel zu schälen. »Ich glaube, auch sonst wird dieser Abend nichts zu wünschen übrig lassen«, sagte er. »Wenn jemand etwas von raffinierten Zerstreuungen versteht, dann ist es Otho. Deshalb wurde er ja auch von Nero geschätzt.«

»Es ist doch erfreulich«, bemerkte der mit Firmius Angeredete, »wenn man einen Kumpan seiner wilden Jugendstreiche plötzlich zum Kaiser aufsteigen sieht: Man empfindet weniger Reue für das, was man damals getan hat.«

»Reue?«, lachte Balbus, wobei er sich Apfelstücke in den Mund stopfte. »Etwa wegen unserer nächtlichen Jagden auf Senatoren, Ritter und brave Bürger? Ich gestehe, das sind meine schönsten Erinnerungen!«

»Wir waren jung, frech und verdorben«, schwärmte der Dritte der Herren. »Erinnert ihr euch noch an unseren gemeinsamen Treffpunkt in der Subura?«

»Meinst du die Taberna des Birrus?«, fragte Balbus. »Dort habe ich unvergessliche Nächte erlebt.«

»Bei Birrus kreuzte doch manchmal auch Nero auf«, erinnerte sich Firmius.

»Ja«, sagte Balbus, »aber zu unserer Zeit war er noch ein ganz grüner Bengel. Einmal hat er dort sogar Prügel bezogen. Von einem Seemann, wenn ich nicht irre. Wegen einer gallischen Hure, so einer fetten, blonden …«

»Ich gebe zu«, sagte Firmius, »dass die Huren des Birrus immer die besten waren. Wenn es etwas zu bereuen gibt, dann auf keinen Fall ihretwegen!« Die Herren lachten.

Hilarius hielt noch immer die silberne Schale, die sich mit Kringeln von Apfelhaut und ausgespuckten Kernen füllte.

»Ich kenne die Taberna des Birrus«, sagte er mit einem Anflug von törichtem Stolz. »Ich wohne nämlich im selben Hause.«

»Was?«, rief Balbus. »Ist das wahr? Warum hast du mir das niemals gesagt? Jetzt weiß ich endlich, wo dieser Kerl die Sporteln durchbringt, die er mir abpresst!«

Er belachte den Scherz ausgiebig. Die beiden anderen Herren stimmten ein. Alle drei waren in ausgezeichneter Laune; schließlich gab der Kaiser nicht jeden Tag ein Festmahl.

***

Gleich nach dem Bade hatte der Sklave Stasimus die Sporteln verteilt, fünfundzwanzig Asse für jeden, und die Klienten waren entlassen. Hilarius war eilig nach Hause gegangen, froh, endlich allein zu sein. Er stieg hinauf zum dritten Stock in seinen Taubenschlag und warf die Tür hinter sich zu. Heftig riss er sich die Toga vom Leibe, hüllte sich in seine Decke und ließ sich auf die Matratze fallen. Lange Zeit lag er so, ohne Bewegung, mit offenen Augen. Er dachte an alles, was ihm heute passiert war, und an seinen großen Entschluss. Nach einer Weile verwirrten sich seine Gedanken. Müdigkeit überkam ihn. Er schlummerte ein.

Später weckten ihn die Geräusche, die mit dem Einbruch der Dunkelheit durch das Fenster von der Straße herauf drangen: Fuhrwerke, denen am Tage die Stadt verboten war, rumpelten über das grobe Pflaster, Betrunkene stritten in Birrus’ Taberna, Weiber kreischten dazwischen. Ein Trupp der Stadtwache, von einem schnauzenden Offizier befehligt, marschierte vorüber.

Auch in den Wohnungen wurde es lebendig: Neben und unter Hilarius wohnten ebenfalls Klienten, die ihre Marterstrecke hinter sich hatten und nach und nach übellaunig heimkehrten. Nun schlugen sie ihre Kinder oder sie wurden selbst von ihren verzweifelten Frauen geschlagen, die ihnen Faulheit und Sorglosigkeit vorwarfen.

»Nicht einmal fünf Sesterze, du Lump!«, hörte Hilarius die Frau schreien, die unter ihm wohnte. »Faulenzt im Bad und spielt Ball, statt sich für seine Patrone nützlich zu machen!«

Der Mann schrie zurück, es klatschte und polterte. Das war die übliche Unterhaltung zur Abendmahlzeit des Hilarius.