Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie
ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel
lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der
uns auf unserer Reise begleitet und uns daran
erinnert, jeden Moment zu genießen, denn er wird
nicht wiederkommen. Was wir hinterlassen ist nicht so
wichtig wie die Art, wie wir gelebt haben. Denn
letztlich [...] sind wir alle nur sterblich.
Jean-Luc Picard
Alle hier genannten Personen Pfleger, als auch
Bewohnernamen, stehen in keinerlei Zusammenhang mit
tatsächlichen Personen. Die hier beschriebenen Situationen
beruhen auf Erfahrungen und Erzählungen von Kollegen aus
der Pflege. In diesem Buch verzichte ich bewusst auf
Fotografien, da die Fantasie angeregt werden soll. Das Titelbild
wurde von einer lieben Freundin zur Verwendung bereitgestellt.
Ein neues Buch, ein neues Thema.
Ich habe lange überlegt, was ich als nächstes in Angriff nehmen könnte. Dann brachte mich ein Freund, welcher nicht in der Pflege ist, mit einem Satz auf einen Gedanken. Aus diesem Gedanken wurde eine Idee. Diese Idee wuchs im Laufe des Nachdenkens zu einer Kurzgeschichte heran. Eines schönen Tags in der Arbeit, kam ich in eine Situation, die mich umdenken ließ. Scheinbar grundlos erhob ein Bewohner die Hand gegen mich. Nachdem ersten Schrecken und einer deeskalierenden Verhaltensweise, verließ ich nachdenklich das Zimmer. Als ich die Situation jetzt noch einmal evaluierte fiel mir auf, wie es dazu gekommen ist. Nicht der Bewohner hat sich scheinbar aggressiv verhalten, sondern ich hatte den Fehler begangen. Eine Kleinigkeit, kaum erwähnenswert vielleicht. Für den Menschen, an dem ich arbeitete, war es dagegen Grund sich dagegen zu wehren. Wenn ich mir jetzt noch einmal weiter das Bild anschaute, war dies keine Seltenheit. So treten immer wieder an jedem Tag solche und ähnliche Situationen auf. Doch wie kann man dem entgegenwirken? Gibt es eine Möglichkeit?
Hier möchte ich das folgende Zitat heranziehen: “Nur wenn du in meinen Schuhen gelaufen bist, kannst du über mich urteilen”.
In der Pflege arbeiten, heißt mehr als waschen, anziehen und Medikamente verabreichen. Wir arbeiten hier mit Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein jeder hat Erfahrungen im Leben gesammelt. Seien sie gut oder schlecht, sie haben Spuren hinterlassen. Daher habe ich mich entschlossen, dieses Buch den Menschen zu widmen die uns anvertraut sind. Sei es im Krankenhaus, Pflegeheim oder zuhause. Situation wie diese gibt es in jedem Umfeld.
Ich möchte hier aufzeigen, wie es sich anfühlt in diese Situation zu kommen.
Lassen Sie sich mitnehmen von Fr. Hufmeister und ihrer Geschichte. Leben und erleben Sie wie es ist abhängig von anderen zu sein.
Es ist dunkel, sind meine Augen noch zu? Ich öffne sie langsam, Sonnenstrahlen blenden mich. Wo bin ich? Warm ist mir. Ich versuche die Decke abzustreifen. Meine linke Hand gehorcht mir heute nicht, wie es scheint. Versuchsweise nehme ich den rechten Fuß zur Hilfe. Na klasse, es geht doch. Aber irgendetwas stimmt nicht, es juckt und ist nass. Durch den Schleier des Nebels, der in meinem Kopf umherwabert, sagt mir etwas, nass ist nicht gut. Da die linke Hand heute ihren Dienst versagt, ziehe und zerre ich mit der anderen an dem was mich so nass umwickelt. Mit einem letzten Ruck reißt das plastikartige Material. Da ich mich noch nicht bewegen kann, versuche ich mit der Hand dem Ursprung des Feuchten nahezukommen. Suchend taste ich mich umher. Etwas Kaltes, hartes ragt neben mir in die Höhe. Habe ich zuletzt umgebaut? Mein Bett hatte sowas doch noch nie. Während dieser Überlegungen, taste ich mich weiter am Holz entlang. “Was um Gottes Willen tuen Sie da Fr. Hufmeister!”
Eine Stimme, die mich scheinbar sehr missgelaunt anschreit, kommt näher.
Abrupt reißt sie meine Hand von dem Holz und während sie weiter mit mir schreit, werde ich auf die Seite geworfen. Hilfe mir ist schwindlig, es dreht sich mir ist so schlecht!!
Als ob meine Stimmbänder ihren Dienst versagen, ich bekomme keinen Ton heraus und versuche mit der mit gehorchenden Hand Halt zu suchen. “ Lassen Sie das gefälligst sein!” schreit mich diese Frau an.
Eiskaltes Wasser läuft mir über die Hand und den Rücken. Erschrocken zucke ich zusammen. Bei dem Versuch zu entfliehen, stoße ich mit dem Fuß gegen etwas. Der Schmerz zieht mir bis in die Hüfte, sodass ich aufstöhne. “Jeden Tag die gleiche Scheiße!”
Schimpft die Frau vor sich hin. Eine tiefe Stimme höre ich von der Ferne. Sie klingt freundlich. Plötzlich höre ich sie hinter mir. “ Ach Gabi, sie kann doch nichts dafür. Seit ihrem Schlaganfall vor 2 Jahren hat sie immer wieder diese Phasen, das weißt du doch.” Mein Kopf rast, ob dieser neuen Informationen.
Schlaganfall? Ich? Wieso? Fragen rasen durch meinen Kopf. Ich will diese nette Stimme fragen.
Doch nichts als ein Gurgeln bekomme ich heraus. Schritte verhallen und ich bin allein, allein mit Gabi wie ich jetzt weiß. Jemand läuft auf dem Gang und singt, das ist schön das Lied. An irgendetwas erinnert es mich. Während ich krampfhaft versuche meine Gedanken zu sortieren, werde ich sanfter als zuvor, aber doch mit Schwung zurück auf den Rücken gedreht. Mein Kopf dreht sich. Das letzte Mal hat er sich angefühlt als ich auf dem Karussell saß mit...
Wie war der Name?
Je länger ich versuche ihn herauszufinden umso mehr verworren sich meine Gedanken. Mein Blick wandert zur Wand. Bilder hängen dort. Sie gefallen mir, die Farben die Formen, sie beruhigen mich, auch wenn ich nicht weiß, warum. Daneben hängen Bilder von Menschen. Bin ich das? Wer sind diese kleinen Kinder? Sie kommen mir bekannt vor, vertraut und doch so fremd. Mein Blick wird bei einer erneuten Drehung weggedreht. Oh nein, das ist hell! Ich kneife verzweifelt die Augen zu. Die Sonne scheint herein.
Wann ist es Tag geworden? “Stellen Sie sich doch nicht schon wieder so an!” herrscht Gabi mich an.