Das Glücksversprechen
Eine feministische Kulturkritik
aus dem Englischen
von Emilia Gagalski
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Sara Ahmed: Das Glücksversprechen
1. Auflage, Oktober 2018
eBook UNRAST Verlag, September 2020
ISBN 978-3-95405-027-7
Copyright der Originalausgabe
© 2010 Duke University Press, Durham & London
Titel der Originalausgabe: The Promise of Happiness
© UNRAST-Verlag, Münster
www.unrast-verlag.de – kontakt@unrast-verlag.de
Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung
sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner
Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter
Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: kv, Berlin
unter Verwendung eines Gemäldes von
Carrie Moyer: Double Shot 1, 2006
© Carrie Moyer. Courtesy of DC Moore Gallery, New York.
Übersetzung: Emilia Gagalski, Düsseldorf
Satz: UNRAST Verlag, Münster
Einleitung
Warum Glück/lichsein? Warum gerade jetzt?
Die Hinwendung zum Glück | Positive Psychologie | Unglückliche Archive
Erstes Kapitel
Glückliche Objekte
Gefühlsregung, Objekte, Absichtlichkeit | Versprechen | Gute Angewohnheiten | Gemeinschaftliches Glück/lichsein | Glückliche Familien
Zweites Kapitel
Feministische Spaßverderber*innen
Glück/lichsein, Erziehung und Frauen | Unruhestifter*innen | Bewusstsein und Unglück/lichsein | Bewusstsein und Rassismus
Drittes Kapitel
Unglückliche Queers
Einfach (nur) Glück/lichsein | Unglück/lichsein hervorrufen | Glückliche Queers | Glücklicherweise Queer
Viertes Kapitel
Melancholische Migrant*innen
Utilitarismus und Empire | Freiheit, um glücklich zu sein | Melancholie und Umwandlung | Fremde Empfindungen
Fünftes Kapitel
Glückliche Zukunftsaussichten
Entfremdung und revolutionäres Bewusstsein | Optimismus und Pessimismus | Hoffnung und Sorge | Die Freiheit, unglücklich zu sein
Schlussfolgerung
Glück/lichsein, Ethik, Möglichkeiten
Eine Genealogie des Glück/lichseins | Glück/lichsein, Passivität, Aktivität | Glücklich-eres Glück/lichsein
Danksagungen
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
Für Audre Lorde,
von der ich so vieles
gelernt habe.
Glück/lichsein wird regelmäßig als das Ziel menschlicher Sehnsucht beschrieben, als etwas, dem wir nachjagen, das dem Menschenleben einen Sinn und Ordnung gibt. Wie Bruno S. Frey und Alois Stutzer argumentieren: »Jeder möchte glücklich sein. Wahrscheinlich gibt es kein anderes Ziel im Leben, über das ein so großer Grad an Einigkeit herrscht.« (2002: vii)[1] Möglicherweise ist damit die Einigkeit in Bezug darauf gemeint, dass man sich über das Glück/lichsein einig ist. Sind wir uns über das Glück/lichsein einig? Und über was sind wir uns überhaupt einig, wenn wir uns über das Glück/lichsein einig sind?
Selbst ein Philosoph wie Immanuel Kant, der das Glück des Einzelnen außerhalb der Ethik ansiedelt, folgert: »Glücklich zu sein, ist notwendig das Verlangen jedes vernünftigen endlichen Wesens, und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens.« ([1788] 1968: 133) Und doch schlägt Kant selbst eher traurig vor, dass »Nur ist die Vorschrift der Glückseligkeit mehrerenteils so beschaffen, daß sie einigen Neigungen großen Abbruch tut und doch der Mensch sich von der Summe der Befriedigung aller unter dem Namen der Glückseligkeit keinen bestimmten und sichern Begriff machen kann .« ([1785] 1961: 36 f.) Wenn wir uns Glück/lichsein wünschen, bedeutet das nicht, dass wir wissen, was wir uns wünschen, wenn wir es uns wünschen. Glück/lichsein könnte sogar seinen eigenen Wunsch heraufbeschwören. Oder es könnte immer nur ein Wunsch bleiben, weil es nicht in Erfüllung gehen kann.
Glück/lichsein: ein Wunsch, ein Wille, ein Bedürfnis. In diesem Buch frage ich mich, was es für das Glück/lichsein bedeutet, innerhalb dieser Begrifflichkeiten gedacht zu werden. Dementsprechend geht es nicht primär um die Frage »Was bedeutet Glück/lichsein?«, sondern viel mehr »Was macht Glück/lichsein (mit uns)?«. Ich gebe hier weder eine Definition dieses Begriffs oder ein Modell für authentisches Glück/lichsein, noch biete ich eine Gebrauchsanleitung zum Glück/lichsein an: denn ich habe keine und wenn überhaupt, schreibe ich aus einer skeptischen Position heraus, da ich nicht an das Glück/lichsein als eine Methode für ein gutes Leben glaube. Mich interessiert, inwiefern Glück/lichsein mit einigen Lebensentscheidungen verbunden ist, anderen hingegen nicht, inwiefern Glück/lichsein als etwas betrachtet wird, das aus einer bestimmten Art von Mensch resultiert. Die Geschichte des Glück/lichseins kann als Geschichte von Verknüpfungen verstanden werden. Wenn wir uns Glück/lichsein wünschen, wollen wir mit dem Glück/lichsein verknüpft werden, was wiederum bedeutet, mit dessen Verknüpfungen verknüpft zu werden. Genau dieses Versprechen, dass man Glück(lichsein) erhält, wenn man die richtigen Verknüpfungen hat, erklärt möglicherweise, auf welche Weise wir in bestimmte Richtungen gelenkt werden.
Glück/lichsein formt das, was als eine Welt ein Ganzes bildet. Wenn ich Glück/lichsein als eine Art der Weltenerschaffung beschreibe, bin ich den Werken von feministischen, Schwarzen und queeren Gelehrten zu Dank verpflichtet, die auf unterschiedliche Weise aufgezeigt haben, inwieweit Glück/lichsein dazu benutzt wird, um Unterdrückung zu rechtfertigen. Durch feministische Kritiken an der Figur »der glücklichen Hausfrau«, Schwarzen Kritiken am Mythos »des glücklichen Sklaven« und queeren Kritiken an der Verkitschung der Heterosexualität als »häusliches Glück« habe ich viel über das Glück/lichsein und die eigentlichen Begrifflichkeiten, die dessen Reiz ausmachen, gelernt. Um diese spezifischen Kritiken herum drehen sich langjährige Forschungsreihen und Bewegungen, die die unglücklichen Folgen des Glück/lichseins offenbaren und uns lehren, dass Glück/lichsein gebraucht wird, um soziale Normen als soziale Güter darzustellen. Man könnte sogar annehmen, dass solche politischen Bewegungen gegen und nicht für das Glück/lichsein gekämpft haben. Simone de Beauvoir zeigt gut auf, inwieweit sich der Wunsch nach dem Glück/lichsein in Politik wandelt, eine wünschende Politik, Politik, die von anderen erwartet, gemäß eines Wunsches zu leben. So heißt es in ihrem Werk: »Man weiß dabei nicht recht, was das Wort Glück bedeutet und welche authentischen Werte sich darunter verbergen; es besteht keine Möglichkeit, das Glück eines anderen zu messen, und es ist immer leicht, die Situation als glücklich zu erklären, zu der man jemanden zwingen will.« (1968: 21)
Ich greife auf solche Kritiken des Glück/lichseins zurück, um den Wunsch nach Glück/lichsein zu hinterfragen. Wir müssen jetzt auf diese Kritiken zurückgreifen, um auf die Weltlichkeit dieses Jetzt zu antworten. Warum Glück/lichsein? Warum gerade jetzt? Wir könnten sicherlich dieses Jetzt als die ›Hinwendung zum Glück‹ beschreiben. Ich habe Das Glücksversprechen unter anderem als Antwort auf diese Hinwendung geschrieben.
Was meine ich damit? Sicherlich, es sind zahlreiche Bücher zur Wissenschaft und Ökonomie des Glück/lichseins publiziert worden, insbesondere seit 2005.[2] Die Popularität therapeutischer Kulturen und Diskurse über Selbsthilfe führten auch zu dieser Hinwendung zum Glück/lichsein: Heutzutage existieren viele Bücher und Kurse, die Anleitungen zum Glück/lichsein liefern, indem sie sich auf ein Wissensspektrum beziehen, einschließlich des Feldes der positiven Psychologie, als auch (oftmals orientalistischer) Lesarten östlicher Traditionen, vor allem des Buddhismus.[3]
Heutzutage kann man von einer ›Glücks-Industrie‹ sprechen: Glück/lichsein wird durch diese Bücher sowohl hergestellt als auch verbraucht, wodurch sein Wert als eine Art Vermögen angehäuft wird. Barbara Gunnell (2004) schildert wie »die Suche nach dem Glück sicherlich viele Menschen bereichert. Die Glücks-Industrie boomt. Der Verkauf von Selbsthilfe-Ratgebern und CD’s, die ein erfüllteres Leben versprechen, lief noch nie so gut.«
Die Medien sind übersät mit Bildern und Geschichten des Glücks. In Großbritannien haben viele seriöse Zeitungen ›spezielle Sparten‹ zum Thema Glück/lichsein integriert und die BBC-strahlte 2006 eine Dokumentation mit dem Titel The Happiness Formula (dt.: Das Glücksrezept) aus.[4] Diese Hinwendung zum Glück kann als international beschrieben werden; man kann den »Glücks-Pflanzen-Index« im Internet einsehen und es gibt eine Anzahl an weltweiten Untersuchungen und Auswertungen, die den Grad des Glück/lichseins innerhalb und zwischen Nationalstaaten messen.[5] Diese Berichte werden oft in den Medien zitiert, sobald Untersuchungsergebnisse nicht den sozialen Erwartungen entsprechen, also, wenn die Menschen in Entwicklungsländern den Anschein erwecken, glücklicher zu sein als die in Industrieländern. Nehmt zum Beispiel diesen Satz aus einem Artikel: »Bangladesch ist das Land mit den glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt! Hätten Sie das gedacht? Im Gegensatz dazu geben die USA ein trauriges Bild ab: Sie landen nur auf dem 46. Platz in der Rangliste dieser weltweit durchgeführten Studie über Glück/lichsein.[6] « Glück/lichsein und Unglück/lichsein werden zu Themen in den Nachrichten, wenn sie Vorstellungen zum sozialen Status bestimmter Individuen, Gruppen und Nationen infrage stellen, dadurch aber den Status oftmals durch eine ungläubige Sprache bestätigen.
Die Hinwendung zum Glück kann auch an den veränderten politischen und herrschaftlichen Rahmenbedingungen beobachtet werden. Die Regierung Bhutans misst seit 1972 das Glück/lichsein seiner Bevölkerung und die Ergebnisse werden im Bruttonationalglück (Gross National Happiness) festgehalten. Im Vereinigten Königreich sprach David Cameron, Anführer der konservativen Partei, über Glück/lichsein als eine Werteinstanz für die Regierung und löste damit in den Medien eine Diskussion über New Labour und Glück/lichsein und die Agenda ›gesellschaftlichen Wohlergehens‹ aus.[7] Es wurde über einige Regierungen berichtet, dass sie Glück/lichsein und Wohlbefinden als messbare Vorteile und explizite Ziele einführen und so das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch den sogenannten echten Fortschrittsindikator (Genuine Progress Indicator, GPI) ergänzen.[8] Glück/lichsein wird mehr und mehr zu einer echten Methode, um Fortschritt zu messen; wir könnten auch sagen, dass Glück/lichsein den ultimativen Leistungsindikator darstellt.
So überrascht es nicht, dass die Studien zum Glück/lichsein sich zu einem eigenen akademischen Feld mit eigener Berechtigung entwickelt haben: Die akademische Fachzeitschrift Happiness Studies ist gut etabliert und es existieren bereits einige Professuren zum Thema. In Wissenschaftskreisen haben wir in zahlreichen Disziplinen, einschließlich der Geschichte, der Psychologie, der Architektur, der Gesellschaftspolitik und der Wirtschaft, eine Hinwendung zum Glück/lichsein bemerkt. Es ist wichtig, diese Wende wahrzunehmen und sich nicht einfach mit Glück/lichsein als eine Art der Einigkeit zu beschäftigen, sondern mit der Einigkeit darüber, den Begriff Glück/lichsein zu gebrauchen, um etwas zu beschreiben.
Einige Ansätze zu diesem Thema wurden unter der Rubrik ›neue Glücksforschung‹ zusammengefasst. Das bedeutet nicht, dass die Glücksforschung an sich neu ist; viele der ausschlaggebenden Texte in diesem Bereich bieten Neuauflagen des klassischen englischen Utilitarismus an, insbesondere des Werkes von Jeremy Bentham mit seiner berühmten Maxime ›das größte Glück einer größtmöglichen Zahl (Menschen)‹. Wie Bentham in seinem A Fragment of Government erklärt »was richtig und was falsch ist, misst sich an dem größten Glück der größten Zahl.« ([1776] 1988: 3) Bentham selbst beruft sich auf ältere Traditionen, darunter das Werk von David Hume als auch Cesare Beccaria und Claude Adrien Helvétius. Die Glücksforschung teilt sich eine Geschichte mit der Nationalökonomie: Denken wir nur an Adam Smiths Argument in Der Wohlstand der Nationen, dass der Kapitalismus uns von der sogenannten ›eleden Gleichheit‹ weg und hin zur ›glücklichen Ungleichheit‹ führt, sodass »selbst ein Arbeiter der untersten und ärmsten Schicht, sofern er genügsam und fleißig ist, […] sich mehr zum Leben notwendige und angenehme Dinge leisten [kann], als es irgendeinem Angehörigen eines primitiven Volkes möglich ist.« ([1776] 1978: 3)
Selbstverständlich beinhaltet der Utilitarismus des neunzehnten Jahrhunderts eine ausdrückliche Widerlegung dieser Schilderung, in der Ungleichheit zu einem Indikator für Entwicklung und Glück/lichsein wird. Indem er sich Alexander Wedderburn anschließt, beschreibt Bentham die Prinzipien des Utilitarismus als Gefahr für die Regierung: »ein Prinzip, das als einziges Recht und berechtigtes Ziel der Regierung das größte Glück der größten Zahl zugrundelegt – wie kann dieses als ein gefährliches Prinzip verneint werden? Gefährlich für jene Regierung, die als ihr tatsächliches Ziel oder ihren Zweck das Glück eines Einzelnen betrachtet.« ([1776] 1988: 59) Trotz dieser Auffassung, dass das Glück/lichsein jedes Einzelnen gleichermaßen zählen sollte (das Glück/lichsein von vielen lehnt es ab, das Glück/lichsein irgendeines Einzelnen anzuheben), hält die utilitaristische Tradition an dem Prinzip fest, dass vermehrtes Glück/lichsein als Maßstab für menschlichen Fortschritt fungiert. Émile Durkheim bot eine kraftvolle Kritik an diesem Prinzip an: »Aber ist es überhaupt wahr, daß das Glück des einzelnen in dem Maß wächst, wie der Mensch fortschreitet? Nichts ist zweifelhafter.« ([1893] 1977: 281)
Eine Schlüsselfigur in der jüngsten Glücksforschung ist Richard Layard, der oftmals von den britischen Medien als ›Glücks-Zar‹ bezeichnet wird. Sein wichtiges Werk Die glückliche Gesellschaft, das zum ersten Mal 2005 veröffentlicht wurde, beginnt mit einer Kritik an der Wirtschaftslehre dafür, woran sie menschliche Entwicklung misst: »Leider haben viele Wirtschaftswissenschaftler die Angewohnheit, das Glück einer Gesellschaft mit ihrer Kaufkraft gleichzusetzen..« ([2005] 2009: 9) Layard argumentiert, dass Glück/lichsein die einzige Möglichkeit darstelle, um Entwicklung und Fortschritt zu messen: »Die beste Gesellschaft [ist] diejenige, in der die Bürger am glücklichsten sind.« (15) Eine der grundlegenden Annahmen dieser Wissenschaft ist, dass Glück/lichsein etwas Positives sei und dementsprechend nichts besser sein kann, als dieses Glück/lichsein auf das höchste Maß zu bringen. Die Glücksforschung nimmt an, dass Glück/lichsein »da ist«, dass man Glück/lichsein messen kann und dass diese Messungen objektiv sind: Sie wurden »Hedonimeter« genannt. (Nettle [2005] 2009: 8)
Wenn die Glücksforschung davon ausgeht, dass Glück/lichsein »da ist« ist, wie definiert sie Glück/lichsein dann? Richard Layard liefert uns erneut einen brauchbaren Anhaltspunkt. Er sagt: »Glück ist, wenn wir uns gut fühlen, und Elend bedeutet, dass wir uns schlecht fühlen.« (Layard [2005] 2009: 17) Glück/lichsein bedeute »[sich] gut [zu] fühlen«, was nahelegt, dass wir Glück/lichsein messen können, weil wir messen können, wie gut sich Menschen fühlen. Also bedeutet Glück/lichsein ist »da« eigentlich ›hier‹. Die Vorstellung davon, Glück/lichsein messen zu können, schließt den Glauben mit ein, Gefühle messen zu können. Layard führt an, dass es »den meisten Menschen […] leicht [fällt] zu sagen, wie gut sie sich in einem bestimmten Moment fühlen.« (25) Glücksforschung gründet sich hauptsächlich auf Selbsteinschätzungen: Studien messen, wie glücklich Menschen laut eigenen Aussagen sind, vorausgesetzt, sie sind wirklich glücklich, wenn sie sagen, dass sie es seien. Dieses Modell geht sowohl von einer Transparenz der Selbstempfindung (dass wir wissen, wie wir uns fühlen und es auch ausdrücken können), als auch von dem unbegründeten und unkomplizierten Wesen der Selbsteinschätzung aus. Wenn wir bereits annehmen, dass Glück/lichsein etwas ist, das wir uns wünschen, ist die Frage danach, wie glücklich wir sind, keine neutrale Frage. Nicht nur sollen Menschen durch diese Frage ihre Lebensumstände bewerten, sie sollen dadurch auch ihre Lebensumstände anhand von Kategorien bewerten, die werturteilsbehaftet sind.[9] Messungen könnten den relativen Wunsch nach Glück/lichsein messen oder sogar den relativen Wunsch, über das eigene Lebensglück (sich selbst oder anderen gegenüber) zu berichten, anstatt einfach nur zu messen, wie Menschen über ihr Leben als solches denken.
Es spielt eine Rolle, wie wir über Gefühle denken. Die Glücksforschung beruht vor allem auf der Vorstellung der Transparenz von Gefühlen, als auch auf der Annahme, dass sie die Grundlage für ein moralisches Leben darstellen. Wenn etwas gut ist, fühlen wir uns gut. Wenn etwas schlecht ist, fühlen wir uns schlecht.[10] Dementsprechend baut die Glücksforschung auf einem sehr spezifischen Modell der Subjektivität auf, in dem der Mensch weiß, wie er sich fühlt und wo die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Gefühlen sicher ist und die Grundlage für subjektives als auch soziales Wohlbefinden bildet. Kulturwissenschaften und die Psychoanalyse können möglicherweise eine wichtige Rolle in diesen Debatten spielen, indem sie alternative Theorien der Affekte liefern, die nicht auf einem Subjekt basieren, das sich seiner selbst komplett bewusst ist, einem Subjekt, dass immer weiß, wie es sich fühlt (siehe Terada 2001). Kulturelle und psychoanalytische Annäherungsweisen können untersuchen, wie gewöhnliche Verbundenheiten zu der Vorstellung eines guten Lebens auch ambivalent sind, indem Verwirrtheit anstelle von der Trennung von guten und schlechten Gefühlen eine Rolle spielt. Dann würde das Lesen von Glück/lichsein zu einer Frage der Grammatik dieser Ambivalenz werden.
Glücksforschung misst nicht einfach Gefühle; sie bewertet auch die Ergebnisse. Glück/lichsein zu messen, generiert vor allem Wissen über die Verteilung von Glück/lichsein. Die Glücksforschung hat Datenbanken produziert, die zeigen, wo Glück/lichsein verortet ist und diese Daten sind größtenteils an einem vergleichenden Modell vorhersagbar. Datenbanken zum Glück/lichsein zeigen uns, welche Individuen glücklicher sind als andere, als auch welche Gruppen oder Nationen glücklicher sind als andere. Die Glücksforschung stellt Zusammenhänge zwischen Ebenen des Glück/lichseins- und sozialen Indikatoren her und stellt somit sogenannte ›Glücks-Indikatoren‹ auf. Glücks-Indikatoren sagen uns, welche Menschen glücklicher sind; sie fungieren nicht nur als Maßstab für Glück/lichsein, sondern auch als Vorhersagen für das Glück/lichsein. So behaupten Frey und Stutzer in Happiness and Economics, dass soziale Indikatoren vorhersagen können, wie glücklich verschiedene Menschen sein werden und damit sogenannte »Glücks-Psychogramme« erschaffen. (2002: 7)
Einer der grundsätzlichen Glücks-Indikatoren ist die Ehe. Eine Ehe wird als ›die beste aller Möglichkeiten‹ definiert, da sie Glück/lichsein auf die höchste Stufe stellt. Es wird argumentiert: Wenn du verheiratet bist, wirst du mit größerer Wahrscheinlichkeit glücklicher, als wenn du nicht verheiratet bist. Diese Feststellung ist gleichzeitig ein Rat: Heirate und du wirst glücklich sein! Diese enge Verbindung zwischen der Messung und der Vorhersage hat eine mächtige Wirkung. Die Glücksforschung kann als performativ beschrieben werden: Indem sie an bestimmten Orten Glück/lichsein findet, erzeugt sie solche Orte als gute Orte, als Orte, die als Güter beworben werden sollten. Korrelationen werden als Kausalzusammenhänge gelesen, die dann die Grundlage für die Bewerbung bilden. Wir bewerben das, was ich im ersten Kapitel die ›Glücks-Ursachen‹ nenne, was wiederum auch dazu führen kann, dass erst über Glück/lichsein berichtet wird. Somit beschreibt die Glücksforschung das, was bereits als gut bewertet wurde, erneut als Güter. Wenn wir dazu verpflichtet sind, die Dinge zu fördern, die uns glücklich machen, dann wird Glück/lichsein an sich zu einer Pflicht. Ich werde in diesem Buch der Bedeutung der ›Pflicht zum Glück/lichsein‹« auf den Grund gehen.
Das bedeutet nicht, dass wir das Glück immer finden. Tatsächlich könnten wir eher sagen, dass Glück/lichsein einflussreicher wird, je mehr es als etwas gesehen wird, das sich in einer Krise befindet. Die Krise des Glück/lichseins funktioniert hauptsächlich als Schilderung der Enttäuschung: Auf die Anhäufung von Reichtum folgte nicht auch eine Anhäufung des Glück/lichseins. In erster Linie wird diese Krise überhaupt erst durch die regulierende Wirkung einer sozialen Annahme zu einer Krise: dass größerer Reichtum Menschen glücklicher machen sollte. Richard Layard beginnt seine Glücksforschung mit dem, was er als Paradox beschreibt, denn »obwohl die Menschen im Westen seit Jahrzehnten immer reicher werden, sind sie keineswegs glücklicher geworden.« ([2005] 2009: 13) Wenn die neue Glücksforschung Glück/lichsein von Reichtumsanhäufungen trennt, verortet sie weiterhin Glück/lichsein an bestimmten Stellen, vor allem der Ehe, die weithin als hauptsächlicher »Glücks-Indikator« gesehen wird (siehe Kapitel 2), als auch in stabilen Familien und Gemeinschaften (siehe Kapitel 4). Glück/lichsein wird dort gesucht, wo erwartet wird, dass es gefunden wird, selbst wenn es dort fehlt. Dabei fällt auf, dass die Krise des Glück/lichseins soziale Ideale nicht hinterfragt hat und wenn überhaupt ihre Herrschaft über das psychische und politische Leben erneut bekräftigt hat. Die Forderung nach Glück/lichsein wird immer mehr als Forderung nach einer Wiederkehr zu sozialen Idealen artikuliert, so als läge die Erklärung für die Krise des Glück/lichseins nicht im Scheitern dieser Ideale, sondern in unserem Scheitern, ihnen zu folgen. Und in Zeiten der Krise nimmt die Sprache des Glück/lichseins wohl eine noch mächtigere Herrschaft an.[11]
Ausgehend davon, dass sich diese neue Forschung vorwiegend auf Selbsteinschätzungen stützt, bringt sie eine wichtige psychologische Dimension mit sich. Innerhalb der Psychologie können wir auch eine Hinwendung zum Glück beobachten. Viele dieser Werke werden als Positive Psychologie bezeichnet und mit einer internen Kritik an der Disziplin an sich eröffnet. Michael Argyle behauptete, dass »sich die meisten Werke über Emotionen in der Psychologie mit Sorge, Depression und anderen negativen Gefühlszuständen beschäftigen« (1987: 1). Oder, wie es die Herausgeber des Sammelbandes Subjective Well-Being in Anlehnung an Ed Diener ausdrücken: »Psychologie war weniger mit den Bedingungen für Wohlbefinden als mit dem Gegenteil beschäftigt: der Bestimmung menschlichen Unglück/lichseins.« (Strack u.a. 1991:1) Während die Glücksforschung die Tendenz der Wirtschaft korrigiert, die sich auf wirtschaftliches Wachstum zu Lasten des Glück/lichseins konzentriert, korrigiert die Glückspsychologie die Tendenz der Psychologie, sich auf negative Gefühlszustände zu Lasten des Glück/lichseins zu konzentrieren.
Wir können mit Michael Argyles klassischem Werk The Psychology of Happiness (1987) beginnen. Er definiert sein Buchprojekt folgendermaßen: »Dieses Buch beschäftigt sich vorrangig mit den Ursachen und Erklärungen für positives Glück und wie unser Verständnis darüber genutzt werden kann, damit Menschen, einschließlich uns selbst, glücklich werden.« (1) Sofort wird klar, dass Glück/lichsein zu einer disziplinären Technik wird. Das Ziel positiver Psychologie ist es, positives Glück/lichsein zu verstehen – indem die Entstehungsursachen erklärt werden – als auch, dieses Wissen darüber zu nutzen, um Glück/lichsein hervorzubringen. Positive Psychologie ist darauf ausgerichtet, Menschen glücklicher zu machen. Positive Psychologie ist positiv eingestellt gegenüber positiven Gefühlen; sie setzt das vielversprechende Wesen seines eigenen Gegenstandes voraus.
Auf einer gewissen Ebene scheint dies ein weiser Rat zu sein. Sicherlich ist es besser, sich besser zu fühlen, und wir alle möchten uns doch besser fühlen. Sicherlich sollte alles Wissen transformierend sein und auf dem Impuls beruhen, Lebenswelten und Kapazitäten für Individuen zu verbessern. Es geht hier um die Vorstellung, dass wir im Voraus in der Lage seien, zu wissen, was das Leben von Menschen verbessern wird. Menschen glücklicher zu machen, wird als Zeichen der Verbesserung angenommen. Diese eine bestimmte Sache, die wir erstreben, ist auch die eine Sache, die uns dorthin bringen wird. Positive Gefühle haben die Aufgabe, ihre eigene Negation zu überwinden: sich gut zu fühlen kann uns aus den Fängen von »Sorgen, Depressionen und anderen negativen Gefühlszuständen befreien« (Argyle 1987: 1). Sich besser zu fühlen, bedeutet demnach, besser zu sein – Positive Psychologie teilt diese Annahme mit der Glücks-Ökonomie. Hierin liegt ein stärkeres Argument: sich besser zu fühlen, heißt besser zu werden.
Argyle verlässt sich auf Selbsteinschätzungen als objektive Maßeinheit des Subjektiven: »Wir sollten größtenteils auf subjektive Einschätzungen über die Gefühle von Menschen vertrauen: Wenn Menschen sagen, dass sie glücklich sind, sind sie auch glücklich.« (2) Dann beschreibt er gewisse Institutionen als gut, insofern sie aller Wahrscheinlichkeit nach Glück/lichsein begünstigen: »die größten Vorteile«, sagt er, »bringt die Ehe mit sich« (31). Zum Glück/lichsein gehöre ein gewisses Arrangement: »Glück/lichsein ist Teil eines weitgefassteren Phänomens, das die Wahl lohnenswerter Situationen mit einschließt und sich auf die positiven Aspekte des Lebens und ein hohes Selbstwertgefühl konzentriert.« (124) Individuen nehmen sich vor, an sich selbst zu arbeiten, indem sie ihre Gefühle steuern, um es in den Begrifflichkeiten von Nikolas Rose (1999) auszudrücken. Solche Pläne werden als eine Art ›Verbesserung‹ beschrieben und schließen »Techniken des Herbeiführens von Stimmungen« ein, die »zur Gewohnheit werden können« und folglich »beständigere Auswirkungen haben«. (Rose 1999: 203) Im Gegensatz dazu werden unglückliche Menschen als benachteiligt, ungesellig und neurotisch repräsentiert: » Unglückliche Menschen neigen dazu, einsam und neurotisch zu sein.« (124) Individuen müssen für andere glücklicher werden: Positive Psychologie beschreibt dieses Vorhaben nicht so sehr als ein Recht, sondern als eine Verantwortung. Wir sind verantwortlich für unser eigenes Glück/lichsein, da die Förderung unseres Glück/lichseins uns dazu befähigt, das Glück/lichsein anderer Menschen zu steigern. Eins meiner wichtigsten Anliegen in diesem Buch ist es, zu untersuchen, was aus dem Gedanken resultiert, dass wir dafür verantwortlich seien, für andere glücklich zu sein oder sogar ganz einfach aus dem Gedanken, dass es eine notwendige und unvermeidliche Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Glück/lichsein einer Person und dem Glück/lichsein anderer gibt.
Wie nicht anders zu erwarten, ist Positive Psychologie inzwischen ein verbreitetes und akademischen Sachgebiet: Es gibt viele sich überschneidende Bücher darüber, wie man glücklicher wird, die eine verallgemeinernde Wissenskultur bilden. Nehmen wir zum Beispiel das Werk von Martin Seligman, der Bücher über Positive Psychologie geschrieben hat und das Positive Psychology Center an der University of Pennsylvania leitet.[12] Genauso wie Argyle vor ihm, bietet er eine Kritik der Psychologie an, weil sie sich »Gemütszustände, […] die das Leben unglücklich machen « mehr zu ihrer Priorität gemacht hat als »Gemütszustände auf- und auszubauen, die das Leben lebenswert machen« (2009: 11). Er geht davon aus, dass die Positive Psychologie »Wegweiser« für das »gute Leben« (12) liefert. Glück/lichsein wird oft als ein Pfad beschrieben, als etwas, das man erlangt, wenn man dem richtigen Pfad folgt. In solchen Beschreibungen bietet Glück/lichsein eine Route an und Positive Psychologie hilft dabei, die richtige Route zu finden: »Dieser Weg führt Sie durch Landschaften der Freude und Zufriedenheit hinauf in das Hochland der menschlichen Stärken und Tugenden und schließlich auf die Gipfel dauerhafter Erfüllung: Sinn und Zweck im Leben.« (16) Glück/lichsein wird zu einer Art Lenkung oder Ausrichtung, dem richtigen Weg zu folgen. Seligman beschreibt Glück/lichsein nicht einfach als eine Belohnung, als etwas, das aus einem gut geführten Leben folgt, sondern auch als eine Eigenschaft des Menschen. Glück/lichsein ist eine Art Charakterzug. Er setzt Glück/lichsein unmittelbar mit Optimismus gleich (siehe Kapitel 5). Glückliche Menschen sind optimistischer, denn sie »neigen dazu ihre Probleme als vorübergehend, kontrollierbar und spezifisch für eine bestimmte Situation zu verstehen« (30). Seligman schlägt auch vor, dass glückliche Menschen altruistischer sind: »Sind wir glücklich, dann sind wir weniger selbstsüchtig, wir mögen andere Menschen lieber und wollen unseren Glücksfall sogar mit Fremden teilen. (82) Hier könnten wir erkennen, dass Wechselbeziehungen (Glück/lichsein und Optimismus und Glück/lichsein und Altruismus) schnell in Kausalitäten umschlagen, in denen Glück/lichsein zu seiner eigenen Ursache wird: Glück/lichsein führt dazu, dass wir weniger selbstbezogen und optimistischer sind, was wiederum dazu führt, dass wir glücklicher sind, was bedeutet, dass wir andere glücklicher machen und so weiter.
Glück/lichsein wird nicht nur zu einer individuellen Verantwortung, einer Neubeschreibung des Lebens als Plan, sondern auch zu einem Instrument, als Mittel zum Zweck sowie auch zum Zweck. Wir machen uns selbst glücklich so wie wir uns Kapital beschaffen, das uns erlaubt, zu sein oder dies oder das zu tun oder dies oder das zu bekommen. Solch ein bedarfsorientiertes Modell des Glück/lichseins steht im Widerspruch zu klassischen Konzepten, wie Aristoteles‘ Werk, auf das ich in Kapitel 1 eingehen werde, in dem Glück/lichsein »das Ziel aller Ziele« ist. Positive Psychologie geht einher mit der Instrumentalisierung des Glück/lichseins als eine Technik. Glück/lichsein wird zu einem Mittel zum Zweck als auch zum Zweck der Mittel.[13]
In dem Fall können wir durch Glück/lichsein unser Potential maximieren, das zu bekommen, was wir möchten und so zu sein, wie wir sein möchten. Wie nicht anders zu erwarten, drückt sich Positive Psychologie häufig in Begrifflichkeiten der Wirtschaftssprache aus, um Glück/lichsein als einen Nutzen zu beschreiben. Heady und Wearing schreiben beispielsweise von den »relativ stabilen persönlichen Charakteristiken«, die dafür sorgen, dass manche Menschen im Allgemeinen glücklicher sind als andere und diese nennen sie »Inventar«. Darin eingeschlossen sind die soziale Herkunft, die Persönlichkeit und soziale Netzwerke (1991: 49). Glück/lichsein stellt Menschen mehr Möglichkeiten zur Verfügung; Glück/lichsein hängt von anderen Arten des Vermögens ab (Hintergrund, Persönlichkeit, Netzwerke), genauso wie es Vermögen für das Individuum erwirbt oder anhäuft.
Einer der jüngsten Anhänger der Positiven Psychologie ist Alan Carr, dessen Werk sowohl eine allgemeine wie auch akademische Leserschaft erreicht. Auch Carr beschreibt das Vorhaben der Positiven Psychologie bezüglich der beiden Ziele Verständnis und Begünstigung des Glück/lichseins sowie subjektives Wohlbefinden (2004: 1). Positive Emotionen »wie Freude oder Zufriedenheit sagen uns, dass etwas Gutes geschieht« (12). Er geht davon aus, dass glückliche und unglückliche Menschen »unverwechselbare Persönlichkeitsprofile haben« (16). Ein Glücks-Profil wäre das einer Person, die am wahrscheinlichsten glücklich ist, was auch die folgende klassische Schilderung zeigt:
»Glückliche Menschen kann man häufiger in Ländern mit wirtschaftlichem Wohlstand finden, in denen sich Freiheit und Demokratie die Waage halten und die politische Situation stabil ist. Glückliche Menschen sind häufiger in Mehrheiten-Gruppen zu finden als in Minderheiten-Gruppen und häufiger an der Spitze der Leiter als am Boden. Typischerweise sind sie verheiratet und haben ein gutes Verhältnis zu Familie und Freunden. Was ihre persönlichen Charakterzüge angeht, scheinen sie sich relativer Gesundheit zu erfreuen, sowohl körperlich als auch mental. Sie sind aktiv und offen. Sie haben das Gefühl, ihr Leben im Griff zu haben. Ihnen sind soziale und moralische Angelegenheiten wichtiger als Geld. Was die politische Ausrichtung angeht, neigen glückliche Menschen zur konservativeren Seite der Mitte.« (Veenhoven 1991: 16)
Das Antlitz des Glück/lichseins erscheint, zumindest in dieser Schilderung, eher wie das Antlitz des Privilegs. Anstatt davon auszugehen, dass Glück/lichsein einfach in glücklichen Menschen existiert, können wir erwägen, inwiefern Ansprüche auf das Glück/lichsein bestimmte Persönlichkeitsformen wertvoll machen. Zuschreibungen des Glück/lichseins könnten sein, wie soziale Normen und Ideale gefühlsbedingt werden, so als würde die relative Nähe zu solchen Normen und Idealen zu Glück/lichsein führen. Solch eine Fantasie des Glück/lichseins hat Lauren Berlant als »dumme« Form des Optimismus bezeichnet, als »die Ansicht, dass Anpassung an bestimmte Formen und Praktiken des Lebens und Denkens das Glück/lichsein sichert« (2002: 75).
Für Carr sind Glücks-Profile auch Profile sozialer Formen als auch von Individuen: Er schlägt vor, dass gewisse Familientypen »die Erfahrung des Flows«, durch einen optimalen Grad an Klarheit, Zentrierung, Wahl und Herausforderung »begünstigen« (Carr 2004: 62). Wenn gewisse Lebensformen das Glück/lichsein begünstigen, bedeutet die Begünstigung des Glück/lichseins die Begünstigung solcher Lebensformen. Dementsprechend wird aus der Begünstigung des Glück/lichseins sehr schnell die Begünstigung gewisser Familientypen. Das Bild des Flusses (Flow), um die Beziehung zwischen glücklichen Menschen und glücklichen Welten zu beschreiben, ist mächtig. In erster Linie ausgehend von Mihály Csíkszentmihályis Werk, beschreibt Flow die Erfahrung eines Individuums in der Auseinandersetzung mit der Welt, oder in Verstrickung mit der Welt, wobei die Welt weder als fremd, noch als Hindernis oder Widerstand angetroffen wird. Csíkszentmihályi deutet an, dass »die besten Momente im Leben nicht passiv, rezeptiv, entspannend [sind] – obwohl auch solche Erfahrungen nach schwerer Anstrengung erfreulich sein können. Die besten Momente ereignen sich gewöhnlich, wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind, in dem freiwilligen Bemühen, etwas Schwieriges und etwas Wertvolles zu erreichen.« ([1990] 2008: 15f.) Er behauptet: »[…] auf längere Sicht geben optimale Erfahrungen einem ein Gefühl von Kontrolle über sich selbst – vielleicht besser ein Gefühl, teilzuhaben an der Festlegung dessen, was den Sinn des Lebens ausmacht – und das ist dem, was wir gewöhnlich unter Glück verstehen, so nahe, wie man ihm jemals gelangen kann.« (16)
Wenn Subjekte nicht »in flow« sind, begegnet ihnen die Welt widerspenstig, blockierend, anstatt Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Unglückliche Subjekte fühlen sich folglich von der Welt entfremdet, da sie die Welt als fremd wahrnehmen. Ich nehme an, dass Csíkszentmihályi uns vieles über die Phänomenologie des Glück/lichseins als enge Verbindung von Körper und Welt beibringen kann. Was ist, wenn das Fließen in die Welt nicht einfach als psychologisches Merkmal verstanden wird? Was ist, wenn diese Welt einige Körpern eher beherbergt als andere, sodass diese Körper die Welt nicht als widerständig wahrnehmen? Vielleicht müssen wir Glück/lichsein neu schreiben, indem wir nicht aus den Augen verlieren, wie es sich anfühlt, von den Lebensweisen gestresst zu sein, die es einigen Körpern ermöglichen, in Räume zu fließen. Vielleicht kann uns die Erfahrung, nicht nachzugeben, angespannt zu bleiben, nicht durch die Räume befähigt zu werden, denen wir innewohnen, uns mehr über Glück/lichsein lehren.
Ich möchte nicht auf die neue Glücksforschung reagieren, indem ich einfach für eine Rückkehr zu dem klassischen Gedanken des Glück/lichseins als Eudaimonía plädiere, was so viel bedeutet wie ein gutes, bedeutungsvolles oder tugendhaftes Leben zu führen. Beispiele solcher Argumentationen sind in Werken von Richard Schoch (2006) und Terry Eagleton ([2007] 2008) ersichtlich. Schoch erörtert in The Secrets of Happiness, dass wir »der Weisheit der Zeiten gegenüber abgestumpft geworden sind« und dass »wir uns selbst die Chance verwehren, Glück zu finden, das von Bedeutung ist« (Schoch 2006: 1). Er behauptet, dass »wir uns heutzutage mit einem schwächeren, nichtssagenderen Glück zufrieden geben«, das er als »bloßen Spaß an der Freude« bezeichnet (ebd.). Kritiken der Glücks-Industrie, die zu einer Rückkehr zu klassischen Konzepten der Tugend aufrufen, sind auch der Meinung, dass einige Formen des Glück/lichseins besser seien als andere. Die Unterscheidung zwischen einem starken und schwachen Konzept des Glück/lichseins stellt eine klare moralische Unterscheidung dar: Einige Formen des Glück/lichseins werden als wertvoller erachtet als andere Formen des Glück/lichseins, weil sie mehr Zeit, Gedanken und Arbeit erfordern. Bemerkenswert ist, dass innerhalb klassischer Modelle die höheren Formen des Glück/lichseins mit dem Verstand verbunden sind und die niedrigeren mit dem Körper. In Schochs Darstellung ist ein »schwächeres, nichtssagenderes« Glück/lichsein verbunden mit dem »bloßen Spaß an der Freude«. Vielleicht sieht man daran, dass Hierarchien des Glück/lichseins mit sozialen Hierarchien einhergehen, die bereits existieren.
Wenn man für das Dasein als bestimmtes Wesen höhere Formen des Glück/lichseins erhält, dann würde man das Wesen des Glück/lichseins sicherlich als bourgeois erkennen. Wir könnten sogar zu dem Schluss kommen, dass Bekundungen des Schreckens über gegenwärtige Kulturen des Glück/lichseins klassistische Ängste beinhalten, davor, dass Glück/lichsein zu einfach, zu erreichbar und zu schnell zu haben sei. Wir sollten nur daran denken, dass das Modell des guten Lebens in der klassischen griechischen Philosophie auf einem ausschließendem Lebenskonzept beruhte: Nur einige wenige hatten ein Leben, das es ermöglichte, ein gutes Leben zu führen, ein Leben, das Privateigentum, materielle Sicherheit und Freizeit mit sich brachte. Für Aristoteles unterstand das glücklichste Leben der »betrachtenden Tätigkeit, einer Lebensform, die nur einigen zugänglich war, anderen jedoch nicht. (2001: 443)[14]
Das klassische Konzept des guten Lebens stützte sich auf eine politische Ökonomie: Einige Menschen müssen arbeiten, um anderen die Zeit zu geben, einem guten Leben nachzugehen, sozusagen die Zeit, um sich zu entfalten.[15] Solch eine politische Ökonomie ist essenziell und nicht zufällig, wenn es um die Verwirklichung der Möglichkeit eines tugendhaften Lebens geht.
Gedanken zum Glück/lichsein beinhalten sowohl soziale als auch moralische Unterscheidungen, insofern, als dass sie auf Gedanken darüber beruhen, wer es wert sowie fähig ist, auf die richtige Weise glücklich zu sein. Ich nehme an, dass die Bindung an das Glück/lichsein, wie beispielsweise bei einem verlorenen Gegenstand, nicht nur einfach eine Art der Trauer mit sich bringt, sondern auch eine Sorge darum, dass die falschen Menschen glücklich sein könnten, und sogar den Wunsch danach, dass das Glück/lichsein den richtigen Menschen zuteil wird (den Menschen mit der Zeit und dem Privileg für Philosophie, vielleicht). Geht man davon, dass Glück/lichsein Welten erschafft, so muss man auch davon ausgehen, dass Glück/lichsein dazu führt, dass die Welt in sich geschlossen ist, so als gäbe es die richtigen Menschen. Es ist kein Zufall, dass Philosophen dazu neigen, Glück/lichsein im Leben des Philosophen zu finden, oder Denker dazu neigen, Glück/lichsein im Nachdenken über das Denken zu finden. Es spielt eine Rolle, an welchen Orten wir Glück/lichsein finden, denn dadurch lernen wir, was wir hoch bewerten und nicht bloß, was wertvoll ist. Glück/lichsein wird nicht nur zu etwas Wertvollem, sondern erlaubt es anderen Werten auch, ihren Wert anzunehmen. Wenn Glück/lichsein als das selbstverständliche Gute vorausgesetzt wird, wird es zum Beweis des Guten.
Dieses Buch fährt fort, indem es die Vorstellung vom Glück/lichsein als etwas Gutes zurückstellt. In diesem Modus der Zurückhaltung können wir nicht nur sehen, was Glück/lichsein zu etwas Gutem macht, sondern auch inwiefern Glück/lichsein dazu beiträgt, Dinge zu etwas Gutem zu machen. Ich habe es immer als etwas Selbstverständliches angenommen, dass Glück/lichsein positive Gefühle mit einschließt, obwohl ich einige der Modelle zum Thema positive Gefühle in der Glücksforschung hinterfragen würde. Man kann Glück/lichsein nicht auf positive Gefühle reduzieren. Die Verknüpfung von Glück/lichsein mit positiven Gefühlen ist eine moderne Sichtweise, wie Darrin M. McMahon (2006) uns in seiner monumentalen Geschichte des Glück/lichseins zeigt. Wir haben diese Assoziation so sehr verinnerlicht, dass es schwierig ist, über Glück/lichsein nachzudenken, ohne dabei an Gefühle zu denken. Meine Aufgabe ist es, mir darüber Gedanken zu machen, inwieweit Gefühle einige Dinge zu etwas Gutem machen, andere jedoch nicht.
Aufgrund meiner Interpretation des Glück/lichseins kann mein Buch innerhalb der feministischen Kulturwissenschaften der Emotionen und Affekte eingeordnet werden (Berlant 2000, Sedgwick 2003, Cvetkovich 2003, Brennan 2004, Probyn 2005, Ngai 2005, Munt 2007, Love 2007, Woodward 2009). Während die meisten dieser Werke zunächst »negative Gefühle« zum Ausgangspunkt nehmen[16] – Scham, Hass, Angst, Ablehnung, Wut und so weiter – beginnt dieses Buch an einer anderen Stelle, mit positiven Gefühlen, auch wenn ich nicht glaube, dass die Unterscheidung zwischen positiven und negativen Gefühlen standhalten wird (und, wie wir sehen werden, tatsächlich nicht). Indem ich die Argumentation aus The Cultural Politics of Emotion (2004) weiter entwickle, gehe ich dem auf den Grund, wie Gefühle Objekten zugeschrieben werden, sodass nur einige Dinge, zu Auslösern für Glück/lichsein und Unglück/lichsein werden. Gefühle residieren nämlich nicht in einem Subjekt und werden dann nach außen auf ein Objekt projiziert. Gefühle entstehen aus Eindrücken von Objekten an gemeinsamen Orten der Behausung. Aufbauend auf meinem Ansatz in Queer Phenomenology (2006) analysiere ich, inwieweit wir von dem Glücksversprechen, als Versprechen darauf, dass Glück/lichsein auf diese oder jene Handlung folgen wird, geleitet werden. Das Glücksversprechen bringt gewisse Objekte näher und hat Einfluss darauf, wie die Welt um uns herum sich sortiert.
Um zu überdenken, inwiefern Glück/lichsein Dinge zu etwas Gutem macht, verfolge ich den Begriff Glück/lichsein zurück und frage danach, was für Geschichten durch die Beweglichkeit dieses Wortes heraufbeschwört werden. Ich folge dem Begriff Glück/lichsein überallhin.[17] Ich merke, was er vorhat, wohin er geht, wer oder was mit ihm assoziiert wird. Wenn ich dem Begriff Glück/lichsein folge, gehe ich dorthin, wo er auch hingeht. Also gehe ich nicht dorthin, wo er nicht hingeht. Die Gefahr dieser Methode besteht darin, dass ich dem Begriff Glück/lichsein zu viel Macht verleihe, um die Macht zu hinterfragen, die Glück/lichsein verleihen kann. Meine Methode hat eine Einschränkung: Wenn es mein Ziel ist, zu beschreiben, was für eine Welt entsteht, wenn Glück/lichsein einen Horizont bietet, dann untersuche ich keine Welten, die unter anderen Horizonten entstehen. Aus meiner Sicht gibt es eine so verallgemeinernde Betonung des Glück/lichseins als den Sinn menschlicher Existenz, dass wir uns fragen müssen, was daraus folgt. Wir werden auch andere Arten des kritischen und kreativen Schreibens brauchen, mit ausführlichen Beschreibungen anderer Welten, die Gestalt annehmen könnten, wenn Glück/lichsein keinen Erfahrungshorizont bietet.
Wenn ich nun also meine Methode auf diese Weise schildere, sollte ersichtlich sein, dass ich kein neues Konzept vom Glück/lichsein entwickle. Claire Colebrook unterscheidet, indem sie Gilles Deleuze folgt, ein philosophisches Konzept von einem alltäglichen Konzept. Was für meine Zwecke sehr nützlich ist, sie gebraucht das Konzept des Glück/lichseins, um ihr Argument anzubringen. Sie umschreibt es so: »Unser alltäglicher Gebrauch von Konzepten funktioniert wie Stenografie oder Gewohnheit; Wir gebrauchen Konzepte, damit wir nicht denken müssen.« (2002: 15) Sie legt nahe, dass ein philosophisches Konzept des Glück/lichseins »sich nicht auf diese oder jene Instanz des Glück/lichseins bezieht: Es würde eine neue Möglichkeit oder einen Gedanken des Glück/lichseins darstellen oder entwickeln« (17).[18] Philosophie klammert das Alltägliche oder Gewöhnliche aus und denkt in Extremen, wie es in der modernen Kunst auch der Fall ist. Im Gegensatz dazu bietet dieses Buch eine Analyse alltäglicher Gewohnheiten des Glück/lichseins an und betrachtet, inwieweit solche Gewohnheiten Denkweisen über die Welt spiegeln, die wiederum darauf Einfluss haben, wie die Welt zusammenhängt. Ich möchte mich dem widmen, wie Glück/lichsein gesprochen, gelebt, praktiziert wird; Glück/lichsein ist für mich das, was es bewirkt.
Das bedeutet nicht, dass ich die Philosophie außer Acht lasse. Letztendlich kann die Geschichte der Philosophie als Geschichte des Glück/lichseins beschrieben werden. Glück/lichsein könnte sogar als die eine philosophische Theologie betrachtet werden, die innerhalb der Philosophie nicht infrage gestellt wurde. François Jullien argumentiert auf überzeugende Weise, dass die Unterwerfung der Philosophie unter den Gedanken, dass Glück/lichsein das Ziel menschlicher Existenz sei, den Punkt darstelle, an dem »sie plötzlich nicht mehr erfinderisch« (2006: 137) sei.[19] Ich würde den Status des Glück/lichseins in der Philosophie folgendermaßen zusammenfassen: Glück/lichsein ist das, was wir wollen, was immer es auch ist. Unstimmigkeit scheint es nur auf inhaltlicher Ebene in Form des was immer es auch ist zu geben, wodurch Glück/lichsein möglicherweise in der Philosophie seine Rolle als Platzhalter für menschliche Sehnsüchte beibehält. Mit Philosophie meine ich nicht einfach einen Textkorpus, der sich selbst als Erbe der Philosophie sieht und sich mit philosophischen Geschichten auseinandersetzt, sondern auch ein Glücks-Archiv: Ideen, Gedanken, Erzählungen, Bilder, Eindrücke über das Glück/lichsein ist. Glück/lichsein erscheint innerhalb ethischer und politischer Philosophien, Philosophien, die darauf abzielen, das gute Leben zu beschreiben.[20] Glück/lichsein erscheint auch in der Philosophie des Verstandes. In diesem Buch greife ich insbesondere auf den empirischen Bericht der Leidenschaften zurück, die John Locke anbietet.
[21]