Der Autor

Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traughber, Jg. 1963, Politikwissenschaftler und Soziologe, ist hauptamtlich Lehrender an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl und Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Er gibt das »Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung« heraus. Die Arbeitsschwerpunkte sind: Antisemitismus, Extremismus, Ideengeschichte, Terrorismus und Zeitgeschichte.

Armin Pfahl-Traughber

Extremismus und Terrorismus in Deutschland

Die Feinde der pluralistischen Gesellschaft

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

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ISBN 978-3-17-034543-0

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Inhalt

 

 

 

  1. 1   Einleitung
  2. 2   Begriffsdefinitionen und Ideologieformen
  3. 2.1   Begriffsdefinitionen
  4. 2.2   Ideologie- und Organisationsformen
  5. 3   Linker Extremismus und Terrorismus
  6. 3.1   Linker Extremismus
  7. 3.2   Linker Terrorismus
  8. 4   Rechter Extremismus und Terrorismus
  9. 4.1   Rechter Extremismus
  10. 4.2   Rechter Terrorismus
  11. 5   Religiöser Extremismus und Terrorismus
  12. 5.1   Religiöser Extremismus
  13. 5.2   Religiöser Terrorismus
  14. 6   Determinanten und Vergleich
  15. 6.1   Gemeinsamkeiten und Unterschiede
  16. 6.2   Determinanten für Extremismus und Terrorismus
  17. 7   Zusammenfassung
  18. Literatur

1   Einleitung

 

 

 

Warum sollte man sich mit Extremismus und Terrorismus beschäftigen? Ein Blick in die Presse veranschaulicht: Dogmatische Marxisten-Leninisten wollen Protestbewegungen instrumentalisieren; eine sich als »Alternative« gerierende Partei reiht Wahlerfolg an Wahlerfolg; Islamisten geben sich als Repräsentanten aller Muslime; Autonome werfen bei Demonstrationen Steine auf Polizeibeamte; Neonazis marschieren durch die Straßen; Salafisten rufen antisemitische Parolen bei öffentlichen Versammlungen; Anschläge von klandestinen Gruppen erfolgen gegen Einrichtungen; Migranten und Politiker werden von Rechtsterroristen angegriffen; Anhänger von dschihadistischen Organisationen sind zu terroristischem Vorgehen bereit. All diese nur schlaglichtartig genannten Ereignisse weisen zwar im Gefahrenpotential, in der Handlungsform und in der Ideologie zahlreiche Unterschiede auf, doch eint sie eine Gemeinsamkeit: Alle diese Gruppierungen sind gegen die demokratische und pluralistische Gesellschaft gerichtet. Doch was genau ist mit dieser Formulierung gemeint?

Es geht darum, dass gesellschaftliche Freiheit für die Individuen auch immer zu Konflikten zwischen diversen Gruppierungen führen kann. Um aber Differenzen in einem geregelten Rahmen auszuhalten, bedarf es der Akzeptanz eines »überlappenden Konsenses« (vgl. Rawls 1998: 219–265). Erst ein solcher erlaubt das gleichrangige Miteinander von unterschiedlichen Positionen und damit individuelle Freiheit und Menschenrechte in Sicherheit. Dazu darf eine Gesellschaft nicht politisch homogen sein, sie sollte aber politisch pluralistisch sein. So gibt es einen breiten »kontroversen Sektor« und einen kleinen »nichtkontroversen Sektor« (vgl. Fraenkel 2011: 243–251). Letzterer besteht aus Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität. Die Akzeptanz dieser drei grundlegenden Prinzipien macht erst Pluralismus möglich – eben als eine Einheit in Vielfalt. Diese Grundmerkmale der pluralistischen Gesellschaft stehen trotz Demokratie und Freiheit nicht zur Disposition.

Die oben exemplarisch genannten Akteure verweigern derartigen Normen und Regeln ihre Zustimmung. Genau dies macht sie zu Feinden einer pluralistischen Gesellschaft. Die Gemeinsamkeit aller dieser Gruppierungen darf aber nicht die Unterschiede, die sowohl das Ausmaß des Gefahrenpotentials als auch die Ideologien betreffen, verdecken. Wer also sind denn die Extremisten und Terroristen? Welche ideologischen Grundauffassungen haben sie? Worin besteht ihr Handlungsstil, worin ihre Organisationsform? Und wie ist das Gefahrenpotential einzuschätzen? Im Folgenden sollen Antworten auf diese Fragen formuliert werden, wobei dies angesichts des begrenzten Rahmens nicht immer bis ins Detail geschehen kann. Das vorliegende Buch versteht sich insofern als Einführung in die Thematik.

Zunächst sollen im Sinn der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung Definitionen und Perspektiven vermittelt werden. Es folgen Ausführungen zu den Ideologie- und Organisationsformen ( Kap. 2). Die anschließenden Darstellungen und Einschätzungen widmen sich dem linken ( Kap. 3), dem rechten ( Kap. 4) und dem religiösen Extremismus und Terrorismus ( Kap 5). Extremismus gilt als Sammelbezeichnung, zu der auch Terrorismus gezählt wird. Angesichts seiner besonderen Gewaltdimension wird der Terrorismus aber jeweils in einem gesonderten Unterkapitel behandelt. Schließlich soll es um die Determinanten und einem Vergleich der verschiedenen Formen gehen ( Kap. 6).

Da es sich bei dem vorliegenden Buch um eine Einführung und Überblicksdarstellung handelt, wurden nicht alle Aussagen mit Quellen belegt. Man findet jeweils zu Beginn der Kapitel zwei zentrale und weiterführende Lektürehinweise. Die Angaben zu Gewalttaten und Mitgliederzahlen stützen sich auf Informationen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden. Dies ist methodisch nicht unproblematisch, denn beide Behörden nehmen politische Phänomene zunächst einmal nur durch die für sie gesetzlich vorgegebene Perspektive wahr. Damit bleiben sozialwissenschaftlich interessante Phänomene unberücksichtigt. Zudem wird das Dunkelfeld nicht berücksichtigt, und die Mitgliederzahlen von Gruppierungen fußen häufig nur auf Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden. Insofern kann man sich fragen, ob die Informationen jeweils ein angemessenes Bild von der Realität liefern. Anders formuliert: Nichtregierungsorganisationen sehen mitunter mehr. Allerdings arbeiten diese nicht mit einer einheitlichen Erfassungsweise, die Vergleiche erst möglich macht. Dies ist der Grund, weshalb die vorliegende Darstellung auf die Angaben der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden zurückgreift.

2          Begriffsdefinitionen und Ideologieformen

 

 

 

2.1       Begriffsdefinitionen

2.1.1     Extremismus

Der zentrale Begriff für das vorliegende Buch ist Extremismus. Da verschiedene Definitionen des Begriffes existieren, sollen hierzu zunächst einige Erläuterungen vorgenommen werden. Prinzipiell lässt sich zwischen einem juristischen und politikwissenschaftlichen Begriffsverständnis unterscheiden. Nach dem juristischen Begriffsverständnis werden damit politische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bezeichnet, wobei es nicht um das Grundgesetz insgesamt, sondern lediglich um dessen Kern geht. Dazu gehören die Ablösbarkeit der Regierung, der Ausschluss von Gewalt- und Willkürherrschaft, die Ausübung parlamentarischer Opposition, die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassungsordnung, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, das Recht des Volkes auf Wahlen und die Unabhängigkeit der Gerichte. Diese für die Demokratie fundamentalen Elemente bilden den Grundkonsens ab. Die Ablehnung dieser Elemente definiert demnach Extremismus, sofern es nicht nur um ideologische Einstellungen, sondern auch um politische Handlungen geht.

Festgelegt wurden die erwähnten Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erstmals vom Bundesverfassungsgericht, wobei damit das 1952 erfolgte Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) begründet wurde. 2017 stellte dieses Gericht bei seinem Urteil zum Verbotsantrag gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) auf das Demokratieprinzip, die Menschenwürde und das Rechtsstaatsprinzip ab. Nach der Auffassung des Urteils bilden die drei Elemente ebenfalls die freiheitliche demokratische Grundordnung. Deren politische Ablehnung steht insofern ebenso für Extremismus in einem juristischen Sinne. Hier handelt es sich um eine rechtliche Grundlage, welche auf höchster Rechtsprechung basiert und die für die Verfassungsschutzbehörden gilt.

Dem politikwissenschaftlichen Verständnis von Extremismus liegt demgegenüber ein theoretisches Konzept zugrunde, das einer eigenständigen argumentativen Herleitung und inhaltlichen Legitimation verpflichtet ist. Der Ausgangspunkt ist dabei das Individuum und nicht der Staat. Dieser Sachverhalt wird bei kursierenden Fehldeutungen und Missverständnissen vielfach ignoriert. Im Kern der Überlegung steht die Frage, auf welche Grundsätze sich freie und vernunftbegabte Individuen für das soziale Miteinander verständigen. Die Antwort lautet: die Menschenrechte. Und so ist folglich zu fragen: Welche politischen Ordnungsmodelle stehen am stärksten für die Umsetzung der Menschenrechte? Mit Blick auf die historisch-politische Entwicklung wird man diese Frage allgemein wohl meist mit den »demokratischen Verfassungsstaaten unserer Zeit« beantworten. Sie zeichnen sich nämlich durch einen gemeinsamen Normen- und Regelkanon aus, wozu vor allem Abwahlmöglichkeit, Gewaltenteilung und Menschenrechte, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität zählen.

Dazu bekennt sich auch das politikwissenschaftliche Extremismusverständnis (vgl. Backes 1989; Pfahl-Traughber 2020b), sieht es doch in diesen Normen und Regeln gesellschaftliche Werte, die verteidigenswert sind. Der Extremismus ist demgegenüber bemüht, diese Werte zu überwinden. Insofern kann eine Negativdefinition als Sammelbezeichnung abgeleitet werden, die da lautet: Extremismus steht für alle Einstellungen und Handlungen, die sich gegen den Minimalkonsens eines demokratischen Verfassungsstaates richten. Man könnte auch von einer modernen Demokratie und pluralistischen Gesellschaft sprechen, um eine inhaltliche Fixierung auf den vorhandenen Staat zu vermeiden. Negative Begriffsbestimmung rührt also daher, weil eigentlich nicht der Extremismus für sich erklärt wird, sondern die Negierung des demokratischen Verfassungsstaates.

Die positiv gewendete Definition geht von folgender Prämisse aus: Alle politischen Akteure, welche die Grundlagen einer modernen Demokratie und offenen Gesellschaft beziehungsweise des demokratischen Verfassungsstaates ablehnen, weisen in ihren Einstellungen und Handlungen gemeinsame formale Strukturmerkmale auf, die sich gegen eben jenen Verfassungsstaat richten. Neben dieser Gemeinsamkeit aller politischer Extremisten existieren jedoch hinsichtlich der jeweiligen Ideologie große Unterschiede. In Deutschland kann man auf diese Weise das Phänomen des Extremismus in drei große Gruppen aufteilen: Es gibt erstens einen linken Extremismus, der im Namen von sozialer Gleichheit die grundlegenden Prinzipien einer pluralistischen Gesellschaft ablehnt; es gibt zweitens einen rechten Extremismus, der im Namen ethnischer Zugehörigkeit die grundlegenden Prinzipien einer pluralistischen Gesellschaft ablehnt; und es gibt drittens einen religiösen Extremismus, der im Namen einer Religion die grundlegenden Prinzipien einer pluralistischen Gesellschaft ablehnt.

Die jeweilige Frontstellung begründet die Sammelbezeichnung. Sie stellt auf folgende gemeinsame Strukturmerkmale ab: erstens den exklusiven Erkenntnisanspruch (Glaube an ein »höheres Wissen«), zweitens den dogmatischen Absolutheitsanspruch (Beharrung auf die unbezweifelbare Richtigkeit eigener Positionen), drittens das essentialistische Deutungsmonopol (alleinige Erfassung des »wahren Wesens« der Dinge), viertens die holistischen Steuerungsabsichten (angestrebte ganzheitliche Kontrolle der Gesellschaft), fünftens das deterministische Geschichtsbild (Wissen um den vorgegebenen historischen Weg), sechstens die identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach der politischen Homogenität des Volkes), siebtens den dualistischen Rigorismus (Denken in kompromisslosen Gegensatzpaaren wie Gut-Böse) und achtens die fundamentale Verwerfung (rigorose Verdammung des Bestehenden) (vgl. Pfahl-Traughber 2010). Allen extremistischen Ideologien sind die genannten Merkmale mehr oder minder stark zu eigen.

2.1.2     Verständniskritik

Diese Definition von Extremismus ist nicht unwidersprochen geblieben. Dabei wurden ganz unterschiedliche Einwände erhoben, wobei sie zum Teil auch auf Fehldeutungen und Missverständnissen beruhen. Die damit gemeinte Kritik soll hier zunächst referiert und dann selbst einer Kritik ausgesetzt werden. Das oben beschriebene Extremismusverständnis geht davon aus, dass es hinsichtlich eines politischen Akteurs bedeutsam ist, wie dieser zu Demokratie, Menschenrechten, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit steht. Auf ein darauf bezogenes Erkenntnisinteresse will die Extremismusforschung reagieren. Das heißt, man kann eine andere Auffassung vertreten, sollte aber erläutern können, warum die genannten Prinzipien keine Relevanz haben sollen.

Ein erster Einwand (vgl. Brodkorb 2011; Pfahl-Traughber 2013) besteht darin, in der Bezeichnung Extremismus einen bloßen »Kampfbegriff« zu sehen. In der Tat dient der Begriff auch als Schlagwort in der Tagespolitik und in den Medien. Das bedeutet jedoch nicht, dass man in der Politikwissenschaft auf den Begriff verzichten muss. Auch Bezeichnungen wie »Demokratie«, »Freiheit«, »Gerechtigkeit« oder »Populismus« haben vielschichtige Bedeutungen und Verwendungen. Würde man auf alle ambivalent deutbaren Begriffe verzichten, würde die Politikwissenschaft schlagartig um unzählige etablierte Fachbezeichnungen ärmer. Eine sprachliche Ausdrucksarmut wäre die Folge. Um einerseits den Begriff für die Politikwissenschaft weiterhin zu nutzen, andererseits aber das begründete Extremismusverständnis vor Missbrauch zu schützen, sollten Einordnungen und Einschätzungen im Zusammenhang mit dem Terminus stets gut begründet werden. Insofern nötigt die Begriffskritik vor allem zu klarer Trennschärfe bei der Verwendung.

Ein zweiter Einwand beklagt die angebliche Gleichsetzung unterschiedlicher Phänomene. Denn »links« und »rechts«, »rot« oder »braun« seien doch keineswegs gleichzusetzen. Dies behauptet indessen das Extremismuskonzept gar nicht, denn dem Begriff liegen lediglich formale, prinzipielle Gemeinsamkeiten zugrunde. Diese hindern nicht daran, den Begriff hinsichtlich seiner unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen durch präzisierende Zusätze auszudifferenzieren. Genau dies geschieht durch die nähere Bezeichnung als »linker«, »rechter« und »religiöser« Extremismus. Insofern kann man nicht von einer Gleichsetzung sprechen.

Ein dritter Einwand gegen das Extremismuskonzept unterstellt, dass mit dem Begriffsverständnis Gesellschafts-, Kapitalismus- und Staatskritik diskreditiert würden. Auch diese pauschale Kritik läuft bei näherer Betrachtung ins Leere. Denn nicht jede Kritik gegen den Kapitalismus ist ein Beleg für Linksextremismus. Erst wenn mit der Kritik gleichzeitig etwa eine sozialistische Diktatur gefordert wird, kann von einer extremistischen Positionierung im politischen Verständnis gesprochen werden. Derartige Einwände sind vielmehr Ausdruck der Meinungsfreiheit und damit auch der Menschenrechte, die ein Bestandteil von moderner Demokratie und pluralistischer Gesellschaft sind. Es gilt demnach, auch in Grundsatzfragen zwischen demokratischer und extremistischer Kritik zu unterscheiden.

Ein vierter Einwand sieht im Extremismusverständnis eine »Staatsfixierung«, womit die Gemeinsamkeiten mit den Positionen der Sicherheitsbehörden kritisiert werden. Diese Auffassung verkennt die Eigenständigkeit des politikwissenschaftlichen Begriffsverständnisses. Es weicht etwa von den Einschätzungen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden mitunter ab. Zudem geht die Extremismustheorie vom Individuum mit seiner Menschenwürde und nicht vom Staat aus. Und schließlich ist eine Ausrichtung an einem demokratischen Verfassungsstaat nicht verwerflich. Es handelt sich immerhin um jene politische Ordnung, die den Bürgern Freiheit und Sicherheit gewährt.

Und ein fünfter Einwand lautet, dass das Extremismuskonzept über eine zu geringe analytische Schärfe verfüge. Danach könne man so nicht hinreichend erklären, warum bestimmte Akteure politischen Erfolg hätten. Mit diesem Einwand wird jedoch eine falsche Erwartungshaltung an das Konzept angelegt, dessen Ziel es ist, Demokratiefeinde und ihr Wirken sinnvoll zu definieren und folglich zu erkennen. Die damit einhergehenden Analysen schließen nicht aus, dass weiterführende Fragen gestellt werden. Mit Hilfe von Methoden der Parteien- oder Wahlforschung kann es gelingen, ein umfassenderes Bild von Extremisten hinsichtlich der Ursachen und Wirkung zu erhalten. Wenn umgekehrt andere Forschungsrichtungen sich nicht der Frage stellen, wie ein politischer Akteur zu Demokratie und Menschenrechten steht, geht damit eine bedenkliche Relativierung dieser grundlegenden Werte einher.

2.1.3     Terrorismus

Der zweite zentrale Begriff für das vorliegende Buch ist Terrorismus. Auch zu diesem Begriff gibt es keine allein gültige Definition. Fakt ist, dass die Bildung einer terroristischen Vereinigung in Deutschland unter Strafe steht, was sich aus dem § 129a des Strafgesetzbuches ergibt. Allerdings bietet auch das Strafgesetzbuch keine klare Begriffsbestimmung. Der Gesetzestext spricht allgemein von Handlungen wie Mord, Totschlag oder Völkermord. Unterschiedliche Definitionen nehmen auch die Sicherheitsbehörden vor, was sowohl für Deutschland als auch für viele andere Länder gilt. Folgt man den Auffassungen der Verfassungsschutzbehörden, so handelt es sich bei Terrorismus um einen nachhaltig geführten Kampf für politische Ziele, der durch Anschläge auf Eigentum, Leib und Leben von Menschen erfolgt (vgl. BMI 2006: 319).

Erneut soll bei der Begriffsbestimmung die politikwissenschaftliche Sicht dominieren (vgl. Hoffman 2006: 21–80; Pfahl-Traughber 2016). Den meisten Definitionen von Terrorismus sind einige Gemeinsamkeiten zu eigen. Zunächst einmal gilt: Es handelt sich beim Terrorismus um eine besondere Form politisch motivierter Gewalt. Damit sind Handlungen gemeint, die erstens physischen Druck mit einem bestimmten Ziel ausüben und dabei zweitens Einfluss auf die verbindliche Gestaltung des sozialen Miteinanders nehmen wollen. Die Differenzierung von nichtterroristischer und terroristischer Gewalt muss der Gewaltintensität, Kontinuität, Organisationsform und Planung Rechnung tragen. Das heißt, nicht jede politisch motivierte Gewalt ist terroristisch. Es gilt, die jeweiligen Spezifka terroristischer Handlungen zu erkennen.

Zunächst sollte aber zwischen Terror und Terrorismus differenziert werden. Im Fall von »Terror« handelt der Staat. In dieser speziellen Ausrichtung richten sich die Repressionsakte eines Staates gegen Teile der Gesellschaft. Dafür stehen etwa Geheimdienste in totalitären Systemen, wie bspw. die Gestapo im Nationalsozialismus oder das Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (= NKWD) im Stalinismus. Der Begriff »Terrorismus« bezeichnet Akteure aus der Gesellschaft, die entweder gegen andere Bestandteile der Gesellschaft oder gegen Repräsentanten des Staates mit Gewaltakten vorgehen. Dafür stehen etwa Anschläge auf Minderheiten oder Attentate auf Politiker. Salopp formuliert: Terror kommt von »oben«, Terrorismus kommt von »unten«. Gerade in den Medien wird jedoch zwischen den beiden Begriffen und ihrer Sinnbedeutung häufig nicht konsequent unterschieden.

Worin bestehen die Besonderheiten des Terrorismus? Bei Terroristen handelt es sich in der Regel im Verhältnis zur gesamten Gesellschaft um politisch schwache Akteure. Allgemein gilt: Hätte eine Gruppe mehr Macht, würde sie sich anders betätigen. Denkbar wären etwa ein Guerillakrieg, eine Revolution oder ein Staatsstreich. Derartige Handlungen setzen aber einen gewissen Rückhalt in der Gesellschaft voraus. Beispielsweise erfordert der Versuch, seine Ideen mit offener Gewalt durchzusetzen, eine große Zahl paramilitärischer Kämpfer, die wiederum einen Teil des Volkes hinter sich haben oder mit Eliteangehörigen den Umsturz vorantreiben müssen. Doch genau dieser Rückhalt fehlt den Terroristen. Ein offener Konflikt ist ihnen folglich nicht möglich. Sie wissen auch, dass man mit brutalen Gewalthandlungen nicht zum angestrebten politischen Ziel kommt. Vielmehr geht es ihnen darum, Anschläge und Attentate als »Kommunikationsmittel« zu nutzen (vgl. Waldmann 1998: 12 f.) – sprich: bei der breiten Bevölkerung Schrecken und folglich gewisse Reaktionen auszulösen (lat. terror = Angst, Schrecken).

Dieses Ziel setzt wiederum eine entsprechende Gewaltintensität voraus, denn sonst erzielen die Handlungen in der Öffentlichkeit keine politische Wirkung. Dabei ist der »Erfolg« meist umso größer, je aufsehenerregender die Tat ist. Man könnte sagen: Ein brutaler Massenmord erzielt größere Aufmerksamkeit als bloße Sachbeschädigung. Das heißt, über die jeweilige Gewaltintensität lässt sich der Grad der Rezeption und damit auch gewissermaßen das Echo in der Bevölkerung wählen. Und schließlich sind terroristische Handlungen stets in eine übergeordnete politische Strategie eingebettet. Die Akteure beabsichtigen durch ihre Gewalthandlungen ein klar formuliertes Ziel zu erreichen. Da die Handlungen geplant sind, kann ein kalkuliertes Vorgehen vorausgesetzt werden. Dies ist der Grund, weshalb man in der Tat von einer »politischen Strategie« sprechen kann.

Für Deutschland gilt indessen, dass politische Gewalt mehrheitlich nichtterroristisch ist. Betrachtet man die Daten zu linker und rechter Gewalt über die Jahrzehnte, so stellen terroristische Delikte in der Gesamtschau eine »Seltenheit« dar. In der öffentlichen Wahrnehmung entstand aber ein gänzlich anderes Bild. Der Grund hierfür dürfte im Ausmaß der Gewalt liegen, welches die geringe Anzahl überstrahlt. Insofern sollten nichtterroristische Gewalthandlungen keinesfalls ignoriert werden. Ansonsten entstünde eine schiefe Wahrnehmung mit einer inhaltlichen Verzerrung. Darüber hinaus gibt es Anschläge, die ihrer Form nach terroristisch wie nichtterroristisch gemeint sind – etwa Formen von Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen. Diese Überlegungen gelten jedoch kaum für islamistische Gewalthandlungen, die überwiegend dem Terrorismus zugeordnet werden können.

2.1.4     Verständniskritik

Häufig wird dem Terrorismusverständnis unterstellt, es handele sich um einen politischen »Kampfbegriff«. Der Vorwurf lautet konkret: »Des einen Freiheitskämpfer ist des anderen Terrorist.« Und in der Tat hängt die Beurteilung vielfach von der Perspektive ab. So konnte man während des Kalten Krieges immer wieder feststellen, dass in Entwicklungsländern agierende Guerillagruppen sowohl als Freiheitskämpfer als auch als Terroristen wahrgenommen wurden. Antikommunistische Gruppen galten in der Regel als »Freiheitskämpfer«, linke Gruppen meist als »Terroristen«. Wenn ein Begriff politisch instrumentalisiert wird, muss dies aber nicht zwingend bedeuten, dass das zugrunde liegende Begriffsverständnis falsch ist. Vielmehr kommt es auf die inhaltliche Definition und die damit einhergehende Trennschärfe an. Damit stellt der Terminus »Terrorismus« eine sinnvolle analytische Kategorie dar.

In diesem Zusammenhang ist auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam zu machen. Es kann moralisch legitime Formen von Gewaltanwendung geben – auch und gerade durch die Berufung auf Demokratie und Menschenrechte. Dies gilt etwa in Diktaturen, die keine anderen Möglichkeiten der politischen Veränderung zulassen. Ist eine solche Herrschaft mit Menschenrechtsverletzungen verknüpft, stellt sich die