Warum Freiheit, Feminismus und Demokratie
nicht verhandelbar sind
Für Elle, Nicolas und kein
VORBEMERKUNG
1DIE MENSCHEN SIND VERSCHIEDEN.
UND DAS IST GUT SO.
2FRAUEN SIND ANDERS.
MÄNNER AUCH.
3DEMOKRATIE MUSS MAN SICH LEISTEN KÖNNEN.
UND ZWAR IMMER.
4DIE ZUKUNFT IST UNGEWISS.
ABER WELCHE WÜNSCHEN WIR UNS?
5TROTZDEM.
DESHALB.
Eigentlich wollte ich ein anderes Buch schreiben. Seit Jahren. Immer schon hat mich interessiert, wodurch ein Mensch geworden ist, wie er ist. Welchen Einfluss seine Herkunft, sein Umfeld, seine Erlebnisse und Erfahrungen darauf haben, welchen Lebensweg er nimmt. Welches Temperament und welche Wahrnehmungsfähigkeit er entwickelt. Was Anlage und was dazu erworben ist.
Vor allem angesichts meiner politischen Biografie habe ich mir diese Fragen auch selbst gestellt. Wie konnte ich bei meinem politischen Engagement den weiten Umweg über die Freiheitliche Partei nehmen? Keinen Satz habe ich in meinem damaligen öffentlichen politischen Leben öfter gehört als die Feststellung: „Sie sind in der falschen Partei.“ Ich hatte immer eine erklärende Antwort darauf. Viel später habe ich in meinem Freundeskreis die Frage gestellt, ob man sich vorstellen könne, dass ich als Studentin bei einer anderen Partei hätte andocken können. Viele der FreundInnen begleiten mich seit über fünfzig Jahren, kaum eine(r) von ihnen hat je FPÖ gewählt, heute sowieso nicht (Letzteres gilt übrigens auch für jene wenigen FreundInnen aus der seinerzeitigen FPÖ). Die Antworten waren unterschiedlich. Einige meinten, ich hätte auch beim VSStÖ landen können, einer hielt die konservative Aktionsgemeinschaft für möglich, vor allem für später dazugestoßene FreundInnen aber war die FPÖ die logische Folge meiner Herkunft. Sie wissen, dass meine Eltern in der (Vor-)Kriegszeit auf der falschen Seite gestanden waren und wohl auch später Einsichtsprobleme hatten.
Ich selbst kann mir meine gestellte Frage nicht wirklich beantworten. Ich weiß, wie trügerisch die Erinnerung sein kann und welche Faktoren bei der Selbstbeurteilung eine Rolle spielen. Aber das Buch, von dem ich eingangs gesprochen habe, soll sowieso kein Selbstfindungstrip werden. Ich möchte vielmehr die Geschichte der Gründung der ersten liberalen Partei der Zweiten Republik festhalten, aber eben auch die Vorgeschichte dazu – und die hängt nun einmal stark mit mir und meiner Biografie zusammen.
Als Gerhard Kratky, ein Freund, Gründungsmitglied und langjähriger Geschäftsführer des Liberalen Forums, Das Experiment einer Parteigründung – Das Liberale Forum im Rückblick schrieb, das 2009 im Studien Verlag erschienen ist, dachte ich kurz, dass unserer „Geschichtsschreibung“ Genüge getan sei. Ich bin Gerhard bis heute sehr dankbar, nicht nur für seinen jahrelangen ideellen Beitrag (ohne seinen überzeugenden Anstoß hätten wir die Partei wahrscheinlich gar nicht gegründet), sondern auch für seine außerordentliche Dokumentation unserer politischen Arbeit. Er aber meinte, er erwarte meine in Buchform erscheinenden „Ergänzungen“.
Ich habe bislang die emotionale Kraft dazu nicht aufgebracht, zumal ich die Sache sehr persönlich nehme und daher auch so anlegen will. Zu Hause, in meinem großen Freizeitkeller, stapeln sich in Marcel-Prawy-Manier die Säckchen, voll mit Unterlagen, die bis in die späten 80er Jahre zurückreichen, neben ebenso vollen Schachteln mit Zeitzeugnissen bis ins Jahr 2000. Bedauerlicherweise bin ich kein sehr ordnungsliebender Mensch, was die Sache ziemlich mühsam macht.
Aber die politischen Vergleiche der Erlebnisse der Gegenwart mit jenen der Vergangenheit, die Beobachtung des zunehmenden Populismus und meine Erinnerung an seinen österreichischen „Gründungsvater“ Jörg Haider, waren und sind immer wieder Themen in zahlreichen privaten Gesprächsrunden. Dann beschäftigt uns das Wahlverhalten, beunruhigende Verhaltensweisen von BürgerInnen und die politischen Antworten darauf. Wir reden über Demokratie und die zunehmende Schwierigkeit, sie zu verteidigen, während zugleich die Notwendigkeit dafür zunimmt. Wir reden über Freiheit und wie schwer sie gegen das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu argumentieren ist. Wir reden über Political Correctness und Feminismus und wie verlorenes Augenmaß alles zunichtemachen kann. Wir beklagen den Rechtsruck in so vielen Ländern der Welt und in Österreich. Wir suchen nach Erklärungen dafür, dass immer mehr Menschen rechte, menschenverachtende Positionen teilen. Sie selbst rechnen sich einer politischen Mitte zu und weisen die Beschreibung ihrer Haltung als „rechts“ von sich. Das Koordinatensystem wurde einfach verschoben: Die Positionen sind zwar gleich geblieben, die Bezeichnungen dafür aber wurden durch die Verschiebung sprachlich reingewaschen. Das dient der Gewissensberuhigung, obwohl es zugleich die Missachtung von Menschenwürde und Menschenrechten salonfähig macht. Manchmal reden wir auch über Liberalismus und das Fehlverständnis von ihm.
Als mich bei einer dieser unterschiedlichen Gesprächsrunden der Verleger Niki Brandstätter aufforderte, doch ein Buch über solche Themen zu schreiben, hatte ich reflexartig einen Satz im Kopf, der mich in der Vergangenheit in vielen Arbeitssitzungen begleitet hat: Es ist schon alles gesagt, nur nicht von jedem. Das Gefühl, das eine(n) beschleicht, wenn man durchaus vernünftige Dinge zum x-ten Mal hört, ist mir noch sehr vertraut. Dieses Gefühl möchte ich nicht auslösen.
Aber Brandstätter wusste von meinem erwähnten „Wunschprojekt“. Mehrere Personen hatten es schon angeregt, aber es war bisher am Mangel meines persönlichen Einsatzes gescheitert. Er wollte mich einfach zum Schreiben motivieren und verwendete dafür ein Argument, das ich selbst immer wieder einsetze: Die Demokratie lebt von der Beteiligung und dem persönlichen Beitrag dazu. Das wirkte.
Dieses Buch ist der Versuch eines Beitrags. Ich danke allen, die mich dazu ermuntert haben. Denn Überzeugung allein reicht nicht: Wir alle brauchen Ermunterung zur Demokratie.
Der erste Satz dieser Überschrift ist eine Binsenweisheit; der zweite ist ein politisches Bekenntnis: Ich schätze die Verschiedenheit, ich liebe den Pluralismus. Zum Pluralismus gibt es unterschiedliche Zugänge. Man kann sich mit ihm einfach abfinden und arrangieren. Man kann ihn für schädlich halten und bekämpfen; immer mehr politische Parteien leben von diesem Zugang. Und man kann ihn als Qualität empfinden und daher als erstrebenswertes Ziel für eine Gesellschaft.
Das ist es, was ich mit Pluralismus verbinde. Er bedeutet für mich nicht nur die Freude an der Verschiedenheit und den Anregungen, die daraus erwachsen, sondern er ist für mich das Ergebnis von Freiheit, denn es geht um die freiwillige Verschiedenheit. Jene, die darin liegt, dass Menschen unterschiedlich denken, Unterschiedliches wollen, unterschiedlich leben und lieben. Aber ich meine auch unterschiedliche Hautfarben und Kulturen, die ein sichtbares Zeichen für die Verschiedenartigkeit im Gemeinwesen sind.
Eine Gesellschaft, in der diese Unterschiedlichkeiten gleichberechtigt miteinander und nebeneinander gelebt werden können, hat nicht nur die bestmögliche Chance für individuelle Lebensqualität, sondern noch einen weiteren unschätzbaren Vorteil: Durch das Erleben und durch den Wettstreit der unterschiedlichen Vorstellungen und Ideen werden Fortschritt und kulturelle Weiterentwicklung ermöglicht, Positionen und Verhaltensweisen stehen ständig auf dem Prüfstand, und das Respektieren und Einüben in unterschiedliche Sichtweisen erhöhen die Chancen auf ein friedliches Miteinander.
Pluralismus ist also kein Selbstzweck. Er ist das Ergebnis von Freiheit und er führt zu Freiheit. In diesem Zusammenhang ist zuallererst die sogenannte „negative Freiheit“ gemeint, also die Abwesenheit von Zwang und bevormundenden Vorschriften. Da ich als Jugendliche die Zeit des Miefs, verlogener Moral und den Anpassungsdruck vor der 68er-Revolution erlebt habe, weiß ich, dass diese negative Freiheit auch in einer Demokratie erkämpft werden muss. Gerade deshalb empfinde ich solches Unbehagen darüber, dass die erreichte Befreiung und der gewonnene Individualismus von den falschen Profiteuren der 68er als Tarnung für Egoismus und Entsolidarisierung missbraucht wird. Das war nicht das Ziel. Daher muss es umso mehr um den zweiten Schritt gehen. Um die sogenannte „positive Freiheit“, die uns in die Lage versetzt, von ihr vernünftig Gebrauch machen zu können. Die Voraussetzungen dafür hat vor allem die Politik zu schaffen.
Seit Jahrhunderten wird über diese Dimensionen der Freiheit nachgedacht. Die sich daraus ergebenden Fragen werden die Menschheit immer begleiten. Weder kann noch will ich einen philosophischen Essay zur Freiheit schreiben, aber es liegt auf der Hand, dass Freiheit und Pluralismus Grenzen und Spielregeln brauchen. Einer dieser Spielregeln will ich mich etwas ausführlicher widmen, weil sie eine der wichtigsten Klammern ist, die unsere Gesellschaft braucht: der Toleranz.
Sich mit Toleranz auseinanderzusetzen, ist kein einfaches Unterfangen. Sie zu leben erst recht nicht, es sei denn, man missversteht sie als „Wurschtigkeit“. Goethe sah in der Toleranz, wörtlich übersetzt der Duldung, nur eine vorübergehende Gesinnung, die zur Akzeptanz führen müsse, denn: dulden hieße beleidigen. Zu dieser These lassen sich durchaus Beispiele finden. Das Plakativste im wahrsten Sinn des Wortes lieferte die ARD mit der Bewerbung ihrer Toleranz-Themenwoche im November 2014. Der deutsche TV-Sender affichierte Großplakate, die unter anderem einen dunkelhäutigen Mann, ein schwules Paar und einen Rollstuhlfahrer zeigten. Die Sendungsverantwortlichen hatten es sicher gut gemeint. In ihren Köpfen war die Toleranz den plakatierten Menschen gegenüber bereits zur Akzeptanz mutiert; so hoffe ich jedenfalls. Eine andere Deutung wäre, dass man die Tolerierung dieser Menschengruppen als ausreichend oder gar als Fortschritt unserer Gesellschaft empfindet. Das allerdings wäre im Jahr 2014 zu wenig und daher inakzeptabel.
Tatsächlich konnte die Plakatserie als Beleidigung empfunden werden, denn sie schrieb die Diskriminierung fort: Soll ich als behinderter Mensch in der Gesellschaft wirklich nur toleriert, also geduldet werden? Für homosexuelle Menschen fühlt sich diese Erfahrung wohl noch einmal anders an: Bis Mitte der 1970er Jahre war ihre sexuelle Orientierung unter Strafe gestellt, danach wurde sie vom Gesetzgeber „toleriert“, also geduldet. Mit einer Vielzahl von Diskriminierungen, vom Vereinsverbot bis zur Negierung der Partnerschaft. Es dauerte gut weitere vierzig Jahre, bis eine Gleichbehandlung vor dem Gesetz erreicht wurde, zuletzt musste gar der Verfassungsgerichtshof nachhelfen. Inwieweit die Gesellschaft ihre verordnete Toleranz in diesen Fragen bis heute tatsächlich durch Akzeptanz ersetzt hat, möchte ich gar nicht wirklich wissen. Wir alle kennen einschlägige, respektlose Witzchen, die selbst in aufgeschlossenen Kreisen ihre Lacher finden.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich ist nicht jedes Verhalten tolerabel, selbstverständlich verdient nicht jedes Respekt. Deshalb ist es ja so schwierig, die Grenze zu ziehen zwischen dem, was in einer offenen Gesellschaft hingenommen werden muss und was nicht, was zu respektieren oder mit zivilisierter Verachtung zu behandeln, was letztlich schlicht zu akzeptieren ist und was nicht. Den Begriff der „zivilisierten Verachtung“ hat der Philosoph und Psychoanalytiker Carlo Strenger geprägt, der damit die Fähigkeit meint, zu verachten, ohne zu hassen oder zu dehumanisieren. In seiner Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit (2015) wendet er sich gegen eine falsche Toleranz und einen Relativismus, die seiner Meinung nach zu oft die Folge politischer Korrektheit seien. Die von ihm eingeforderte Verachtung dürfe sich allerdings nicht gegen die Menschen richten, sondern einzig gegen ihre Meinungen und Werte, insofern diese gegen die Werte einer freien Gesellschaft verstoßen. Damit will er der Gefahr begegnen, „dass rechtsnationale Parteien und Gruppierungen die vertraute Rolle der Verteidiger der freien Welt übernehmen, dabei aber die zu verteidigenden Werte der Aufklärung, die unsere Gesellschaften im Lauf der letzten Jahrhunderte humanisiert haben, durch Fremdenhass und das Schüren von Ängsten untergraben“. Wer wollte das nicht unterschreiben?
Und doch liegt die Crux darin, dass der Begriff der Werte von allen ins Treffen geführt wird. Daher kommt es eben auf die Offenlegung der Vorstellung von den Werten an. Und es ist unerlässlich, den Konsens über diese Inhalte immer wieder öffentlich zu erstreiten. Ich stimme Strenger zu, dass sich gegenseitiger Respekt, der die Grundlage einer zivilisierten Gesellschaft sein sollte, auch als Falle erweisen kann, nämlich dann, wenn moralische Unterschiede aus falscher Toleranz als gleichwertig beurteilt werden. Doch wer fällt das Urteil darüber, wann Toleranz „richtig“ oder „falsch“ am Platz ist? Dafür bedarf es hoher intellektueller Selbstdisziplin, um eigene Befangenheiten zu erkennen, und verantwortungsbewusster Meinungsbildung – eine nicht geringe Erwartungshaltung an die Gesellschaft. Doch wie realistisch ist die Erfüllung dieses Wunsches? Welche Erfahrungen haben wir gemacht und welche Tendenzen beobachten wir? Wie sehr müssen wir unsere Erwartungen herunterschrauben, ohne die „offene Gesellschaft“ Karl Poppers zu gefährden?
Ich finde, der Versuch, das alles alltagstauglich zu machen, ist nicht nur notwendig, sondern er lohnt auch. Es gibt kaum jemanden, der oder die sich nicht gern als tolerant bezeichnen lässt. Und die meisten wollen’s auch wirklich sein. Ohne Toleranz geht’s ja wohl nicht. Wie also finden wir eine Art Handlungsanleitung und wo die Grenzen?
„Verantwortliche Meinungsbildung“, wie Strenger sie einfordert, scheint mir dafür ein Schlüssel zu sein. Wenn tolerant zu sein heißt, Unterschiedliches nicht nur auszuhalten, sondern zu respektieren und zu akzeptieren, so muss dem ja eine beurteilende Meinungsbildung vorausgehen. Auch um zu wissen, was nicht tolerabel ist. Karl Popper sprach einst vom Paradoxon der Toleranz, womit er meinte, dass uneingeschränkte Toleranz mit Notwendigkeit zu ihrem Verschwinden führe. Man müsse daher eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz verteidigen, weil ansonsten die Toleranten vernichtet würden – und die Toleranz mit ihnen. Das leuchtet ein. Wie also bilden wir uns eine Meinung darüber, was zu tolerieren und zu akzeptieren ist?
Für den Einzelnen oder die Einzelne bedeutet das zuallererst die Einsicht in die Notwendigkeit der Information. Das ist nicht so selbstverständlich wie es klingt, denn wir alle haben unsere Vorurteile (und da gibt es „gute“ wie „böse“), die eben nicht informationsgestützt sind, sondern unreflektierte, vorgefasste Meinung. Der Brockhaus definiert „Vorurteil“ als die unkritische Übernahme von Ansichten ohne ausreichende eigene Erkenntnisbemühung oder Erfahrungsbasis. Es ist daher nötig, das nicht nur zu erkennen, sondern auch bereit zu sein, es zu ändern. Da kommt die Information ins Spiel, und das ist in der heutigen Zeit ein doch recht kompliziertes Feld geworden.
Natürlich speist sich die Information aus dem gelebten Leben, aus Erfahrungen, aus Büchern und sonstigen Kulturerlebnissen. Was das öffentliche, politische Leben betrifft, sind jedoch auch die Medien entscheidend – und mit ihnen der Berufsstand des Journalismus. Wie man weiß, wird der Wert eines Gutes oftmals erst mit seiner Bedrohung erkannt. So hat etwa der Metternich’sche Polizeistaat mit seiner Pressezensur nicht nur für die Revolution von 1848 den Boden aufbereitet, sondern vor allem für den letztlich erfolgreichen Kampf um Medienfreiheit. 1918 wurde in Österreich mit einem Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung „jede Zensur als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben“ und festgestellt, dass „die Einstellung von Druckschriften und die Erlassung eines Postverbotes gegen solche“ nicht mehr stattfindet. Gut hundert Jahre später ist die Gefahr der Zensur immer noch nicht gebannt und die Verteidigung der Freiheit nahezu täglich zu führen.
Die Instrumente der Zensur sind freilich andere geworden, die Einschränkungen diffiziler und raffinierter, die Erkennbarkeit schwieriger. Kausalzusammenhänge erschließen sich nicht sofort und sind nicht immer leicht zu belegen. Befristete Arbeitsverträge, Zeit- und Geldmangel sind sowohl Druckmittel gegen die JournalistInnen selbst als auch gegen das jeweilige Medium, wenn es um seine finanzielle Existenz fürchten muss. Diese sicherzustellen ist fraglos eine staatliche Aufgabe, weil nur so Informationsfreiheit und öffentliche Meinungsbildung gewährleistet sind. Doch für alle Medien? Und nach welchen Kriterien? Die Art der Finanzierung hat keine gute Entwicklung genommen.
In den letzten Dezennien ist die Finanzspritze in Form von Inseratenschaltungen zu einem politisch schamlos eingesetzten Instrumentarium geworden. Im Jahr 2019 gaben öffentliche Stellen und staatsnahe Betriebe 171,5 Millionen Euro für Anzeigen aus. Demgegenüber betrug die Presseförderung 8,7 Millionen Euro. Die türkis-blaue Regierung strich fast sämtliche Inserate für die kritische Wochenzeitung Falter. Das sind die heutigen Mittel einer versuchten Zensur, das ist der eingepreiste Anreiz zur Hofberichterstattung. Dazu kommt die Informationsbeschränkung durch die in den letzten Jahren entwickelte sogenannte „Message Control“. Die Wirkungen dieser Maßnahmen zu erkennen, ist nicht wirklich schwer. Die größte Gefahr besteht darin, dass man sich daran gewöhnt (die Entwicklung ist bereits im Gang) und sie so zum akzeptierten Normalzustand wird.
Die Medien werden gerne – neben Legislative, Exekutive und Judikative – als die vierte Gewalt im Staat bezeichnet. Zu Recht, denn ihnen kommen die für eine Demokratie unverzichtbaren Aufgaben der Information, des Beitrags zur Meinungsbildung und der Kontrolle zu. Dafür wiederum ist eben die Pluralität des Medienmarktes eine unabdingbare Voraussetzung.
Insofern hat Österreich durch seine außergewöhnliche Medienkonzentration sowieso ein Demokratieproblem. Dieses Problem wird nun aber durch ein öffentliches Finanzierungssystem verstärkt, das nicht qualitätsfördernd gestaltet ist, sondern sich vornehmlich an Auflagenstärke und Einschaltquoten orientiert. Es ist zugegebenermaßen durchaus nicht leicht, in Zeiten boomender Boulevardisierung, Fake News und intensivierter Nutzung der sozialen Medien seriöse Qualitätskriterien zu definieren. Dazu kommt, dass eine solche Definition zum Einfallstor für parteipolitische Vorstellungen verschiedenster Art werden kann, um Freiheit der Information, der Meinung oder der Kunst unter dem Deckmantel der Qualität zu beschränken. In Österreich begegnet man dieser Schwierigkeit allerdings dadurch, dass man sich seit Jahren mit der Tendenz der Verflachung und Banalisierung arrangiert, sie hofiert und für die eigenen politischen Zwecke nutzbar macht. Die im Frühjahr 2020 ohne jedes Begutachtungsverfahren durch das Parlament geschleuste Medienförderung wird von kritischen JournalistInnen zu Recht als korruptes Gegengeschäft bezeichnet. Und Korruption frisst Demokratie.
Bei der Suche nach Qualitätskriterien ließe sich beim Berufsstand des Journalismus und seiner Ausbildung anknüpfen. Die rasante Zunahme der Möglichkeiten zur öffentlichen Meinungsäußerung und ihrer Verbreitung macht das öffentliche Bekenntnis zum Journalismus als Profession, auch als Unterscheidungskriterium, wichtiger denn je. Nur so sind Standesregeln einzufordern, die den Rahmen für seriöses und kritisches Handeln abstecken. Es geht um die Methoden und die Art sowohl der Beschaffung als auch der Verarbeitung von Informationen – und es geht um die Notwendigkeit einer branchenspezifischen Selbstkontrolle. Medien staatlich zu fördern, die sich der Kontrolle durch den Presserat entziehen, scheint mir daher höchst bedenklich. Ich würde im Übrigen auch gerne auf die Qualitätssteuerung durch das Lese- und Sehverhalten der KonsumentInnen setzen und daher endlich ein verpflichtendes Schulunterrichtsfach einführen, in dem Medienkompetenz erworben wird. Ich verstehe seit vielen Jahren nicht, wieso eine derartige Wissensvermittlung politisch nicht durchsetzbar ist.
Die demokratiepolitische Qualität ist aber nicht nur daran zu messen, wie Informationen aufbereitet und vermittelt werden. Sie hängt auch davon ab, was ins Blickfeld gerückt und was außen vor gelassen wird. Am Beginn der Corona-Zeit, in der ich wie die meisten anderen Menschen selten mein Zuhause verlassen habe, war mein Printmedien-Konsum auf die neben den Wochenzeitungen von mir seit vielen Jahren abonnierten zwei Tageszeitungen reduziert. Nun habe ich eines der Abonnements gekündigt. Ich musste nämlich feststellen, dass jene Zeitung, die mir immer das Gefühl eines hohen Sensoriums für Grundrechte vermittelt hat, die Situation geflüchteter Menschen plötzlich nahezu ausblendete, wiewohl es eine schmerzliche Vielzahl von aktuellen Anlässen für Berichte gab. Es ging um in Seenot geratene Boote und die Verweigerung des Anlegens an EU-Küsten, um Vorkommnisse in Lagern in europäischen Ländern und die österreichische kalte Schulter dazu. Es ging aber auch um Grundrechtsverstöße und -gefährdungen in Österreich selbst, die plötzlich nicht mehr so diskussionswürdig schienen.
Selbstverständlich habe ich nicht die engstirnige Erwartung, nur meine Positionen in „meiner“ Zeitung wiederzufinden, aber meine demokratiepolitische Anforderung an eine Zeitung beinhaltet die Beleuchtung jener Facetten, die für eine Demokratie von Relevanz sind, vor allem jene, von denen Menschen direkt betroffen sind und bei denen es um Menschenrechte geht.
Diese Themen aus dem Blatt zu rücken, ist dann zusätzlich irritierend, wenn der Eindruck entsteht, dass damit auch den Interessen der Regierenden gedient ist, deren Kontrolle doch die Aufgabe der Medien sein sollte. Auf eine derartige Qualitätsveränderung reagiere ich als Konsumentin daher mit jenem Steuerungsinstrument, das mir der Markt in die Hand gibt: Ich kaufe nicht mehr.
Und dann ist da noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ihm kommt neben seinem Kulturauftrag ein besonderer Stellenwert für die objektive, professionelle Recherche zur Informationsgewinnung zu sowie für einen demokratisch geführten Diskurs zur Meinungsbildung. Sein Auftrag und die damit verbundenen Aufgaben und seine Unabhängigkeit von der Politik müssen mit allen möglichen Mitteln, vor allem auch finanziellen, abgesichert sein. Die immer wieder aufkommende Diskussion über die Abschaffung der Rundfunkgebühren empfinde ich als ständiges Damoklesschwert.
Wenn nun also die Bürgerinnen und Bürger sich auf dem beschriebenen Weg ein Bild gemacht und sich in fairer, offener Auseinandersetzung ihre Meinung gebildet haben, ist die Toleranzübung, die der Ausgangspunkt für meine Überlegungen war, um einiges leichter geworden. Man hält Dinge eher aus, wenn man sie verstehen kann, man respektiert sie leichter, wenn man ihre – wenn auch nicht geteilte – innere Logik erkennt und man akzeptiert, wenn man den Sinn für Neues und Unbekanntes geschärft hat. Sogar was man nicht will, ist dann rational begründbar, und die Abwehr trifft nicht mehr den Menschen, sondern seine Position.
Der philosophische Diskurs zum Thema Toleranz ist spannend, naturgemäß kontroversiell und höchst umfangreich. Und er zeigt – wenig überraschend – vor allem eines: Wie sehr sich der Toleranzbegriff und seine Anwendung im Laufe der Geschichte geändert hat. Im Übrigen kann wohl jede(r) von uns mit einem Fallbeispiel aus dem Alltag dienen, um diese Änderung selbst während unserer jeweiligen Lebenszeit zu belegen. Das ARD-Beispiel dient zur Erhellung des Weges Intoleranz – Toleranz – Akzeptanz. Es dient aber auch dazu, etwas anderes klarzumachen. Nämlich, dass bestimmte Rechtsgüter nicht einfach auf Toleranz angewiesen sein dürfen, sondern ihnen der Staat den Anspruch auf Akzeptanz per Gesetz zu garantieren hat.