Der Autor

Nikolaus Werz (*1952 in Bonn), Abitur in Buenos Aires 1971, studierte Germanistik, Geschichte und wissenschaftliche Politik in Freiburg.

Von 1994 bis 2018 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Rostock/Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre. 2005/07 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft (DGfP).

Nikolaus Werz

Lateinamerika

Geschichte und Gegenwart

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

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ISBN 978-3-17-031334-7

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Im Andenken an die zu früh verstorbenen Rostocker Kollegen und Freunde Yves Bizeul und Hans-Ludwig Busch

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Einheit und Vielfalt Lateinamerikas
  2. Wie schreiben wir lateinamerikanische Geschichte
  3. Zu Ansatz und Aufbau
  4. Entdecken und Erfinden: Die Gefahr von Projektionen
  5. 2 Frühe Unabhängigkeit, unvollendete Staaten: die große Geste der Befreier
  6. Die spanische Kolonialherrschaft und ihre Nachwirkungen
  7. Ziele und Verlauf der Unabhängigkeitsbewegung – die unvollendeten Revolutionen 1810 bis 1910ff
  8. Diskurse über die Independencia 1810 – 1910 – 2010
  9. Zur Geschichte der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit 1910 (Centenario)
  10. Verschiedene Initiativen zu den 200 Jahrfeiern (Bicentenarios) 2010
  11. Vor- und Nachteile der frühen Unabhängigkeit
  12. 3 Caudillismus, Freihandel und Oligarchie: Das 19. Jahrhundert
  13. Caudillismus und oligarchische Herrschaft
  14. Ungleiche Entwicklungen in den Ländern im 19. Jahrhundert
  15. Chile: Ausnahme am Ende der Welt?
  16. Venezuela: Vom Kakaoland zum Ölexporteur
  17. Venezuela und Chile im 20. Jahrhundert
  18. Demokratie als Versprechen – Staaten ohne Nation
  19. Ideologien der Entwicklung
  20. Die ambivalente Rolle des Staates
  21. Ansätze zum Sozialstaat
  22. 4 Jahrhundertwende 1900, der Beginn des Kulturnationalismus und die mexikanische Revolution 1910ff
  23. Die Jahrhundertwende 1900
  24. Der Beginn des Kulturnationalismus: 1900, Ariel und die mexikanische Revolution
  25. Mexiko: Die erste Revolution 1910ff.
  26. Die Intellektuellen in der Geschichte Lateinamerikas: Von der Revolution zur Demokratie
  27. 5 Auf dem Weg zur Massengesellschaft: Weltwirtschaftskrise 1929, »Entwicklung nach innen« und der klassische Populismus
  28. 6 Die USA: Hegemon im 20. Jahrhundert und weitere Entwicklungen in der Außenpolitik
  29. Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus
  30. Die neuere US-Außenpolitik gegenüber Lateinamerika
  31. Die Beziehungen zu Deutschland und Europa
  32. 7 Das rote Jahrzehnt: Die kubanische Revolution 1959, Ernesto Che Guevara, Salvador Allende
  33. Zeitgeschichtlicher Kontext
  34. Rezeptionsgeschichte und politische Folgen
  35. Der »chilenische Weg zum Sozialismus« 1970–1973
  36. Aufschwung und Scheitern der Land- und Stadtguerilla in Lateinamerika
  37. 8 Kalter Krieg im Süden: Militärdiktaturen und die Doktrin der nationalen Sicherheit
  38. 9 Re-Demokratisierung und Demokratie ab den 1980er Jahren
  39. Gewaltherrschaft und Demokratisierungsversuche in Mittelamerika
  40. Parteien und Parteiensysteme
  41. Soziale Bewegungen
  42. Indigenes Erwachen (buen vivir)
  43. 10 Wirtschaft und Handel
  44. Die Weltmarktintegration im Überblick
  45. Die Rolle der lateinamerikanischen Wirtschaftskommission CEPAL
  46. Abhängigkeit und Entwicklung – Dependencia y desarrollo
  47. Modernisierung und multiple Modernitäten
  48. Fragmentierte Modernitäten
  49. 11 Religiosität und politische Kultur
  50. Gustavo Gutiérrez und die Theologie der Befreiung
  51. Theorie und Praxis der Befreiungstheologie
  52. Religiöse Pluralisierung, Freikirchen, Evangelikale und andere Religionsformen
  53. Politische Kultur: Modernisierung – multiple Modernitäten
  54. 12 Neue Prosperität und neuer Populismus Anfang des 21. Jahrhunderts
  55. Klassischer Populismus:
  56. Neopopulismus:
  57. Neuer Populismus bzw. radikaler Populismus:
  58. 13 Staatskrise – Drogengewalt – Migration
  59. Drogen und Drogengewalt
  60. Migration innerhalb Lateinamerikas bzw. Amerikas
  61. 14 Das Gesetz des Pendels: Von der konservativen Wende ab 2015 zu den neuen Rebellionen 2019
  62. Was haben die Proteste von 2019 gemeinsam?
  63. Welche Interpretationen sind möglich?
  64. 15 Zwischen Einsamkeit und Hoffnung: Zur Zukunft Lateinamerikas
  65. Wechselfälle der Geschichte: Chile und Venezuela als Beispiele
  66. Merkmale und Kontinuitäten lateinamerikanischer Politik
  67. Die Schwierigkeiten bei den Reformen
  68. Lateinamerika in der Welt
  69. Vor der Zukunft
  70. Anmerkungen
  71. Anhang
  72. Abkürzungsverzeichnis/Glossar
  73. Ausgewählte Chronologie
  74. Literaturverzeichnis
  75. Filmverzeichnis
  76. Sachverzeichnis
  77. Personenverzeichnis
  78. Ortsverzeichnis
  79. Abbildungsnachweis

 

 

1          Einheit und Vielfalt Lateinamerikas

 

 

 

Wo liegt und was ist Lateinamerika? Die Antwort auf diese Frage ist keineswegs einfach, denn es handelt sich nicht um einen geographischen, sondern um einen kulturell und politisch geprägten Begriff. Allgemein versteht man darunter die südlich der USA gelegenen unabhängigen Republiken mit den Amtssprachen Spanisch und Portugiesisch. Auch das französischsprachige Haiti und das teilweise zu den USA gehörende Puerto Rico werden dazu gezählt, nicht aber die englischen, französischen und niederländischen Kolonien. Die lateinamerikanische Wirtschaftskommission CEPAL rechnet auch die karibischen Staaten dazu, aber in den meisten Geschichtsdarstellungen ist dies nicht der Fall. Sie behandeln in der Regel 20 Staaten: in der Karibik die Republiken Haiti, Kuba, Puerto Rico und Santo Domingo, in Nordamerika Mexiko, in Zentralamerika Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua sowie Panama und in Südamerika Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela.

In Lateinamerika finden wir »arme Menschen in reichen Ländern«, weil die Eliten »ihr persönliches Wohlergehen mit dem der Nation verwechseln«, heißt es in einer Einführung.1

Rund 655 Mio. Menschen leben in der Region, d. h. 8,5 Prozent der Weltbevölkerung. Nachdem die Zuwachsrate der Bevölkerung 1960 bei 2,7 Prozent lag, sank sie bis 2015 auf 1,1 Prozent, für 2055 werden nahezu Null-Prozent erwartet.2 Bei den geographischen Bedingungen und der Bevölkerungszusammensetzung bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Bolivien, Ecuador und Guatemala besitzen eine bei über 30 Prozent liegende indigene Bevölkerung, während sie in Brasilien und Kuba, wo die Zahl der aus Afrika als Sklaven verschleppten Menschen ins Gewicht fällt, und in den von europäischen Einwanderern geprägten Ländern wie Argentinien, Chile und Uruguay gering ist. Das an die USA angrenzende Mexiko bildet mit 129 Mio. Einwohnern das größte spanischsprachige Land der Welt. Mit Brasilien (212 Mio.) gehört es traditionell zu den Staaten, die auf dem amerikanischen Halbkontinent eine gewisse Führungsrolle beanspruchen. Die 1 800 Kilometer lange zentralamerikanische Landbrücke umfasst sieben Kleinstaaten, die Nord- und Südamerika verbinden. Zur Karibik zählen 42 Inseln und Territorien, die teilweise von europäischen Staaten abhängig sind. Südamerika besteht aus neun spanischsprachigen Staaten, die schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts formal unabhängig wurden. In Brasilien, das von manchen als eigener Kontinent betrachtet wird, ist das brasilianische Portugiesisch Amtssprache.

Der Begriff Lateinamerika kam Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst in Frankreich auf, er diente zur Betonung der gemeinsamen lateinischen Wurzeln gegenüber den USA und den außenpolitischen Interessen Frankreichs in Mexiko. Aber »lo latinoamericano« gab es unter kulturellen Gesichtspunkten wahrscheinlich schon früher, als die Spanier begannen, Korn, Maniok und Schokolade zu essen, gleichzeitig gingen Elemente der autochthonen Kulturen in die kirchliche und städtische Kunst Hispanoamerikas ein. Die Begriffe zur Bezeichnung der Region besitzen jeweils eine inhaltliche Konnotation: Bei Lateinamerika liegt die Betonung auf Eigenständigkeit, Spanischamerika verweist auf die Kolonialzeit, Hispanoamerika auf die spanische Sprachfamilie und Iberoamerika auf die Verbindungen zu der Iberischen Halbinsel, d. h. zu Spanien und Portugal.

Als politischer und kultureller Begriff bildet Lateinamerika ein Konstrukt, das gleichsam über den vorhandenen Nationalstaaten existiert. Der Begriff Lateinamerika gewann in den vergangenen 200 Jahren zuweilen utopische Züge. So war er nach der Unabhängigkeit von Spanien mit den Vorstellungen der Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar und José de San Martín von einer kontinentalen Einheit verbunden, nach der mexikanischen Revolution besaß die dortige Kulturpolitik zunächst eine gesamtlateinamerikanische Phase, und die kubanische Revolutionsführung propagierte nach 1959 eine »Politik der Völker« gegen die etablierten Eliten.

Das Bild Lateinamerikas fällt widersprüchlich aus: Armut, Unterentwicklung und Gewalt stellen die eine Seite dar, Lebensfreude, Wunsch nach Befreiung und Natur die andere. Schlechte Nachrichten scheinen für Politik und Wirtschaft reserviert, gute Botschaften gehen von der Kultur und den Menschen aus. Es unterliegt konjunkturellen Schwankungen. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts schien die 1982 in Mexiko begonnene Verschuldungskrise der Vergangenheit anzugehören. Drei Länder zählen zu der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) – Argentinien, Brasilien und Mexiko. Chile, Kolumbien und Mexiko sind Mitglieder der OECD und damit vermeintlich im »Club der Reichen«, Costa Rica hat 2020 eine Einladung zum Beitritt erhalten. Das durchschnittliche Wachstum lag zwischen 2003 und 2008 bei 4 Prozent. Von der Weltfinanzkrise 2008 waren zunächst Mexiko und mittelamerikanische Staaten betroffen, was u. a. an der Nähe zu den USA lag, während die südamerikanischen Gesellschaften zunächst vergleichsweise gut damit zurechtkamen. Trotz Rückschlägen in einigen Staaten durchlief die Region seit der Unabhängigkeit von Spanien die längste Phase formaldemokratischer Herrschaft.

2020 hat sich dieses günstige Panorama wieder eingetrübt. Neben dem staatssozialistischen Kuba gehören Venezuela und Nicaragua zu den autoritären Regimen. Das potentiell reiche Ölland Venezuela weist die höchste Auswanderungsrate eines Landes ohne Krieg und Naturkatastrophen auf der Welt auf; in Nicaragua gleicht das 1979 aus einer von den Sandinisten angeführten Volkserhebung hervorgegangene Revolutionsregime zunehmend der gestürzten Familiendiktatur der Somozas. Ende 2019 kam es in Haiti, Ecuador, Bolivien, Chile und Kolumbien zu spontanen Protesten: Haiti, das ärmste Land der Hemisphäre, durchläuft nach Korruptionsvorwürfen eine Phase der Instabilität und der Konflikte mit ungewissem Ausgang. In Ecuador konnten die von indigenen Gruppen angeführten De-

Karte 1: Lateinamerika

monstrationen nach Korrekturen an dem wirtschaftlichen Anpassungsprogramm der Regierung vorerst beigelegt werden. In Bolivien kam es nach einer umstrittenen Wahlauszählung zu Unruhen und Konflikten zwischen Gegnern und Anhängern des ersten indigenen Präsidenten des Landes Evo Morales, der trotz eines knapp dagegen ausgegangenen Referendums erneut zur Wiederwahl angetreten war. Nachdem sich die Polizei von ihm losgesagt hatte, riet ihm die Heeresführung, er solle die Macht abgeben, d. h. es erfolgte eine Art Staatsstreich. Morales und sein Vize-Präsident Álvaro García Linera nahmen ein Asylangebot in Mexiko an. In Chile verhängte Staatspräsident Sebastián Piñera, der noch wenige Tage zuvor sein Land als Oase der Ruhe in einem aufgewühlten Meer bezeichnet hatte, nach Plünderungen den Ausnahmezustand und befahl den Einsatz des Militärs, über 20 Menschen starben. Einen Monat später verständigten sich die große Mehrheit der Parteien und einige Organisationen auf einen Fahrplan, der bis 2021 zu einer neuen Verfassung führen soll, die Proteste halten indessen an. Lateinamerika avancierte damit wieder zu einer Krisenzone, nachdem es ab 2000 unter Mitte-Links-Regimen und einem Rohstoffboom manchen Beobachtern als Region des Aufbruchs galt.

Obwohl Lateinamerika von vielen als Teil des Westens angesehen wird, hatten weltgeschichtliche Ereignisse auf die Regionen diesseits und jenseits des Atlantiks unterschiedliche Auswirkungen: Die Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte erhebliche Konsequenzen, denn sie leitete die Phase der Importsubstitution ein, die zum Aufkommen national-populistischer Regime und zur Gründung der Wirtschaftskommission CEPAL beitrug. Die Studentenrevolte von 1968 zeigte sich auch in Lateinamerika, sie trug aber weniger die Züge eines Generationenkonflikts, die sie besonders in der Bundesrepublik hatte; dagegen blieb die von Córdoba (Argentinien) ausgehende Studentenbewegung von 1918 in Europa unbekannt, während sie in Süd- und Mittelamerika wichtig war. Auch das Schlüsseljahr 1989 besaß in Lateinamerika eine andere Bedeutung als in Deutschland. In Venezuela kam es mit dem sog. Caracazo zu Unruhen in der Hauptstadt und anderen größeren Städten, als ohne Ankündigung ein wirtschaftliches Anpassungsprogramm umgesetzt wurde. In der Folge dieses Volksaufruhrs begann der Aufstieg des Ex-Militärs Hugo Chávez (1954–2013) zum schließlich 1998 demokratisch gewählten Präsidenten, er wollte nach eigenen Angaben ab 2005 den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« aufbauen. Dank des hohen Ölpreises und seines Charismas entfaltete er eine gesamtlateinamerikanische Wirkung. Allenfalls in Mexiko, wo die fast 70-jährige Herrschaft der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) 2000 endete, kann man eine Resonanz der Implosion des Staatssozialismus im Osten vermuten. Die These von einem »Ende der Geschichte«, wie sie der nordamerikanische Politikberater Francis Fukuyama für die Zeit nach 1989 aufstellte, wurde von vielen lateinamerikanischen Akademikern abgelehnt, da sie ihrer Meinung nach auf ein Abfinden mit den bestehenden sozialen und internationalen Ungerechtigkeiten hinausliefe. Die zwischen 2005 und 2015 in den meisten Ländern regierenden Mitte-Links-Präsidenten haben sich auch deshalb entfalten können, weil nach dem Ende des Kalten Krieges die Vorbehalte gegen unabhängigere Positionen selbst bei US-Regierungen sanken. Mitentscheidend dürften die äußeren weltwirtschaftlichen Bedingungen gewesen sein. Sie haben sich nach dem »goldenen Jahrfünft oder Jahrzehnt« zwischen 2003 und 2008/13 mittlerweile stark reduziert und werden als ein Grund für die ab 2015 sichtbar gewordene Krise der »neuen Linken« gesehen.

Tab. 1: Bevölkerung Lateinamerikas (in Mio.)

Land1850 11900 11950 12000 120202030 2

A Nicht aufgezählte Länder eingeschlossen
B Bis 1903 war Panama teil Kolumbiens
– Daten nicht verfügbar
1 Brea 2003, 7.
2 UNDP 2013 (Projektionen).

Wie schreiben wir lateinamerikanische Geschichte

Bildet Lateinamerika den am weitesten entfernten Westen ab und stellt somit eine Art Nachzügler oder entfernten Verwandten der westlichen Zivilisation dar?3 Zumindest in den fortschrittsorientierten Ansätzen des 19. und 20. Jahrhunderts waren solche Vorstellungen einer nachholenden Entwicklung enthalten. Mittlerweile gilt Kuba als das einzige verbleibende sozialistische Land im Westen. Sollte Lateinamerika gar als eigene Zivilisation angesehen werden? Oder ist eine solche Sichtweise zu einfach bzw. folgt sie gar einer neokolonialen Denkweise? Hat eine nationalstaatliche Interpretation, wie sie gerade dort betrieben wird, noch Bestand oder müsste sie zugunsten einer Sichtweise aufgegeben werden, die vor allem die transnationale Verflechtung und globale Einbindung berücksichtigt?4

In manchen Aspekten ähnelt die Entwicklung in Teilen Lateinamerikas der in Europa, was u. a. damit zusammenhängt, dass nach dem frühen Ende der Kolonialherrschaft Anfang des 19. Jahrhunderts (mit den Ausnahmen Brasilien und Kuba) durch verschiedene europäische Einwanderungswellen die Beziehungen zum ›Alten‹ Kontinent anhielten bzw. sich im Südzipfel sogar noch verstärkten. Die Vorstellung eines Nachholens oder Überholens im Verhältnis zu schon etablierten Nationen war auch in Ländern wie Deutschland und Italien, die erst spät eine nationale Einigung erreichten, verbreitet. In Deutschland erschien damals England als Vorbild, es entstand eine Konkurrenz zwischen den beiden Ländern, die Ende des 19. Jahrhunderts im Zeitalter des Imperialismus zu einem Kampf um den »Platz an der Sonne« führen sollte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die beiden deutschen Staaten gezwungenermaßen ihre Rolle im Kalten Krieg, die Diskussion um den deutschen Standort schien auszulaufen. Hingegen blieb die Frage der Modernisierung in den lateinamerikanischen Gesellschaften stark mit der nach einer eigenen Identität verbunden und durchzieht das gesamte 20. Jahrhundert, was eine wissenschaftliche Betrachtung keineswegs erleichtert. Zumindest die von Politikwissenschaftlern, Soziologen und ausländischen Beobachtern vorgelegten Studien kommen schlecht um die Frage nach der Entwicklung und den Zukunftsaussichten herum. Entwicklungshindernisse werden u. a. im Fortbestand von verwandtschaftlichen und klientilistischen Mustern gesehen,5 die die politische Kultur weiterhin prägen würden.6 Lateinamerikanische Autoren kritisieren hingegen eher die Abhängigkeitsverhältnisse vom Weltmarkt ( Kap. 4 und Kap. 10).

Hinzu kommt das Spannungsverhältnis zwischen der Gesamtgeschichte einer mehrheitlich spanisch- bzw. portugiesischsprachigen Region und den im 19. Jahrhundert entstandenen Nationalstaaten. In Argentinien herrschte unter dem Eindruck eines von 1880 bis 1920 anhaltenden Aufschwunges lange Zeit die Meinung vor, man könne dem lateinamerikanischen Trend entkommen und wie Australien und Neuseeland einen Sonderweg im Süden beschreiten.7 Besonders nach der Weltwirtschaftskrise 1929 verstärkten sich die Ansätze zu nationalen Geschichtsschreibungen, davor dominierten heroische Darstellungen der Unabhängigkeitsbewegungen sowie der Staatsgründungen.8 In ihnen rückten indessen nicht nur die Modernisierung in den Vordergrund, sondern besonders auch die Hindernisse bei ihrer Entfaltung, die sich aus der Sicht der Autoren aus den Nachwirkungen und dem anhaltenden Einfluss kolonialer bzw. neokolonialer Mächte ergaben. Der Weiterentwicklung solcher modernisierungstheoretischen Ansätze, die ebenfalls im Umfeld der CEPAL aufkamen, standen seit den 1960er Jahren dependenztheoretische Annahmen entgegen, die den Begriff dependencia (Abhängigkeit) in den Vordergrund stellten. Für sie resultieren die Schwierigkeiten bei der eigenen Entwicklung nicht zuletzt aus der Abhängigkeit von den USA und den heutigen Industriestaaten. Während in der Historiographie der Bundesrepublik in der Phase der Sozialgeschichtsschreibung der 1980er Jahre modernisierungstheoretische Ansätze vorübergehend dominierten, konnten sie sich in der lateinamerikanischen Geschichtswissenschaft nicht durchsetzen.9 Aus deren Perspektive mag es daran gelegen haben, dass die Sozialgeschichte Fragen der Abhängigkeit und der Identitätsstiftung nicht ausreichend behandelt. Ein weiterer Grund mag die ungenaue und teilweise aus politischen Gründen umstrittene Daten- und Forschungslage sein, was eine Sozialgeschichtsschreibung erschwert.

Ziemlich erfolgslos blieben die Versuche, eine kontinentale Historiographie zu begründen, obwohl es 1992, d. h. als die Entdeckung/Eroberung Amerikas 500 Jahre zurücklag, und anlässlich den ab 2010 stattfindenden Feierlichkeiten zu den 200 Jahren formaler politischer Unabhängigkeit von Spanien genug Anlässe gab. Gerade solche Gedenkjahre waren Ausgangspunkt für Debatten und Interpretationen, die sowohl im »Kolumbusjahr« 1992 als auch zu den Unabhängigkeitsfeiern meist in Kooperation mit ausländischen Forschern erfolgten: Ein Ansatz lief darauf hinaus, die kreolische Geschichtsschreibung zu überwinden, d. h. diejenige Interpretation, die von den Anführern der Unabhängigkeitsbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts und von den ab 1870 gegründeten historischen Akademien vorgetragen wurde. Schließlich waren die Kreolen, d. h. die in Amerika geborenen Nachfahren der Spanier, bevor sie den Drang zur Unabhängigkeit an den Tag legten, an der Kolonialherrschaft beteiligt gewesen und hatten sich von den bestehenden Volkskulturen abgegrenzt. Mit dieser Sichtweise sollte obendrein der Versuchung entgegengewirkt werden, die Geschichte Lateinamerikas stets mit der Geschichte Europas zu vergleichen oder von unvollendeten Staaten auszugehen, in denen die Nationswerdung noch ausstehe. Denn dadurch geriete der Halbkontinent in eine reaktive oder bloß passive Rolle. Da sich Lateinamerika, die USA und Europa gegenseitig beeinflussen und prägen, müssen ebenfalls die wechselseitigen Beziehungen Beachtung finden. Immerhin hat die Entdeckung/Eroberung Amerikas Europa erst in die Lage versetzt, seine Expansion und die wirtschaftliche Entwicklung in der alten Welt fortzuführen. Die von dem Venezolaner Germán Carrera Damas und anderen Historikern ab 1999 in neun Bänden herausgegebene Historia General de América Latina versucht dem Rechnung zu tragen;10 der letzte Band erschien 2006 und zwar zu Theorie und Methodologie der Geschichte Lateinamerikas. Eigentlich hätte er am Anfang des Gesamtwerkes stehen müssen was darauf verweist, wie viele offene und schwierige methodische Fragen in diesem Bereich noch vorhanden sind.

Seit den 1950er Jahren trat die Bezeichnung Lateinamerika, die im 19. Jahrhundert als kulturell verstandener Begriff aufgekommen war, an die Stelle von Hispanoamerika oder Iberoamerika, auch wenn die zuletzt genannte Zuordnung unter Einschluss der Länder der Iberischen Halbinsel in Spanien nach wie vor Verwendung findet. Noch 1967 schrieb der Nestor der historischen Forschungen zum Halbkontinent in der Bundesrepublik Richard Konetzke: »Es gibt viele Nationalgeschichten der lateinamerikanischen Länder, aber keine Gesamtdarstellungen der geschichtlichen Entwicklung dieser Länder, verfasst von Historikern Lateinamerikas nach dem Stand der modernen Geschichtswissenschaft.«11 Von ihm wurde die geschichtliche Besonderheit vor allem unter der Perspektive des Abweichens von der europäischen Entwicklung analysiert, d. h. hinsichtlich des Ausbleibens von Rationalität, des bürgerlichen Tätigkeitsdrangs und des Berufsbeamtentums nach Max Weber. Später änderte sich diese Sichtweise unter den deutschsprachigen Lateinamerika-Historikern u. a. infolge einer engeren Zusammenarbeit mit den Sozialwissenschaften. Die Gefahr einer Verfremdung des Untersuchungsgegenstandes durch den Blickwinkel des jeweiligen Forschers versuchte man durch Internationalisierung und Kooperation zu korrigieren, was nicht zuletzt wegen der bescheidenen Stellenausstattung zu Lateinamerika an deutschen Universitäten geboten schien. Allerdings mangelt es nach wie vor an vergleichenden Studien und zwar gerade in den süd- und mittelamerikanischen Ländern, denn im Schulunterricht und in der Öffentlichkeit überwiegt dort weiterhin das Interesse an der europäischen Geschichte bzw. der jeweiligen Nationalgeschichte.

In den 1960er und 1970er Jahren kamen mit den Dependencia-Ansätzen und der Theologie der Befreiung lateinamerikanische Theorieentwürfe zu Lateinamerika auf. Sie stammten vor allem von Sozialwissenschaftlern, während Historiker zur Vorsicht vor einem einseitigen Abhängigkeitsparadigma warnten. Eine Gefahr der publikumswirksamen Texte, etwa dem vielfach aufgelegten essayistischen Klassiker Die offenen Adern Lateinamerikas von Eduardo Galeano aus dem Jahr 1982, war, dass sie in emanzipatorischer Absicht die Ungerechtigkeiten und negativen Aspekte behandelten und damit die Defekte in den Vordergrund rückten.12 Gleichzeitig förderten sie einen Externalismus, indem sie die USA und/oder internationale Großkonzerne für die Fehlentwicklungen verantwortlich machten. In der Folgezeit war eher eine Rückkehr zur historischen Betrachtungsweise festzustellen, zumal das Jahr 1992, als die Entdeckung/Eroberung Amerikas 500 Jahre zurück lag, dazu einlud. Hierbei spielte eine Rolle, ob und in welchem Ausmaß der jeweilige Autor aus einer lateinamerikanischen oder europäischen Perspektive zu schreiben versuchte. Das europäische Paradigma von ›Alter‹ und ›Neuer‹ Welt wurde aufgegeben und zumindest im deutsch- oder englischsprachigen Raum von dem Zusammenprall zwischen drei alten Welten Afrika, Amerika und Europa gesprochen, so der Historiker Horst Pietschmann bei seiner Abschiedsvorlesung.13

Die Veranstaltungen zu 1992 trugen zu einer stärkeren Berücksichtigung der originären Kulturen und einem erneuten Interesse an indigenen Fragen bei. Im Umkreis des »Kolumbusjahres«, wobei diese Bezeichnung zumeist auf Ablehnung stieß, erschien nach langem Vorlauf das dreibändige Handbuch der Geschichte Lateinamerikas (1994ff.); es wurde als das erste deutschsprachige historische Handbuch über eine Region der sog. Dritten Welt angekündigt. Die Rezeption der differenzierten Beiträge, die in Band 3 die Versuche zur Überwindung von Abhängigkeit und zur Selbstbestimmung in den Vordergrund rückten, hielt sich jedoch in Grenzen. Dies galt ebenfalls für die erste neuere Abhandlung über Demokratie in Lateinamerika, die aufgrund ihres skeptischen Untertons konträr zum Zeitgeist der Re-Demokratisierung in Südamerika Mitte der 1980er Jahre sowie zu den wenig später im deutschsprachigen Raum aufkommenden Transformationsansätzen stand.14 Die Frage des Nationalstaates, die im lateinamerikanischen Diskurs nach wie vor eine zentrale Rolle einnimmt, besitzt bei deutschen Lateinamerika-Historikern eine geringere Bedeutung.15

Aus welcher Perspektive wird die Geschichte Lateinamerikas geschrieben? Unabhängig von der möglichen politischen Einstellung des jeweiligen Autors ist schon der Standort relevant. In Lateinamerika wird anders über die Region nachgedacht als in den USA und Europa.

Abb. 1: América invertida, Bild von Joaquín Torres García 1943, Museum Juan Manuel Blanes, Montevideo.

Der Uruguayer Torres García begründete eine »Schule des Südens«, weil nach seinen Worten »unser Norden der Süden ist […].« Seine Landkarte zeigte Süd- und Nordamerika in umgekehrter Position – der Süden als Spitze der Welt.

Neben der geographischen Lage sind die Zeitumstände bedeutsam. Auf kaum eine andere Region außerhalb Europas trifft eine Periodisierung durch den Kalten Krieg so zu wie auf Lateinamerika. Er begann dort 1947 mit einer Reihe von Staatsstreichen und endete 1989 mit der vorübergehenden US-Invasion in Panama bzw. der Abwahl der Sandinisten 1990 in Nicaragua. Während etwa die Cold War Studies bis 1990 den Gegensatz zwischen den USA sowie ihren militärischen Verbündeten in Lateinamerika und die Rolle Kubas bzw. der SU in den Vordergrund rückten, d. h. sich auf Guatemala 1954, Kuba nach der Revolution 1959, Chile in den frühen 1970er Jahren und auf Zentralamerika in den 1980er Jahren konzentrierten, sind nach der Öffnung der Archive neue und breitere Zugänge möglich. Einige Autoren hatten schon vorher festgestellt, dass einzelne Länder – wie Mexiko oder auch Costa Rica – die Rivalitäten zwischen den Supermächten durchaus zu ihren Gunsten auszunutzen wussten.16 Am Beispiel von Kubas Afrikapolitik wurde untersucht, ob der Handlungsspielraum nicht größer war als zunächst angenommen.17

In den USA führte ab den 1990er Jahren das neue Interesse für kulturelle Fragen zu stärker fragmentierten bzw. dezentralen Ansätzen, die mit einer gewissen Verzögerung in der Bundesrepublik und Lateinamerika rezipiert wurden. Im 21. Jahrhundert begann im akademischen Bereich der Bundesrepublik eine verflochtene (entangled) Sichtweise Einfluss zu gewinnen,18 z. B. zu den Wechselbeziehungen zwischen Nord und Süd in Amerika. Dies mag daran liegen, dass die wichtigsten Werke zur lateinamerikanischen Geschichte im angelsächsischen Raum erscheinen und deutschsprachige Autoren zunehmend in englischer Sprache publizieren. Der neuere cultural turn in den Sozialwissenschaften hat diesen Trend verstärkt; an Forschungseinrichtungen in Lateinamerika förderte er den Eindruck, die Beschäftigung mit der Kultur würde auch etwas über die Macht aussagen, was vorübergehend zu einer Vernachlässigung der Analyse von institutionellen und ökonomischen Fragestellungen sowie der Quellen beitrug. Ein Nachteil der nun aufkommenden postmodernen und postkolonialen Ansätze liegt darin, dass deren Vorliebe für fragmentierte und heterogene Sichtweisen eine Gesamtschau erschwert oder sogar für unmöglich hält. Insgesamt hat die Tendenz zu Gesamtdarstellungen aus der Feder eines einzelnen Autors nachgelassen, dagegen haben die Landesgeschichten und Darstellungen zu Themen (soziale Bewegungen, Frauen, Minderheiten) zugenommen.19

Eine Folge davon sind immer stärker ausdifferenzierte oder an einzelnen Themen ausgerichtete Handbücher zu Lateinamerika, so hat allein der Verlag Routledge mehrere solcher Handbooks in englischer Sprache im Angebot. Dahinter verbirgt sich die Schwierigkeit, wie eine Geschichte Lateinamerikas präsentiert werden kann: Als eine Gesamtgeschichte des (Halb-)Kontinentes oder als Geschichte von Einzelstaaten? Und welcher Stellenwert kommt dabei Brasilien zu, einem Land, dessen Fläche fast so groß ist wie diejenige der Vereinigten Staaten von Amerika? Kaum jemand käme auf den Gedanken, eine Geschichte Europas zu verfassen, ohne bei einzelnen Kapiteln und Themen auf Staaten einzugehen, z. B. bei der Französischen Revolution oder bei Faschismus und Nationalsozialismus. Im Falle Lateinamerikas geschieht eine solche Vereinfachung aus ausländischer Perspektive weitaus häufiger, obwohl es angesichts der Bevölkerungszahl einzelner Länder und der nationalen Besonderheiten kaum zu rechtfertigen ist. Hierbei spielt natürlich die Aufmerksamkeitsspanne eine Rolle, denn man kann sich nicht mit allen Staaten gleichermaßen beschäftigen. Dadurch rücken einzelne Länder mit spektakulären Entwicklungen in den Vordergrund, woraus eine Tendenz sowohl zur Konzentration aber auch zur Vereinfachung resultieren kann. Dies lässt sich für das starke Interesse an Kuba in den 1960er, für Chile in den 1970er und für Nicaragua in den 1980er Jahren in der deutschen Öffentlichkeit feststellen. Manche Bücher versuchen dieses Problem insofern zu lösen, als sie für das 20. Jahrhundert dann wieder einzelne Schlüsselstaaten oder sog. Entwicklungspole in den Vordergrund rücken und individuell behandeln. Diese Verbindung eines themen- mit einem länderspezifischen Zugriff gilt etwa für die Historia global de América Latina. Del siglo XXI a la independencia des Argentiniers Héctor Pérez Brignoli. Der originelle Untertitel Vom 21. Jahrhundert zur Unabhängigkeit, womit er den Bezug zur formalen Unabhängigkeit von Spanien Anfang des 19. Jahrhunderts herstellt, verweist auf den Satz von Benedetto Groce »Alle Geschichte ist Zeitgeschichte«.20 Dass der Blick von außen und eine gewisse Distanz die Interpretationen erleichtern kann, zeigen die Geschichte Lateinamerikas des Italieners Loris Zanatta und die aktualisierte Version vom Forgotten Continent des Economist-Korrespondenten Michael Reid, die zusätzlich wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt.21 Zu Zentralamerika, wo sich die Institute für Geschichtswissenschaft erst später etablierten als in Südamerika, liegen mittlerweile gesonderte Darstellungen vor.22 Stefan Rinke hat neben wichtigen Büchern zum Thema einen Quellenband zur Geschichte Lateinamerikas vom 19. bis zum 21. Jahrhundert mit Periodisierungen vorgelegt.23

Eher themenorientierte Ansätze von Historikern sowie die stärker personenzentrierte oder an Naturkatastrophen orientierte Darstellung in den Medien stehen in einem gewissen Gegensatz zueinander. Frühe kulturalistische Interpretationen, die entweder auf das spanische Erbe bzw. auf die personalistischen Traditionen in Amerika verweisen, werden mittlerweile meist ausgeklammert oder als wenig wissenschaftlich angesehen. Allerdings verweisen sie auf nach wie vor vorhandene Aspekte lateinamerikanischer Politik, die berücksichtigt werden sollten.

Nicht unproblematisch fällt bereits die Festlegung von Schlüsseljahren aus. Bei der Unabhängigkeitsbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts, der mexikanischen Revolution ab 1910 und der kubanischen Revolution 1959 mag Konsens bestehen, immerhin handelte es sich in Mexiko um die erste große Revolution des 20. Jahrhunderts und Kuba gewann in Zeiten des Kalten Krieges hohe Bedeutung. Konsens besteht auch in Bezug auf die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929, welche die Importsubstitution, die sog. Entwicklung nach innen und die Phase des klassischen Populismus einleitete. Wer aber interessierte sich im Detail für die Revolutionen in Bolivien 1952? Im mexikanischen Fall stellten vor allem Datierung und Periodisierung der Revolution ein Problem dar sowie natürlich der komplizierte Ablauf, sofern man sich überhaupt genauer auf das dortige Geschehen einzulassen versucht. Zuweilen gewinnen die Entwicklungen in einem Land eine fast übermäßige Bedeutung, wie etwa der »friedliche Weg zum Sozialismus« in Chile 1970–1973 sowie die Ereignisse in Nicaragua nach der Machtübernahme durch die sandinistische Befreiungsfront FSLN 1979, die in den beiden deutschen Staaten sogar zu Kontroversen in der Innenpolitik führten.

Neuere Einführungen mit einem politikwissenschaftlichen Ansatz gehen zuweilen nach Jahrzehnten vor: Die 1970er Jahre waren durch Autoritarismus und Repression gekennzeichnet, in den 1980-Jahren folgte eine Demokratisierung. Für die 1990er Jahre brachte der Washington Konsensus eine Annäherung zwischen den USA und Lateinamerika und mit der wirtschaftlichen Öffnung wieder eine »Entwicklung nach außen«,24 die im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts von nationalpopulistischen Präsidenten im Zeichen des Rohstoffbooms in Frage gestellt wurde. Zum Ausgang der Dekade 2010–2020 lassen sich Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Regierungen konstatieren. Der besonders seit dem Zweiten Weltkrieg für den Halbkontinent feststellbare Trend von gemeinsamen politischen Wellenbewegungen (demokratische Entwicklungen nach 1945, ab den 1960er Jahren bis auf wenige Ausnahmen autoritäre Regime, seit Mitte der 1980er Jahre Re-Demokratisierung, neuer Populismus Anfang des 21. Jahrhunderts) lässt sich nicht mehr so deutlich festhalten. Möglicherweise ist dies ein Ausdruck weiterer Fragmentierung und Modernisierung der lateinamerikanischen Gesellschaften.

Eine kontinuierliche Beschäftigung mit Lateinamerika steht also einmal wegen gewissen Forschungstrends sowie vermeintlichen Schlüsselereignissen und -ländern vor Herausforderungen, die vorschnell als Indikatoren für die Gesamtentwicklung genommen werden, hinzu kommt das begrenzte Interesse in der europäischen Öffentlichkeit: Wenn Du einen Bucherfolg erzielen möchtest, dann publiziere zu Lord Nelson und nicht zu Lateinamerika, empfahl der englische Historiker Hugh Thomas. Oder, möchte man hinzufügen, zumindest zu revolutionären Gestalten wie Ernesto Che Guevara oder Fidel Castro, was ja oft genug geschieht.

In diesem Buch wird davon ausgegangen, dass in der Geschichtsschreibung nicht nur das betrachtet werden sollte, was sich ändert, sondern auch das, was relativ konstant bleibt. Einzelne Sozialwissenschaftler bezeichnen Lateinamerika als »politisches Museum«,25 d. h. es koexistieren Systeme und Herrschaftsformen, die scheinbar unterschiedlichen historischen Zeiten zuzuordnen sind. Mit anderen Worten: Neben modernen Formen oder sogar einer frühen Modernität in den Hafenstädten vor allem Südamerikas, die sich nicht zufällig an den Europa bzw. dem Ausland zugewandten Punkten befinden und damit aus der Sicht mancher Autoren Teil eines neokolonialen Systems sind, bestehen fast archaisch anmutende Herrschafts- und Lebensformen in ländlichen Regionen. Neben dem international vernetzten Unternehmer in der brasilianischen Megastadt São Paulo, wo es die höchste Zahl von Helikoptern weltweit geben soll, existiert der Kleinbauer auf dem Lande. Modernität und Tradition, Reichtum und Armut koexistieren also in ein und demselben politischen System. Oft gerät in Vergessenheit, dass die Moderne von einer sukzessiven Trennung der religiösen und politischen Sphäre ausgeht, d. h. von einer Säkularisierung, in Lateinamerika bleiben beide Sphären jedoch teilweise bis in die Gegenwart miteinander verbunden.

Zum Verständnis Lateinamerikas muss man sich darüber hinaus zum einen die Merkmale der spanischen Herrschaft und ihre Nachwirkungen vergegenwärtigen, zum anderen aber lässt sich der Halbkontinent nicht nur als das negative Spiegelbild der USA und damit als Opfer, Patient oder Problem begreifen. Insofern gilt es nicht bloß von einem Gegenbild zu dem angelsächsisch-europäischen Modell auszugehen, sondern von einer eigenen Tradition, die ausländische Einflüsse und Ideenströmungen auf ihre Weise integrierte und uminterpretierte. Nicht nur die entwicklungshemmenden Aspekte sollten bei der Betrachtung der »Neuen« Welt berücksichtigt werden, sondern auch die Potentiale und Leistungen. Diese Entwicklungen wurden z. B. nach dem Spanischen Bürgerkrieg sichtbar, als sich Exilierte in Argentinien, Mexiko und Venezuela niederließen und zu einem Aufschwung der Geistes- und Sozialwissenschaften beitrugen. Einzelne lateinamerikanische Großstädte galten damals als fortschrittlicher als das Spanien Francos.

Hier zeigt sich eine weitere Besonderheit des spanischen Erbes. Dort traten die Akademiker lange Zeit weniger in einen Konflikt mit den herrschenden Kräften, ja sie verliehen ihnen vielmehr Form und Inhalt, was sich auch in den überseeischen Gebieten zeigte. Der Verteidiger der Indigenen und Vorläufer der späteren Befreiungstheologie, der Priester Bartolomé de las Casas (1485–1566), wirkte zunächst innerhalb des Systems, d. h. der katholischen Kirche. Daher gab sich der spanische Humanismus national und monarchisch. Viele Iberoamerikaner folgten infolgedessen lieber einer scholastischen Doktrin und einer vorgegebenen Ordnung, während die meisten Angloamerikaner Anhänger des Pragmatismus und des individuellen wirtschaftlichen Aufstieges waren, was günstigere Voraussetzungen für liberale Demokratien schuf.

Der Verweis auf solche lateinamerikanischen Traditionslinien kann uns davor bewahren, vorübergehenden Tendenzen eine übermäßige Bedeutung beizumessen. So beschäftigte sich die Transitions- und Transformationsforschung in den USA und der Bundesrepublik weiterhin mit Re-Demokratisierungsprozessen in Lateinamerika, als dort bereits andere Fragen im Vordergrund standen. Zuletzt traf dies für den neueren Linkstrend in Südamerika zu – beginnend mit dem Regierungsantritt von Hugo Chávez in Venezuela 1999 bis zu seinem Tod 2013 bzw. darüber hinaus, der indessen einige Konstanten der dortigen Politik nicht in Frage stellte. Wahrscheinlich ist es sinnvoller, den Wechsel von den Militärregimen der 1960er und 1970er Jahre zu der Re-Demokratisierung als eine Art Kreislaufmodell lateinamerikanischer Politik anzusehen. Unter einer solchen Perspektive kann der nicht einheitliche Trend zu Mitte-Rechts-Regierungen ab 2015 nach freien Wahlen in Argentinien, Brasilien und Chile als eine Kurskorrektur des vorangegangenen »Linkstrends« gelten. Dies läuft nicht auf völlig neue Formen in der dortigen Politik hinaus, denn der Populismus kann sowohl links als auch rechts auftreten, selbst wenn im latein- bzw. iberoamerikanischen Kontext die einheimischen Akademiker gerne die progressiven Aspekte herausstreichen.

Etappen auf dem Weg zur Modernität in Lateinamerika

1.  Von der Unabhängigkeit 1826 bis 1900: Republiken mit internen Konflikten, ab 1870 »oligarchische« Modernisierung, Exportorientierung im langen 19. Jahrhundert

2.  Von 1910 bis 1945: Krisenperiode – Ende der oligarchischen Herrschaft, mexikanische Revolution 1910ff. und Aufstieg des historischen Nationalpopulismus

3.  1945 bis 1970: Expansionsphase nach dem Zweiten Weltkrieg – Desarrollismus (desarrollismo) und »Entwicklung nach innen« durch Importsubstitution

4.  1970 bis 1990: Krisenperiode – Militärdiktaturen, Re-Demokratisierung und die unter sozialen Gesichtspunkten »verlorene Dekade« der 1980er

5.  1990 bis 2000: Wirtschaftlicher Neoliberalismus und Wahldemokratie

6.  Ab 2000: Kurskorrekturen in der neoliberalen Ausrichtung / Rohstoffboom und neue (Links-) Populismen mit plebiszitären Elementen

7.  2015ff. Wahlerfolge konservativ-liberaler Regierungen, Auslaufen der »rosaroten« Welle; Ende 2019 aufkommende soziale Proteste; starke Auswirkungen der Corona-Pandemie in einzelnen Ländern 2020

Zu Ansatz und Aufbau

Dieses Buch sieht sich in der Tradition der Area Studies (Regionalstudien), die von spezifischen Merkmalen einer Region und eines Raums ausgehen. Diese Übereinstimmungen werden dem lateinamerikanischen Raum teilweise von außen zugeschrieben, im 20. Jahrhundert entstand jedoch bei einzelnen Gruppen ein lateinamerikanisches Bewusstsein, paradoxerweise häufig in Exilsituationen bzw. in Europa. Der Autor geht davon aus, dass in Lateinamerika gemeinsame Merkmale vorhanden sind, aber die Ära der Nationalstaaten dort keineswegs der Vergangenheit angehört. Die neuere Globalisierung wurde möglicherweise auch deshalb nicht als ein so starker Einschnitt empfunden, weil die Abhängigkeit vom Weltmarkt dort schon lange besteht und die »Globalisierung von unten« in Form von Migration und Arbeitsplatzsuche in den USA und Europa Verbesserungen für Teile der Bevölkerung bringen kann. Jürgen Osterhammel verwendet neben Globalisierung deshalb den Terminus Globalisierungen.26 Tatsächlich nimmt die Globalisierung in jeder Region bzw. jedem Land spezielle Ausprägungen an. In Lateinamerika hat die Kritik an der Globalisierung Tradition, sie kommt aus dem linken und rechten Spektrum und beinhaltet die Verteidigung der nationalen Souveränität und des Nationalstaates, von dem sich viele Akteure Maßnahmen zur Verteidigung der Schwächeren erhoffen.

Diese Darstellung möchte den Eindruck vermeiden, dass sich der Halbkontinent in einer permanenten Krise befindet. Immerhin durchläuft Lateinamerika seit dem Ende der neueren Militärdiktaturen in den 1980er Jahren die längste formal demokratische Phase seiner Geschichte. Anfang des 21. Jahrhunderts ließ sich eine Ausweitung der Mittelschichten in fast allen südamerikanischen Ländern feststellen. Auch einzelne Rückschläge ab ca. 2012, wie der erneute Anstieg der Armut und die autoritäre Regression in einigen Ländern, sollten nicht den Eindruck erwecken, dass es in Lateinamerika in sozialer und politischer Hinsicht immer schlechter werde. Die bereits erwähnten Zyklen zwischen Demokratie und Diktatur weisen allerdings darauf hin, dass eine Rückkehr von Militärs bzw. deren Beteiligung an Regierungen nicht auszuschließen sind. Unter den vermeintlich linken Regierungen wie die des Ex-Militärs Hugo Chávez wurde dies zumeist übersehen, mit dem Wahlsieg des rechten Ex-Militärs Jair Bolsonaro 2018 gelangte das Thema indessen in aller Munde. Beim Regierungswechsel in Bolivien 2019, bei dem Evo Morales ins Exil musste, spielten Polizei und Streitkräfte eine ausschlaggebende Rolle.

Dieses Buch bezieht sowohl historische als auch sozialwissenschaftliche Darstellungen mit ein. Ebenso wird internationale sowie nationale, aus den lateinamerikanischen Ländern stammende Literatur berücksichtigt. Journalistische und essayistische Texte gehören ebenfalls dazu, denn sie haben das Bild von dem Halbkontinent mit geformt.27 Bei den neueren Forschungen in englischer Sprache dominieren quantitative Ansätze, dadurch rücken die historischen Traditionslinien in den Hintergrund, weshalb sie hier nur punktuell herangezogen werden. Dies gilt ebenfalls für die Ansätze zur Globalgeschichte, die unter den lateinamerikanischen Kollegen wenig Anhänger besitzen.

Trotz Modifikationen und Reformen weisen einzelne Elemente eine bemerkenswerte Konstanz auf, z. B. der dortige Präsidentialismus. Bei den Parteien wiederum zeigen sich die weltweiten Krisensymptome dieser Organisationen, während es bei der Qualität der Wahlen seit der Re-Demokratisierung zunächst deutliche Verbesserungen gab. Der Populismus manifestiert sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in unterschiedlichen Erscheinungsformen, insgesamt ist er noch antipolitischer geworden. Gerade in diesem Punkt sind die Verbindungslinien zur jüngeren Entwicklung in westlichen Gesellschaften nicht zu übersehen, wo seit einigen Jahren ein Aufschwung des Populismus erfolgt. Das Militär wurde nach dem Ende des Kalten Krieges partiell modernisiert und verkleinert, es steht regionalen Kooperationen nicht mehr völlig ablehnend gegenüber; damit hat die seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende Abhängigkeit von den USA nachgelassen.

Regiert wird unter erschwerten Bedingungen, was mittlerweile aber auch für viele westliche Industriegesellschaften zutrifft. Die politische Guerilla scheint im 21. Jahrhundert ihren Zenit überschritten zu haben, religiös motivierte Gewalt spielt eine geringe Rolle. An die Stelle von politisch begründeter Gewalt traten Formen einer Narcoguerilla, d. h. einer Verbindung von Drogen und Gewalt. Die aktuellen Drogenbarone und ihre Handlungsmöglichkeiten erinnern an rechtsfreie Räume und Gefolgschaften in geteilten und konkurrierenden Ordnungen, die in der lateinamerikanischen Geschichte indessen keine Neuigkeit darstellen. Hingegen wurden die positiven Effekte sozialer Bewegungen in den 1990er Jahren überschätzt, später zeigte sich, wie schnell sie in vorhandene Herrschaftssysteme integriert werden konnten. Über das ›praktische‹ Regieren (Haushalte, Finanzverteilung etc.) in lateinamerikanischen Staaten wissen wir nach wie vor zu wenig, was an dem Mangel an historisch-empirischen Untersuchungen angesichts von ungenauen und in einigen Ländern wegen Einflussnahme von Regierungsseite umstrittener statistischer Angaben liegen mag.

Die aktuelle politische Landschaft wird vom Nachlassen des Rohstoffbooms mitbestimmt; eine besonders aus China herrührende Nachfrage hatte den Mitte-Links-Regierungen Anfang des 21. Jahrhunderts die Chance zu Verteilungspolitiken eröffnet. Allerdings lassen sich nicht alle Aspekte eines Umschwunges von links nach rechts auf den sog. Post-Extraktivismus zurückführen, d. h. auf die Zeit nach dem Nachlassen der hohen Rohstoffpreise.

Die Gliederung versucht, diesen Überlegungen Rechnung zu tragen: Die Gefahr von Projektionen auf Lateinamerika wird diskutiert ( Kap. 1). Geschichte und Gesellschaftsstruktur bilden Legate und Rahmenbedingungen der politischen Systeme. Hierzu zählt neben einer korporatistischen Tradition nicht zuletzt eine ausgeprägte Orientierung an Personen, was sich in der Politik und bei der Besetzung politischer Ämter niederschlägt. Im 19. Jahrhundert manifestiert sich bei den Vorkämpfern der Unabhängigkeitsbewegung ( Kap. 2), aber auch im Caudillismus und den »liberalen Oligarchien« ( Kap. 3) die Bedeutung personaler Beziehungen. Dies wird etwas detaillierter an den gegensätzlichen Fallbeispielen Chile und Venezuela dargestellt. Ein gesamtlateinamerikanisches Ereignis bildet die mexikanische Revolution ab 1910 und in den nachfolgenden Jahren. Mit ihr gewannen Intellektuelle und Künstler an Präsenz ( Kap. 4). Die Weltwirtschaftskrise von 1929 leitete zu protektionistischen Maßnahmen über und zur Ära des klassischen Populismus ( Kap. 5). Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich die USA als Hegemon etabliert, verdeckte und offene Interventionen bewirkten eine Verstärkung des Antiamerikanismus ( Kap. 6). Mit der kubanischen Revolution 1959 fand ein Aufschwung der Linken und der Guerilla statt ( Kap. 7). Dagegen und gegen sozialistische Reformversuche wie unter der Regierung der Volkseinheit UP in Chile 1970–1973 entstanden gegenrevolutionäre und repressive Militärregime, die eine Doktrin der nationalen Sicherheit propagierten ( Kap. 8). Schon in den 1980er Jahren begann eine Re-Demokratisierung in Südamerika, d. h. vor dem Epochenjahr 1989 ( Kap. 9Kap. 10Kap. 11Kap. 12Kap. 13Kap. 14Kap. 15