Christel Wasiek

Seniorenhilfe weltweit

Inhalt

Vorwort

von Ximena Romero Fuentes und Elisa Dulcey-Ruiz

Einleitung

1. Kapitel

Entwicklungszusammenarbeit und andere Kooperationen

2. Kapitel

Uruguay

3. Kapitel

Mexiko

4. Kapitel

Kuba

5. Kapitel

Das Lateinamerikanische Netzwerk Gerontologie

6. Kapitel

Peru

7. Kapitel

Chile

8. Kapitel

Brasilien

9. Kapitel

Kolumbien

10. Kapitel

Die Christel Wasiek-Stiftung Seniorenhilfe weltweit

Nachwort

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Dank

Zur Person

Vorwort

„Seniorenhilfe weltweit“ ist ein notwendiges Buch. Es dokumentiert die Arbeit der Zivilgesellschaft im Bereich Altern und Alter in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik in einer wichtigen Phase. Die Erfahrungen der Autorin in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bilden dazu die Grundlage.

Diese Kooperation über Grenzen hinweg verweist sogleich auf die Bedeutung des Dialogs über Kulturen und Geschichte. Darin spiegeln sich die große Heterogenität und Vielfalt der Kontexte und Situationen wider, in denen die Prozesse des Lebens mit dem Altern in den verschiedenen Ländern und Orten ablaufen.

Die Vereinten Nationen haben erklärt: Das demografische Altern ist „ein entscheidendes Merkmal des gegenwärtigen 21. Jahrhunderts“ und eine Folge der historisch erreichten besseren Lebensbedingungen. Diese erlauben immer mehr Menschen ein längeres Leben. Die UN haben allerdings auch gesagt: Die jeweiligen historischen, geografischen, soziokulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen das Altern der Menschen in den verschiedenen Ländern der Welt stattfindet, sind außerordentlich heterogen und von vielen Ungleichheiten geprägt.

In dem über ein halbes Jahrhundert anhaltenden Engagement der Autorin für die Verbesserung der Lebensqualität der Seniorenbevölkerung hat sie die heterogenen Bedingungen in Lateinamerika und der Karibik kennen- und verstehen gelernt. Diese sind ganz allgemein ungünstig. Sie sind es im Besonderen für die ländlichen, indigenen und afroamerikanischen Bevölkerungsgruppen. Die Kapitel zu einzelnen Ländern in diesem Buch gehen jeweils darauf ein. Daraus ist zu begreifen, dass die allgemein großen Unterschiede in der Versorgung und der wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit der lateinamerikanischen Bevölkerung während des gesamten Lebens sich im Alter noch verschärfen.

Diese Realität hat sich in den 50 Jahren, aus denen berichtet wird, zwar nicht umfassend, aber doch in Teilen verändert. Daran haben auch die deutschen Partner in der Entwicklungszusammenarbeit, u.a. Caritas, Misereor, Brot für die Welt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mitgewirkt, schließlich die Stiftung Seniorenhilfe weltweit, von Christel Wasiek 2008 gegründet. Um solche Veränderungen, erreichte und noch ausstehende, geht es in diesem Buch.

Die dabei leitenden Verpflichtungen und Prinzipien sind evident:

die Verteidigung der Menschenrechte der Senior/innen,

die Verhinderung von Missbrauch und Gewalt gegen sie,

die Achtung ihrer Würde und ihres Selbstbestimmungsrechts,

die Förderung ihrer Partizipation,

die Intensivierung des Dialogs zwischen den Generationen sowie

der Austausch zwischen den spezifischen Wissenschaften,

die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter/innen in der sozialen Gerontologie,

die sozialräumliche Orientierung der sozialen Seniorenarbeit mit dem grundlegenden Ziel, eine „Gesellschaft für alle Lebensalter“ (UN) aufzubauen.

Senior/innen sollen also die notwendige Unterstützung erhalten, aus eigener Kraft Veränderungen anzustreben. Sie sollen die Möglichkeiten haben, auf ihre eigenen Bedürfnisse einzugehen. Sie sollen daran mitwirken können, dass die Gesellschaften und ihr Umfeld ihr Alter und ihre Würde respektieren. Sie sollen Gestalter ihrer eigenen Entwicklung sein, sich selbst organisieren, ihre Interessen vertreten und sich an politischen und sozialen Prozessen beteiligen können. Dieser Ansatz entspricht unserem Zeitgeist, er verabschiedet sich von bloßer Fürsorge und Paternalismus, er betont die Arbeit mit statt für Menschen.

Die unmittelbare Aufmerksamkeit gilt dabei der Armut bzw. den Armen. Aber sie geht auch immer darüber hinaus. Ein Beispiel dafür ist die Gründung des Lateinamerikanischen Netzwerks Gerontologie (Red Latinoamericana de Gerontología, RLG). Es wurde 1999 in Uruguay ins Leben gerufen und verbindet, vor allem durch sein ständig aktualisiertes Internet-Portal www.gerontologia.org, Mitarbeiter/innen in der lokalen Seniorenarbeit auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent in einem beständigen Austausch.

Eines der Themen im Netzwerk RLG widmet sich der Mehrgenerationenarbeit. Dazu wurden vor allem in Uruguay, Brasilien, Peru und Mexiko Erfahrungen gesammelt, die Länder-Kapitel im Buch berichten darüber. Die Idee hat sich über den Kontinent von Land zu Land verbreitet. Es begann mit einer Initiative in Uruguay, die auf dauerhafte Win-Win-Beziehungen setzte: Ältere Menschen begleiten Kinder und Jugendliche und umgekehrt, sie sind sich gegenseitig Mentoren und entwickeln prägende, symmetrische und komplexe Beziehungen: nicht für-, sondern miteinander.

Immer geht es um eine perspektivische Arbeit, die über den Notfall sowie die direkte und akute Hilfe hinausreicht. Die Autorin nennt diesen Ansatz „fördernd“: Menschen werden motiviert und befähigt, ihr Altsein mit Autonomie und Partizipation, sozialem und gemeinschaftlichem Engagement zu erreichen. Sie erleben ihr Alter in lebenswerter Qualität.

Die hier aufgenommenen Fotografien von Christel Wasiek zeigen dazu einige Wirklichkeiten aus „alten Zeiten“, auf die die soziale Gerontologie reagiert hat. Vor allem aber geben sie auf ihre Art vielen älteren Frauen und Männern aus Lateinamerika und der Karibik eine „Stimme“, einen unmittelbaren Ausdruck. Für sie also ist dieses Buch notwendig.

Ximena Romero Fuentes Elisa Dulcey Ruiz
Koordinatorin Kolumbien-Korrespondentin

des Lateinamerikanischen Netzwerks Gerontologie, RLG.

Einleitung

In „Seniorenhilfe weltweit“ schildere ich meine Mitarbeit und mein Engagement in der sozialen Seniorenarbeit seit Anfang der 1970er Jahre in Lateinamerika und der Karibik, zu einer Zeit also, als das weltweite Altern der Bevölkerung noch nicht als Zukunftsaufgabe erkannt worden war. Dennoch gab es auch vor 50 Jahren in einigen Ländern erste Bemühungen, vor allem der Zivilgesellschaft, die Auswirkungen des demografischen Wandels nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern neue Wege zu beschreiten, damit alte Menschen, die in den Ländern des globalen Südens mehrheitlich in Armut leben, in Würde und mit allen Rechten altern können.

Im Jahr 1970, als ich meinen Entwicklungsdienst in Uruguay antrat, bin ich in eine solche Situation des Anfangs und der Entwicklung sozialgerontologischer Arbeit gekommen und seitdem auf unterschiedliche Weise mit dem Thema verbunden geblieben. Die Erfahrungen vieler Jahre haben meine Überzeugung bestätigt und verstärkt, dass der demografische Wandel mit seinen gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüchen eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit ist.

Schwerpunktmäßig wird im Buch eine Auswahl meiner sozialgerontologischen Erfahrungen in chronologischen Schritten dargestellt, beginnend 1970 in Uruguay (Kapitel 2), gefolgt von den Ländern Mexiko (Kapitel 3), Kuba (Kapitel 4), Peru (Kapitel 6), Chile (Kapitel 7), Brasilien (Kapitel 8) und Kolumbien (Kapitel 9). Es wird darin deutlich, dass jedes Land das Altern der Bevölkerung und die spezifischen Herausforderungen des demografischen Wandels anders erlebt und eigene Wege der Beantwortung sucht und beschreitet. Drei weitere Kapitel sind thematisch orientiert und behandeln die Entwicklung und Wirksamkeit des regionalen Netzwerkes Red Latinoamericana de Gerontología (Lateinamerikanisches Netzwerk Gerontologie, Kapitel 5), die bisherige Berücksichtigung von alten Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit (Kapitel 1) und die Arbeit der Stiftung Seniorenhilfe weltweit (Kapitel 10). In allen Kapiteln werden fachliche und persönliche Erfahrungen integriert: in die Bereiche Soziale Seniorenarbeit, Projektentwicklungen, Zusammenarbeit und Begegnung mit Menschen in gemeinsam erlebten Erfolgen, Krisen, Grenzen und zukunftsweisenden Fortschritten sowie Kooperation mit Institutionen vor Ort und in Deutschland.

Die 50jährigen Erfahrungen in der sozialen Seniorenarbeit habe ich nicht allein, sondern immer mit anderen gemeinsam gemacht. Gerade Entwicklungsdienst und Entwicklungszusammenarbeit sind besonders gut geeignet, Menschen durch den Austausch von Gedanken und Zielen zum gemeinsamen Handeln zusammenzuführen. Ich habe immer wieder gemeinsame Praxis, gegenseitiges Lernen und darauf aufbauend neue Entwicklungen erlebt, und zwar mit Kolleg/innen und in Organisationen, aber auch auf internationaler Ebene. Ein Beispiel: Ohne die Bemühungen der lateinamerikanischen Länder, eine UN-Konvention über den Schutz der Seniorenrechte durchzusetzen, würde es in Europa und Deutschland keine Diskussion über die Menschenrechtssituation von Pflegebedürftigen geben. Umgekehrt gilt das auch: Unsere Erfahrung aus der Vergangenheit, die Versorgung in Altenheimen zu priorisieren, muss in anderen Ländern nicht wiederholt werden. Die ambulanten Pflegedienste sollten von vornherein Vorrang haben.

Bisher ist die Weitergabe von sozialgerontologischer Praxiserfahrung in Lateinamerika und der Karibik immer noch selten und bezieht sich dann vor allem auf Einzelerfahrungen. Es

hat sich daher auch kein breites fachspezifisches Wissen angesammelt, sodass vielen Fachleuten bedauerlicherweise die Geschichte der Seniorensozialarbeit ihrer Region nicht mehr bekannt ist. Meine persönlichen Erfahrungen spiegeln nicht die gesamte Erfahrungsbreite in Lateinamerika und der Karibik wider, allerdings beschreibt „Seniorenhilfe weltweit – Erfahrungen in Lateinamerika“ Entwicklungen in verschiedenen Ländern mit kontinentaler und internationaler Ausstrahlung, die die Sozialgerontologie in der Region beeinflusst haben.

„Seniorenhilfe weltweit – Erfahrungen in Lateinamerika“ lädt daher Interessierte an der Seniorenarbeit – haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen in Lateinamerika und der Karibik, aber auch in Deutschland – ein, sich von den geschilderten Erfahrungen für die eigene Praxis der sozialen Seniorenarbeit anregen zu lassen.

Das Buch appelliert aber auch an die Verantwortlichen in der Entwicklungszusammenarbeit, die Folgen des demografischen Wandels aktiv in ihre Projektpolicy einzubeziehen, um einen Beitrag zur Bekämpfung der Armut der Seniorenbevölkerung in den Entwicklungsländern zu leisten. Verantwortlichen in Politik und Zivilgesellschaft wird die Lektüre des Buches vielleicht eine Möglichkeit eröffnen, die Folgen des demografischen Wandels für die Seniorenbevölkerung neu zu sehen.

Seit ich in den 1970er Jahren erstmals mit der Situation der Seniorenbevölkerung konfrontiert wurde, hat sich vieles verändert und manches verbessert. Meine Erfahrungen möchte ich mit diesem Buch weitergeben und hoffe, sie sind für Leserinnen und Leser von Interesse und regen eine ständig verbesserte Sozialgerontologie in Gesellschaft und Politik an, wo auch immer.

Zur inneren Ordnung dieses Buches und wie Sie sich orientieren können

Ich darf Ihnen ein paar Hinweise zur Lektüre geben: Selbstverständlich können Sie vorn beginnen und bis zur letzten Seite durchlesen, der Text ergibt ein Ganzes. Je nach Ihrem Interesse und der Ihnen zur Verfügung stehenden Zeit können Sie aber auch selektiv und gezielt lesen:

2021

Das Buch und die Kapitel sind weitgehend chronologisch aufgebaut, Jahreszahlen am Rand geben Ihnen Hinweise.

Kapitelüberschriften zeigen an, wo Sie speziell über ein Land informiert werden bzw. über länderübergreifende Themen.

In den Kapiteln sind die Abschnitte nach Inhalten für Sie erkennbar anhand der Zeichen am Rand:

Ein blaues Dreieck kennzeichnet allgemeine Informationen zum jeweiligen Land und zur Gerontologie.

Ein rotes Dreieck markiert Erhebungen, Analysen, Statistiken und Bewertungen zur Situation.

Grün sind praktische Maßnahmen und Aktionen in der sozialen Gerontologie gekennzeichnet.

Neben den gelben Dreiecken können Sie meine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen lesen.

Ich hoffe, das erleichtert Ihnen die gezielte Suche und das Lesen!

Christel Wasiek

1. Kapitel

Entwicklungszusammenarbeit und andere Kooperationen

Wie es war

Seit meinem Entwicklungsdienst in Uruguay (1970 – 1977), als ich mit dem demografischen Wandel und seinen Auswirkungen auf die Seniorenbevölkerung in Lateinamerika erstmalig in Berührung gekommen bin, beschäftigt mich das weltweite Altern, speziell in Lateinamerika und der Karibik, sowie die internationale Kooperation zu diesem Bereich. In der Projektpolitik der Entwicklungsorganisationen kam damals die Zielgruppe alte Menschen nur am Rande vor. Anstatt die Wirklichkeit in den Blick zu nehmen, wurde noch der Mythos von der in den Ländern des Südens heilen Familie, in der die Generationen füreinander da sind, gepflegt und man hielt die Altenbevölkerung für die Entwicklung eines Landes nicht für relevant. Dabei war insbesondere in einigen lateinamerikanischen Ländern bereits eine starke Zunahme der Seniorenbevölkerung festzustellen, ohne dass diese sich durch sozialpolitische Maßnahmen darauf vorbereitet hätten. Alte Menschen in Lateinamerika lebten damals und leben auch heute überwiegend in Armut oder extremer Armut.

Persönliche Erfahrungen

Nach meiner Rückkehr aus Uruguay habe ich einige Jahre in der Altenhilfe beim Deutschen Caritasverband (DCV) gearbeitet, hatte also schwerpunktmäßig mit der deutschen Seniorensozialarbeit zu tun, auch wenn weiterhin Verbindungen zu Lateinamerika bestanden. Die organisatorische und räumliche Nähe zur Auslandsabteilung des DCV, wie Caritas international damals hieß, war hilfreich, um das Bewusstsein für das Thema wach zu halten, bei Bedarf fachbezogene Stellungnahmen abzugeben oder in Diskussionen einbezogen zu werden. Meine Referatsleiterin hat mir, aus meiner Sicht erfreulicherweise, den internationalen Part der Arbeit überlassen, sodass ich den DCV im Bereich der Altenhilfe bei Caritas Europa vertreten konnte. Gerade aus den europäischen Verbindungen hat sich Anfang der 1980er Jahre eine mehrjährige Beratungstätigkeit bei der Integration alter sogenannter Rückkehrer aus den früheren portugiesischen Kolonien und dem Aufbau einer Dienstleistungsstruktur bei Cáritas Portuguesa ergeben. Nach den Jahren in Uruguay haben mich die internationalen Bezüge der Seniorenarbeit besonders interessiert.

Neue Ziele der Politik

1979

Ein Austausch zwischen dem Fachreferat Altenhilfe und der Auslandsabteilung ergab sich, als 1979 das Bundesministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) entwicklungspolitische Leitlinien für die Förderung äußerst benachteiligter sozialer Randgruppen erarbeitet hatte, in der neben verwahrlosten Jugendlichen, Mütterfamilien, Behinderten oder Prostituierten auch „verlassene alte Menschen in städtischen Elendsvierteln und verlassene alte Menschen auf dem Lande“ benannt wurden. Es wurde festgestellt, dass es sich bei den „äußerst benachteiligten sozialen Randgruppen“ zahlenmäßig um etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung handelte, die weitgehend sozial desintegriert war. Aus Sicht des BMZ ergab sich hier ein sozialpolitisches Aufgabenfeld, das unmittelbar in den Förderbereich der Entwicklungspolitik fiel. Zielrichtung von entwicklungspolitischen Maßnahmen sollte die Integration der sogenannten Randgruppen, die Qualifizierung von Fachpersonal und die Entwicklung umfassender Sozialpolitikprogramme sein. In unserer Stellungnahme zu den Leitlinien haben wir wie das BMZ darauf abgehoben, dass bei der Förderung von Altenhilfeprogrammen vor allem die Integration alter Menschen in die Gesellschaft zu berücksichtigen und dass ein der Wirklichkeit entsprechendes Altersbild zu entwickeln sei. Die entwicklungspolitischen Maßnahmen sollten insbesondere nationale Träger ermutigen, neue Konzepte der Altenhilfe zu erstellen und in der Praxis umzusetzen, damit das rein betreuerische Konzept in der Altenarbeit von der Förderung der Fähigkeiten der alten Menschen abgelöst würde.

Da grundsätzlich das gesamte Förderinstrumentarium des BMZ zur Verfügung stehen sollte, ist allerdings nachzufragen, warum im Seniorenbereich dennoch wenig gefördert wurde, während der Behindertensektor sich stark entwickelte.

Die Hilfe für Seniorenprojekte war peripher

1981

Da die Hilfe für Projekte mit Senioren in den Entwicklungsorganisationen kein Förderschwerpunkt war, wusste niemand so genau, welche Ziele und Inhalte die beantragten Altenhilfeprojekte verfolgten. Der Zugang zu den kirchlichen Hilfswerken war einfach, so konnte ich beim Bischöflichen Hilfswerk Misereor und dem DCV die Projektanträge und Zuschüsse für Altenarbeit im Jahr 1981 auswerten: Beim DCV waren von 241 insgesamt eingegangenen Anträgen 11 der Altenarbeit zuzuordnen, die mit 133.000,00 D-Mark oder 2,9 Prozent des Gesamtbewilligungsvolumens gefördert wurden. Die entsprechenden Zahlen für Misereor lauten: 297 von 242.000 Anträgen, gefördert mit 297.000,00 D-Mark oder 0,12 Prozent des Bewilligungsvolumens.

1989 - 1996

Eine spätere Auswertung von Altenhilfeanträgen beim DCV Anträge aus 22 Ländern eingegangen sind. Davon wurden 23 mit sehr unterschiedlichen Beträgen finanziert. Von den 94 Anträgen betrafen 64 Altenheime, vor allem Bauvorhaben oder Anschaffungen für die Ausstattung. Neun der Anträge für Altenheime wurden bewilligt. Die übrigen finanzierten Vorhaben betrafen offene Dienste der Altenhilfe, den Bau von Altenwohnungen oder die Fortbildung von Mitarbeiter/innen. hat ergeben, dass in den Jahren 1989 bis 1996 insgesamt 94

Diese Auswertungen haben zwar einen geringen Erkenntniswert, sie lassen aber den Schluss zu, dass Seniorenarbeit in der Kooperation mit den kirchlichen Hilfswerken kein Thema war, weder bei den Entwicklungsorganisationen in Deutschland noch bei den Partnerorganisationen in den Ländern des Südens. Gerade bei den Anträgen für Altenheime ist zu vermuten, dass es sich bei den Antragstellern nicht um Caritasverbände, sondern um Kongregationen, also kirchliche Ordensgemeinschaften, die Träger von Altenheimen waren, handelte.

Erste Überlegungen

1989

Im Laufe der Jahre hatte sich in der kirchlichen Entwicklungsarbeit dann doch etwas Bewusstsein für die Bedeutung des Themas entwickelt, sodass im Jahr 1989 Misereor und der DCV gemeinsam Kriterien für die Bewertung von Altenhilfeanträgen entwickelt haben. Bis dahin kam es, wie ein Abteilungsleiter feststellte, sehr auf die persönliche Einstellung der jeweiligen Projektreferenten an, ob ein Antrag bewilligt wurde oder nicht. Dieses gemeinsame Kriterienpapier sollte die Projektarbeit auf eine objektivere und fachlichere Ebene bringen, hatte aber in der Praxis beider Organisationen wenig Bedeutung.

Internationale Bedeutungszunahme der Sozialgerontologie

1982

Auch in anderen Ländern und auf internationaler Ebene hatte sich in der Zwischenzeit einiges entwickelt. Noch während meiner Jahre im Entwicklungsdienst hat sich die „International Federation on Aging“ gegründet, die sich sehr bald dafür einsetzte, dass die Vereinten Nationen sich mit dem Thema befassten. 1982 haben dann in Wien eine internationale NGO-Konferenz und die I. UN-Weltversammlung über Fragen des Alters stattgefunden. Dass das Thema für die UN nicht besonders wichtig war, ist daran zu erkennen, dass keine Konferenz, sondern nur eine Weltversammlung veranstaltet wurde. An beiden Veranstaltungen hat eine Delegation von Caritas Internationalis (CI), der Dachorganisation der nationalen Caritasverbände in Rom, teilgenommen und mitgewirkt, nachdem der DCV sich dafür eingesetzt hatte.

Bei beiden Veranstaltungen wurde erstmalig international deutlich, dass Fragen des Alters und des Alterns nicht nur für die westlichen Industrieländer, sondern in zunehmendem Maße auch für die Länder des globalen Südens von Bedeutung sind bzw. sein würden. Die Altenbevölkerung nahm bereits seit Jahren weltweit zu, aber gerade auch die Entwicklungsländer waren nicht darauf vorbereitet, die Folgen des demografischen Wandels sozialpolitisch zu bewältigen. Alter und Altern wurden nun als Aufgabe der Politik verstanden. Themenfelder waren z.B. der Ausbau der gesundheitlichen Basisversorgung der Seniorenbevölkerung, die Förderung der Selbstorganisation und Selbsthilfe sowie die Qualifizierung von Mitarbeitern.

Positiv war zu bewerten, dass die Weltgemeinschaft Bewusstsein für den weltweiten demografischen Wandel und seine gesellschaftlichen Folgen entwickelt hat. Leider wurden keine verbindlichen Umsetzungsvorschläge und Kontrollmechanismen für die Erreichung der Ziele vorgesehen, sodass die Entwicklung in den Ländern nur zögernd voran ging. Aber das Thema war auf der internationalen Agenda angekommen.

UN-Aktivitäten

1991, 1992, 1995, 1999

Auf internationaler Ebene haben in den Folgejahren verschiedene Veranstaltungen stattgefunden, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem demografischen Wandel beschäftigt haben. Zu nennen sind 1991 die UN-Generalversammlung, die fünf seniorenpolitische Leitlinien verabschiedet hat, und die Proklamation des Jahres 1999 zum internationalen Jahr der Senioren mit dem Thema „Eine Gesellschaft für alle Lebensalter“ durch die UN. Auch die UN-Bevölkerungskonferenz in Kairo (1992), der Weltgipfel für soziale Entwicklung in Kopenhagen (1995) und die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (2015) haben Anstöße zur Sicherstellung der Grundbedürfnisse alter Menschen gegeben.

2002

Größere Bedeutung hatte dann die II. UN-Weltversammlung über Fragen des Alters im Jahr 2002 in Madrid, zwanzig Jah- re nach der ersten UN-Weltversammlung, der ebenso wie in Wien eine NGO-Versammlung vorausging. Die II. UN-Weltversammlung hat noch einmal eindringlich auf die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage der Seniorenbevölkerung in den Ländern des globalen Südens aufmerksam gemacht. Der Internationale Aktionsplan von Madrid über das Altern stützt sich inhaltlich auf den Weltaltenplan von Wien und fordert Regierungen und Zivilgesellschaften auf, die Auswirkungen des weltweiten Alterns unter Berücksichtigung der Bedürfnisse alter Menschen sozialpolitisch zu gestalten. Im Unterschied zum Wiener Weltaltenplan verpflichtet sich die UN zur Unterstützung und Begleitung der Regierungen bei der Umsetzung des Plans und zur Durchführung von regionalen Folgeveranstaltungen, um den Austausch über die ergriffenen Maßnahmen zu erleichtern.