© 2021 Christoph-Maria Liegener
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Cover-Bild: Rechte beim Autor
ISBN: 9783753468945
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Märchen erzählen uns von allgegenwärtigen Wahrheiten. Es geht nicht nur um die Vergangenheit. Vielmehr wird in Gleichnissen die Psychologie hinter unseren täglichen Verhaltensweisen verdeutlicht. Vieles geschieht dauernd um uns herum. Man muss nur genau hinsehen und das Grundschema wiederentdecken.
So ein Geschehen wird in dem vorliegenden Roman aufgerollt. Klar, dass alles frei erfunden ist.
Viele, die in den Wissenschaftsbetrieb gehen, hoffen, dort einen Elfenbeinturm vorzufinden. Dem ist nicht so. Auch Wissenschaft wird von Menschen gemacht, Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen. So kann denn auch diese Nacherzählung des Märchens von Schneewittchen und den sieben Zwergen in der Wissenschaft spielen. Das ist nicht böse gemeint, sondern satirisch.
Da in dem Roman transgender Personen die Hauptrollen spielen, möchte ich erwähnen, dass ich die Beschreibung dieser Personen so sorgfältig wie möglich vorgenommen habe. Auch wenn ich selbst über keine einschlägige Erfahrung auf diesem Gebiet verfüge, so habe ich doch umfangreiche Recherchen vorgenommen.
Danken möchte ich vor allem meiner Familie, von der ich nicht nur Unterstützung erhielt, sondern auch die eine oder andere gute Idee.
Christoph-Maria Liegener
„Will nicht raus, will drinnen spielen!“, protestierte der fünfjährige Robert laut schreiend. Seine Mutter, die ihn zum Spielen nach draußen hatte schicken wollen, gab auf. Alle Jungs der Nachbarschaft spielten auf dem Platz gegenüber Fußball, nur ihrer war nicht dabei. Er behauptete, Fußball nicht zu mögen. Das beunruhigte die Mutter. Welcher Junge mochte nicht Fußball? Ihr Sohn würde doch nicht etwa zu einem Weichei werden?! Musste sie sich Sorgen machen? Ihr Mann, Roberts Vater, beruhigte sie. Sie müsse sich nicht von Klischees verrückt machen lassen. Auch unsportliche Jungen könnten als Erwachsene ihren Mann stehen.
Robert wirkte überhaupt nicht wie ein typischer fünfjähriger Junge. Er spielt lieber mit Figuren und Puppen, als draußen herumzutoben. Da er ein Junge war, bekam er relativ selten Puppen geschenkt, aber er bastelte sich selber welche. Eine künstlerische Begabung zeichnete sich ab. Auch beim Malen und Zeichnen brachte er kleine Kunstwerke zustande.
Er lernte schon vor der Schule viel, da seine Eltern beide Lehrer waren und ihn früh fördern wollten. Leider arbeiteten sie beide und so blieb Robert als Einzelkind den halben Tag für sich. Die Eltern hatten zwar eine Haushaltshilfe angestellt, die ein Auge auf den Jungen hatte, aber hauptsächlich eben doch mit der Hausarbeit zu tun hatte. Das stellte kein Problem dar; denn Robert konnte sich wunderbar selbst beschäftigen.
Der Junge ertrug die Abwesenheit seiner Eltern geduldig, jammerte nicht bei ihrem Weggehen morgens und vertrieb sich seine Zeit den Tag über mit sich selbst. Umso mehr redete er mit ihnen, wenn sie wieder da waren. Wie ein Wasserfall sprudelte er los und erzählte, was er den Tag über alles mit seinen Puppen erlebt hatte. Die Eltern taten ein Übriges, seine Selbstständigkeit zu fördern und so wuchs Robert zu einem Jugendlichen heran, der ruhig und selbstsicher seinen Weg ging. Nichts konnte ihn so leicht aus der Ruhe bringen.
In der Schule brillierte er in allen Fächern außer Sport. Sprachliches Talent war ihm ebenso in die Wiege gelegt worden wie eine große Begabung für Mathematik und die Naturwissenschaften. Er verstand alles auf Anhieb und konnte die schwierigsten Aufgaben mit Leichtigkeit lösen. Nie hätte er sich einfallen lassen, sich etwas darauf einzubilden. Sein Wissen gab er gerne weiter und half den schwächeren Schülern.
Mit seinem Leben schien er restlos zufrieden zu sein. Da es ihm augenscheinlich gut ging, hatten seine Eltern ihre Pläne aufgegeben, ihn abzuhärten. Es lief doch alles bestens! Einmal hatten sie ihm noch vorgeschlagen, allein zu einem Jugendcamp zu fahren, waren aber bei ihm auf keinerlei Interesse gestoßen. Auch zu den Pfadfindern wollte er nicht. Stattdessen nahm er Klavier- und Ballettunterricht.
In der Pubertät merkte Robert, dass etwas nicht stimmte. Er fühlte sich einfach nicht wie ein Junge, der ein Mann werden wollte. Diese zukünftige Rolle machte ihm Angst. Aber als eine Kämpfernatur versuchte er zunächst, den ihm vorgezeichneten Weg zu gehen. Erste Versuche, mit gleichaltrigen Mädchen zusammenzukommen, scheiterten entweder im Vorfeld oder erwiesen sich zumindest als nicht befriedigend. Er stellte fest: Das war nicht das, worauf er Lust hatte. Nunmehr fühlte er sich verunsichert. Seine Unbeholfenheit in der sexuellen Begegnung könnte auf seiner Unerfahrenheit in der Hinsicht beruhen. Er informierte sich umfassend über Sexualität und übte das Zusammensein mit Mädchen, so gut er konnte. Es funktionierte immer noch nicht. Er knüpfte zwar freundschaftliche Kontakte, aber fühlte sich bei intimen Begegnungen nicht wohl. Das erotische Knistern fehlte. Er las und hörte davon, konnte es aber selbst nicht erleben. Die Unerfahrenheit war es also offenbar nicht, was fehlte. Zum ersten Mal in seinem Leben scheiterte er. Das verstörte ihn. Mehr noch: Er verlor sein Selbstvertrauen und bekam psychische Probleme.
Die Eltern brachten ihn zu einem Psychiater, der ihn lange befragte. Robert selbst forschte vermehrt in sich selbst nach Ursachen. Schließlich stellte er fest, dass er sich in seinem Körper nicht wohlfühlte. Er besprach dieses Gefühl mit seinem Psychiater, der ihm mit Fragen weiterhalf.
Was Robert nach langem Nachdenken herausspürte, war, dass er offenbar im falschen Körper steckte. Obwohl körperlich männlich geboren, fühlte er sich vom Geschlecht her weiblich. In Wirklichkeit dürfte er eine junge transgender Frau sein. Die Eltern diskutierten mit dem Psychiater und mehreren weiteren Ärzten und versuchten, ihm Ratschläge zu geben.
Seine sexuelle Identität zu suchen, stellte eine schwierige Aufgabe für Robert dar. Es ging nicht einfach nur um männlich oder weiblich. Was genau war er? So einfach konnte er die Frage nicht beantworten. Trotzdem hatte er das Gefühl, etwas tun zu müssen. Er wollte sich für eine Identität entscheiden. Seine Eltern und die Ärzte unterstützten ihn in dieser Zeit des Umbruchs. Er hatte am Ende erkannt, dass es das Beste für ihn wäre, seine wahre Genderrolle als die einer jungen Frau auszuleben. Dabei standen nicht sexuelle Aktivitäten im Vordergrund, sondern die Art, wie er sich selbst sah. Er wollte eine Rolle spielen, mit der er sich identifizieren konnte. Die Frage, wie er diese körperlich verwirklichen könnte, stellte sich für ihn derzeit nicht. Das würde sich später zeigen.
All die Probleme, die sich in der Praxis dabei stellten, erwiesen sich als lösbar. Es gab eine Verhandlung vor dem Amtsgericht, bei der er zwei ärztliche Atteste vorlegen musste. Eine Gebühr wurde fällig. Für die Namensänderung musste er aufs Standesamt.
Als sie herauskam, war sie eine Frau, hieß nun Roberta, würde sich weiblich kleiden und sich verhalten wie ein Mädchen. Um den Übergang einfacher zu gestalten, wechselte Roberta die Schule und wurde in ihrer neuen Umgebung gleich mit ihrem neuen Namen eingeführt. Eine geschlechtsangleichende Operation schien zu dem Zeitpunkt nicht notwendig zu sein, einige Hormonpräparate sollten genügen. Vom Sportunterricht wurde sie befreit, konnte in einem Verein mit separaten Umkleidekabinen Körperertüchtigung treiben.
Roberta fühlte sich in ihrer neuen Schule wohl. Umschwärmt wurde sie nicht, obwohl sie mit ihrer androgynen Erscheinung bildhübsch wirkte. Sie blieb gern allein, und, da sie allgemein respektiert wurde, ließ man sie in Ruhe.
Irgendwann baute sie wieder engere Beziehungen zu Gleichaltrigen auf. Da sie jetzt ein Mädchen war, interessierten sich eher Jungen für sie. Bei näherem Kontakt spürten diese jedoch – zumindest unbewusst – seine männlichen Züge, die sich in der Vergangenheit doch in gewissem Maß ausgeprägt hatten. Roberta hatte noch nicht alle männlichen Verhaltensmuster endgültig überwunden.