Alternative zur Menschine II
© 2018 Günther Mohr
Verlag und Druck: tredition GmbH
Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
978-3-7439-7963-5 (Paperback)
978-3-7439-7964-2 (Hardcover)
978-3-7439-7965-9 (e-Book)
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Titelbild: Günther Mohr
Mein persönliches Interesse an den Dialogverfahren liegt darin begründet, dass ich seit vielen Jahren meine Arbeit in Supervisionsgruppen begleiten lasse. Dort hat sich eine sehr wertschätzende Art des Zusammenarbeitens entwickelt. Außerdem habe ich viele Jahre Erfahrung mit Systemen, die in verschiedensten Varianten kollegiale Beratung nutzen. Ein Highlight war die Konzeption und Implementierung eines Systems von Unterstützungsgruppen, das sehr stark dialogischen Prinzipien entsprach (Mohr, 2014), in einem Unternehmen.
Als zertifiziert und lehrberechtigt in der humanistischpsychologischen Methode „Transaktionsanalyse“, die als Gruppenmethode eingeführt wurde, um dem Einzelnen in und mithilfe der Gruppe Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen, interessiert mich der Dialog ebenso.
Dieser Band ist der zweite einer Trilogie, die menschliche Antworten auf die „Menschine“ geben soll, ein Bild des Menschen, das sich im 21. Jahrhundert als Leitbild abzeichnet: Zunehmendes Ersetzen körperlicher Funktionen durch maschinelle Teile und chemische Glücksbringer. Damit ist dieser Band ein Teil der praktischen Antwort auf Yuval Hararis Buch „Homo Deus“ (2017).
Der Begriff „Dialog“ ist sowohl in der Umgangssprache als auch in verschiedenen Fachrichtungen (Psychologie, Kommunikationswissenschaft) populär. Eine erste Definition ist die eines Gesprächs zwischen Menschen mit Austausch der Beiträge auf Augenhöhe. Zum wirklichen Dialog wird eine Kommunikation nur, wenn sich aufeinander bezogen wird, eine wechselseitig wertschätzende Haltung mit Interesse an der Position des anderen zwischen den Beteiligten besteht. Dialog kann dann eine tiefere Ebene des Verständnisses erreichen. Dialog bedarf der Empathie, des Bemühens, sich in den anderen hineinzuversetzen und mit ihm mitzufühlen.
Zunehmend werden Formen der Kommunikation benötigt, die positive Ergebnisse auf zwei Ebenen erzielen: der des Sachlichen und der des Emotionalen der Menschen. Die so genannte „Dialogmethode“, wie sie von einigen Autoren als explizites Modell in die Humanwissenschaften eingebracht wurde, zielt auf eine gute Kommunikation und Begegnung von Menschen. Im Zentrum stehen Formen des miteinander im Gespräch Seins, die hierarchiefrei zu einer Begegnung von Menschen führen sollen, die ihrem Gedeihen, dem Verständnis und auch der Lösung von Problemen am meisten entgegenkommt.Die hinter getroffenen Aussagen stehenden Annahmen und Denksysteme zu ergründen, ist dabei ein wichtiger Teil. Entgegen der landläufigen Interpretation des Dialogs als Zwiegespräch findet interessanterweise seine Anwendung heute vor allem im Gruppensetting statt. Viele moderne Methoden wie Open Space, World Café, Theorie U und andere basieren auf Elementen der dialogischen Konzeption. Deshalb haben sich Bushe und Marshak (2016) auch dazu entschlossen diese Methoden unter „Dialogische Organisationsentwicklung“ zusammenzufassen.
Martin Buber und David Bohm sind sozusagen die Väter des Dialogkonzeptes, wenn man den Ur-Ur-Großvater, den griechischen Philosophen Sokrates, einmal beiseite lässt. Buber und Bohm haben sich intensiv mit den Fragestellungen des Gespräches befasst. Bei Martin Buber steht die Entwicklung des einzelnen Menschen in der Begegnung mit anderen Menschen im Vordergrund. David Bohm hat mehr die Gesellschaft im Blick. Nach seiner Auffassung entstehen die Probleme der Gesellschaft und auch des Einzelnen aus einem inkohärenten Denken, das es im Dialog herauszufinden und auf kollektiver Ebene zu verändern gilt. Auch Bohms Dialoge mit dem indischen Weisheitslehrer Jiddu Krishnamurti versuchen hier unter der Einbeziehung der westlichen und der östlichen Perspektive Licht ins Dunkel zu bringen. Neuere Formen, die mit dem Dialogbegriff arbeiten, stellen die Anwendung in Organisationen in den Vordergrund. William Issacs aus dem Team von Peter Senge begann damit.
Buber wollte etwas über das Wesentliche des menschlichen Lebens herausarbeiten. Dazu betrachtet er Grundlagen des menschlichen Lebens. Er stellt klar die Bedeutung des wirklich Gegenwärtigen in den Vordergrund. Und dieses Gegenwärtige ist für ihn das Überdauernde. „Gegenwart ist nicht das Flüchtige und Vorübergleitende, sondern das Gegenwartende und Gegenwährende“ (Buber, 1983, S. 20). Die Frage, was das Überdauernde ist, beschäftigt ihn. Was ist das Geistige am Menschen? Was ist das, was für den einzelnen konkreten Menschen, der einem begegnet, wesentlich ist, aber auch was ist das, was für den Menschen an sich wesentlich ist? Es ist nicht das Oberflächliche der Alltagswelten, sondern eine Ebene, die Begegnung in der Tiefe ausmacht, das Erkennen des Lebens. Die Beziehung zum Gegenüber ist das alles Entscheidende und sie korrespondiert auch mit der Beziehung zum Großen, zu Gott. Bubers Menschenbild ist so, dass der Mensch für das Positive geschaffen ist. Er scheut sich nicht, es Liebe zu nennen. „Aber der Mensch wohnt in der Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum ‚Inhalt‘, zum Gegenstand hätte; sie ist zwischen Ich und Du“ (ebenda, S. 22). So fokussiert er das Wesentliche in der Welt auf das, was „zwischen“ den Menschen geschieht. Bei ihm wird am deutlichsten, dass das Subjekt im Zentrum steht. Die Beziehung ist wechselseitig. „Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke“ (ebenda, S. 23).
Es gipfelt in Bubers berühmtestem Satz, der seine Grundorientierung anzeigt „Der Mensch wird am Du zum Ich“ (S. 37). Dieser Gedanke hat viele beflügelt. So greift etwa Willigis Jäger, der versucht, christliche und zenbuddhistische Traditionen zusammenzuführen, diese Idee auf, indem er die Menschen der heutigen Zeit auffordert, „aus der Ich-Eingrenzung heraus“ zu gehen. Wirklich in Beziehung zu gehen, führt auch zum Beziehen auf das große Ganze. „Der Zweck der Beziehung ist ihr eigenes Wesen. Das ist: die Berührung des Du. Denn durch die Berührung jedes Du rührt ein Hauch des ewigen Lebens uns an“ (ebenda, S. 76).
Von der Ich-Du-Beziehung ist die Es-Beziehung abzugrenzen. Den Unterschied sieht Buber in Folgendem: „Die Es-Welt hat Zusammenhang im Raum und in der Zeit. Die Du-Welt hat in Raum und Zeit keinen Zusammenhang“ (ebenda, S. 42). Allerdings kann man auch mit Objekten der Es-Welt in eine Beziehung kommen, die einen Charakter der Gegenseitigkeit hat. Spätere Autoren wie Hartmut Rosa, der nach dem sucht, was im Menschen wirkliche Resonanz erzeugt, ist der Es-Welt, den Objekten und auch den großen Phänomenen (Natur, Geschichte, Religion,…) nicht mehr so kritisch gegenüber eingestellt und spricht ihnen ebenso deutlich Resonanzqualität zu (Rosa, 2016).