Wir laden ein …

Heiraten
schön trinken

von

Markus Köhle

Vanessa Wieser

(Hg.)

Inhalt

Vorwort

MALERS MOPS Nora Gomringer

MIT GIFT UND OHNE Paul Pizzera

PFLICHT UND KÜR Katinka Buddenkotte

DAS HEIRATEN, WAS AMERIKANISCHES Hans Platzgumer

DIE EINZELNEN TEILE DER SUMME Cornelia Travnicek

HOCHZEITS-TOP-TEN-LISTEN Martin Fritz

GELEGENHEIT MACHT LIEBE Mario Tomic

PLÜSCHPIMMEL, STRASSENRAUB … Dominika Meindl

EINE HOCHZEIT AUF DEM LANDE Peter Zimmermann

HOCHZEITSNACHTDRINGLICHKEITEN Markus Köhle

HOCHTZEITSGEDICHTE Markus Köhle

GEBRAUCHSSPUREN UND WAS BLAUES Mieze Medusa

QUATTRO STAGIONI Austrofred

ROMANTISCH BEHINDERT Manfred Gram

2 ZEICHNUNGEN Tex Rubinowitz

SHERLOCK HOLMES Tex Rubinowitz

STIEHL DIE BRAUT! Evelyn Steinthaler

ABBRUCHARBEITEN IM BOOTCAMP … Jan Off

AUF DASS DER TOD UNS MAL SCHEIDET Hazel Brugger

STARSCHNITT ILLUSTRES BRAUTPAAR

HOCHZEITSALPHABET Peter Clar

Herausgeber und Autoren

Fotos von Johanna Schodl

VORWORT

der Herausgeber

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir begrüßen Sie sehr herzlich zum einzigartigen literarischen Heiratsführer »Heiraten schön trinken«.

18 Autorinnen und Autoren haben ihr Bestes gegeben, um sich dieses universellen Themas anzunehmen, herausgekommen ist dabei eine witzige und unterhaltsame Sammlung an Geschichten, die Ihnen und Ihren Freundinnen und Freunden das Eheleben versüßt. Das ideale Mitbringsel für den Gabentisch der Brautleute, Punkt 1 auf jeder Hochzeitsliste – die literarische Aussteuer für sie und ihn.

Damit auch wichtige Informationen zum Thema Ehe nicht zu kurz kommen, finden Sie verschiedene erhellende Rankings im Buch, damit das Poetische nicht zu kurz kommt, flotte Gedichte für den feierlichen Anlass. Einfach auswendig lernen und jede Hochzeitsgesellschaft damit zum Brüllen bringen. Zudem die ideale Einstiegshilfe in den Polterabend – verbringen Sie ihn besser lesen als saufend, Ihr Partner wird beeindruckt sein. Wir auch.

Trauen Sie sich!

Mit launigen Grüßen

Vanessa Wieser und Markus Köhle

Es ist natürlich die Geschichte der zweiten Eheschließung meines Bruders, die ich beschreiben möchte. Die Geschichte einer liebevoll auf Brautpaar und Gäste abgestimmten Feier, die meine Brüder aus nah und sogar amerikafern anreisen und zum Ende des Abends tanzen ließ. Es soll und darf die Schönheit meiner neuen Schwägerin, die das Kleid einer griechischen Kore trug und meinen kleinsten Neffen mit der Sanftheit einer Göttin handelte, mit Rosenworten ausgestaltet sein. Alle Freunde wurden liebevoll umsorgt und zu einem Fest geladen, das seinen eigenen Ort – einen Sandstrand an einem See, seinen eigenen Food-Designer, eine durchdringende Durchdenkung erlebt hatte. All das will ich natürlich in Ihrem Verständnis für die Szenerie fest installiert wissen, auf dass Sie verstehen können, wie herrlich seltsam, wie schräg und ganz und gar unpassend, wie nötig bei gleichzeitiger Unnötigkeit das Hereintreten des nun folgenden Mopses in dieses Ereignis war.

Canis ex machina erschien mit einem glitzernden Halsband, eiligen Schrittes, leicht japsend und – soweit sich das für mich beurteilen ließ – in hoher Stimmung. Mops kam. Mops hatte Hochzeitslaune. Vor allen anderen Gästen wurde ich seiner gewahr und begann sofort in die Knie zu gehen und die Worte »Mops, Mops« zu quieken, ganz wie es mir entspricht, wenn der Anblick von Teilen der Erdenschöpfung die Areale meines Gehirns aktiviert, die für Verzückung verantwortlich sind. Ich nenne dann alles beim konkreten Namen, gerne wiederholt und voller Glück. (»Auto, Auto!«, »Baby, Baby!«, »Wohnung, Wohnung!« etc) In der Tat war ich selig, die Hochzeitsgesellschaft von diesem besonderen Gast bereichert zu sehen und wähnte das Tier den Besitz eines Gastes. »Mops, wem gehörst du?« war die erste Investigativfrage, die ich dem Tier stellte. Eine weit ausgefaltete rote Zunge konnte in einem hechelnden Mund weder Vokale noch Konsonanten bilden und so musste eine Erklärung zunächst ausbleiben. Meiner Hand sehr zutraulich, wandte sich das Tier mit seinem Kopf vertrauensvoll nah an mich heran, und meine kluge Mutter, die wahrgenommen hatte, daß ich so schnell nicht wieder wie ein gut erzogenes Mädchen am Tisch sitzen würde – schließlich war »Mama! Ein Mops im Raum!« –, begann, mir bei der Befragung des Tiers indirekt behilflich zu sein. Als wäre es abgesprochen, rollte sie zügig einen aufgeteilten Fleischklops über den Tisch auf meinen Teller, wo ich ihn auch von meiner knieenden Warte aus greifen und dem Tier anbieten konnte. Mops fraß mit Wonne. Seine vorstehenden Augen glänzten, wir bandelten an. Dem einen Fleischklops folgten weitere, meine Mutter hielt die Versorgungskette am Laufen. Mops fraß und fraß, während ich mein Glück kaum fassen konnte, so viel wertvollen Kontakt zu ihm hergestellt zu haben – zwar durch Bestechung, aber immerhin. »Mops, wo ist dein Herrchen? Na? Mops, seit wann bist du da? Ich habe dich gar nicht wahrgenommen bis gerade eben. Bist du schon lange hier?« All diese Nichtigkeiten sagte ich allen Ernstes und unterbrach mich selbst hie und da in meinem Fragenkatalog, um aufzuschauen auf Tischkantenhöhe und einen Gast der Feier auszumachen, der in meiner Vorstellung wie Mops’ Besitzer aussah. Mops besaß die volle Autorität des schweigenden Tieres, wackelte mit seinem Hinterende, das keinen Schwanz führte, aber offensichtlich voller hocherfreuter Seele steckte. Mops’ Halsband war fünfreihig mit kleinen Strasssteinen besetzt. Mops war chic. Das Halsband war edel, kein Ramsch. Für Mops gemacht? Fragte ich mich. Eine Hundemarke fand ich nicht daran. »Mops« blieb vorerst »Mops«.

Weil dies ein Tag der Wunder war: ein Eheversprechen, meine Familie an einem Tisch, sogar der Onkel mit seiner Familie nahezu vollzählig vor Ort, war es ganz selbstverständlich, dass mit einem Mal der Leipziger Maler, ja der Weltstar der Malkunst Neo Rauch durch die Glastür zu uns hereintrat, von niemandem außer mir im Trubel der Fröhlichkeit wahrgenommen. »Neo Rauch, Neo Rauch!« – da war sie wieder: die Verzückung. Etwas zu auffällig, um als unauffällig zu gelten, zischte ich meiner Mutter noch einmal die Doppelnamensnennung zu und wies mit meinem Tischkantenhöhenkopf in seine Richtung, immerhin kniete ich noch, um so viel Bodenhaftung und Körperkontakt wie möglich zu Mops halten zu können. Meine Mutter, ebenfalls zu expressiv, um noch als »fein« zu gelten, grimassierte mir ein Fragezeichengesicht entgegen und zischte zurück: »Glaub ich nicht. Sieht er so aus?« Dabei dehnte sie das O, und ich – Neo Rauch nur aus dem Internet, dem Fernsehen, und aus Fotostrecken in Magazinen kennend, aber sicher nicht leibhaftig –, ganz Kopf-über-Kante, nickte wild, überzeugungswillig. Mops leckte meine Fleischklopshand. Meine Welt war knallbunt, die Hochzeit übertraf längst all meine Erwartungen.

Neo Rauch blickte suchend im Raum umher. Wann immer ich Menschen in solch suchender Haltung sehe, summt es inwendig in mir: »Schwiegermutter, leuchte mal, es ist ne Maus im Saal«, und es mag dieses Singzitat meiner Mutter und ursprünglich wohl meiner Großmutter sein, das meinen Geist Mops, Mops’ Ankunft, Mops’ Neugier, Mops’ Anspruch, Mops’ Hetze, Mops’ Herrchen zusammenfinden ließ. Neo Rauch suchte seinen Mops. Das Tier mit dem edlen Halsband, der freundlichen Miene, dem gesunden Appetit und der fröhlichen Lebhaftigkeit gehörte dem Malerfürsten, und so bot sich mir – die ich immer noch das Privileg der Erkenntnis allein innezuhaben schien: »Also, wenn ihr ihn alle nicht erkennt … das IST Neo Rauch, menno« – die Chance, Hund und Herrchen zusammenzuführen, als Heldin in Neo Rauchs neuestem Gemäldezyklus verewigt, auf immer eine Mopsträgerin zu sein mit wehendem Haar und etwas Hehrem im Blick. Ich hob Mops auf. Das war nicht einfach. Mops war ein Freund der Bodenhaftung. Er grollte mir, vielmehr sein ganzer Mopskörper, der gerade noch gefüttert ward, zog sich grollend in seine Fellfalten zurück. Aber es gelang. Beim Aufheben wurden mein Vater und überhaupt alle am Tisch, die mir gegenüber gesessen und dann nur bemerkt hatten, dass ich quietschend vom Tisch abgerückt und mich auf dem Boden herumgedrückt hatte, zum ersten Mal des Tieres ansichtig. Mops fand Applaus, neue Komplimente. Mops schnaufte. Auch Neo Rauch sah nun seinen Mops. Ich, anlässlich der Hochzeit herausgeputzt in meinem Petticoat-Kleid, schritt Mops-in-Armen auf Rauch zu. Es waren vielleicht im Ganzen sieben Schritte, die mir aber Zeit gaben, einen Satz zu üben: Ich denke, das ist Ihr Mops, Herr Rauch. Geradezu silbisch sprach ich den Satz vor mich hin. Es kam, wie es kommen musste: Bei Sicht- und Begrüßungskontakt brachte ich folgende, unfreiwillige Variation des Satzes hervor: »Ich habe Neos Mops berührt.«

Der Maler sah mich mit einer Mischung aus Erleichterung, Abscheu und großer Irritation an, übernahm sein Tier, das sich sichtlich freute, wortlos und scheu lächelnd und verschwand schnellen Schrittes hinaus aus dem Partyareal auf den davor liegenden Sandstrand.

Mops mit ihm.

Beide waren sie wohl getrennt worden, als Mops die Hochzeitsgesellschaft samt Buffetangebot erkunden wollte und der Maler einen anderen Plan verfolgte. Es war die Scheuheit des Erkannten, die Neo Rauch stumm auf mich blicken ließ. Und auch die Erleichterung des Suchenden. Mops war sicherlich an die 20 Minuten unter unserem Tisch gehockt. Ich werde seinen Namen wohl niemals erfahren, es sei denn die Gala macht eine Homestory über den Maler in seinem Atelier und die Bildunterschrift klärt mich auf. Auch werde ich wohl nie in einem Rauchbild erscheinen. Was also bleibt?

Natürlich die Erinnerung an ein rauschendes Fest, ein ehrliches. Bei dem es Befremdung und sehr rührende Momente gab, als beispielsweise meine Mutter eine Rede auf ihren jüngsten Sohn hielt, seine Frau quasi vor ihm warnte, ihr Mutterstolz aber auch Dankbarkeit buchstabierte. Dankbarkeit für Kinder, die kaum Drogenprobleme, kaum Problemfreunde und kaum Freude an Gesetzesüberschreitungen haben. Mein Bruder und seine Frau wurden am 24. Mai 2013 in einer schwimmenden Kirche auf einem See nahe Leipzig getraut, bevor sich diese Mopsepisode in dem langen Tageslauf ereignete. Wir waren glücklich für ihn und über uns. Eine Familie, groß und zerfasert, ablenkbar bereits durch ein kleines Tier, aber beisammen und elastisch genug, einander und damit alles zu ertragen. Und wir saßen, aßen und feierten mit allen anderen Gästen des Festes, nahezu unerkannt wie normale Menschen. Wir waren allesamt und im Ganzen ausgezeichnet. Und ja, ich wiederhole es: glücklich.

Unterm Strich kann man sagen, dass Hochzeiten der beste Weg sind, um seiner Verwandtschaft den Lebensabschnittspartner, dessen Verfallsdatum man a priori überdurchschnittlich hoch eingestuft hat, kostenpflichtig vorzustellen. In konservativeren, ländlichen Kreisen wird sich das Versprechen auf die ewige Liebe immer noch nahezu ausschließlich vor Gott gegeben, da dieser landläufig als bester Pate und Richter für selbiges angesehen wird. Bis dass der Tod uns scheidet – ein Versprechen, das sich siamesische Zwillinge lang vor ihrer Taufe geben, beschreibt den freiwillig auferlegten Zwang, sich so lange zu lieben, bis eine höhere Macht entscheidet: »So, des war genug, einer von euch stirbt jetzt!« Man schwört also auf einen unsichtbaren Schiedsrichter sich ewig zu lieben, unter der Prämisse, dass nur ebendieser das Miteinander auch wieder auflösen wird. Aber wenn der Deckmantel Tradition heißt, lohnt es sich ohnehin nicht, argumentative Schlagkraft einzusetzen, um kulturelle Riten auf ihre Sinnhaftigkeit hin abzuklopfen. Und außerdem: Die Großeltern freuen sich ja so. Und da diese auch meist über die Höhe der zu erwartenden Mitgift bestimmen, wäre es ja geradezu fahrlässig eine kirchliche Eheschließung auszulassen und das ewige Glück zweier Liebenden in die Hände der Hure aus Babylon, namens Standesamt, zu legen. Mitgift ist diesbezüglich in Form und Funktion wirklich ein sehr cooles Wort. Es beschreibt die »standesgemäße« Ausfertigung, die, meist vom weiblichen Part, mit in die Ehe gebracht wird. Quasi ein pre-raise, um die Ernsthaftigkeit der Absicht zu unterstreichen. Bei uns in der Steiermark ist es nach wie vor Brauchtum, dass sich Eltern bereits im frühesten Kinderalter mit den übrigen Eltern zusammensetzen und sich ausschnapsen, welcher Nachwuchs einmal später wen ehelichen soll und wird. Aus purer Berechnung heraus. Nicht umsonst hört man heute noch gern den Spruch: »Dei Wold und di Kia und mei Dochta gheat dia!« Warum man in ländlichen Gefilden dennoch eine schier ungebrochene Angst vor dem Islam hat, ist mir in dieser Causa unbegreiflich. Denn die Kamele, die man in Persien für eine Frau abdrücken muss, sind bei uns die Hektar.

Umso kurioser finde ich die Tatsache, dass zwei Menschen wirklich der Meinung sind, ihr restliches Leben miteinander verbringen zu können. Mit der Betonung auf: können!!! Wollen tut ja gleich einmal einer. Ich will auch viel. Sie nicht? Eben! Als ich fünf Jahre alt war, diktierte ich meiner Mutter in einem Brief an das Christkind:

»Ich will ein Schwert haben, das Blitze schießt und mit dem ich fliegen kann, egal wohin. Und es hat an Knopf, der mich unsichtbar macht, wenn ich will, und Granaten kann’s a schießen.«

Ungeachtet dessen, was sich meine Mutter bei dieser Wunschäußerung gedacht haben muss, am 24.12.1993 war mir klar, dass wollen ungleich kriegen ist. Ich schweife ab. Aber der Meinung zu sein, das auch wirklich zu können, ein Leben mit ein und demselben Menschen zu verbringen, stellt meine Stichwaffe inklusive Features realisierungstechnisch weit in den Schatten und grenzt an Selbstüberschätzung bis hin zum Realitätsverlust. Und warum sind Sie der Meinung, dass es klappen wird? Ja weil es bis dahin ja auch geklappt hat. Sehr gut ist das.

Man stelle sich einen übergewichtigen 15-Jährigen vor, der sich in die Speerspitze des Ironman-Klagenfurt einreiht und trocken verlautbart: »Freunde, wir sehen uns im Ziel.« Warum er das kann? Na ja, weil es auf seiner Wii im Wohnzimmer auch funktioniert hat. Der Mensch neigt grundsätzlich zur Selbstüberschätzung und sieht Dinge, die gar nicht da sind. Das Phänomen Déjà-vu lässt sich so erklären, dass sich bereits eine ähnliche Situation zugetragen hat und der Mensch in der momentanen mehr assoziiert, respektive Sachverhalte wiedererkennt, als sich in der vergangenen überhaupt zugetragen haben. So auch in Beziehungen und in weiterer Folge bei Eheschließungen. Menschen, die Anfang zwanzig sind und glauben, dass sie ihren Traumpartner fürs Leben schon längst gefunden haben – und da kann einfach niemals etwas Besseres nachkommen. Ja, dem legst bitte einen gameboy und eine playstation 3 vor die Nase und dann sehen wir ohnehin, wie lange Altbewährtes spannend bleibt. Oft wird das dann auch noch mit einer absolut sinnbefreiten These für sich selbst legitimiert:

»Na, also wir san anfoch füreinander bestimmt, als hätt ma uns gsuacht und gfunden.«

Klar, es war Schicksal oder weil ihr zusammen in die Schule gegangen seid, niemand anderes gefunden habt und den Weg des geringsten Widerstands gegangen seid, und der heißt:

»Ich bin zwei Kilometer neben dir aufgewachsen und es passt zwischen uns.«

Warum mühevoll um den Erdball reisen, fremde Kulturen und Bräuche kennenlernen, um einen Menschen zu treffen, der vielleicht wirklich aus demselben Holz geschnitzt ist, aber auf der anderen Seite des Erdballs wohnt? Warum eine komplizierte Schnalzsprache erlernen, um das Herz eines Seelenverwandten aus einer unbekannten Welt zu erobern und mit den Stammeskollegen sich nächtelang in Trance zu tanzen, bis das unbeugsame Interesse einer geschützten Werkstätte in einem aufkeimt?

Weil es auch einfacher geht.

Der Mensch ist wie Strom, er geht immer den Weg des geringsten Widerstandes, und wenn er sich halbwegs gut gesammelt hat, zieht man den Blitzableiter Ehe heran, um sich häuslich einzurichten. Und das ist auch verständlich. Schließlich fehlt uns verdammt noch mal die Zeit, uns nach dem perfekten Partner umzusehen. Da nimmt man halt das nächstbeste Exemplar, das einem bekannt ist, ist ja logisch. Wer in einem Urlaubsland die Speisekarte nicht lesen kann, wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu »mixed grill« greifen, bevor er sich in gebrochenem Englisch erklären lässt, dass es sich bei Exochiko um gebratenen Hasen in Tomatensauce handelt. Das Risiko minimieren ist ein menschliches Grundbedürfnis und deshalb nimmt man sich das einschätzbarste und durchsichtigste Übel, um sein Glück darin zu finden. Eine Welt, die nicht perfekt ist, aber in der man sich auskennt. Ein Elend, das einem aber bekannt ist. Mit dem man umgehen kann. Wie ein chronischer Schmerz, der zwar nicht aufhört, dessen Behandlung aber beherrscht wird. Sozusagen ein Lottoschein, auf dem man sechsmal die gleiche Zahl ankreuzt, weil man gar nicht gewinnen kann. Es geht nur ums Mitspielen.

Mein Bruder pflegte zu sagen, dass jeder Topf auch seinen Deckel findet. Das habe ich nie verstanden, darum koche ich seit 10 Jahren ausschließlich mit einem Wok. Heute verstehe ich, was er damals gemeint hat. Umso mehr freut es mich, dass er mit dir, liebe Karin, einen Menschen gefunden hat, der sein Deckel sein möchte. Ich wünsche euch beiden viel Glück für euren gemeinsamen Weg und hoffe zutiefst, dass ihr noch viele, viele Jahre Seite an Seite leben werdet. Alles erdenklich Gute und das Buffet ist eröffnet!

Der Genuss von Alkohol auf einer Hochzeitsfeier ist wie Geräteturnen. Wenn man schon auf der Matte steht, muss man auch teilnehmen, und weil man nicht nur einigermaßen würdevoll dabei aussehen, sondern auch Chancen auf den Sieg haben will, gilt fürs Kunstsaufen auch dasselbe Erfolgsrezept wie beim Leistungssport: Training, Timing und Tricksen.

Wie in jedem Wettbewerb gilt es natürlich zunächst, sich mit den Schwächen und Stärken des Gegners vertraut zu machen, sprich, das voreheliche Verhalten des Brautpaares zu analysieren. Wenn man beide grundsätzlich nicht mag, und nie wieder etwas mit diesen Menschen zu tun haben will, kann man selbstverständlich in die Vollen gehen: einfach den Wert des mitgebrachten Geschenkes in Schnaps zurückrechnen (vom Discounterpreis ausgehend), fix trinken, und zwar am besten schon, bevor man das Standesamt/die Kirche betreten hat. So gelingen einem zu späterer Stunde hübsche Glückstreffer, wie zum Beispiel ein gehechteter Hocksprung in die noch nicht angeschnittene Hochzeitstorte. Größere Vorsicht ist schon geboten, falls man nur einen der Frischvermählten auf den Tod nicht ausstehen kann: Heiratet die beste Freundin einen amtlichen Vollidioten, wirkt es wenig überzeugend, wenn man deren Wahl mit einem Schwall Unverdautem kommentiert, während die anderen Gäste noch Blütenblätter streuen, im Gegenteil. Mit dieser Performance schafft man es höchstens, sich noch weiter von der lieben Freundin zu entfernen. Heiratet der ehemalige Partner die falsche Braut, sollte man sich ebenfalls davor zurückhalten, vor der Zeit jammernd auf der Toilette zusammenzubrechen, und sich einfach mit dem zu trösten, der einem die Haare hochhält, während man über der Schüssel klebt.

Viel stilvoller ist es, vollkommen nüchtern auf einem stattlichen Rappen/einem schweren Motorrad vor dem Paar zu paradieren, dem Ex ein hübsches Filmzitat entgegenzuschleudern (hierbei gut: »Schau mir in die Augen, Kleines«, weniger gut: »Lauf, Forrest, lauf!«, leider völlig ungeeignet: »Das soll ein Messer sein? Das ist