Dave Goulson

Und sie fliegt doch

Eine kurze Geschichte der Hummel

Aus dem Englischen von Sabine Hübner

Titel der Originalausgabe:

A Sting in the Tale

London, Jonathan Cape 2013

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Copyright © Dave Goulson 2013

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Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© 2014 Carl Hanser Verlag München

Internet: http://www.hanser-literaturverlage.de

Herstellung: Thomas Gerhardy

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, Design von James Jones, Illustration: © Louise Bird

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Textnachweise:

Seite 108: Nachdichtung aus: Bernd Heinrich: Der Hummelstaat. Überlebensstrategien einer uralten Tierart. Aus dem Amerikanischen von Anne Spielmann. München: Econ Ullstein List 2001, S. 87

Seite 152: ›Eric the Half a Bee‹ Words and Music by John Cleese and Eric Idle © 1970, EMI Virgin Music Ltd, London W8 5SW

Seite 193: Charles Darwin: Über die Wege der Hummelmännchen. In: Gesammelte kleinere Schriften von Charles Darwin. Hrsg. und übersetzt von Ernst Krause. Leipzig: Ernst Günther 1886, S. 84 – 88

Seite 247: Emiliy Dickinson: Gedichte. Hrsg. und übersetzt von Gunhild Kübler. München: Carl Hanser Verlag 2006, S. 513

ISBN 978-3-446-44039-5

E-Book-ISBN 978-3-446-44067-8

Für Seth, meinen jüngsten Sohn.

Möge es immer Blumenwiesen, summende Bienen und brummende Hummeln geben, an denen er sich erfreuen kann.

Inhalt

Prolog

1Die Erdbauhummel

2Das Hummeljahr

3Die heißblütige Hummel

4Eine kurze Geschichte der Bienen und Hummeln

5Den Heimweg finden

6Beinwell und stinkende Füße

7Tasmanische Teufel

8Quinn und Toby und die Hummelspürhunde

9Hummelkriege

10Kuckuckshummeln

11Hummelfeinde

12Von Blumen und Bienen

13Spielt die Größe eine Rolle?

14Ketchup und türkische Immigranten

15Chez Les Bourdons

16Eine Schutzorganisation nur für Hummeln

17Die Rückkehr der Königin

Dank

Gebräuchliche und lateinische Namen der Hummeln Großbritanniens

Prolog

Für Hummeln und andere Insekten interessiere ich mich bereits seit meinem siebten Lebensjahr, als meine Familie und ich aus einem kleinen Doppelhaus am zersiedelten Stadtrand Birminghams in das Dörfchen Edgmond in Shropshire zogen. Mein Vater war ganz in der Nähe in der Marktstadt Newport aufgewachsen und legte als Lehrer großen Wert darauf, dass seine beiden Söhne eine gute Schulausbildung genossen. Newport besaß schon damals eine ausgezeichnete Grammar School – mein Vater hatte sie besucht und hoffte nun, dass auch mein Bruder und ich dort hingehen würden, vorausgesetzt, wir bestanden die Aufnahmeprüfung.

Mit sieben Jahren war mir die Schule ziemlich egal, aber unser neues Haus fand ich toll. Im Rückblick kommt es mir ziemlich hässlich vor, mit seiner Natursteinverkleidung, die wie ein Ausschlag wirkte, und dem hässlichen Flachdachanbau –, aber kleine Jungen stört so etwas ja nicht. Das Haus stand frei und hatte einen viel größeren Garten, als ich es gewohnt war. Es gab große Blumenbeete, Apfel- und Zwetschgenbäume, einen Teich, zwei alte Holzschuppen voller Spinnweben und riesigen Spinnen, vor denen mir gruselte, und so viel Platz, dass mein Vater einen schönen Gemüsegarten anlegen konnte.

Aber das Beste war: Das Haus grenzte an offene Landschaft. Ich musste nur die Hauptstraße überqueren und eine Steinmauer hinunterspringen, und schon befand ich mich mitten auf einem riesigen Feld, mit einem prächtigen Kastanienbaum, auf dem man herrlich klettern konnte. An heißen Sommertagen stand im Schatten des Baumes oft ein mürrischer grauer Apfelschimmel, der mit zuckendem Schweif die Fliegen verscheuchte und gerne biss und auskeilte. Im Frühling wimmelte der Baum von Hummeln, die seine cremeweißen und rosaroten Blütenkerzen besuchten. Sie sorgten dafür, dass die Blüten sich im Spätsommer in Tausende von Kastanien verwandelten, mit denen meine Freunde und ich, versteckt im dichten grünen Wipfel, Passanten bombardierten.

Mein Vater interessierte sich nicht allzu sehr für Blumen; er ließ mir beim Pflanzen freie Hand, und so säte ich Lavendel, Sommerflieder und Katzenminze, um Hummeln und Schmetterlinge anzulocken. An einem der alten Schuppen zog ich Geißblattranken empor, um Nachtfalter zu füttern, und ich pflanzte eine männliche Salweide, um den Hummeln zu Frühlingsbeginn Nahrung zu bieten. Aus alten Ziegelsteinen, die ich mir von einem baufälligen Bauernhaus jenseits der Felder holte und im Rucksack nach Hause schleppte, baute ich einen großen Steingarten. Unter den Steinen ließ ich Nischen frei, in denen die Hummeln nisten konnten, oben drauf pflanzte ich Hornklee, weil die Hummeln seine Blüten, und die Raupen des Hauhechel-Bläulings seine leckeren Blätter lieben. Ich grub einen größeren Teich und bestückte ihn mit Molchen, Stichlingen und allen möglichen anderen Tieren aus dem Dorfkanal.

Ich habe keine Ahnung, woher das bei mir kam. Mein Vater, ein ehemaliger Geschichtslehrer, weiß bis zum heutigen Tag die Chronologie der englischen Monarchen seit Wilhelm dem Eroberer auswendig, mit allen Daten, und kann anhand von Fensterform oder Kreuzblumen das Alter eines Bauwerks bestimmen. Würde man ihm aber eine Hummel präsentieren, hätte er keinen blassen Schimmer (obwohl ich versucht habe, ihm etwas über Hummeln beizubringen). Meine Mutter war Sportlehrerin, konnte toll mit Schlagholz oder Tennisschläger umgehen und nahm leidenschaftlich gern an Wettkämpfen teil, hatte aber nicht das geringste Interesse an der Natur. Sie machte sich absolut nichts aus Krabbeltieren, egal welcher Art, und hatte eine panische Angst vor Spinnen. Also musste ich mir alles selbst beibringen, anhand verschiedener Bestimmungsbücher und Naturkundeführer, die mir meine Eltern glücklicherweise beschafften; mein Vater ist ein richtiger Buchliebhaber.

Meiner Erinnerung nach war die einzige Erwachsene, die meine Interessen aktiv förderte, eine Grundschullehrerin, die großartige Miss Scott. Klein und untersetzt, mit dichten braunen Locken, raunzte sie gern Befehle und Verweise, da ihr schnell der Geduldsfaden riss. Anfangs hatten meine Klassenkameraden und ich Angst vor ihr – unsere bisherigen Lehrerinnen waren so lieb und freundlich gewesen, wie man das von Grundschullehrerinnen erwartet. Doch bald merkten wir, dass es in ihren Augen fröhlich funkelte und dass ihr strenges Auftreten nur Fassade war. Außerdem nahm sie uns gerne mit nach draußen, um nach Tieren und Insekten zu suchen; sie zeigte uns, wie man Bäume an ihren Blättern erkennt und wie man Käferfallen aufstellt. Besonders viel lag ihr am Teichkeschern. In der Erinnerung kommt es mir vor, als seien wir jeden Tag zum Teichkeschern an den Dorfkanal gegangen (und es war immer sonnig). Unser Klassenzimmer füllte sich schon bald mit Einweckgläsern. Sie enthielten Kaulquappen, Wasserläufer, grausame Libellenlarven, Gelbrandkäfer, Tausendfüßler, Spinnen und viele andere Tiere. Die Libellenlarven hatten es mir besonders angetan – diese hässlichen, plumpen Kreaturen, die reglos am Boden der Einweckgläser lauerten und auf die Fütterung warteten. Jeden Tag warfen wir eine Kaulquappe oder einen Wurm hinein und verfolgten das makabre Schauspiel, wenn sich das Gesicht der Libellenlarve zu teleskopischen Klauen entfaltete, mit denen sie ihre arglose Beute packte und verschlang.

Im folgenden Frühling begannen sich meine Bemühungen, im Garten allerlei Getier anzusiedeln, wirklich auszuzahlen. Ich sah, dass sich riesige Hummelköniginnen, frisch aus dem Winterschlaf erwacht, an Salweide und Lungenkraut gütlich taten. Diese Hummeln hatten etwa sieben Monate lang geschlafen, seit dem vergangenen Juli, und so begrüßten sie die Frühlingsbewirtung, die ich für sie angepflanzt hatte, ganz besonders. Waren sie gesättigt, flogen die Königinnen dicht über dem Boden dahin und suchten ein passendes Loch, in dem sie nisten konnten. Einmal beobachtete ich eine Königin der Hellen Erdhummel, die den Hohlraum unter einem der Gartenschuppen erforschte, und es muss ihr dort gefallen haben, denn Wochen später erschienen ihre kleineren Arbeiterinnen, schwärmten nach Nahrung aus und kehrten eine halbe Stunde später zurück, mit riesigen leuchtend gelben Pollenklumpen an den Beinen. Ich beobachtete das oft stundenlang und merkte, wie im Lauf des Frühlings, als die Zahl der Arbeiterinnen rasch zunahm, der Flugverkehr am Nest immer hektischer wurde. Keine einzige Hummel zeigte Interesse, in meinen selbstgebauten Hummelnistkammern des Steingartens zu nisten.

Als der Sommer nahte, wimmelte der Garten allmählich von Insekten. Der Flieder war mit kleinen Nesselfaltern, Pfauenaugen, Großen und Kleinen Kohlweißlingen, Schwebfliegen und Hummeln übersät. Wasserläufer und Taumelkäfer fochten auf der Oberfläche meines neuen Teichs Territorialkämpfe aus, und eine Große Königslibelle bezog Quartier auf einem mächtigen purpurroten Binsenweiderich, der am Teichrand wuchs. Die Libelle kam surrend heraus, um andere Fluginsekten zu fangen, indem sie sie mitten in der Luft mit ihren borstigen Beinen schnappte. Manchmal vertrieb sie auch andere Insekten, die ihr den Platz streitig machen wollten. Es fasziniert mich bis heute, wie schnell sich die Tierwelt in einem Garten ansiedelt, wenn man sie nur ein kleines bisschen ermutigt.

Einmal entdeckte ich nach einem schweren Sommergewitter mehrere tropfnasse Hummeln, die sich an meinen Fliederstrauch klammerten, und beschloss sie zu trocknen. Pech für die Hummeln, dass ich wohl noch ein bisschen zu jung war, um zu wissen, wie man so etwas in die Praxis umsetzt. Im Nachhinein denke ich, dass es am vernünftigsten gewesen wäre, sie mit dem Haartrockner meiner Mutter sanft trocken zu föhnen. Stattdessen legte ich die benommenen Hummeln auf die Herdplatte, bedeckte sie mit einer Schicht Küchenpapier und schaltete den Herd auf die niedrigste Stufe.

Da ich noch so klein war, fand ich es langweilig zu warten, bis sie sich aufgewärmt hatten, und ging weg, um meine bissigen kleinen Rennmäuse zu füttern. Leider wandte ich meine Aufmerksamkeit den Hummeln erst wieder zu, als ich den Rauch bemerkte. Das Küchenpapier hatte Feuer gefangen, und die armen Hummeln waren total verkohlt. Ich fühlte mich grässlich. Meine ersten Versuche als Hummelschützer endeten in einem absoluten Desaster. Das ließ für die Zukunft nichts Gutes ahnen – aber zumindest hatte ich gelernt, dass es für Hummeln ein Temperaturlimit gibt, oberhalb dessen sich sich nicht mehr besonders wohl fühlen. Wie wir noch sehen werden, erklärt sich aus einem ganz ähnlichen Grund, warum es in Spanien so wenig Hummeln gibt.

Ich war ein großer Fan von Gerald Durrells Büchern, vor allem jenen über seine Kindheit. Aufgewachsen in Korfu, hatte er allerlei aufregende Tiere gesammelt und sie in seinem Zimmer gehalten. Er besaß Eulen, Schlangen, Schildkröten – und musste darüber hinaus nie zur Schule (er wurde daheim unterrichtet, von einem exzentrischen Hauslehrer, der sich mehr für Schwertkampf als für Algebra interessierte). Er besaß sogar einen Esel, der ihm all seine Kescher und Marmeladengläser trug. Von glühendem Neid erfüllt, gab ich mir alle Mühe, in seine Fußstapfen zu treten, musste mich allerdings mit der etwas banaleren Fauna Shropshires begnügen. Ich trotzte meinen armen Eltern alle möglichen Haustiere ab, angefangen bei Meerschweinchen, Hasen, Hamstern und Mäusen. Mein Bruder und ich zermürbten unsere Eltern unerbittlich, bis sie uns einen Labradormix-Welpen schenkten, eine schöne schwarze Hündin, die wir absolut fantasielos »Spot« nannten, weil ein weißer Fleck auf ihrem Rücken prangte. Als sie größer wurde, wuchs sich dieser Fleck rasch aus, weshalb ihr Name dann gelegentlich Verwirrung stiftete. Dennoch war sie unglaublich sanft und geduldig, ertrug klaglos unsere ständigen Neckereien und war uns auf unseren Streifzügen durch die Natur eine wunderbare Gefährtin.

Als mein Interesse an meinen traditionellen Haustieren allmählich erlosch, wandte ich mich exotischeren Kreaturen zu: Tropenfischen, Leopardfröschen, Rotwangen-Schmuckschildkröten, Strumpfbandnattern und Anolis-Eidechsen. Ich hatte mein eigenes Zimmer mit Blick auf den Kastanienbaum, und diesen Raum stopfte ich nun mit selbstgebauten Schachteln und sonstigen Behältern voll, aus denen, bis auf ganz unbedarfte Exemplare, sämtliche Tiere entkamen. Meine Strumpfbandnattern verbrachten mehr Zeit außerhalb ihres Behälters als innerhalb. In meiner Verzweiflung befestigte ich den Deckel mit Klebeband, was verhängnisvolle Konsequenzen hatte. Eine der Schlangen schaffte es trotzdem, den Deckel aufzustemmen, blieb dann aber hängen und verhedderte sich bei ihren Befreiungsversuchen hoffnungslos in einem Klebebandknäuel; ich brauchte Stunden, um sie zu entwirren. Also fand ich mich lieber damit ab, regelmäßig Jagd auf Ausbrecher zu machen, und es ist durchaus möglich, dass bis heute irgendwo unter den Bodenbrettern jenes Hauses eine Strumpfbandnatter lebt.

Einmal bekam ich zum Geburtstag eine kleine Voliere für den Garten, die ich mit Wellensittichen und einem Pärchen wunderschöner Zwergwachteln bestückte. Heute, als Erwachsener, finde ich es grausam, Vögel in Käfigen zu halten (vor allem große Papageien in kleinen Zimmerkäfigen), aber als Junge waren mir solche Bedenken fremd. Ich saß liebend gern in der Voliere, während mir die Vögel um den Kopf flatterten. Nach kurzer Zeit begannen die Wellensittiche zu brüten, und ich konnte mein Taschengeld aufbessern, indem ich die überschüssigen Jungtiere verkaufte (die Wachteln legten auch jede Menge Eier, aber es schlüpfte nie etwas aus). Junge Wellensittiche sind unglaublich hässliche nackte Kreaturen mit übergroßen Köpfen. Normalerweise wächst ihnen dann rasch Gefieder, und sie sehen bald um einiges niedlicher aus, aber ein armes Vogeljunges blieb fast völlig kahl. Irgendwann wollte es flügge werden und sprang aus dem Nest, plumpste aber wie ein Stein zu Boden. Unbeirrt kämpfte es sich mit Schnabel und Füßen am Netz hinauf zurück und setzte sich wieder zu den anderen Sittichen auf die höchste Stange. Immer wieder einmal warf sich das arme kleine Ding mutig in die Luft, flatterte mit den winzigen rosaroten Ärmchen und plumpste erneut zu Boden. Es lebte etwa sechs Monate, hatte aber keine Chance, als schließlich der Winter kam.

Die Mortalitätsrate bei meinen Schützlingen war beunruhigend hoch. Eines Sonntagmorgens zauberte meine Mutter in der Küche gerade eine ihrer legendären Pies (sie ist eine exzellente, aber sehr bodenständige Köchin, die stets Fleischgerichte mit Kartoffeln und Gemüse serviert, gefolgt von einem schweren heißen Pudding, zum Beispiel Fruit Crumble oder Johannisbeerpudding mit Vanillesauce). Vermutlich hatte ich Langeweile und stand ihr im Weg, jedenfalls deutete sie an, dass das Aquarium in meinem Zimmer mal wieder dringend gereinigt werden müsste – das Glas sei ja vor lauter Algen so grün, dass man kaum noch die Fische sehe. Kurze Zeit später schrubbte ich pflichtbewusst von innen die Glaswand, den Arm ins warme Wasser getaucht, da rief meine Mutter herauf: »Dave ... was brennt denn da? Du zündelst doch nicht etwa wieder?« Bevor ich zu schrubben begann, hatte ich den Aquariumheizer in seinem wasserdichten Glasrohr herausgehoben und auf den Holzschrank gelegt. Ich hatte nicht daran gedacht, den Stecker zu ziehen, und da der Heizer nicht mehr im Wasser lag, hatte er sich überhitzt und versengte nun das Holz. (Ich bin nie dahintergekommen, wie es möglich war, dass meine Mutter den Brandgeruch so schnell und aus so großer Entfernung wahrnahm.) Spontan hob ich den Heizer am Kabel hoch und warf ihn zurück ins Aquarium. Natürlich bilden sehr heißes Glas und vergleichsweise kühles Wasser keine ideale Kombination, und darum platzte das Glasrohr mit einem Knall, die elektrische Heizspirale kam in direkten Kontakt mit dem Wasser und tötete alle meine Fische durch einen Stromschlag. Sie zitterten und zuckten im Wasser (glücklicherweise steckte ich nicht auch noch die Hand ins Aquarium, um den Heizer wieder herauszuholen), und bis ich endlich den Stecker gezogen hatte, waren alle Fische mausetot.

Und es gab noch viele andere Katastrophen. Die vielleicht traumatischste betraf meine Wachteln. Diese entzückenden kleinen Wesen wuselten über den Boden der Voliere und scharrten nach Futter. Das Männchen hatte ein schönes schwarz-weiß gezeichnetes Gesicht, das Weibchen war eher graubraun, aber mit zarten, dunklen Tupfen übersät. Die beiden waren so unzertrennlich, als seien sie aneinandergeklebt, und putzten sich oft gegenseitig. Ich mochte sie lieber als die Wellensittiche, die ich inzwischen für wüste, rüpelhafte, grellbunte Schreihälse hielt (vielleicht war mein Urteil dadurch beeinflusst, dass sie immer wild nach mir hackten, wenn ich sie anfassen wollte).

Nun ist Shropshire, wie schon mein kahler Wellensittich feststellen musste, im Winter ein rauer Landstrich. Es liegt weit weg vom wärmenden Einfluss des Meeres und verzeichnet oft die eisigsten Nachttemperaturen Englands. Einmal ging ich nach einer besonders kalten Nacht frühmorgens hinaus, um die Vögel in der Voliere zu füttern, und sah überrascht, dass die Wellensittiche die Wachteln attackierten. Beide Wachteln zappelten auf dem verschneiten Boden, und auf jeder von ihnen hockten zwei oder drei Wellensittiche und zerrten mit schartigen spitzen Schnäbeln unbarmherzig an ihren Federn. Ich stürzte hinein und verscheuchte die Wellensittiche. Die armen Wachteln konnten nicht mehr stehen, waren aber noch quicklebendig. Ich hob sie auf, eine in jeder Hand, und trug sie ins Haus. Auf dem Küchenboden wurde dann klar, worin das Problem bestand. Immer, wenn sie zu stehen versuchten, fielen sie einfach um.

Eine nähere Untersuchung ergab, dass sie keine Zehen mehr hatten; beide hatten in der Nacht Erfrierungen erlitten, und ihre Zehen waren einfach abgefallen. Ihre Beine endeten jetzt in Stümpfen, die es ihnen unmöglich machten, zu stehen oder zu laufen. Ich war völlig aufgelöst und wusste nicht, was ich tun sollte. In meiner Verzweiflung kam ich auf die Idee, ihnen Fußprothesen aus Plastilin und Streichhölzern anzufertigen. Da dies aber kein überragender Erfolg war, legte ich die Vögel, die sich immer noch mit ihren neuen Prothesen abmühten, in eine Schachtel, gab Futter hinein und ging zur Schule.

Als ich heimkam, hatte sich die Lage nicht zum Besseren gewendet. Weder hatten die Vögel auf wunderbare Weise wieder Zehen bekommen, noch hatten sie gelernt, auf ihren neuen Plastilin-Streichholz-Füßen zu stehen. Sie lagen einfach da und wirkten schon etwas schwächer. Allmählich dämmerte mir die grausame Wahrheit: Meine Wachteln würden sich nie mehr erholen. Man konnte ihnen nicht mehr helfen. Schon als mein kahler Wellensittich erfroren war, hatte ich mich furchtbar schuldig gefühlt und klar erkannt, dass es barmherziger gewesen wäre, ihm einen raschen Tod zu gewähren. Und so sah ich nur noch eine einzige Möglichkeit.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum ich nicht einfach meine Eltern bat, die armen Vögel zum Tierarzt zu bringen. Sie einschläfern zu lassen wäre die vernünftigste Lösung gewesen, aber kleine Jungen denken nicht logisch. Stattdessen holte ich die Axt meines Vaters aus dem Schuppen. Es war eine große Axt für Erwachsene, damals viel zu groß für mich. Ich trug die Vögel zum Ende des Gartens und legte sie nebeneinander aufs Gras. Ich dachte, es wäre das Beste, sie beide auf einmal zu töten, anstatt nur einen, während der andere zusah. Sie lagen da und sahen zu mir auf, mit immer noch glänzenden Augen und hilflos zappelnden Stümpfen. Ich wuchtete die Axt auf den Rücken und holte weit aus. Der Axtkopf bohrte sich in den Rasen, direkt vor den Schnäbeln der erschrockenen, ansonsten aber unversehrten Vögel. Ich hatte gehofft, beide Köpfe mit einem Schlag abzutrennen. Irgendwann schaffte ich es, die Axt aus dem Boden zu ziehen, und machte einen neuen Versuch. Erfolgreich! Mehr oder weniger. Ich trennte nicht die Köpfe ab, sondern hackte beide Vögel in zwei Hälften, aber das Resultat war so ziemlich das gleiche. Ich grub ein kleines Loch neben meinem Steingarten und bettete sie zur Ruhe, notdürftig wieder zusammengesetzt und Seite an Seite, so wie sie ihr Leben verbracht hatten.

Ich könnte endlos fortfahren. Ich könnte das grässliche Schicksal meines Axolotls erwähnen oder meinen stümperhaften Versuch, eine schwerverletzte Saatkrähe zu operieren. Nur so viel: Meine Haustiere lebten gefährlich.

Aber ich trug nicht nur eine Vielzahl lebender Tiere zusammen, sondern wurde auch zu einem leidenschaftlichen Sammler. Peinlicherweise muss ich gestehen, dass es mit Vogeleiern begann. Im ländlichen England der 1970er Jahre war dies ein bei Jungen weit verbreitetes Hobby. Viele meiner Freunde sammelten Eier, und wir wetteiferten darum, wer die ungewöhnlichsten Exemplare fand. Mein Vater zeigte mir, wie man Eier ausbläst; er hatte als Kind selber welche gesammelt, in den gleichen Hecken, in denen ich jetzt suchte. Man bohrt in jedes Ende ein winziges Loch, indem man eine Nadelspitze gegen die Schale drückt, während man die Nadel zwischen den Fingern zwirbelt. Dann bläst man an einem Ende hinein und presst den Inhalt durchs gegenüberliegende Nadelloch hinaus. Relativ einfach mit einem Hühnerei, aber unglaublich knifflig mit dem winzigen, weiß-braun gesprenkelten Ei eines Zaunkönigs.

Mein preisgekröntes Exemplar stammte von einem Höckerschwan. Als meine Freunde Les und Mark (oder »Butt«, wie wir ihn nannten, aus Gründen, die ich längst vergessen habe) am Ufer des Dorfkanals Eier suchten, erspähten wir das Ei in einem verlassenen Nest im Röhricht am gegenüberliegenden Ufer. Die restlichen Eier waren längst ausgebrütet, die Eltern und jungen Schwäne nirgends zu sehen. Ohne zu zögern, rissen wir uns T-Shirt und Pullover vom Leib, denn wir wussten, wer als Erstes drüben ankam, gewann den Preis. Butt und Les begannen ihre Jeans auszuziehen, aber ich sprang halb angezogen ins Wasser und machte das Rennen. Das Ei war innen verfault; als ich die Nadel hineinbohrte, spritzte mir eine weiche, verklumpte, bestialisch stinkende Schmiere ins Gesicht. Den Rest des Inhalts auszublasen, war ein unvergessliches Martyrium, bei dem mir, weil ich schon ganz grün im Gesicht war, schließlich mein gutmütiger Vater half. Und dann bekam das Ei, das immer noch ziemlich widerlich roch, einen Ehrenplatz in der Mitte der Vitrine an meiner Zimmerwand.

Moderne Leser werden über all das entsetzt sein. Heutzutage stehen Eiersammler in der sozialen Hierarchie nur eine kleine Stufe über den Serienmördern (na ja, in gewisser Hinsicht sind sie tatsächlich Serienmörder, geschieht ihnen also recht). Es stimmt, dass die meisten Eier, die ich sammelte, noch lebten, anders als das Schwanenei. Ich verteidige das Eiersammeln nicht; ganz sicher würde ich es meinen drei Söhnen nicht erlauben. Aber ich habe eine Menge über Naturkunde gelernt, als ich in meiner Freizeit Jagd auf Eier machte. Wir nahmen immer nur eins pro Nest und bemühten uns, so wenig Unordnung wie möglich zu schaffen. Das ist natürlich keine Rechtfertigung. Die Eier extrem seltener Vögel zu sammeln ist selbstverständlich ein abscheuliches Verbrechen, und ich bin froh, dass es mir nie gelungen ist, irgendetwas besonders Rares zu finden. Doch manchmal denke ich, dass unsere Sicht auf unsere eigenen Aktivitäten und die der anderen verzerrt ist. Wie viele Leute verdammen zum Beispiel das Eiersammeln, während sie ihrer Katze erlauben, ungehindert herumzustreuen? (Hauskatzen töten alljährlich Millionen von Vögeln und Kleinsäugern.)

Von Vogeleiern ging ich zu Insekten über und begann Schmetterlinge zu sammeln. Meine Mutter, die Gute, war davon nicht begeistert – aber ich überzeugte sie, dass ich von jeder Spezies nur ein Männchen und ein Weibchen fangen und also keinen allzu großen Schaden anrichten würde. Als Grundstein für meine Sammlung bestellte ich bei einer Schmetterlingsfarm in Dorset, die sich Worldwide Butterflies nannte, einen toten, getrockneten, aber sehr schönen tropischen Schwalbenschwanz. Es traf ein Kuvert mit einer kleinen Schachtel ein, die ich total aufgeregt öffnete. Was ich nicht geahnt hatte: Das Exemplar war nicht »gespannt«, d. h. die Flügel waren zusammengefaltet, der Insektenleib nicht mit einer Nadel durchstochen. Ich versuchte die Flügel aufzuklappen, ohne zu wissen, dass dies bei trockenen Schmetterlingen unmöglich ist; sie sind unglaublich spröde und zart.

Als ich tollpatschig versuchte, den Schmetterling in einer attraktiven Position zu arrangieren, brachen die Flügel und fast alle Beine ab. Übrig blieb ein zutiefst deprimierendes Sammelsurium von Körperteilen. Entmutigt beschaffte ich mir kurz darauf ein gebrauchtes Buch, Studying Insects von E. B. Ford, das erklärte, was ich falsch gemacht hatte. Um einen Schmetterling zu spannen und die flachen Flügel wunderbar symmetrisch festzupinnen, so wie man das immer in Museen sieht, muss er frisch getötet sein oder, falls er getrocknet ist, erst einmal »entspannt« werden, indem man ihn einige Tage (nicht länger, sonst wird er schimmelig) mit feuchtem Küchenpapier in eine Dose legt. In weichem, feuchtem Zustand kann der Schmetterling dann vorsichtig genadelt und in der gewünschten Position arrangiert werden. Nach dem Trocknen bleibt er für immer in dieser Position fixiert, solange er nicht wieder feucht wird.

In Studying Insects wurde auch erklärt, wie man ein Tötungsglas hergestellt, indem man den Boden eines großen Einmachglases mit zerquetschten Kirschlorbeerblättern bedeckt; zerquetscht geben die Blätter Cyanid ab, das stark und süß nach Marzipan riecht (obwohl ich wusste, dass es giftig ist, konnte ich nicht widerstehen, ab und zu kräftig hineinzuschnuppern). Einige Minuten in dem Einmachglas reichen aus, um einen Schmetterling in den ewigen Schlaf zu schicken.

Ich versuchte auch, aus einem Drahtkleiderbügel und Strümpfen meiner Mom ein Schmetterlingsnetz zu basteln, scheiterte aber kläglich, und ohne Netz war es fast unmöglich, etwas zu fangen. Schließlich entdeckte ich die Adresse der Firma Watkins & Doncaster, ansässig in Hawkhurst in Kent. Sie bezeichnete sich als »Lieferant entomologischer Ausrüstungsgegenstände«. Ich schrieb hin und erhielt wenige Tage später per Post den Katalog.

Dies war ein folgenreicher Moment in meinem Leben, ein absoluter Wendepunkt.

Ich war gerade von einem Mini-Rugby-Match nach Hause gekommen, dürfte also acht Jahre alt gewesen sein. Da ich total verdreckt war, nahm ich den Katalog mit nach oben, um ihn in der Badewanne zu lesen. Etwas so Wunderbares wie den Watkins-&-Doncaster-Katalog hatte ich noch nie im Leben gesehen. Er war dick und enthielt Seite um Seite Abbildungen der tollsten Utensilien: Insektennetze, Teichkeschernetze, Sammelbehälter, Käfige, Glasröhrchen, Vergrößerungsgläser, Malaise-Fallen, Mikroskope, Spannbretter, Falterfallen, Exhaustoren, wunderschöne Insektenschränke aus Mahagoni. Der letzte Teil des Katalogs betraf die Taxidermie und enthielt so hinreißende Objekte wie etwa einen Hirnspatel, einen Knochenfräser und eine riesige Auswahl an Glasaugen. Ich war gebannt, total fasziniert. Dies war eine völlig neue Welt. Außerdem gab es offensichtlich massenhaft Leute wie mich! Am liebsten hätte ich sämtliche Artikel des Katalogs aufgekauft, aber mein Taschengeld setzte mir enge Grenzen. Nichtsdestotrotz war mein erster Kauf ein drachenförmiges Profi-Fangnetz, das mich 16 £ kostete, für einen Achtjährigen ein Vermögen, und ich war unendlich stolz darauf. Es war fast so groß wie ich, mit einem robusten Messinggriff, einem stabilen Metallrahmen und einem weichen, sehr tiefen schwarzen Netz. Damit glaubte ich nun beinahe alles fangen zu können.

Allmählich wuchs meine Schmetterlingssammlung, ebenso meine Sammlung von Büchern über Schmetterlinge und sonstige Insekten. Mein erster Fang war ein furchtbar zerfledderter Distelfalter, dessen Flügel auf der langen Reise von Marokko nach England eingerissen waren. Bald kamen ein Großes Ochsenauge, Große und Kleine Kohlweißlinge, ein Rotbraunes Ochsenauge, ein Waldbrettspiel, ein Kleiner Fuchs, Rote Admirale, ein Hauhechel-Bläuling und ein Pfauenauge hinzu.

Bis zum heutigen Tag finde ich diese Tiere atemberaubend schön; ich besitze diese Exemplare noch, in der obersten Schublade eines Insektenschranks, den ich mir erst drei Jahrzehnte später leisten konnte. Ich lernte auch, nach Eiern und Raupen zu suchen, was hieß, dass ich erst einmal herausfinden musste, was die Raupen fraßen, und so lernte ich, Pflanzen zu bestimmen. Mit etwas Pflege ist es ganz leicht, Raupen zu adulten Schmetterlingen großzuziehen; auf diese Weise bekommt man schöne frische Exemplare für seine Sammlung, und die überzähligen Schmetterlinge kann man freilassen. Ich eignete mir unglaublich viel Wissen an.

Von Schmetterlingen dehnte ich mein Interesse auf Falter aus. Die meisten Falter fliegen bei Nacht, und es gibt vor allem zwei Fangmethoden. Die eine ist das Ködern mit einer zähen, süßen Masse. Zu diesem Zweck kocht man ein fantastisches Gebräu aus Rübensirup, Bier, braunem Zucker, Vanilleextrakt, Bonbons, Rum oder Brandy und kann dies im Grunde beliebig ergänzen, solange die Ingredienzien das berauschende Aroma verstärken. Jeder Faltersammler scheint sein eigenes streng geheimes Rezept zu haben. Egal welche Mixtur, das Endprodukt sollte eine dicke, klebrige Flüssigkeit sein, die so stark riecht, dass einem schon aus fünfzig Schritt Entfernung die Augen tränen. Diese Mischung streicht man dann in der Dämmerung auf Zaunpfosten oder Baumstämme. Der unwiderstehliche Duft soll die Falter anlocken, die landen und von dem Sirup trinken; berauscht vom Alkohol sitzen sie benommen da und können vom eifrigen Faltersammler eingefangen werden. Ich verpestete das ganze Haus mit den verschiedensten Varianten dieses Gebräus und verbrauchte Unmengen von Zucker, Rübensirup und Backaroma-Fläschchen aus den Vorräten meiner Mom, sowie einen beträchtlichen Teil der Alkoholbestände meines Dads.

Doch die Resultate waren enttäuschend. Ohrwürmer schienen die einzigen Tiere zu sein, die in Massen angelockt wurden; manchmal wimmelten Hunderte davon über die Sirupstellen und blieben in dem klebrigen Zeug hängen, wenn sie vor lauter Fressgier übereinander kletterten. Nachtfalter ließen sich kaum blicken. Außerdem fand ich es etwas nervenaufreibend, nachts allein über die Felder zu streifen (nicht zuletzt deshalb, weil mein Vater mich und meinen Bruder samstagabends regelmäßig die Hammer House of Horror-Serie anschauen ließ und meine äußerst lebhafte Fantasie in jedem Schatten einen Vampir sah). Einmal überprüfte ich gerade den Sirupfleck auf einer großen Esche, als direkt über mir ein Waldkauz kreischte. Obwohl ich wusste, dass es ein Kauz war, hätte ich am liebsten der Versuchung nachgegeben, schnurstracks nach Hause zurückzurennen, und gute zehn Minuten lang hämmerte mir wie verrückt das Herz in der Brust.

Es gibt aber auch noch eine andere, bequemere Methode, Falter anzulocken: eine Lichtfalle. Studying Insects erklärte das Prinzip: Falter werden von Kerzen und vielen anderen Lichtquellen angezogen. Deshalb braucht man für diese Art von Falterfallen ein helles Licht, angebracht über einem Behälter, der ein bisschen an einen Hummerkorb erinnert. Die Falter werden vom Licht angelockt, stolpern hinein und fallen durch einen Trichter in einen großen, dunklen Container, der meist mit Eierkartons ausgestopft ist, auf denen sie scheinbar gerne sitzen. Da sich dies viel leichter anhörte und weniger gruselig schien, als nachts im Dunkeln mit einem Eimer Sirup durch die Felder zu latschen, beschloss ich, es auszuprobieren.

Ich installierte eine 100-Watt-Birne über einem selbstgebastelten Papptrichter, der wiederum auf einem Plastikeimer befestigt war, schaltete das Licht an, bevor ich zu Bett ging, und konnte es kaum erwarten. Schon im Morgengrauen flitzte ich hinunter, um meinen Fang zu inspizieren. Aber ich wurde enttäuscht: Ich fand nur ein paar Wespen und einen winzigen braunen Falter, Mikrofalter genannt, wie ich heute weiß. Ich versuchte es ein paar Wochen lang, aber so gut wie erfolglos. Nach weiteren Recherchen kam ich zu dem Schluss, dass sich zum Anlocken von Faltern am besten ultraviolettes Licht eignete. Zufällig besaß meine Mutter so eine komische altmodische Wärmelampe zur Behandlung von Muskelverletzungen, die noch aus der Zeit ihres Sportstudiums stammte. Diese Lampe ähnelte einer riesigen Gelenkleuchte, hatte aber zwei sehr elegante Birnen, von denen die eine Infrarotlicht und die andere UV-Licht abgab. Bis zum heutigen Tag habe ich keine Ahnung, wie es je als gute Idee gelten konnte, verletzte Körperteile intensiv zu bräunen und gleichzeitig einem Hitzeschwall auszusetzen; vermutlich wusste man damals noch nicht so viel über Hautkrebs. Jedenfalls hatte ich meine Mutter das Gerät noch nie benutzen sehen (glücklicherweise vermutlich) und dachte mir, es wäre bestimmt okay, es im Dienste der Wissenschaft zweckzuentfremden.

Das einzige Problem bestand darin, dass sich das UV-Licht nicht ohne das Heizelement einschalten ließ. Unbeirrt baute ich beide Birnen nebeneinander über meiner selbstgebastelten Eimerfalle auf und ließ sie die ganze Nacht hindurch brennen. Am nächsten Morgen begutachtete ich den fragwürdigen Erfolg. Die UV-Lampe hatte zwar viele Falter angelockt, aber leider waren sie durch die Heizlampe knusprig geröstet: In meiner Falle türmten sich verkohlte Falterleichen. Nicht gerade im Sinne des Erfinders! Frustriert versuchte ich die Lampen mit neuen Leitungen zu bestücken, um die beiden Birnen zu trennen. Ich glaube, dass ich damals in der Schule noch keinen Physikunterricht hatte (ich war ja erst neun Jahre alt), also war die Sache zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Als ich die modifizierte Lampe anschaltete, diesmal war nur die UV-Birne mit dem Strom verbunden, gab es einen lauten Knall. Die UV-Birne war zerplatzt. Ich baute Mutters Lampe wieder zusammen und stellte sie in den Schrank zurück, in der Hoffnung, dass sie es nie bemerken würde. Aber natürlich bemerkte sie es. Das war viele Jahre, bevor ich genug Geld gespart hatte, um mir eine richtige »Robinson Quecksilberdampflampe zum Falterfang« zu kaufen (übrigens ein absolut fantastisches Gerät, das die ganze Gegend mit einem schaurigen Leuchten erfüllt und von weither Falter anlockt). In der Zwischenzeit wuchs meine Faltersammlung nur ziemlich langsam.

Damals war es mir gar nicht bewusst, aber meine Kindheit fiel zufällig mit einer katastrophalen Periode der Geschichte des britischen Landlebens zusammen, zumindest aus Sicht eines Schmetterlings oder einer Hummel. Bei Shropshire denkt man vielleicht an eine Idylle, aber das täuscht. Es war und ist zwar ein relativ ländlicher, grüner Teil Großbritanniens, entspricht aber heute nicht mehr dem Paradies für wild lebende Tiere, das es früher einmal war. Ich zog 1972 dorthin und blieb, bis ich 1984 mein Studium begann. An Wochenenden lief ich oft mit meinen Freunden über die Felder zum zwei Meilen entfernten Shropshire Union Canal, und wir suchten unterwegs in den Hecken nach Vogelnestern. Früher führte dieser Weg über fünfzehn Felder, jedes von einer Hecke begrenzt.

Als ich wegzog, um die Universität zu besuchen, führte dieser Weg nur noch über ein einziges Feld – von riesiger Ausdehnung. Die Hecken, in denen ich früher nach Vogeleiern gesucht hatte, waren eine nach der anderen entfernt worden. Ein großer Teil des Kanals war nun aufgefüllt, mit Erde bedeckt und gehörte jetzt zu der riesigen Fläche von Ackerland. Wo einst Hummeln Brombeeren in den Hecken gefunden hatten, Schlüsselblumen an den Heckenrändern und Sumpfwundkraut an den Ufern des Kanals, gab es jetzt nur noch ein Meer von Getreide, eine Monokultur, die sich über die ganze Landschaft erstreckte. Diese Veränderungen vollzogen sich fast überall im britischen Flachland und fegten über ganz Westeuropa hinweg.

Sie bewirkten den Niedergang vieler Tierarten, in manchen Fällen sogar ihre Ausrottung, und unsere Landschaft ist dadurch sehr viel ärmer geworden. Doch noch ist der Kampf nicht verloren. Langsam und zögernd haben wir begonnen, nach Wegen zu suchen, um die schädliche Entwicklung rückgängig zu machen. Wissenschaftliche Studien belegen, wie sich effiziente Landwirtschaft am besten mit Landschaftspflege verbinden lässt. Es stehen eine ganze Reihe von Subventionen zur Verfügung, um die Bauern bei der Ansiedlung wild lebender Tiere zu unterstützen. Die Briten hegen eine einzigartige Liebe zu ihrer Landschaft und zu den Tieren und Pflanzen darin, und es gibt eine riesige Welle von Unterstützung für die Bewahrung der Natur. Deshalb gründete ich 2006 den Bumblebee Conservation Trust, eine Stiftung, die der Rettung unserer Hummeln gewidmet ist und zu meinem Entzücken wächst und gedeiht. Sie hat jetzt über achttausend zahlende Mitglieder und schafft blumenreichen Lebensraum für Hummeln in ganz Großbritannien, von Kent bis Pembrokeshire und Caithness. Die meisten unserer wild lebenden Tiere und Pflanzen lassen sich nicht unterkriegen und können sich mit unserer Hilfe wieder erholen. Manchmal geschieht es sogar, dass eine Spezies, die vollkommen verloren war, zurückkehrt. Doch dies ist Thema von Kapitel eins ...