Das große Hausbuch
mit Geschichten, Bildern, Texten, Sprüchen, Märchen
und einem Tagebuch-Roman

CHRISTINE NÖSTLINGER

HEIDE STÖLLINGER

Ein und Alles

1.1.

Zum Hoffen

ist immer

ein Löchlein

offen!

(Alte Mäuseregel)

2.1.

Lieber XY!

1. Warum kommt ein Unglück selten allein?

2. Warum fällt ein Apfel nicht weit vom Stamm?

3. Warum sind aller guten Dinge drei?

Deine Iris

Liebe Iris!

1. Wer hat dir diesen Plunder erzählt?

2. Ein Unglück kommt immer allein! Das siehst du schon daran, dass es die Mehrzahl von Unglück gar nicht gibt. „Zwei Unglücke“? Na eben.

3. Ein Apfel kann sehr weit vom Stamm fallen. Wie weit, das hängt von der Breite der Baumkrone und der Stärke des herrschenden Windes ab. Da gilt die Formel: d = U2 × c × t3

4. Dass aller guten Dinge weit mehr als drei sein können, wird dir ja wohl selbst ein Blick in die Auslage eines Konditors zeigen.

In der Hoffnung, dein Weltbild zurechtgerückt zu haben,

Dein XY

3.1.

Ein leeres Sparbuch

am dritten Januar

zeugt von Lotterleben

im letzten Jahr.

4.1.

Entschluss

Am letzten Tag des alten Jahres fasste der Hans gute Vorsätze. Er stellte sich vor den Spiegel, schaute sich in die Augen und sprach: „Ab nun will ich in der Nacht nicht mehr schnarchen und auch meiner kleinen Schwester nicht mehr in den Hintern treten!“

Am Morgen des ersten Tages im neuen Jahr, als der Hans erwachte, sagte seine kleine Schwester zu ihm: „Heute in der Nacht hast du vielleicht wieder einmal laut geschnarcht!“ Da sprang der Hans aus dem Bett, lief zum Spiegel, schaute sich in die Augen und sprach: „Der Mensch hat eben keinen freien Willen!“ Dann drehte er sich um und trat seiner kleinen Schwester in den Hintern.

5.1.

Kleines Mutmachergedicht

Am Geburtstag den lieben Eltern aufzusagen

Ich weiß, es gibt klügere Knaben,

die weitaus bessere Noten haben

und sich braver als ich benehmen.

Aber ihr müsst euch deshalb nicht schämen!

Betrachtet mich einfach als Probestück.

Kopf hoch! Fasst Mut! Mit etwas Glück

gelingt euch garantiert im nächsten Jahr

ein wesentlich besseres Exemplar!

6.1.

Aus Aufzeichnungen, gefunden im Briefkasten der Sternwarte von Popelburg.

Ich heiße Marcel, bin 12 Jahre alt und echt kein Tagebuchschreiber. Das wird auch eher ein Tatsachenbericht, und den schreibe ich auch nur deswegen auf, weil ich die Tatsachen keinem erzählen kann. Also können würde ich schon, aber glauben würde mir nicht einmal meine leichtgläubige Oma. Ich würde zu hören bekommen, dass ich einen Traum für Wirklichkeit halte. Und der lebende Beweis für die Tatsachen, nämlich PX-012, ist futsch! Samt seiner Kugel-Kapsel! Doch nun von Anfang an: Vergangene Nacht bin ich aufgewacht, weil es im Zimmer so heiß gewesen ist. Unsere Zentralheizung spinnt und heizt manchmal wild drauflos. Ich bin aus dem Bett und habe das Fenster aufgerissen. Am Himmel sind viele Sterne gestanden. Und zwischen all den goldgelben waren – dicht aneinander – zwei rote. Das hat mich zuerst nicht gewundert, weil ich verschlafen war. Gewundert habe ich mich erst, wie die zwei roten Sterne immer größer geworden sind. Und wie sie so groß wie Murmeln waren, ist die rechte Murmel Richtung Kirche weggesaust. Die linke ist auf mein Fenster zu und dabei noch größer geworden. In der Luft hat es gesaust, und eine handballgroße silberne Kugel, mit roten Lichtern gespickt, ist an meinem Kopf vorbei, ins Zimmer rein und auf meiner Tuchent gelandet. Die Lichter sind erloschen, die obere Kugelhälfte ist zur Seite geklappt, ein Winzling ist aus der unteren Hälfte gestiegen, hat sich auf die Brust geklopft und „PX-012“ gesagt. Dann hat er seine silberne Jacke ausgezogen, hat „groß müde viel“ gemurmelt, hat sich in mein Kissen gekuschelt und zu schnarchen angefangen. Ich habe gedacht, ich träume. Und weil man beim Träumen besser im Bett liegt, bin ich ins Bett zurück und habe weitergeschlafen.

7.1.

Noch heute am Morgen habe ich alles für geträumt gehalten. Schließlich ist in meinem Bett weder eine Silberkugel noch ein Winzling gewesen. Doch dann habe ich die kleine silberne Jacke vor dem Bett gesehen. So klein, dass sie den Barbies meiner Schwester passen würde. Und eine geträumte Jacke kann nicht vor dem Bett liegen. Zu blöde, dass ich das Fenster offen gelassen habe! Aber ich hoffe, PX-012 kommt zurück, um sich seine Jacke zu holen.

8.1.

Aus Aufzeichnungen, gefunden im Briefkasten der Sternwarte von Popelburg.

Gestern nach der Schule bin ich so schnell heimgerannt, wie noch nie. Damit ich PX-012 nicht verpasse, wenn er sich seine Jacke holen will.

Mit der Mama habe ich wegen dem offenen Fenster Streit bekommen. Dauernd hat sie ins Zimmer reingebrüllt: „Fenster zu! Draußen hat es minus fünfzehn Grad!“ Ich habe behauptet, dass ich Wallungen habe. Weil das meine Oma immer sagt, wenn sie alle Fenster aufreißt. Aber die Mama hat mir die Wallungen nicht geglaubt. Und PX-012 ist auch nicht gekommen.

Darum spiele ich heute krank. Liege im Bett und warte auf den Winzling. Und streite mich mit der Mama weiter um das offene Fenster.

9.1.

Mein Hals ist nicht rot, ich habe kein Fieber, meine Nase rinnt nicht, und mein Husten klingt auch nicht wirklich echt. Also habe ich nicht länger krankspielen können und muss heute in die Schule gehen. Garantiert schließt die Mama, wenn ich aus dem Haus bin, mein Fenster.

Dagegen kann ich im Moment nichts machen. Aber nach der Schule suche ich mir aus unserer großen Schlüsselkiste einen Schlüssel raus, der zu meiner Zimmertür passt. Und sperre mein Zimmer ab. Und die Mama kommt nicht mehr an mein offenes Fenster ran.

10.1.

Alle sind zufrieden mit mir

Die Mama ist zufrieden mit mir, wenn ich im Haushalt helfe. Der Papa ist zufrieden mit mir, wenn ich gute Noten habe. Der große Bruder ist zufrieden mit mir, wenn ich ihm von meinem Taschengeld etwas abgebe. Die kleine Schwester ist zufrieden mit mir, wenn ich ihre Rechenhausübung mache. Die Oma ist zufrieden mit mir, wenn ich nicht fernschaue und nicht Radio höre. Wahrscheinlich ist es sehr ungerecht von mir, wenn ich mit ihnen allen nicht zufrieden bin!

11.1.

VERWECHSELST DU

AM ELFTEN JÄNNER

NOCH IMMER DEN ZÄHLER

MIT DEM NENNER,

BIST DU KEIN WAHRES

RECHENGENIE

UND ERLERNST DAS BRUCHBRECHEN NIE!

Alte Lehrerregel

12.1.

Aus Aufzeichnungen, gefunden im Briefkasten der Sternwarte von Popelburg.

Normalerweise kann ich mit meiner Mama gut verhandeln. Sie ist nicht so eine, die Befehle ausgibt und erwartet, dass man sie ohne Widerspruch befolgt. Erklärt man ihr vernünftig, warum man etwas nicht tun kann, gibt sie fast immer nach. Aber mein offenes Fenster kann ich ihr nicht vernünftig erklären. Soll ich vielleicht sagen: „Damit PX-012 reinfliegen kann!“?

Und meine Schlüssel-Idee haut auch nicht hin. Die Mama hat nämlich in der Schlüsselkiste einen zweiten passenden Schlüssel gefunden.

So spielen wir halt: Ich reiße das Fenster auf, sie kommt rein und macht es zu, ich reiße es wieder auf, und sie kommt rein – und so weiter und so fort. Das nervt!

13.1.

Allergrößte Not

Es ist stockdunkel,

da sind Schritte ums Haus.

Hör auch Gemunkel.

Wag mich aus dem Bett nicht raus.

Mond will nicht scheinen,

viel Regen prasselt ans Fenster,

mir ist zum Weinen,

vor der Tür stehen Gespenster.

Sollt aufs Klo,

müsst dringend Pipi,

fürcht mich so.

Den Weg schaff ich nie!

Pitschpatschnass

ist nun die blöde Matratze.

Oh, wie ich das hass!

Morgen schieb ich’s auf die Katze!

14.1.

Das Kind träumt:

Es ist Montag, frühmorgens. Punkt sieben Uhr. Es steht auf und räumt seine Schultasche ein. Es will das Matheheft in die Schultasche tun, da fällt ihm ein, dass es vergessen hat, die Hausübung zu machen. „Mama, Papa, kommt her!“, schreit das Kind. „Ihr müsst mir helfen!“ Die Mama und der Papa kommen gelaufen. „Sind nur zwei Beispiele“, sagt das Kind. Es setzt sich zum Schreibtisch und schlägt das Matheheft auf. Die Mama beugt sich über seine Schulter und diktiert: „Zwei a plus sieben b plus drei a minus zwei b sind fünf a plus fünf b.“ Dann beugt sich der Papa über seine Schulter und diktiert: „Wenn zwei Maurer in acht Stunden eine Mauer bauen, bauen sechzehn Arbeiter diese Mauer in einer Stunde!“ Zehn Minuten nach sieben Uhr klappt das Kind sein Matheheft zu, und die Mama und der Papa sagen: „Na, das hätten wir wieder einmal geschafft!“

Das Kind wacht auf:

Es ist Montag, frühmorgens. Punkt sieben Uhr. Es steht auf und räumt seine Schultasche ein. Es will das Matheheft in die Schultasche tun, da fällt ihm ein, dass es vergessen hat, die Hausübung zu machen. Ganz blass wird das Kind, seine Hände zittern, sein Magen krampft sich zusammen. „Was ist denn wieder los mit dir?“, fragt die Mama. „Mir ist übel“, sagt das Kind und legt sich wieder ins Bett. Und der Papa sagt: „So oft wie unser Kind ist sonst keines krank!“

15.1.

Viel Latein

„Wie schaut denn deine neue Freundin, die Annaluise, aus?“, fragte die Mutter den Hans.

Der Hans antwortete: „Sie hat blitzblaue Oculi und einen blutroten Os, zierliche Pedes und eine winzige Nasus. Bloß das linke Auris steht ihr ab!“

Da rief die Mutter: „Hans, wie redest du denn? Bist du übergeschnappt?“ Der Hans zeigte mit einer Hand auf seinen Unterbauch und mit der anderen Hand auf den seiner Mutter und sprach: „Warum sollen nur Vagina und Penis einen Anspruch auf lateinische Namen haben? Gleiches Recht für alle Körperteile!“

16.1.

Sehnsucht

Ich habe Sehnsucht

nach einer Meeresbucht

mit Felsen und Strand

in einem fernen Land.

Dort möcht ich sitzen,

in der Sonne schwitzen

und Sehnsucht haben

nach hungrigen Raben

auf kahlen Feldern,

nach verschneiten Wäldern

und eisigem Windeswehn.

Kann’s selbst nicht verstehn.

17.1.

Leidenschaft

Was aus der Nase rauszubohren

und das Schmalz aus den Ohrenschützern

zu holen

und beides ganz verstohlen

zu einem Kügelchen zu drehen

und das genau zu besehen

und ein bisschen zu belecken

und es hierauf in den Mund reinzustecken,

das finden die meisten Leute abscheulich.

Aber für mich ist es so erfreulich

wie sonst nichts im Leben.

Drum muss ich es mir dreimal täglich geben!

18.1.

Abendgebet

Lieber guter Jesus Christ,

wennst ein bisschen einsichtig bist,

verstehst, dass ich sehr oft lüge

und Mama und Papa betrüge.

Die Wahrheit trägt mir bloß Prügel ein.

Das kann nicht dein Wille sein!

19.1.

Aus dem Schulbuch ELTERN IN ALLER WELT,

zugelassen für das Unterrichtsfach ELTERNLEHRE 5. und 6. Schulstufe:

Es gibt keine Eltern-Prüfungen. Der Eltern-Beruf wird ungelernt ausgeübt!

Gelernt wird am lebenden Objekt, dem Kind.

Die Annahme, dass Eltern mit vielen Kindern den Eltern-Beruf daher besser beherrschen als Eltern mit nur einem Kind, muss nicht richtig sein. Es kommt auch auf das Talent an! Möglicherweise haben sogar viele kinderlose Menschen mehr Talent zum Eltern-Beruf als Normal-Eltern!

Merke:

Eltern haben keine Eltern-Berufsausbildung.

Besprecht das in der Klasse!

Denkt nach, welche kinderlosen Menschen ihr kennt, die mehr Talent zum Eltern-Beruf haben als eure Eltern!

20.1.

Liebe Tante Olga,

woran erkennt man, wer in der Familie das Oberhaupt ist?

Dies will wissen

dein Felix

Lieber Felix,

allgemein gilt: Der Vater hält sich dafür, die Mutter ist es! Andersherum kann es aber auch sein. Es gibt etliche Tricks, das Oberhaupt rauszufinden. Etwa: Wer den ganzen Abend die TV-Fernbedienung in der Hand hält! Wer sich dreimal die Woche Sauerkraut mit Blutwurst als Mittagessen bestellen kann, obwohl außer ihm niemand diese Speise mag! Und dergleichen mehr. Wer schreit und herumbrüllt, kann auch ein „Schein-Oberhaupt“ sein, das in Wirklichkeit harmlos ist und nichts zu melden hat. Probier doch einmal Folgendes aus: Frag alle deine Familienmitglieder, ob sie sich als Oberhaupt fühlen. Falls nur dein kleiner Bruder die Frage mit „Ja“ beantwortet, dann gehört ihr zu einer Minderheit.

Aber auch damit lässt sich leben.

Deine Tante Olga

21.1.

21. 1.–19. 2.

Wassermann sucht Wasserfrau,

will keine andre küssen,

weiß aber doch recht genau,

er wird sich bescheiden müssen.

Denn Wasserfrauen lieben nur Fische

und teilen mit denen Bett und Tische.

22.1.

Lebenshilfe

Rede dir deinen Jammer vom Herzen.

Das lindert deine Seelenschmerzen.

Lass allen Kummer aus dir raus!

Sprich dich aus, sprich dich aus!

Und hast du zu keinem Menschen genügend Vertrauen,

musst dir beim Jammern halt im Spiegel zuschauen.

23.1.

Bei uns gibt es alles für den kleinen Puppenvater!

Unsere sprechenden, nässenden und fütterwilligen

Puppenkinder sehnen sich nach einem lieben Vater.

Puppenkinder brauchen Väter,

sonst werden sie später

alte, neurotische Puppen

und müssen in therapeutische Gruppen!

Puppen und Zubehör bei Spielwaren Berger!

24.1.

Dialog nach begangener Schandtat

Vater: Entscheide selbst: Willst du Hiebe
  oder dreiwöchigen Entzug von Liebe?
Kind: Komm mir doch nicht gar so grob,
  spendier mir lieber ein wenig Lob!
Vater: Dreimal verdammt soll ich sein,
  fiel mir an dir was zum Loben ein!
  Du baust ja immer nur Riesenmist,
  weil du der geborene Versager bist!
Kind:
  und wenn du das endlich einmal begriffen hast,
  dann überwinde dich
  und tröste mich.