Meier greift ein

Christoph Mauz

Meier greift ein

Mit Vignetten von Susanne Straßer

Inhalt

Spektakulär, echt!

Sorgen am Morgen

Die Akte Nikodemus Dumser

Rivalen

Klausi schiebt den Mona–Blues

Meier–Feier, Part I

Tripptripptrapp

Eine grandiose Idee

Meier–Feier, Part II

Wild Guys

Der erste Kontakt

Klausi kneift

Peinlich, peinlich!

Der Schnüffler und das Model

Mona bleibt am Ball

Wenn Dackel zu sehr schnappen

Nicht mit Niko!

Meier greift ein

Hier kommt Klaus!

Showdown, erster Teil

Showdown, zweiter Teil

Wenn das Gute gewinnt und das Böse verliert

Unlängst in der City

Spektakulär, echt!

Die Eltern Meier irren durch den verregneten Mainachmittag. Ihr Sohn, Meier junior, hat nämlich morgen Geburtstag und wünscht ein „spektakuläres“ Geschenk. Ein Geschenk, das nicht jeder hat. Ein Geschenk, das seine Klassenkameraden vor Neid ergrünen lässt.

Was haben die braven Eltern nicht schon alles gezeigt bekommen: Sportschuhe aus der Weltraumforschung, Unterhosen mit eingebautem Trockner, ein ferngesteuertes Auto mit einer Tonanlage, die jedes Flugzeug an die Wand brüllt, ein „Lexikon für den kleinen Besserwisser“ und einen Fuß-ball, der „Auweh“ schreit, wenn man ihn tritt. Allerdings brüllt der Ball auch „Eierbär“, wenn man ihn versehentlich neben dem Tor platziert. Deswegen haben die Meiers den Ball nicht gekauft. Vater Meier hat seiner Frau eindringlich erklärt, dass Sohnemännchens fußballerisches Talent so gut wie nicht vorhanden sei und Meier junior daher Gefahr laufe, ständig von seinem eigenen Fußball beschimpft zu werden. Und das wäre für seine psychische Entwicklung gar nicht gut.

„Was soll denn dann aus dem Buben werden! Stell dir vor!“ Vater Meier ist der kalte Schweiß ausgebrochen, so sehr hat ihn der Gedanke mitgenommen. „Wo er doch so leicht zu verstören ist, der Junior. Auf die schiefe Bahn wird er geraten, jawohl! Was da die Nachbarn sagen werden!“

Weil Frau Meier keine üble Nachrede der Nachbarn wünscht, hat sie schnaufend den Schirm wieder aufgespannt und sich bei ihrem Ehemann untergehakt. Die eindringlich vorgetragene Bitte ihres Sohnes schwirrt ihr im Kopf herum: „Etwas total Abgefahrenes! Etwas, das sonst keiner hat!“

Nun schon etwas mutlos stapfen die Meiers weiter durch das Zwielicht. Der Regen tröpfelt auf die fast menschenleere Kärntner Straße. Einzig den fröhlich aufspielenden Straßenmusikern mit ihren riesigen Panflöten ist das Wetter egal. Ein kurzerhand von Herrn Meier spendierter Kaffee sowie eine gewaltige Portion Mohr im Hemd bringen zwar Erfrischung, aber keine wirklich brauchbare Idee. Schweren Herzens beschließen die Meiers noch eine weitere Runde über die fast menschenleere Kärntner Straße zu drehen. Man hat’s nicht leicht als liebendes Elternpaar!

Plötzlich beginnt Vater Meier nach links zu ziehen. „Da, schau! Das ist aber interessant! Dass uns das noch nicht aufgefallen ist!“, ruft er begeistert. Dann muss er husten, weil ihm ein paar Regentropfen in die Luftröhre geraten sind. Mit Schwung bugsiert er seine Frau zu der Auslage eines ziemlich verkommen aussehenden Geschäfts mit dem geheimnisvollen Namen: „Spektakuläre Geschenke, echt!“ Das Firmenschild knarzt windschief im Regen, die Auslage ist völlig verdreckt, und dahinter ist es finster.

„Der Laden hat sicher schon seit Jahren geschlossen!“, will Frau Meier nur einmal bemerkt haben. Aber Vater Meier ist nicht mehr aufzuhalten. Er meint Licht zu erkennen, wenn auch nur sehr schwaches. Er dreht den Türknauf und drückt. Nichts rührt sich. Da deutet Frau Meier auf ein Schild, das am Türglas klebt. „Ziehen!“, steht darauf zu lesen.

Herr Meier zieht also, und die Türe öffnet sich quietschend. Herr Meier steckt den Kopf ins Dunkel und fährt erschrocken zurück. In dem Laden riecht es muffig und ein bisschen modrig, mit einem Hauch von Lavendel. Nach einem Moment des Zögerns fasst sich Herr Meier doch ein Herz und zieht seine Frau bei der Türe rein.

„Göttergatte, hier riecht es muffig und ein bisschen modrig, mit einem Hauch von Lavendel!“, rümpft Frau Meier die Nase.

„Komme sofort!“, schallt eine hohe Stimme aus den staubigen Tiefen des Geschäfts.

Die Meiers nicken geduldig.

„Hoppla! Bin gleich da!“, ächzt die Stimme, nicht mehr ganz so weit entfernt.

Die Meiers schauen sich interessiert im Laden um.

„Bitte sehr, bitte gleich!“, tönt es, schon ein wenig näher.

Die Meiers beginnen mit den Füßen zu scharren.

Da rollt ein hutzeliges Männchen an den Meiers vorbei. Auf Rollschuhen, mit fliegendem grauen Arbeitsmantel. „Bin so gut wie bei Ihnen!“, erklärt es, bevor es kopfüber in der Auslage landet. Es strampelt mit seinen dünnen Beinen, verbittet sich aber jede Hilfe.

„Wir suchen ein Geschenk für unseren Sohn!“, sagt Herr Meier, dem die Faxen des Männchens etwas unheimlich sind. „Aber ein spektakuläres!“, betont Frau Meier. „Der Bub wird morgen nämlich zwölf Jahre alt!“

Der Ladenbesitzer wurstelt sich endlich aus der Auslage, kippt fast noch einmal hintenüber, woran er aber vom rasch zupackenden Herrn Meier gehindert wird, klaubt sich einige Spinnweben aus dem silbergrauen Haar und strahlt: „Da sind Sie bei mir goldrichtig! Wie ist er denn so, der Herr Sohn? Als Sohn, meine ich.“

Frau Meier misst den Alten mit einem durchdringenden Blick. Wie kann man nur so eine Frage stellen! „Der Bub ist natürlich hochintelligent, todesmutig und hat einen Sinn für das Gerechte!“, erklärt sie. „Erst gestern ist er im Hallenbad vom Dreimeterbrett …“ Vater Meier wirft ein, dass Meier junior nicht ganz freiwillig vom Dreimeterbrett gesprungen sei. Ein Klassenkamerad habe ihn geschubst. Aber Mutter Meier geht darauf nicht weiter ein und fährt munter fort, die Heldentaten ihres Sohnes zu schildern: „Und nicht nur mutig ist er, unser Meierchen, nein, er ist auch ein braver Esser. Und so was von tierlieb, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Erst vorgestern hat er dem Pekinesen von der Frau Reichmann …“

„Ich merke schon, Ihr Sohn ist ein ganz besonderer junger Mann“, unterbricht das Männchen Mutter Meiers Lobeshymnen. Es wirft sich in eine theatralische Denkerpose und bittet um absolute Ruhe. Stille breitet sich aus. Man kann fast den Staub rieseln hören. Die Eltern Meier beginnen gerade wieder mit den Füßen zu scharren, da entfährt dem Hutzeligen ein leises Kichern. Er hebt den Zeigefinger und spricht feierlich: „Geehrter Herr, anmutige Dame! Ihr Herr Sohn braucht dieses!“

Er rollt davon, dorthin, wo die Meiers sein Warenlager vermuten, und kommt wenig später mit einem Koffer retour. Es ist ein eleganter, schmaler, schwarzer Koffer aus echtem Krokodillederimitat. Der Griff ist knallrot, und links und rechts davon prangen zwei vergoldete Schlösser mit der Zahlenkombination „007“, was den Koffer noch geheimnisvoller macht. Feierlich stellt das Männchen den Koffer auf den Ladentisch.

„Aha, ein Koffer!“, denkt Vater Meier. Das Männchen wirft ihm einen scharfen Blick zu und schnarrt dann siegessicher: „Was Sie hier sehen, meine Herrschaften, ist das einzige jemals fertiggestellte Modell des Detektivkoffers ‚Kuckuck’. Das Original von der Firma Naserer und Borscht! So etwas haben nicht einmal Superdetektive!“

Herr und Frau Meier sind nur sehr verhalten beeindruckt, wagen aber nichts zu sagen. Das Männchen öffnet den Koffer mit einem lauten Doppelklack. Er ist mit rotem Samt ausgekleidet. Im trüben Licht des Nachmittags prangen darin eine Lupe, Aluminiumpulver und breites Klebeband zum Sichern von Fingerabdrücken, ein Set zum Erstellen von Phantombildern, Karteikarten, ein Fingerabdruckset, eine Fotokamera, ein „Handbuch für den jungen Ermittler“, ein Detektivausweis, eine Lizenz zum Ermitteln, eine Plastikpistole mit Saugnapfpfeilen und Handschellen.

Vater Meier ist begeistert. Sofort schnappt er sich die Pistole und die Handschellen und verhaftet seine Frau. „Als kleiner Bub wollte ich immer Detektiv werden!“, jubiliert er und fuchtelt mit dem Schießeisen herum. Das Männchen grinst. Frau Meier ist auch begeistert, aber die Handschellen schneiden ihr ins Handgelenk. Herr Meier befreit seine Frau und legt die Pistole wieder in den Koffer. „Wirklich prächtig!“, seufzt er.

Das Männchen legt den Kopf schief und lächelt selig. „Ich mache Ihnen ein Angebot, das Sie nicht abschlagen können!“, sagt es feierlich.

„Angenommen!“, ruft Frau Meier, und Vater Meier zieht die Brieftasche. Wenig später sind die beiden stolze Besitzer eines prächtigen, spektakulären und total abgefahrenen Detektivkoffers für ihren Junior.

Der Regen hat aufgehört, nun ist es schwül.

Sorgen am Morgen

„Mensch Meier! Morgen werde ich zwölf Jahre alt!“ Während Meiers Eltern siegesbewusst ihr Wundergeschenk nach Hause tragen, hängt der Meier selbst trüben Gedanken nach. Dazu trägt er einen knallroten, selbst gefalteten Hut aus Papier, mancherorts auch „Tschako“ genannt, kaut an einem Bleistift und philosophiert. Über das Älterwerden und dessen Folgen. „Bald bin ich ein Teenager, krieg Pickel und interessiere mich für Mädchen. Entsetzlich!“

Der Meier zieht eine Grimasse, als hätte er in ein Stück Zitrone gebissen. Er will keinesfalls ein Teenager werden, sondern ein furchtloser Geheimforscher, der die Gefahr liebt! Oder ein mysteriöser Bösewicht und Monsterkonstrukteur. Diese Einsicht ist ihm während eines Lehrausflugs in die Katakomben von St. Stefan gekommen, jener Gruft in Wien, wo jede Menge Totenköpfe gestapelt sind, neben vermoderten Gebeinen und Urnen mit einbalsamierten Herrschereingeweiden.

Die drohenden Gefahren von Pickeln, Girls und Älterwerden sind nicht die einzigen Sorgen, die den Meier plagen. Da ist auch noch sein zu erwartendes Geburtstagsgeschenk. Er hat ziemliche Bedenken, dass es ihn eventuell nicht aus den Schuhen reißen wird. Seine Eltern haben nämlich einen eher eigentümlichen, wenn nicht gar langweiligen Geschmack, was die meisten Dinge angeht. Sie interessieren sich für Opern, für Zigarren, Rotwein, alte Western und die Sorgen und Nöte des europäischen Adels. Meier interessieren diese Dinge nicht die Bohne. Höchstens die Westernfilme, die gefallen ihm gelegentlich. Vor allem dann, wenn die Indianer gewinnen.

Meier befürchtet, dass sein Geburtstagsgeschenk irgendetwas „Praktisches“ sein wird, etwas, das man „länger gebrauchen“ kann, oder – noch schlimmer! – etwas „zum Hineinwachsen“ aus „dankbarem Stoff“, der kratzt, aber nicht verschmutzt. Dabei hätte der Meier gerne etwas, das seine Schulkollegen so richtig vom Hocker fetzt. Einen Gutschein für eine Weltraumfahrt vielleicht oder eine Ritterrüstung mit Schlachtross und beigepacktem Knappen. Was den Meier auch reizen würde, das wäre eine „Ausrüstung für den zukünftigen Abenteurer“ oder der „Baukasten für den jungen Monsterkonstrukteur“. Das wäre was. Da würden die Kolleginnen und Kollegen in der Schule Augen machen, wenn der Meier bei seinem nächsten Bio-Referat im weißen Arbeitsmantel seinen neuesten Mutanten vorführte. Oder bei seiner nächsten Geschichtsprüfung in der Ritterrüstung aufträte und den Professor Rumpelstilzer zum Duell forderte. Vor allem der Dumser Niko würde den Mund nicht mehr zukriegen.

Der Niko! Der Meier erregt sich kurz und knurrt laut den Namen des Klassenschönlings: „Dumser, du alter Butterschädel!“ Der Niko Dumser ist nicht nur wunderhübsch anzusehen und sehr beliebt bei Meiers Schulkolleginnen. Er ist auch der Boss der „Leopoldstädter Elitetruppe“, und die ist eine richtige Gang. Ihr Schlachtruf lautet „Härte hoch!“, und sie gelten als Heimsuchung, wenn auch nur als kleine. Dabei sind sie standhaft bemüht, zumindest eine mittlere Heimsuchung zu werden. Außer dem Niko sind da noch der Zvonko, der Billy und der Erwin. Zurzeit beschränkt sich das Betätigungsfeld der „Leopoldstädter Elitetruppe“ darauf, Knallkörper in Containern für Altglas zur Explosion zu bringen oder in der U-Bahn gefährlich aus der Wäsche zu blicken.

Den Meier nerven solche Typen. Vor allem dann, wenn sie schwächere Kollegen tyrannisieren. Der Klausi ist so einer. Ein gefundenes Fressen für Niko und seine Freunde – oder vielmehr „Homies“. Ständig lässt sich die Elitetruppe eine neue Gemeinheit einfallen. Niko frisst dem Klausi die Pausenbrote weg, Billy bewirft ihn mit Apfelbatzen, und Zvonko klebt ihm Zettel auf den Rücken, auf denen „Tritt mich“ steht oder „Schrumpfhirn“. Erwin findet das irre komisch und lacht immer saublöd.

Den Meier lassen die Kerle halbwegs in Ruhe. Die Pausenbrote, die er von zu Hause mitkriegt, die schmecken dem Niko nicht. Mutter Meier hat nämlich einen Gesundheitsfimmel, wenn sie nicht gerade eine Zigarre raucht oder ein Glas Rotwein trinkt. Sie pflegt Meiers Pausendinkelbrote mit probiotisch-linksdrehenden und ansonsten nicht näher definierbaren Dingen zu belegen. Es kommt wohl gelegentlich vor, dass der Zvonko den Meier als „Brillo“ bezeichnet oder der Erwin ihn vom Dreimeterbrett schubst, aber solche Dinge prallen am Meier ab, da steht er drüber. Vor allem deshalb, weil seine Schultern nicht ganz so breit sind, wie er das gerne hätte.

Wenn er könnte, wie er wollte, hätte der Meier heute Nachmittag am liebsten den Niko gestellt, weil der ihm nachgeschnüffelt hat. Gegenüber vom Papiergeschäft hat er ihm aufgelauert, in dem der Meier sich rotes Buntpapier besorgt hat. Das ist der Rohstoff für Meiers berühmte Denkermützen. Die braucht er, wenn er ein besonders kniffliges Problem zu lösen hat und seine kleinen grauen Zellen in Schwung bringen will. Die Denkermütze hat ihn dann auch sofort auf die glorreiche Idee gebracht, sich nicht auf offener Straße mit Niko anzulegen, sondern ihn besser zu ignorieren. So ist der Meier ganz cool an Niko vorbei heimgetrabt und hat getan, als bemerke er nichts.