Thomas Finn
Der gefallene Stern
Der gefallene Stern – Die Wächter von Astaria #1
Copyright © Thomas Finn 2008
Ein E-book der MiMe books agency Michael Meller
Covergestaltung: © freierstein artwork by Mark Freier
Autorenphoto: © privat
ISBN 978-3-944866-07-9
Du wirst fünf Gestirne schauen, die verschiedene Bahnen wandeln … von ihren leisesten Bewegungen hängt das Geschick der Völker ab, nach ihnen gestaltet sich das Größte wie das Kleinste, je nachdem der Lauf des Gestirns ein günstiger oder ungünstiger gewesen.
Lucius Annaeus Seneca
Trostschrift an Marcia
Kalte Flammen loderten über die Wände des Sternenkerkers. Ein kosmischer Wind entfachte immer wieder aufs Neue das Feuer, das flackerte und knisterte, unaufhörlich gespeist von der Energie der Sterne. Und doch vermochte sein bläulicher Schein kaum, die Tiefen des Verlieses auszuleuchten.
Unten, im Halbdunkel, kauerte ein riesenhaftes Geschöpf. Wenn es wachte und aufsah, dann stach ihm das Sternenlicht schmerzhaft in die Augen. Dabei war das Wesen selbst einmal ein Stern gewesen, der hellste und mächtigste der Stellare. Auf seinen Befehl waren einst die Meere über die Ufer getreten. Sein Wort hatte genügt, um die Welt mit Feuersbrünsten und Wirbelstürmen zu verheeren.
Doch die Zeit lag lange zurück. Jetzt war seine Macht gefesselt und sein Herz von Finsternis erfüllt. All seine Gedanken kreisten um Rache.
In seinen Träumen stürzten seine verräterischen Geschwister, die Stellare, wie Meteore auf die Erde. Ihre brennenden Schwingen ließen das Sphärengefüge des Himmels erglühen. Verzweifelt flehten sie um Gnade, doch ihre Schreie verhallten ungehört im endlosen Raum jenseits des Sternenwalls.
Nein, er war noch nicht geschlagen.
Dereinst würde er eine neue Ordnung errichten.
So wachte und träumte er. Wachte und träumte, während die Jahrhunderte vergingen.
Doch eines Tages wurde er jäh aus dem Schlaf gerissen. Als er an den Flammenwänden des Kerkers hinaufblickte, dorthin, wo ein Teil des fernen Sternenwalls sichtbar war, spürte er schon die Veränderung.
In gespannter Erwartung hob er seine Schwingen, und die Ketten aus Sternenstaub, mit denen er an die Kerkerwände gefesselt war, klirrten. Es waren fünf an der Zahl. Jede von ihnen war von einem der fünf Erzstellare geschmiedet worden, die heute an seiner Statt über die Sphären herrschten. Als Wandelsterne zogen die mächtigsten seiner Brüder und Schwestern über den Himmel, und es verging keine Stunde, da nicht einer der fünf wachsam auf den Sternenkerker hinabblickte.
Und doch schienen die Flammen an den Wänden des Verlieses an Kraft verloren zu haben.
Aus der Kehle des Gefangenen stieg ein lautes Grollen. Prüfend zog er an den Ketten, die noch immer tief in sein Fleisch schnitten. Mit einem Mal zeichneten sich im Feuer Schattengebilde ab, die sich rasch vermehrten, die Flammen schluckten und die Wände des Kerkers zu durchlöchern begannen.
Sein Antlitz wurde zu einer bösen Fratze.
Es war so weit. Endlich!
Seine Saat hatte ihr zerstörerisches Werk entfaltet.
Das Wesen fühlte, dass seine Verbündeten diesseits und jenseits des Sternenwalls bereit waren. Alles, worauf sie warteten, war sein Zeichen.
Es richtete sich mühevoll auf, die Ketten um Hals und Glieder klirrten silberhell. Es packte sie ungeduldig und zerrte an ihnen. Dann brüllte es all seinen Schmerz hinaus und sein Schrei ließ die Welt erzittern.
Dort wo die Splitter seines Herzens lagen, würde dieser Ruf empfangen werden. Jene, die sie hüteten, hatten ihn nicht vergessen.
Denn er war der Herr der Welt.
Und seine Rache würde furchtbar sein.
Mond und Sterne, die Stellare am nächtlichen Himmelszelt, spiegelten sich im Wasser des kleinen Flusses, der sich rauschend seinen Weg durch den Laubwald bahnte. Der warme Wind roch nach Blättern und feuchter Erde.
Fabio hockte regungslos im Dickicht der Uferböschung und blickte auf die reißende Strömung, die Zweige und Wurzelwerk mit sich fortriss. Offenbar hatten die starken Regenfälle am Mittag den Fluss stark anschwellen lassen. Doch das war Fabios geringste Sorge. Die Fährte endete hier.
Misstrauisch musterte er noch einmal den Wald am gegenüberliegenden Ufer. Leider konnte er nicht erkennen, ob sich die Spuren drüben fortsetzten. Fabio seufzte und blickte kurz zum Mond auf, der halb von einer Wolkenbank verdeckt war. Doch Molunah, die Mächtigste unter den Erzstellaren, verweigerte ihm heute ihre Gunst.
»Und?«
Hinter sich hörte Fabio das Schnauben eines Pferdes und das leise Klirren eines Kettenhemds.
Er verließ die Deckung und straffte sein Schnürhemd, das er unter dem abgewetzten Umhang trug. »Die Goblins waren hier, Herr.« Er zog sein Kurzschwert und teilte damit das hohe Gras in der Nähe eines verrotteten Baums. In Molunahs Silberlicht wurde ein Fußabdruck sichtbar, der etwas schmaler und kleiner als der eines Menschen war. Ein ungeübter Beobachter hätte die Fährte wohl für die Hinterlassenschaft eines Gnoms halten können, wären da nicht die Vertiefungen gewesen, welche die überlangen Fußnägel im Erdreich hinterlassen hatten. Es bestand also kein Zweifel daran, dass die Spur von einem ihrer Feinde aus dem Osten herrührte.
»Der Abdruck hier stammt von einem anderen Goblin als die Spur, die uns hierhergeführt hat«, fuhr Fabio fort. »Dieser Fuß weist in der Mitte einen verkümmerten Zeh auf. Ich bin mir daher sicher, dass wir es inzwischen mit zwei dieser Kreaturen zu tun haben.«
»Nun, das wird Baron de Vontafei nicht gerade freuen«, antwortete ihm die tiefe Stimme. »Immerhin gehört der Wald zu seinen Ländereien. Aber ich hoffe doch, das ist nicht alles, was dir die Fährte verrät?«
Fabios Herr Ludovico saß hoch zu Ross im Schatten zweier Kastanien, ein bloßer Schemen im fahlen Mondlicht.
Fabio steckte sein Kurzschwert zurück in die Scheide und strich sich leicht verstimmt eine helle Strähne hinters Ohr. Es wurde Zeit, dass er seine Haare wieder auf Kinnlänge schnitt, doch in den letzten Wochen hatte er für Nebensächlichkeiten wie diese keine Zeit gehabt. Es ärgerte ihn, dass ihn sein Herr Ludovico wie einen Pagen behandelte und nicht wie einen Knappen, der kurz vor dem Ritterschlag stand. Immerhin hatte er sein siebzehntes Lebensjahr fast vollendet. In einem Monat würde auch er ein vollwertiges Ordensmitglied sein. Dann würde er mit seinem Herrn an einem Tisch sitzen.
»Nein, Herr, natürlich ist das nicht alles.« Fabio hob einen Zweig vom Boden auf und stocherte damit vorsichtig im Wasser herum, das sich in dem Abdruck gesammelt hatte.
»Die Spur ist mit Regenwasser gefüllt. Das bedeutet, dass die Goblins vor dem schweren Gewitter heute Mittag hier waren, also bereits vor etwa zehn oder elf Stunden. Ansonsten wäre die Spur trocken.« Fabio prüfte die Tiefe des Abdrucks. »Der Goblin hat sich hinter diesem Baumstumpf verborgen gehalten. Der Fußballen hat sich etwas tiefer eingedrückt als die Ferse. Vermutlich hat er von hier aus den Wald auf der anderen Seite des Flusses ausgespäht.«
»Denkbar«, brummte sein Herr. »Denn das Anwesen von Vittore de Vontafei und seiner Familie ist nicht weit entfernt. Die Männer des Barons sind sicher kaum weniger aufmerksam als wir.«
Ludovico lenkte sein Pferd an die Seite seines Knappen. Seinen Helm hatte der Paladin an den Sattelknauf gehängt. Sein Haar war schütter, in das Gesicht des Alten hatte die Zeit tiefe Furchen gegraben. Darüber konnte auch der dichte Vollbart nicht hinwegtäuschen. Dennoch war Fabios Herr Ludovico eine stattliche Erscheinung. Er stammte aus der Gegend um Firenze. Wie alle Paladine trug er ein schimmerndes, seitlich geschlitztes Kettenhemd, das von einem zinnoberroten Waffenrock geziert wurde. Diesen hatte Fabio – was in der Dunkelheit nicht zu sehen war – bereits mehrfach geflickt. Auf das feine Tuch war das Wappen der Paladine vom Orden der Morgenröte genäht: eine weiße Sonnenscheibe mit vergoldetem Flammenrand, die von fünf Sternen umrahmt wurde. Darin prangte die geflügelte Gestalt Marsakiels. Die Weber hatten den Erzstellar des Krieges als geflügelten Kämpfer mit Schwert und Schild dargestellt. Natürlich ebenfalls in zinnoberrotem Garn, schließlich zeigte sich der Himmlische in manchen Nächten als roter Wandelstern am Himmel. Selbst Ludovicos Streitross war in einen schmückenden Überwurf aus rotem Stoff gehüllt. Bald würde auch Fabio die Farben des Ordens tragen.
»Das ist aber noch nicht alles, Herr.« Fabio erhob sich und zog prüfend die Luft ein. »Sicher habt Ihr es auch schon gerochen?«
Der Paladin richtete sich im Sattel auf. »Ja …«, meinte er zögernd. »Ich war mir nur nicht ganz sicher. Hier stinkt es nach dem Kot von Riesenfledermäusen. So weit im Westen sind wir schon lange nicht mehr auf die Flugtiere der Goblins gestoßen.«
Fabio ärgerte sich einen Moment lang darüber, dass ihn sein Herr nicht schon früher darauf aufmerksam gemacht hatte. Hatte Ludovico beschlossen, ihn zu prüfen?
»Aber auch diese Spur ist bereits einige Stunden alt«, meinte Fabio. »Anscheinend hat der Regen den Kot fast ganz fortgespült. Das kann nur eines heißen: Der Goblin, den wir verfolgt haben, hat sich hier mit einem Wolkenreiter aus seinem Volk getroffen. Und das wiederum deutet darauf hin, dass es sich bei den beiden um Späher handelte. Wo aber Späher sind …«
»… ist eine ganze Horde Goblins nicht fern«, beendete der Paladin den Satz. »Am Ende hatten die Himmlischen doch noch ein Einsehen mit mir. Aus dem frechen kleinen Rotzlöffel, den ich damals aufgenommen habe, ist ein besserer Fährtenleser geworden, als ich je zu hoffen gewagt hätte. Ich gebe zu, ich habe deine Fähigkeiten unterschätzt.«
»Danke, Herr.« Es kam nur selten vor, dass Ludovico ihn lobte.
»Dann lass uns jetzt zum Anwesen der de Vontafeis reiten.« Ludovico griff nach den Zügeln. Das alte Streitross schnaubte, gehorchte seinem Besitzer aber sofort. »Der Baron muss umgehend von den bedrohlichen Ereignissen in seinem Wald in Kenntnis gesetzt werden.«
Fabio schnalzte mit der Zunge. Langsam trottete Gino, sein Esel, zwischen den Bäumen hervor. Das Grautier war mit Packtaschen und Waffen beladen. Fabio trat ein paar Schritte auf Gino zu und ergriff die Zügel, was dieser mit einem gelangweilten Zucken der Ohren quittierte.
»Und wie sollen wir nun über den Fluss kommen, Herr?«
»Wir werden ihn überqueren, Knappe. Ganz einfach.« Ludovico ritt zum Uferrand.
»Das Wasser scheint mir an manchen Stellen aber recht tief. Wir werden schwimmen müssen. Soll ich Euch beim Ablegen der Rüstung helfen?« Mit dem schweren Kettenhemd würde sein Herr unweigerlich ertrinken.
»Nein, zu umständlich.« Ludovico bedachte Fabio mit einem düsteren Blick. »Wir werden es etwas weiter flussabwärts versuchen. Dort befindet sich eine alte Brücke.«
»Ihr wart schon einmal in diesem Wald?«
»Frag mir keine Löcher in den Bauch, sondern tu einfach, was ich dir aufgetragen habe!« Mit diesen Worten ritt Ludovico in Richtung Unterholz. Das Knacken der Zweige war trotz des Wasserrauschens weithin zu hören. Sollten sich doch noch Feinde in der Nähe befinden, würden diese sie spätestens jetzt bemerken.
Gino hinter sich herziehend, folgte Fabio den Windungen des Flusses, bis sich zu seiner Überraschung eine altersschwache Holzkonstruktion aus dem Dunkel schälte. Das, was eine Brücke hätte sein sollen, entpuppte sich als Stegkonstruktion, die sich wie der gebrochene Flügel eines großen Vogels von Ufer zu Ufer spannte.
»Das Ding hier wirkt aber nicht sehr vertrauenerweckend«, bemerkte Fabio zögernd.
»Ich gebe zu, es ist schon eine Weile her, dass ich die Brücke zum letzten Mal benutzt habe.« Ludovico schwang sich mühevoll von seinem Ross, trat an einen der Pfeiler heran und musterte das Holzgefüge. »Sie wurde errichtet, damit Jagdgesellschaften auch bei Hochwasser über den Fluss gelangen können. Aber offenbar hat Vittore de Vontafei keine Freude mehr an solchen Lustbarkeiten.«
»Lasst mich prüfen, ob sie uns überhaupt tragen kann, Herr.«
Der Paladin nickte und machte seinem Knappen den Weg frei.
Das Holz schien bereits an einigen Stellen verrottet, die Bohlen waren moosbedeckt, dazwischen klafften immer wieder breite Löcher. Fabio seufzte.
»Komm, Gino!« Fabio fasste die Zügel des Tieres und setzte behutsam einen Fuß auf den Brückensteg. Der Esel schrie laut und folgte ihm nur widerwillig. Die Holzkonstruktion knarzte und knarrte, hielt dem Gewicht der beiden jedoch stand. Fabio machte einen zweiten Schritt, dann einen dritten. Noch immer ächzten die Bohlen, doch sie erwiesen sich als belastbarer, als er angenommen hatte.
»Ich glaube, wir machen uns unnötige Sorgen!«, schrie Fabio gegen das Tosen des Wassers an.
»Ich hoffe es«, murrte der Paladin, der jeden Schritt seines Knappen aufmerksam verfolgte. »Hauptsache, du wirst nicht übermütig.«
Fabio tastete sich weiter vor, wich einem Loch aus und zog am Zügel. Auch die Hufe des Esels verursachten ein besorgniserregendes Ächzen. Noch zwei beherzte Schritte und Fabio hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Leicht verärgert wandte er sich zu Gino um. Das Tier war vor dem letzten Zwischenraum stehen geblieben und weigerte sich weiterzugehen.
»Na, komm schon. Sind doch nur noch ein paar …«
Da ertönte irgendwo im Wald hinter Fabio ein wütender Schrei. Fabio wirbelte herum und zog heftiger am Zügel, als er vorgehabt hatte. Gino bockte und unter einem seiner Vorderhufe knackste es. Erschrocken tänzelte das Tier zur Seite, wo die alten Bohlen nun ebenfalls nachgaben.
»Pass auf, Junge, unser Gepäck!«
Im nächsten Moment knickte einer der Stegpfeiler ein und die gesamte Konstruktion brach splitternd in sich zusammen. Der Esel schrie in Todesangst, rutschte seitlich weg und stürzte ins Wasser. Fabio, der die Zügel noch immer in der Hand hielt, wurde von dem plötzlichen Ruck nach vorn gerissen und stürzte ebenfalls in den Fluss.
»Gino!« Fabio ignorierte die Kälte, die sich unter seinen nassen Kleidern verbreitete, schnappte nach einem überhängenden Ast und zog verzweifelt am Zaumzeug. Vor ihm tanzten Holztrümmer auf dem Wasser. Die Brücke selbst sah aus, als sei die Faust eines Giganten auf sie niedergefahren.
Endlich tauchte Ginos Kopf aus dem Wasser auf und schwimmend zerrte Fabio den Esel ans Ufer. Nachdem das Tier an Land geklettert war, schüttelte es sich und schnaubte verängstigt. Wie durch ein Wunder war es unverletzt geblieben. Dafür war das Gepäck jetzt vollkommen durchnässt – doch wenigstens war nichts verloren gegangen.
»Alles in Ordnung?«, ertönte von drüben die gedämpfte Stimme Ludovicos.
»Ja!«, rief Fabio, der noch immer Mühe hatte, Gino ruhig zu halten. Am liebsten hätte er einen derben Fluch ausgestoßen. Wasser tröpfelte aus seiner Hose, der Umhang hing ihm klitschnass von den Schultern, und bei jedem Schritt, den er tat, verursachten seine Stiefel einen schmatzenden Laut. Trotz der misslichen Lage zog er beherzt sein Kurzschwert.
»Habt Ihr das eben auch gehört, Herr?«, rief er.
»Ich bin vielleicht alt, aber nicht taub«, war die Antwort vom gegenüberliegenden Ufer. Im Nu hatte Ludovico wieder aufgesessen und wendete. »Weiter unten ist eine Sandbank. Warte auf mich!« Kurz darauf war sein Herr in der Dunkelheit verschwunden. Wieder ertönte ein Angstschrei aus dem Wald. Zweifellos eine Frauenstimme. Sie kam aus der Richtung eines Hügels, der dicht mit Schwarzeichen bewachsen war und mehrere Steinwürfe vom Fluss entfernt lag. Fabio glaubte, zwischen den Bäumen einen schwachen Lichtschein zu erkennen. Die Goblins waren also doch noch in der Nähe!
Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Speer und den ovalen Wappenschild, die auf Ginos Rücken festgeschnallt waren. Doch als Knappe war es ihm verboten, Waffen und Rüstzeug eines Paladins zu tragen. Außerdem hatte sein Herr ihm befohlen zu warten. Dem widersprach allerdings das höchste Ordensgebot, das den Schutz der Schwachen verlangte. Ohne weiter nachzudenken, rannte Fabio mit gezücktem Schwert los.
Er stürmte durch das Unterholz und setzte trotz seiner rutschigen Stiefel beherzt über dicke Wurzeln und Steine hinweg. Keuchend erreichte er den Hügelkamm. Hier hörte er bereits raues Gelächter, das sich in die Schreie einer Frau mischte. Mit einem Blick erfasste Fabio die Situation.
Schräg unter ihm befand sich eine Lichtung, auf der ein bemalter Kastenwagen stand. Im Schein des fast niedergebrannten Lagerfeuers verblassten zwar die Farben, doch die tonnenförmige Form, die Räder mit den sternförmigen Speichen und das blattähnlich geschwungene Dach wiesen den Wagen als Gefährt einer Gnomenfamilie aus. Unter den Fenstern waren sogar Blumentöpfe angebracht. Die Ponys waren ausgespannt und grasten in der Nähe. Vor dem Wagen aber kämpfte eine ältere Gnomin gegen zwei Männer, die sich ganz offensichtlich prächtig amüsierten. Mutig schlug die Frau mit einem langen Stock um sich.
Wie alle Vertreter ihres Volkes reichte die Gnomin einem Menschen nur bis zum Bauchnabel. Allein ihre Knollennase und ihre Ohren schienen im Verhältnis zum Rest ihres Körpers etwas zu groß geraten. Wann immer sie mit ihrem Stock ausholte, flogen ihre Zöpfe durch die Luft, an ihren Ohren blitzten goldene Ringe auf. Ihre Gegner waren mit Knüppeln bewaffnet, mit denen sie die Gnomin provozierten. Geschickt wichen sie ihren Schlägen aus. Beide Männer hatten kantige Gesichter und machten auf Fabio den Eindruck einfacher Landarbeiter. Einer von ihnen trug einen großen Schnauzbart, der andere hatte eine Glatze.
Fabio bahnte sich bereits einen Weg hinab zur Lichtung, als auch hinter dem Wagen Rufe ertönten. »Bleib stehen, du verdammter Strolch!«
Plötzlich tauchte ein schmächtiger Gnomenjunge auf, der von einem dritten Häscher mit feuerrotem Haar verfolgt wurde. Bei dem Fliehenden musste es sich um den Sohn der Gnomin handeln, denn er besaß kaum die Größe eines Hirtenhundes. Dafür verfügte der Kleine über eine Gewandtheit, die Fabio mehr als erstaunte. Er ließ sich direkt vor die Beine des Rothaarigen fallen, brachte seinen Verfolger so zum Straucheln und sprintete sogleich zurück zum Wagen, um dort, flink wie ein Wiesel, aufs Dach zu klettern.
»Haut ab!«, rief er, zog eine Steinschleuder aus seinem Gürtel hervor und spannte sie.
»Willst du mir drohen, Winzling?«, höhnte der Fremde. Der Mann griff rasch nach einer gusseisernen Bratpfanne, die neben anderen Kochutensilien am Wagen hing, und hielt sie sich schützend über den Kopf.
Zwischen den Wagenrädern tauchte überraschend ein Gnomenmädchen mit strubbeligen Haaren auf, das noch zierlicher als der Junge auf dem Dach wirkte. Mit aller Kraft biss sie dem Mann in die Wade. Der Fremde heulte auf und schlug mit der Pfanne nach ihr. Doch die Kleine war längst wieder unter dem Wagen verschwunden. Bevor ihr der Rothaarige nachsetzen konnte, ertönte ein schnalzender Laut, und er wankte abermals schreiend zurück. Stöhnend rieb er sich die Schulter. Der Gnomenjunge auf dem Dach beäugte ihn interessiert wie eine Eule auf der Jagd und wollte zu einem zweiten Schuss ansetzen, als er von einem durch die Luft geschleuderten Knüppel getroffen wurde. In hohem Bogen fiel er vom Wagen und schlug auf dem Waldboden auf. Dabei war ein merkwürdig schepperndes Geräusch zu hören. Längst hatten die beiden anderen Männer die Gnomin überwältigt und wandten sich nun dem Geschehen hinter ihrem Rücken zu.
»Es reicht!«, brüllte der Kerl mit der Glatze. Er drückte die Gnomin unsanft zu Boden, entriss ihr den Stock und deutete damit auf die Reste des Lagerfeuers. »Nehmt euch alles, was wir brauchen können, und dann zünden wir diese Mistkarre an.«
»Vorher werde ich diese Made noch erwürgen«, fauchte der Rothaarige und rieb sich die Schulter.
»Ihr werdet nichts von alledem tun!«, rief Fabio laut.
Die drei Männer glotzten ihn ungläubig an, als er mit erhobenem Kurzschwert den Hügel hinunterschlitterte. So würdevoll wie möglich baute er sich vor seinen Gegnern auf.
»Ich gehöre dem Orden der Morgenröte an«, sprach er feierlich. »Ihr solltet euch schämen, diese armen Leute auszurauben. Lasst sie in Ruhe und verschwindet. Aber ihr könnt euch sicher sein, dass ich euren Lehnsherrn über euer Treiben informieren werde.«
Der Kerl mit der Glatze zerrte die Gnomin wieder auf die Beine und spähte an Fabio vorbei in die Dunkelheit. Offenbar war er der Anführer der kleinen Schar. Als er sicher war, dass Fabio keine Unterstützung hatte, grinste er boshaft.
»Du willst ein Paladin sein?«, höhnte er mit rauer Stimme. »Ich sehe nur eine Witzfigur vor mir, die sich bei unserem Anblick in die Hosen gemacht hat.« Mit dem Kinn deutete er auf Fabios tropfnasse Hose. Seine Kumpane brachen in schallendes Gelächter aus.
Der Rothaarige ließ die Pfanne fallen und zog grinsend ein langes Hackmesser. Der mit der Glatze schubste die Gefangene zum Lagerfeuer und schwang den Stock zweimal durch die Luft, dass es nur so zischte.
Die Gnomin stürmte sofort hinüber zu ihrem Sohn, der sich noch immer das Bein rieb. Auch das Mädchen kam wieder unter dem Wagen hervor. Alle drei blickten Fabio bang an.
Er holte tief Luft. Offenbar verspätete sich sein Herr Ludovico etwas. Hätte er nur auf ihn gehört! Jetzt stand er ganz allein drei erwachsenen Gegnern gegenüber.
Leider wusste er noch immer nicht, worum es hier bei alledem überhaupt ging. Dabei hatte er bereits eine Vermutung. Gnome waren in der menschlichen Gesellschaft nicht wohlgelitten. Als fahrendes Volk zogen sie durch die Welt und erregten das Misstrauen und manchmal auch den Neid der Menschen. Doch für Fabio zählten solche Vorurteile nicht, in dieser Situation waren die Gnome die Schwächeren, und er konnte nicht anders, als ihnen zu Hilfe zu eilen.
»Du bist also auf Streit aus«, sagte Fabio zu dem Anführer seiner Gegner und bemühte sich, dabei so gelassen wie möglich zu wirken. »Doch wenn ihr glaubt, ich ließe mich so einfach von euch aus der Reserve locken, irrt ihr euch. Da noch nicht bewiesen ist, dass ihr die gewöhnlichen Strauchdiebe seid, für die ich euch halte, müsst ihr mich schon dreimal hintereinander beleidigen, um mich gegen euch aufzubringen. Vorher ist es mir als Paladin nicht gestattet, mich mit euch zu messen. Ihr solltet es also besser nicht darauf ankommen lassen.«
»Bauernritter!«, zischte der Anführer mit verschlagenem Blick.
Fabios Augen verengten sich zu Schlitzen. Der Kerl spielte darauf an, dass die Paladine, im Gegensatz zu den übrigen Ritterbünden im Land, auch Gemeinfreie in ihre Reihen aufnahmen. Ein Adeliger galt in ihrem Orden kaum mehr als ein Freier. Weder sein Herr Ludovico noch er selbst gehörten einer vornehmen Familie an. Selbst Seine Exzellenz Silvestro, der Großmeister des Ordens, entstammte ärmlichen Verhältnissen. Doch obwohl die Sternenmystikerinnen die Paladine mit Sonderrechten ausgestattet hatten und den Orden der Morgenröte mit ihren magischen Kräften unterstützten, waren nur wenige Adlige Astarias bereit, ihre Privilegien mit den gemeinen Ordensbrüdern zu teilen.
»Gut, ihr legt es darauf an«, antwortete Fabio und ging einen Schritt auf die drei zu. »Das war die zweite Schmähung. Und nun würde es mich doch brennend interessieren, was diese Gnome ausgefressen haben sollen. Oder ist es unter euresgleichen üblich, sich an Schwächeren zu vergreifen?«
Die drei blickten einander mit offenen Mündern an. Sicher waren sie es nicht gewohnt, dass jemand in einem solchen Ton mit ihnen sprach.
»Das Diebsgesindel war letzte Nacht bei uns im Dorf und hat zwei unserer Wachhunde abgestochen«, murrte der Rothaarige. »Wir haben ihre Spuren gefunden und bis in den Wald verfolgt. Warum sollten sie hier sonst heimlich ihr Lager aufschlagen?«
»Das ist nicht wahr!«, rief die Gnomin aufgebracht. »Mein Mann arbeitet für Baron de Vontafei. Fragt in seinem Haus nach Meister Arcimboldo, dann wird sich herausstellen, dass wir hier zu Recht kampieren. Wir bleiben nur deshalb am Ortsrand, weil wir Ärger mit den Einheimischen aus dem Weg gehen wollen.«
Fabio hob erstaunt die Brauen. Die Spuren von Gnomen und Goblins ähnelten einander. Auch die Goblins waren kleinwüchsig. Doch im Gegensatz zu den Gnomen waren sie roh und verschlagen. Sollten sich diese Kreaturen etwa bis in das nahe Dorf vorgewagt haben? Das wäre in der Tat mehr als beunruhigend!
»Halt die Schnauze, Gnomenweib!« Der Glatzenmann ballte die Fäuste. »Keiner von uns muss sich rechtfertigen. Vor allem nicht gegenüber einem dahergelaufenen Bengel, der sich als Ritter ausgibt. Wir handeln im Auftrag unseres Herrn Raimondo de Vontafei, dem Neffen des Barons. Und dein Zahnstocher da beeindruckt uns nicht im Geringsten.« Er deutete auf Fabios Kurzschwert.
»Es sieht so aus, als hättest du gerade die dritte Beleidigung ausgesprochen«, meinte Fabio ungerührt.
»Was kümmert dich das, du Wichtigtuer?« Sein Gegenüber spuckte auf den Boden. »Deine Mutter hat dich bestimmt nicht ohne Grund verkauft. Das waren Beleidigung vier und fünf. Reicht dir das?«
»Ja, das reicht«, erwiderte Fabio ruhig.
»Schade, dass du hier allein aufgekreuzt bist. Denn jetzt wird niemand Zeuge, wie wir dir dein aufgeblasenes Maul stopfen.« Auf einen Wink nahmen seine Kumpane Fabio in die Zange.
»Ich bin nicht alleine.« Fabio steckte sich zwei Finger in den Mund und stieß einen kräftigen Pfiff aus. Aus dem Dunkel trabte Gino heran.
»Ein Esel?« Der Schnauzbärtige lachte. Das Lasttier trottete zur Lichtung hinab und baute sich schnaubend neben Fabio auf. Das Gelächter des Mannes verstummte. Noch immer tropfte aus den Gepäcktaschen Wasser. Doch dafür hatten die drei keinen Blick. Entgeistert starrten sie auf das Wappen des Schildes, der vom Rücken des Esels baumelte und vom Feuerschein angeleuchtet wurde.
»Vielleicht ist der Kerl ja doch ein Paladin, Vasco«, meinte der Rothaarige verunsichert und rieb sich wieder die Schulter.
»Ist mir egal. Wir polieren ihm jetzt die Fresse.« Mit einem lauten Kampfschrei schwang der Anführer den erbeuteten Stecken und stürmte auf Fabio zu. Der tauchte unter dem Hieb weg, wirbelte sein Kurzschwert herum und prellte Vasco mit einem gezielten Schlag die Waffenhand. Fluchend ließ sein Gegner den Knüppel fallen und hielt sich stöhnend das verletzte Handgelenk. Seine Kumpane stürmten nun ebenfalls los.
»Gino!« Fabio parierte das gefährliche Hackmesser des Rothaarigen, während sein Esel brüllend nach dem Schnauzbärtigen auskeilte. Mit zwei gezielten Hieben trieb Fabio den Messerstecher gegen einen Baum und trat ihm die Beine weg. Der Rothaarige knickte ein, und bevor er wusste, wie ihm geschah, hielt ihm Fabio das Schwert an die Kehle.
»Weg mit euren Waffen oder euer Freund hier wird es bedauern! Ich will keinen von euch verletzen, aber das kann sich schnell ändern!«, rief Fabio den anderen Gegnern zu. Längst hatten sich Vasco und der Schnauzbärtige wieder aufgerappelt und sahen einander erschrocken an.
»Tut besser, was mein Knappe euch sagt!«, tönte es vom Waldrand. »Mein Schützling hat ein aufbrausendes Temperament und tut manchmal Dinge, die er später bereut.«
Überrascht wandten sich alle dem Sprecher zu. Den Gnomen war anzumerken, dass sie sich am liebsten in Luft aufgelöst hätten. Ludovico kam aus einem Hohlweg herangaloppiert. Mit Sicherheit hatte der Paladin die Auseinandersetzung schon länger beobachtet. Und etwas in Ludovicos Tonfall verriet Fabio, dass er das Missfallen seines Herrn erregt hatte. Hinter dem Paladin schälten sich plötzlich zwei weitere Bewaffnete aus dem Dunkeln. Auch bei ihnen handelte es sich um Bauern, nur waren sie mit Dreschflegeln bewaffnet. Ihnen folgte, wie Ludovico ebenfalls hoch zu Ross, ein elegant gekleideter Adeliger mit gefiedertem Jagdhut. Der Fremde mochte vielleicht sechs oder sieben Jahre älter als Fabio sein und trug einen Waffenrock mit offenen Ärmeln, die am Handgelenk schmal geschnitten und an den Schultern ausgepolstert waren. Ebenso wie Fabios Herr hatte er sich ein Langschwert umgegürtet, nur dass die Scheide mit Edelsteinen verziert war, die im Sternenlicht funkelten. Also war auch er ein Ritter, aber einer von Adel.
»Was ist hier los, Vasco?«, herrschte der Edelmann den Kerl mit der Glatze an.
»Dieser, äh …« Vasco blickte nervös zu Ludovico auf, der ihn seinerseits scharf fixierte. »Dieser Knappe hat uns daran gehindert, die Gnome zur Rechenschaft zu ziehen, Herr. Dabei haben wir ihre Spuren bis in den Wald hinein verfolgt. Und das Weib dahinten«, er deutete auf die Gnomenfrau, die ihre Tochter an sich gedrückt hielt, »behauptet auch noch frech, ihr Mann stehe in den Diensten des Barons.«
Fabio schloss aus der Bemerkung, dass es sich bei dem Berittenen um Raimondo de Vontafei handeln musste.
»Nun ja«, Raimondo räusperte sich, »das entspricht der Wahrheit.« Er wandte sich, nach einem Seitenblick auf Fabios Herrn, an die Gnomin. »Dann bist du also Munadella, die Frau von Meister Arcimboldo?«
»Ja.« Sie sah trotzig zu dem Adeligen auf.
»Ich bedaure den Zwischenfall«, fuhr Raimondo fort. »Die Stellare haben es immerhin so gefügt, dass wir hier im Wald mit Signore Ludovico zusammengetroffen sind. So wie es aussieht, hat er uns vor einem Irrtum bewahrt. In Wahrheit haben wir es wohl mit Goblins zu tun. Denkt trotzdem immer daran, dass ihr hier nur geduldet seid. Wenn ich feststellen sollte, dass ihr doch die Wachhunde getötet habt, werden meine Männer zurückkommen. Habt ihr mich verstanden?«
Die Bewaffneten in Raimondos Gefolge feixten und Munadella nickte stumm. Fabio hatte indes ein spontaner Widerwille gegen den jungen Edelmann erfasst. Er war einer dieser typischen Adelsritter, für die die alten Rittertraditionen veraltete Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit darstellten. Als echter Ritter hätte er sich auf die Seite der Gnome stellen müssen.
»Doch genug von alledem.« Raimondo wandte sich Ludovico zu. »Signore, ich danke Euch im Namen meines Onkels, des Barons Vittore de Vontafei. Seine Gastfreundschaft wird landauf, landab gepriesen, auch wenn ich bis vor Kurzem selbst nicht wusste, dass bei ihm wirklich jeder, ob hoch, ob niedrig, willkommen ist. Nun ja. All das erklärt allerdings nicht, was Ihr und Euer … Page zu dieser späten Stunde in seinem Wald zu suchen habt.«
»Wir sind lediglich etwas vom Weg abgekommen. Mein Knappe hat die Goblinfährte entdeckt. Seien wir froh, dass er Goblin und Gnomspuren auseinanderzuhalten weiß.«
In Raimondos Augen blitzte Zorn auf.
»Wir haben die Order, Celeste, die Tochter des Barons, zur Sternenburg in Stella Tiberia zu geleiten«, fuhr Ludovico unbeeindruckt fort.
»Euer Eintreffen war erst für nächste Woche angekündigt.« Raimondos Pferd tänzelte unruhig, worauf er dem Tier einen Schlag mit dem Zügel versetzte. »Da Ihr nun schon einmal hier seid, gewährt mir die Ehre, Euch zum Palazzo meines Onkels zu führen.«
Mit einem einzigen Wink befahl Raimondo de Vontafei seinen Männern, die Lichtung zu räumen. Auch Ludovico forderte Fabio auf, ihm zu folgen. Mit erhobenem Haupt ritt der Paladin voran und war schon kurz darauf im Hohlweg verschwunden.
Fabio steckte endlich sein Kurzschwert weg, kraulte Gino liebevoll hinter den Ohren und führte den Esel an dem Kastenwagen vorbei. Im Vorübergehen entdeckte er vor einem der Räder eine seltsame Stickerei. Daneben lag die Steinschleuder. Er hob beides auf und trat, von Munadella und ihrer Tochter misstrauisch beäugt, auf den mutigen Gnomenjungen zu.
»Geht es dir gut? Bist du unverletzt?«
Der Junge hob eine Braue und blickte Fabio verwundert an.
»Ich denke schon«, antwortete er merkwürdig monoton.
»Wie heißt du?«
»Yargo«, antwortete Munadella an seiner statt.
»Und Eure Tochter? Das ist doch Eure Tochter, oder?«
»Ambra«, platzte das Mädchen heraus und warf seiner Mutter einen unsicheren Blick zu.
»Ihr drei habt tapfer gekämpft.« Fabio drückte Yargo die Schleuder in die Hand und lächelte. »Beim nächsten Mal ziel auf den Kopf.«
Der Junge nickte. »Ich werde dran denken.«
Fabio fiel auf, wie zierlich die Hände der Gnome waren. Kein Wunder, dass dieses Volk meisterhafte Handwerker und Erfinder hervorbrachte!
Endlich wandte auch er sich dem Hohlweg zu. Dort, zwischen den Schatten, wartete zu seiner Überraschung noch immer Raimondo de Vontafei auf ihn. Fabio wollte soeben an dem Edelmann vorbeigehen, als dieser ihn mit der Fußspitze aufhielt.
»Solltest du es noch einmal wagen, einen meiner Männer – und damit auch mich – vor solchem Gesindel zu demütigen, wirst du es mit mir persönlich zu tun bekommen. Merk dir das, Bauernritter!« Raimondo schnaubte verächtlich, wendete sein Pferd und verschwand in der Dunkelheit. Fabio blickte Raimondo de Vontafei hinterher und zählte in Gedanken.
Eins.
Der kleine Trupp näherte sich dem Anwesen der de Vontafeis über eine von Zypressen gesäumte Allee. Schon vor einer Weile hatten sie in den Schritt gewechselt, sodass Vasco und der Schnauzbärtige vorauseilen konnten, um die Besucher anzukündigen.
Fabio tätschelte Ginos Hals und sog die warme Nachtluft ein, die schwer nach Hibiskus und Jasmin duftete. Da der Mond hell am Himmel stand, konnte Fabio am Ende der Allee ein stattliches Gebäude erkennen.
Der alte Palazzo war ein Überbleibsel aus kriegerischen Zeiten, in denen die Venezianer den Goblins das Land in blutigen Kämpfen abgerungen hatten. Mit seinem quadratischen Grundriss, dem hohen Eckturm und der schroff abfallenden Fassade ähnelte er eher einer Burg als jenen prunkvollen Herrenhäusern, die der Adel andernorts bevorzugte.
Der Familiensitz der de Vontafeis war in eine hügelige Landschaft eingebettet, die bis zum Horizont reichte. Trotz der Dunkelheit war sich Fabio sicher, dass es sich bei den sanft geschwungenen Höhenzügen um Weinberge handelte, wie sie typisch für diesen Landstrich waren.
Die Allee führte geradewegs zu einem Platz, der an eine Freitreppe grenzte, die sich zu einer offenen, von sechs schlanken Säulen geschmückten Vorhalle mit Dreiecksgiebel erhob. Endlich war ein Lichtschein zu sehen. Mehrere Bedienstete kamen mit Fackeln die Stufen hinuntergeeilt.
»Wie Ihr seht, werden wir bereits erwartet«, sagte Raimondo de Vontafei. Er schnalzte mit der Zunge und galoppierte voran. Paladin Ludovico ließ sich zu Fabio zurückfallen, der dem Ritter noch immer böse nachblickte.
»Mir ist dieser Raimondo auch nicht gerade angenehm«, brummte sein Herr. »Eines Tages wird er ernten, was er sät. Verlass dich drauf. Und vielleicht passiert das sogar früher, als er denkt. Bis dahin wirst du mir keinen Ärger machen, hast du mich verstanden?«
Fabio sah den Paladin überrascht an und nickte. »Ich werde Euch nicht enttäuschen, Herr.«
»Gut, denn du solltest nie mit einem Schwein ringen. Dabei werdet ihr beide schmutzig. Der Unterschied ist nur: Das Schwein liebt den Dreck.«
Fabio grinste. »Ich dachte schon, Ihr wärt über mich verärgert.«
»Nur darüber, dass du deinen Esel zu Hilfe rufen musstest, um drei Bauerntölpel zu überwältigen. In all den Jahren solltest du eigentlich mehr von mir gelernt haben. Schließlich wirst du bald ein Paladin sein.«
Inzwischen hatten auch sie die Freitreppe erreicht. Bald waren sie von Fackel tragenden Lakaien umringt, die sich ehrerbietig vor den Gästen verneigten. Kaum hatte Ludovico abgesessen, als aus dem großen Doppelportal auch schon ein beleibter Mann mit sorgfältig gestutztem Backenbart stürmte. Die Schöße seines langen, gürtellosen Mantels wurden nach hinten geweht und eine dunkle Samtweste spannte sich straff über seinem Bauch.
»Raimondo, was höre ich? Unsere Paladine sind schon da? Was war das für ein Zwischenfall im Wald?«
Ludovico und Fabio verbeugten sich vor dem Baron. Raimondo de Vontafei, der sein Pferd gerade einem der Fackelträger übergab, setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. »Kein Anlass zur Besorgnis, Oheim. Darf ich bekannt machen: Seine Hochwohlgeboren Vittore de Vontafei. Und das hier sind Signore Ludovico und sein vorwitziger Page.«
»Er heißt Fabio und ist mein Knappe«, bemerkte der Paladin kühl.
»Nehmt ihm sein Ungestüm nicht übel, Bester«, sprach der Baron besänftigend. »Mein Neffe schießt manchmal übers Ziel hinaus. Doch eines ist wahr: Seit Kurzem gehen hier in der Tat beunruhigende Dinge vor sich.«
Raimondo verzog das Gesicht, doch Baron de Vontafei beachtete ihn nicht weiter. Schnaufend kam er die restlichen Stufen herab.
»Aber jetzt kommt erst einmal herein und stärkt Euch, Signore Ludovico. Seid herzlich willkommen! Euer Knappe kann in der Zwischenzeit Euer Pferd versorgen. Anschließend werden wir auch ihm ein anständiges Mahl vorsetzen.«
Fabio seufzte innerlich und versuchte, seinen knurrenden Magen zu ignorieren.
»Ich danke Euch, Euer Hochwohlgeboren.« Der Paladin reichte Fabio die Zügel seines Streitrosses. »Aber macht Euch keine Umstände. Wir Ordensritter sind es gewohnt, mit karger Kost vorliebzunehmen.«
»Eine umso größere Freude wird es für mich sein, Euch zu bewirten. Bei der Gelegenheit könnt Ihr mir Eure Beobachtungen im Wald schildern. Sollten sich tatsächlich Goblins bis hierher gewagt haben, wäre das in der Tat beunruhigend.«
Als Vittore de Vontafei den Paladin die Stufen hinaufführte, trat eine weitere Person aus dem Portal. Langes kastanienbraunes Haar fiel auf ihre schmalen Schultern.
Fabio hielt unwillkürlich den Atem an. Die junge Frau schien dem Gemälde eines alten Meisters entsprungen zu sein, mit so viel Anmut hatten die Stellare sie gesegnet. Sie hatte ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und ihre Augen leuchteten im Fackelschein wie Bernsteine. Ihr knöchellanges Seidenkleid war mit Silberfäden durchwirkt. Schräg geschlitzte Öffnungen an den Oberarmen und der runde Halsausschnitt gaben den Blick auf ein weißes, mit Perlen besticktes Unterkleid frei. Noch nie hatte Fabio etwas so Schönes gesehen. Die junge Frau erschien ihm wie eine Märchenprinzessin.
»Vater, willst du mich unseren Gästen nicht vorstellen?«
»Celeste, was machst du denn hier? Ich dachte, du seist längst zu Bett gegangen.«
»Glaubst du wirklich, ich könnte seelenruhig weiterschlafen, wenn ich draußen Leute höre und erfahre, dass Paladine angekommen sind?«
Ludovico verneigte sich tief vor der Baroness. Rasch folgte Fabio seinem Beispiel, nur dass er dabei kaum seinen Blick von ihr wenden konnte.
»Es wird mir und meinem Knappen eine Ehre sein, Euch zu Euren künftigen Lehrmeisterinnen in Stella Tiberia zu geleiten, wie es der alte Brauch verlangt«, erklärte der Paladin, nachdem er einen Kuss auf die dargereichte Hand der edlen Dame gehaucht hatte. Gern wäre Fabio jetzt an der Stelle Ludovicos gewesen. Stattdessen stand er noch immer schlotternd und schmutzig in seinen nassen Kleidern da.
»Danke, Senior.« Celeste machte einen anmutigen Knicks und ihr Blick wanderte zu Fabio. Der spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss, und ärgerte sich sofort über sich selbst. Celeste de Vontafei lächelte kokett. Offensichtlich wusste die junge Baroness um ihre Wirkung auf Männer.
»Ich bin schon gespannt auf mein neues Leben in der Sternenburg«, erklärte sie, wieder zu Ludovico gewandt. »Ich hoffe, Ihr gebt mir noch einen Tag Zeit für die Reisevorbereitungen. Wir hatten Euch ja erst später erwartet.«
»Eine so bezaubernde Sternenmystikerin, wie Ihr es seid, darf stets über mich verfügen«, parierte Ludovico charmant.
»Ihr schmeichelt mir.«
»Das kann man wohl sagen. Tritt gefälligst erst einmal dein Noviziat an«, murrte ihr Vater. »Und Ihr, Signore Ludovico, lasst ihr bloß nicht alles durchgehen! Und jetzt kommt, wir wollen endlich speisen.« Der Baron führte Ludovico und seine Tochter in die Eingangshalle.
Raimondo de Vontafei bedachte Fabio mit einem spöttischen Lächeln. »Eine hübsche Blume, nicht wahr? So sieht der Preis eines wahren Edelmannes aus. Eines Tages werde ich dieses stolze Pflänzchen pflücken und unsere Familien noch enger aneinander binden.« Mit einem selbstzufriedenen Grinsen, für das ihm Fabio am liebsten eine saftige Ohrfeige verpasst hätte, ging auch er hinein.
Fabio blickte sich suchend nach dem Diener um, dem Raimondo das Pferd seines Herrn übergeben hatte. Zu seinem Leidwesen musste er feststellen, dass es sich ausgerechnet um Vasco handelte. Der Glatzkopf schürzte die Lippen und flötete hämisch: »Komm mit!« Während er die Fackel über den Kopf hielt und den Wallach hinter sich herzog, führte er Fabio um den Palazzo herum auf die Rückseite des Anwesens zu. Fabio folgte ihm, Esel und Streitross im Schlepptau. Hinter dem stattlichen Bau befand sich ein Garten, der sich über drei terrassenförmige Ebenen in ein künstlich angelegtes Tal erstreckte. Von irgendwoher war ein Plätschern zu vernehmen, doch in der Dunkelheit waren Kieswege, Bäume und Beete, Brunnen und Statuen nur zu erahnen. Immerhin wusste er jetzt, wo der liebliche Blütenduft herkam.
Vasco schritt an einer großen Voliere mit schlafenden Lerchen vorbei und führte Fabio hinab zur mittleren Gartenebene. Sein Ziel war ein Holzbau am Rande des Areals, in dessen Nähe es nach Mist roch: die Stallung.
»Wer da?«, rief ein Bewaffneter mit Hellebarde, der vor dem Eingang auf einem kleinen Fass gesessen hatte und nun durch die Hufgeräusche aufgeschreckt worden war. Eine Laterne leuchtete auf und Fabio legte geblendet eine Hand über die Augen.
»Ich bin’s«, knurrte Vasco.
»Ach so.« Der Fremde blendete die Laterne ab, setzte sich wieder und deutete mit der Hellebarde in Fabios Richtung.
»Und wer ist das?«
»Ein Knappe vom Orden der Morgenröte. Der Baron hat Gäste. Ist wegen seiner Tochter.«
»Aha. Und ich dachte schon, du wärst die Ablösung. Habt ihr die Hundemörder aus dem Dorf erwischt?«
»Nee.« Vasco zog an der Stalltür, die knarrend aufschwang. »Ist denn die Einbrecherin noch immer da drin?«
»Was glaubst du wohl, warum ich hier sitze?«, kam es griesgrämig zurück. »Als ob sie abhauen könnte! So wie die in die Wolfsfalle gestürzt ist, käme sie eh nicht weit. Trotzdem …«
»Trotzdem was?«
»Na ja, trotzdem sitzt sie einfach nur da und glotzt einen komisch an. Ich sag dir, die bringt uns Unglück!«
Vasco zuckte mit den Schultern, nahm seinem Bekannten die Laterne ab und bedeutete Fabio, ihm in den Stall zu folgen. Das Ross seines Herrn schnaubte. Der Stall war lang gezogen, die Decke wurde von einer Reihe hoher Holzpfeiler gestützt. Staub kitzelte Fabio in der Nase. Lange Leitern führten hinauf zum Heuboden, linker und rechter Hand reihten sich die Pferdeboxen aneinander. Ein gutes Dutzend Pferde war dort untergebracht, von denen einige mit den Hufen scharrten. Fabio fragte sich, warum die Tiere trotz der späten Stunde so unruhig waren. Auch das Streitross seines Herrn ließ ein störrisches Schnauben vernehmen, doch es beruhigte sich schnell wieder, als Fabio seinen Hals tätschelte. Seltsam.
Vasco befestigte inzwischen die Laterne an einem Haken, entzündete mit ihrer Flamme eine weitere Leuchte und deutete auf zwei leere Verschläge.
»Du kannst eure Tiere hier unterstellen. Decken, Striegelbürsten und Futter findest du dahinten.« Er deutete auf eine angelehnte Tür, die offenbar zu einer Kammer mit Arbeitsgerät führte. Ohne Fabio weiter zu beachten, führte er Raimondos Pferd zu einer Box, die sich am hinteren Ende des Stalls befand.
Fabio sattelte das Streitross seines Herrn ab und befreite Gino von Waffen und Gepäck. Noch immer waren alle Stücke klitschnass, auch seine Stiefel, die er nur allzu gern losgeworden wäre. Doch um solche Dinge konnte er sich erst kümmern, wenn ihn sein Herr für diesen Tag entlassen hatte. Fabio striegelte und fütterte beide Tiere und seine Gedanken wanderten unwillkürlich wieder zur schönen Celeste. Doch in seine Träumereien mischte sich auf einmal von weiter hinten im Stall Gemurmel. Hatte es vorhin nicht geheißen, dass sich hier eine Gefangene befand? Angeblich war sie eine skrupellose Einbrecherin.
Angestrengt horchte er. Eine der beiden Stimmen gehörte unzweifelhaft Vasco und klang verärgert.
»… dafür bin ich nicht verantwortlich, also verschon mich mit deinem Gejammer!«
»Selbst euern verdammten Hunden gebt ihr mehr zu fressen!«, fluchte eine weibliche Stimme.
»Die sind auch mehr wert als du, Täubchen! Du bist doch selbst schuld, dass du jetzt hier festsitzt.«
Fabio folgte den Stimmen zum hinteren Teil des Stalls, der zu einem Unterstellplatz für Kutschen ausgebaut worden war. Zu seiner Überraschung entdeckte er dort einen Käfigwagen mit eisernen Gitterstangen, wie er ihn schon einmal bei einer Gauklertruppe gesehen hatte. Meist stellte das fahrende Volk in solchen Wagen wilde Tiere aus. In diesem aber hockte eine Frau mit schulterlanger blonder Mähne, deren verfilzte Strähnen ein schmutziges Gesicht umrankten. Über einem groben Leinenhemd, das stellenweise tiefe Risse aufwies, trug sie eine verkrustete Lederweste. Und anders als die Frauen, die Fabio kannte, war sie mit ledernen Beinkleidern und hohen Schnürstiefeln ausstaffiert.
Kaum war Fabio in den Schein von Vascos Laterne getreten, stieß die Gefangene einen knurrenden Laut aus. »Sieh an, ein Knappe vom Orden der Morgenröte.«
Fabio hielt bei der unerwarteten Anrede erstaunt inne. Woher wusste sie, wer er war? Gut möglich, dass die Unbekannte einem der Bergvölker des Dolomitischen Himmelsmassivs entstammte. Zumindest deutete ihr kehliger Dialekt darauf hin.
»Was ist das hier?«, wollte Fabio wissen.
»Ein Bärenzwinger«, entgegnete Vasco trocken. »Er stammt noch vom alten Baron. Der hat die Bärenjagd geliebt. Die Bestien haben sich früher oft aus dem Dolomitischen Himmelsmassiv bis in unsere Gegend verirrt. Heute dient uns der Wagen als Arrestzelle für Gesindel wie die hier.«
»Ach wirklich, mein Süßer?« Die Blonde funkelte Vasco gefährlich an. »Dann frage ich mich, was du da draußen zu suchen hast.«
»Halt’s Maul! Wart nur ab: Du kriegst schon noch, was du verdienst!«
Die Gefangene fuhr sich mit der Zunge über die aufgerissenen Lippen. Mühsam, das rechte Bein hinter sich herziehend, schleppte sie sich in die Käfigecke, die Fabio am nächsten war. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück, denn die Fremde stank wie ein nasser Hund.
»Dann sag du’s mir, Kleiner: Ist es recht, dass mir dieser Schwachkopf meine Ration Wasser verwehrt? Ich bin verletzt und sieche hier vor mich hin.«
»Kümmere dich nicht um sie!« Vasco spuckte auf den Boden. »In zwei Tagen wird der Baron sowieso Gericht über sie halten.«
Fabio betrachtete das rechte Bein der Unbekannten. Das Beinkleid war eingerissen und die dunklen Flecke auf dem Leder stammten eindeutig von geronnenem Blut. Kein Wunder, falls die Fremde wirklich, wie behauptet wurde, in eine Wolfsfalle geraten war. Doch etwas an der Art, wie sie sich bewegte, verriet ihm, dass sie nicht so schwer verletzt war, wie sie vorgab.
»Du bist alles andere als siechend«, bemerkte er daher ungerührt.
Die Gefangene betrachtete ihn lauernd.
»Aber was auch immer du getan hast, ein wenig Wasser brauchen wir dir nicht abzuschlagen.« Noch während Fabio diese Worte sprach, riet ihm eine innere Stimme zu höchster Vorsicht. Immerhin erkannte er eine Kämpfernatur, wenn er sie vor sich hatte.
»Verflucht, mischst du dich jetzt schon wieder in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen?«, fuhr ihn Vasco ungehalten an.
»Weiß der Baron, wie ihr seine Gefangene behandelt?«
Vasco warf dem Knappen einen vernichtenden Blick zu. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat Fabio zu einer Tonne mit Regenwasser, neben der ein schmaler Tonkrug stand. Er füllte den Krug und näherte sich damit vorsichtig dem Käfigwagen. »Tritt zurück!«, befahl er der Gefangenen.
Zu seinem Erstaunen gehorchte ihm die Unbekannte. Vorsichtig schob er den Krug durch die Gitterstäbe. Sofort ergriff die Frau mit beiden Händen das Gefäß und leerte es in einem einzigen, gierigen Zug.
»Glaub nur nicht, dass ich dir jetzt danke!«, knurrte sie.
»Darauf lege ich auch keinen Wert.« Fabio warf der Fremden einen letzten Blick zu und folgte Raimondos Diener, der wütend den Stall verließ.
»Diese Frau ist in eine Wolfsfalle getappt?«, wollte Fabio draußen wissen.
»Ja, verdammt«, blaffte sein Begleiter, während er seinem Kameraden die Laterne zurückgab. »Sie ist vor zwei Nächten in den Palazzo eingebrochen. Hatte es offenbar auf die Kunstsammlung des Barons abgesehen. Aber sie wurde entdeckt, so dämlich, wie sie sich dabei angestellt hat. Wir haben sie bis in die Wälder verfolgt. Mein Herr Raimondo hat sie dann mit durchbohrtem Bein in einer Wildfalle gefunden.«