DAS BUCH

 

Es gibt eine Welt, da lebt Professor Snape glücklich verheiratet mit Lily Potter, Thorin Eichenschild ist nie gestorben, und Anakin Skywalker hat sich nie auf die böse Seite der Macht geschlagen. Eine Welt, wo Sherlock Holmes zusammen mit einem geheimnisvollen Timelord merkwürdige Fälle untersucht, Dean Winchester mit der Crew der Serenity fliegt und Loki und Thor mehr als nur Brüder sind.

Fanfiction, argumentieren manche, gab es schon immer. Schließlich bedienten sich nicht wenige große Autoren an populären Stoffen und verpassten ihnen ein neues Gewand. Andere hingegen sehen Fanfiction kritisch und werfen den Autoren vor, die Ideen anderer zu verfremden.

Und es soll vorkommen, dass das Schreiben von Fanfiction zum Durchbruch verhilft, wie u.a. Shades of Grey zuletzt bewies.

Aber was ist Fanfiction wirklich? Aus welchem Bedürfnis entsteht sie, und wie weit zurück geht das Phänomen? Welche Genres gibt es, und was sollte man als Fanfiction-Neuling auf jeden Fall wissen, bevor man sich in die zahllosen Archive stürzt?

Bettina Petrik und Stefanie Zurek nehmen Sie mit auf eine turbulente, augenöffnende, manchmal aufwühlende, aber immer emotionale Reise durch die großartige Welt der Fanfiction.

Sie werden Ihren Augen nicht trauen.

 

 

 

DIE AUTORINNEN

 

Kein Schreibblock und keine Schreibmaschine war vor Bettina Petrik sicher, seit die 1982 in Innsbruck geborene Redakteurin eines Kleinverlags Buchstaben in eine sinnvolle Reihenfolge bringen konnte. Schon mit 9 Jahren kritzelte sie erste Fanfics zur TV-Serie Die knallharten Fünf. Seitdem hat sie neben eigenen Büchern auch Millionen von Fanfiction-Wörtern zu Franchises wie Star Wars, Marvel und Der Herr der Ringe verfasst. Die Liebhaberin dramatischer Romanzen und phantastischer Action ist Stammgast bei der San Diego Comic-Con und verfasst seit vielen Jahren Artikel und Kolumnen für einschlägige Genre-Magazine.

 

Stefanie Zurek war 9, als sie für die Klassenzeitung eine Fanfiction zum Zeichentrickfilm In einem Land vor unserer Zeit beisteuerte. Unzählige Fanfictions für verschiedenste Franchises sollten im Laufe der Zeit folgen. Mittlerweile schreibt und veröffentlicht Stefanie Zurek unter Pseudonym eigene Romane, doch die Liebe zur Fanfiction ist geblieben - nach wie vor verfasst die Autorin und Redakteurin eines Kleinverlags gelegentlich Fanfiction. Außerdem ist sie für das Corona Magazine tätig.

Bettina Petrik | Stefanie Zurek

 

 

WITH LOVE, MARY SUE

 

 

Das Phänomen Fanfiction

 

 

 

 

Originalveröffentlichung

 

© 2015 Verlag in Farbe und Bunt

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten.

Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Rechte liegen beim Verlag.

 

Die Verwendung sämtlicher Bilder, Screenshots und Logos, speziell von FanFiktion.de, Archive of Our Own, Organization For Transformative Works und National Novel Writing Month, erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Alle Rechte verbleiben bei den Inhabern.

 

Cover-Gestaltung: Stefanie Zurek

E-Book-Satz: Winfried Brand

verantwortlicher Redakteur: Bettina Petrik

Übersetzung OTW-Interview: Cornelia Röser

Fanart-Illustration: Stefanie Kurt

Lektorat: Bettina Petrik, Stefanie Zurek, Hestia van Roest

Korrektorat: Bettina Petrik

 

Herstellung und Verlag:

in Farbe und Bunt Verlags-UG (haftungsbeschränkt)

Kruppstraße 82 - 100

45145 Essen

 

www.ifub-verlag.de

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-941864-23-8

ISBN E-Book: 978-3-941864-24-5

ISBN Audiobuch: 978-3-941864-75-7

WIDMUNG

 

Für Kati, weil die Underdogs die Besten sind.

Für Lumi, weil wir nie die Einzigen sind.

INHALTSVERZEICHNIS

 

Widmung

Inhaltsverzeichnis

»Und wenn ich gross bin …«

»… werde ich Autorin.«

Kategorie: Fanfiction

Kategorie: Historie

Kategorie: Legalität und Popularität

Kategorie: Zuordnung

Der Slash und die Frau – wenn ein Sub-Genre Grenzen durchbricht

Kategorie: Archiv

Das eigene Fanfiction-Archiv

Kategorie: Archivare

Kategorie: Struktur und Ordnung

Kategorie: Sammler

Kategorie: Rückmeldung

Kategorie: Nützlichkeit

Kategorie: Berufsautoren

Kategorie: Prosa

Epilog

Anhang 1:
Glossar

Anhang 2:
Benutzerregeln Fanfiction-Archiv am Beispiel von FanFiktion.de

Anhang 3:
Beispiel einer Liste mit Fiktionen, zu denen auch das unkommerzielle Veröffentlichen von Fanfiction verboten ist, am Beispiel von FanFiktion.de

Anhang 4:
Richtlinien für die Alterskennzeichnung am Beispiel von FanFiktion.de

Anhang 5:
Bücher des Verlags in Farbe und Bunt, die einst auf FanFiktion.de veröffentlicht waren

»UND WENN ICH GROSS BIN …«

 

»Ich schreibe Fanfiction.«

Seit ich neun Jahre alt war, ist das meine Antwort auf die Frage nach meinem liebsten Hobby. Und seit damals werde ich mit denselben Nachfragen konfrontiert.

»Fan… was?«

»Ach, Fan-Zeug. In deinem Alter? Fan warst du doch auch mal von David Hasselhoff und Raumschiff Enterprise und der Kelly Family und so.«

»Fanfikkk… Ist das was Unanständiges?« (Mit dem Englisch von manch einem meiner Mitmenschen ist es nicht weit her.)

»Ach, davon hab ich schon mal gehört. Das schreiben doch nur kleine Mädchen, die in irgendwelche Popstars verliebt sind.«

Schlussendlich ging ich dazu über, einfach zu sagen, dass ich gerne lese. Stimmt ja auch.

Erst als ich um das Jahr 1998 das Internet für mich entdeckte, stellte ich fest, ich war beileibe nicht die Einzige, die eigene Geschichten zu bereits bestehenden Fiktionen verfasste. Und dass es sogar unzählige Leute gab, die so etwas lesen wollten. Etwa auch die kreativen Ergüsse aus meinen Schulheften?

»… aus einer ursprünglichen kleinen Idee etwas Großes schaffen, es immer wieder verändern und immer vielfältigere Dinge ausprobieren, und es schlussendlich mit anderen teilen.«

Link In The Park, Deutschland

Nach einigem Zögern überwand ich meine Selbstzweifel, übersetzte ein paar meiner Geschichten zu der Zeichentrickserie She-Ra – Prinzessin der Macht ins Englische und veröffentlichte diese auf meiner allerersten Homepage – erstellt mit Hilfe von sage und schreibe drei HTML-Codes und einem farbigen Bild in Endlosschleife als Hintergrund. Die folgende positive Rückmeldung, die wenn überhaupt nur die wenig professionelle Übersetzung bemängelte, veränderte in vielerlei Hinsicht mein Leben.

Von diesem Erlebnis angestachelt teilte ich weitere meiner Geschichten mit anderen, sogar solche jener Art, die viel später erst als Real Person-Fanfics einen Boom erleben sollte. Damals gab man so etwas hauptsächlich im Vertrauen weiter, denn wenn die damaligen Sportstars wie Andreas Goldberger jemals etwas von der Existenz solcher Fantasien über ihre eigene Person erfahren hätten, wäre man vor Scham selbst von der nächsten Schanze gesprungen – ganz ohne Ski.

Schließlich begann ich einige Geschichten auf einer Fan-Page für She-Ra zu veröffentlichen, wo ich immer öfter Leser und Schreibpartner fand. Und immer mehr verinnerlichte ich, dass ich nicht die Einzige mit Interessen war, die nicht denen der Masse entsprachen. Nach he-man.de kam FanFiction.net, aus Foren-Threads wurden automatisierte Archive. Nach FanFiction.net kam FanFiktion.de. Statt halbfertiger AU-Romanzen schrieb ich kanontreue Fanfiction-Serien. Aus E-Mails mit Verbesserungsvorschlägen wurden Stamm-Reviewer und Rückmeldungen im mehrstelligen Bereich.

Und aus der Fanfiction wurden in diesem Jahr zwei in einem Verlag veröffentlichte Romane und das Buch, das Sie in Händen halten. Eins dieser 2015 erschienen Werke war ursprünglich einmal eine Fanfic.

Viele Fanfiction-Schreiber werden ähnliche Erlebnisse beschreiben, wenn sie gefragt werden, warum sie »so etwas Komisches« schreiben, »mit dem man noch nicht mal Geld macht«. Hunderte solcher Erklärungen aus allen Ecken des Fandoms haben wir für Sie in diesem Buch eingebaut.

»Autoren, Regisseure, YouTuber, Künstler jeder Art erzählen uns ihre Geschichten über ihre Welt – wir erzählen ihnen unsere Geschichten über ihre Welt.«

rosa Kueken, Deutschland

Ich – wir – schreibe nicht Fanfiction, um Geld zu verdienen. Ich schreibe, weil es mir in schweren Zeiten hilft. Weil ich viele Bücher, Filme und Serien so sehr liebe, dass ich ihr Universum erweitern möchte. Ich schreibe, weil ich Leute mit dem Ergebnis bewegen kann und es für mich kein schöneres Kompliment gibt.

Ich schreibe, weil es mein Leben ist, und dabei mache ich keinen Unterschied, ob ich die Geschichte verkaufen darf oder nicht. Ich möchte sie erzählen, und sie erzählt etwas von mir.

Und dieses Buch hier schreibe ich, damit hoffentlich ein paar Fanfiction-Autoren weniger zu hören bekommen: »Hast du denn nichts Besseres zu tun?«

Oder zumindest das Selbstvertrauen haben, zu antworten: »Nö.«

Denn Zeit, die wir mit Dingen verschwenden, die wir lieben, ist die beste verlorene Zeit unseres Lebens.

 

(bp)

»… WERDE ICH AUTORIN

 

Bei meiner ersten Fanfiction war ich etwa acht Jahre alt und hatte gerade zum mindestens dreihundertsten Mal In einem Land vor unserer Zeit gesehen. Dinos waren das Größte für mich, und da ich mir schon immer gerne Geschichten ausgedacht hatte, schrieb ich irgendwann auch mein ganz eigenes Abenteuer von Cera, Littlefoot und Ducky auf, das es immerhin bis in die Klassenzeitung schaffte. Ich glaube, ein Jahr später stand für mich fest, dass ich Autorin werden wollte, und an dem Wunsch hat sich seitdem nichts geändert. Schreiben war, ist und bleibt das Schönste für mich.

Meine gesamte Teenagerzeit verbrachte ich im Prinzip damit, Fanfiction-AUs und Crossover zu schreiben. Ich schrieb nicht zufriedenstellende Filmenden um, vertiefte mich viel zu sehr in ein Musikvideo der Kelly Family, aus dem ich eine komplette Welt erschuf, und probierte mich in Sci-Fi-Universen aus. (An dem Tag, als ich zufällig auf die Star Wars-Romane von Timothy Zahn stieß, eröffnete sich mir nochmal eine völlig neue Welt.)

Lange Zeit glaubte ich, die Einzige mit diesem irgendwie schrägen Hobby zu sein. Dann bekam meine Familie einen Internetanschluss und der Stern veröffentlichte einen Artikel über Harry Potter-Fanfiction. Ungläubig begab ich mich auf die Suche und begriff plötzlich, dass ich gar nicht so allein war, wie ich immer dachte. Im Gegenteil!

»… meine Gedanken und Ideen von der langen Leine lassen und sie wild übers Papier flitzen sehen – Entspannung, Kreativität und emotionales Austoben zugleich!«

Karina N., Deutschland

Das gab mir neuen Ansporn: Jahrelang hatte ich nur für die Schublade geschrieben, jetzt konnte ich Leute an meinen Werken teilhaben lassen! Ich schrieb und schrieb in vielen, vielen Fandoms, lernte andere Autoren kennen und beschäftigte mich durch das Feedback anderer zum ersten Mal tatsächlich aktiv mit dem Handwerk des Schreibens. Nie wieder habe ich so viel über das Schreiben gelernt und innerhalb so kurzer Zeit so große Sprünge gemacht wie damals. Der Austausch mit anderen Fans, die über dieselben Figuren schrieben wie ich und jede meiner Dialogzeilen kritisch beobachteten, war das Beste, was mir passieren konnte.

Mittlerweile schreibe ich eigene Romane in meiner eigenen Welt, und für Fanfiction bleibt kaum noch Zeit. Doch hin und wieder lese ich ein Buch oder treffe auf ein Konsolenspiel, das mich so sehr berührt und mitnimmt, dass ich ein Word-Dokument öffne und loslege. Außerdem – das nur im Vertrauen an dieser Stelle – mache ich mir einen Spaß daraus, möglichst viele Anspielungen auf meine Fandoms in meinen Büchern zu verstecken.

Der Mut, das Ergebnis meines Schreibens anderen zu zeigen und konstruktiv an mir zu arbeiten, war das schönste Geschenk, das mir das Fandom gemacht hat. Und ganz im Sinne der Fanfiction möchte ich zuletzt den Schlusssatz aus dem Vorwort meiner Kollegin aufgreifen: Die Zeit, die wir mit Dingen verschwenden, die wir lieben, ist die beste verlorene Zeit unseres Lebens.

Ich habe sehr viel von dieser verlorenen Zeit, und ich freue mich über jede einzelne Minute davon.

 

(sz)

»Man kennt den Originalautor nicht, weiß nicht, was er sich bei den Charakteren gedacht hat, warum sie sind, wie sie sind. Man nimmt das, was man hat und arbeitet damit und hofft, dass man nah genug an das Original heranreicht. Eine Figur aus einer anderen Geschichte muss auch in der eigenen eine Persönlichkeit haben, und als AU-Autor ist es eine zusätzliche Herausforderung, da man die ganze Umgebung/den Plot auf die Charaktere zuschneiden und doch darauf achten muss, in character zu bleiben. Es ist eine Herausforderung, an der man wachsen kann.«

Elenoire, Deutschland

KATEGORIE: FANFICTION

 

 

Verehrte Miss Mary Sue,

 

mit großem Interesse habe ich Ihre Abhandlung über den Vampir Edward gelesen. Ihr Schreibstil ist Balsam für die Seele, und die Sympathien, die Sie für meine Art empfinden, vermögen das nicht schlagende Herz eines Unsterblichen zu erweichen. Zu oft werden wir missverstanden, es ist eine wahre Schande!

Aber sind Sie sich ganz sicher, dass der junge Master Edward im Sonnenlicht glitzert? Zwar wandele ich nun schon eine ganze Weile über diese Erde, aber von so etwas habe ich noch nie gehört. Liegt das womöglich am amerikanischen Wetter? Man hört da ja so einiges. Vielleicht sollte der junge Herr sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen, nur um ganz sicher zu sein, dass es nicht doch am Blutmangel liegt.

Gerne würde ich persönlich bei Ihnen für ein Tête-à-Tête vorbeischauen, um mich in weiteren Worten über Ihr Werk zu ergehen. Lassen Sie doch heute Nacht bitte das Fenster auf, entfernen Sie die Fliegengitter und alles, was einem Holzpflock ähnlich sieht (ich habe da so meine Erfahrungen).

 

Hochachtungsvoll

 

Vlad III. Drăculea

(nennen Sie mich doch Dracula)

 

 

Fanfiction? Was ist denn das schon wieder für ein unsinniger neuer Trend?

 

Zweifellos müssen die Leser diverser Fan-Magazine ziemlich stutzig geworden sein, als die ersten von Fans verfassten Geschichten zu Raumschiff Enterprise/Star Trek veröffentlicht wurden. So geschehen erstmals im Spockanalia-Heft aus dem Jahr 1967. Und vermutlich wunderten sich ebenfalls so einige Menschen im 19. Jahrhundert, als eine Dame namens Charlotte Brontë frei erfundene Abenteuer niederschrieb, die niemand anderes als Napoleon-Bezwinger Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington, erlebte.

»… mein Schritt ins Leben als Autorin. Ich habe meinen ersten großen Erfolg mit Fanfiction gehabt, und ich bin sehr stolz darauf, stolz auf mich. Fanfiction kann eine Karriere starten.«

LeafpoolX15, Deutschland

Fanfiction (auch bekannt unter dem Namen Fan-Fiction, Fanfic, FF, Fanfiktion oder Fangeschichten) ist kein neues Phänomen. Nicht einmal die von vielen Leuten so belächelte Fanfiction zu realen Personen kann als Modeerscheinung abgetan werden. Ob Parodien und Varianten von Lewis Carrolls Alice im Wunderland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, oder Fabeln, die einst so manch Minnesänger auf Kriegshelden erdichtet haben mag: Der Aufschwung des Internets in den 1990er-Jahren rückte nur ins breite Licht der Öffentlichkeit, was vermutlich seit Beginn des geschriebenen Wortes begeisterte Anhänger eines bestimmten fiktiven Stoffes oder berühmter Personen betrieben haben.

Besonders begeisterte Anhänger (seit Kurzem mit Vorliebe »Geeks« genannt) für ein bestimmtes Franchise finden sich grundsätzlich schnell, und es bildet sich auch rasch ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. Der Begriff dafür, »Fandom« (Kombination aus den Worten »Fan« und »Kingdom« [Königreich] bzw. abgeleitet von dem Begriff »Fanatical Dominance«), geht bis ins Jahr 1903 zurück und beschrieb anfangs noch sehr leidenschaftliche Sport-Anhänger. Beileibe nicht jeder, der sich einem Fandom zugehörig fühlt, schreibt Fanfiction. Aber wo es Fandom gibt, gibt es auch Fanfiction. Und zwar schon seit ewigen Zeiten.

Geändert haben sich lediglich zwei Dinge durch die wachsende Popularität dieses Phänomens: Die Verfasser solcher Werke bekommen weit mehr Aufmerksamkeit. Und der Ruf der Fanfiction ist in den Keller gerutscht.

 

Wenn es Fanfiction schon so lange gibt, warum haben Sie noch nie welche in der Buchhandlung entdeckt?

 

Fanfiction ist mit vielen Copyright-Problemen behaftet, von einigen Urhebergesetzen aber auch geschützt und fallweise von Vorgaben der jeweiligen Schöpfer der Ursprungsfiktion geregelt. Generell bewegt sie sich in einer juristischen Grauzone, da sie zwar in gewissem Umfang ein eigenes Urheberrecht begründet, aber geschützte Begriffe und Figuren aus einem bereits bestehenden Franchise, also eingetragene Marken verwendet. Mit diesen Marken darf naturgemäß nur der Rechteinhaber Umsatz erzielen. Daher darf Fanfiction nicht verkauft werden, wobei es in den letzten Jahren vereinzelt abweichende Entwicklungen gab, auf die wir die später noch eingehen werden. In klassisch gedruckter Buchform findet man Fangeschichten zumindest auf dem westlichen Markt jedoch nicht.

»… viele Stunden vor einem flimmernden Bildschirm sitzen und dabei Lachtränen in den Augen haben, vom Hauptcharakter schwärmen oder Rotz und Wasser heulen – manchmal auch alles auf einmal.«

MoonPaper, Deutschland

In der kostenlosen Online-Welt sieht das ganz anders aus. Während der Inhalt und die Verbreitung von Fan-Magazinen – sogenannten »Fanzines« – früher wenig von offizieller Seite kontrolliert wurden und deren Beiträge selten Beachtung außerhalb des eingeschworenen Leserkreises fanden, bot die Erfindung des Internets Autoren eine völlig neuartige Plattform. Ein paar wenige Begriffe in die Suchmaschine seines Vertrauens getippt, und schon bekommt man unzählige Homepages zu einem bestimmten Thema aufgelistet. Bei einem Begriff wie Fanfiction, der nicht nur von Star Trek-Anhängern schon lange vor den Zeiten des Internets benutzt wurde, war es nur eine Frage der Zeit, bis die zahllosen Einträge zu diesem Phänomen diversen Rechteinhabern auffallen würden.

Damit erst begannen die wirklichen Probleme, denn nicht alle waren glücklich über diese Entdeckung.

Da eine Fanfiction zwar bereits existierende Elemente verwendet, diese jedoch in ein neues Werk einbaut, unterliegt sie dem Urheberrechtsgesetz in den meisten Ländern nicht, obwohl sie ihre Daseinsberechtigung hat. Diese Ansicht ist wie viele andere Internet-bezogenen Fragen allerdings noch sehr jung, deshalb wird der oft sehr hitzige Dialog zu diesem Thema wohl in absehbarer Zukunft nicht abreißen.

»Fanfics sind mir in den letzten Jahren fast genauso wichtig geworden wie die Geschichten, auf denen sie basieren.«

Kayleigh O Turman, Deutschland

Aktuell hat sich die Handhabe so eingependelt, dass Fanfiction von den meisten Franchise-Verantwortlichen geduldet wird, diese haben allerdings jederzeit die Macht und Möglichkeit, die Entfernung der Geschichten von einem jedem Homepage-Betreiber zu verlangen. Im Gegenzug haben es sich fast alle Fanfiction-Archive auf die Fahne geschrieben, Fanfics sofort und ohne Widerspruch zu löschen, wenn der jeweilige Rechteinhaber dies verlangt.

Zusammengefasst ist Fanfiction ein immer weiter an Größe gewinnendes Phänomen, an dem niemand etwas verdienen darf, mit dem aber auch niemand gegen irgendein Gesetz verstößt. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich das in naher oder ferner Zukunft ändern wird.

 

Wenn es Fanfiction nur im Internet gibt, könnte die ja von jedem geschrieben sein.

 

Sehr richtig. Ihr fußballsüchtiger Nachbar? Hat sich vielleicht schon einmal romantische Dates zwischen den FC Bayern München-Spielern Thomas Müller und Manuel Neuer vorgestellt, während er sein Auto gewaschen hat. Ihre vierzehnjährige Tochter? Erfindet möglicherweise heiße Begegnungen zwischen dem Elben Legolas und dem Zwerg Thorin Eichenschild, die Sie in der Der Hobbit-Trilogie sicher nicht zu Gesicht bekommen haben. Und wissen Sie eigentlich, was Ihre Frau so treibt, wenn sie angeblich nur mal schnell online shoppen geht? Irgendwo muss ja selbst so zweifelhafte Lektüre wie Shades of Grey von E.L. James ihren Ursprung haben …

Spaß beiseite. Die Anonymität und die kostenlose Benutzung des Internets machen es Hobby-Autoren tatsächlich leicht, ihre Werke an den Mann oder die Frau zu bringen. Fanfiction-Archive haben hunderttausende angemeldete User. Das Nachschlagen eines bestimmten Buchs, Films oder Ihrer Lieblingsserie im Internet in Verbindung mit dem Stichwort Fanfiction wird Ihnen rasch klarmachen, wie weite Kreise das gezogen hat, was einst nur ein Insider-Tipp in Fanzines war.

»… das beste und einfachste Mittel, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und sie für die Ewigkeit festzuhalten!«

Kuraiko Le Roux, Deutschland

Interessanterweise ist dabei ein Großteil des Fandoms entgegen aller Stereotypen des sozial inkompetenten, leicht schrägen männlichen Geeks (siehe auch The Big Bang Theory) weiblich. Und das betrifft nicht nur Franchises wie die Twilight-Reihe oder Vampire Diaries, sondern auch knallharte Videospiele und Sci-Fi-Serien. Per Oktober 2015 sind auf dem größten deutschen Fanfiction-Archiv FanFiktion.de{1} beispielsweise über 90 % der registrierten Benutzer weiblich.

 

Also kann jeder Fanfiction schreiben?

 

Manche Leute würden argumentieren, dass jeder schreiben kann, der Wörter in eine sinnvolle Reihenfolge bringen kann. Bei einigen Fanfiction-Archiven wird nicht einmal das als Qualitätsanspruch vorausgesetzt.

»… das Realisieren des Unmöglichsten – Voldemort kann durch seinen Charme verzaubern und Ed Sheeran im Café neben dir sitzen.«

OsajaSophieSecret, Deutschland

Bei den Voraussetzungen für Internet-Veröffentlichungen spielt die Freiheit des geschriebenen Worts tatsächlich eine entscheidende Rolle. In der westlichen Welt haben wir das große Glück, dass es keine Online-Zensur gibt, sieht man von den Bedingungen der Einhaltung des Grundgesetzes ab (und selbst diese sucht man auf manchen Homepages vergeblich). Das heißt nichts anderes, als dass jeder, der sich an die zwingenden Vorschriften des demokratischen Miteinanders hält, im World Wide Web schreiben (»posten«) darf, was immer er will. Sei es in E-Mails, auf seiner eigenen Homepage oder eben auch auf öffentlichen Plattformen wie Social Media-Kanälen, Diskussionsforen oder Sammel-Archiven zu einem bestimmten Thema. Inhalt, Form und orthographische Präsentation dieser Beiträge unterliegen keinerlei weiterer Beschränkungen – und dasselbe gilt für selbst verfasste kreative Geschichten.

Für Autoren, die nicht auf einen Verlag angewiesen sein wollen und selbst keine Unsummen für den Druck eines Taschenbuches ausgeben wollen, ist also das Internet die perfekte Lösung. Dort kann jeder schreiben, was er will. Theoretisch.

In der Praxis entspricht das natürlich nicht ganz der Realität. Genauso wie jedermann selbst entscheiden darf, wie er sich und seine Ansichten bzw. seine Kreativität der Öffentlichkeit präsentiert, genauso ist es das Recht eines jeden Seiteninhabers, zu entscheiden, ob er beispielsweise die eingereichte Fanfic tatsächlich auf seinem Archiv veröffentlichen will. Auf unterschiedliche Veröffentlichungsplattformen gehen wir später noch näher ein, man sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass die meisten davon zumindest eine lesbare Form der Geschichte verlangen.

Wär allso säine fanficks Am LieBsten So schreibän dut, hat zwar das uneingeschränkte Recht dazu, er wird sie über kurz oder lang aber vermutlich nur auf seiner eigenen Homepage veröffentlichen können. Und er wird sich sehr wahrscheinlich, sofern er überhaupt Rückmeldungen bekommt, mit mehr oder weniger freundlich formulierten Hinweisen der Konsumenten herumschlagen müssen, dass eine Rechtschreibprüfung noch keinem Text geschadet hat.

Zudem behalten sich Sammel-Homepages zumeist die Möglichkeit vor, Fanfics, die der Ansicht der Verantwortlichen nach die Archiv-Regeln{2} brechen, gar nicht erst zu veröffentlichen oder zu löschen. Da es bei großen Archiven für die Betreiber unmöglich wäre, alle Einträge im Auge zu behalten, findet man üblicherweise bei jeder Fanfic einen Button bzw. ein Online-Formular, um das jeweilige Werk – idealerweise unter Angabe von Gründen für die Beschwerde – zur Prüfung freizugeben.

 

Auf FanFiktion.de können die User Geschichten melden, die nicht den Regeln entsprechen.

 

Ob die Geschichte dann tatsächlich gesperrt und/oder gelöscht wird, liegt natürlich im Ermessen des Zuständigen. Extrem jugendgefährdende und diskriminierende Inhalte werden glücklicherweise auf den wenigsten Internetseiten geduldet, und auch gegen rechtspopulistisches Gedankengut wird in Fanfics gerade im deutschen Raum sehr strikt vorgegangen. Denn wie jeder andere Internet-User haben auch Fanfiction-Autoren, –Leser und –Archivare eine Grundverantwortung gegenüber der Gesellschaft.

»Selbstverwirklichung – so wie ich bin, so präsentieren sich Charaktere und Geschichten. Je stärker dabei Einwirkungen von außen waren, Schicksalsschläge, Trauerfälle etc., desto tiefgründiger wurden die Geschichten. Liebe – die Liebe zum kleinen Detail, die feinfühligen Ausarbeitungen und das aufwendige Charakterprofil lassen die Geschichten leben. Freiheit – je freier sich die Figuren behandeln lassen, je mehr das eigens geschaffene Plotbunny wächst, desto größer wird die Freude am Schreiben. Freunde – Fanfiktion scheiben, das Schaffen von neuen Geschichten, Gedichten und anderen Werken, ist ein Prozess den Lernens und des Wachsens. Man wächst mit den Storys, mit den Fehlern und Kritiken, mit dem Lob und dem ehrlichen Feedback, das man bekommt. Mit Fanfiktion wurde ich erwachsen.«

Detektiv Tieger, Deutschland

Orthographie und die Einhaltung von Regeln ist natürlich nicht alles. Nicht jeder ist zum Autor geboren. Wie bei allen Fähigkeiten gehört auch zum Schreiben nebst viel Arbeit und dem Willen zur Weiterentwicklung auch eine Prise Talent.

Doch wie gut oder schlecht man zu dem Zeitpunkt ist, an dem man sich der Fanfiction zuwendet, ist erst einmal zweitrangig. Dankbare Abnehmer gibt es auch für Geschichten, an denen noch viel verbessert werden könnte. Viele Autoren benutzen die Fanfiction sogar gezielt, um Rückmeldungen zu bekommen und dadurch besser zu werden. Andere wollen die Menschen mit ihren Produkten einfach nur unterhalten, und dazu muss man kein Ernest Hemingway oder ein Paul Auster sein. Es gibt sogar Individuen, die schreiben aus dem einzigen Grund, um ihre Namen auf einer Internetseite veröffentlicht zu sehen.

Wie auch immer das persönliche Ziel lautet: Fanfiction-Archive erlauben es jedem, seine Kreativität der Allgemeinheit zu präsentieren. Damit stellen sie eins der wichtigsten Kommunikationsmittel unserer Zeit dar.

 

Dieses Buch hier kostet aber etwas!

 

Das ist richtig. Schreiben über die Fanfiction darf man nämlich, so viel man will, und damit darf man auch etwas verdienen. Das war natürlich nicht der Hautpantrieb der beiden Buchautorinnen für dieses Projekt. Die wenigsten Fanfiction-Autoren hegen die Illusion, jemals mit ihrem Tun reich zu werden.

Gerade deshalb bringt dieses Phänomen eine unglaubliche Vielfalt an lesenswerten Geschichten heraus. Es gibt kaum eine Thematik, eine Fiktion, eine Figur, eine berühmte Person, zu der man keine Fanfics findet. Ganz kostenlos können die Fans Ergänzungen zu ihrem Lieblingsthema genießen, selbst lange Zeit noch, nachdem z.B. eine Serie von offizieller Seite beendet ist.

Obwohl das Phänomen Fanfiction so viele positive Dinge hervorbringt, hat es im deutschen Raum wenn überhaupt nur einen negativ behafteten Bekanntheitsgrad. Diesen Umstand finden wir als Autorinnen dieses Buchs unverständlich und schade. Wir sind nicht nur selbst schriftstellerisch tätig, wir sind auch Mitarbeiterinnen eines Fandom-orientierten Kleinverlags. Und der Verlag in Farbe und Bunt hat mehr als eine Publikation in freien Archiven im Internet entdeckt.{3}

»… die Möglichkeit, meine leider eingestellte Lieblingsserie (Numb3rs) fortzuführen und ihre Helden neue Abenteuer erleben zu lassen.«

Der Edgerton Bonus, Deutschland

Viele der beim iFuB-Verlag unter Vertrag genommenen Autoren haben einmal Fanfiction geschrieben und schreiben sie immer noch. Fanfiction ist, wie wir später noch ausführen werden, mehr als einmal die Grundlage zu einer erfolgreichen Fiktion gewesen. Anderen Autoren hat sie geholfen, dorthin zu kommen, wo sie jetzt sind, sei es durch Verbesserungsvorschläge oder die simple Stärkung des Selbstbewusstseins.

Schreiben sollte nichts sein, wofür man sich entschuldigen muss. Schließlich gilt Deutschland immer noch als das Land der Dichter und Denker. Es kann gar nicht genug Autoren auf der Welt geben.

Und nur darum haben wir uns auf den Hosenboden gesetzt und die Tastatur zum Rauchen gebracht, um Ihnen diesen kleinen Ratgeber zu präsentieren. Wir möchten mit diesem Buch in den Läden die breite Masse darauf hinweisen, dass es in den Weiten des Internets einen unendlichen Ozean an geschriebenen Wörtern gibt, in den jeder eintauchen und zu dem jeder etwas beitragen kann.

 

Na, sind Sie nun versucht, Ihren Facebook-Status zu aktualisieren, Ihre Berufsbezeichnung zu ändern und Ihren Job zu kündigen?

 

Wunderbar, dann haben wir schon mal ein Ziel erreicht (bis auf die Sache mit der Kündigung, für die übernehmen wir keinerlei Verantwortung). Aber bevor Sie sich in die Untiefen der Geschichtenarchive stürzen, lesen Sie sich doch bitte unseren Fremdenführer bis zum Ende durch. Denn so vielfältig die Auswahl an kostenlosen Online-Publikationen ist, so unterschiedlich ist ihre Qualität. Und wir Autorinnen wollen nicht verantworten, dass Sie im Dickicht aus ewig unvollendeten Meisterwerken und ungekennzeichneten Orgien und Blutbädern verloren gehen.

 

(bp)

 

 

Stimmen aus dem Off

 

Ich habe einmal eine Geschichte geschrieben, in der ein Predator gegen einen Werwolf gekämpft hat. Damals wusste ich noch nicht mal, was Fanfiction ist. Damit war meine große Karriere als Fanfiction-Autorin aber auch schon wieder zu Ende. Ich finde Fanfiction großartig. Also, vieles davon würde ich nie lesen wollen, aber ich fände es toll, wenn irgendwann mal Fanfiction zu einem meiner Werke geschrieben würde. Das heißt ja, dass man jemanden so sehr berührt und begeistert hat, dass er sich hinsetzt und Stunden seines Lebens darin investiert, sich Geschichten in der Welt auszudenken, die man erschaffen hat. Das ist ein sehr großes Kompliment.

- Andrea Bottlinger, Autorin Geek Pray Love

KATEGORIE: HISTORIE

 

 

Verehrter Mister Holmes,

 

ach, Ihre Abenteuer sind einfach unglaublich! Wie sehr wünschte ich mir, Sie eines Tages kennenlernen zu können, mit Ihnen die großen Geheimnisse des Universums zu lüften und Sie bei der Arbeit begleiten zu können. Ich bin mir sicher, wir würden uns wunderbar verstehen. Ihr Freund und Kollege Dr. Watson dürfte uns selbstverständlich begleiten. Ganz sicher würde ich Sie mit meiner einmaligen Kombinationsgabe begeistern können.

Anbei übersende ich Ihnen ein von mir selbst verfasstes Abenteuer, in dem Sie die verschollene Bibliothek von Alexandria finden. An Ihrer Seite natürlich Dr. Watson und, ich hoffe Sie erlauben, meine Wenigkeit. Damit Sie sehen können, wie gut ich Ihnen helfen kann. (In Wahrheit sind meine Augen nicht purpurn, aber ich fand, das würde der Geschichte das gewisse Etwas geben.)

 

Ihre glühende Verehrerin

 

Mary Sue

 

 

Von Heldensagen bis zum Internet

 

Im Jahr 2011 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über das Phänomen Fanfiction im Harry Potter-Universum, und betitelte ihn Die unendliche Geschichte. Nun war die Süddeutsche mitnichten die erste Zeitung, die dieser Art der Fankultur ein paar Zeilen widmete, aber die Kernaussage des Artikels war verblüffend, denn sie traf auf den Punkt, womit viele Fans ohnehin seit jeher argumentieren: Geschichten mit bestehenden Helden weiterzuerzählen, diese zu erweitern oder ganz neu aufzulegen, diese Kunstform ist so alt wie die Menschheit selbst.

»Allein durch Fanfiction haben vor allem die Autoren die Chance, sich als Teil der Welt zu sehen, von der sie fasziniert sind.«

Gilan, Deutschland

Ganz selbstverständlich setzte die Verfasserin des damaligen Zeitungsartikels die Welt von Harry Potter selbst mit Sagenstoffen gleich, mit Mythen und Legenden, die lange vor der Erfindung der Druckpresse – oder lange vor Erfindung des Urheberrechts – munter weitererzählt wurden, sich dabei stetig veränderten und teilweise sogar unterschiedliche regionale Ausprägungen fanden.

Zum Beispiel unterscheidet sich das deutsche Märchen Aschenputtel (in der Version in den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm) in einigen Teilen deutlich von der französischen Variante Cendrillon von Charles Perrault, die übrigens gut hundert Jahre früher erschien. Und Cendrillon geht auf die noch ältere Erzählung Cenerentola des Italieners Giambattista Basile zurück, der als einer der ersten großen Märchenerzähler gilt. Interessanterweise enthält die französische Version bereits den spätestens durch die Disney-Filme berühmt gewordenen gläsernen Schuh und die Kutsche aus dem verzauberten Kürbis. Elemente, die bei Grimms Märchen abgewandelt oder gar nicht vorkommen. Heißt das nicht streng genommen, dass alle Varianten nach Basile Fanfiction darstellen?

Beispiele für solche Abwandlungen aus der Literaturgeschichte gibt es so viele, dass man gar nicht lange zu suchen braucht. Shakespeare etwa schrieb Theaterstücke über zwar längst verstorbene aber immerhin sehr berühmte historische Persönlichkeiten und bediente sich auch sonst sehr freimütig bei mythischen Stoffen. Jedoch würde niemand jemals auf die Idee kommen, Shakespeare mangelnde Originalität vorzuwerfen, so wie sich das Fanfiction-Autoren häufig anhören müssen. Und Shakespeare befindet sich in äußerst guter Gesellschaft.

»Wenn man zu tief eintaucht und sich mitreißen lässt, kann man die Realität vor Augen verlieren. Man sollte aber nicht zu streng sein, weil man sonst vielleicht etwas Schönes verpasst. Die Welt der Fanfiction ist eine wunderbare aber zeitgleich immer gefährliche Welt, in der man sich nie verlieren sollte.«

TaliMontez, Deutschland

Als man sich bei den BBC-Studios dazu entschloss, der Artussage ein neues Gewand zu verpassen und die Serie Merlin – Die neuen Abenteuer produzierte, regten sich viel Fans der Artussage fürchterlich auf. Denn Merlin geht sehr freimütig mit der bekannten Geschichte von König Artus und seinem Mentor, dem Zauberer Merlin um. In der Variante der BBC sind die beiden Protagonisten zunächst Teenager, und Artus (Arthur) ist nicht mehr als ein rotziger Angeber, der gerne Schwächere verprügelt. Merlin kommt nach Camelot, um bei dem Haus- und Hofarzt Gaius zu lernen, und avanciert schon innerhalb der ersten Folge zu Arthurs Leibdiener, sehr zum Missfallen beider. Zwar enthält die BBC-Serie alle bekannten Elemente der Artussage, aber sie setzt sie völlig neu zusammen, würfelt die Figuren durcheinander und garniert das Ganze mit einem intriganten Drachen, in der Originalversion gesprochen von John Hurt (übrigens auch bekannt als Mr. Ollivander aus den Harry Potter-Filmen – da leuchtet im Kopf des Fanfiction-Autors augenblicklich das Stichwort »Crossover« auf, zu dem wir an anderer Stelle noch mehr berichten werden).

»Aber!«, schrien damals nicht wenige Leute entsetzt auf, »das hat mit der bekannten Artussage doch gar nichts zu tun!« – und vergaßen dabei, dass es die Artussage sowieso nicht gibt. Denn was heute allgemein als die Legende von König Artus und der Tafelrunde angesehen wird, bezieht sich auf Sir Thomas Malorys Le Morte d’Arthur aus dem 15. Jahrhundert. Diese Schrift wiederum war nichts weiter als ein »Best-of« der Geschichten rund um König Artus und seine Tafelrunde, die unter anderem auf der mittelalterlichen Artusepik aus dem 12. Jahrhundert fußte. Mit der wiederum ebenfalls sehr freigiebig umgegangen wurde. Chrétien de Troyes‘ Erec et Enide existiert in einer Version von Hartmann von Aue auch für das deutsche Publikum, selbiges gilt für andere Stücke der Artusepik. Diese Autoren wiederum bedienten sich bei Geoffrey von Monmouths Historia Regum Britanniae, bei der Monmouth die walisische Legende um den Magier Myrddin Emrys (Merlin) einfließen ließ – von der es übrigens auch mehrere Versionen gibt.

»Genauso wie Gott die Welt mit Stolz in der Brust erschuf, kann ein Hobbyautor seine Fanfiction schreiben, ohne sich deswegen schämen zu müssen.«

Cindy, Deutschland

Als finales und konkreteres Beispiel für weiterverarbeitete Literatur sei der Großmeister und Mitbegründer des High Fantasy-Genres, J.R.R. Tolkien, genannt. Dass Tolkien Linguist war und sich ausgiebig mit dem angelsächsischen Epos Beowulf auseinandersetzte, merkt man seinem Buch Der kleine Hobbit ziemlich deutlich an. Neben dem Drachen, der einen Schatz bewacht und der bekämpft werden muss, findet sich in dem eintausend Jahre alten Epos schon das Motiv der kaum menschlichen und verstoßenen Gestalt Grendel, dessen Mutter in einer Höhle unter dem See lebt. Die Parallelen zu Tolkiens Figur Gollum sind unverkennbar.

Auch in Der Herr der Ringe ließ sich Tolkien, von jeher Fan der angelsächsischen Kultur, großzügig inspirieren, wenngleich er das besser kaschierte als bei Der kleine Hobbit. Das nicht zuletzt durch den Film Der Herr der Ringe – Die zwei Türme berühmte Klagelied der Rohirrim Wo sind Reiter und Roß und das Horn, das weithin hallende? weist eindeutige Parallelen zu einem der bekanntesten noch erhaltenen altenglischen Gedichte auf. The Wanderer, dessen erste Zeilen sich eindeutig mit der Klage der Rohirrim überschneiden, ähnelt auch von der Thematik und Stimmung der Version von Tolkien sehr. Von dem Umstand mal ganz abgesehen, dass Gandalf in seiner Funktion als Mentor und mächtiger Zauberer sicher auch einen guten Lehrer für den jungen König Artus abgegeben hätte (wie übrigens auch Obi-Wan Kenobi aus den Star Wars-Filmen).

 

Wie die Kreativität in Druck ging

 

Auch wenn das Wort Fanfiction sehr viel später erstmals auftauchte und erst in den letzten Jahren an enormer Bedeutung gewonnen hat, so ist das Phänomen, sich Figuren anderer zu eigen zu machen, Geschichten neu zu erzählen oder fortzuführen, wie schon ausgeführt mitnichten eine Erfindung der letzten fünfzig Jahre. Man könnte sogar meinen, dass es sich hierbei um ein Urbedürfnis der Menschen handelt.

»… meiner gesamten Fantasie und Kreativität freien Lauf lassen und ungezwungen, ohne Vorschriften, schreiben können.«

-SylverSaphir-, Deutschland/Österreich

So schrieb schon Jane Austens Nichte Fanny ihrer Tante einen Brief aus der Perspektive von Elizabeth Darcy, Austens wohl bekanntester Figur (Stolz und Vorurteil), und hoffte, Jane Austen würde als Georgiana antworten. Auch die Freunde des Buchhelden Sherlock Holmes ließen es sich nicht nehmen, Fortsetzungen und Nachahmungen des Meisterdetektivs zu verfassen. In der Regel schickten sich die Enthusiasten ihre Werke gegenseitig per Post zu, ein Verfahren, das übrigens auch die Verfasserin dieses Textes Mitte der 1990er noch angewendet hat.

Die Fanfiction, wie man sie heute zuhauf auf diversen Archiven oder Social Media-Kanälen wie Tumblr und LiveJournal{4} findet (für alle, bei denen dieser Name nicht augenblickliche Nostalgie auslöst, gehen wir darauf später noch ein), ist allerdings tatsächlich ein Geschenk von Gene Roddenberrys Kult-Serie Star Trek. Genau wie viele andere Phänomene im Fandom übrigens.

Fan-Projekte wie Fanzines hatte es zwar schon vorher gegeben – bezeichnend ist hier ein Zitat in dem Film Singin’ In The Rain aus dem Jahr 1952, der wiederum 1927 spielt. In diesem ist die Schauspielerin Lina Lamont felsenfest davon überzeugt, ihr Co-Star sei in sie verliebt. Als sie sich ihm gegenüber dazu äußert, meint der Angebetete nur trocken, sie solle endlich aufhören, die ganzen Fan-Magazine zu lesen.

Kreative Ideen von Anhängern, niedergeschrieben in Unterhaltungsform, man kannte es schon immer. Doch erst mit Star Trek wurden die Grundsteine des modernen Fandoms gelegt. Vieles von dem, was Fans heute ganz selbstverständlich erscheint, geht auf die Mutter (oder eine der Mütter) der Sci-Fi-Serien zurück, zum Beispiel auch die Bezeichnung »Mary Sue«.

»Fanfiction ist auch Charakteranalyse und eine Gelegenheit, meine Neugierde zu stillen, herauszufinden, welche Beweggründe hinter welcher Figur stecken.«

Quecksilver Eyes, Österreich

Star TrekStar Trek: Der Film