Stephan Harbort

„100 Prozent tot“

 
Das Phantom vom Grunewald

Droste Verlag

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© 2010 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln

Gesamtgestaltung/Satz: Droste Verlag

ebook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-7700-4134-3

 

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Für Inga Harbort.

Dein Weg wird auch unser Weg sein.

Vorwort

 

„Falls Sie einmal in Berlin sind, würde ich mich gerne mit Ihnen unterhalten.“ Mit diesem Satz, den ein Teilnehmer meiner Studie zu Opfern von Serienmördern unter einen Fragebogen geschrieben hatte, begann im Jahre 2007 unsere Beziehung. Doch anstatt ihn zu besuchen, schickte ich ihm zunächst mein Buch „Ein unfassbares Verbrechen. Der Fall Monika F.“. Einige Monate später rief er mich an und erzählte mir von seinen Empfindungen nach der Lektüre: „Das hat mich total mitgenommen. Da sieht man mal die andere Seite, was man den Menschen angetan hat.“ Eine bemerkenswerte Rückmeldung. Schließlich sollte das wohl größte Problem dieses Mannes darin bestehen, sich eben nicht in andere Menschen hineinversetzen zu können bzw. dies überhaupt zu wollen.

Etwa anderthalb Jahre später nahm ich sein Angebot an und interviewte ihn. Der damals 47-Jährige beeindruckte mich nicht durch die grausamen Details seiner Verbrechen, auch nicht mit seinen teilweise akademisch eingefärbten Erklärungen, sondern durch die vorbehaltlose Offenheit und Ehrlichkeit, mit der er mir begegnete. Da saß jemand vor mir, der sich längst nicht mehr um seine kriminelle Vergangenheit hätte scheren müssen, der aber dennoch über Stunden bereit war, auch Intimstes vor mir auszubreiten. Dieser Mann, ausgestattet mit überdurchschnittlicher Intelligenz und beachtlicher Eloquenz, unternahm auch noch ein Vierteljahrhundert nach seinen Verbrechen den manchmal verzweifelt anmutenden Versuch, mehr über sich und seinen Werdegang zu erfahren, warum alles so gekommen ist, ob es auch anders hätte kommen können. Erstaunlich.

Ich muss gestehen, dass mich das Schicksal dieses Mannes und das seiner Opfer tief berührt haben. Er ist ein Paradebeispiel dafür, dass Menschen in fatale Lebenssituationen geraten können, die sie ohnmächtig ertragen müssen und für deren lebensgeschichtliche Konsequenzen sie nicht verantwortlich gemacht werden dürfen. Dennoch gilt dieser Mann auch im juristischen Sinne zu Recht als Straftäter, der unaussprechliches Leid über seine Opfer und deren Familien gebracht hat, vor dem wir geschützt werden müssen. Auch heute noch.

Wir könnten es uns einfach machen und ihn genauso behandeln, wie man zeitlebens mit ihm verfahren ist: ignorieren, ausgrenzen, vergessen. Doch damit würden wir auch das Schicksal jener Frauen missachten, die ihm zur falschen Zeit am falschen Ort begegneten und getötet wurden oder sonst seelischen Schaden davontrugen. Und wir würden abermals den Fehler begehen, Täter und Tat gleichzusetzen, ihn nur auf seine Verbrechen zu reduzieren und als Mensch nicht zur Geltung kommen zu lassen. Gerade dieser „Jahrhundertfall“ macht es für uns zur Pflicht, auch nach den Ursachen eines Verbrechens und den Auswirkungen erzieherischen Fehlverhaltens zu fragen, nach den Umständen, nach Versäumnissen, nach Verantwortlichkeiten.

Daraus sind Eindrücke und Erkenntnisse zu gewinnen und Lehren zu ziehen, die weiter sehen lassen, die dazu beitragen können, dass es nicht immer wieder und so häufig zu solchen furchtbaren Taten kommt. Dass Warnsignale sichtbar und Fragen provoziert werden, die endlich einmal Handlungen und Konsequenzen auslösen – und nicht nur Gleichgültigkeit, Schweigen oder Kopfschütteln. Gerade dieser Mann wäre berechtigt, unangenehme Fragen zu stellen: Warum hat man zugelassen, dass ich als Kind wie ein Aussätziger behandelt wurde? Warum hat man sich mit mir als Jugendlichem nicht intensiver auseinandergesetzt, als offenkundig wurde, dass mit mir etwas nicht stimmt? Welchen Anteil haben andere Menschen an meinen Taten? Warum ist mir nicht rechtzeitig geholfen worden? Warum wollt ihr in mir nur das „Monster“ sehen?

Eine ernst gemeinte Auseinandersetzung mit dem Täter verlangt schon das Mitgefühl mit den Angehörigen und Freunden der getöteten Frauen. Wir alle schulden ihnen, dass nichts unversucht bleibt, um Einsichten zu gewinnen, mit denen wir die Gefahr solcher verhängnisvollen Entwicklungen verringern, vielleicht sogar verhindern können. Wir werfen Tätern wie ihm gerne Unmenschlichkeit vor. Darüber darf man durchaus geteilter Meinung sein. Denn ist das Unmenschliche nicht auch darin zu sehen, den anderen nicht als Mitmenschen gelten zu lassen, insbesondere bevor er zum Täter wird?

Die entsetzlichen Verbrechen dieses eher unscheinbaren Mannes, dessen bürgerliche Existenz in sämtlichen Lebensabschnitten kaum Beachtung fand, sind ein mahnendes Beispiel dafür, wie weit ein Mensch sich von seinesgleichen entfernen kann, wozu er fähig ist, wenn man sich nicht um ihn kümmert, wenn man ihm nicht gerecht wird, wenn man ihn unter Vorurteilen begräbt. Und dieser Fall zeigt exemplarisch und in selten zu beobachtender Klarheit, wie und wie weit sich seelische Deformationen und sexuelle Perversionen entwickeln können – wenn sie wie Krebsgeschwüre unerkannt und unbehandelt wuchern dürfen.

Insofern ist diese Tragödie tatsächlich einzigartig. Deshalb musste sie dokumentiert werden. Deshalb müssen wir sie zur Kenntnis nehmen. Denn spätestens nach dieser zugegebenermaßen hochemotionalen und schmerzvollen Auseinandersetzung besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass uns der anfangs unheimliche und unsympathische Täter irgendwann näherkommt, wir wenigstens ein Gefühl für seine damalige Lebenssituation entwickeln können.

Man muss diesen Mann nicht unbedingt mögen. Man darf ihm auch mit Zurückhaltung begegnen. Nur sollten wir ihn nicht ausschließlich betrachten wie ein seltsames Raubtier, das wegen seiner Gefährlichkeit zeitlebens weggesperrt werden muss, und seine Würde infrage stellen. Vielmehr dürfen wir Achtung haben vor seiner Bereitschaft, sich in aller Öffentlichkeit zu bekennen und somit an seinem Schicksal und dem seiner Opfer teilhaben zu dürfen. Aufgrund der intensiven Gespräche mit ihm, dessen Name mit Rücksicht auf seine Angehörigen in diesem Buch nicht genannt werden soll, weiß ich sehr genau einzuschätzen, wie unendlich schwer es ihm gefallen sein muss, nach all den Jahren des inneren Abstands die Rolle des Patienten gegen die des Täters einzutauschen.

Meinen Respekt dafür hat er.

Stephan Harbort

Düsseldorf, im April 2010

Die geschilderten Ereignisse sind authentisch, soweit man dies überhaupt sagen kann. Jedenfalls entsprechen sie der festgestellten prozessualen Wahrheit und den Aussagen der beteiligten Personen. Als Quellen für die Rekonstruktion und Dokumentation der Ereignisse dienten insbesondere die umfangreichen Gerichtsakten (Staatsanwaltschaft Berlin, Aktenzeichen 1 Kap Js 316/82) und persönlich geführte Interviews sowie seriöse Pressemitteilungen.

Die für das vorliegende Buch verwendeten Aussagen der Opfer und des Täters stammen aus kriminalpolizeilichen Vernehmungsprotokollen und Gesprächen, die ich in der jüngeren Vergangenheit geführt habe. Gesprächssituationen sind von mir anhand der amtlichen Protokolle rekonstruiert und redaktionell bearbeitet worden, um Wiederholungen zu vermeiden und unwesentliche Aspekte auszusparen. Die Interviews habe ich jeweils mit einem Diktafon aufgezeichnet. Aus Gründen der Vereinheitlichung haben generell die Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung Anwendung gefunden.

Die Namen der handelnden Personen sind pseudonymisiert, ausgenommen diejenigen von Personen der Zeitgeschichte. Vereinzelt wurden auch biografische Angaben verändert, um eine Erkennbarkeit der Personen zu verhindern. Diese Verfahrensweise ist dem Schutz der Persönlichkeitsrechte geschuldet.

TEIL 1

 
Die Verbrechen

Prolog

Die folgenden Ereignisse werden Jahre später vor allem eine Frage provozieren: Wann hört ein Mensch auf, Mensch zu sein?

SONNTAG, 14. MÄRZ 1982

Der junge Mann steht am Tresen und bestellt zum x-ten Mal „Veterano“, einen Weinbrand, sein Lieblingsgetränk, dazu eine Tasse Kaffee. Er fällt in der Menschenmenge nicht weiter auf, obwohl er noch seine Berufskleidung trägt: schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzes Jackett. Auf der etwa 30 Quadratmeter großen Tanzfläche geht es hoch her, der Laden brummt. Und „Die Flippers“ singen lautstark ihren neuesten Hit „Wünsche fliegen übers Meer“. Das gefällt ihm, das passt zu ihm. Wenn eine Frau in sein Blickfeld gerät, die ihm sympathisch erscheint, lächelt er freundlich. Mit einigen Damen hat er bereits getanzt, gesprochen, getrunken, geflirtet. Bei ihm geblieben ist keine.

Das „Séparée-Zentrum“ im Westberliner Ortsteil Charlottenburg ist eine Diskothek mit zweifelhaftem Ruf. Hier verkehren insbesondere Männer und Frauen jenseits der 40, die in erster Linie auf ein sexuelles Abenteuer aus sind, ohne selbst viel investieren zu müssen. Ein auffordernder Blick genügt, ein Wort gibt das andere – Kontakt. Das bunt gemischte Publikum schätzt vor allem deutsche Schlager. Obwohl er erst Anfang 20 ist, fühlt er sich in diesem Kreis deutlich älterer Menschen besonders wohl. Mit Gleichaltrigen weiß er nicht viel anzufangen, dort stößt er regelmäßig auf Unverständnis.

Heute Abend ist er in guter Stimmung. Abseits des Diskothekentrubels indes verhält es sich anders, grundlegend. Einer der Gründe für sein seelisches Dilemma: Kurz nach Karneval hat er sich von seiner Freundin getrennt. Er hat sogar die Polizei in die gemeinsame Wohnung bemühen müssen, um dort wenigstens an seine Habseligkeiten zu gelangen. Seine alkoholkranke Freundin hatte ihn ausgesperrt. Wenn auch die Trennung von ihm betrieben worden ist, so betrachtet er sich doch als gescheitert, fühlt sich als Verlierer. Wieder einmal. Schon allein seinetwegen hätte sie mit dem Trinken aufhören müssen. Wie konnte sie sich nur bei einem tollen Kerl wie ihm für den Alkohol entscheiden – und gegen ihn! Dieser überaus frustrierenden Erfahrung steht er hilflos gegenüber. Erst rekapitulierend, dann kapitulierend. Er weiß mit diesem niederdrückenden Gefühl nicht umzugehen, er kann nur darauf reagieren.

In solchen Momenten der Desorientierung und Desillusionierung flüchtet er sich in diese andere wundersame Welt, in der alles so unendlich viel schöner ist, lebendiger, aufregender, leichter zu erreichen. Obwohl er sich in dieses Paralleluniversum nur hineindenken kann, gibt es ihm Halt. Stundenlang kann er sich dort vergnügen, austoben, herrschen. Widerstände werden mühelos überwunden. Seine Opfer sind gesichtslose Wesen mit besonders intensiv ausgeprägten weiblichen Geschlechtsmerkmalen, die ihm ausgeliefert sein müssen, die er in bestimmten Positionen und Situationen sexuell demütigt. Nur diese dunklen Vorstellungen bereiten ihm wirkliches Vergnügen und echte Befriedigung.

Auch dieser Abend ist nicht so verlaufen, wie er es sich ausgemalt hat. Er hat viel Geld ausgegeben, viel getrunken, viel geredet, aber wenig erlebt und nichts erreicht. Es ist etwa 0.25 Uhr, als er seine Bemühungen, eine Frau kennenzulernen, aufgibt und die Diskothek verlässt. Sein Wagen steht unweit des Tanzlokals. Er ist müde und möchte jetzt nur noch nach Hause.

Als er die Treppe vom „Séparée-Zentrum“ hinuntersteigt, kommen ihm zwei junge Frauen entgegen und fragen ihn in gebrochenem Deutsch nach einer Pizzeria, die noch geöffnet hat. Er ist ein netter und hilfsbereiter Mensch. Deshalb muss er nicht lange überlegen und bietet den Mädchen spontan an, sie in eine nahe gelegene Pizzeria zu chauffieren – und zurück. Einverstanden.

Während der Fahrt kommt er mit den Frauen schnell ins Gespräch, die ihm bereitwillig erzählen, dass sie in Norwegen noch zur Schule gehen und ihre Abschlussfahrt sie nach Westberlin geführt hat. Die Mädchen, deren Alter er auf unter 20 schätzt, berichten ihm auch von ihren Eindrücken und Erlebnissen im „Quasimodo“, einem stadtbekannten Jazz- und Musikkeller in der Kantstraße, den sie heute Abend besucht haben. Jetzt sind sie hungrig.

Fünf Minuten später erreichen sie die Pizzeria in der Lietzenburger Straße. Eigentlich will er draußen im Auto warten, doch dann spürt er, dass er zur Toilette muss, und geht mit in das Lokal hinein. Während die Mädchen einen Schwenk nach links zur Theke machen, schlendert er nach rechts an fünf Tischen mit jeweils vier Sitzmöglichkeiten vorbei in Richtung WC und erleichtert sich dort.

Als er zurückkommt, bemerkt er unter den etwa 15 Gästen eine Arbeitskollegin, die sich an einem Stehtisch angeregt mit einem Mann unterhält, und stellt sich dazu. Er nimmt einen Schluck vom Getränk seiner Bekannten und unterhält sich mit ihr und dem Unbekannten über Belangloses. Small Talk eben. Hin und wieder schaut er zu den Mädchen hinüber, um zu erfahren, wie es um ihre Bestellung steht.

Als er nach zehn Minuten mitbekommt, dass die Frauen bezahlen, verabschiedet er sich von seiner Kollegin und ihrem Begleiter, geht hinaus und wartet im Wagen. Wenige Augenblicke später kommen die Mädchen dazu, er hat die Beifahrertür bereits aufgestoßen. Die junge Frau mit dem auffallend dunklen Teint und den pechschwarzen Haaren setzt sich auf die Rückbank, ihre Freundin nimmt neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz, die mit Silberpapier umwickelte Pizza legt sie auf ihren Oberschenkeln ab.

Er startet den Wagen, wendet und fährt auf die nächste beampelte Kreuzung zu, um dort in Richtung Kantstraße abzubiegen. Er ordnet sich aber falsch ein. Es dauert einen Moment, bis er dies bemerkt. Und genau in diesem Augenblick realisiert er noch etwas anderes: zwei Mädchen, mit denen ich etwas anstellen kann! Die vielleicht gar nicht zur Polizei gehen, wenn ich mit ihnen fertig bin, weil sie hier fremd sind. Er schaut kurz in den Rückspiegel. Leichte Beute!

Als die Ampel Grün zeigt, biegt er nach rechts ab. Die Mädchen bemerken nicht, dass er in die falsche Richtung fährt. Sie ahnen auch nicht, dass sie in seinen Augen bereits jetzt keine Touristinnen mehr sind – sondern nur noch Opfer eines Mannes, der sich an ihren Todesängsten berauschen will, der mit ihnen kein Mitleid haben wird, der sie leiden sehen möchte. Er weiß noch nicht, wo er mit den Mädchen hinfahren soll. Erst mal weg, einfach irgendwohin, entscheidet er. Es wird sich schon noch eine Möglichkeit ergeben. Er weiß aber sehr genau, was er seinen Opfern antun will. Und wie er dabei vorgehen wird.

Um seine Opfer abzulenken und arglos zu machen, beginnt er eine Unterhaltung, fragt, wo genau die Frauen in Norwegen wohnen, wie das Leben dort so ist, ob sie noch Geschwister haben, wann sie in die Heimat zurückkehren werden, wie es ihnen in Berlin gefallen hat und so weiter. Seine Opfer reagieren wie erhofft und beantworten bereitwillig jede seiner Fragen.

So bekommen die Mädchen gar nicht mit, dass für den Mann, der bislang so hilfsbereit gewesen ist und der sich so nett mit ihnen unterhält, Straßennamen mittlerweile genauso bedeutungslos geworden sind wie Straßenschilder oder die Straßenführung. Sein Ziel ist auf keiner Straßenkarte verzeichnet und heißt Tatort. Ein solcher Ort kann überall sein, vielleicht eine Kiesgrube oder ein verlassenes Fabrikgelände.

Etwa einen Kilometer, nachdem er falsch abgebogen ist, bekommt alles um ihn herum einen neuen Sinn. Er sieht die Welt nun mit den Augen eines Täters. Er handelt wie ein Täter. Er ist ein Täter. Nur noch ein Täter. Alles andere in seiner Umgebung hat aufgehört zu existieren. Gedanklich schaut er sich in seinem Kofferraum um: Was habe ich dabei? Was kann ich davon gebrauchen? Das Radkreuz: vielleicht. Der Verbandskasten: ja! Das Warndreieck: nein.

Er starrt angestrengt durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit, nicht wissend, wo er sich befindet, wohin er fährt, einfach darauf vertrauend, dass er den Tatort schon erkennen wird, sobald er ihn sieht. Er hat immer noch keine konkrete Vorstellung davon, wohl aber eine Vorahnung: Wenn er dort ankommt, wird er es spüren, er wird es wissen. Es ist jetzt in ihm. Er lässt sich nur noch von seinem Jagdinstinkt leiten. Pure Intuition: gucken, wissen, handeln! Er ist in seinem Element. Er will Beute machen. Er will sich bemächtigen. Nichts kann ihn mehr davon abhalten.

Wenn seine Opfer wüssten, was er ihnen in dieser Nacht antun will, sie würden sich sogar aus dem fahrenden Wagen stürzen, nur um ihrem erbarmungslosen Peiniger noch zu entkommen. Er hat eine sehr präzise Vorstellung davon, welche unsäglichen Qualen den Mädchen bevorstehen sollen. So etwas macht er nicht zum ersten Mal. Vorfreude erfasst ihn. Er kann es kaum erwarten.

Er spürt, wie immer mehr Adrenalin in sein Blut schießt. Es ist wie ein Rausch. Die Umgebung nimmt er nur noch schemenhaft wahr, suchend, abwägend, auf eine Gelegenheit lauernd. Es wird dunkler. Weniger Straßenbeleuchtung. Unwegsames Gelände. Keine befestigte Straße mehr. Schlaglöcher. Der Wagen rumpelt. Die Mädchen werden misstrauisch. Denn links und rechts neben ihnen tauchen im Scheinwerferlicht plötzlich Bäume auf. Warum das denn so lange dauert und wohin er mit ihnen überhaupt fahre, wollen die Mädchen wissen. Er lügt, wohl eine falsche Abzweigung genommen zu haben, und entschuldigt sich. Dann stoppt er den Wagen ohne ersichtlichen Grund.

Ich bin da!

Wortlos fasst er mit der rechten Hand unter den Fahrersitz. Dort liegt seine Pistole. Griffbereit.

Es geht los!

„Man geht auf die Suche.

Der erste unverbindliche Kontakt bestätigt das,

was man sowieso angenommen hat.

Man kümmert sich um sein Opfer,

spinnt es ein in irgendwelche Beschäftigungen –

und in einem geschützten Rahmen,

sei es in der eigenen Wohnung oder im Wald,

bemächtigt man sich.“

„Die wirklich schlimmste Vorstellung für mich war,

dass ein Opfer überlebt.“

1

SAMSTAG, 24. SEPTEMBER 1960

Das Kind wird nach einer unauffällig verlaufenen Schwangerschaft und dreiwöchigem Übertragen um 11.03 Uhr in der Bochumer Landesfrauenklinik geboren. Es ist ein Junge und wird nach seinem Onkel benannt. Die Mutter hat endlich ihr Wunschkind zur Welt gebracht. Auch der Vater ist stolz und überglücklich. Der Stammhalter ist nämlich gesund, nur ein „Caput succedaneum“ entstellt das Neugeborene. Die bläulich verfärbte Geburtsgeschwulst am Schädel, die entsteht, wenn der Kopf des Babys im Becken der Gebärenden vorübergehend feststeckt und der Abfluss des Blutes über die Venen der Kopfhaut erschwert wird, bildet sich aber schon nach einigen Tagen folgenlos zurück.

Die Eltern bewohnen eine Doppelhaushälfte in Altenbochum, Stadtbezirk Mitte, östlich gelegen in direkter Nachbarschaft zur Bochumer Innenstadt. Das Zuhause des Jungen liegt mitten in einer für das Ruhrgebiet typischen Bergarbeitersiedlung. Die eineinhalbstöckigen Wohnhäuser haben einen ähnlichen Grundriss, tief heruntergezogene Dachtraufen und eine einheitliche Fassadengestaltung, die ein wenig an Fachwerkhäuser erinnert. Konzipiert wurden die Gebäude zumeist nach demselben Prinzip: Während Wohnstube und Küche im Erdgeschoss liegen, führt die Treppe in die obere Etage zu zwei Schlafkammern. Das Zimmer des Jungen ist in der ersten Etage, gleich nebenan sind seine Großeltern väterlicherseits untergebracht. Die Familie wird komplettiert durch „Puschel“, den Mischlingshund.

Die Mutter gibt ihren Beruf als Schneiderin in einer Fabrik auf. Die 29-Jährige will sich in erster Linie um ihren Sohn kümmern. Wenn es die Zeit erlaubt, geht sie nebenher putzen. Dafür ist sie sich nicht zu schade, schließlich wollen die Kredite für das Haus bedient werden. Die Familie lebt im Wesentlichen von den Einkünften des Vaters als Berufskraftfahrer. Der korpulente Mann ist drei Jahre jünger als seine Frau und gilt allgemein als diszipliniert, zielstrebig, verlässlich. Mit seinen militärisch kurzen Haaren, der blauen Anker-Tätowierung auf dem linken Unterarm und der kräftigen Figur wirkt er etwas grobschlächtig. Bei seinen Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr in Altenbochum ist er beliebt und wird als passionierter Skatspieler geschätzt.

Seine ebenfalls übergewichtige Frau ist sehr häuslich und musisch, sie schneidert, häkelt und strickt gerne, kocht ausgezeichnet und ist sehr anpassungsfähig. Die resolute und wortgewandte Frau verwaltet die Finanzen der Familie. Ihrem Mann gibt sie lediglich ein monatliches Taschengeld. Der findet nichts dabei und gibt sich damit zufrieden; wahrscheinlich auch deshalb, weil er längst eingesehen hat, dass er mit Geld nicht umgehen kann.

Dem Sohn fehlt es in der ersten Zeit an nichts, seine Mutter ist rührend um ihn bemüht. Auch die Großeltern haben große Freude an ihrem ersten Enkelkind. Der Junge entwickelt sich prächtig und wird zum Mittelpunkt der Familie. Nur der Vater bleibt ein wenig außen vor, da er berufsbedingt lediglich an den Wochenenden zu Hause sein kann. Dennoch verläuft das Familienleben – abgesehen von gewöhnlichen Alltagskonflikten – harmonisch. Insbesondere die körperlichen und geistigen Fortschritte des Kindes berühren und begeistern alle Familienmitglieder.

Eine dramatische Wende im Leben des Jungen vollzieht sich dann aber im November 1961, als seine Mutter ihn eines Morgens mit Schaum vor dem Mund im Bett vorfindet. Er verdreht die Augen, versteift sich, er hat offenbar hohes Fieber, ist nicht ansprechbar. Seine Mutter telefoniert mit dem Kinderarzt, der wenig später nach dem Jungen sieht. Der kleine Patient bekommt eine Spritze und soll erst einmal das Bett hüten. Eine Überweisung ins Krankenhaus hält der Arzt für nicht erforderlich, obwohl das Kind an einer gefährlichen Hirnhautentzündung leidet.

Die Mutter pflegt ihren Sohn weisungsgemäß in der nächsten Zeit zu Hause. Die junge und noch unerfahrene Frau ist überaus besorgt, manchmal sogar vollkommen verzweifelt, wenn der Junge, ihr Ein und Alles, immer wieder von heftigen Fieberattacken und Krampfanfällen gepeinigt wird, er dann verzweifelt nach seiner Mutter schreit, die er kaum mehr erkennen kann. Es ist ein Bild des Jammers. Erst nach drei langen Wochen klingen die Beschwerden allmählich wieder ab. Der Kinderarzt sieht keinen Behandlungsbedarf mehr und beruhigt die Mutter, der Junge habe die Erkrankung unbeschadet überstanden. Aufatmen. Alles wird gut. Die Mutter kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass der Familie die schlimmste Zeit ihres Lebens erst noch bevorsteht.

2

OKTOBER 1962

An einem tristen Herbsttag passiert es, wieder einmal. Der kleine Junge mit den kurz geschnittenen blonden Haaren sackt beim Spielen im Wohnzimmer urplötzlich zusammen, verliert das Bewusstsein. Sein Gesicht ist auffällig blass. Die Atmung setzt aus, die Pupillen erweitern sich, seine Lippen laufen blau an. Gesichts-, Hals- und Rumpfmuskulatur versteifen sich. Es vergehen etwa 20 Sekunden, bis Arme und Beine des Jungen symmetrisch zu zucken beginnen, erst in rascher Folge, dann in zunehmend größer werdenden Abständen. Schaumiger Speichel fließt aus seinem Mund, und das Kind fängt stöhnend wieder an zu atmen. Das Gesicht hat sich leicht bläulich verfärbt. Nach einigen Minuten erwacht der Junge, müde und erschöpft, fällt aber gleich wieder in einen tiefen Schlaf.

Wenn seine Mutter einen dieser Krämpfe mitbekommt, nimmt sie ihren Sohn behutsam in die Arme. Helfen kann sie nicht, das weiß sie mittlerweile. Doch möchte sie ihm gerade in diesen dramatisch anmutenden Situationen ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln, wenigstens das.

Der Junge hat keine körperlichen Auffälligkeiten, doch verhält er sich anders als seine Altersgenossen. Der jetzt Dreijährige fällt auf durch motorische Unruhe, gelegentliches unmotiviertes Lachen, eine immer wieder zu beobachtende Starrheit der Augen und schwere Koordinationsstörungen oder Geistesabwesenheit. Hinzu kommt sein gelegentliches Krampfleiden. Ein Nervenarzt verschreibt „Tegretal“, ein Antiepileptikum, dazu „Truxal“-Saft, um den Jungen ruhigzustellen, wenn es gar nicht anders geht und seine Mutter sich nicht mehr zu helfen weiß. Oftmals liegen bei ihr die Nerven blank.

Die Mutter widmet sich vollauf der Erziehung ihres Sohnes, dessen im Alter von 14 Monaten erlittene Hirnhautentzündung wohl doch nicht folgenlos geblieben ist, vermuten die behandelnden Ärzte mittlerweile. Die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes dürfen zu Recht als Spätfolgen einer Meningitis interpretiert werden. Ein ärztlicher Verhaltenshinweis beeindruckt die Mutter nachhaltig und wird in den nächsten Monaten und Jahren eine fatale Kettenreaktion auslösen: „Sie dürfen Ihren Sohn keinesfalls unbeaufsichtigt lassen.“

Seine Mutter hält sich strikt an die ärztliche Vorgabe, und die sozialen Berührungspunkte des Jungen beschränken sich fortan – abgesehen von Besorgungen mit der Mutter und Arztbesuchen – auf die Beziehungen zu seinen Familienangehörigen. Mit anderen Kindern kommt er jedenfalls nicht in Kontakt. Wenn seine Mutter mit ihm auf den Spielplatz geht, wird der Junge hermetisch abgeschirmt. Er wird dauerbeobachtet und dauerausgegrenzt, als hätte er eine ansteckende Krankheit und müsste unter Quarantäne gestellt werden.

Um die Entwicklung des Sohnes dennoch zu fördern, dessen zwangsverordnete soziale Frigidität auch der Mutter erheblich zusetzt, zieht sie alle Register, zumindest zu Hause. Die Mutter lernt mit dem Jungen Gedichte auswendig, singt viel mit ihm, liest Geschichten vor, lässt den Kleinen bei Handarbeiten die Wolle halten. Doch mit der Zeit entwickelt der Junge Verhaltensweisen, die seine Mutter auf Dauer überfordern. Er kann einfach nicht stillsitzen, auch nicht still sein und ist zeitweise kaum zu bändigen – ein Tunichtgut. So werden die Erziehungsmethoden drastischer. Wenn die Mutter einkaufen geht, wird der Junge in der Küche kurzerhand an einem Stuhl festgebunden. Seinem Großvater ruft die Mutter noch zu: „Lass den bloß nicht los!“ – dann verlässt sie das Haus. Der Junge ist verletzt und entsetzt: von der eigenen Mutter angebunden wie ein kläffender Köter an einer Straßenlaterne. Um sich an seiner Mutter zu rächen, spuckt er immer wieder vor sich auf den Boden. Wenn die Mutter zurückkommt, so sein Plan, soll sie doch auf seinem Speichel ausrutschen und sich am besten das Genick brechen. Doch es kommt anders. Der Mutter widerfährt kein Unglück, stattdessen bekommt er für die Sauerei in der Küche reichlich Schläge mit dem Kochlöffel, bis der auf seinem Rücken zerbricht.

Mit dreieinhalb Jahren muss er wegen einer angeborenen Fehlsichtigkeit eine dickglasige Hornbrille tragen. Nach und nach bildet sich in dieser Zeit ein Sprachfehler heraus, der Junge kann die Buchstaben G und K nicht aussprechen. Er ist ein besonders neugieriges Kind und interessiert sich einfach für alles, will überallhin, hinein oder hinauf, will nichts verpassen, will auch keine Ruhe geben, gönnt seiner Mutter kaum eine Verschnaufpause. Das ist sehr anstrengend und kostet viel Kraft. Vor allem deshalb wird die Verabreichung des Beruhigungssaftes zum Regelfall, morgens, mittags, abends. Der Junge bekommt seine Medizin grundsätzlich mit einem blauen Messlöffel förmlich eingetrichtert. Er soll Ruhe, endlich Ruhe geben. Aber er gewöhnt sich im Laufe der Zeit an den „Truxal“-Saft, der irgendwann seine sedierende Wirkung weitestgehend einbüßt.

Der Junge empfindet seinen Vater nicht als Vertrauten, eher als Vorgesetzten, der ihm mit Distanz und Unnachgiebigkeit begegnet. Verständnis darf er von diesem Mann nicht erwarten, glaubt er. Auch wenn er sich mehr zu seiner Mutter hingezogen fühlt und seinen Vater in erster Linie fürchtet, so hat er doch auch positive Gefühle für ihn. Er würde auch ihm gerne nahe sein, sich ihm anvertrauen dürfen. Der Junge lechzt geradezu nach väterlicher Anerkennung. Doch es fehlen ihm das notwendige Selbstbewusstsein und die kommunikativen Mittel, um Probleme zu lösen, die ohne einen Gedanken- und Meinungsaustausch nicht bewältigt werden können. Es gelingt ihm einfach nicht, zwischenmenschliche Distanzen zu überwinden und sich situationsgerecht mitzuteilen. Und weil er sich nicht anders zu helfen weiß, steckt er seinem Vater eines Tages heimlich ein kleines Auto in dessen Tupperdose, die der Vater immer mitnimmt, wenn er sonntagabends die Familie verlässt. Der Junge möchte ein Zeichen setzen und damit erreichen, dass sein Vater auch mal an ihn denkt. Auf die erhoffte Reaktion des Vaters wartet er jedoch vergeblich.

Mit zunehmendem Alter widersetzt das Kind sich vor allem seiner Mutter. Ein Beispiel von vielen: Zum Mittagessen gibt es Grünkohl. Der Junge mag aber keinen Grünkohl. Er verweigert sich. Die Mutter droht, sie werde mit ihm nicht zur Kirmes gehen, wenn er nicht esse. In einem unbeobachteten Moment lässt er den größten Teil des Essens kurzerhand im Kohlenkasten verschwinden. Als die Mutter in die Küche zurückkommt, ist der Teller fast abgegessen. Er isst noch zwei Löffel mit Grünkohl, dann ist der Teller leer. Die Mutter stutzt, wird misstrauisch und durchsucht die gesamte Küche, bis sie fündig wird. Das Essen aus der Kohlenkiste landet schließlich wieder auf seinem Teller. Und die Mutter kennt kein Pardon: „Freundchen, und jetzt wird gegessen, sonst setzt es was!“

Für die körperlichen Züchtigungen ist jedoch üblicherweise der Vater zuständig. Der Junge hat stets ein ungutes Gefühl, wenn sein Vater freitags nach Hause kommt. Meistens muss er sich Strafmaßnahmen unterziehen, ausgelöst durch die Mitteilungen der Mutter darüber, was der Junge die Woche über wieder alles ausgefressen hat, wie ungehorsam er gewesen ist. Die Eltern-Kind-Bestrafungsaktion läuft ritualisiert, brutal und – für den Jungen kaum nachzuvollziehen – losgelöst von seinen Missetaten ab: Er wird zunächst in die Küche geschickt, einen metallbesetzten Lederriemen zu holen, den er bei seiner Rückkehr pflichtschuldig seinem Vater zu übergeben hat. Der Junge muss dann seine Hose herunterziehen und sich über die Eckbank oder einen Sessel beugen. Während die Mutter seine Hände festhält, drischt der Vater mit dem Lederriemen auf den Hintern des Kindes ein. Der Junge zappelt wild mit den Beinen, weint, schreit vor Schmerzen. Wenn die Züchtigung beendet ist und der körperliche Schmerz ganz allmählich nachlässt, fühlt er sich gedemütigt und alleingelassen. Er sehnt sich nach Trost, möchte in den Arm genommen werden, schaut seine Mutter mit verweinten Augen an. Doch die schickt ihn unbarmherzig ins Bett: „Ich will dich nicht mehr sehen!“

3

SEPTEMBER 1966

Er wird altersgemäß in die Grundschule gegeben. Er hat es nicht weit bis dorthin, die Schule ist nur gut einen Kilometer von seinem Elternhaus entfernt. Seine schulischen Leistungen sind anfangs ordentlich, zeitweise gehört er zu den zehn Besten der Klasse. Allerdings müssen seine Mutter und er jeden Nachmittag etliche Stunden zusammensitzen und büffeln. Nach Unterrichtsende wird er von seinem Klassenlehrer so lange beaufsichtigt, bis die Mutter kommt und ihn abholt. Die Frau traut ihrem Sohn immer noch nicht über den Weg. Die ärztliche Warnung, den Jungen keinesfalls unbeaufsichtigt zu lassen, hat die Mutter nicht vergessen. Nicht auszudenken, was passieren könnte, ließe man ihn alleine nach Hause kommen. Er könnte sich verlaufen. Er könnte sich verletzen. Er könnte andere verletzen.

Die Klassenkameraden sind für ihn wie Wesen von einem anderen Stern. Erstkontakt. Doch dabei bleibt es auch. Ihm gelingt es nicht, Freundschaften zu schließen oder wenigstens wahrgenommen zu werden. Dabei möchte er auch einmal im Mittelpunkt stehen, spüren, wie das ist, wenn man gemocht wird. Der Junge lechzt geradezu nach Anerkennung, die ihm auch zu Hause eher selten zuteil wird. In seiner Not kommt er auf verrückte Ideen – und lässt sie Realität werden, wenn er in der Schule ist: Mal kotet er im Unterricht ein, dann fängt er bei unpassender Gelegenheit an zu singen, mal schmeißt er sein Pausenbrot im hohen Bogen durch die Klasse. So wird er allmählich zum Klassenclown, den keiner ernst nimmt, dem man besser aus dem Weg geht.

Sein Klassenlehrer beobachtet die zunehmend grotesker werdenden Albernheiten mit Sorge und versucht auf den Jungen erzieherisch einzuwirken. Obwohl sich zwischen dem 35-jährigen Pädagogen und seinem Schüler allmählich eine vertrauensvolle Beziehung entwickelt, bleiben die Einflussmöglichkeiten des Klassenlehrers begrenzt. Mitteilungsbedürfnis, Darstellungsdrang und Wertschätzungsverlangen des Jungen sprengen jedes Maß. So stiehlt er zu Hause Geld aus dem Portemonnaie der Mutter, zieht damit am Automaten eine Packung „Lord“ und schenkt sie erwartungsfroh seinem Klassenlehrer. Der will sich darüber aber gar nicht freuen, informiert vielmehr die Mutter, die ihren Jungen wenig später mit dem Kochlöffel spüren lässt, was sie davon hält.

Der Junge leidet. Als sein Vater eines Freitagabends nach Hause kommt und der Sohn ihm das Puppentheater vorführen möchte, das er in der Woche mühselig und sorgsam aus Schuhkartons zusammengebastelt hat, erntet er von seinem Vater statt Lob und Anerkennung nur Unverständnis und Ablehnung: „Was machst du denn da für eine Scheiße, das ist doch Mädchenkram!“ Der Junge möchte sich gerne mitteilen, seine Probleme ansprechen, sich mit jemandem aussprechen. Doch da ist niemand. Auch bei seinen Eltern dringt er nicht durch, wenn er zum Beispiel ein Kind aus der Nachbarschaft – ausnahmsweise – mit nach Hause bringen möchte. „Der taugt doch nichts“, „Der ist nicht gut für dich“, wird er zurechtgewiesen. Seine Eltern verhängen lediglich Ge- und Verbote, ohne Alternativen anzubieten. Und wenn der Junge nicht pariert, setzt es Schläge.

Der jetzt Neunjährige flüchtet sich notgedrungen in eine Welt, die es gar nicht gibt, in der er sich indes gut aufgehoben fühlt: Tagträume. Er verlässt die äußere Welt, in der für jemanden wie ihn kein Platz zu sein scheint, und wendet sich der inneren Welt zu. Das ist für ihn wie Fernsehen. Diese wunderbare und wundersame Welt in seinem Kopf ist viel klarer und aufregender als alles, was er kennt. Dort ist er größer, stärker, besser und reicher als alle anderen Menschen, mit denen er es zu tun bekommt. Zwar wird ihm auch dort mitunter übel mitgespielt, doch gelingt es ihm, sich auch in einer belastenden Lebenssituation positiv zu empfinden. Und das ist für ihn ein magisches Gefühl. Selbst wenn es so schlimm wird, dass er weinen muss, fühlt er sich außergewöhnlich gut dabei.

Weil er keine Spielkameraden hat, zieht es ihn hinaus in die Natur. Er streift durch die nähere Umgebung Altenbochums, vor allem leer stehende ältere Häuser und Rohbauten durchstöbert er nach Mitnehmenswertem. Die Bierflaschen der Bauarbeiter lässt er mitgehen und kassiert am Kiosk das Flaschenpfand. Wenn ihm eine Gruppe jüngerer Kinder begegnet, setzt er sich in der Hoffnung dazu, angenommen und aufgenommen zu werden. Doch meist geben ihm die Eltern der Kinder zu verstehen, er möge sich doch gleichaltrige Spielkameraden suchen. Doch bei denen traut er sich so etwas nicht. Die würden ihn sowieso nicht mitspielen lassen, weiß er aus leidvoller Erfahrung.

Der Junge hat einen Herzenswunsch. Er möchte unbedingt ein Bonanzarad bekommen, natürlich mit „Bananensattel“, Hirschgeweih-Lenker und Drei-Gang-Nabenschaltung. Die anderen Kinder, die für ihn immer noch unerreichbar bleiben, fahren doch auch mit diesen Rädern herum. Jedoch ist seine Mutter strikt dagegen. Die Ärzte haben ihr nämlich dringend davon abgeraten. Es werden wegen der nach wie vor zu beobachtenden Koordinationsstörungen – dem Jungen gelingt es mitunter nicht, einer Laterne oder einem anderen Hindernis auszuweichen – und seiner „Fallsucht“ schlimme Stürze befürchtet. Er versteht das nicht. Er fühlt sich diesem Abenteuer durchaus gewachsen. Er will es seiner Mutter beweisen, seinem Vater, den Großeltern, der Welt. Er bittet, quengelt, fordert, fleht. Doch es bleibt dabei: kein Fahrrad!

Seine Leistungen in der Schule werden zusehends schwächer. Doch die Bemühungen seiner Mutter und das Wohlwollen des Klassenlehrers verhindern eine Rückstufung. Letztlich hat es der Junge der Überzeugungskraft seiner Mutter zu verdanken, dass er nicht auf eine Sonderschule geschickt wird, sondern eine Hauptschule besuchen darf. Wird ihm jetzt der Befreiungsschlag gelingen?

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Mathematik und Deutsch liegen ihm besonders, hier erzielt er auch ordentliche Leistungen; die übrigen Fächer, insbesondere die naturwissenschaftlichen, wecken sein Interesse jedoch nicht. Der Junge arbeitet trotzdem insgesamt gut mit. Doch wie schon in der Grundschule gelingt es ihm nicht, sich in den Klassenverband einzufinden. Auch nach außen wird dies erkennbar, wenn er in den Pausen verloren und missachtet auf dem Schulhof herumsteht. In diesen Situationen kommt er sich besonders einsam und ausgegrenzt vor. Wie gerne würde er mit den anderen Kindern spielen, toben oder sich einfach nur unterhalten.

Um sich aus diesem beklemmenden Vakuum zu befreien und Aufmerksamkeit zu erringen, provoziert er seine Mitschüler durch ausgesprochen derbe Späße, mit denen er seine Situation nur noch mehr verschlimmert. Er gibt so nämlich Anlass, sich näher mit ihm zu beschäftigen. Und da er in der Gruppe mutterseelenallein dasteht, ist seine Position besonders schwach – ein ideales Opfer. So wird er immer wieder drangsaliert, schikaniert und gelegentlich auch erpresst: „Krieg ich was? – oder du kriegst was auf die Fresse!“

Den Eltern bleiben die zwischenmenschlichen Probleme ihres Sohnes in der Schule weitestgehend verborgen. Der Junge wird im Wesentlichen von seiner Mutter erzogen, der Vater greift lediglich als strafende Instanz ein. Dann gibt es Standpauken oder Prügel. Meistens beides. Das Verhältnis zu seiner Mutter ist durchaus zwiespältig. Er versteht ihre Fürsorge und Zuwendung als Ausdruck von Liebe. Das gefällt ihm. Einerseits. Andererseits lässt ihm seine Mutter kaum Freiheiten, sie engt ihn ein, sie schreibt vor, sie maßregelt. Das gefällt ihm nicht.

Die Beziehung zum Vater ist ebenso doppelwertig. Auf der einen Seite bewundert er seinen Vater, den er als durchsetzungsfähig und geradlinig erlebt, auf der anderen Seite fürchtet er dessen Jähzorn und drastische Bestrafungsrituale. Der Junge ist hin- und hergerissen. Er findet einfach keine richtige Einstellung zu den Menschen, die ihn umgeben, keinen Weg, sich verständlich zu machen, ohne dass er belächelt wird oder mit negativen Konsequenzen rechnen muss. Seine Schreie nach Aufmerksamkeit werden zwar wahrgenommen, nur werden sie falsch verstanden oder falsch gedeutet – als Anmaßung, Beleidigung, Verrohung oder Bedrohung.

Als sich das Verhältnis zu seinen Mitschülern, aber auch seinen Eltern dramatisch zuspitzt, geht seine Mutter zur städtischen Erziehungsberatung. Dort wird für den Zehnjährigen nach längeren Gesprächen eine Spieltherapie empfohlen. Das Konzept dieser ambulant durchgeführten Maßnahme sieht vor: In ausgangsoffenen Spielsituationen können und sollen insbesondere entwicklungsgestörte Kinder die Themen ihres Lebens ausspielen und gemeinsam mit ihren Therapeuten neue Beziehungserfahrungen sammeln und neue Verhaltensformen entwickeln. Es geht also im Kern um das Erlernen von sozialer Kompetenz, die der Junge bisher nicht hat entwickeln können, weil er in den ersten Jahren seines Lebens isoliert wurde und später einfach überfordert war, wenn er soziale Kontakte anbahnen oder Konflikte lösen sollte. Er kennt bislang nur regelrechte Kampfbeziehungen, in denen es darum geht, den anderen zu dominieren und ihm ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen oder abzuringen.

Seine Erfahrungen bei der Spieltherapie, die einmal wöchentlich von Kinderpsychologen des Gesundheitsamts in Bochum durchgeführt wird, sind überwiegend positiv. Er empfindet es als angenehm, mit anderen Kindern zusammen sein zu können, mal einfach so, ohne Druck von jemandem oder Angst vor etwas. Es wird viel miteinander gespielt, gesprochen, auch gekocht. Zudem muss er Koordinationsübungen absolvieren. Doch seine Betreuer sind überaus skeptisch und können trotz aller Bemühungen keinen durchgreifenden Behandlungserfolg feststellen. Die Therapie wird darum nach einem halben Jahr abgebrochen. Seiner Mutter wird sogar gesagt, sie solle ihren Sohn niemals mit anderen Kindern spielen lassen. Der Grund: „Ihr Sohn könnte Sachen machen, die nie wiedergutzumachen sind, etwa bei einem Anfall ein anderes Kind tödlich verletzen.“ Den gleichermaßen verunsicherten und schockierten Eltern wird schließlich nahegelegt, das Kind psychiatrisch begutachten zu lassen.

Der Junge bleibt auch in der Folgezeit verhaltensauffällig. Er versucht, Lehrern und Mitschülern durch geschraubte Redewendungen zu imponieren, er klebt förmlich an einzelnen Worten oder Themen, trägt allzu dick auf, wirkt angeberisch. Wann immer es geht oder sich eine Gelegenheit ergibt, versucht er die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, indem er bei Schulausflügen fremde Leute grundlos anpöbelt, absichtlich Kaffee in einem Restaurant verschüttet oder lautstark irgendwelche Forderungen stellt, die keinen rechten Sinn ergeben oder deplatziert wirken. Und er macht es sich zur Maxime, stets genau das Gegenteil von dem zu tun, was von ihm gewünscht oder gefordert wird.

Die Sehnsucht, endlich einmal Rad fahren zu können, lässt ihn den Respekt vor fremdem Eigentum vergessen. Kein Fahrrad ist mehr sicher vor ihm, das irgendwo herumsteht und nicht abgeschlossen worden ist. Spontan schnappt er sich die Räder, fährt am liebsten in den Ruhrauen im Südwesten Bochums herum, genießt die Touren wie kaum etwas anderes, manchmal stundenlang. Wenn er so querfeldein durch die malerischen Landschaften radelt, vermisst er niemanden, und er darf unbehelligt bleiben. Er lässt alle Probleme hinter sich, seine innere Zerrissenheit spürt er in diesen Momenten nicht mehr – paradiesisch. Nach seinen Spritztouren stellt er die Fahrräder einfach irgendwo ab. Damit ist die Sache für ihn erledigt.

Unerledigt indes ist bei der Bochumer Polizei ein ausgesprochen merkwürdig anmutender Erpressungsfall. Man hat jedoch bereits einen Verdächtigen im Visier, einen Zehnjährigen, der in Altenbochum bei seinen Eltern wohnt und vom Jugendamt als „schwer erziehbar“ eingestuft worden ist. Die Polizei stattet der Familie einen Besuch ab. Ein Kripobeamter hat einen Zettel mitgebracht und möchte, dass der Junge einen bestimmten Text liest und ihn danach selbst schreibt. „Warum?“, gibt er dem Beamten keck zurück. „Das hab ich doch schon geschrieben!“ Entlarvt. Denn auf dem Zettel, der bei einer Blumengroßhandlung mit der Post eingegangen ist, steht mit krakeliger Kinderhandschrift geschrieben, dass ein Zug entgleisen würde, wenn nicht das Lösegeld in Höhe von einer Million Mark gezahlt werde. Die Idee für diesen Coup, der auf dem Gelände der Liebfrauenschule hätte stattfinden sollen, hat er beim Fernsehen aufgeschnappt, die Anschrift des Blumengeschäfts stammt aus einem Prospekt. Auch wenn sein Verhalten durchaus kriminelle Züge trägt, so hat er sich doch nichts weiter dabei gedacht. Ein Dumme-Jungen-Streich eben, der ihm außer einer ordentlichen Tracht Prügel nichts einbringt.

Als Elfjähriger macht er die ersten Erfahrungen mit Alkohol, als sein Vater ihn gelegentlich zum Frühschoppen mitnimmt und ein oder zwei Gläser Bier trinken lässt. Das Verhältnis zu seinen Eltern ist nach wie vor angespannt. Richtig entspannt fühlt er sich nur, wenn er onaniert hat, in seinem Zimmer oder auf der Toilette. Er gibt sich große Mühe, diese ersten sexuellen Regungen zu verbergen. Seine Mutter bekommt wohl auch nichts davon mit, doch sie spricht auch nicht mit ihm darüber, obwohl der Junge erkennbar in die Pubertät kommt. Beide Elternteile sind ausgesprochen prüde und puritanisch, Zärtlichkeiten werden grundsätzlich im Verborgenen ausgetauscht, Sexualität ist ein Tabuthema.

Ende des Jahres 1971 wird es den Eltern zu viel, vor allem die Mutter weiß nicht mehr weiter. Der Junge geht nur noch sporadisch zur Schule, treibt sich lieber herum, begeht dabei Ladendiebstähle, läuft jetzt auch von zu Hause weg, wird von der Polizei aufgegriffen und zurückgebracht. Er provoziert die Mutter geradezu, indem er heimlich Konserven aus dem Vorratsschrank öffnet und leert oder Kothaufen in ihrem Kleiderschrank versteckt. Wenn er daraufhin zur Rede gestellt wird, bekommt der Gescholtene einen Wutanfall. Das Eltern-Kind-Verhältnis ist zerrüttet, die sowieso schon limitierten erzieherischen Mittel haben sich vollends erschöpft. Zudem können die Eltern nicht einschätzen, aus welchen Gründen sich ihr Sohn derart auffällig verhält. Und so wird der Junge erstmals ein Fall für die medizinische Fachdisziplin der Seelenheilkunde.

Das Westfälische Institut für Jugendpsychiatrie und Heilpädagogik in Hamm nimmt ihn am 1. Dezember auf. Doch auch in seinem neuen sozialen Umfeld zeigt er alte Verhaltensweisen. Durch großsprecherische Redensarten, die häufig unkindlich wirken und von geringer Wortflüssigkeit geprägt sind, versucht er vor allem sein Versagen im vorwiegend motorischen Bereich zu überspielen. Es will ihm beispielsweise bei Gruppenspielen einfach nicht gelingen, einen Ball zu fangen wie die anderen Kinder, er greift immer daneben. Ins Leere gehen auch seine unangemessenen Bemühungen, sich Gehör zu verschaffen. Wenn er sich in altkluger Weise immer wieder in Gespräche einmischt, möchte er tonangebend sein, produziert jedoch nur Misstöne und Missstimmung. Die anderen Kinder lehnen ihn darum rigoros ab und zeigen ihm dies auch unmissverständlich. Diese kategorische Zurückweisung schmerzt ihn besonders, und er zieht sich immer weiter zurück, ängstlicher werdend, sich weniger beteiligend. Er kann nicht verstehen, warum gerade er häufig nur Missbilligung erfährt. Obwohl das Verhältnis zu seinem Vater schwer belastet und ausgesprochen konfliktreich ist, steht er fast jeden Tag am Fenster seiner Station und schaut sehnsüchtig auf die Straße hinunter: Papa, wann kommst du denn endlich! Hol mich doch!

Nach wochenlanger Beobachtung und einer Reihe von medizinischen Untersuchungen kommen die Fachleute im Februar 1972 zu folgendem Befund: „Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich bei den Verhaltensstörungen des Jungen um Folgen einer Hirnhautentzündung oder bereits um eine frühkindliche hirnorganische Schädigung handelt. An einer solchen Schädigung besteht jedoch kein Zweifel, und sie ist die Wurzel für die Verhaltensauffälligkeiten, die sich im Laufe der letzten Jahre entwickelt haben.

Durch seine Konzentrationsschwäche und seine Störung der optischen Gestalterfassung, die in der Legasthenie ihren Ausdruck findet, ist der Junge im Rahmen einer normalen Hauptschule überfordert. Er hat dennoch ein gut durchschnittliches intellektuelles Vermögen. Er braucht gezielte sonderpädagogische Hilfen, wie er es im Grunde nur im Rahmen einer Kleinklasse erhalten kann, um zum Hauptschulabschluss zu gelangen. Die Umschulung auf eine Sonderschule für Erziehungshilfe wäre für den Jungen die richtige Maßnahme. Für eine Schule für Lernbehinderte ist er zu leistungsfähig.

Seine geringe Realitätskontrolle, seine stark haftende Denkweise und seine Affektinkontinenz belasten ihn zusätzlich. Sein motorisches Handicap lässt ihn zusätzlich konkurrenzunfähig sein und erschwert ihm Kontakte zu seinen Kameraden, deren Anerkennung er auf andere Weise zu gewinnen sucht. Es ist anzunehmen, dass er sich Freunde zu ‚kaufen‘ versucht und durch unangepasstes Verhalten in der Schule – soweit es nicht nur auf seine affektive Ungesteuertheit zurückgeht – probieren wird, ihre Anerkennung zu gewinnen, ohne je mit unangenehmen Folgen zu rechnen. Schließlich belastet den Jungen auch noch die starke Verunsicherung der Mutter, die seine Verhaltensauffälligkeiten in keiner Weise einzuordnen wusste und sich durch ihn erheblich herausgefordert fühlte.“

Die behandelnden Psychologen empfehlen den Eltern die Überweisung ihres Sohnes in eine geschlossene Erziehungsanstalt, dort soll er sich einer geeigneten Therapie unterziehen. Doch für die Eltern kommt das nicht infrage. Noch nicht. Sie wollen ihrem Sohn einen Heimaufenthalt ersparen und müssen ihn mangels Alternative wieder bei sich aufnehmen. Notgedrungen. Zähneknirschend. Vor allem seine Mutter vertraut und hofft darauf, dass es irgendwann mit ihm besser wird. Es muss einfach besser werden.

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APRIL 1972

Der Junge ist auf dem Heimweg und in Gedanken, als er in der Nähe eines Zebrastreifens von einem Auto angefahren wird und einen komplizierten Schienbeinbruch erleidet. Er muss mehrere Wochen im Krankenhaus bleiben. Auch dort fällt er durch sein mitunter merkwürdig und anmaßend anmutendes Verhalten auf. So reibt er sich beispielsweise beim notorischen Onanieren den Penis wund. Eine verständnisvolle Krankenschwester nimmt sich seiner an, sie cremt sogar die wundgescheuerten Stellen mit einer Salbe ein.