DER AUTOR
© Danny Fitzpatrick
CHRIS BRADFORD recherchiert stets genau, bevor er mit dem Schreiben beginnt: Für seine Bestsellerserie »Bodyguard« belegte er einen Kurs als Personenschützer und ließ sich als Leibwächter ausbilden. Bevor er sich ganz dem Bücherschreiben widmete, war Chris Bradford professioneller Musiker und trat sogar vor der englischen Königin auf. Seine Bücher wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet.
Von Chris Bradford bereits erschienen:
Bodyguard – Die Geisel (Band 1)
Bodyguard – Das Lösegeld (Band 2)
Bodyguard – Der Hinterhalt (Band 3)
Bodyguard – Im Fadenkreuz (Band 4)
Bodyguard – Der Anschlag (Band 5)
Bodyguard – Die Entscheidung (Band 6)
Super Bodyguard
Mehr Informationen zur Bodyguard-Serie unter:
www.cbj-verlag.de/bodyguard
Mehr zu cbj und cbt auf Instagram @hey_reader
CHRIS BRADFORD
Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr
Mit Illustrationen von David Wyatt
Für Leo, meinen kleinen Ninja
1. Der erste Auftrag
Japan, im Jahr 1580
Ich lauere unter den Dielen.
Versteckt, seit über einer Stunde, unbeweglich wie ein Stein.
Mein Name ist Taka. Dies ist meine erste Mission als Ninja. Ich darf nicht versagen.
Die Schiebetür wird aufgeschoben. Ich spähe durch einen Spalt zwischen den Dielen. Sehe einen Mann in den Raum kommen; seine Füße gehen dicht an meinem Gesicht vorbei. Er trägt eine golddurchwirkte Seidenrobe; auf dem Rücken ist ein schwarzer Adler eingestickt. Zwei Samuraischwerter hängen an seinem Hüftgurt. Über die rechte Wange zieht sich eine lange rote Narbe.
Dieser Mann ist der Daimyō Oda – der Kriegsherr der Samurai. Auf ihn warte ich.
Der Daimyō weiß nicht, dass ich hier bin. Er kann mich hier, unter den Dielen, nicht sehen. Er setzt sich auf sein Bett, öffnet eine Schriftrolle und beginnt zu lesen.
»Nie hätte ich mir träumen lassen, dass so etwas möglich ist«, murmelt er vor sich hin.
Nach einigen Minuten rollt er das Papier zusammen und verstaut es in einer Holzschatulle, die neben dem Kopfende steht. Er platziert das Schwert neben dem Bett, bläst die Kerze aus und legt sich schlafen.
Inzwischen ist der Mond über der Burg aufgegangen. Sein bleiches Licht fällt durch ein kleines Fenster, direkt auf das grausame Gesicht des Kriegsherrn. Oda ist der Erzfeind der Ninja. Und ich muss ihn daran hindern, unseren Clan zu vernichten. Das ist mein Auftrag.
Jetzt ist es so weit.
Sachte und äußerst leise schiebe ich die losen Dielen über mir beiseite und steige aus meinem Versteck. Wie alle Ninjas habe ich gelernt, mich lautlos anzuschleichen. In der Dunkelheit bin ich fast unsichtbar: durch die schwarzen Kleider und die Kapuze bin ich kaum mehr als ein dunkler Schatten. Nur meine Augen sind zu sehen.
Als ich mich dem Samurai nähere, bemerke ich, dass meine Hände zittern.
Schaffe ich das überhaupt?, frage ich mich.
Mein ganzes Leben lang wurde ich zum Spion und Attentäter ausgebildet. Aber ich bin erst vierzehn. Besitze ich schon alle Fähigkeiten, die ich brauche, um diese Mission erfolgreich durchzuführen? Vielleicht hätte ich doch auf Cho warten sollen. Kann ich, ich ganz allein, unseren Ninja-Clan retten?
Ich muss einfach beweisen, dass ich es kann. Jetzt, in dieser Nacht.
Mittlerweile habe ich mich dem Daimyō Oda so weit genähert, dass ich ihn atmen hören kann. Als ich die Hand ausstrecke, wirft mein Arm im Mondlicht einen Schatten auf sein Gesicht.
Ein kleiner Fehler. Aber ein fataler.
Urplötzlich schlägt der Kriegsherr die Augen auf. Einen Herzschlag lang starren wir uns entsetzt und erschrocken an.
Dann brüllt er: »WACHE!«
Am Tag zuvor …
Ich halte den silbern glänzenden Shuriken fest in der rechten Hand, ziele kurz und schleudere den Wurfstern auf das Ziel. Er fliegt wie ein winziger Lichtblitz durch die Luft.
Mit dieser Waffe übe ich jeden Tag; trotzdem kann ich es kaum glauben, als der Shuriken den Baumstamm genau in der Mitte trifft.
»Beachtlich«, lobt Sensei Shima und kommt zu mir herüber. »Das gibt fünf von fünf möglichen Punkten.«
Ich verbeuge mich und knie wieder in der Reihe der anderen Ninjaschüler nieder. Hier, auf einer Lichtung im Wald, üben wir die Ninja-Kampfkunst. Ein Mädchen mit langem schwarzem Haar lächelt mir kurz zu – Cho. Sie ist eine Kunoichi, ein weiblicher Ninja, und ist ein Jahr älter als ich. Im Clan gibt es niemanden, der ihre akrobatischen Fähigkeiten übertrifft.
»Gut gemacht. Du hast sogar Renzo geschlagen!«, flüstert sie mir zu und weist mit einer Augenbewegung auf einen großen sechzehnjährigen Jungen mit muskulösen Armen und kahl rasiertem Schädel.
Renzo starrt wütend zu mir herüber. Normalerweise wird er nie Zweiter.
Es gefällt ihm ganz und gar nicht, dass jemand besser ist als er.
»Zählt nicht«, knurrt er.
»Warum nicht?«, protestiere ich.
»Du bist kein echter Ninja. Hast noch keine Mission hinter dir.«
Renzo genießt es, mir diese Tatsache bei jeder Gelegenheit unter die Nase zu reiben. Meine Freude über den glänzenden Wurf des fünfschneidigen Shuriken versiegt.
»Du bist ja nur neidisch«, sagt Cho.
»Taka hat einen Zufallstreffer gelandet, das ist alles«, schnaubt Renzo. »Wartet mal ab, ob er so einen Wurf auch noch hinkriegt, wenn es hart auf hart zugeht, zum Beispiel bei einer Mission.«
Sensei Shima klatscht in die Hände. »Wir machen jetzt mit dem unbewaffneten Kampftraining weiter«, ruft er. »Sucht euch einen Partner.«
Ich blicke Cho fragend an, aber Renzo steht bereits vor mir, er überragt mich um fast einen Kopf.
Bevor ich auch nur reagieren kann, packt er meine beiden Arme. Ich versuche, seine Hände abzuschütteln, aber er ist zu stark. Renzo wirft mich zu Boden. Ich kämpfe gegen ihn an, versuche, wieder auf die Beine zu kommen, aber er lässt sich auf mich fallen und presst einen meiner Arme mit dem Knie auf den Boden. Ich stöhne vor Schmerzen, als er mich mit seinem ganzen Gewicht niederdrückt.
»Genau wie ich dachte«, grinst er und verdreht mir den Arm, bis die Schmerzen fast unerträglich werden. »In einem echten Kampf würdest du nicht lange überleben.«
Ich muss mich ergeben. Widerwillig klopfe ich auf den Boden.
»Gegnerwechsel!«, befiehlt der Sensei.
Ich stehe auf und reibe den Arm. Er pocht vor Schmerzen.
Cho kommt herüber, meine Partnerin für den nächsten Kampf. »Wie geht es dir?«, fragt sie.
»Geht so«, antworte ich. »Er ist zu stark für mich.«
Meinem Arm geht es wieder besser. Aber mein Stolz ist verletzt. Ich werde mir niemals die Achtung der anderen erwerben, solange ich nicht meine erste Mission erfolgreich hinter mich gebracht habe.
»Jeder hat einen Schwachpunkt«, sagt Cho. »Ich bin zwar klein, aber nur wenige können mich schlagen.«
Ohne jede Vorwarnung rammt sie mir den Finger in die Vertiefung direkt hinter dem Schlüsselbein. Dort befindet sich ein Nervenpunkt; ein weißglühender Schmerz zuckt durch meinen Körper, meine Beine geben nach und ich gehe zu Boden.
»Der Nervenpunkt wird auch Drachentor genannt«, erklärt sie und grinst ein bisschen hinterhältig. »Ein Druckpunkt, der sogar den größten und gemeinsten Gegner in die Knie zwingt.«
»Zeigst du ihn mir noch einmal?«
Cho wiederholt den Griff. Danach darf ich ihn an ihr ausprobieren. Ich stoße den Finger kräftig auf die Stelle und sie bricht wie eine Lumpenpuppe zusammen.
»Tut mir leid – hab ich zu fest zugepackt?«, frage ich und strecke die Hand vor, um ihr auf die Füße zu helfen.
»Nein, das war genau richtig.« Plötzlich fasst sie mein Handgelenk und wirft mich mit einer blitzschnellen Drehung auf den Rücken. »Aber es war das letzte Mal, dass ich dich so leicht gewinnen lasse.«
»Übungen beenden!«, befiehlt Sensei Shima.
Tenshin, unser Clanführer, kommt vom Dorf her auf uns zu. Er trägt seinen schwarzen Gi, die Ninja-Kampfkleidung, mit dem Symbol unseres Clans – zwei Falken – auf der Brust.
»Wir brauchen sämtliche verfügbaren Ninja für eine wichtige Mission«, verkündet Tenshin.
Endlich! Das ist meine Chance! Ich springe auf.
»Du nicht, Taka«, sagt Tenshin. »Diese Mission ist nur für Schwarze Gürtel.«
»Das wird meine zehnte Mission«, prahlt Renzo am nächsten Morgen, als sich das Ninja-Team auf den Abmarsch vorbereitet. »Sag mir noch mal, Taka, wie viele Missionen hast du schon hinter dir?«
Ich achte nicht auf ihn, sondern arbeite weiter. Ich habe den Auftrag, am Dorfbrunnen die Wasserflaschen des Teams zu befüllen.
»Du hast noch nicht einmal die Prüfung für den Schwarzen Gürtel vor dem Großmeister abgelegt!«, schnaubt Renzo verächtlich. »Bist du sicher, dass du schon ganz allein unsere Wasserflaschen auffüllen darfst?«
Ich werde rot vor Verlegenheit und Scham. Die anderen Ninja schaffen es nicht ganz, ihr spöttisches Gelächter zu unterdrücken.
Der Großmeister des Ninjutsu, der geheimen Kampfkunst der Ninja, ist unser Oberhaupt. Sobald ein paar Schüler vierzehn Jahre alt sind, lädt sie der Großmeister in seinen Tempel ein, wo sie aus seiner Hand eine Blume nehmen müssen. Sie dürfen dabei jedoch nicht entdeckt werden. Auch der Großmeister selbst darf nichts spüren oder fühlen, soll nicht einmal merken, dass sie da sind. Er ist alt und blind, aber die Aufgabe ist trotzdem keineswegs leicht. Denn im ganzen Tempel sind Fallen aufgestellt.
Es ist der schwierigste, der ultimative Test in unentdecktem Anschleichen, den ein Ninja bestehen muss, und als Lohn dafür erhält er seinen Schwarzen Gürtel.
Sensei Shima ist der einzige Ninja, der diese Prüfung gleich beim ersten Versuch bestand. Das war vor zehn Jahren. Hat ein Ninja erst einmal den Schwarzen Gürtel erworben, kann er für jede Mission eingesetzt werden.
Ich habe bereits zwei Versuche hinter mir. Beide Male wurde ich entdeckt. Langsam habe ich Zweifel, ob ich den Test jemals bestehen und meinen Schwarzen Gürtel bekommen werde.
Während ich die Wasserflaschen verteile, beobachte ich meine Ninja-Kameraden, die ihre Ausrüstung ein letztes Mal überprüfen. Wie ich mir wünsche, mit ihnen gehen zu dürfen! Aber auch Cho ist heute nicht dabei. Ich blicke mich nach ihr um. Sie kommt vom Dorfplatz zu mir herüber.
»Der Großmeister will dich sehen«, sagt sie.
Entsetzt starre ich Cho an. »Mich? Aber … warum?«
»Was glaubst du wohl?«, fragt sie zurück und grinst.
»Die Prüfung für den Schwarzen Gürtel?«, rufe ich aus. »Aber ich bin doch gar nicht darauf vorbereitet!«
Renzo hat mich gehört und bricht in grausames Lachen aus. »Ha! Ein Versager wie du ist immer darauf vorbereitet zu scheitern!«
»Achte nicht auf ihn«, rät mir Cho, als wir davongehen. »Ich hab dich jeden Tag bei deinen Übungen beobachtet. Du bist so weit.«
Wir überqueren die Reisfelder, gehen durch den Wald und folgen einem Pfad, der zu den Hügeln hinaufführt. Je näher wir dem Tempel kommen, desto nervöser werde ich.
»Was ist, wenn ich noch einmal versage?«, frage ich unsicher.
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe auch zwei Versuche gebraucht.«
»Aber das ist schon mein dritter!«
Cho bleibt stehen und schaut mich an. »Ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis. So stark und geschickt Renzo auch ist – er hat sogar fünf Versuche gebraucht, um seinen Schwarzen Gürtel zu bekommen. Nicht zwei, wie er immer behauptet!«
Das ist mir neu, und sofort fühle ich mich ein wenig besser. Aber ich mache mir trotzdem Sorgen, die Prüfung nicht zu bestehen.
Wir steigen die lange steinerne Treppe hinauf, die zu einem großen Holztor führt. Cho bleibt vor dem Tempeleingang stehen.
»Wir treffen uns später wieder, unten im Dorf«, sagt sie.
»Bist du denn bei der Mission nicht dabei?«
Cho schüttelt den Kopf.
»Aber ich dachte, alle Ninja werden eingesetzt?«
»Ich bin vom Großmeister für eine besondere Aufgabe ausgewählt worden«, sagt sie, dreht sich um und geht wieder die Treppe hinunter. Ich raffe meinen ganzen Mut zusammen, doch bevor ich das Tor aufstoße, ruft sie mir noch zu: »Viel Glück! Und pass besonders bei der zweiten Stufe auf!«